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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

10. Automatische Modellgenerierung für die Virtuelle Inbetriebnahme bei HOMAG

verfasst von : Ludwig Albrecht, Patrick Seeger, Lukas Kübler

Erschienen in: Echtzeitsimulation in der Produktionsautomatisierung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die HOMAG Group verwendet Digitale Zwillinge entlang des Entwicklungs- und Herstellungsprozesses ihrer Produkte. Hierbei werden unter anderem Digitale Zwillinge in Hardware-in-the-Loop Simulationen eingesetzt. Die Simulationsmodelle der HOMAG-Maschinen und -Anlagen werden in einen modularen, mechatronischen Engineering-Baukasten integriert und können aus diesem zur Anwendung gebracht werden. Zur massiven Reduzierung von Modellierungszeiten bei individuellen Kundenmaschinen und -anlagen werden für einen wirtschaftlichen Einsatz der Virtuellen Inbetriebnahme bei HOMAG Digitale Zwillinge von kundenindividuellen Maschinen und Anlagen über einen größtenteils automatisierten Produktionsprozess generiert und sind dadurch unmittelbar für verschiedene Anwendungsfälle einsetzbar.

10.1 HOMAG Group: Historie digitaler Engineering-Ansätze

Die HOMAG Group produziert seit ihrer Gründung im Jahr 1960 Serien- und individuell angepasste Maschinen für die Holzbearbeitung. Als weltweiter Markt- und Technologieführer im Bereich Holzbearbeitungsmaschinen bietet die HOMAG Group dabei in den Absatzmärkten Möbelfertigung, Bauelementefertigung (Fußbodendielen, Türen und Zargen) sowie Holzhausbau ihren Kunden exakt aufeinander abgestimmte Lösungen von der Einzelmaschine bis zur kompletten Fertigungsstraße (beispielsweise in Abb. 10.1). Das Produktportfolio der HOMAG Group deckt dabei die gesamte Prozesskette der adressierten Marktsegmente sowohl im Industrie- als auch im Handwerksbereich ab.
Der Lebenszyklus der HOMAG-Maschinen als Investitionsgut des HOMAG-Kunden wird darüber hinaus über den Unternehmensbereich „Life Cycle Services“ betreut. Hierbei werden Dienstleistungen wie Fern-Service, Vor-Ort-Service, Ersatzteil-Service, Modernisierung und Training für Betreiber von HOMAG-Maschinen und -Anlagen angeboten und durchgeführt.
Neben den Maschinen und Anlagen werden Beratung und Softwarelösungen für den gesamten Herstellungsprozess, von der Möbelplanung über die Bearbeitung bis hin zur Konfiguration und dem Verkauf, entwickelt und vertrieben.
Ein weiterer Schwerpunkt bei HOMAG ist die Digitalisierung der Prozesse und des Produktionsumfelds. Hierbei werden Lösungen bereitgestellt, wie beispielsweise intelligente Bedienerassistenzsysteme, mobile Hilfesysteme an der Maschine, präventives Qualitätsmonitoring, cloudbasierte Zuschnittoptimierung, cloudbasierte Verwaltung aller servicerelevanten Daten und die präventive Leistungsüberwachung von Maschinen und Anlagen.
Durch die Gründung der tapio GmbH und den damit verbundenen Aufbau eines digitalen, cloudbasierten Ökosystems, hat die HOMAG die Basis für die Digitalisierung der Holz- und Möbelindustrie geschaffen. Hier können gemeinsam mit Möbelherstellern, Maschinenproduzenten, Werkzeug- und Materialherstellern neue, digitale Geschäftsmodelle umgesetzt werden. Dabei werden modernste Kommunikationstechniken und -wege benutzt, um Maschinen- und Produktionsinformationen in plakativer Form darzustellen. Maschinen-, Werkzeug- und Materialhersteller nutzen mit tapio gemeinsam eine Technologieplattform und bieten auf tapio Dienstleistungen und digitale Lösungen an, die den Kunden Mehrwerte bringen.
