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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Arbeits- und Organisationsstrukturen für hybride Wertschöpfung

Hybride Geschäftsmodelle im Betrieb umsetzen

verfasst von : Veit Hartmann, Stefan Sparwel

Erschienen in: Wertschöpfung hybrid gestalten

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die Umsetzung hybrider Geschäftsmodelle im eigenen Unternehmen stellt betriebliche Akteure vor Herausforderungen. Während auf der einen Seite das Geschäftsmodell im Hinblick auf Produkte und Dienstleistungen als Angebot für die späteren Kunden realisiert werden muss, ist es andererseits notwendig, die Arbeits- und Organisationsstrukturen im Unternehmen den neuen Anforderungen anzupassen bzw. so zu gestalten, dass die Arbeits- und Organisationsstrukturen das neue Geschäftsmodell bestmöglich unterstützen. Dazu ist es wichtig, sich darüber zu verständigen, welche Anforderungen das neue Geschäftsmodell an die bestehenden Arbeits- und Organisationsstrukturen stellt, welche Veränderungen notwendig sind und wie diese Veränderungen im Betrieb eingeführt werden. Dieses Kapitel stellt einen strukturierten Prozess der Gestaltung von Arbeits- und Organisationsstrukturen für hybride Wertschöpfung anhand eines konkreten, erprobten Fallbeispiels vor.
Hinweise

Ergänzende Information

Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-662-65130-8_​3.

3.1 Ausgangssituation und Methodik

Die Einführung und Nutzung digitaler Technologien im betrieblichen Kontext lassen sich vielfältig und mit unterschiedlichen Zielrichtungen gestalten. Eine Möglichkeit der Nutzung besteht darin, vorhandene und physisch greifbare Produkte unter Verwendung von daten- und softwarebasierten Systemen zu „ergänzen“, sodass hieraus zusätzliche Angebote und Leistungen, so genannte hybride Leistungen entstehen (können). Die Ergänzung vorhandener Produkte um spezielle Dienstleistungen ist nicht neu [1], erfährt aber nunmehr durch die vorhandenen digitalen Möglichkeiten eine besondere Beachtung [3, 5, 6]. Daher können und sollen neue daten- und softwarebasierte Zusatzleistungen für die Generierung und Etablierung neuer Geschäftsmodelle genutzt werden [7]. Diesen hybriden Geschäftsmodellen werden große wirtschaftliche Potenziale im Rahmen der digitalen Transformation zugeschrieben und sie werden als wesentlicher Faktor zum Erhalt und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen angesehen [2].
Das Forschungsprojekt „AnGeWaNt – Arbeit an geeichten Waagen für hybride Wiegeleistungen an Nutzfahrzeugen“ greift diese Thematik auf und erarbeitet einerseits unter Betrachtung privatwirtschaftlicher Aspekte exemplarische Geschäftsmodelle und Anwendungen in und mit drei KMU, sowie andererseits übertragbare und verallgemeinerbare Lösungen und Ansätze zur Nutzung der Potenziale hybrider Wertschöpfung durch Dritte. Mit den Unternehmen wird im Hinblick auf die Geschäftsmodelle untersucht, wie bestehende Angebote, die bislang primär das vorhandene Produkt adressieren, um monetär verwertbare digitale Angebote ergänzt, erweitert und im eigenen Betrieb realisiert werden können. Dabei kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz, die sowohl die diversen Anforderungen der Unternehmen berücksichtigen als auch in Richtung Transfer zu überprüfen und zu optimieren sind. Darüber hinaus werden die Potenziale digitaler Anwendungen im hoheitlichen Bereich durch die Entwicklung und Erprobung geeigneter Zugänge und Abläufe im Rahmen von metrologischen Prozessen durch die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt (PTB) beleuchtet.
Neben dem ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. als Konsortialführer (Themenschwerpunkt: arbeitswissenschaftliche und soziotechnische Gestaltung hybrider Wertschöpfung) und der gerade angeführten PTB, sind in diesem Verbund die Zenit GmbH (Zentrum für Innovation und Technik in Nordrhein-Westfalen) mit dem Arbeitsschwerpunkt „Geschäftsmodelle“, sowie drei Unternehmen (Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH, Kinshofer GmbH, PFREUNDT GmbH) vertreten.
Die Weiterentwicklung der Arbeitsgestaltung zur erfolgreichen Umsetzung hybrider Wertschöpfung ist ein zentraler Inhalt des o. g. Projekts AnGeWaNt. Dazu wurden zunächst Arbeits- und Organisationsstrukturen analysiert und optimal in Bezug auf die spezifischen Anforderungen hybrider Geschäftsmodelle ausgestaltet. Dieser Prozess wird in diesem Kapitel näher erläutert. Anschließend wurden die Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen und über deren Grenzen hinweg sowie in diesem Kontext relevante Führungsaspekte analysiert und an die Bedarfe der hybriden Wertschöpfung angepasst (Kap. 3). Die Identifikation von veränderten Kompetenzbedarfen und die Entwicklung von bedarfsgerechten Lernkonzepten bildeten den Abschluss der sozio-technischen Arbeitsgestaltung in AnGeWaNt (Kap. 4). Abb. 3.1 zeigt die drei sozio-technischen Arbeitspakete im Projekt AnGeWaNt im Überblick.
Geplante Geschäftsmodelle
Um sich ein Bild von den geplanten Geschäftsmodellen machen zu können, die die beteiligten Unternehmen gemeinsam mit der Zenit GmbH erarbeitet haben (https://​www.​angewant.​de/​geschaeftsmodell​e/​), wird hier stellvertretend kurz das Ergebnis der Kinshofer GmbH dargestellt.
Im Rahmen des Projektes AnGeWaNt entwickelte das Unternehmen zwei wesentliche Geschäftsmodellansätze, zum einen die digitalisierte Glascontainerentleerung und zum anderen den Bagger CoPilot.
Beispiel Glascontainer:
Die Kinshofer GmbH produziert Containerentleergeräte für die Glasentsorgung. Bei der Glasabfuhr und -verwertung handelt es sich um ein rein privatwirtschaftliches System im Rahmen des sogenannten dualen Systems. In diesem Fall vergeben die Glaserzeuger die Entsorgung an private Anbieter. Die Stadt stellt die Stellflächen für die Glascontainer zur Verfügung und reinigt die Flächen. Dennoch entsteht in vielen Kommunen regelmäßig Unmut bei den Bürgern über zu wenige oder nicht geleerte Container. Gründe hierfür können z. B. Wechsel der Entsorger oder einfach fehlende Erfahrung bei der Routenplanung und beim Bedarf sein.
KINSHOFER möchte hierzu ein System entwickeln, welches dem Entsorger eine höhere Transparenz über die Glasentsorgung an den jeweiligen Standorten geben soll, um somit Bedarfe besser abschätzen zu können und Kapazitäten effizienter planen zu können.
Hierfür wird das Unternehmen Containerentleergeräte mit einer Waage (der im Projekt teilnehmenden Firma PFREUNDT) ausrüsten und zudem einen Smart Tag in das Werkzeug implementieren, welcher mit einem in der LKW- Kabine befindlichen Steuerung kommuniziert. Das Geschäftsmodell beinhaltet somit sowohl den Produktverkauf (Containerentleergerät, Wiegeeinrichtung, Steuerung, Smart Tag), als auch den Softwareverkauf (App für Wiegedaten, Standortdaten, Logistikdaten für die optimierte und effiziente Routenplanung), sowie das Angebot von Dienstleistungen (Wartungsverträge). Abbildung sieben zeigt hierzu exemplarisch die Zusammenhänge von Produkt(en) und Dienstleistungen in diesem Anwendungsfall.
Beispiel Bagger CoPilot:
Die Kinshofer GmbH produziert intelligente Anbauwerkzeuge, wie z. B. Tiltrotatoren, die verschiedene Anbauwerkzeuge 360° endlos drehen und beidseitig 50° schwenken können. Diese Geräte bedeuten eine enorme Effizienzsteigerung im Betrieb, jedoch einen Anstieg der Komplexität für das Bedienpersonal. Aktuell werden im System zur Unterstützung unterschiedliche digitale Systeme und Hilfen eingesetzt, die miteinander unterschiedlich effizient kommunizieren.
Mit dem Bagger CoPilot will das Unternehmen die Systeme und Informationen bündeln und vereinfachen und auf nur einem Gerät visualisieren. In einem Appstore kann der Anwender aus unterschiedlichen Funktionen wählen und so den Fahrer optimal unterstützen, um ein möglichst effizientes Arbeiten möglich zu machen. Das Angebot besteht analog zum Glascontainerbeispiel auch aus einer Kombination von Hard- bzw. Softwareangeboten sowie Dienstleistungen (z. B. Remote Control).
Methodik im Handlungsfeld Arbeits- und Organisationsstrukturen
Neue (hybride) Geschäftsmodelle stellen in der Regel auch neue Anforderungen an die Organisation sowie an die Belegschaft [8, 17]. Daher ist es sinnvoll die Geschäftsmodelle, die seit Jahren in den Unternehmen bewährt und bekannt sind, im Hinblick auf neue Herausforderungen und Kundenanforderungen zu überprüfen und den Betrieb und die Beschäftigten organisiert und geplant auf neue Situationen und Konstellationen vorzubereiten. Das ifaa beschäftigt sich im Rahmen von AnGeWaNt konkret mit drei betrieblichen Anwendungsfeldern: dem Thema „Führung und Zusammenarbeit“, dem Thema „Kompetenzen“ sowie dem Thema „Arbeits- und Organisationsstrukturen“. In dem Anwendungsfeld „Arbeits- und Organisationsstrukturen“ werden organisationale Strukturen ermittelt, die die wirtschaftliche Umsetzung der erarbeiteten (zukünftigen) Geschäftsmodellinhalte erlauben. Diese zukünftigen Strukturen werden mittels Analyse und Abbildung von Informationsflüssen, Arbeits- und Organisationsabläufen sowie detaillierten Anforderungskonzepten abgebildet und exemplarisch überprüft [10]. Dieser Prozess wird vonseiten der Sozialpartner Metall NRW und IG Metall NRW, die am Projekt als „Value Partner“ beteiligt sind, aktiv begleitet. Insbesondere die sozialpartnerschaftliche Sichtweise auf die erzielten Ergebnisse hat sich als hilfreich für die Einschätzung von betrieblichen Umsetzungsmaßnahmen erwiesen.
Die zentralen Fragestellungen zur Bearbeitung des Handlungsfeldes Arbeits- und Organisationsstrukturen sind:
  • Welche Anforderungen stellt das neue Geschäftsmodell an das Thema Information (Informationsflüsse)?
  • Wie sehen an das neue Geschäftsmodell angepasste Aufbaustrukturen aus? Welche Elemente müssen am bestehenden Geschäftsmodell ergänzt oder verändert werden?
  • Wie können zunehmend flexiblere (wenn die Geschäftsmodelle es erfordern) Ablaufstrukturen realisiert werden?
  • Wie können Strukturen, die den Anforderungen des neuen Geschäftsmodells entsprechen, in die bestehenden Arbeitsstrukturen integriert werden?
Als Ergebnis steht ein Konzept organisatorischer Strukturen für eine hybride Wertschöpfung zur Verfügung.
Dabei ist auch die Frage von Interesse, wie weit datengetriebene Geschäftsmodelle auch bereits bei den Kunden der beteiligten Unternehmen zum Tagesgeschäft gehören [7]. Um zu belastbaren Aussagen zu kommen, wurde ein Vorgehensmodell entwickelt Abb. 3.2, dass die unterschiedlichen Arbeitsschritte des Teilprojektes (Informationsflussmodellierung, Organisationsstrukturentwicklung, Arbeitsstrukturentwicklung und Arbeitsablaufdetaillierung) aufgreift und einen ersten Schritt zur Operationalisierung liefert.
Das Vorgehensmodell wurde zusammen mit dem Unternehmen Kinshofer GmbH für den betrieblichen Einsatz operationalisiert, konkretisiert und primär dort erprobt und pilotiert. Die Vorgehensweise und wesentliche Aussagen und Erkenntnisse in der Arbeit mit der Kinshofer GmbH wurden in und mit den beiden anderen beteiligten Unternehmen überprüft, diskutiert und in einigen Belangen angepasst, um zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen. Wesentliche Anregungen, Hintergründe zum Vorgehen und zur Operationalisierung finden sich bei [3, 5, 13, 20, 25].

