Das „wicked problem“ der Sozialrobotik besteht im Umgang mit schwer standardisierbaren, mehrdeutigen Phänomenen wie sozialen Interaktionen, die auf verlässlich messbare und rechentechnisch abbildbare Werte gebracht werden müssen. Zudem zeichnet sich mit Blick auf die „imaginaries“ ein Bild von Roboterentwicklung als ein in mannigfaltige kulturelle und soziale Instanzen eingelassenes Ensemble, das über vermeintlich ‚rein‘ technische oder wissenschaftliche Fragen weit hinausgeht. Die spannende Frage ist, wie die Entwicklerinnen und Entwickler mit diesen beiden zuvor dargestellten epistemischen Bedingungen umgehen.
Der empirische Schlüssel dafür sind die beobachtbaren lokalen Praktiken der Sozialrobotik, die gleichzeitig immer als durch materielle, institutionelle und symbolische Umstände vermittelt verstanden werden müssen: So ist die Entscheidung eines Post-Docs für die experimentell begründete Auswahl einer bestimmten Roboterbegrüßungsgeste nicht ohne dessen Wissen um hinreichend gute Signifikanzen quantitativer Daten für die Akzeptanz von Forschungspublikationen in seinem Feld verstehbar (Bischof
2017, S. 225 ff.). An diesem Beispiel zeigt sich der Vorteil einer praxeologischen Laborstudie: Durch sie lassen sich in der offiziellen Selbstdarstellung der Sozialrobotik unsichtbare Praktiken sichtbar machen – und auf ihre erkenntnistheoretischen Grundlagen befragen. Das ist insbesondere für Robotik wichtig, da sehr viele arbeitsteilige, komplizierte Arbeitsschritte zwischen dem Entwurf, der Fertigung und Evaluation eines Roboters nötig sind, die notwendigerweise nicht alle zu gleichen Teilen in einem Forschungsaufsatz oder Selbstzeugnis aus dem Feld der Robotik dargestellt werden können.
Im Folgenden werden drei auf diese Art erforschte Gruppen
epistemischer Praktiken dargestellt, die für die Sozialrobotik typisch sind (Bischof
2017, S. 213–268). Mit dem Begriff „epistemische Praktiken“ sind in diesem Zusammenhang Tätigkeiten gemeint, die mit dem dargestellten „wicked problem“ produktiv umgehen, die Forscherinnen und Forscher also auf dem ein oder anderen Weg in die Lage versetzen, ihre Maschinen besser für soziale Welten verfügbar zu machen, oder umgekehrt. Sie beschreiben nicht die einzelnen Versuchsanordnungen der Laboratorien oder individuelle Vorstellungen von ‚guter‘ Mensch-Roboter-Interaktion innerhalb eines Forschungsteams, sondern die Wechselspiele zwischen der Forschungs- und Entwicklungspraxis und den Alltagswelten, in denen die Roboter eingesetzt werden sollen.
2.3.1 Laboratisierende Praktiken
Schon aus Sicherheitsgründen ist eine naheliegende Strategie, mit den Unwägbarkeiten von (Robotern in) sozialen Welten umzugehen, diese in die kontrollierten Bedingungen eines Labors zu überführen. Paradigmatisch steht dafür das Laborexperiment, bei dem unter Ausschluss von Umwelteinflüssen ein oder mehrere Faktoren gezielt auf ihre Effekte getestet werden können. Die Kontrollierbarkeit der Mensch-Roboter-Interaktion ist das zentrale Ziel. Der Erfolg dieser Strategie hat in der Sozialrobotik zur Vorherrschaft des quantitativen Laborexperiments als wichtigstem wissenschaftlichen Gütekriterium geführt (Bischof
2015). Die Fixierung auf diese psychologische Methode hat auch zu Identitäts- und Machtkonflikten im interdisziplinären Feld geführt, die heute noch auf Konferenzen oder in Gutachten für Artikel und Anträge zu beobachten sind. In die Worte eines eher ingenieurwissenschaftlich geprägten Forschers gefasst lautet er: „Bauen wir Roboter, um Experimente zu machen, oder machen wir Experimente, um Roboter zu bauen?“ (ebd.; Bischof
2017, S. 214–216)
Der Erfolg der Laborexperimente erscheint auch vor dem Hintergrund des eigentlichen Ziels, Roboter in realen Welten zum Funktionieren zu bringen, kontraintuitiv. Auf forschungspraktischer Ebene erklärt sich ihr Erfolg auch in der besseren Handhabbarkeit: Die Instrumente und Praktiken der Laboratisierung ermöglichen eine Beschreibung von Mensch-Roboter-Interaktion in quantitativen Werten, die (scheinbar) leichter rechentechnisch für die Steuerung der Maschinen weiterverwendbar sind. Das lässt sich am Beispiel der Operationalisierung von Emotionen mit der Methode FACS gut zeigen.
