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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Circular Economy und Bioökonomie: Weltbild und Weltanschauung

verfasst von : Thomas Marzi, Manfred Renner

Erschienen in: Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Bei der Circular Economy und Bioökonomie handelt es sich um Wirtschaftsformen, in denen technische und ökonomische Konzepte eine wichtige Rolle spielen. Ihr Weltbild enthält dementsprechend sowohl eine technisch-naturwissenschaftliche als auch eine ökonomische Perspektive. Beide Sichtweisen sind durch die Systemtheorie miteinander verbunden. Über Metaphern wird die Circular Economy und Bioökonomie teilweise aber auch mit ganzheitlichen, teils romantisierenden Naturbildern verknüpft.
Bei der Circular Economy und Bioökonomie handelt es sich um Wirtschaftsformen, in denen technische und ökonomische Konzepte eine wichtige Rolle spielen. Ihr Weltbild enthält dementsprechend sowohl eine technisch-naturwissenschaftliche als auch eine ökonomische Perspektive. Beide Sichtweisen sind durch die Systemtheorie miteinander verbunden. Über Metaphern wird die Circular Economy und Bioökonomie teilweise aber auch mit ganzheitlichen, teils romantisierenden Naturbildern verknüpft. In der Kommunikation beider Wirtschaftsformen lassen sich dementsprechend Motive finden, die Weltanschauungen transportieren. Im vorliegenden Kapitel stellen wir für die Bioökonomie und Circular Economy relevante Weltbildfragmente zusammen, fragen nach der Rolle von Metaphern, Analogien und Modellübertragungen im Denken beider Wirtschaftsformen sowie nach dem „blinden Fleck“ der verwendeten Analogien. Abschließend betrachten wir an zwei Beispielen, welche weltanschaulichen Motive in der Kommunikation beider Wirtschaftsformen zum Teil transportiert werden.

7.1 Weltbildfragmente

In der Circular Economy und Bioökonomie werden die Begriffe Natur und Kultur systemisch ausgelegt. In dem zugrunde gelegten Modell ist das Erdsystem, die Biosphäre, energetisch offen und stofflich geschlossen, während das aktuelle Wirtschaftssystem stofflich und energetisch offen ist. Beide Systeme sind aufeinander bezogen und werden sowohl als Gegensätze wie auch als zusammengehörig dargestellt.
Um ihre Vorstellungen zu vermitteln, bedient sich ein Teil derjenigen, die sich mit einer oder beiden Wirtschaftsformen auseinandersetzen, einer ausgeprägt metaphorischen Sprache. Die verwendeten Metaphern stellen eine Analogie zwischen dem Wirtschaftssystem und der Biosphäre her. Dabei wird vorausgesetzt, dass sich beide Bereiche sowohl als physikalische als auch als ökonomische Systeme beschreiben lassen. Größtenteils wird dabei unausgesprochen davon ausgegangen, dass ein direkter Erkenntniszugang zu Naturprinzipien besteht, zu denen vor allem der Kreislauf gerechnet wird.
Sowohl die Circular Economy als auch die Bioökonomie haben eine ökonomische Perspektive auf die Natur. Beide deuten die Prozesse in der Biosphäre als Wirtschaftsvorgang und glauben in der Natur eine perfekte Kreislaufwirtschaft zu erkennen. In Teilen der Circular Economy soll diese „Kreislaufwirtschaft der Natur“ nachgeahmt, in der Bioökonomie soll sie in die menschliche Wirtschaft integriert werden. In der Vision der Bioökonomie konvergieren Biosphäre und Technosphäre zu einem System, das es zu optimieren und zu organisieren gilt. Im Folgenden gehen wir auf die genannten Aspekte ein, die wir hier als „Weltbildfragmente“ bezeichnen.

7.1.1 Fragment 1: In der Bioökonomie und Circular Economy ist die Natur ein System

In der Circular Economy und Bioökonomie wird die Natur als System gedeutet. Fragment 1 bezieht sich somit auf Perspektive 22 aus Abschn. 4.​8 (Natur als System). Hinweise auf diese Systemperspektive finden sich in vielen Dokumenten, die hier nicht alle genannt werden können. Braungart und McDonough sprechen in Cradle to Cradle beispielsweise vom „System der Natur“1 oder nennen die Natur ein „komplexes System“2. Stahel verwendet in seiner Performance Economy eine ähnliche Wortwahl. Die Natur ist für ihn ein „chaotisches, selbstregulierendes System“3. Insgesamt wird durchgängig auf den Ökosystembegriff Bezug genommen. Alternative Bezeichnungen sind u. a. die Begriffe „natürliches System“4, „Biosphäre“5, „Umwelt als System6 oder „Betriebssystem der Erde“7.

7.1.2 Fragment 2: Die Circular Economy und Bioökonomie sind Systeme

Auch die Circular Economy und die Bioökonomie selbst werden systemisch interpretiert. Dies zeigt auch die Definition der Circular Economy durch die Ellen MacArthur Stiftung. Sie ist in Zitat 2.​11 in Abschn. 2.​2.​3 wiedergegeben und ist eine der bekanntesten Definitionen der Circular Economy. Letztere wird darin ein „industrielles System“8 genannt und der Übergang zu einer Circular Economy an anderer Stelle als Systemwandel9 oder „Systemantwort“10 bezeichnet. In den verschiedenen Strategiepapieren zur Bioökonomie wird auch von „systemischen Lösungen“11, „systemischen Zusammenhängen“12 und „systemischem Denken“859 gesprochen.

7.1.3 Fragment 3: Natur und Kultur – Dualismus und Monismus in der Bioökonomie und Circular Economy

In Bezug auf eine Natur-Kultur-Trennung ist die Sprache in der Circular Economy und Bioökonomie ambivalent. Bei Cradle to Cradle beispielsweise gibt es sowohl monistische als auch dualistisch klingende Formulierungen. Im Folgenden betrachten wir zunächst die dualistischen Motive. Sie lassen sich in das Muster einer systemischen Natur-Kultur-Dichotomie einordnen und beschreiben Bio- und Technosphäre (bzw. das Wirtschaftssystem) als gegenüberstehende Bereiche. Relevant für diese Sichtweise sind aus Abschn. 4.​8 deshalb Perspektive 8 (Natur als Gegenüber), Perspektive 7 (Menschen treten aus der Natur heraus) und ggf. Perspektive 11 (Natur als zu schützendes Objekt).
In Cradle to Cradle wird die Natur auch als „Biosphäre“13, überwiegend aber im Plural als „Ökosysteme“14 bezeichnet. Als deren Gegenüber werden das Wirtschaftssystem15, Produktions-16 oder Fabriksysteme17 sowie industrielle18, soziale19, und menschliche20 Systeme genannt. Braungart und McDonough differenzieren in Zitat 7.1 explizit zwischen einer Biosphäre und einer Technosphäre. Sie unterscheiden beide aufgrund der in ihnen wirksamen Stoffwechselprozesse. Damit verwenden sie ein systemtheoretisches Kriterium, um beide Sphären voneinander abzugrenzen (Abschn. 5.​2.​5).
Zitat 7.1: Michael Braungart (*1958), William McDonough (*1951)
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„Wie bereits vorgestellt, gibt es zwei unterschiedliche Metabolismen auf unserem Planeten. Der erste ist der biologische Metabolismus oder die Biosphäre – die Kreisläufe der Natur. Der zweite ist der technische Metabolismus oder die Technosphäre – die Kreisläufe der Industrie […].“21
„Von unserem Blickwinkel aus betrachtet, handelt es sich bei diesen beiden Materialströmen einfach um biologische und technische Nährstoffe. Biologische Nährstoffe sind wertvoll für die Biosphäre, während technische Nährstoffe wertvoll für das sind, was wir Technosphäre nennen, die Systeme industrieller Prozesse.”22
„Es scheint, dass diese beiden Systeme nicht in ein und derselben Welt gedeihen können.“23
Die Unterscheidung zwischen Bio- und Technosphäre bildet sich, wie Abb. 7.1 zeigt, auch in grafischen Darstellungen des Cradle-to-Cradle-Konzepts ab. Bei der Darstellung handelt es sich um eine eng an das Original angelehnte Kopie einer Grafik des EPEA-Instituts24. Letzteres wurde von Braungart gegründet, um Cradle-to-Cradle-Prinzipien in der Industrie umzusetzen.25
Die Unterscheidung von Biosphäre und Technosphäre erfolgt bei Cradle to Cradle also nicht aufgrund der Kriterien, die wir in Abschn. 5.​4.​2 verwendet haben, um zwischen natürlichen und technischen Prozessen zu differenzieren. Wir hatten dort Technisches und Natürliches aufgrund ihrer Entstehungsweisen unterschieden. Für Cradle to Cradle sind die Stoffeigenschaften entscheidend: Was, ohne schädlich zu sein, biologisch abbaubar ist, gehört in die Biosphäre, und alles andere in die Technosphäre. Weitere Visualisierungen von Cradle to Cradle trennen nicht zwischen einer Bio- und Technosphäre, sondern wie in Abb. 7.2 zwischen einem biologischen und einen technischen Kreislauf.
Abb. 7.2 ist im Grunde eine vereinfachte Darstellung des in Abb. 2.​5 (Abschn. 2.​2.​3) gezeigten Schmetterlingsdiagramms der Ellen MacArthur Foundation, das grundsätzlich dieselben biologischen und technischen Kreislaufsysteme zeigt. Wie sich sowohl am Vergleich von Abb. 7.1 und 7.2 als auch an Zitat 7.126 ablesen lässt, setzen Braungart und McDonough Metabolismus und Sphäre gleich. Die Gegenüberstellung aus biologischem und technischem Kreislauf in Abb. 7.2 bezeichnet also dasselbe wie die von Biosphäre und Technosphäre in Abb. 7.1. Unserer Ansicht nach ist diese Gleichsetzung irreführend, weil die Herstellung von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen sowie deren Gebrauch und Entsorgung so als Naturprozess dargestellt wird. Tatsächlich ist der in Abb. 7.2 dargestellte biologische Kreislauf nicht mit der Biosphäre identisch, da es sich nicht um eine natürliche, sondern um eine technische Prozessfolge handelt. Im Diagramm von Ellen MacArthur, das in diesem Punkt von Abb. 7.2 abweicht, wird das berücksichtigt. Dort ist die Biosphäre separat eingezeichnet, allerdings auch nur als Element eines technischen Kreislaufsystems, das biologische Metabolismen nutzt.
Wie wir bereits angesprochen haben, verwendet Cradle to Cradle aber nicht nur dualistische Motive. Manche Formulierungen, wie die in Zitat 7.2, deuten auch auf ein monistisches Weltbild hin.
Zitat 7.2: Michael Braungart (*1958), William McDonough (*1951)
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„Jahrtausendelang haben sich die Menschen bemüht, die vermeintlichen Grenzen zwischen menschlichen und natürlichen Kräften aufrechtzuerhalten […].“27
„Viele Industrielle, Designer und Ingenieure betrachten ihre Designs nicht als Teil eines über das Wirtschaftssystem hinausgehenden größeren Systems.“28 „Öko-effektive Planer […] haben […] auch das Ganze im Auge.“29
„Gebäude, Systeme, Stadtviertel und selbst ganze Städte können mit den sie umgebenden Ökosystemen so verflochten werden, dass sie sich gegenseitig unterstützen.“30
„Zu welchem – kulturellen, wirtschaftlichen, ökologischen – Großsystem werden dieses produzierte Ding und dieser Produktionsprozess gehören?“31
Wie die Auszüge aus Zitat 7.1 zeigen, gehen Braungart und McDonough davon aus, dass mit der Bio- und Technosphäre aktuell zwei Systeme existieren, die in Widerspruch zueinanderstehen, weil sie scheinbar „nicht in ein und derselben Welt gedeihen können“. Sie halten diesen Zustand jedoch für falsch und überwindbar. Ihr in Zitat 7.2 formuliertes Ziel besteht in einer „Verflechtung“ technischer und ökologischer Systeme. Durch diese Verflechtung gibt es, wenn Cradle to Cradle Realität geworden ist, eigentlich nur noch ein natürliches Stoffaustauschsystem, in das sich menschlich initiierte Stoffbewegungen und -umwandlungen eingefügt haben. Braungart und McDonough adressieren somit in ihrer Vision auch Perspektive 3 (Natur als organische Einheit) und Perspektive 6 (Menschen sind Teil der Natur).
Ähnliche Ambivalenzen wie bei Cradle to Cradle sind auch in der Bioökonomie der Lesart 3 und der zirkulären Bioökonomie zu finden. Auch hier wird tendenziell von einem dualistischen Ist-Zustand ausgegangen und die Natur als etwas beschrieben, das den Menschen gegenübersteht.32 Allerdings wird die „Gegenüberstellung und getrennte Betrachtung von ‚Natur‘, ‚Technik‘ und ‚Gesellschaft‘ […] aus Sicht der Bioökonomie [für] wenig sinnvoll“ gehalten.33 „Ökologie und Ökonomie [sollen] miteinander verbunden“34 werden.