Seit 2010 setzt die HOMAG Group in verschiedenen Anwendungsfällen Digitale Zwillinge ein. Hierbei sind insbesondere Simulationsmodelle von Maschinen als Digitale Zwillinge (vgl. Abb. 10.2) entwickelt worden, die den Entwurf und die Implementierung von Qualitätssicherungsprozessen im Bereich der Softwareentwicklung erlauben. Dabei kommt die sogenannte Hardware-in-the-Loop Simulation (HiLS) zur Verwendung, die in der Steuerungs- und Maschinenentwicklung zur Virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) Anwendung findet. Die VIBN trägt dabei zu einem erheblichen Maß in der Verbesserung der Ausliefer- und Termintreue von Möbelproduktionsanlagen bei. Prozessschritte in der Auftragsabwicklung lassen sich durch simultanes Engineering parallelisieren (vgl. Abb. 10.3) und die Liefertermine für die Endkunden werden verlässlicher bei gleichzeitig verbesserter Auslieferungsqualität. Diese Qualitätssicherungsprozesse werden seither standortübergreifend eingesetzt und führen zu berechenbarem Aufwand in der Gewährleistung optimaler Softwarequalität.
Um die Einführung und den Erfolg Digitaler Zwillinge bei HOMAG besser verstehen zu können, muss zuerst auf die Art und Weise der Steuerungs- und Softwarekonstruktion bei HOMAG Bezug genommen werden. Hierbei muss die baukastenorientierte Vorgehensweise in der Modularisierung der Maschinenfunktionen hervorgehoben werden, ohne die die Entwicklung Digitaler Zwillinge als Maschinensimulationsmodelle nicht möglich gewesen wäre.
Die Anfänge der baukastenorientierten Steuerungsentwicklung, -projektierung und -fertigung gehen auf das Jahr 1986 zurück. Hierbei war die ursprüngliche Idee die Herstellung von Maschinenablaufsteuerungen mittels speicherprogrammierbarer Speicher, sogenannter EPROM-ICs. Dabei wurden mittels einer Datenverarbeitungsanlage Steuerungsprogramme für HOMAG Durchlaufmaschinen entwickelt und in EPROM-Bausteine programmiert. Das System wurde zum damaligen Zeitpunkt mit EPEDA abgekürzt und bedeutete Erzeugung von PC-Maschinensteuerungen in EPROMS mit Datenverarbeitungsanlagen.
Der technische Fortschritt im Software- und Steuerungsbereich entwickelte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten rasant und so wurde bei HOMAG auf Grundlage des ursprünglichen EPEDA-Konzepts die Entwicklung einer interdisziplinären Workbench mit dem Ziel einer föderalen Informationsarchitektur vorangetrieben, für die sich im heutigen Sprachgebrauch die Bezeichnung PDM- oder PLM-System. (PDM = Product Data Management, PLM = Product Lifecycle Management) durchgesetzt hat.
Auf Basis der ursprünglichen Konzepte wurden schrittweise in der EPEDA-Workbench Neuerungen realisiert, die den Entwicklungen und Trends der Steuerungstechnik Rechnung getragen haben und vom ursprünglichen „Datenerstellungssystem für EPROM basierte Maschinensteuerungen“ (ca. 1986) über das „Baukastensystem für Maschinensteuerungen vom Typ Homatic“ (ca. 1999) bis hin zum aktuellen „Baukastensystem für Maschinensteuerungen vom Typ powerControl“ (ca. 2010) mit Benutzerverwaltung, Benutzerrollen, Versions- und Dokumentenverwaltung und der föderalen Einbindung externer Engineering-Systeme für Elektrokonstruktion und SPS-Softwareentwicklung führten.