Emotionen haben als Faktor zur Gestaltung sozialer Roboter eine lange Tradition (z. B. Breazeal
2003). Einerseits wurde daran gearbeitet, Roboter durch vorgegebene oder selbst ‚wahrgenommene‘ Faktoren emotionale Zustände ausdrücken lassen zu können. Um das zu erreichen, wird aus einem Set von Grundemotionen, wie Freude oder Furcht, ein mehrdimensionaler Raum aufgespannt, in dem dann künstliche Gefühlszustände berechnet werden können (Becker-Asano und Wachsmuth
2008). Wenn es andererseits darum gehen soll, Emotionen in Experimenten zur Mensch-Roboter-Interaktion zu messen, muss die epistemische Strategie umgekehrt werden: Der mathematischen Erzeugung muss eine quantifizierende Messung zur Seite gestellt werden. Das geschieht z. B. durch Multiple-Choice-Fragebogen für menschliche Probandinnen und Probanden, die, konfrontiert mit Bildern und Videos von Robotern, ihre Gefühle einschätzen sollen (z. B. Rosenthal-von der Pütten et al.
2013). Das Facial Action Coding System (FACS) geht einen Schritt weiter, indem es Gefühle menschlicher Probanden direkt im Experiment aufzeichnet.
FACS geht auf den US-amerikanischen Psychologen Paul Ekman zurück (Ekman und Friesen
1976). Es basiert auf der Annahme, dass Mimik und Emotionen anthropologisch universell sind. Mimik sei gewissermaßen ein Gesichtsaffektprogramm, das direkter Ausdruck der Emotionen eines Menschen ist. Mittels FACS werden die Bewegungen der 98 Gesichtsmuskeln in 44 sogenannten „Action Units“ kodiert, die wiederum den Grundemotionen zugeordnet sind. Dies, so die Annahme, ermögliche den Schluss auf die hinter dem Ausdrucksverhalten liegenden Befindlichkeiten. Die Zuordnung der Gesichtsausdrücke (leicht gekräuselte Nasenwurzel, gehobene/gesenkte Mundwinkel, Augenbrauen etc.) basiert auf Datenbanken mit zehntausenden Bildern von Gesichtsausdrücken aus interkulturellen Vergleichsstudien. Es wird empfohlen, dass zwei Coder unabhängig voneinander die Videosequenzen nach diesem Schema bewerten, um ein reliables Ergebnis zu erhalten.
Die Zurechnung von Emotionen anhand des Gesichtsausdrucks ist in einer standardisierten Forschungslogik durchaus plausibel. Experimente mit FACS versuchen, subjektive Verzerrungen zu minimieren und ein komplexes Phänomen wie „Emotion“ auf überprüfbare und reproduzierbare Maße einzugrenzen. Allerdings werden die damit einhergehenden epistemischen Implikationen selten reflektiert. Neben handwerklichen Fragen zur Durchführung
3 betrifft das vor allem die erkenntnistheoretische Gefahr der Verwechslung des Forschungsinstruments mit dem eigentlichen Erkenntnisobjekt – den tatsächlichen Gefühlen von Menschen gegenüber Robotern. FACS erfasst nicht das
Erleben einer Emotion, was für die allermeisten Menschen den wesentlichen Inhalt der Bedeutung des Wortes darstellt. Dieser Hinweis scheint vielleicht zunächst trivial. Aber genau der damit einhergehende reduktionistische Fehlschluss lässt sich im Umgang mit den Ergebnissen aus dieser Methode beobachten: Es werden Standbilder oder Videos vorgeführt, auf denen per Einblendung die annotierten Muskelgruppen farbig markiert sind. Die anhand dieser mimischer Mikrosequenzen erzeugten Werte und deren statistische Analyse werden dann in einem Graphen abgetragen, um zu belegen, dass bestimmte Begrüßungsformen dem Nutzer gefallen, ihn ängstigen etc. (Bischof
2017, S. 217–220). FACS sammelt zweifelsohne empirische Hinweise für solche Aussagen; es bleibt aber ein Instrument der Messung und nicht das eigentliche Erkenntnisobjekt. Auf das tatsächliche Gefühl und die Akzeptanz des Nutzers lässt sich von diesen laboratisierten Bedingungen – zumal ohne den Kontext der angestrebten Nutzung – nicht ohne weiteres schließen. Das vorgestellte Testsetting ist nicht der zu vermessenden Mensch-Roboter-Interaktion in realen Welten entnommen, sondern vielmehr ein Vorgehen eigener Logik. FACS ist eine technische Konfiguration eines sichtbaren Ausschnitts von Emotionen. Es ist eine wissenschaftliche Analysemethode, die in einem Laborsetting aus Kameras, Software und menschlicher Interpretation besteht. Diese Laboratisierung abstrahiert von Emotionen als Erfahrungen von Subjekten auf die regelgeleitete Hervorbringung von „Emotionen“ als an der Körperoberfläche ablesbarem Wert.