7.1.4 Fragment 4: Das System Erde ist für die Circular Economy und Bioökonomie stofflich geschlossen und energetisch offen

Grundlage der System-Modelle der Circular Economy und der Bioökonomie, der Lesart 1 und 3, ist ein energetisch offenes und stofflich geschlossenes Erdsystem. Die Vorstellung findet sich als systemische Voraussetzung bereits bei Boulding, der die Situation der Erde mit dem geschlossenen System eines Raumschiffs verglich, das nur über begrenzte stoffliche Ressourcen verfügt (Zitat 1.​4, Abschn. 1.​3). Aus ihr leitet sich ab, dass Ressourcen endlich und die Aufnahmekapazität der Biosphäre begrenzt sind. Boulding spricht mit Blick auf die menschlichen Aktivitäten von einer „geschlossen Sphäre“35. Seine Systemkonzeption wird beispielsweise auch von Braungart und McDonough in Cradle to Cradle geteilt (Zitat 7.3).
Zitat 7.3: Michael Braungart (*1958), William McDonough (*1951)
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„Der alles umspannende ‚Design‘-Rahmen, innerhalb dessen wir leben, hat zwei Grundelemente: Masse (die Erde) und Energie (die Sonne). Praktisch nichts gelangt in dieses Planetensystem hinein oder aus diesem heraus außer Hitze und gelegentliche Meteoriten. Ansonsten ist das System geschlossen, und seine Grundelemente sind wertvoll und endlich. Wir haben allein das, was die Natur uns gibt. Was immer der Mensch herstellt, es geht nicht weg.‘ “36

7.1.5 Fragment 5: Für die Bioökonomie und Circular Economy ist das aktuelle Wirtschaftssystem energetisch und stofflich offen zum Erdsystem

Für die Circular Economy ist das Wirtschaftssystem ein Subsystem des Erdsystems und zu diesem sowohl stofflich als auch energetisch offen (Zitat 7.4). Menschlich organisierte Systeme entnehmen dem übergeordneten System Ressourcen und geben Abfälle und Emissionen an es ab (Abb. 7.3). Diese Systemkonzeption findet sich auch in der Bioökonomie der Lesart 1 und 3. Beide gehen von der begrenzten Verfügbarkeit fossiler Ressourcen und der Schädlichkeit der mit ihrer Nutzung verbundenen Emissionen aus.37
Zitat 7.4: Kenneth Boulding (1910–1993)
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„All human societies have likewise been open systems. They receive inputs from the earth, the atmosphere, and the waters, and they give outputs into these reservoirs; they also produce inputs internally in the shape of babies and outputs in the shape of corpses. Given a capacity to draw upon inputs and to get rid of outputs, an open system of this kind can persist indefinitely.“38

7.1.6 Fragment 6: Die Natur ist für die Circular Economy und Bioökonomie ein ökonomisches System

Viele Konzepte, die der Circular Economy zugerechnet werden, deuten die Natur als ökonomisches System. Relevant für ihr Naturbild ist deshalb auch Perspektive 19 (Natur als ökonomischer Zusammenhang). Ein Beispiel, das die ökonomische Deutung zeigt, ist in Zitat 7.5 wiedergegeben. Es stammt von Gunter Pauli, dem Begründer der Blue Economy (Abschn. 2.​2.​3). Paulis Text ist sicherlich ein extremes Beispiel für eine ökonomische Verengung der Naturperspektive. Die Natur ist für ihn ein Wirtschaftssystem und „beständiges Beispiel für Wirtschaftlichkeit“.
Zitat 7.5: Gunter Pauli (*1956)
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„Wenn wir jedoch begreifen, auf welche geniale, wirtschaftliche und trotzdem einfache Weise die Natur wirtschaftet und wenn wir uns diese zum Vorbild nehmen, gelingt es uns möglicherweise die Funktionalität von Ökosystemen nachzubilden und so wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, wie sie in unserer in hohem Maße globalisierten Wirtschaft heute nicht möglich sind.“39
„In Ökosystemen herrschen keine Monopole […, sie] weisen viel mehr die vom Begründer der modernen Ökonomie Adam Smith beschriebenen Marktbedingungen auf: Tausende Akteure, die ihre Handlungen abstimmen, als ob eine unsichtbare Hand sie steuere und ihnen die günstigste Verteilung und die beste Nutzung der Ressourcen eingebe.“40 […] „Die Natur ist ein beständiges Beispiel für Wirtschaftlichkeit und echte Nachhaltigkeit.“41
Für Pauli funktionieren Ökosysteme wie eine Marktwirtschaft. Sie sind selbst eine Art Markt und werden durch eine „unsichtbare Hand“ gesteuert. Indem er diesen Ausdruck verwendet, bezieht sich Pauli auf die bekannte, auf Adam Smith zurückgehende Redewendung von der „unsichtbaren Hand des Marktes“42. Laut Smith, den Pauli ausdrücklich nennt, ist darunter eine zum Wohl aller eintretende Selbstregulierung des Wirtschaftslebens gemeint. Sie stellt sich in der Theorie von Smith automatisch ein, wenn alle Individuen ihre persönlichen Ziele verfolgen. Pauli überträgt Smiths ökonomisches Prinzip selbstregulierender Märkte auf Ökosysteme. Auch sie regulieren sich seiner Ansicht nach selbst, wenn alle Lebewesen ihren Bedürfnissen nachgehen.
Mit seinen Ausführungen schließt Pauli indirekt an die in Abschn. 5.​6 besprochenen Systemdeutungen Reinheimers und Lotkas aus den 1910er- und 1920er-Jahren an. Zur Erinnerung: Beide Wissenschaftler deuteten ökologische Zusammenhänge als bioökonomisches Wirtschaftssystem. Sie stellten Analogien zwischen ökologischen und ökonomischen Systemen her und verwendeten ökonomische Vorstellungen und Begriffe, um Stofftransformationen und -flüsse in der Natur zu erklären. Wie wir dort bereits erwähnt haben, beschreibt Lotka ökologische Prozesse sogar explizit als eine Art natürlicher Circular Economy. Den ökologischen Fluss von Phosphorverbindungen und deren Umwandlung nannte er einen „Kreislauf in der Wirtschaft der Natur“ („cycle in the economy of nature“, Zitat 7.6).
Zitat 7.6: Alfred James Lotka (1880–1945)
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„Subsequently some of the deposits so formed have been raised, in a crust upheaval, above the sea level, so as to form sedimentary strata from which we now derive some of our supplies of phosphate rock.
The other division of the stream in the flow of phosphorus is perhaps one of the most remarkable examples of a cycle in the economy of nature. The fish of the sea are eaten by birds, who flock in great hordes and have their nesting places upon rocky islands and shores. There an accumulation of immense amounts of guano has taken place in the course of centuries and ages. Of this guano some has been returned directly to the land by the agency of man.“43
Viele Akteurinnen und Akteure in der Circular Economy haben eine ähnliche Perspektive wie Lotka. Robert Frosch beispielsweise, auf den die Idee der Industriellen Ökologie im Wesentlichen zurückgeht, schreibt in einem in Zitat 7.7 wiedergegebenen Text ebenfalls, dass die Natur eine „mustergültige Kreislaufwirtschaft“ betreibt4445.
Zitat 7.7: Robert A. Frosch (1928–2020)
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„In nature an ecological system operates through a web of connections in which organisms live and consume each other and each other’s waste. The system has evolved so that the characteristic of communities of living organisms seems to be that nothing that contains available energy or useful material will be lost. […] In the industrial context we may think of this as being use of products and waste products.“46
Bei der Bioökonomie weist bereits der Name darauf hin, dass sie die Natur aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet. Für Lesart 3 und die ihr zuzurechnende zirkuläre Bioökonomie ist sie ebenfalls wie für Frosch und Lotka eine Art Kreislaufwirtschaft. Dies lässt sich nicht nur in Texten wie Zitat 2.​28 in Abschn. 2.​4 sondern auch an bildlichen Darstellungen wie in Abb. 7.4 zeigen. Der linke Teil stammt aus der deutschen Bioökonomiestrategie von 2010, wo er die Bioökonomie visualisieren soll. Rechts wurde von uns zum Vergleich das Recyclingsymbol eingefügt. Es ist auch im linken Teil, wo es für die Bioökonomie steht, eindeutig erkennbar. Um auf deren Natürlichkeit hinzuweisen, ist es aus Blattfragmenten zusammengesetzt. Die Botschaft des Bildes lautet, dass die Prozesse in der Biosphäre als ökonomisch organisierter, globaler Recyclingprozess zu verstehen sind. Dieser Prozess wird von den Urheberinnen und Urhebern der 2010er-Strategie mit der Bioökonomie gleichgesetzt.
Weiterhin relevant für die ökonomische Deutung der Natur durch die Bioökonomie ist auch der in nahezu allen Strategiedokumenten verwendete Ausdruck der „Ökosystemleistungen“. Damit wird der Natur auch die Funktion einer Dienstleisterin (Perspektive 21) zugewiesen, die „Ökosystemleistungen“ („ecosystem services“) anbietet. Letztere sind in der aktuellen deutschen Strategie als „Leistungen der Natur, von denen der Mensch profitiert“ definiert. „Biodiversität, Klimaregulation, gesunde Böden und sauberes Wasser“ sind nach diesem Verständnis Leistungen, die die Natur für Menschen erbringt.47 Das Konzept der Ökosystemleistungen wurde vor allem durch eine Studie von Constanza48 und das Millennium Ecosystem Assessment (MEA)49 der UN bekannt (Zitat 7.8). Es hat eine anthropozentrische Perspektive (Perspektive 18 Natur als Managementobjekt).
Zitat 7.8: Millennium Ecosystem Assessment Board (2005)
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„Ecosystem services are the benefits people obtain from ecosystems. These include provisioning services such as food and water; regulating services such as regulation of floods, drought, land degradation, and disease; supporting services such as soil formation and nutrient cycling; and cultural services such as recreational, spiritual, religious and other nonmaterial benefits.“50