10.2 Paradigmen eines föderalen Engineering-Ansatzes

Die grundlegende Fragestellung, die mittels Engineering-Methoden gelöst werden soll, kann wie folgt formuliert werden: Wie wird die Bestellung des Kunden, spezifiziert im Kundenauftrag, produzierbar? Der gesamte Engineering-Prozess umfasst hierbei die Entwicklung, Projektierung und Produktion eines Produkts – im Maschinenbau also üblicherweise einer Einzelmaschine oder gar einer Anlage.
Die Lösungen, also verschiedene Engineering-Ansätze unterschiedlicher Maschinenbauer, sind hierbei vielfältig. Ziel ist es im Allgemeinen aber immer, den Markt mit kurzen Durchlaufzeiten und trotzdem hoher Qualität zu bedienen. Das vielfältige Produktportfolio von HOMAG, das zudem häufig um kundenspezifische Komponenten angepasst werden muss, macht die Engineering-Prozesse komplex. Aus diesem Grund wird dem Thema schon seit Jahrzehnten eine hohe Priorität zugeordnet. Die Basis für das Engineering bei HOMAG stellt eine föderale Informationsarchitektur dar, durch die sich mechatronische Baukästen auch über vorhandene (Autoren-)Systeme hinweg verwendbar machen lassen. Die Datenbasis für einen Baukasten kann dabei äußerst heterogen sein. Durch die geschickte Zusammenfassung von Teilkomponenten zu mechatronischen Modulen, lässt sich trotzdem ein Großteil des Engineering-Aufwands automatisieren. Die Umsetzung eines derartigen föderalen Engineering-Ansatzes erfordert eine Fokussierung auf einige wesentliche Paradigmen, u. a.: Modularisierung im Sinne mechatronischer Baukästen, automatisierte Generierung von Konfigurationen und langfristige Reproduzierbarkeit derer (z. B. für Modernisierungen) sowie Standardisierung, vor allem in Anbetracht generischer Konfigurationsdateien und der Wiederverwendbarkeit von Komponenten.
Modularisierung – Betrachtet man eine mechanische Konstruktion, stellt man schnell fest, dass diese üblicherweise in Baugruppen unterteilt wird. Die Gründe dafür sind vielfältig: So kann die Produktion oder Beschaffung einfacher werden oder eine kostengünstige Wartbarkeit im Servicefall ist dadurch eher gegeben. Die föderale Informationsarchitektur sieht vor, die Elektrokonstruktion, die Steuerungssoftware (inklusive HMI-Software, HOMAG powerTouch) sowie die Dokumentation ebenso modular zu gestalten. Damit lässt sich beispielsweise eine Maschinendokumentation aus einzelnen Kapiteln, die für sich jeweils eine mechatronische Baugruppe beschreiben, zusammensetzen. Dasselbe gilt für die Schaltpläne, die Mechanik sowie die Software der Maschine. Aus der ursprünglich mechanischen Baugruppe wird damit eine mechatronische Baugruppe, bei HOMAG kurz als MU (engl. Machine Unit) bezeichnet, die sich – wie ihr mechanisches Vorbild – ebenfalls in einen Baukasten eingliedern lässt.
Automatisierte Generierung – Aus einem mechatronischen Baukasten heraus können Produkte im Auftragsfall wesentlich performanter hergestellt werden. Dies liegt einerseits an der einfachen Handhabbarkeit eines Baukastens, andererseits bietet ebendieser auch die Möglichkeit, Engineering-Prozesse weitestgehend zu automatisieren. Ein wesentlicher Schlüssel ist hierbei, den Kundenauftrag in einen Betriebsauftrag zu überführen, der lediglich Baukastenkomponenten beinhaltet. Alle nachfolgenden Teilprozesse werden explizit – d. h. frei von impliziten Querverbindungen – und damit für einen Automaten einfach lösbar: „Verbaue für Maschine M die Komponenten A, B und C mit ihren jeweiligen Unterkomponenten aMech., aElek., aSoftware, aDoku., bMech., bElek., usw.“ (Vgl. Abb. 10.4).
Standardisierung – Damit Module wiederverwendbar werden, ist ein hohes Maß an Standardisierung erforderlich. Einzelne mechatronische Baugruppen werden polymorph (vielgestaltig) und können dann in die unterschiedlichsten Produkte verbaut werden. In der Entwicklungsphase der Baugruppe entstehen dadurch zwar höhere Aufwände, da beispielsweise mehrere Schnittstellen und Varianten betrachtet werden müssen, allerdings reduzieren sich die Aufwände bei einem Kundenauftrag auf ein Minimum. Der Fokus der Standardisierung zielt dabei auf einheitliche Konstruktionsrichtlinien (in allen Disziplinen) sowie einheitliche (Konfigurations-)Datenformate ab.
Zur zielgerichteten Umsetzung einer föderalen Informationsarchitektur nutzt HOMAG eine Software-Umgebung, die allen Beteiligten im Engineering-Prozess Unterstützung in Form eines einheitlichen Arbeitsbereiches gibt: die Engineering-Workbench EPEDA. In ihr werden die standardisierten Module (MUs) der einzelnen Entwicklungsabteilungen abgelegt. Eine integrierte Datenbank inklusive Versionsverwaltung erleichtert dabei das kollaborative Arbeiten. Im Auftragsfall lassen sich die meisten Teilprozesse des Engineerings automatisieren, da Automaten die zur Erfüllung des Kundenauftrags notwendigen MUs zusammenbauen und alle für die Produktion relevanten Daten daraus extrahieren und gegebenenfalls noch anreichern können. So können vollautomatisch die mechanischen Baugruppen beschafft, die Schaltpläne zusammengestellt, die Steuerungssoftware kompiliert und die Dokumentation erzeugt werden. Der mögliche Grad der Automatisierung ist dabei zwar abhängig vom Umfang kundenspezifischer Anpassungen, aber auch diese lassen sich konform einbringen, denn im Normalfall müssen nur wenige MUs ausgetauscht werden und der restliche Anteil bleibt standardisiert und damit generierbar.