3.2 Basisarbeiten

3.2.1 Informationsflüsse analysieren

Die Darstellung von Informationsflüssen, teilweise wird hierzu synonym der Begriff der Prozess- oder Informationsmodellierung verwendet, bietet viele Möglichkeiten. Sie stellt in abstrakter Form relevante Informationen vom Beginn bis zum Ende eines Prozesses visualisiert zur Verfügung und nimmt einen essenziellen Part in den Digitalisierungsinitiativen der Unternehmen ein [14]. Mit der Darstellung von Arbeitsprozessen (entweder mit einer Prozessmodellierung oder einer Darstellung von Informationsflüssen) sind ferner viele Potenziale verbunden [18]:
  • Kenntnis des Status Quo
  • Grundlage für Veränderung und Reorganisation
  • verbessertes Prozessverständnis
  • Grundlagen abteilungsübergreifender Kooperation
  • Erarbeitung von Standards und einheitlichem Vorgehen
  • Basis für Transparenz und Verständnis von Zusammenhängen
  • Aufdecken von Schwachstellen
  • Darstellung von Komplexität
  • Aufdecken von Doppelarbeit und Verschwendung
  • Kosteneinsparung durch KVP-Prozesse.
Informationsflüsse können sowohl analog als auch digital abgebildet werden. Im Rahmen von AnGeWaNt wurden zu Beginn des Projektes exemplarische Informationsflüsse mit den beteiligten Akteuren erarbeitet. Dies geschah zum Zeitpunkt des Workshops Anfang 2019 noch analog – mithilfe von Moderationskarten und Pinnwand. Abb. 3.3. zeigt einen exemplarischen Informationsfluss, der sich auf einen Kundenauftrag bezieht. Die unterschiedlichen Stufen eines Kundenauftrages (Querreihe oben) und die jeweiligen beteiligten Abteilungen im Unternehmen (Nennungen auf den Karten) geben einen Überblick über die Arbeitsschritte und Beteiligten eines einzelnen betrieblichen Ablaufs.
Sind alle Teilnehmer geschult und routiniert im Umgang mit der Abbildung und Bearbeitung von Informationsflüssen, kann hier auf die analoge Variante verzichtet werden. Dieses Vorgehen hat sich als Einstieg in die Methode und im Hinblick auf die Zusammensetzung des Projektteams, als auch die unterschiedlichen Erfahrungen der Beteiligten, bewährt. In dem Zusammenhang nehmen auch unterschiedliche Modellierungssprachen einen wesentlichen Stellenwert ein (z. B. eEPK, K3 oder die DIN 66001). Eine Einführung in die Modellierungssprachen findet sich bei [18].
Die Darstellung von Informationsflüssen stellt, das hat die Arbeit im Rahmen des Projektes allen Beteiligten vor Augen geführt, einen wichtigen Baustein zum Einstieg in die Thematik der Hybridisierung bzw. der hybriden Geschäftsmodelle dar. Ferner haben die Unternehmensvertreter in AnGeWaNt deutlich bestätigt, dass die Darstellung von Informationsflüssen ein niederschwelliges und mit geringen Mitteln umzusetzendes Instrument darstellt, um eine komplexere Bestandsaufnahme oder Ist-Analyse strukturiert zu beginnen. Dabei hat es sich als hilfreich erwiesen, mit einer eher allgemeinen und bereichsübergreifenden Betrachtung Abb. 3.3 zu beginnen und sich später den Themen zuzuwenden, bei denen im Hinblick auf die Hybridisierung die meisten Veränderungen erwartet werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit auf Basis der zusammengetragenen Informationsflüsse, unterschiedliche zukünftige Aktivitäten zusammenzutragen Abb. 3.4. Im Projektfall war das die Fragestellung zu den Potenzialen einer möglichen gemeinsamen Datennutzung.

3.2.2 Produktbegleitende Dienstleistungen erheben

Produktbegleitende Dienstleistungen, auch als industrielle Dienstleistungen, ergänzende Dienstleistungen oder industrienahe Dienstleistungen bezeichnet, lassen sich den sogenannten investiven Dienstleistungen zuordnen und sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sie das herkömmliche produktorientierte Angebot von Produzenten oder Sachgutherstellern um die Dienstleistungskomponente erweitern (sollen). Produktbegleitende Dienstleistungen wurden und werden schon immer von vielen Unternehmen zusätzlich angeboten, treten aber aufgrund sich ändernder.
Rahmenbedingungen und sich somit verändernder Märkte und Kundenanforderungen in vielen Branchen verstärkt in den Fokus der Betrachtung [24]. Produktbegleitende Dienstleistungen bilden einen ersten Schritt, um sich, ausgehend vom reinen Produktverkauf, mit einer Erweiterung des Geschäftsangebots zu beschäftigen. Dabei kann häufig festgestellt werden, dass in fast allen Unternehmen produktbegleitende Dienstleistungen bereits angeboten werden. Ob diese im Unternehmen schon vorhandenen Dienstleistungen (z. B. telefonische Auskunft oder Beratung) ausbaufähig im Sinne eines Kundenversprechens sind, welches dann auch bepreist werden kann, ist zu überprüfen. Die einfachste Möglichkeit, eine umfassende Liste der produktbegleitenden Dienstleistungen zu erstellen, besteht darin, in einem Workshop unter Beteiligung aller Abteilungen oder Bereiche, gemeinsam und im Dialog zu sammeln, was die einzelnen Abteilungen anbieten, für welche Tätigkeiten (hier sind alle Tätigkeiten neben dem reinen Produktverkauf gemeint) eigentlich Rechnungen gestellt werden oder welche Aktivitäten als Service ohne besondere Erwähnung und Kostenaufstellung beim Produktverkauf anfallen. Abb. 3.5 liefert eine Übersicht, über produktbegleitende Dienstleistungen, die die teilnehmenden Unternehmen bereits anbieten.
Neben klassischen After-Sales-Dienstleistungen wird hier eine umfangreiche Liste von Dienstleistungen zusammengetragen, die für die notwendigen Veränderungen im Rahmen eines zunehmend hybriden Geschäftsmodells von besonderer Bedeutung sind. Darüber hinaus stellt die Beschäftigung mit dem Thema produktbegleitender Dienstleistungen einen niederschwelligen Einstieg dar, wenn es um die Abkehr und auch um das Verständnis von einem reinen Produktverkauf geht. Im Projektkontext hat es sich somit als richtig und hilfreich herausgestellt, die bereits existierenden produktbegleitenden Dienstleistungen der Unternehmenspartner, frühzeitig gemeinsam zusammenzutragen.