7.1.7 Fragment 7: Bioökonomie und der an der Natur orientierte Teil der Circular Economy setzen eine unmittelbare Naturerkenntnis voraus

Sowohl für Teile der Circular Economy als auch für die Bioökonomie spielt die Orientierung an der Natur eine wichtige Rolle. Beide benötigen Kenntnisse von Naturprozessen, die entweder nachgeahmt oder in das Wirtschaftssystem integriert werden sollen. Für die Circular Economy und Bioökonomie ist also auch Perspektive 13 (Natur als Lehrerin) relevant. Dabei wird die Natur zwangsläufig als etwas Gegenüberstehendes wahrgenommen (Perspektive 8). In der Industriellen Ökologie wird teilweise ein „unmittelbares“ Naturverständnis vorausgesetzt. Robert Frosch spricht beispielsweise in Zitat 2.​5 (Abschn. 2.​2.​3) von einer „zwingenden“ Analogie zwischen ökologischen und industriellen Systemen und „extrem ähnlichen“ Strukturen. Auch Redewendungen, dass die Analogien „offensichtlich und ansprechend“ sind, sind gebräuchlich (Zitat 7.9).51
Zitat 7.9: Robert U. Ayres (*1932)
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„The analogy with ecosystems is obvious and appealing.“52
„[…] there is a compelling analogy between biological organisms and industrial activities“53
Die genannten Formulierungen haben alle gemeinsam, dass sie meistens anstelle einer Begründung verwendet werden. Die Analogien, auf die sie sich beziehen, lassen sich aber nicht unmittelbar empirisch erkennen, sondern sind Deutungen. Sie spiegeln menschliche Ideen, die auf die Natur übertragen werden. Dass ein unmittelbarer empirischer Zugang zum „Wesen der Natur“54 nicht gegeben ist und dass die spezifische Perspektive zu berücksichtigen ist, aus der die Natur betrachtet wird, spielt bei der Argumentation in der Regel keine Rolle. Dass es in der Natur eine „mustergültige Kreislaufwirtschaft“ gibt, lässt sich aber nicht direkt beobachten, sondern setzt Vorstellungen von technischen und ökonomischen Prozessen voraus. Die Idee, wie eine Kreislaufwirtschaft aussehen müsste, stellt erst den notwendigen Hintergrund zur Verfügung, vor dem Beobachtungen, die wir in der Natur machen, als zirkuläre Wirtschaft interpretiert werden.55

7.1.8 Fragment 8: Teile der Circular Economy streben eine stoffliche Systemschließung an

An der Natur orientierte Herleitungen der Circular Economy entwerfen als Vision eine Idealvorstellung, in der die Wirtschaft von einem energetisch und stofflich offenen System in das in Abb. 7.5 dargestellte stofflich geschlossene System transformiert wird (Zitat 7.10). Es tauscht nur Energie mit der Biosphäre aus. Stoffe würden hier vollständig im Wirtschaftssystem verbleiben, wo ihre Umwandlungen und Bewegungen als Kreisprozesse organisiert sind. Diese Vorstellung ist jedoch nicht realistisch (Abschn. 8.​1), sodass sie dementsprechend, auch innerhalb der Circular Economy, von vielen abgelehnt wird. Sie findet sich beispielsweise aber in Cradle to Cradle und „bioadaptiven“, an der Natur orientierten Konzepten der Circular Economy (Abschn. 7.3.1).
Zitat 7.10: Mika Sillanpää, Chaker Ncibi (2019)
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„Circular economy […] was assimilated to a lake where goods and materials are continuously reprocessed in a closed environment, which saves valuable resources (water, energy, nutrients, etc.) […].“56

7.1.9 Fragment 9: Die Natur wird in der Bioökonomie ein Teilsystem der Wirtschaft

In der Bioökonomie der Lesarten 2 und 3 ist die Biosphäre ein Teil der Wirtschaft. In Bezug auf Lesart 2 zeigt sich das u. a. an der in Strategiepapieren verwendeten Ausdrucksweise, durch die Naturteile als ökonomische oder technische Funktionsträger beschrieben werden. Lebewesen sind dort „Produktionsorganismen“57, „Leistungsträger einer […] industriellen Produktion“58 oder „Minifabriken“59. Weiterhin werden sie als „industrielle Produzenten“60, die auf „Höchstleistung getrimmt“ werden61, bezeichnet. Biodiversität gilt in der Bioökonomie als „Schatzkiste“ bisher unbekannter „Funktionalitäten“62. Den vollumfänglichen Anspruch der Bioökonomie auf die „Artenvielfalt […] der Erde“ dokumentiert auch Zitat 7.11.
Zitat 7.11: Bioökonomie in Deutschland, Bundesregierung (2014)
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„Ob Huhn oder Rind, Weizen oder Mais, Alge oder Bakterium – die Artenvielfalt auf der Erde lässt sich durch einen Blick ins Erbgut erforschen und industriell nutzen“63
Im Verständnis von Lesart 3 bzw. in dem der ihr zugehörigen zirkulären Bioökonomie werden Kreislaufprozesse der Biosphäre zu einem Teil der Wirtschaft. Letztere wird hierdurch von einer linearen in eine zirkuläre Organisationsform transformiert. Bioökonomie ist aus dieser Perspektive „von Natur aus zirkulär“64, allerdings nur, weil ökologische Prozesse zuvor als zirkulär organisierter Wirtschaftsprozess interpretiert wurden (Abschn. 5.​6 und 7.1.6). Diese „Kreislaufwirtschaft der Natur“ wird durch die Bioökonomie ein Teil der menschlichen Wirtschaft.65
In dieser Rolle werden der Natur in Bioökonomiestrategien auch die ökonomischen Funktionen einer Ressource (Perspektive 20) und Dienstleisterin (Perspektive 21) zugewiesen. In der aktuellen Strategie der Bundesregierung ist die ökonomische „Erzeugung, Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen“ sogar „ein wesentliches Merkmal der Bioökonomie“66, das, so ein Dokument von 2014, „biobasiertes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum“67ermöglichen soll. Diese Ressource soll erhalten werden.68 Die Funktion einer Dienstleisterin wird durch die in Abschn. 7.1.6 bereits angesprochenen „Ökosystemleistungen“ adressiert.

7.1.10 Fragment 10: Natur ist in der Bioökonomie ein Managementobjekt

Wenn die Natur ein Teil der Wirtschaft ist, kann man sie auch nicht einfach sich selbst überlassen. Damit ihre Ökosystemleistungen für die Wirtschaft erhalten bleiben und bestmöglich genutzt werden können, muss die Natur aus bioökonomischer Sicht optimiert werden. In den 1970er-Jahren, lange also bevor Bioökonomiestrategien entwickelt wurden, wurde diese Perspektive bereits von dem Systemwissenschaftler Joel de Rosnay formuliert (Zitat 7.12).
Zitat 7.12: Joel de Rosnay (1906–1994)
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„Das Öko-Engineering wird den Menschen mit neuen Methoden, wie etwa der Energieanalyse, die Mittel liefern, die es ihnen erstmals ermöglichen werden, bewußt die Energiekreisläufe im Ökosystem zu manipulieren – zum Wohl des Menschen und der Natur. Ähnlich wie Chirurgen in das Innere des Organismus eingreifen, werden wir dann in der Lage sein, die großen Regelkreise mit Rekompensation und Verstärkung, auf denen die ‚Ökonomie‘ in der Natur beruht, wiederherzustellen.
Wir werden in der Lage sein, neue Bakterienstämme zu entwickeln, die fähig sind, das Recycling genutzter Materialien zu verbessern und Abfälle zu beseitigen sowie Stickstoff zu Ammoniak in industriellen Mengen zur Ernährung der Erdbevölkerung zu binden. Es wird möglich sein, lokale Klimaänderungen durch Kultivierung neuer Zonen herbeizuführen; damit könnte man dann bei natürlichen Abläufen dazu hinsteuern, nach den schwerwiegenden Eingriffen, die wir vorgenommen haben, wieder ihr Gleichgewicht herzustellen. Die Entwicklung des Öko-Engineering wird dazu führen daß das unsichere Herumtasten, das unsere heutigen Handlungen charakterisiert, aufhört. Es muß sich ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Mensch und Natur entwickeln, das die Basis der neuen Wirtschaftsform und der ‚postindustriellen‘ Gesellschaft, die wir schaffen müssen bilden wird.“69
Das Management der Natur bezeichnet De Rosnay als „Öko-Engineering“, womit er meint, dass Naturprozesse zum Wohl von Menschen und Natur gestaltet werden sollen. Eine solche Steuerung von Ökosystemen wird auch in Bioökonomiestrategien thematisiert, beispielsweise in der aktuellen europäischen Strategie, wo ein nachhaltiges Management von Ökosystemen gefordert wird.70 Der US-amerikanische „Blueprint“ hält es zwar heute noch nicht in ausreichendem Maße für möglich, Ökosysteme zu managen, geht aber davon aus, dass bioökonomische Forschungen diese Lücke schließen werden.71