10.3 Digitale Zwillinge bei HOMAG

Zur Simulation von Maschinen und deren Prozessen werden bei HOMAG verschiedene Simulationswerkzeuge eingesetzt. Hierzu zählen beispielsweise die klassischen Verfahren der Finite-Elemente-Methode (FEM-Simulation, engl. Finite Elements Method) oder der numerischen Strömungssimulation (CFD-Simulation, engl. Computational Fluid Dynamics). Ebenfalls werden eventbasierte Ablaufsimulation eingesetzt, um verschiedene Fabrik- und Schichtsimulationen durchzuführen. Dies sind alles Verfahren, die während oder vor dem Entwicklungs- und Engineering-Prozess eingesetzt werden.
Die modernste Simulationsform, die bei HOMAG eingesetzt wird, ist die HiLS. Hierbei werden reale Steuerungen mit ihrer jeweiligen Steuerungssoftware und Prozessschnittstelle an ein Simulationsmodell einer Maschine oder Anlage angeschlossen. Die Prozessschnittelle wird typischerweise über einen Feldbus realisiert.
Die HiLS wurde ursprünglich im Release-Management von Software eingesetzt, um das Zusammenspiel von Software und Hardware realitätsnah testen zu können. Die hier geprüften Qualitätskriterien lassen sich auch auf den Bereich der VIBN übertragen. Bei HOMAG ist die VIBN eine in den Produktionsprozess integrierte Maßnahme, die vor der realen Inbetriebnahme erfolgt. Dies verkürzt den späteren Inbetriebnahmezeitaufwand der realen Maschine oder Anlage, macht den Ramp-Up-Vorgang planbarer und steigert zudem die Auslieferungsqualität der HOMAG-Maschinen und -Anlagen.
Die HiLS ist weiterhin hervorzuheben als die einzige Simulation bei HOMAG, die auch nach dem eigentlichen Produktionsprozess eingesetzt wird. So lassen sich beispielsweise am Digitalen Zwilling Kundenschulungen durchführen. Diese Art der Schulung bietet den Vorteil, dass Kunden realitätsnah und gefahrlos an ihrer virtuellen Maschine geschult werden können – ohne ein Risiko für die reale Maschine und komplett ohne Produktionsausfall. Abb. 10.5 zeigt beispielhaft den Digitalen Zwilling einer Fertigungsstraße für die HiLS.