3.2.3 Bestandsaufnahmen in ausgesuchten Arbeitsbereichen durchführen

Die Bestandsaufnahme bildet in überschaubarem Umfang relevante Charakteristika eines bestimmten Betriebsbereiches ab. Die Art und Weise der Bestandsaufnahme kann variieren, prinzipiell bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten von der Beobachtung (z. B. Wie wird verladen?) bis zum Aktenstudium (Arbeitsanweisung zur Verladung und Sicherung von Gütern) an. Wichtig dabei ist, dass sich die Merkmale wirklich auf das aktuelle Geschehen bzw. den Ist-Zustand im Betrieb beziehen und möglichst nicht bewertet werden (der Bewertungsschritt erfolgt später im Hinblick auf die neuen Anforderungen und nicht entlang der Frage, ob die Organisation und Struktur aktuell den Anforderungen entsprechen). Um auf Basis einer Bestandsaufnahme zielführende Maßnahmen ableiten zu können, bietet es sich aus Kapazitätsgründen an, zunächst mit wichtigen Themen Erfolge zu erzielen und besonders relevante Unternehmensbereiche zu identifizieren. Diese Unternehmensbereiche sollten durch die Beteiligten im Hinblick darauf ausgewählt werden, dass dort umfassende Veränderungen in Organisation und Arbeitsstruktur sowie Anforderungen an die Beschäftigten anfallen werden. Im Falle der beteiligten Pilotunternehmen war es der Bereich des Vertriebs, in dem grundlegende Veränderungen durch Hybridisierung erwartet wurden. Diese Erkenntnis konnte insbesondere nach der Erarbeitung und Konkretisierung der einzelnen Geschäftsmodelle, gewonnen werden. Hier ist jedes Unternehmen gefordert, zu entscheiden, welche Bereiche primär betrachtet werden sollen. Auf Grundlage dieser exemplarisch für den Vertrieb erstellten Bestandsaufnahme, konnte ein umfassendes Bild der Strukturen und Arbeitsabläufe des Vertriebs gewonnen werden. Je nach zu beleuchtendem Bereich im Unternehmen und je nach erwarteter Veränderung aufgrund von Hybridisierung, ist es erforderlich die Bestandsaufnahme auf die jeweiligen Bereiche zuzuschneiden.
Vorgehen und Ergebnisse im Projekt AnGeWaNt zur Bestandsaufnahme (Ist-Zustand)
Es wurden im Rahmen von halbstandardisierten Interviews mit betrieblichen Experten folgende Fragen gestellt, um sich mithilfe der Antworten ein Bild von den Strukturen und der Arbeitsweise im Vertrieb, sowie den Tätigkeiten der Vertriebsbeschäftigten machen zu können:
  • Für welche Themen ist der Vertrieb Ansprechpartner?
  • Wie sieht die Betreuung der Kunden aus? Gibt es einen festen Personen- / Firmenstamm oder gibt es regionale Zuständigkeiten?
  • Wie sind die täglichen Touren geplant und was sind Anlässe für Touren?
  • Wie sieht eine klassische Woche im Vertrieb aus (tagebezogen)?
  • Welche administrativen Tätigkeiten üben die Vertriebsbeschäftigten aus?
  • Nach welchem Entlohnungsmodell wird das Gehalt berechnet? Welche Nachweise werden von den Beschäftigten gefordert? Wo hört die Entscheidungsautonomie der Vertriebsbeschäftigten auf?
  • Gibt es Anreize zur Neukundengewinnung?
  • Werden produktbegleitende Dienstleistungen mit verkauft/angeboten?
  • Was zeichnet gute Vertriebsbeschäftigte für die Tätigkeit in Ihrem Unternehmen aus?
  • Sonstiges
Wesentliche Aspekte dieser Ist-Analyse im Rahmen des Projektes AnGeWaNt mit Relevanz für die Umsetzung eines neuen hybriden Geschäftsmodells werden nachfolgend näher erläutert. Diese aufgeführten Aspekte werden in den späteren Schritten „Arbeits- und Organisationsstrukturen skizzieren“ Abschn. 3.3.2 und „Lösungswege aufzeigen und Umsetzung vorbereiten“ Abschn. 3.4.1 wieder aufgegriffen.
Der Vertrieb ist Ansprechpartner für alles (Standardware, Information, als auch Beratung)
Die Beschäftigten im Vertrieb der Pilotunternehmen haben als Generalisten ein breites Tätigkeits- und Aufgabenspektrum. Neben der klassischen Kundenbetreuung ist auch der Verkauf von Standardteilen an Bestandskunden ein Arbeitsschwerpunkt. In der Regel fungieren die Beschäftigten im Vertrieb als erste Ansprechpartner für alle aufkommenden Fragen und Anliegen der Bestandskundschaft. Hier macht es keinen Unterschied, ob es sich um Ersatzteilfragen oder Katalognummern, die Aufgabe neuer Bestellungen oder Beratungsanfragen hinsichtlich neuer Anwendungen oder Produkte handelt. Der Vertrieb stellt so ein wichtiges Bindeglied zwischen den Kunden und dem jeweiligen Produktanbieter dar. Eine klare inhaltliche Trennung von Zuständigkeiten beim Vertrieb ist eher selten zu erkennen, Maßstab ist hier der persönliche Kontakt zwischen den Beschäftigten im Vertrieb und den Kunden und den damit verbundenen Aufgaben und Anforderungen. Im Hinblick auf die Umsetzung eines neuen, hybriden Geschäftsmodells stellt sich demnach die Frage, ob die bisherige Aufgabenstruktur die notwendigen Zwecke erfüllen kann.
Vertriebsaußendienstmitarbeiter betreuen persönlichen Kundenstamm und/oder regionale Bezirke
Die Beschäftigten im Vertrieb der Pilotunternehmen betreuen sowohl einen persönlichen Kundenstamm als auch regionale Bezirke. Eine einheitliche Struktur (entweder eindeutige Zuordnung von Kunden zu den Beschäftigten im Vertrieb oder eine exakte Zuordnung nach z. B. Postleitzahlgebieten) wird zwar in den meisten Fällen angestrebt, konnte aber aufgrund historisch gewachsener Kundenverbindungen und einer sich laufend ändernden (in der Regel wachsenden) Kundenstruktur bislang nicht durchgängig realisiert werden. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Anforderungen in Bezug auf die Beratung und Begleitung von Kunden im Rahmen der Hybridisierung, sind hier verbindliche Regelungen zu treffen. Die Notwendigkeit wurde von allen Projektbeteiligten erkannt. Als Herausforderung stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt schon die individuelle Flexibilität der Beschäftigten im Vertrieb dar. Aufgrund von unterschiedlichen Informationsständen, Berufsbildern und persönlichen Karriereperspektiven bei den Beteiligten, sind hier die jeweiligen Beschäftigten unbedingt in die Planungen mit einzubeziehen.
Geplante Rundtouren und Standardbesuche sind bei Kunden durchgängig die Regel
Die Beschäftigten im Vertrieb der teilnehmenden Pilotunternehmen organisieren die Kundenbesuche in der Regel auf Basis von drei relevanten Arten von Besuchen. Erstens sind das fest geplante und über einen bestimmten Zeitraum verteilte Rundtouren mit Besuchen bei festgelegten Kunden. Zweitens sind das Standardbesuche bei ausgewählten Kunden, die nicht im Rahmen der Rundtouren besucht werden, aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. einmal im Quartal), und drittens sind es Kundenbesuche, die entweder „auf Zuruf“ und/oder aufgrund eines bestimmten Grundes (z. B. Problemlösung), der keinen zeitlichen Aufschub duldet und somit weder in einer Rundtour oder im Rahmen eines Standardbesuches erledigt werden können, bedient werden. Die Kundenbesuche sind eng mit den jeweiligen Zuschnitten des Kundenstamms verbunden. Hinsichtlich eines hybriden Geschäftsmodells stellt sich hier die Frage, wie die Kundenbetreuung nicht nur vom theoretischen Zuschnitt, sondern auch von der umzusetzenden Kundennähe und Logistik gewährleistet werden soll. Konsens der Beteiligten ist es bislang, diesen Aspekt möglichst mit den neuen Zuschnitten der Kundenstruktur neu zu ordnen.
Eine klassische Woche im Vertrieb hat folgende Struktur: Montag bis Donnerstag unterwegs und Freitag Bürotag zu Hause (Papiere, Abrechnungen, Nachweise, Bestellungen, Routenplanung Folgewochen)
Die zeitliche Strukturierung einer Arbeitswoche, bei vielen Beschäftigten im Vertrieb der teilnehmenden Unternehmen im Rahmen des Projektes AnGeWaNt, folgt einem bekannten Muster. An den Wochentagen Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ist ein Großteil der im Vertrieb arbeitenden Beschäftigten bei Kunden unterwegs. Der Freitag dient in vielen Fällen der Beschäftigung mit administrativen Fragen und anfallenden Bürotätigkeiten. Gerade diese für den Vertrieb charakteristische Zeitstruktur sollte im Hinblick auf die geplante Dienstleistungsorientierung überprüft werden. Erste Einschätzungen der Beteiligten gehen von wesentlichen Veränderungsnotwendigkeiten aus.
Die Entlohnung ist häufig eine Kombination aus Fixum und Provision. Die Zeiteinteilung ist weniger streng geregelt als in anderen Bereichen; i. d. R. wird kein formaler Tätigkeitsnachweis gefordert
Das Thema Bezahlung im Vertrieb weist bei den teilnehmenden Unternehmen wenige Besonderheiten auf, die auch nicht sonst im Vertrieb oder Außendienst zu finden sind. Die Entlohnung setzt sich häufig aus einem Fixum und aus Provisionsbestandteilen zusammen und unterscheidet sich damit oft von „herkömmlichen“ Entgeltsystemen, wie sie in vielen anderen Unternehmensbereichen anzutreffen sind. Ob dieses System weiterhin im Rahmen der Hybridisierung Bestand haben wird bzw. haben kann, wird sich nach Meinung der Unternehmensakteure aus dem Anteil der Dienstleistungen und der möglichen Wertschöpfung ableiten. Über Beides kann aktuell nur spekuliert werden. Ein weiteres Merkmal der vorgefundenen Vertriebsstrukturen in den beteiligten Unternehmen, ist die erhöhte Zeitautonomie der Beschäftigten im Vertrieb gegenüber Beschäftigten in anderen Unternehmensbereichen. Diese stellt einerseits als Flexibilitätsbaustein einen wesentlichen Erfolgsfaktor für das Unternehmen im Hinblick auf die Erfüllung von Kundenanforderungen dar (man stelle sich einmal vor, die Beschäftigten im Vertrieb würden jeweils an allen Tagen der Woche pünktlich nach genau 8 h Arbeitszeit das KFZ verlassen und sich in den Feierabend begeben), andererseits stellt genau diese Autonomie für viele Beschäftigte im Vertrieb auch einen generellen Wert dar, indem sie im Rahmen der gesetzlichen Regelungen und unternehmerischen Anforderungen Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Pausenregelung primär selbst gestalten. Häufig wird seitens der Unternehmen auf einen formalen Tagesstundennachweis verzichtet und nur die im Rahmen der Arbeitszeitgesetzgebung anfallenden Stunden jenseits der durchschnittlichen Tagesarbeitszeit notiert. Somit praktizieren viele Beschäftigte im Vertrieb schon seit langer Zeit eine Arbeitszeitflexibilität, die für viele andere Beschäftigte erst im Rahmen der Anforderungen aus der Corona-Pandemie (z. B. durch vermehrtes Arbeiten von zu Hause) überhaupt zum Thema wurden. Hinsichtlich der Umsetzung hybrider Geschäftsmodelle ist in den Unternehmen dann auf jeden Fall zu thematisieren, welche Anforderungen aufgrund von möglichen Dienstleistungsversprechen oder -garantien an das Thema Arbeitszeit gestellt werden.
Anreize zur Neukundenwerbung werden sehr unterschiedlich gesetzt (hängt an den jeweiligen Beschäftigten) und sind wenig formalisiert (keine direkte monetäre Folge)
Eine strategische Neukundengewinnung der Vertriebsbeschäftigten konnte bei den am Projekt AnGeWaNt beteiligten Unternehmen nicht festgestellt werden. Vielmehr hängt eine Akquise von neuen Kunden davon ab, ob der Vertriebsbeschäftigte diese Aufgabe für sich (und tendenziell auch für seinen monetären Profit) als wichtig erachtet oder ob die Beschäftigung mit dem Thema keine persönliche Relevanz besitzt. Indirekt sind die Beschäftigten im Vertrieb natürlich angehalten auch Neukunden zu gewinnen, aufgrund wenig formalisierter Regelungen und nicht durchgängiger Anreize, besteht hier noch Optimierungsbedarf. Im Zuge einer verstärkten Dienstleistungsorientierung (Verkauf von mehr Dienstleistungen statt reinem Produktverkauf) sind hier für die Umsetzung eines hybriden Geschäftsmodells klare und transparente Regelungen zu erarbeiten und zu kommunizieren.
Vorherrschend ist nach wie vor ein reiner Produktverkauf
Im Rahmen der Bestandsaufnahme wurde auch gefragt, ob in den beteiligten Unternehmen produktbegleitende Dienstleistungen über den Vertrieb mit angeboten werden. Dass es diese produktbegleitenden Dienstleistungen in den beteiligten Unternehmen gibt, wurde zu Beginn des Projektes ja bereits festgestellt Abb. 3.5. Festzuhalten ist, dass in der Regel über den Vertrieb kaum Dienstleistungen angeboten werden, sondern primär der Verkauf von Produkten die Tätigkeit bestimmt. Dieser Umstand wird eine der großen Herausforderungen im Zuge der Umsetzung eines hybriden Geschäftsmodells sein. Die zusätzliche Wertschöpfung durch Dienstleistungsangebote auf Basis von Daten, muss auf der Angebotsseite der Unternehmen umgesetzt werden, vom Vertrieb dem Kunden nahegebracht werden und im günstigsten Fall bestehende Probleme lösen oder neue Wertschöpfung auch beim Kunden generieren, sowie als zukünftig wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfung im Unternehmen, auch in der Unternehmenskultur und im Selbstverständnis der Beschäftigten seinen Platz finden.
Verknüpfungen mit anderen Produktbereichen des Anbieters sind sehr personenabhängig
Für die Umsetzung eines hybriden Geschäftsmodells ist es nach Aussage der Beteiligten Entscheider der Pilotunternehmen in AnGeWaNt auch von großer Bedeutung, inwiefern die Beteiligten in der Lage sind, über den eigenen Tätigkeitsbereich hinaus zu blicken und auch Ansatzpunkte für den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen zu erkennen, die nicht im eigenen Zuständigkeitsbereich liegen. Dabei stellt sich die generelle Frage für die Unternehmen, wie Beschäftigte dazu motiviert werden können, aktiv bei Bedarf auch Produkte des Unternehmens zu vermarkten, für die es (für die Beschäftigten persönlich) nicht automatisch und direkt Provisionszahlungen gibt. Im Rahmen der Erhebung konnte bei den beteiligten Unternehmen festgestellt werden, dass „der Blick über den Tellerrand hinaus“ sehr personenabhängig ist. Da sich hier bei den Unternehmen kein einheitliches Bild herauskristallisieren konnte, wird das Thema spätestens mit den Diskussionen um adäquate Entlohnungsmodelle wieder auf die Agenda gesetzt.
Zusätzliche „Problemlösung“ für den Kunden steht meist nicht im Fokus
Ähnlich wie mit dem gerade beschriebenen Punkt „Verknüpfungen mit anderen Produktbereichen des Anbieters sind sehr personenabhängig“, verhält es sich mit der Frage, inwieweit der Vertrieb bereits auf seine Rolle als zukünftiger „Problemlöser“ vorbereitet ist. Dass viele Industriegüteranbieter sich vom reinen „Produktverkäufer“ hin zu einem Problemlöser beim Kunden entwickeln (müssen) ist seit langem bekannt [1, 20, 25]. Dazu gehören auf der einen Seite, wie die Erhebung in den Pilotunternehmen gezeigt hat, die passenden Angebote und Lösungsansätze, auf der anderen Seite aber auch Beschäftigte in den Unternehmen (und nicht nur im Vertrieb!), die diese Lösung eines Problems beim Kunden als wesentliche Aufgabe ansehen. Diese Rolle als „Problemlöser“ ist allerdings nach Aussage der beteiligten Unternehmensvertreter in den Betrieben bislang eher wenig bei den Beschäftigten präsent. Hier stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten eines kulturellen Wandels innerhalb der Belegschaften.
Große Unterschiede existieren in der Erfüllung der Aufgaben zwischen „technischen Vertrieblern“ und „vertriebsorientierten Technikern“
Die Beschäftigten im Vertrieb der beteiligten Unternehmen im Projekt AnGeWaNt haben unterschiedliche berufliche Ausbildungen und Hintergründe. Die Frage, die sich im Rahmen der Erhebung des Ist-Zustandes stellte, war, ob es eine bestimmte Konstellation aus beruflicher Historie, Fachhintergrund etc. bei den Beschäftigten gibt, die sich besonders gut für die Vertriebsaufgaben eignet. Diese Frage konnte aufgrund der vielfältigen Hintergründe und der nicht immer trennbaren Persönlichkeitsmerkmale der Beschäftigten so nicht beantwortet werden. Innerhalb der Diskussion konnte allerdings herausgefiltert werden, dass es zwei Gruppen von Beschäftigten im Vertrieb gibt, die jeweils einen unterschiedlichen Hintergrund haben. Einerseits sind dies Vertriebsmitarbeiter mit einer grundständig technischen Ausbildung, andererseits sind dies Beschäftigte mit kaufmännischen Berufshintergründen. Alle Beteiligten waren sich einig, dass es nicht sinnvoll ist, hier die eine oder andere Gruppe („Techniker“ oder „Kaufleute“) als besonders geeignet herauszustellen, sondern dass jede Berufsgruppe, in Kombination mit der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur der einzelnen Beschäftigten und insbesondere in Abhängigkeit der jeweiligen Aufgabe, zu sehen ist. Einig waren sich die beteiligten Entscheider aus den Unternehmen dahin gehend, dass für einen Vertrieb tendenziell erklärungsbedürftigerer und komplexerer Produkte und Dienstleistungen noch konzeptionelle Vorarbeiten (besonders im Hinblick auf Anforderungen, Kompetenzen etc.) in den Unternehmen geleistet werden müssen, um die Frage nach relevanten Berufshintergründen besser bewerten zu können.