7.1.11 Fragment 11: In der Bioökonomie konvergieren Bio- und Technosphäre

Die modernen Lesarten der Bioökonomie haben sich aus den biologischen Wissenschaften entwickelt und waren zu Beginn an der Entwicklung einer biotechnologisch geprägten Wirtschaft ausgerichtet. Dementsprechend enthält ihr Naturbild auch eine biotechnische Perspektive: Die Natur soll mit technischen Mitteln an ökonomische Bedürfnisse angepasst werden (Perspektive 17). Dieses Naturbild ist, wie das Beispiel der in Zitat 7.13 zitierten Fachinformationsbroschüre der Bundesregierung zeigt, auch in aktuellen Publikationen zur Bioökonomie zu finden. In Zitat 7.13 ist die Biotechnologie ein „bioökonomisches Werkzeug“, mit dem Zellen zu „Biofabriken umfunktioniert“ werden. An anderer Stelle ist auch von neuen „Produktionsorganismen“ die Rede.72
Zitat 7.13: Die Werkzeuge der Bioökonomie, Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF (2021)
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„Mithilfe molekularbiologischer Verfahren ist es möglich, Zellen oder ihre Bestandteile zu Biofabriken umzufunktionieren, die aus biogenen Rohstoffen hochwertige Produkte wie Feinchemikalien oder Wirkstoffe umweltschonend in größeren Mengen liefern. Die Werkzeugkiste der Natur in technischen Anwendungen zu nutzen, um interessante neuartige und maßgeschneiderte Produkte herzustellen, ist ein zentrales Ziel der Biotechnologie. Es geht zugleich darum, dies in einer ressourcen- und umweltschonenden Art und Weise zu tun.“73
Durch Biotechnologie sollen Lebewesen gezielt an Umwelt-, Klima- und Produktionsbedingungen angepasst74 oder für die industrielle Produktion optimiert werden75. Das „Arbeiten mit der Natur“, wie der Titel einer Broschüre der Europäischen Kommission zur Bioökonomie lautet,76 ist somit nicht als Einfügen in die Natur, sondern als ihre „Ökonomisierung und Technifizierung“77 zu verstehen. Durch die Bioökonomie wird Natur technisch und ökonomisch zu einem neuen System umgestaltet.
Klar zum Ausdruck kommt diese Vision im Vorwort einer Publikation des European Forest Institute.78 Es wurde von einem Autorenkollektiv verfasst, zu dem mit dem ehemaligen EU-Kommissar Janez Potočnik auch einer der Personen gehört, die Anfang der 2000er-Jahre die Entwicklung der wissensbasierten Bioökonomie in Europa initiiert hatten (Abschn. 2.​3.​1.​2). Potočnik und die anderen Autorinnen und Autoren erwarten, dass durch die zirkuläre Bioökonomie (Abschn. 2.​4) aus den bisher getrennten Systemen der Biosphäre und Gesellschaft ein neues System entsteht. Konkret sprechen sie von einem „eng gekoppelten sozioökologischen System von planetarer Reichweite“79. Diese Vision findet sich nicht nur bei Potočnik et al. Uns ist sie auch aus anderen Konzepten bekannt, die inhaltlich der Bioökonomie nahestehen und einem produktionstechnischen Umfeld zuzurechnen sind. Auch hier ist von einer Zusammenführung oder „Konvergenz von Bio- und Technosphäre“80 die Rede. Das Ergebnis dieser Konvergenz ist eine technisch und ökonomisch organisierte „neue Natur“. (Abb. 7.6).
Wie das durch die Bioökonomie entstehende neue System aussehen kann, wird durch künstlerische Darstellungen in einem 2016 vom Bioökonomierat herausgegebenen Dokument angedeutet, die dort die Textpassagen illustrieren, in denen die Handlungsfelder der Bioökonomie beschrieben werden.81 Zwei dieser Darstellungen werden hier in Abb. 7.7 zitiert.
Das linke Bild zeigt eine bioökonomisch organisierte Stadt, in der städtische und ehemals natürliche Elemente zu einer gemeinsamen, technisch dominierten Struktur zusammengewachsen sind. Im rechten Bild sind baumähnliche Geräte zu sehen. Sie stellen mithilfe des Sonnenlichts Wasserstoff her, der zum Betanken von Kraftfahrzeugen verwendet wird. Die künstlichen Bäume haben hier eine ähnliche Funktion wie ihre Vorbilder, weil sie als Primärproduzenten energiereiche Stoffe mit Sonnenlicht herstellen. In beiden Bildern wurde die ursprüngliche Natur entweder durch technische Systeme ersetzt oder fragmentarisch in ein technisch-ökonomisches Gefüge eingebettet. Von einer ursprünglichen Natur im Sinne Rousseaus ist in beiden Bildern nichts mehr zu sehen.

7.2 Metaphern, Analogien und Modellübertragungen in der Circular Economy und Bioökonomie

7.2.1 Die Metapher Cradle to Cradle

Während ein großer Teil der auf die Circular Economy bezogenen Schriften wie die bisher erschienenen EU-Strategien82 oder die Positionspapiere der acatech83 ihre Konzepte nicht mit Analogien zwischen der Wirtschaft und Natur begründen, argumentiert ein anderer, ebenfalls großer Teil mit der Orientierung am Vorbild Natur. Bei den in Abschn. 2.​2.​3 vorgestellten Denkschulen der Circular Economy lässt sich das oft bereits am Namen erkennen. Er fungiert als Metapher und erlaubt bereits Rückschlüsse auf die zugrunde gelegte Naturperspektive. Die Bezeichnung „Natural Capitalism“ transportiert beispielsweise ein ökonomisches Naturbild (Perspektive 19), während der Ausdruck „Regenerative Design“ die Aufmerksamkeit auf ein Naturverständnis lenkt, das die Natur als Ingenieurin wahrnimmt (Perspektive 12). Im Folgenden betrachten wir exemplarisch das metaphorische Konzept von Cradle to Cradle. Wir haben es erneut als Beispiel ausgewählt, weil es einerseits eine der bekanntesten Denkschulen der Circular Economy ist, andererseits aber auch, weil in ihm viele Metaphern und Analogien verwendet werden.
Wie beim Natural Capitalism oder Regenerative Design ist auch bei Cradle to Cradle bereits der Titel eine Metapher. Cradle to Cradle bedeutet übersetzt „Von der Wiege zu Wiege“, was, wie Braungart und McDonough in Zitat 7.14 selbst schreiben, eine Anspielung auf die bekannte Redewendung „Von der Wiege zur Bahre“ („Cradle to Grave“) sein soll. Der Ausdruck „Von der Wiege zu Wiege“ fungiert dabei als Synonym für eine Wirtschaft, die sich an den Kreisläufen der Natur orientiert, während der Ausdruck „Von der Wiege zur Bahre“ das Prinzip der aktuellen, linear organisierten Wirtschaft bezeichnet.
Zitat 7.14: Michael Braungart (*1958), William McDonough (*1951)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Fign_HTML.png
„Was wäre geschehen, fragen wir uns manchmal, wenn die industrielle Revolution in Gesellschaften stattgefunden hätte, in denen die Gemeinschaft höher geschätzt wurde als das Individuum und in denen die Menschen nicht an einen Lebenszyklus von der Wiege bis zur Bahre geglaubt hätten, sondern an Reinkarnation. […] Dieser lineare Lebenszyklus – von der Wiege bis zur Bahre – hat verschiedene negative Konsequenzen sowohl für den Menschen als auch für die Industrie.“84
Die Ausdrücke „Von der Wiege zu Wiege“ und „Von der Wiege zur Bahre“ werden also dazu verwendet, unterschiedliche Wirtschaftskonzepte zu bezeichnen. Beide Redewendungen sind somit Metaphern, weil sie ursprünglich nicht als ökonomische Begriffe, sondern als Bezeichnungen für die menschliche Lebensspanne verwendet werden. „Von der Wiege zu Bahre“ drückt aus, dass ein Menschenleben zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Wiege beginnt und später auf der Bahre endet. Die Redewendung symbolisiert damit Endlichkeit und Tod. In „Von der Wiege zu Wiege“ ist das Wort Bahre durch das Wort Wiege ersetzt worden. Der Ausdruck nimmt damit das Ende, d. h. den Tod, aus dem Spiel und ersetzt es bzw. ihn durch das Motiv der Geburt. Cradle to Cradle steht somit für Geburt und Wiedergeburt und transportiert die Vorstellung eines sich ewig erneuernden Lebens. Mit dem Cradle-to-Cradle-Begriff vermitteln Braungart und McDonough also eine existenzielle Wertung: Die zirkuläre Wirtschaftsweise verspricht ewiges Leben und fortdauernden Bestand, während die lineare Wirtschaft zu Tod und Kollaps führt.
Dadurch, dass Braungart und McDonough den Ausdruck Cradle to Cradle auf Natur und Wirtschaft anwenden, stellen sie drei Globalanalogien85 her. Sie sind in Abb. 7.8 dargestellt und bestehen aus Vergleichen zwischen dem Wirtschaftssystem und dem menschlichen Leben, dem menschlichen Leben und der Natur sowie der Natur und der Wirtschaft. Die Globalanalogien enthalten jeweils mehrere Teilanalogien. In der Globalanalogie zwischen Natur und Wirtschaft sind das der Vergleich von Rohstoffen mit Nährstoffen und der zwischen einer wirtschaftlichen Wiederverwendung und ökologischen Stoffkreisläufen. Eine Disanalogie besteht in diesem Bild in Bezug auf die im Wirtschaftssystem anfallenden Abfälle. Für sie gibt es innerhalb der Analogie keinen Partner, da es, wie Zitat 7.15 zeigt, für Braungart und McDonough etwas mit Abfällen Vergleichbares in der Natur nicht gibt. Erst eine Wirtschaft ohne Abfälle würde die Analogie vervollständigen.
Zitat 7.15: Michael Braungart (*1958), William McDonough (*1951)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figo_HTML.png
„Die Natur funktioniert nach einem System von Nährstoffen und Metabolismen, in dem kein Abfall vorkommt. […] Überall auf der Welt atmen Tiere und Menschen Kohlendioxid aus, das die Pflanzen aufnehmen und für ihr Wachstum nutzen. […] Die wichtigsten Nährstoffe der Erde – Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff – durchlaufen einen Kreislauf und werden immer wieder verwendet. Abfall ist so wieder Nahrung. Dieses zyklische biologische System, von der Wiege zur Wiege, lässt seit Jahrmillionen einen Planeten mit einer prächtigen Vielfalt gedeihen.“86