10.4 Automatisierte Generierung Digitaler Zwillinge

Um Digitale Zwillinge wirtschaftlich sinnvoll einsetzen zu können, ist es unerlässlich die Herstellung dieser Zwillinge in Bezug auf Entstehungskosten und Verwendbarkeit zu optimieren. Die folgenden Betrachtungen beziehen sich hierbei auf die Generierung eines Digitalen Zwillings (HiLS) zur Virtuellen Inbetriebnahme. Für diese sollte der Fokus auf möglichst kurzen Durchlaufzeiten bei einer optimalen Auslieferqualität liegen, damit der Digitale Zwilling zum richtigen Zeitpunkt in die Entwicklungs- und Produktionsabläufe einfließen kann. Wird eines der beiden Kernkriterien verletzt, reduziert sich der mögliche Nutzen drastisch. Um den wachsenden Einsatzbereichen und der zunehmenden Anzahl an benötigten Digitalen Zwillingen Rechnung zu tragen, ist eine Erhöhung des Automatisierungsgrads bei deren Erstellung daher unerlässlich.
Damit ein Digitaler Zwilling automatisiert erstellt werden kann, ist ein möglicher Lösungsansatz die Modularisierung in Teilmodelle. Eine funktionale Dekomposition (funktionale Untergliederung) einer Maschine in ihre Teilfunktionen bewirkt eine Zerlegung in ihre mechatronischen Funktionsbausteine. Diese Funktionsbausteine der Maschine müssen durch Teilmodelle in der virtuellen Welt nachgebildet werden. Teilmodelle müssen hierbei eine Vielzahl an funktionalen Konstruktionsaspekten beinhalten und die konkrete Maschinenfunktionalität widerspiegeln.
Basierend auf dem aktuellen Engineering-Ansatz bei HOMAG existiert bereits eine funktionale Untergliederung der Maschine in mechatronische Teilbaugruppen. Die dort verwendete Untergliederung muss auch beim Digitalen Zwilling vorgenommen werden, damit dieser sich analog zur realen Maschine projektieren lässt. Die Teilmodelle an sich stehen dann in einer 1:1-Beziehung zu den mechatronischen Baugruppen aus der Engineering-Workbench EPEDA. Somit können die Teilmodelle des Digitalen Zwillings als direkter Bestandteil des mechatronischen Baukastens betrachtet werden und wie dieser verwaltet werden. Dies stellt unter anderem sicher, dass sich keine Versionsinkompatibilitäten zwischen dem virtuellen Teilmodell und der realen Komponente ergeben. Abb. 10.6 zeigt die Erweiterung der Engineering-Workbench EPEDA um die automatische Generierung einer virtuellen Maschine (Digitaler Zwilling) aus dem mechatronischen Baukasten.
Durch die komponentenbasierte Modellierung können aus der Kombination aus Teilmodellen sämtliche Maschinenvarianten realisiert werden. Basis hierfür ist, dass die Teilmodelle beliebig miteinander kombiniert werden können und durch geeignete Parametrisierung die gewünschte Gesamtfunktion bilden. Hier ist eine Analogie zum objektorientierten Programmierstil zu ziehen, bei dem die Teilmodelle wie Klassen zu verstehen sind, aus denen bei der Verwendung Instanzen gebildet werden. Die Teilmodelle ermöglichen durch ihre Standardisierung und der Möglichkeiten der Parametrisierung eine polymorphe Verwendung, je nach Anwendungsfall.
Das Erzeugen von Teilmodellen setzt ein hohes Maß an Standardisierung innerhalb der Modelle voraus. Dies wird erreicht, indem Modelle immer nach denselben Konstruktionsrichtlinien erstellt werden. Diese beinhalten beispielsweise die bereits beschriebene Vorgabe zur Unterteilung in Teilmodelle. Auch Konventionen zur Implementierung müssen hier getroffen werden, sodass Schnittstellenprobleme oder Abweichungen vom realen Verhalten ausgeschlossen werden können. Beispielsweise müssen eindeutige Betriebsmittelkennzeichen der realen Maschine auch im virtuellen Teilmodell übernommen werden, um eine richtige Zuordnung zu garantieren.
Die automatisierte Generierung kommissionsbezogener Digitaler Zwillinge erfolgt grundsätzlich in mehreren Teilschritten, die analog zur realen Maschinenprojektierung erfolgen. Zunächst ist es notwendig, den Kundenauftrag derart zu verarbeiten, dass die erforderlichen Komponenten aus dem mechatronischen Baukasten angezogen und deren Parametrisierung festgelegt werden kann. Ausgehend von dieser ersten Maschinenspezifikation werden weitere relevante Daten durch Teilgeneratoren der Engineering-Workbench erzeugt, die sich nur indirekt aus dem Zusammenspiel der mechatronischen Komponenten ableiten lassen. Beispielsweise lässt sich erst nach der Festlegung der mechatronischen Komponenten eine Feldbusbeschreibung erzeugen, da diese von den tatsächlich verbauten Feldbus-Komponenten und deren Zusammenspiel abhängig ist.
Analog zur Projektierung innerhalb der Engineering-Workbench erfolgt die Instanziierung der virtuellen Teilmodelle. Die benötigte Parametrisierung der Teilmodelle wird aus den zuvor erzeugten Datensätzen ausgelesen. Es werden beispielsweise aus der erzeugen Feldbusbeschreibungen die Adressen der Teilnehmer ausgelesen und im Digitalen Zwilling entsprechend parametrisiert. Nach der Parametrisierung der einzelnen Teilmodelle erfolgt eine Verknüpfung zwischen den Modellen, damit das Zusammenspiel gewährleistet und die Gesamtfunktionalität hergestellt wird. Diese basiert auf festen Regeln und Namenskonventionen.
Die Orchestrierung der einzelnen Teilgeneratoren, die zu den beschriebenen Teilschritten der automatisierten Generierung führen, erfolgt in der Engineering- Workbench von HOMAG. Hier werden zudem die Ergebnisse der einzelnen Schritte archiviert und den nachfolgenden Prozessen bereitgestellt. Auf diese Weise wird ein durchgängig einheitliches Engineering sichergestellt und die Bereitstellung der Digitalen Zwillinge für den Entwicklungs- und Produktionsablauf organisiert.