3.3 Neue Anforderungen ermitteln

3.3.1 Referenzmodell entwerfen

Nutzung von Szenarien
Szenarien sind für Unternehmen nachvollziehbare und schlüssige Bilder einer möglichen Zukunft. Sie bilden meist das Unternehmen und das jeweilige Umfeld ab, in dem agiert wird. Szenarien beruhen auf Annahmen von Ereignissen und Entwicklungen und lassen sich daher vielfältig gestalten und auslegen [16]. Allgemein bekannt sind z. B. Szenarien, die in eine besonders positive, eine kaum veränderte oder besonders negative Entwicklung skizzieren. Im Projekt AnGeWaNt wurden Szenarien eingesetzt, um einen betrieblichen Anwendungsfall in unterschiedlichen digitalen Ausbaustufen parallel zur Geschäftsmodellentwicklung möglichst detailliert abbilden zu können. Es handelt sich dabei um das Beispiel „Glascontainer“ welches, ausgehend von einem nachvollziehbar beschriebenen Bedarf bei der Altglasentsorgung in bundesdeutschen Kommunen dem Pilotunternehmen KINSHOFER vor Augen führt, welche Potenziale zur Hybridisierung existieren. Ergänzend hierzu wird entlang der Szenarien die Frage thematisiert, welche Veränderungen im Unternehmen notwendig sind, um hybride Geschäftsmodelle zu realisieren.
Dabei geht es in der Regel nicht darum, die jeweiligen Entwicklungen bis ins kleinste Detail zu erheben, sondern aus den getätigten Annahmen zunächst deutlichere Blickrichtungen für absehbare Tendenzen und Trends zu gewinnen. Anschließend sollen Handlungsoptionen für das eigene Unternehmen abgeleitet werden, um mit entsprechenden konkretisierten Maßnahmen auf Anforderungen reagieren zu können. Auch auf der betrieblichen Anwendungsebene können Szenarien eine praxisnahe und vor allen Dingen praktikable Unterstützung zur Ausarbeitung einer eigenen strategischen Vorausschau sein [17].
Anforderungen an das Beispiel
Um sich nicht in einer theoretischen „wenn und aber“ Diskussion zu verlieren, verständigten sich das ifaa und die Kinshofer GmbH darauf, die notwendigen Veränderungen von Organisations- und Arbeitsstrukturen an einem konkreten Beispiel abzubilden. Die Firma Kinshofer mit den Standorten Waakirchen und Holzkirchen in Bayern, ist ein mittelständisches Unternehmen, das sich auf die Herstellung von hydraulischen und pneumatischen Systemen spezialisiert hat. Es vertreibt weltweit Anbaugeräte für Baumaschinen wie Bagger, Baggerlader, Kompaktlader, Ladekrane und Stapler. Bei der Betrachtung tendenzieller Veränderungen in der Organisations- und Arbeitsstruktur war es für das ifaa und die Kinshofer GmbH von besonderer Bedeutung, dass das zu findende Beispiel einen belastbaren Ausgangsstatus aufweist, der
a)
in der Praxis aktuell Anwendung findet (also kein fiktives Beispiel ist) und
 
b)
gleichzeitig Defizite bzw. Potenziale zur Verbesserung aufweist, die tendenziell durch den Einsatz vermehrter Digitalisierung und Veränderung der Geschäftsmodellstruktur ausgeglichen bzw. genutzt werden können.
 
Dass auch der Wägetechnik in diesem Zusammenhang großes Potenzial zugesprochen wird, war im Hinblick auf die Unternehmenspartner im Projekt AnGeWaNt von besonderer Bedeutung [26]. Anspruch ist es ferner, die jeweiligen Produkte und Kompetenzen der Projektpartner in die unterschiedlichen Stufen des Beispiels zu integrieren. Darüber hinaus war es ein wesentliches Kriterium, nicht nur die privatwirtschaftliche Betrachtungsweise hier im Rahmen der Geschäftsmodelle abbilden zu können, sondern ebenfalls hoheitliche Aufgaben und Fragestellungen (im Projekt abgebildet durch die PTB, die Physikalisch-technische Bundesanstalt) hier mitzudenken und exemplarisch mit zubetrachten. Nach intensiver Suche und einigen „Probeläufen“ einigten sich die Beteiligten auf das Beispiel der Glascontainerentleerung (im weiteren Textverlauf „Containerbeispiel“ genannt), das durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist [9]:
Ausgangslage und Status Quo – Beispiele in Karlsruhe und Stuttgart
Zu wenig, zu voll, zu laut – seit einem Monat gibt es Probleme mit dem Altglas in Karlsruhe. Nach einem Wechsel der Abholfirma läuft es mit den neuen Containern überhaupt nicht rund. Mittlerweile hat sich die Stadt eingeschaltet – allein bei ihr landeten bislang über 250 Beschwerden [12]
Die Altglassammlung und -verwertung in der Stadt Karlsruhe wurde zum Jahreswechsel 2018 neu ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt ein Entsorger aus Wiesbaden, der bislang nicht für die Sammlung und Verwertung in Karlsruhe zuständig war. Der ehemalige Entsorger ist nun nicht mehr für das Karlsruher Gebiet zuständig. Eine Übernahme der Container konnte zwischen dem alten und dem neuen Entsorger nicht realisiert werden, daher hatte dies zur Folge, dass neue Container aufgestellt werden mussten. Das führte gerade zum Jahreswechsel zu erheblichen Problemen, denn einerseits standen an den bisherigen Stellen der Glascontainer entweder keine oder eine wesentlich größere Anzahl von Behältern zur Verfügung, der reibungslose Übergang hatte also nicht funktioniert. Grund dafür ist, dass die Behälterstandorte in der Regel nur den Altglasentsorgern bekannt sind und nicht der Kommune. Deutlich anders und servicefreundlicher organisiert und dokumentiert sind die Behälterstandorte beispielsweise in der Stadt Marburg. Dort können Bürgerinnen und Bürger die Standorte der Glascontainer im Stadtgebiet bequem auf einer Navigationslandkarte mit entsprechender postalischer Adresse einsehen, um den nächstgelegenen Behälterstandort zu finden (https://​www.​marburg.​de/​portal/​seiten/​altglascontainer​standorte-900001283-23001.​html). Neben der Betrachtung der Behälterstandorte sind bei der „klassischen“ Glascontainerleerung noch zwei weitere Parameter von Bedeutung, nämlich die Abfuhr (Route und Zeitpunkte), sowie der Füllstand der Container. Aktuell ist davon auszugehen, dass auf Basis des Erfahrungswissens des Entsorgers (ggf. berechnet durch Einwohnerzahlen im Einzugsgebiet) hier adäquate Entsorgungsrouten geplant werden, die allerdings „fest“ sind, d. h. es wird nach einem Zeit- und Fahrplanplan entsorgt und nicht auf Basis von Bedarf und Füllständen. Abb. 3.6 stellt den Status Quo der Glascontainerentleerung mit den Parametern Standort, Erfahrungswissen und Abfuhr schematisch dar.
Es ist deutlich ersichtlich und in der Grafik zusätzlich durch die blauen Kreuze hervorgehoben, dass digitale Unterstützungsmöglichkeiten und Features (Sensoren, Umrechnungssoftware, Informations- und Bedienoberflächen, ein Connectportal oder Möglichkeiten der Navigation oder des Routings) keine Elemente eines Standardvorgehens bei der Glascontainerentleerung sind.
Bisherige Ansätze zur Weiterentwicklung
Neben dem in Abb. 3.6 beschriebenen aktuell häufig vorzufindenden Zustand der Glascontainerentleerung, gibt es bundesweit Pilotanwendungen, Projekte und Angebote, die deutliche Hinweise auf mögliche weitere Entwicklungen geben; diese Entwicklungen sind in Teilen schon beschrieben. In der Stadt Bonn sind unter dem Titel „Wenn der Glascontainer voll meldet“ im Rahmen des Projektes „Smart City“ smarte Sammelcontainer-Füllstandsanzeiger im Einsatz, die einen ersten Schritt zu einer bedarfsgerechten Leerung ermöglichen sollen:
Der Füllstandsanzeiger ist über die sogenannte „NarrowBand-IoT“ Technologie vernetzt und lässt sich übers Internet und per App abfragen und überwachen. Dieses – auf Deutsch – „Schmalband-Interne-der-Dinge-Protokoll“ nutzt das vorhandene Mobilfunknetz, in Bonn konkret den 900-Megahertzbereich, ist aber speziell auf große Reichweiten selbst bei schwierigen Empfangsbedingungen, etwa in Kellern oder Kanälen, und auf geringen Stromverbrauch hin optimiert [4].
Auch die Abfallwirtschaftsbetriebe der Stadt Stuttgart begrüßen eine Ausstattung der Glascontainer mit Sensoren im Stadtgebiet [23]. Hier erhofft sich die Firma Remondis als Entsorger vom Einsatz der Sensoren eine „punktgenaue und bedarfsgerechte“ Abfahrroutine. Mit den Daten, die die Sensoren liefern, ist es möglich, die Tourenplanung deutlich zu optimieren. Stuttgart ist damit nach Aussage des Entsorgers ein Leuchtturmprojekt, da das Unternehmen darauf verweist, dass eine umfassende Umstellung auf eine digitale Erfassungstechnik wie sie in Stuttgart geplant und angelaufen ist, bundesweit bislang einzigartig sei. Auch andere Kommunen experimentieren bereits schon länger mit neuen Ansätzen [27], die jeweiligen Techniken zum digitalen Ausbau werden bereits schon angeboten [21] und im Rahmen des „Internet der Dinge“ diskutiert [22].
In Abb. 3.7 sind die verschiedenen Aspekte einer bedarfsgerechteren Glascontainerentleerung dargestellt. Es handelt sich hierbei um die beschriebenen Parameter Füllstand, Containerstandort und bedarfsgerechte Leerung bei vollen Behältern.
Möglichkeiten der Erweiterung bestehender Modelle im Kontext des Projektes AnGeWaNt
Im Forschungsprojekt AnGeWaNt ist es jedoch (im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Zuständen) das Anliegen, deutlich über bisher realisierte Anwendungen hinaus zu denken. Dabei sollen die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, unter den Vorzeichen der jeweiligen Unternehmensprodukte und entwickelten Geschäftsmodelle genutzt werden. Daher werden im Folgenden nun mehrere Szenarien (Ausbaustufen des Beispiels „Glascontainer“) beschrieben, die in unterschiedlicher Abstufung Digitalisierungsaspekte und firmenspezifische Produkte innerhalb des Beispiels „Glascontainer“ miteinander kombinieren.
Ausgehend von der Überlegung, dass eine bedarfsgerechte Containerentleerung mit Standortkenntnis ein optimales Routing (d. h. eine möglichst effiziente Fahrstrecke) ermöglicht, stellt sich die Frage, welche Faktoren dieses Modell einschränken oder ggf. optimieren können. In Abb. 3.8 ist hier exemplarisch dargestellt, dass sich das bestehende Modell im Pilotbereich Abb. 3.7 dadurch noch optimieren lässt, dass zusätzlich die Transportkapazität des jeweiligen Fahrzeugs (die bislang keine Berücksichtigung fand) mit beachtet wird. Wir rücken hier also etwas von der ausschließlichen Prämisse „volle Container“ ab und kombinieren den Faktor nun mit der möglichen Restkapazität des Abfuhrfahrzeugs. Ziel ist es demnach, am Ende der Route möglichst viele volle Container entleert, aber gleichzeitig auch einen optimal (vollen) Füllstand des Abfuhrfahrzeugs erreicht, zu haben. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die „Kapazitätsberechnung“ des Abfuhrfahrzeugs hier – da in analoger Form vorgenommen – relativ grobe Werte liefert und ständig durch den Fahrer/Bediener und sein Erfahrungswissen auf Korrektheit überprüft werden muss. Um diese groben Werte, gekoppelt mit dem Erfahrungswissen der Bediener wesentlich genauer zu erhalten und somit wesentlich effizientere und effektivere Ergebnisse zu erzielen, bieten sich zwei weitere Szenarien an Abb. 3.9 und 3.10.
In der ersten Variante Abb. 3.9 geht es um die Kombination aus Füllstand (und Ort) des Containers, Menge und Gewicht des abzutransportierenden Materials, sowie der Routenberechnung nach Kapazität des Abfuhrfahrzeugs.
Besonders interessant im Hinblick auf die Nutzung von Digitalisierungspotenzialen ist hier die Vorstellung, die jeweiligen Füllstände der Container in Echtzeit auch in der Gewichtseinheit zur Verfügung zu haben, um je nach Anforderung (Volumen oder Gewicht) die optimale Ausnutzung der Ladekapazität der abfahrenden LKW auszunutzen.
In der zweiten Variante Abb. 3.10 spielen die Produkte der beiden betrieblichen Projektpartner Kinshofer GmbH und PFREUNDT GmbH eine besondere Rolle. Die Fa. Kinshofer liefert in diesem Szenario ein Container-Entleergerät, welches mit einer Kranwaage der Fa. PFREUNDT gekoppelt ist.
Die PFREUNDT GmbH aus Südlohn im Westmünsterland plant, entwickelt und vertreibt mobile und stationäre Wiegesysteme einschließlich Software und Datenübertragungssysteme für die weltweiten Märkte der Gewinnungs- Entsorgungs- und Recyclingindustrie.
In dieser Konstellation besteht die Möglichkeit eine direkte Gewichtsmessung bei der Containerleerung durchzuführen und hier keine Umrechnungen mehr auf Basis des Volumens vornehmen zu müssen. Eine wesentlich genauere Erfassung der Gewichte ist somit möglich. Dieses Modell kann als Ausgangspunkt für viele andere Betrachtungsweisen gewählt werden, in denen eine genauere Gewichtsermittlung (natürlich auch jenseits der Entsorgung) relevant ist. Insbesondere bietet es sich hier mittels Abstraktion und Analogiebildung an, weitere Anwendungsfälle zu „konstruieren“ oder zu generieren, in denen bislang ein Transport und das Wiegen von Waren und Gütern in mobilen Anwendungen relativ ungenau im Rahmen einer Volumen/Gewichtsumrechnung erfolgte, eine genauere Gewichtsermittlung aber für mögliche Parameter wie Abrechnung (Preis), Sicherheit oder Effizienz in der Logistik eine große Rolle spielen könnte (Straßenbau, Entsorgung loser Materialien jenseits von Containern etc.).
Wenn wir davon ausgehen, dass erstens eine gewichtsgenaue Entsorgung (dargestellt am Beispiel Glasentleerung von Containern) prinzipiell möglich ist und dass es die beschrieben Potenziale für weitere Anwendungen gibt, die diesem Szenario folgen und dass wir uns zweitens Anwendungen anschauen, die prinzipiell vergleichbare Abläufe abbilden, stellt sich nicht nur die Frage der Genauigkeit der Messung (eine Frage an die technischen Partner im Projekt, die wir als gelöst betrachten können), sondern die Frage der Verlässlichkeit der dortigen Werte. So ist es beispielsweise bei der Lieferung von Flüssiggas an Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe so, dass ein Zähler die genaue Liefermenge auf Basis eines geeichten Instrumentes ermittelt. Der Kunde erhält einen Beleg, auf dem die genaue Liefermenge dokumentiert ist, die wiederum als Grundlage zur Rechnungsstellung des Lieferanten dient (beide Seiten, d. h. Lieferant und Kunde verlassen sich auf einen geeichten Messprozess). Abb. 3.11 stellt die Kombination aus Füllstand, Menge, Gewicht und Routing nach Kapazität, plus Eichung dar, d. h. in dem dortigen Szenario haben wir ein Modell, welches die bisherigen Parameter durch eine formal-hoheitliche Komponente ergänzt und eine gute Basis für eine „Bepreisung“ in einem möglichen Geschäftsmodell liefert.
Wesentliche Elemente eines Geschäftsmodells betreffen das Erlösmodell, d. h. die Frage wie im jeweiligen Vorhaben Umsatz generiert und Geld verdient werden soll. Um diese Komponente in den Überlegungen nicht außer Acht zu lassen, ist in Abb. 3.12 zusätzlich noch die Möglichkeit einer Umrechnung in ein €-Äquivalent vorgesehen. Das bedeutet, dass auf Basis der erhobenen und gemessenen Werte (überprüft und gewährleistet durch den Eichprozess) automatisch ein Geldbetrag ausgewiesen werden kann, der entweder als Rechnung/Gutschrift eingesetzt wird oder zur Direktverrechnung geeignet ist. Hier bedienen wir uns des einfachen Beispiels an einer deutschen Standardzapfsäule an der Tankstelle: Der Kunde tankt an der Säule, die mit einer geeichten Durchflussanzeige in Litern versehen ist, die gewünschte Menge an Kraftstoff. Diese Menge an Kraftstoff wird automatisch zum jeweils ausgewiesenen Tagespreis pro Liter in eine Gesamtsumme umgerechnet, die dann entweder bar, per EC- oder Kreditkarte, bei Firmen- oder Flottenkunden auch auf Rechnung, bezahlt wird. In unserem Beispiel Abb. 3.12 wäre es also möglich, so die notwendigen Parameter vorhanden, gemessen und bekannt sind, am Ende des Prozesses einen Erlöswert auszuweisen, der sich im Detail auf die exakte Menge des abzurechnenden Materials bezieht.
Einordnung und Bewertung
Bei der Arbeit mit den Szenarien hat sich herausgestellt, dass das praxisnahe Reflektieren anhand konkreter Anforderungen für eine Vorbereitung und Umsetzung der Geschäftsmodelle sehr hilfreich für die spätere Umsetzung ist.
Eine konkrete Beispielfrage aus dem Projektkontext lautete dazu: Was muss bei uns im Betrieb wie geändert werden, damit mit wir die dargestellte digitale Ausbaustufe des Geschäftsmodells erreichen oder erfüllen können?
Insbesondere stellte sich im Rahmen von AnGeWaNt heraus, dass auch Unternehmensbereiche betroffen sind, die zunächst wenig relevant erschienen oder bislang nicht im Fokus der Betrachtung standen (z. B. Angebotserstellung und Abrechnung neuer Angebote wie z. B. „Pay per Use“) [15].