7.2.2 Modellübertragungen in der Industriellen Ökologie

Das Konzept der Industriellen Ökologie beruht auf der Annahme einer „direkten Analogie“87 zwischen industriellen und ökologischen Systemen. Beide ähneln sich in ihrer Struktur. Ökosysteme werden deshalb als Modellvorlage für industrielle Systeme herangezogen, was bedeutet, dass die Strukturen der Wirtschaft nach dem Vorbild des von Ökosystemmodellen gestaltet werden sollen (Zitat 7.16 und 7.17).
Zitat 7.16: Reid Lifset und Thomas E. Graedel (2002)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figp_HTML.png
„[…] industrial ecology looks to non-human ‘natural’ ecosystems as models for industrial activity.“88
Zitat 7.17: Allan Johansson (2002)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figq_HTML.png
„It is also claimed [in Industrial Ecology] that the natural systems can function as models for the man-made system in terms of efficient use of resources, energy and wastes.“89
Die Vergleichbarkeit der beiden Systeme wird damit begründet, dass sowohl in ökologischen als auch in industriellen Systemen Energie und Stoffe bewegt und ausgetauscht werden.90 Dabei wird u. a. darauf verwiesen, dass in der frühen Phase der Biosphäre, ebenso wie in der aktuellen Wirtschaft, zunächst hauptsächlich offene, lineare Prozesse wirksam waren und dass es Zeit brauchte, bis sich die Biosphäre zu einem geschlossenen, zirkulären System entwickelt hat.91 Aus der Perspektive der Industriellen Ökologie ist die aktuelle lineare Organisation des Wirtschaftssystems deshalb lediglich auf seinen frühen Entwicklungsstand zurückzuführen und nur ein Übergangszustand zu einer Circular Economy. Ziel der industriellen Ökologie ist es, diesen Übergang zu forcieren.
Wie man sich eine Modellübertragung in der Industriellen Ökologie vorstellen kann, ist in Abb. 7.9 wiedergegeben. Im linken Teil der Abbildung sind Abhängigkeiten zwischen Primärproduzenten, Pflanzenfressern, Raubtieren und Reduzenten in einem ökologischen Nahrungsnetz dargestellt. Im rechten Teil ist, zum Vergleich, ein von der Industriellen Ökologie konzipiertes, dort oft rezipiertes92 industrielles System abgebildet. Es zeigt die stofflichen und energetischen Beziehungen zwischen Erzeugern, Herstellern, Verbrauchern und Abfallaufbereitern.
Im Folgenden betrachten wir die durch Abb. 7.9 visualisierte Modellübertragung mit Blick auf die in Abschn. 6.​2 diskutierten, auf Zoglauer zurückgehenden allgemeinen Kriterien. Als Voraussetzungen bzw. Bedingungen für eine Modellübertragung wurden dort genannt:
1.
Es muss eine Analogie zwischen dem Bereich, aus dem das Modell stammt, und dem, in den das Modell übertragen werden soll, vorliegen.
 
2.
Es wird nur die Struktur des Modells übertragen, nicht aber dessen Elemente,
 
3.
Elemente des einen Bereichs werden mit Elementen des anderen identifiziert.
 
4.
Beide Bereiche müssen sich mit derselben Theorie beschreiben lassen.
 
In Bezug auf die Modellübertragung in Abb. 7.9 ergibt sich demnach das folgende, in Tab. 7.1 zusammengefasste Bild.
Tab. 7.1
Modellübertragung in der Industriellen Ökologie
Analogie
Ökosystem
 ↔ 
Industrielles System
Stoff und Energieflüsse in der
Biosphäre
 ↔ 
Stoff und Energieflüsse in der Technosphäre
Übertragung
Struktur Ökosystem
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figv_HTML.png
 → 
Struktur industrielles System
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Identifikation
Primärproduzenten (z. B. Pflanzen)
 → 
Erzeuger/Rohstoffaufbereiter
Pflanzenfresser
 → 
Rohstoffverbraucher (Hersteller)
Raubtiere
 → 
(End-)Verbraucher
Reduzenten (z. B. Pilze)
 → 
Abfallaufbereiter
Theoretische Basis
Selbstorganisierte, offene Systeme, die sich mithilfe der Systemwissenschaften und Thermodynamik beschreiben lassen
1.
Es wird eine Ähnlichkeit zwischen einem industriellen System und der Biosphäre identifiziert und eine Analogie hergestellt.
Ähnlich sind sich industrielle und ökologische Prozesse darin, dass in beiden Fällen ein Stoff- und Energieaustausch zwischen unterschiedlichen Akteuren stattfindet. Aufgrund dieser Ähnlichkeit wird in der Industriellen Ökologie eine Analogie zwischen den Stoff- und Energieflüssen in der Biosphäre und denen in industriellen Systemen hergestellt.94
 
2.
Die Struktur von Ökosystemmodellen wird zur Beschreibung industrieller Systeme verwendet.
Die Struktur des industriellen Systems ist in Abb. 7.9 den Nahrungsbeziehungen des Ökosystems im linken Teil der Abbildung nachempfunden. Die stofflichen und energetischen Beziehungen zwischen Primärproduzenten, Pflanzenfressern, Raubtieren und Reduzenten werden als Interaktionen industrieller Akteure abgebildet.
 
3.
Systemelementen des industriellen Systems werden Funktionen zugeordnet, die Elemente in Ökosystemen haben.
Die Akteure des industriellen Systems übernehmen in der Modellübertragung Funktionen, die mit denen identifiziert werden, die im Ökosystemmodell Organismengruppen zugeschrieben werden. Die Erzeuger bzw. Rohstoffaufbereiter entsprechen den Primärproduzenten des Ökosystems, die Hersteller, die aus aufbereiteten Rohstoffen Produkte anfertigen, den Pflanzenfressern, die Endverbraucher den Fleischfressern (Raubtiere) und die Abfallaufbereiter den Reduzenten.
 
4.
Es muss eine theoretische Basis vorliegen, mit der sich sowohl ökologische als auch industrielle Prozesse beschreiben lassen.
Sowohl ökologische als auch industrielle Systeme werden in der Industriellen Ökologie bzw. Circular Economy als selbstorganisierende, offene Systeme verstanden (Zitat 7.18), die mit denselben thermodynamischen Grundlagen und mithilfe der Systemwissenschaften beschrieben werden können.95 „Wirtschaft und Natur sind“, nach diesem Verständnis „Spezialfälle“ einer tiefer liegenden „Systemhaftigkeit der Wirklichkeit“96.
 
Zitat 7.18: Walter Rudolf Stahel (*1946)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figr_HTML.png
„Nature, the market economy, democracy and innovation are successful examples of highly diversified, decentralised and dynamic systems.“97

7.2.3 Das Problem der Rückübertragung

In diesem Kapitel möchten wir auf eine grundsätzliche Problematik aufmerksam machen, die bei Modellübertragungen zwischen ökonomischen und ökologischen Systemen zu beachten ist. Sie besteht darin, dass der Perspektive, aus der wir eine Kreislaufwirtschaft in der Natur zu erkennen glauben, bereits die ökonomische Naturdeutung aus Abschn. 5.​6 zugrunde liegt. Sie wird dann als vermeintliches Naturprinzip wieder auf das ökonomische System übertragen. Wie der Wirtschaftsingenieur Ralf Isenmann zu Recht schreibt, lässt sich eine Kreislaufwirtschaft in der Natur nicht direkt „beobachten“, sondern es muss bereits eine Idee von ihr geben, um sie in der Natur zu erkennen.98 Ein „selektives Vorverständnis“ bzw. eine ökonomische „Natur im Kopf“ führt zu einer „spezifischen Sichtweise“99 oder anders gesagt, dem Erkennen einer Kreislaufwirtschaft in der Natur geht die ökonomische Vorstellung von ihr voraus. Eine ähnliche Aussage, dass das Denken in spezifischen Konzepten die Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung lenkt und dass wir überall gewohnte Zusammenhänge entdecken, trifft in Zitat 7.19 auch die Ökonomin Silja Graupe.
Zitat 7.19: Silja Graupe (*1975)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figs_HTML.png
„Ökonomische Konzepte lassen sich wie „Werkzeuge des Denkens“ begreifen; sie geben unserer Wahrnehmung Richtung und Gestalt. Sie entscheiden darüber, was wir als wichtig und unwichtig erachten, oftmals bevor wir uns vor spezifische ökonomische Aufgaben gestellt sehen. […] Wer lernt, allein im Marktmodell zu denken, der wird in allen sozialen Beziehungen einen Markt erblicken.“100
Der Vorbildcharakter der Natur beruht in der Circular Economy respektive Industriellen Ökologie somit auf einer doppelten Deutungsanalogie. Der Übertragung ökologischer Modelle auf industrielle Prozesse liegt bereits eine Modellübertragung aus der Ökonomie in die Ökologie zugrunde. Es besteht ein wechselseitiger Modelltransfer bzw. eine Rückübertragung. Zunächst wird wie in Abschn. 5.​6 die Natur als ökonomischer Zusammenhang und bioökonomische Kreislaufwirtschaft aufgefasst. Nachfolgend wird dann das industrielle System als Ökosystem modelliert, meistens jedoch, ohne dass die vorherige ökonomische Naturdeutung dabei berücksichtigt wird.101 Wir vermuten, dass sie den meisten auch nicht bewusst ist. Die Modelle der Industriellen Ökologie sind somit, wie in Abb. 7.10 dargestellt, Rückübertragungen von Modellen, die erst von der Ökonomie in die Ökologie übertragen und anschließend von dort wieder in die Ökonomie transportiert wurden.102