10.5 Nutzen der automatisierten Generierung

Der Einsatz einer automatisieren Modellgenerierung zur Erzeugung Digitaler Zwillinge bringt eine Vielfalt an Vorteilen in der praktischen Anwendung mit sich. Grundlegend ist ein hohes Maß an Standardisierung innerhalb der Teilmodelle erforderlich, wodurch sich die Konstruktionszeit dieser im ersten Schritt erhöht. Des Weiteren muss der Aufwand für die Entwicklung der Modellgenerator-Software berücksichtigt werden. Diese Aufwendungen müssen sich durch die Wiederverwendbarkeit innerhalb der Modellgenerierung amortisieren.
Vergleicht man die Aufwendungen einer manuellen mit einer automatisierten Modellgenerierung, so zeigt sich eine Amortisationskurve wie in Abb. 10.7 qualitativ dargestellt. Die Bewertung der Aufwände geht hier in beiden Fällen von einer vormodellierten Komponentenbibliothek aus. Abb. 10.7 zeigt, dass der Initialaufwand mit Modellgenerator deutlich höher ist als ohne Modellgenerator, jedoch die Aufwände bei der Erstellung der einzelnen Digitalen Zwillinge über die Anzahl deutlich geringer ansteigt. Somit amortisiert sich die automatische Modellerstellung frühzeitig und zu vergleichbar geringen Kosten. Diese Betrachtung ist spezifisch für den jeweiligen Anwendungsfall und hängt natürlich stark von der Komplexität und dem Umfang des Digitalen Zwillings ab.
Durch die automatische Modellgenerierung entstehen weitere Vorteile, die in der Amortisationskurve nicht erfasst sind. Beispielsweise werden die Modelle durch den Automatisierungsprozess und die Komponentenbibliothek reproduzierbar in ihrer Herstellung. Besonders im Hinblick auf den Modellaufbau werden Strukturen und Modelllogiken immer gleich abgebildet, was den Umgang mit den Modellen erleichtert und es lässt sich eine Konstruktionsrichtlinie zur Herstellung der Komponentenmodelle ableiten. Bei der Erstellung werden durch die Wiederverwendung von Teilmodellen und der automatisierten Parametrisierung zudem systematisch Modellierungsfehler vermieden.
Innerhalb des Entwicklungs- und Engineering-Prozesses wirkt sich die automatisierte Modellgenerierung ebenfalls positiv aus. Durch den hohen Automatisierungsgrad werden die Aufwände zur Modellerstellung drastisch reduziert, sodass Modelle auf Abruf bereitgestellt werden können. Bei einer vollständigen Abdeckung der Teilmodelle kann auf diese Weise zu jeder realen Maschine ein Digitaler Zwilling in hoher Qualität zur Verfügung gestellt werden. Die daraus resultierende terminsichere Fertigstellung garantiert zudem den Einsatz des Digitalen Zwillings innerhalb des Herstellungsprozesses.
Die automatisierte Modellgenerierung sorgt dafür, dass sich das Einsatzgebiet der Digitalen Zwillinge weiter ausweitet. Mitarbeiter der verschiedenen Unternehmensbereiche müssen sich nicht mit der Erstellung der Modelle beschäftigen, sondern können diese direkt über die Engineering-Workbench EPEDA für ihre Zwecke generieren und einsetzen.
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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Röck S (2007) Echtzeitsimulation von Produktionsanlagen mit realen Steuerungssystemen, Dissertation, Jost-Jetter Verlag, Heimsheim Röck S (2007) Echtzeitsimulation von Produktionsanlagen mit realen Steuerungssystemen, Dissertation, Jost-Jetter Verlag, Heimsheim
2.
Zurück zum Zitat Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI) (2016) Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE); VDI/VDE 3693 Blatt 1: Virtuelle Inbetriebnahme; Modellarten und Glossar Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI) (2016) Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE); VDI/VDE 3693 Blatt 1: Virtuelle Inbetriebnahme; Modellarten und Glossar
3.
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Metadaten
Titel
Automatische Modellgenerierung für die Virtuelle Inbetriebnahme bei HOMAG
verfasst von
Ludwig Albrecht
Patrick Seeger
Lukas Kübler
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66217-5_10

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.