3.3.2 Angepasste Arbeits- und Organisationsstrukturen skizzieren

Nachdem im Rahmen der vorhergehenden Schritte sowohl viele Informationen im Hinblick auf den Ist-Zustand im Betrieb ermittelt worden sind Abschn. 3.2.3 als auch die inhaltliche und strategische Ausrichtung mithilfe eines Referenzmodells oder unterschiedlicher Szenarien deutlich geworden ist Abschn. 3.3.1, geht es nun darum, die ermittelten Aspekte im Hinblick auf die neuen Anforderungen, die sich aus dem Referenzmodell und den Szenarien ergeben, zu bewerten und gegebenenfalls neue Ziele zu definieren (Soll-Zustand). Dazu wird jede Aussage, die im Rahmen der Bestandsaufnahme ermittelt und notiert wurde, dahingehend überprüft, ob die Aussage vor dem Hintergrund der sich im Referenzmodell oder den Szenarien erwartbaren Veränderungen, noch Bestand hat oder haben sollte oder ob Änderungen herbeigeführt werden sollten. Diese Änderungen sollten stichpunktartig möglichst genau beschrieben werden. Diese Arbeitsschritte werden exemplarisch anhand des schon in der Bestandsaufnahme erläuterten Fallbeispiels (Vertrieb) genauer beschrieben. Dazu wird jeder Aussage der Bestandsaufnahme (Ist-Aussage) jeweils mindestens eine formulierte Soll-Aussage zugewiesen. Diese Soll-Aussagen skizzieren die jeweiligen Zielzustände, die aufgrund der Umstellung auf ein neues Geschäftsmodell notwendig werden bzw. geworden sind.
Der Vertrieb ist Ansprechpartner für alles (Standardware, Information, als auch Beratung)
Um den zukünftigen Anforderungen gerecht werden zu können, wird es als notwendig erachtet, die bisherige Struktur der Ansprache von Kunden, als auch der Kundenbetreuung, grundlegend neu zu strukturieren und zu organisieren. Dabei sollen insbesondere Standardprodukte, die weder eine Erklärung oder Präsentation seitens des Vertriebes erfordern, noch die Kaufentscheidung der bestehenden Kunden beeinflussen (Produkt ist bekannt und der Kunde kennt die Bestellmenge), zunehmend nicht mehr vom Vertrieb betreut werden. Zielstellung ist hier die Etablierung eines Webshops, über den kundenspezifische Bestellungen abgewickelt werden können, sodass absehbar Standardprodukte ohne das „Bindeglied“ Vertrieb an den Kunden veräußert werden. Die Beschäftigten im Vertrieb haben zukünftig verstärkt die Aufgabe, beratungsintensive Aufträge zu bearbeiten und Produkte, die zunehmend komplizierter und komplexer werden (z. B. Datenpakete) im Dialog mit den Kunden zu veräußern. Darüber hinaus wird es Aufgabe des Vertriebs sein, sich verstärkt mit Problemlösungen beim Kunden zu beschäftigen, die eben nicht mit Standardprodukten gelöst werden können. Hier sind insbesondere Anpassungen von speziellen Applikationen, Produkten und Dienstleistungspaketen zu nennen. Einen wesentlichen Anteil der zukünftigen Tätigkeit des Vertriebs soll die Neukundenansprache ausmachen. Hier geht es insbesondere darum, die neuen Angebote, die im Rahmen der Geschäftsmodellentwicklung entstanden sind bzw. noch entstehen werden, nicht nur den Bestandskunden nahe zu bringen, sondern mit diesen neuen hybriden Produkten und deren Mehrwerten auch Kunden ansprechen zu können, die bislang eher Produkte von Mitbewerbern gekauft haben.
Soll-Aussage:
In der Zukunft ist der Vertrieb nicht mehr Ansprechpartner für Standardprodukte, sondern primär verantwortlich für die Akquise von Neukunden und die Problemlösung bei Bestandskunden.
Vertriebsaußendienstmitarbeiter betreuen persönlichen Kundenstamm und/oder regionale Bezirke
In Ergänzung zur Neustrukturierung der Kundenbetreuung und Kundenansprache werden sich die Beschäftigten im Vertrieb zukünftig mehr um wertschöpfende Tätigkeiten beim Kunden kümmern (müssen). Kundenbesuche werden demnach zumindest absehbar auch dahin gehend bewertet, wie sich das Verhältnis von Input zu Output darstellt. Dabei ist allen Beteiligten völlig klar, dass dieser Prozess nicht abrupt und automatisch geschehen kann, sondern dass hier sowohl im Hinblick auf die Beschäftigten als auch die Kunden strategisch vorgegangen werden muss. Wie sich die Details der jeweiligen Kundenbetreuung dann darstellen, ist zunächst einmal offen. Es wird zum aktuellen Zeitpunkt keine Möglichkeit (Zuschnitt nach Region oder Zuschnitt nach Themen/Inhalt) ausgeschlossen. Wichtig ist allerdings, dass der Vertrieb flexibler auf sich ändernde Anforderungen seitens der Kunden reagieren kann und somit immer die kompetentesten Ansprechpartner (Maßgabe Problemlösung und nicht Maßgabe fester Ansprechpartner) zur Verfügung stehen.
Soll-Aussage:
In der Zukunft wird es den ausschließlich festen Kundenstamm der einzelnen Vertriebsbeschäftigten nicht mehr geben. Der Zuschnitt der Zuständigkeiten orientiert sich zukünftig in erster Linie an den vorhandenen Kompetenzen im Vertrieb zur Lösung des jeweiligen Kundenproblems.
Geplante Rundtouren und Standardbesuche sind bei Kunden durchgängig die Regel
Die Reisetätigkeit der Beschäftigten im Vertrieb wird im Rahmen der Umsetzung des neuen hybriden Geschäftsmodells geändert werden müssen. Da immer weniger standardisierte (hybride) Produkte angeboten werden (und die Standardprodukte, die noch verbleiben, dann über den geplanten Webshop verkauft werden sollen), wird es die bisherigen Standardbesuche bei Kunden und damit verbundene regelmäßige Rundtouren nicht mehr geben. Kundenbesuche werden dann stattfinden, wenn dies für notwendig erachtet wird, um Umsätze zu generieren, Probleme beim Kunden zu identifizieren, zu besprechen und Lösungen vorzubereiten oder Neukundengewinnung zu betreiben. Weiterhin unbenommen bleiben ggf. ausgewählte Umsatzträger oder Pilotunternehmen als Technologieführer.
Soll-Aussage:
In der Zukunft fließen Aufwand und Zeit in erster Linie in notwendige oder mit direktem Umsatz verbundene Aktivitäten.
Eine klassische Woche im Vertrieb hat folgende Struktur: Montag bis Donnerstag unterwegs und Freitag Bürotag zu Hause (Papiere, Abrechnungen, Nachweise, Bestellungen, Routenplanung Folgewochen)
Als eine wesentliche Vorrausetzung für die adäquate Bedienung der anfallenden Kundenanfragen und -wünsche hat sich die zeitlich flexible Reaktion des Vertriebs herausgestellt. Dabei ist es wichtig auf der einen Seite die Kundenanfragen zu priorisieren und im Rahmen eines noch zu erstellenden Kunden- und Serviceversprechens realistische Rückmeldungen zu geben, auf der anderen Seite stellen sich die sich verändernden Wünsche und Bedarfe der Beschäftigten im Vertrieb auch als Herausforderung dar. Das bedeutet, dass die Kundenbedarfe im Rahmen des Serviceversprechens Priorität haben, dieses Serviceversprechen aber auch nur im Rahmen der Möglichkeiten der Beschäftigten im Vertrieb realisiert werden kann. Hier gilt es die individuellen Anforderungen der Beschäftigten mit den betrieblichen Anforderungen abzugleichen, wenn der Vertrieb auf Dauer mit Fachpersonal besetzt werden soll. Nur mit dieser sog. „doppelten Flexibilität“ können komplexe Serviceversprechen auch auf Dauer eingelöst werden.
Soll-Aussage:
Die Arbeitszeitgestaltung der Beschäftigten im Vertrieb orientiert sich in der Zukunft an den Bedarfen der Kunden. Dabei sind die persönlichen Belange der Beschäftigten im Vertrieb zu berücksichtigen und mit den betrieblichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Die Erfüllung des betrieblichen Ablaufes hat jedoch immer Priorität.
Die Entlohnung ist häufig eine Kombination aus Fixum und Provision. Die Zeiteinteilung ist weniger streng geregelt als in anderen Bereichen; i. d. R. wird kein formaler Tätigkeitsnachweis gefordert
Die Arbeit im Vertrieb, muss vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen und sich aus dem Geschäftsmodell ergebenden Anforderungen im Hinblick auf die wesentlichen Faktoren Zeit und Geld, überprüft werden. Wie im vorherigen Abschnitt schon angedeutet, ist davon auszugehen, dass von den Beschäftigten eine höhere Zeitflexibilität erwartet wird, die erfahrungsgemäß bei Zugeständnissen an die individuelle zeitliche Flexibilität der Beschäftigten auch erreicht werden kann. Beim Thema Lohn und Gehalt haben sich die Entscheider dafür ausgesprochen, die Bandbreite der Entlohnungsmöglichkeiten und Benefits deutlich zu erhöhen, um hier einerseits den aktuellen und potenziellen Beschäftigten mit flexiblen und individuellen Angeboten einen Mehrwert zu bieten, andererseits die eigene Arbeitgeberattraktivität in Abgrenzung zu finanziell anders aufgestellten Großkonzernen zu erhöhen und die Tätigkeit im Vertrieb interessanter zu gestalten.
Soll-Aussage:
In der Zukunft werden die Entlohnungsmöglichkeiten erweitert, um eine Steigerung der Attraktivität der Unternehmen für die eigenen Beschäftigten und für potenzielle Bewerber zu erreichen. Darüber hinaus muss eine größere Transparenz der Tätigkeiten im Vertrieb hergestellt werden.
Anreize zur Neukundenwerbung werden sehr unterschiedlich gesetzt (hängt an den jeweiligen Beschäftigten) und sind wenig formalisiert (keine direkte monetäre Folge)
Um zu einer systematischen und erfolgreichen Neukundenwerbung im Rahmen der Umsetzung der neuen Geschäftsmodelle zu kommen, sind nach Ansicht der beteiligten Entscheider zwei Themen zu bearbeiten. Erstens ist es zwingend erforderlich, den Beschäftigten im Vertrieb vor Augen zu führen, wie wichtig die Neukundengewinnung für die jeweiligen Unternehmen ist und welche unterschiedlichen Strategien es gibt, dies seitens des Vertriebs zu erkennen. Dabei ist insbesondere Wert darauf zu legen, die verschiedenen Individuen im Vertrieb und deren beruflichen Hintergründe sowie Persönlichkeitsmerkmale zu berücksichtigen. Zweitens, und dieser Punkt ist für eine spätere reibungslose Ansprache von Neukunden elementar, gilt es, die bislang sehr divers ausgerichteten Anreizstrukturen für eine Neukundengewinnung strategisch auszurichten und transparent zu kommunizieren. Analog zu den Bedürfnissen der Beschäftigten beim Thema Arbeitszeit sind hier Anreizstrukturen zu etablieren, die den Bedürfnissen der Beschäftigten und ihrer jeweiligen Lebenslage entsprechen.
Soll-Aussage:
Zukünftig werden monetäre wie nicht monetäre Anreize im Vertrieb zur Neukundengewinnung formalisiert.
Vorherrschend ist nach wie vor ein reiner Produktverkauf
In Ergänzung zu den Aktivitäten zur Neukundengewinnung, ist die Abkehr von einem bislang fast ausschließlichen Produktverkauf mit dem Ziel eines verstärkten Paket- und Dienstleistungsverkaufs erklärtes Ziel der am Projekt AnGeWaNt beteiligten Unternehmen. Die erarbeiteten Geschäftsmodelle bzw. die jeweiligen Erlösmodelle nehmen dabei die veränderten Prämissen vorweg. Ein Großteil der Wertschöpfung soll in Zukunft über den Verkauf von datenbasierten Dienstleistungen erfolgen. Der „klassische“ Produktverkauf wird allerdings nicht überflüssig, er wird lediglich nun mit einem sehr geringen Anteil von Personalinput organisiert und mit der Nutzung von vorhandenen technischen Möglichkeiten wie z. B. Webshops und Onlinebestellung kombiniert.
Soll-Aussage:
Zukünftig wird es im Vertrieb eine verstärkte Orientierung zu Problemlösungen bei den Kunden und zur „Kundenbegleitung“ geben.
Verknüpfungen mit anderen Produktbereichen des Anbieters sind sehr personenabhängig
Die am Projekt AnGeWaNt beteiligten Unternehmen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie ein breites Spektrum unterschiedlicher Produkte und Dienstleistungen bereits anbieten. Diese Angebote sind allerdings unterschiedlichen Bereichen oder Abteilungen zugeordnet, die diese Produktsparten jeweils verantworten. Daher gibt es häufig nur geringe inhaltliche Verbindungen zwischen den Abteilungen, was zur Folge hat, dass Lösungen, die in einem Unternehmensbereich bereits erarbeitet worden sind, weder automatisch noch zwangsläufig in anderen Bereichen bekannt sein müssen. Hier wird nach Meinung der beteiligten Entscheider aus den Unternehmen wesentliches Potenzial der Wertschöpfung für den Vertrieb aktuell nicht genutzt. Mit Fokus auf die neu erarbeiteten Geschäftsmodelle ist es Ziel, Strukturen zu schaffen, die einen besseren Informationsaustausch zwischen den Abteilungen hinsichtlich möglicher Kundenlösungen garantieren und in einem weiteren Schritt auch eine abteilungsübergreifende Realisierung von Kundenlösungen zu etablieren.
Soll-Aussage:
Der Aufbau von Cross Selling (Querverkauf) Strukturen in den Unternehmen ist zu etablieren.
Zusätzliche „Problemlösung“ für den Kunden steht meist nicht im Fokus
Wie bereits mehrfach angesprochen, steht aktuell in den Unternehmen, die am Projekt teilnehmen, der Produktverkauf an erster Stelle. Der Verkauf von Dienstleistungen findet meist nur dann statt, wenn sie mit dem Produkt direkt verbunden sind Abb. 3.5. Die erarbeiteten Geschäftsmodelle setzen neben der verstärkten Nutzung von Daten auch auf einen intensiveren Kundendialog und die Begleitung der Kunden von der Problembeschreibung bis zur Lösung. Das bedeutet demnach auch, dass sich in vielen Fällen das bestehende Selbstverständnis der Vertriebsbeschäftigten ändern muss. Es geht darum, von einem kurzfristigen Verkauf eines standardisierten Produktes zu einer Begleitung der Kunden zu kommen und die Kunden hinsichtlich der Problemlösungen zu unterstützen. Dabei werden absehbar die Problemlösungen beim Kunden immer weniger standardisiert sein und je nach Anforderungen immer wieder neu erarbeitet werden müssen.
Soll-Aussage:
Zukünftig wird es im Vertrieb eine verstärkte Orientierung zu Problemlösungen bei den Kunden und zur „Kundenbegleitung“ geben (analog zum Punkt „Vorherrschend ist nach wie vor ein reiner Produktverkauf“).
Große Unterschiede existieren in der Erfüllung der Aufgaben zwischen „technischen Vertrieblern“ und „vertriebsorientierten Technikern“
Bei der Betrachtung der beruflichen Hintergründe der Beschäftigten in den Vertriebsabteilungen der beteiligten Unternehmen können zwei große Gruppen unterschieden werden. Auf der einen Seite ist es die Gruppe der Beschäftigten, die eine technische Ausbildung haben und die kaufmännischen Kompetenzen im Rahmen der Tätigkeit praxisnah erworben haben oder es sind Beschäftigte mit kaufmännischem Hintergrund, die sich die technischen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen durch die Tätigkeit im Vertrieb angeeignet haben. Festgestellt wurde von den betrieblichen Experten, dass es große Unterschiede in der Arbeitsweise und in der Erfüllung der Aufgaben gibt, die primär auf die beruflichen Hintergründe zurückzuführen sind. Ohne die Vor- und Nachteile der beruflichen Hintergründe der Beschäftigten werten zu wollen, sehen die betrieblichen Entscheider hier einen Handlungsbedarf, wenn es um die Umsetzung der neuen Inhalte der Geschäftsmodelle geht. Der entscheidende Punkt, der sich hier im Rahmen der Diskussionen ergab, besteht darin, dass die jeweiligen beruflichen Hintergründe der Beschäftigten im Vertrieb, vorhandenes Spezialwissen der Beschäftigten, unterschiedliche Stile im Umgang mit Kunden sowie Persönlichkeitsmerkmale nicht nivelliert werden sollen, sondern dass es einen definierten Standard zum Thema Beratung geben soll, der von allen Beschäftigten im Vertrieb erfüllt wird und über den hinaus alle Beschäftigten ihre persönlichen Kompetenzen frei entfalten können. Die zukünftigen Angebote auf Basis der neuen Geschäftsmodelle bilden hier die inhaltliche Basis der zu definierenden Anforderungen.
Soll-Aussage:
In der Zukunft wird die Qualität der Beratung im Vertrieb bei allen Unterschieden und gewünschtem „Spezialistentum“ einen noch zu definierenden Standard aufweisen.