7.3 Der „blinde Fleck“: Natur ist nicht gleich Wirtschaft

7.3.1 Ontologische Gleichsetzung

Metaphern, die ein bestimmtes Naturbild vermitteln und auf Analogien zwischen Natur und Wirtschaft verweisen, sind in den meisten der in Abschn. 2.​2.​3 aufgeführten Denkschulen der Circular Economy zu finden. In der Industriellen Ökologie sind sie sogar, wie Reid Lifeset und Thomas Graedel mit Blick auf ihr eigenes Fachgebiet schreiben, „ein konstituierendes Element“103. Die stetige Verwendung dieser Sprachbilder bringt die Gefahr mit sich, dass relevante Unterschiede zwischen den analog gesetzten Bereichen nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden. Systeme oder Systemelemente werden dann mitunter nicht nur formal, sondern allmählich auch ontologisch gleichgesetzt, d. h. sie werden in dem, was sie ausmacht, als identisch betrachtet. Das kann nicht nur Laien, die die Metaphern hören oder lesen, so gehen, sondern, wie Zitat 7.20 zeigt, auch Fachleuten passieren. Der dort wiedergegebene Text stammt von Reinhold Leinfelder, der als Paläontologe und Geobiologe sowie Mitglied der Anthropozän-Arbeitsgruppe der International Commission on Stratigraphy (ICS) ein ausgewiesener Experte für das Thema Anthropozän ist.104 In dem Artikel, aus dem das Zitat stammt, befasst er sich damit, wie Prozesse in der Technosphäre des Anthropozäns sinnvollerweise zu gestalten sind, damit sie nachhaltiger werden. Leinfelder setzt sich deshalb für eine „bioadaptive Kreislaufwirtschaft“ ein und fordert seine Leserschaft dazu auf, endlich in Kreisläufen zu denken.105
Zitat 7.20: Reinhold Leinfelder (*1957)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figt_HTML.png
„Die Lösung dieses Dilemmas ergibt sich aus dem Vorbild der Biosphäre. Auch die verwendeten Technomaterialien müssten dauerhaft im System verbleiben. […] Eine bioadaptive Kreislaufwirtschaft würde sich analog zur Biosphäre komplett durch erneuerbare Energien speisen. Müll fiele in einem solchen System nicht an. In einer fernen Zukunftsvision würde eine ‚lebendige‘ Technosphäre entstehen, die ihre produzierten Objekte mithilfe erneuerbarer Energien immer wieder destruiert und rekomponiert und sich zudem noch selbst kontrolliert, optimiert und weiterentwickelt. Biosphäre und Technosphäre wären damit vereinbar […]. Eine globale Kreislaufwirtschaft, die sich an der Biosphäre orientiert, würde sich in ihrer Reinform, also dem dauerhaften Recyceln aller Materialien sowie der Verwendung erneuerbarer Energien, hervorragend zur Stabilisierung des Erdsystems eignen.“106
Unter einer bioadaptiven Kreislaufwirtschaft versteht Leinfelder eine Wirtschaft, die sich am Vorbild der Biosphäre orientiert. Wie bereits der Untertitel seiner Publikation anzeigt, liefert die Biosphäre für ihn das „Modell für die Technosphäre im Anthropozän“107. Die neu zu konzipierende Technosphäre wird, laut Leinfelder, „komplett durch erneuerbare Energien“ gespeist, und Abfälle fallen in ihr nicht mehr an. Seine Vision besteht in einem „dauerhaften Recyceln aller Materialien“ und einer „lebendigen“ Technosphäre, wobei das Wort lebendig durch Anführungszeichen als Metapher gekennzeichnet ist. Seine Vision einer bioadaptiven Wirtschaft handelt von vollständig geschlossenen und andauernden Kreisläufen, in denen Produkte „immer wieder“ zersetzt und neu zusammengesetzt werden. Leinfelders neue Technosphäre ist selbstorganisiert, baut die von ihr geschaffenen Produkte wieder ab und entwickelt sich von selbst weiter. Sie gleicht damit der Biosphäre nicht nur formal, sondern auch ontologisch. Mit dieser Gleichsetzung ist Leinfelder nicht allein. Vorstellungen von ewigen Kreisläufen gibt es auch bei anderen, beispielsweise bei Cradle to Cradle, wo ebenfalls „Nährstoffe für neue Produkte ständig in Kreisläufen zirkulieren“108. Diese ontologische Gleichsetzung wird zu Recht, wie der Text von Braden R. Allenby und William E. Cooper in Zitat 7.21 deutlich macht, auch in der Circular Economy selbst kritisiert.
Zitat 7.21: Braden R. Allenby (*1950), William E. Cooper
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_7/MediaObjects/602102_1_De_7_Figu_HTML.png
„By studying industrial ecology, we are attempting to achieve this goal by understanding human economic and sustenance activity through the use of an analogy with the science of biological ecology. The similarities are almost intuitive, powerful, and suggestive. As with any analogy, however, considerable care must be taken not to let attractive similarities blind one to significant differences, especially where an understanding of those differences can be equally valuable. There is a long, and somewhat spotty, history of attempts in the literature to directly equate economic and biological systems. We intend nothing so specific […]“.109
Allenby und Cooper verweisen darauf, dass es sich bei Biosphäre und Technosphäre bzw. Natur und Wirtschaft um unterschiedliche Systeme handelt, die nicht direkt gleichgesetzt werden dürfen. Sie betonen, dass es bedeutende Unterschiede zwischen den beiden Bereichen gibt und dass intuitiv erkannte und suggestiv wirkende Ähnlichkeiten nicht den Blick auf diese Unterschiede verstellen dürfen. Es ist deshalb wichtig, den „blinden Fleck“ (Abschn. 6.​1.​3) der Metaphern, die eine Analogie zwischen der Biosphäre und der Wirtschaft herstellen, zu benennen. Hierzu betrachten wir im Folgenden zwei uns besonders wichtig erscheinende Aspekte. Dabei handelt es sich um
1.
die Deutung ökologischer Nahrungsbeziehung als ökonomischer Energieaustausch und
 
2.
die Organisation wirtschaftlicher und ökologischer Prozesse.
 

7.3.2 Nahrungsaufnahme ist kein ökonomischer Prozess

Ökologische und ökonomische Systeme werden in der Regel miteinander in Beziehung gesetzt, weil in beiden, gekoppelt an die Interaktionen ihrer Akteure bzw. Systemelemente, Stoffe und Energie ausgetauscht und umgewandelt werden. Wie wir in Abschn. 7.2.3 und 7.1.6 dargelegt haben, geht der Vorbildfunktion der Natur dabei eine ökonomische Perspektive voraus, die Nahrungsbeziehungen als ökonomische Prozesse und energetische Größen als Tauschwerte deutet. Unseres Erachtens110 darf diese Analogie nicht überstrapaziert werden, da wirtschaftliche Prozesse und Nahrungsbeziehungen etwas völlig anderes sind. Wesentliche Unterschiede, die in der Interaktion der jeweiligen Akteure zum Ausdruck kommen, sind in Abb. 7.11 dargestellt. Darin wird mit dem Kauf bzw. Verkauf von Lebensmitteln (oben) und der Nahrungsbeziehung zwischen einem Pferd und einem Mistkäfer (unten) ein ökonomischer mit einem ökologischen Vorgang verglichen.
Der abgebildete ökonomische Vorgang ist ein auf einer Vereinbarung beruhender Handel. Ein Verkäufer möchte eine Ware verkaufen und macht einem potenziellen Käufer, der seinerseits seinen Bedarf decken möchte, ein Angebot. Dieses Angebot kann der Kunde annehmen oder ablehnen. Zu einem Handel kommt es, wenn der Kunde den Preis, zu dem der Verkäufer die Ware anbietet, akzeptiert und die Ware kauft. In diesem Fall fließen Stoffe und die in ihnen enthaltene Energie in Form der erworbenen Lebensmittel vom Verkäufer zum Käufer. Der Verkäufer erhält als Gegenleistung mit Geld etwas anderes als der Kunde. Geld existiert nicht wie die gehandelten Waren im physikalischen Sinne, sondern ist ein abstrakter ökonomischer Tauschwert, der die Funktion eines allgemein akzeptierten und übertragbaren Schuldscheins hat. Diesen kann der Verkäufer zur Deckung seiner Bedürfnisse einsetzen. Etwas mit diesem Tauschwert Vergleichbares ist in dem unten abgebildeten ökologischen Prozess nicht zu erkennen. Die in Nahrungsbeziehungen ausgetauschte Energie ist es, wie wir nachfolgend erläutern, jedenfalls nicht.
Mistkäfer decken ihren Stoff- und Energiebedarf durch den frischen Kot von Pflanzenfressern, in diesem Fall von dem eines Pferdes. Er enthält, neben Pflanzenfasern, eine Flüssigkeit mit Mikroorganismen, von denen sich die Käfer ernähren.111 Im Gras gespeicherte Energie gelangt so über das Pferd zum Käfer. Wenn wir eine Wirtschaft-Natur-Analogie anwenden und das ökonomische Modell aus dem oberen Bild auf den Prozess im unteren Bild übertragen, würde dem Käfer die Funktion des Käufers und dem Pferd die des Verkäufers zugewiesen. Der Vergleich setzt jedoch Ähnlichkeiten voraus, die so nicht gegeben sind.
Anders als der Verkäufer bietet das Pferd kein „Produkt“ an. Während ersterer die Lebensmittel entweder selbst produziert oder anderweitig erwirbt, um sie einem Käufer anzubieten, frisst das Pferd, um sich selbst zu erhalten. Auch seinen Kot muss es aus demselben Grund loswerden, wobei es ihm egal ist, ob er von einem Käfer gefressen wird oder nicht. Pferde nehmen kein Gras zu sich oder leben, weil sie Mist produzieren wollen, den sie anschließend Käfern als Nahrung anbieten. Es fließt auch nichts, was einem Tauschwert auch nur entfernt ähnelt, vom Käfer in Richtung Pferd. Der Käfer „bezahlt“ nicht für die „Ware“. Es gibt also weder Geld noch einen Markt.112 Weitere Unterschiede bestehen darin, dass ökonomische Prozesse idealerweise auf Vereinbarungen beruhen, während Nahrungsbeziehungen in der Regel unfreiwillig entstehen und meistens nur in eine Richtung verlaufen.113 Die Maus in Abb. 7.12 bietet sich der Katze nicht als „Ware“ an, sondern wird im Gegenteil alles dafür tun, dass es zu keinem „Geschäftsabschluss“ kommt.

7.3.3 Selbstorganisation versus Arbeit

Prozesse in der Wirtschaft und Kreisläufe in der Circular Economy sind anders organisiert als ökologische Zusammenhänge und globale Stoffkreisläufe. Letztere sind „selbstorganisiert“ und beruhen u. a. auf dem Verhalten von Lebewesen und physikalisch-chemischen Stoffeigenschaften. Es regnet nicht, damit Wälder wachsen, sondern Wälder wachsen da, wo viele Niederschläge fallen. Und warum regnet es? Es regnet, weil die Stoffeigenschaften von Wasser und die Temperaturverhältnisse auf der Erde so sind, wie sie sind. Wasser verdampft in die Atmosphäre, verteilt sich, fällt in bestimmten Regionen als Niederschlag zur Erde und fließt dort, abhängig von den geografischen Gegebenheiten, in Gewässer. Diese Prozesse ereignen sich von allein und müssen nicht wie die Kreisläufe der Circular Economy organisiert werden.
Ein wesentliches Merkmal von Prozessen in der Circular Economy ist, dass sie nicht durch natürlich vorhandene Stoffeigenschaften angetrieben werden. Im Gegenteil, damit eine Circular Economy funktioniert, muss sogar vermieden werden, dass sich Stoffe aufgrund ihrer Eigenschaften und der vorliegenden Bedingungen verteilen. Kunststoff, der u. a. aufgrund seiner Stoffeigenschaften als Mikroplastik im Eis der Antarktis zu finden ist, recycelt sich nicht von selbst. Er kann auch nicht durch eine Circular Economy zurückgewonnen werden, sondern muss, bevor er zu Mikroplastik wird, aufwendig gesammelt, getrennt und von der Biosphäre ferngehalten werden. Wie wir in Band 2 dieser Reihe noch zeigen werden, sind Kreisläufe in der Circular Economy etwas anderes als ökologische Stoffkreisläufe. Sie werden durch ein anderes Kreislaufmodell beschrieben. Die Prozesse der Circular Economy müssen, im Gegensatz zu den „von selbst“ ablaufenden ökologischen Abläufen, von menschlichen Akteuren „kontinuierlich am Laufen gehalten“114 werden. Hierzu sind Technik und Arbeit erforderlich.

7.4 Circular Economy, Bioökonomie und Weltanschauung?

Bei der Circular Economy und Bioökonomie handelt es sich um Wirtschaftsmodelle, in denen technische Verfahren systemisch mit der Ökonomie und Gesellschaft verknüpft werden. Es kann deshalb nicht überraschen, wenn beiden Modellen im Wesentlichen ein Naturbild mit einer natur-, systemwissenschaftlichen und ökonomischen Perspektive zugrunde liegt (Abschn. 7.1). Im Folgenden möchten wir zeigen, dass in der Kommunikation der beiden Konzepte aber auch Motive zu finden sind, die dem Bereich Weltanschauung zugeordnet werden müssen. Um zu verdeutlichen, was wir damit meinen, kommen wir noch einmal auf das schon einmal in Abschn. 3.​2.​2 angesprochene „Narrativ“ der Bioökonomie zurück. Es ist dort in Zitat 3.​6 wiedergegeben und stammt aus einem Strategiepapier des Bioökonomierats von 2016115. Dort bildet es eine Art Präambel, die den danach folgenden Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Bioökonomiestrategie vorangestellt ist.
Das Narrativ ist in acht Abschnitte gegliedert, in denen eine Reihe von Themen rund um die Bioökonomie angesprochen werden. Es handelt vom Verhältnis Mensch-Natur, beschreibt, was bioökonomisches Denken ist, nennt Beispiele aus der Bioökonomie, ordnet letztere ein und beschreibt grundsätzlich, wie die Transformation zu einer Bioökonomie erreicht werden kann. Der erste Abschnitt, der das Narrativ einleitet, besteht aus acht Sätzen. Durch ihre Aussageform unterscheiden sie sich von der Prosa in den sieben folgenden Abschnitten. Die Aussagen sind zusammen mit den beiden auf sie folgenden Abschnitten, die Hinweise auf die Deutung der Aussagen enthalten, in Tab. 7.2 wiedergegeben. Um besser auf sie Bezug nehmen zu können, wurden Aussagen und Abschnitte durchnummeriert.
Tab. 7.2
Durch den Bioökonomierat formuliertes bioökonomisches Narrativ (Auszug)116
Abschnitt
Bioökonomie: ein Narrativ
1
Aussage
1
Sie ernährt den Menschen.
2
Sie kleidet ihn.
3
Sie wärmt ihn.
4
Sie bewegt ihn.
5
Sie gibt ihm ein Dach über dem Kopf.
6
Sie pflegt und heilt ihn.
7
Sie verbindet ihn mit der Natur.
8
Und sie entwickelt Lösungen für eine bessere, nachhaltigere Zukunft.
2
Die Natur hat dem Menschen schon immer alles gegeben, was er zum Leben brauchte. Und biobasiert war das Wirtschaften mit natürlich nachwachsenden Rohstoffen wie Holz jahrtausendelang – wenn auch meist zu Lasten der Natur.
3
Bioökonomisch zu denken heißt, die Kreisläufe der Natur zu kennen und für die Energiewirtschaft, die Nahrungsmittel-, Papier- und Textilindustrie oder auch Chemie und Pharmazie nicht nur auszunutzen, sondern auch im Sinne von Umwelt- und Ressourcenschutz zu erhalten. Das erfordert Bioökonomie-Forschung für Innovation
Alle acht Aussagen beziehen sich auf „den Menschen“, sieben davon direkt und die achte, die von seiner Zukunft handelt, indirekt. Der Mensch ist in diesen Sätzen ein Objekt, dem ein handelndes Subjekt, das mit dem Personalpronomen „Sie“ angesprochen wird, etwas Gutes tut. In Bezug auf die Frage, auf wen oder was dieses „Sie“ sich bezieht, entfaltet der Text eine ausgesprochen suggestive Wirkung. Bei einmaligen Lesen haben die ersten sechs Aussagen, zu mindestens bei uns, den Eindruck entstehen lassen, dass mit „Sie“ die Natur gemeint ist. Sie „ernährt“, „kleidet“, „wärmt“, „bewegt“, gibt ein „Dach über den Kopf“ „pflegt und heilt“. Diese Fürsorge kann zwar auch als Kulturleistung verstanden werden, sie wird in der Religion aber auch Gott oder in einem Naturbild, das dem der Stoa gleicht, der Natur zugesprochen. Der Eindruck, dass mit dem fürsorgendem „Sie“ die Natur gemeint sein muss, scheint sich auch im ersten Satz des darauffolgenden Abschnitts zu bestätigen, wo die Natur als Macht beschrieben wird, die „dem Menschen schon immer alles gegeben [hat], was er zum Leben brauchte“. Dieser Eindruck ist jedoch, wie in den Aussagen sieben und acht deutlich wird, falsch. Das „Sie“ kann sich nicht auf die Natur beziehen, da es in Aussage sieben den Menschen mit der Natur verbindet. Mit dem Personalpronomen ist deshalb nicht die Natur, sondern die Bioökonomie gemeint, um die es in dem Narrativ ja auch geht.
Durch den Textaufbau entsteht in Bezug auf die Einordnung der Bioökonomie und die Rolle der Natur eine sonderbare Situation. Die Bioökonomie ist einerseits eine menschliche Wirtschaftsform, verfügt andererseits aber auch über dieselben Eigenschaften wie die Natur. Wie das Narrativ suggeriert, kann sie ihre Vermittlerrolle wahrnehmen, weil sie mit der Natur „wesensgleich“ ist. Der Rat trifft damit eine Aussage, die unseres Erachtens in den Zuständigkeitsbereich der Metaphysik gehört,117 wo sie, je nach Konnotation, der nach dem „Sein“ fragenden Ontologie oder der Theologie zuzurechnen wäre. Wenn wir Theologen wären, würde uns die durch das Narrativ hergestellte Wesensgleichheit zwischen Bioökonomie und Natur wahrscheinlich an die christliche Trinitätslehre erinnern, wo der Glaube an eine Wesensgleichheit ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt.118
Die vom Rat, vielleicht unabsichtlich, formulierte Wesensgleichheit von Natur und Bioökonomie lässt sich aber nicht nur mit der Trinitätslehre in Verbindung bringen, es lassen sich auch Parallelen zum Naturbild der Stoa, insbesondere zur Vorstellung von einem in der Natur verborgenen Logos (Abschn. 4.​3.​1), herstellen. Zur Erinnerung: Der Begriff bezieht sich auf ein göttliches Vernunft- bzw. Weisheitsprinzip, das in der Natur wirkt und alles zu einem großen Ganzen verbindet. Diese Weisheit der Natur wird im dritten Absatz des Narrativs durch das Kreislaufprinzip verkörpert. Wie der Logos es im Denken der Stoa ermöglicht, in Einklang mit der Natur zu leben, erlaubt es das Kreislaufprinzip mit der Bioökonomie, naturnah zu wirtschaften. Im Narrativ der Bioökonomie wird damit ähnlich argumentiert wie in der der Circular Economy zuzurechnenden zweiten Geschichte der PwC-Broschüre (Zitat 3.4, Abschn. 3.​2.​1.​1). Der Kreislauf wird dort als „wesentliches“ Prinzip der Natur beschrieben, das wie im Narrativ der Bioökonomie Mensch und Natur verbindet.
Die beiden Beispiele zeigen, dass in der Kommunikation der Circular Economy und Bioökonomie nicht nur technisch, ökonomisch oder naturwissenschaftlich argumentiert wird, sondern dass zum Teil auch religiös oder weltanschaulich klingende Motive verwendet werden, die suggerieren, die Wirtschaft ließe sich in ein der Natur ähnliches, selbstorganisiertes System verwandeln. Unseres Erachtens rückt diese Argumentation die Circular Economy und Bioökonomie in ein falsches Licht. Bei beiden handelt es sich nicht um Natur, sondern um etwas, das von Menschen organisiert werden muss. Die Vorstellung, beide Wirtschaftsformen wären wie die Natur, hindert uns möglicherweise daran, mit realistischen Zielen an einer nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu arbeiten.
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Fußnoten
1
Braungart und McDonough 2014, S. 123.
 