3.4 Veränderungen bestimmen

3.4.1 Lösungswege aufzeigen und Umsetzung vorbereiten

Mit der groben Skizzierung des Soll-Zustands in Form von formulierten Aussagen, wird eine gute Basis für die Weiterarbeit an angepassten Strukturen im Rahmen veränderter (hybrider) Geschäftsmodelle gelegt. Für die betrieblichen Akteure bedeutet dies eine Orientierung, die als „Kompass“ für die weitere Ausgestaltung des Prozesses genutzt werden kann. Ist die Richtung bekannt, so besteht die Möglichkeit, sich über die möglichen Lösungswege Gedanken zu machen. Um hierbei zu belastbaren Aussagen zu kommen, die im nächsten Schritt Abschn. 3.4.2 einer Bewertung unterzogen werden, bietet es sich an, eine Vielzahl möglicher Aspekte zusammenzutragen, die das Unternehmen und die Akteure bei der Zielerreichung unterstützen bzw. die bei der Realisierung der Zielerreichung notwendig und hilfreich sind (Fragestellung: Welche Möglichkeiten gibt es, den Soll-Zustand zu erreichen?). Idealerweise werden diese Fragestellungen in den Unternehmen mit betrieblichen Experten und ggf. unter professioneller interner oder externer Moderation in Workshops bearbeitet.
Hinweis: In diesem Arbeitsschritt geht es um eine möglichst breite, aber nicht beliebige Sammlung möglicher Schritte zur Umsetzung. Demnach sind alle Vorschläge, die für die Zielerreichung denkbar sind, hilfreich. Eine Bewertung sollte an dieser Stelle möglichst in den Hintergrund treten. Die Bewertung erfolgt als eigener Arbeitsschritt Abschn. 3.4.2 nach der Zusammenstellung möglicher Lösungswege.
Wir bedienen uns hier wieder des schon eingeführten Projektbeispiels aus dem Vertrieb und fügen dem bereits formulierten Soll-Zustand nun notwendige und/oder mögliche Schritte zur Umsetzung hinzu:
Der Vertrieb ist Ansprechpartner für alles (Standardware, Information, als auch Beratung)
Um die in der Soll-Aussage formulierte Zielstellung umzusetzen, haben sich die Entscheider auf ein breites Spektrum von Maßnahmen geeinigt. Damit möglichst schnell erste angestrebte Ziele erreicht werden, wird der Aufbau eines Webshops für Standardprodukte festgelegt. Die technische Umsetzung des Shops (hier existieren bereits standardisierte Angebote verschiedener Anbieter) wird dabei als weniger aufwendig und zeitkritisch eingeschätzt, als die parallelen Arbeiten an Produktlisten, erklärenden Bildern, Verweisen, Ablagestrukturen für Materialien sowie weiteren Inhalten, mit denen der Webshop bestückt werden muss. Die Arbeiten dienen dazu, die Identifikation von Standardprodukten fehlerfrei zu organisieren, die korrekte Zuordnung von relevanten Papieren (z. B. Datenblättern) zu gewährleisten und durch visuelle Unterstützung bei der Bestellung mögliche Fehlerquellen zu vermeiden.
Darüber hinaus ist es für die beteiligten Unternehmen von großer Wichtigkeit, herauszufinden, mit welchen Bestandskunden zukünftig welche Geschäftsbeziehungen im Hinblick auf Produkt- und Dienstleistungsangebote angestrebt werden sollen und welche Angebote die Unternehmen welchen tendenziellen Neukunden in welchen Märkten anbieten wollen. Diese Fragen sollen im Rahmen einer umfassenden Wettbewerbs- und Kundenstrukturanalyse beantwortet werden und somit in die strategische Umsetzung der Geschäftsmodellerweiterung einfließen.
Da sich mit der Umstellung von einem reinen Produktverkauf hin zu umfassenden Problemlösungen auch die Rollen der bisherigen Beschäftigten im Vertrieb ändern (werden), sind zwei Unterstützungskomponenten für die Beschäftigten im Vertrieb angedacht. Einerseits ist das der Aufbau eines internen Netzwerkes zum Thema „Beratung“, welches die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit den Kunden und der Vermittlung der Inhalte bündeln und parallel als Austauschplattform dienen soll, andererseits werden Beschäftigtenschulungen zum Thema Beratung als wesentlich für den zukünftigen Verkaufserfolg erachtet. Dabei ist es in einem zweiten Schritt denkbar, dass in das Netzwerk „Beratung“ auch externe Experten (ggf. von Partnerfirmen oder Kooperationspartnern) mit aufgenommen werden, um eine möglichst breite Problemlösungskompetenz aufzubauen.
Vertriebsaußendienstmitarbeiter betreuen persönlichen Kundenstamm und/oder regionale Bezirke
Um die formulierte Zielstellung „In der Zukunft wird es den ausschließlich festen Kundenstamm der einzelnen Vertriebsbeschäftigten nicht mehr geben. Der Zuschnitt der Zuständigkeiten orientiert sich zukünftig in erster Linie an den vorhandenen Kompetenzen im Vertrieb zur Lösung des jeweiligen Kundenproblems“ zu erreichen, haben sich die Verantwortlichen in den teilnehmenden Unternehmen für ein mehrstufiges Vorgehen entschieden. In einem ersten Schritt sollen die bisherigen Kundenstrukturen und Kundenzuschnitte aufgearbeitet und analysiert werden. Dabei können im Hinblick auf den inhaltlichen Zuschnitt Ergebnisse aus der geplanten Wettbewerbs- und Kundenstrukturanalyse genutzt werden, die schon im Abschnitt vorher angesprochen wurde. Im Ergebnis wird eine Darstellung der aktuellen Zuordnung der Beschäftigten im Vertrieb zu den jeweiligen Kunden erwartet, aus der sich dann auch die aktuellen Gründe für die Zuordnung (räumlich, inhaltlich) leicht ablesen lassen. In einem zweiten Schritt werden die aufgeführten Kunden hinsichtlich der Betreuungsnotwendigkeiten bewertet. Es geht in erster Linie darum herauszufinden, welche Kunden mit welchen Zeitaufwänden von den Beschäftigten im Vertrieb betreut werden müssen und was die Gründe für die unterschiedlichen Aufwände sind. Diese unterschiedlichen Gründe sollen ferner einer Bewertung unterzogen werden, die es erlaubt, zumindest eine Unterscheidung in „tendenziell gerechtfertigten Aufwand“ und „tendenziell nicht gerechtfertigten Aufwand“ vorzunehmen. Auf Basis der ersten beiden Schritte erfolgt dann im dritten Schritt eine noch zu konkretisierende Priorisierung der Kunden (beispielsweise Betreuungs- und Beratungsaufwand in Relation zum Umsatz) und eine Beschreibung möglicher Potenziale der Kunden (z. B. unter Beachtung möglicher Angebote aus dem neuen Geschäftsmodell). Der dritte Schritt bildet dann die Entscheidungsbasis für eine Neuordnung möglicher Zuständigkeiten sowie einer möglichen Neustrukturierung von inhaltlichen und/oder regionalen Zuschnitten.
Geplante Rundtouren und Standardbesuche sind bei Kunden durchgängig die Regel
Nach Aussage von Unternehmensvertretern zeichnete sich die Arbeitsweise der Beschäftigten im Vertrieb unter anderem dadurch aus, dass Kundenbesuche im Rahmen von festen Touren oder auf Basis eines festgelegten Zeitintervalls (z. B. jeder dritte Mittwoch im Monat am Vormittag) erfolgten. In der Zukunft sollen bei Kundenbesuchen verstärkt die jeweiligen Besuchsnotwendigkeiten beachtet werden, d. h. Besuche, die ausschließlich der Kundenpflege dienen, sollen deutlich reduziert werden. Darüber hinaus ist die Gesamtzahl der bisherigen Kundenbesuche im Hinblick auf deren Notwendigkeit auf den Prüfstand zu stellen und die Anzahl deutlich zu reduzieren, um die formulierte Zielstellung, dass absehbar Aufwand und Zeit in notwendige Tätigkeiten (z. B. Problemlösung beim Kunden) und mit direktem Umsatz verbundene Aktivitäten gebündelt werden, zu erreichen. Dabei ist den Beteiligten klar, dass hier aufgrund des heterogenen Kundenspektrums keine pauschalen Entscheidungen getroffen werden können, sondern jeder Kunde zunächst individuell im Hinblick auf die Anzahl und Intensität von Besuchen eingeschätzt werden muss und dass für diese neue Ausrichtung ein Kommunikationskonzept entworfen werden muss, welches die Beschäftigten im Vertrieb in die Lage versetzt, die Neuerungen so beim Kunden anzubringen, dass sie akzeptiert werden.
Eine klassische Woche im Vertrieb hat folgende Struktur: Montag bis Donnerstag unterwegs und Freitag Bürotag zu Hause (Papiere, Abrechnungen, Nachweise, Bestellungen, Routenplanung Folgewochen)
Eine relativ stringente Arbeits- und Ablaufstruktur konnte ebenfalls bei der Analyse der jeweiligen Arbeitswochen der Beschäftigten im Vertrieb festgestellt werden. Um das formulierte Ziel („Die Arbeitszeitgestaltung der Beschäftigten im Vertrieb orientiert sich in der Zukunft an den Bedarfen der Kunden. Dabei sind die persönlichen Belange der Beschäftigten im Vertrieb zu berücksichtigen und mit den betrieblichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Die Erfüllung des betrieblichen Ablaufes hat jedoch immer Priorität.“) zu erreichen, werden die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen zur Vorbereitung der eigentlichen Umsetzung favorisiert. Bevor jedoch die eigentlichen inhaltlichen Aspekte zum Tragen kommen, ist es von großer Wichtigkeit zu überlegen und zu entscheiden, wie die Beschäftigten im Vertrieb an das Thema herangeführt werden bzw. wie die anstehenden Veränderungen kommuniziert werden. Dabei ist vollkommen unbestritten, dass bei einigen Beschäftigten der Eindruck erweckt werden könnte, dass hier Arbeitszeiten ausgedehnt und die Kontrolle erhöht werden soll. Dem ist mit offener Kommunikation, sachlicher Darlegung des neuen Geschäftsmodells sowie transparenten Entscheidungen zu begegnen, um deutlich zu machen, dass Veränderungen hier notwendig sind und sich an den Notwendigkeiten des neuen Geschäftsmodells orientieren. Ferner ist immer wieder deutlich zu machen, dass die Veränderungen in einem Prozess gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet werden.
Um die Anforderungen, die sich aus dem neuen Geschäftsmodell hinsichtlich der Verfügbarkeit des Vertriebs und der Arbeitszeiten der Beschäftigten im Vertriebs ergeben, sinnvoll erheben und bewerten zu können, soll zunächst überprüft werden, in welchen Fällen eine Ausdehnung der Verfügbarkeitsnotwendigkeit zu erwarten ist. Insbesondere sind hier die Kunden zu betrachten, die weniger im reinen Produktverkauf zu verorten sind, sondern die Kunden, die jetzt und absehbar eine Kombination aus Produkt und Dienstleistung verlangen. Zwei Fragen sind hier zu beantworten, erstens die Frage, ob die generell zur Verfügung stehenden Zeitkorridore der Beschäftigten im Vertrieb (z. B. eine 40-h Woche mit flexiblem Beginn zwischen 7.30 Uhr und 9.00 Uhr) die zunehmend veränderten Anforderungen zukünftig rein rechnerisch abdecken (können) und ob es zweitens ausreicht, die bisherige Wochenstruktur im Hinblick auf die Anforderungen der Kunden zu flexibilisieren und zu optimieren. Dabei sind auch Zeiten aufzuführen, in denen es eine eher geringe Nachfrage nach einer Betreuung durch die Beschäftigten des Vertriebs gibt. Möglichkeiten mit unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen auf Flexibilitätsnotwendigkeiten zu reagieren, zeigt grob Abb. 3.14. Wesentlich für eine breite Akzeptanz der Veränderungen bei den Beschäftigten im Vertrieb ist ein Abgleich der betrieblichen Anforderungen mit den Arbeitszeitpräferenzen der Beschäftigten. Dabei ist es erklärtes Ziel, die notwendigen Veränderungen in einem betrieblichen Ausgestaltungsprozess mit den Wünschen der Beschäftigten (an die eigene Arbeitszeit) in Einklang zu bringen und einen weitestgehenden Konsens zu erzielen. Primäre Prämisse bleibt dabei aber weiterhin die notwendige Erfüllung der betrieblichen Anforderungen.