2
Braungart und McDonough 2014, S. 81.
 
3
„Chaotic self-regulating system“, Stahel 2010, S. 270.
 
4
Braungart und McDonough 2014, S. 124, „natural system“ u. a. Lyle 1994, Pos. 414; Hawken et al. 2000, S. 4.
 
5
U. a. Braungart und McDonough 2014, S. 72, 109, 124.
 
6
„Environment as a system“ Hawken et al. 2000, Introduction.
 
7
„Earth operating system“ Lyle 1994, S. 100.
 
8
„Industrial system“, EMF 2014, S. 15.
 
9
Europäische Kommission 2015b, S. 21, „systemic change“ EMF 2014, S. 11.
 
10
„Systemic answer“ EMF 2014, S. 19.
 
11
BMBF 2010, S. 13.
 
12
Bundesregierung 2020b, S. 19.
 
13
Braungart und McDonough 2014, S. 72, 124.
 
14
Braungart und McDonough 2014, S. 24, 48, 62, 66, 83, 96, 103, 109, 117, 119, 120, 143, 144, 148.
 
15
Braungart und McDonough 2014, S. 33, Die Formulierung findet sich beispielsweise auch bei Bundesregierung 2014, S. 4 f.; Braungart und McDonough 2014, S. 33; EMF 2014, S. 13.
 
16
Braungart und McDonough 2014, S. 35, Die Formulierung findet sich beispielsweise auch bei Bundesregierung 2020b, S. 28 ff.; Europäische Kommission 2012, S. 10; Braungart und McDonough 2014, S. 35.
 
17
Braungart und McDonough 2014, S. 28.
 
18
Braungart und McDonough 2014, S. 38, 76.
 
19
Braungart und McDonough 2014, S. 76.
 
20
Braungart und McDonough 2014, S. 145.
 
21
Braungart und McDonough 2014, S. 124.
 
22
Braungart und McDonough 2014, S. 109.
 
23
Braungart und McDonough 2014, S. 14.
 
24
Environmental Protection Encouragement Agency Internationale Umweltforschung (EPEA).
 
25
EPEA Internationale Umweltforschung GmbH 2023a.
 
26
„Der erste ist der biologische Metabolismus oder die Biosphäre […] Der zweite ist der technische Metabolismus oder die Technosphäre […].“
 
27
Braungart und McDonough 2014, S. 99.
 
28
Braungart und McDonough 2014, S. 33.
 
29
Braungart und McDonough 2014, S. 96.
 
30
Braungart und McDonough 2014, S. 103.
 
31
Braungart und McDonough 2014, S. 96.
 
32
Zum Beispiel „Der Mensch hat schon immer in die Natur eingegriffen und seine Umwelt verändert“, Bundesregierung 2020b, S. 30.
 
33
BMBF 2021a, S. 3, 2014a, S. 2.
 
34
Bundesregierung 2020b, S. 10.
 
35
„Man has been accustoming himself to the notion of the spherical earth and a closed sphere of human activity.“ Boulding 1966.
 
36
Braungart und McDonough 2014, S. 123.
 
37
Bundesregierung 2020b, S. 10.
 
38
Boulding 1966.
 
39
Pauli 2010, S. 2.
 
40
Pauli 2010, S. 10 f.
 
41
Pauli 2010, S. 14.
 
42
„But the annual revenue of every society is always precisely equal to the exchangeable value of the whole annual produce of its industry, or rather is precisely the same thing with that exchangeable value. As every individual, therefore, endeavours as much as he can, both to employ his capital in the support of domestic industry, and so to direct that industry that its produce may be of the greatest value; every individual necessarily labours to render the annual revenue of the society as great as he can. He generally, indeed, neither intends to promote the public interest, nor knows how much he is promoting it. By preferring the support of domestic to that of foreign industry, he intends only his own security; and by directing that industry in such a manner as its produce may be of the greatest value, he intends only his own gain; and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention.“ Smith 1853, S. 184.
 
43
Lotka 1925, S. 250.
 
44
Isenmann 2003, S. 288 zitiert Strebel 2015, S. 2.
 
45
Isenmann 2003, S. 313.
 
46
Frosch 1992, S. 800.
 
47
Bundesregierung 2020b, S. 60.
 
48
Costanza et al. 1997.
 
49
Millennium Ecosystem Assessment 2005.
 
50
Millennium Ecosystem Assessment 2005, S. 27.
 
51
Vergleiche hierzu Isenmann 2003.
 
52
Ayres 2002, S. 49.
 
53
Ayres 1994, S. 23.
 
54
Isenmann 2008, S. 339.
 
55
Isenmann 2003, S. 286 ff., 2008, S. 338.
 
56
Sillanpää und Ncibi 2019, S. 19 beziehen sich auf Stahel 2016.
 
57
Bundesregierung 2020b, S. 27.
 
58
BMBF 2021b, S. 6.
 
59
BMBF 2021b, S. 6.
 
60
BMBF 2021b, S. 24.
 
61
BMBF 2021b, S. 7.
 
62
BMBF 2021b, S. 7.
 
63
Bundesregierung 2014, S. 83.
 
64
„Circular by nature“, Zitat 2.28, Abschn. 2.​4.​1
 
65
Bundesregierung 2020b, S. 14; Vogt 2019; Wagner 2015; Gottwald und Krätzer 2014, S. 12.
 
66
Bundesregierung 2020b, S. 10.
 
67
Bundesregierung 2014, Vorwort.
 
68
Bundesregierung 2020b, S. 40 ff.
 
69
Rosnay 1979, S. 147.
 
70
“Sustainable management of ecosystems, primary production and biodiversity”. Europäische Kommission 2018, S. 90.
 
71
National Research Council 2009, S. 27.
 
72
Bundesregierung 2020b, S. 16.
 
73
BMBF 2021b, S. 6.
 
74
Bundesregierung 2020b, S. 27.
 
75
BMBF 2021b, S. 7.
 
76
“A bioeconomy strategy for Europe: working with nature for a more sustainable way of living”, Europäische Kommission 2013.
 
77
Kiresiewa et al. 2019, S. 130.
 
78
Das Institut wurde von 30 europäischen Staaten gegründet und berät u. a. die Politik in waldrelevanten Themen, EFI 2023.
 
79
“For the first time in human history, we face the emergence of a single, tightly coupled human socio-ecological system of planetary scope.” Aho et al. 2017, S. 5.
 
80
Wolperdinger und Bauernhansl 2021; Spaeth, S. 26 ff.
 
81
Bioökonomierat 2016.
 
82
Europäische Union 2020; Europäische Kommission 2015b.
 
83
Kadner et al. 2021; Weber und Stuchtey 2019.
 
84
Braungart und McDonough 2014, S. 122.
 
85
Abschn. 6.​1.​1
 
86
Braungart und McDonough 2014, S. 109.
 
87
Zitat 2.5 in Abschn. 2.​2.​3
 
88
Lifset und Graedel 2002, S. 3.
 
89
Johanssson 2002, S. 74.
 
90
Garner, Andy und Keoleian 1995, S. 11.
 
91
Jelinski et al. 1992, S. 793 f.; Gößling-Reisemann und Gleich 2008, S. 12; Ayres 1989; Lifset und Graedel 2002, S. 4 ff.; Allenby 1992, S. 48 f.
 
92
Unter anderen Gößling-Reisemann und Gleich 2008, S. 13.
 
93
Toepfer 2011f., S. 737 zeigt eine Darstellung von Berrie 1976, S. 335. Zu beachten ist, dass Berrie im Gegensatz zu Jelinski Beziehungen und keine Stoffflüsse darstellt. „Ein Organismus einer Gruppe, zu der ein Pfeil zeigt, ist durch Organismen der Gruppe, von der der Pfeil ausgeht, in seiner Existenz bedingt.“ (Toepfer 2011 f., S. 737). Hierdurch erklärt sich, warum in der Darstellung von Jelinski Doppelpfeile und in der von Berrie Einzelpfeile verwendet wurden. Die Darstellung von Berrie wurde geometrisch an die Darstellung von Jelinski angepasst.
 
94
Garner, Andy und Keoleian 1995, S. 2.
 
95
Spiegelman 2003; Ehrenfeld 2003.
 
96
Potthast 2017, S. 214.
 
97
Stahel 2010, S. 271.
 
98
Isenmann 2003, S. 24 f., 286 ff., 311 ff.
 
99
Isenmann 2003, S. 26 bezieht sich hier auf den auf den Philosophen Reinhard Löw.
 
100
Graupe 2016, 22 f.
 
101
Isenmann 2008, 334 f.
 
102
Auch in der Industriellen Ökologie finden sich beide Perspektiven. Ihre Akteurinnen und Akteure wenden Ökosystemmodelle an, um zu verstehen, wie industrielle Systeme funktionieren. Umgekehrt dienen ihnen aber auch Ökosystemmodelle als Vorbild für industrielle Systeme. Bauer 2008, S. 266.
 
103
„This broad description of the content of industrial ecology can be made more concrete by examining core elements or foci in the field: the biological analogy […].“ (Lifset und Graedel 2002, S. 4)
 
104
Leinfelder 2021, S. 72.
 
105
Der Titel seines Artikels lautet „Denkt endlich in Kreisläufen!“ Leinfelder 2021.
 
106
Leinfelder 2021, S. 70 f.
 
107
Leinfelder 2021, S. 66.
 
108
Braungart und McDonough 2014, S. 135.
 
109
Allenby und Cooper 1994, S. 344 f.
 
110
Vergleiche auch Ayres 2004, S. 430 f.
 
111
Tierchenwelt.de 2023.
 
112
Vgl. Ayres 2004, S. 432; Sprenger 2019, S. 369 f.
 
113
Vgl. Ayres 2004, S. 425.
 
114
Weber 2020, S. 22.
 
115
Bioökonomierat 2016, S. 4.
 
116
Bioökonomierat 2016, S. 4.
 
117
Anzenbacher 2010, S. 53.
 
118
Zu nennen sind hier die Konzile von Nicäa und Chalcedon, die im 4. und 5. Jahrhundert Wesensgleichheit (Homousie) zwischen dem Christus, d. h. dem Sohn und Gottvater, formulierten, Dürnberger 2020, S. 289 ff.
 
Metadaten
Titel
Circular Economy und Bioökonomie: Weltbild und Weltanschauung
verfasst von
Thomas Marzi
Manfred Renner
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-68230-2_7