Die Entlohnung ist häufig eine Kombination aus Fixum und Provision. Die Zeiteinteilung ist weniger streng geregelt als in anderen Bereichen; i. d. R. wird kein formaler Tätigkeitsnachweis gefordert
Um die formulierte Zielstellung auch im Themenfeld der Entlohnung zu erreichen, sollen zunächst bestehende, generelle Anreiz- und Vergütungssysteme bzw. deren Komponenten auf die Anwendbarkeit in den Vertriebsabteilungen der Unternehmen hin überprüft werden. Parallel dazu ist es erforderlich, einerseits die Bedarfe und Interessen der Beschäftigten in den Vertriebsabteilungen im Hinblick auf monetäre und nichtmonetäre Zusatzleistungen zu erheben und andererseits einen Überblick darüber zu bekommen, welche Anreiz- und Vergütungsofferten im Markt und bei Mitbewerbern zu finden sind.
Die folgenden monetären und nichtmonetären Vergütungsbestandteile finden sich z. B. in der Metall- und Elektroindustrie [11]:
  • Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit,
  • Marktgerechte, fixe Grundvergütung,
  • Karrieremöglichkeiten (z. B. Möglichkeiten des schnellen Aufstiegs durch Talentmanagementprogramme, Fach- und Führungskarrieren etc.),
  • Zusatzleistungen im Bereich der Weiterbildung,
  • Arbeitgebermarke/Arbeitsgeberattraktivität,
  • Interessante Standorte des Unternehmens,
  • Moderne, ergonomische Ausstattung des Arbeitsplatzes/der Arbeitsumgebung
  • Zusatzleistungen im Bereich Gesundheit, Soziales, Vorsorge,
  • Tarifbindung,
  • Variable Leistungsvergütung,
  • Unternehmenserfolgsabhängige Sonderleistungen (z. B. Erfolgsbeteiligungen).
Speziell im Bereich der Sozialleistungen erscheinen die Möglichkeiten für die Beschäftigten im
Vertrieb noch nicht ausgeschöpft. Folgende exemplarisch ausgewählte Angebote sind denkbar [11]:     diese Zeile war in der Druckversion eingerückt
  • Anlassbezogene Geschenke,
  • Zuschüsse für Kantine/Spesenregelung,
  • Kostenlose Getränke oder Obst,
  • Einkaufsvergünstigungen und Mitarbeiterrabatte,
  • Private Nutzung von Kleidung (über PSA hinaus),
  • Zuschüsse zur Pflege oder zur Versicherung,
  • Übernahme von Umzugskosten,
  • Zuschüsse/Übernahme von Kosten für Haushaltsdienstleistungen.
Kommen die betrieblichen Akteure zum Schluss, dass die Unternehmen unterschiedliche monetäre wie nichtmonetäre Entlohnungsbestandteile anbieten wollen und können und sind die Rückmeldungen seitens der Beschäftigten so, dass ein Interesse unterstellt werden kann, kann die Neugestaltung der Vergütungsbestandteile in die Umsetzungsphase gehen.
Anreize zur Neukundenwerbung werden sehr unterschiedlich gesetzt (hängt an den jeweiligen Beschäftigten) und sind wenig formalisiert (keine direkte monetäre Folge)
Um die geplanten Zustände auch bei den Anreizen zur Neukundenwerbung zu realisieren, bietet es sich an, diesen Punkt mit dem vorangegangenen Punkt der Entlohnung gemeinsam zu bearbeiten, da sich die Punkte sehr ähneln. Zunächst gilt es, eine breite Aufstellung möglicher Anreize zur Neukundenwerbung in Theorie und Praxis vorzunehmen. Dazu können aktuelle Studien herangezogen werden, wie z. B. die aktuelle Studie zu Anreiz- und Vergütungssystemen in der Metall- und Elektroindustrie [11], sodass die Unternehmen hier möglichen Angebote zusammentragen können. Im Hinblick auf die „Nachfrageseite“, nämlich die Inhalte, die von Beschäftigten tendenziell als interessant gewertet werden, erscheint eine Abfrage von möglichen Angeboten bzw. eine Bewertung denkbarer Anreize als besonders erfolgsversprechend, um die Präferenzen der Beschäftigten zu ermitteln. Sind sowohl die möglichen Angebote der Unternehmen als auch Wünsche der Beschäftigten bekannt, kann die Auswahl der geeigneten Anreizinstrumente erfolgen. Sinnvollerweise erfolgt die Umsetzung in Abstimmung und/oder gemeinsam mit der Einführung von monetären und nichtmonetären Gehaltsbestandteilen.
Vorherrschend ist nach wie vor ein reiner Produktverkauf/eine zusätzliche „Problemlösung“ für den Kunden steht meist nicht im Fokus
Die in der Bestandsaufnahme Abschn. 3.2.3 gewonnene Erkenntnis, dass es im Vertrieb nach wie vor fast ausschließlich um den reinen Verkauf von Produkten und weniger bis gar nicht um eine Problemlösung beim Kunden geht, gepaart mit der Feststellung, dass eine zusätzliche Problemlösung (die ggf. vom Kunden so weder direkt artikuliert noch aktuell erwartet wird) im Fokus der Betrachtung der Beschäftigten im Vertrieb ist, werden aufgrund der Themennähe hier zusammen behandelt. Um die formulierten Ziele zu erreichen, sind zwei Handlungsstränge maßgeblich: Der eine Handlungsstrang adressiert die komplette Unternehmensbelegschaft und nicht nur die Beschäftigten im Vertrieb. Hier geht es darum, die Digitalisierungsbestrebungen im Unternehmen, die damit verbundenen zukünftigen Geschäftsmodelle, sowie insbesondere die daraus resultierenden Änderungsnotwendigkeiten in den verschiedenen betrieblichen Bereichen allen Beschäftigten nahe zu bringen. Neben den wesentlichen Informationen müssen unbedingt aufkommende Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz bei den Beschäftigten sowie notwendige Qualifizierungsbedarfe- und notwendigkeiten thematisiert werden. Der andere Handlungsstrang bezieht sich auf ein Bündel individueller Maßnahmen für die einzelnen Beschäftigten. Hier muss im Hinblick auf die Erreichung der angestrebten Ziele genau geschaut werden, welche Person inhaltlich geschult werden muss, wo es Bedarfe in der Personalentwicklung gibt, um sowohl Dienstleistungen erklären, anbieten und verkaufen zu können, als auch Kundenbedarfe zu erkennen und mit adäquaten Angeboten darauf reagieren zu können. Bewusst ist den beteiligten Entscheidern, dass diese unterschiedlichen Anforderungen von den Beschäftigten einerseits nicht im gleichen Umfang und andererseits mit derselben Geschwindigkeit erlernt und umgesetzt werden können. Daher sind Evaluationsworkshops sowie Einzelgespräche mit den betroffenen Beschäftigten auf den Prozess der Geschäftsmodellimplementierung und -umsetzung anzupassen und abzustimmen.
Verknüpfungen mit anderen Produktbereichen des Anbieters sind sehr personenabhängig
Ob und in welcher Größenordnung Produkte von Beschäftigten des Vertriebs angeboten werden, die über das jeweilige Angebotsspektrum der Vertriebsbeschäftigten hinausgehen, ist sehr personenabhängig, so das Ergebnis der Bestandsaufnahme. Um hier die möglichen Potenziale zu nutzen, sollte nach Ansicht der beteiligten betrieblichen Entscheider zunächst eine Sammlung und Analyse der vorhandenen und perspektivisch anzubietenden Dienstleistungen und Zusatzprodukte (After Sales, Schulungen, Wartungsprodukte, Hotline etc.) erfolgen. Hier bieten die zusammengetragenen produktbegleitenden Dienstleistungen Abb. 3.5 eine gute Basis, um nun ein breiteres Spektrum kreativ zu erarbeiten bzw. das vorhandene Angebot zu optimieren oder auszubauen. In diese Erarbeitung sollten dann auch mögliche Angebote von externen Partnern mit aufgenommen werden, die das Produkt- und Dienstleistungsportfolio erweitern können. Nach der Phase der Zusammenstellung favorisieren die am Projekt beteiligten Akteure die Zusammenstellung von anschaulichen „Beispielsets“, d. h. von neuen Produkt- und Dienstleistungskombinationen. Parallel zur inhaltlichen Arbeit an neuen Angebotsvarianten ist es erforderlich, dass sich die Unternehmen über die neuen Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Bepreisungen und Bezahlmodellen klar werden. Die Arbeit an den Inhalten und an den Preismodellen muss abgestimmt und ergänzend erfolgen, sodass die Marktgängigkeit der neuen Angebote bei und mit Pilotkunden geprüft werden kann. Die einseitige Überprüfung, entweder ein neues inhaltliches Angebot oder ein neues Preismodell, wird hier nicht als zielführend angesehen. Haben die Unternehmen ausreichend Erfahrungen mit den neuen Angeboten gesammelt und genügend Rückmeldungen seitens der Kunden erhalten, sowie ggf. Anpassungen an den Neuerungen vorgenommen, steht einem unternehmensweiten Roll-Out nichts mehr im Wege.
Große Unterschiede existieren in der Erfüllung der Aufgaben zwischen „technischen Vertrieblern“ und „vertriebsorientierten Technikern“
Im Rahmen der Bestandsaufnahme wurde festgestellt, dass neben der individuellen Heterogenität, die in einer Belegschaft oder Abteilung zu finden ist, im Vertrieb grob unterschieden werden kann zwischen den Beschäftigten mit grundständig technischer Ausbildung und erlernten Zusatzqualifikationen (formal und nicht-formal) im Bereich der kaufmännischen Fähigkeiten und Beschäftigten mit grundständig kaufmännischer Ausbildung und erworbenen Zusatzkenntnissen im technischen Bereich. Da es nicht immer möglich ist, die jeweiligen Beschäftigten nur nach den besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten einzusetzen und die Anforderungen der neuen Geschäftsmodelle vermehrt das Thema Beratung adressieren, soll hier die Definition und Einführung eines Beratungsstandards für Beschäftigte (zunächst im Vertrieb) eine durchgängig gleiche Qualität beim Kunden gewährleisten, unabhängig der jeweiligen beruflichen Hintergründe der Beschäftigten. Erreicht werden soll dieser Zustand (sobald der Beratungsstandard in den Unternehmen definiert ist), durch eine Selbst- und Fremdeinschätzung der Beschäftigten und der Führungskräfte hinsichtlich der aus dem Beratungsstandard abzuleitenden Anforderungen, sowie individuelle Qualifizierungs- und Einarbeitúngspläne für die Beschäftigten. Unbestritten ist dabei, dass es weiterhin für besondere Themen und Spezialanwendungen, ausgewählte Experten im Unternehmen geben muss. Diese Themen müssen unternehmensintern identifiziert werden.

3.4.2 Bewertung möglicher Lösungswege

Nachdem die Zusammenstellung möglicher Lösungswege (Maßnahmen, die die Erreichung der Soll-Aussagen gewährleisten) erfolgt ist, müssen die einzelnen Aspekte bewertet werden. Die Art und Weise der Bewertung spielt methodisch eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist, dass für jeden Soll-Zustand ein in sich schlüssiger Lösungsweg gefunden wird. Hier bietet es sich an, die unterschiedlichen betrieblichen Expertinnen und Experten jeweils in den Bewertungsprozess mit einzubeziehen. Eine Möglichkeit stellt die Bewertung von Vorschlägen mittels eines Bewertungsrasters dar.
Die folgende Abb. 3.13 stellt exemplarisch eine solche Auswahl dar:
Bei der Bearbeitung der Lösungswege ist aber auch aufgefallen, dass die unterschiedlichen Aspekte und Themen unterschiedliche Ansprüche an die Lösungswege und die Bewertung stellen. Während die Lösungsansätze bzw. der Lösungsweg zum Thema „Vertriebsaußendienstmitarbeiter betreuen persönlichen Kundenstamm und/oder regionale Bezirke“ schon relativ konkret beschrieben wurde und hier eher die Detail- und konkrete Umsetzungsplanung in die Wege zu leiten ist, sind andere Themen wie zukünftige Arbeitszeitsysteme im Themenfeld „Eine klassische Woche im Vertrieb hat folgende Struktur: Montag bis Donnerstag unterwegs und Freitag Bürotag zu Hause (Papiere, Abrechnungen, Nachweise, Bestellungen, Routenplanung Folgewochen)“ noch weitgehend wenig detailliert.

3.5 Umsetzung einleiten

3.5.1 Diskussion geeigneter Maßnahmen

Die inhaltliche Diskussion geeigneter Maßnahmen kann, muss aber nicht immer zum Tragen kommen. Sind die Lösungsvorschläge selbsterklärend und bieten diese keinen Spielraum für weitere Konkretisierungen, kann in der Regel auf eine intensive Diskussion verzichtet werden. Dann geht es nur noch darum, die Maßnahmen auszuwählen und in eine To-do-Liste zu überführen. Sind die Lösungsvorschläge wenig konkret, sollten Inhalt und Ausgestaltung konkreter diskutiert werden. Besonders weitreichende Themen, die auch tariflich relevant sind, beispielsweise das Thema Arbeitszeit, sollten in einem thematisch größeren Rahmen besprochen und analysiert werden, bevor Schwerpunkte gesetzt und Maßnahmen festgelegt werden. Dabei ist anhand des folgenden Beispiels Abb. 3.14 die Frage diskutiert worden, inwiefern sich die Dispositionsmöglichkeiten der Betriebe und der Beschäftigten bei zunehmend flexiblen Arbeitszeitmodellen darstellen.

3.5.2 Überführung der Auswahl in einen Maßnahmenkatalog

Es bleibt schließlich noch die Aufgabe, festzulegen, welche Aktivitäten, in welcher Reihenfolge, von wem, bis wann und mit welchen Zielen ausgeführt werden sollen. So haben die betrieblichen Akteure die Möglichkeit, konkrete Gestaltungs- und Handlungsoptionen im eigenen Unternehmen systematisch umzusetzen und die Umsetzung laufend zu controllen (Abb. 3.15).

3.6 Lessons learned/Bewertung

Das vorgestellte Vorgehen zur Erarbeitung von Arbeits- und Organisationsstrukturen wird von den teilnehmenden Unternehmen als sehr hilfreich angesehen. Besonders die klare Strukturierung und die niederschwellige Herangehensweise wird sehr positiv bewertet. Im Hinblick auf eine Nutzung durch andere Unternehmen, sind jedoch einige Punkte zu beachten:
Die im ersten Arbeitsschritt (eine Basis schaffen) aufgeführten Aspekte der Informationsflussmodellierung und der Beschäftigung mit produktbegleitenden Dienstleistungen eignen sich gut für Betriebe, die sich bislang wenig mit der Thematik der Erweiterung von Produkten um Dienstleistungsaspekte beschäftigt haben. Sie können entfallen, wenn es um eine Erweiterung eines breiten Spektrums vorhandener, produktbegleitender Dienstleistungen im Unternehmen geht. Dabei ist anzumerken, dass sowohl eine Informationsflussmodellierung als auch die Sammlung bestehender produktbegleitender Dienstleistungen gut vor oder parallel zu der Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle durchgeführt werden kann. Die sich im ersten Arbeitsschritt anschließende Bestandsaufnahme setzt in der Regel Kenntnisse über das neue Geschäftsmodell voraus. Denn ohne Kenntnisse über das neue Geschäftsmodell, lassen sich nicht ernsthaft die Unternehmensbereiche identifizieren, die im Rahmen der Bestandsaufnahme (zunächst) näher betrachtet werden sollen.
Im zweiten Arbeitsschritt (Neue Anforderungen ermitteln) besteht die größte Herausforderung darin, ein möglichst realistisches (am Geschäftsmodell orientiertes), aber trotzdem in die Zukunft gerichtetes Szenario zu erarbeiten, dass als Blaupause für notwendige Veränderungen dient. Hier kann es sich lohnen, auf externe Unterstützung bei der Szenarioentwicklung zurückzugreifen. Darüber hinaus, und das ist eine wesentliche Erkenntnis aus der konkreten Arbeit mit den Unternehmen, kann das Szenario dazu dienen, unternehmensintern das Geschäftsmodell für Beschäftigte verständlicher und „greifbarer“ zu kommunizieren.
Im dritten Arbeitsschritt (Relevante Veränderungen bestimmen) ist es analog zu den „Spielregeln“ eines Brainstormings wichtig, dass die Unterscheidung zwischen der Sammlung von möglichen Lösungswegen und einer Bewertung dieser Lösungswege auch eingehalten wird. Ferner bietet es sich hier an, möglichst viele Beschäftigte aus unterschiedlichen Abteilungen und mit unterschiedlichen thematischen Hintergründen mit einzubeziehen. Einerseits führt eine breite Beteiligung meistens zu einer breiteren Akzeptanz späterer Maßnahmen innerhalb der Belegschaft, andererseits tangiert ein neues Geschäftsmodell fast alle Bereiche im Unternehmen, sodass eine zu starke Fokussierung auf einen Bereich, möglicherweise die Betrachtung anderer relevanter Bereiche im Unternehmen ausschließt oder verengt.
Im Hinblick auf die Umsetzung im vierten Arbeitsschritt ist darauf hinzuweisen, dass die zeitliche Abfolge von Maßnahmen aufeinander abgestimmt erfolgen soll. Besonders die Maßnahmen, die die Themen Personalentwicklung, Qualifikation und Kompetenz adressieren (z. B. Umsetzung eines Qualifizierungskonzeptes für Teile der Belegschaft), haben häufig völlig andere Zeithorizonte als die rein technische Umsetzung einer Anforderung, die im Rahmen von Pflichtenheften beschreibbar ist. Da aber nur das optimale Zusammenspiel von neuen technischen Möglichkeiten und Anforderungen, sowie kompetenten Beschäftigten im Rahmen der Geschäftsmodellentwicklung zum Erfolg führen kann, besteht hier eine große Notwendigkeit zu einem abgestimmten Vorgehen.
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Metadaten
Titel
Arbeits- und Organisationsstrukturen für hybride Wertschöpfung
verfasst von
Veit Hartmann
Stefan Sparwel
Copyright-Jahr
2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65130-8_3

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