An diesem Beispiel wird deutlich, worauf Laboratisierungen als epistemische Praxis antworten: Sie sind als Reaktion auf die „complexity gap“ (Meister
2014, S. 119) zwischen alltäglichen Lebenswelten und sozialen Robotern zu verstehen. Sie sind Mittel zur Reduktion von Komplexität und Kontingenz sozialer Situationen. Solche Komplexitätsreduktionen sind (nicht nur) für Sozialrobotik notwendig. Problematischer als die notwendige Komplexitätsreduktion selbst ist die mangelnde Trennung zwischen den Instrumenten der Messung, wie FACS, und dem eigentlichen Erkenntnisobjekt, hier emotionaler Qualität in der resultierenden Mensch-Roboter-Interaktion. Der Grad der Adäquanz von Laborexperimenten mit FACS für die Mensch-Roboter-Interaktion in konkreten sozialen Situationen ist daher zunächst vollkommen unklar.
Eine gelingende Mensch-Maschine-Symbiose in echten sozialen Welten wäre allein durch epistemische Praktiken der Laboratisierung also nicht adäquat erforsch- und modellierbar. Die Konstrukteurinnen und Konstrukteure sozialer Roboter erfahren diese Begrenzung selbst und verfolgen daher auch eine epistemische Strategie, die als Gegengewicht fungiert. Viele Forschende in der Sozialrobotik sind nämlich ausgesprochen gute Beobachterinnen und Beobachter von sozialen Welten und besitzen Erfahrungen und Fähigkeiten, die sie zur Übersetzung zwischen sozialen Situationen und sozialen Robotern einsetzen. Diese Gruppe alltagsweltlicher epistemischer Praktiken wird allerdings beinahe nie Gegenstand der offiziellen Selbstdarstellungen des Felds, was sie sehr spannend macht.
Die alltagsweltlichen epistemischen Praktiken der Sozialrobotik finden in der Regel außerhalb des Labors statt, zum Beispiel auf Universitätsfluren, bei einem „Tag der offenen Tür“ oder auch im heimischen Wohnzimmer. Anders als bei Laborexperimenten werden die Forschenden hier selbst zum Instrument. Die wesentliche Ressource dieser typischen Erkenntnisform sind ihre eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Diese alltagsweltlichen Erkenntnispraktiken sind teilweise tief in biografischen Erlebnissen und Räsonierweisen der Forschenden selbst verankert – was sie einerseits wirksam und andererseits schwer beobachtbar macht. Wie und wieso diese für die Entwicklung von sozialen Robotern so wichtig werden, erzählen die Forschenden meist selbst, wenn man sie nach ihrem Weg in die Sozialrobotik fragt (Bischof
2017, S. 231–239; Bischof
2021).
Forschende verweisen auf eigene Erlebnisse als konstitutiv für ihr Interesse an sozialen Robotern. Zum einen handelt es sich bei diesen Erlebnissen um Ankerpunkte der eigenen Forscherbiografie, die als die weitere Entwicklung bis zum Punkt des Interviews entscheidend prägend wahrgenommen wurden. Zum anderen werden solche persönlichen Schlüsselmomente auch bei anderen Gelegenheiten wie in der Lehre oder einem Pausengespräch als beispielhafte Analogie für Mensch-Roboter-Interaktion herangezogen. Eine Postdoktorandin an einer Robotikfakultät beispielsweise beschrieb mir ihren Weg ins Feld der Sozialrobotik als vorgezeichnet durch ein Sommerpraktikum, bei dem sie ein robotisches Ausstellungsobjekt für eine Konferenz technisch vor Ort betreute. Es handelte sich um einen Roboterwurm aus Glasfaserröhrchen, der unterstützt von wechselnder Beleuchtung einen Rhythmus aus Aktivität und Ruhe vollzog. Faszinierend sei für sie dabei nicht nur die technische Arbeit an der Maschine gewesen, sondern:
I got to watch all the people coming through the conference interacting with the system without needing really explanation […] so for me I got into robots by building them but also by
seeing people interact with them. (Bischof
2017, S. 237, Hervorhebung AB)
Durch die Beobachtung von Menschen, die die Installation zum ersten Mal sahen, wurden der Forschenden die Wirkung der Installation auf Betrachtende erlebbar und somit erstmals bewusst. Die meisten Forschenden erklärten mir die besondere Eindrücklichkeit solcher Erlebnisse damit, dass die Qualität der Interaktion im Kontrast zur Ingenieursperspektive stehe (ebd., S. 235–236). Es handelt sich bei diesen Erlebnissen um die protoethnografische Beobachtung anderer Beobachter, die die Maschinen – zu denen die Forschenden oftmals eher eine alltagspraktische Hassliebe als widerständige Objekte haben – ganz anders wahrnehmen als sie selbst. Allerdings ist das eine sehr intuitive Form der teilnehmenden Beobachtung, die zumeist in Alltagsbegriffen und -kategorien verbleibt. Als epistemische Praktiken werden sie meist nicht schriftlich dokumentiert – obwohl sie durchaus gezielt aufgesucht und hergestellt werden können. So hat eine der prominentesten und meistzitierten Forscherinnen in der Sozialrobotik eine einfache Alltagsheuristik etabliert, um zu bewerten, ob ihre Roboter gut sind: Sie nehme jeden ihrer Prototypen für einen Nachmittag mit nach Hause, damit ihre Kinder damit spielten. An ihren Reaktionen, der Dauer und der Intensität der Beschäftigung mit der Maschine könne sie mittlerweile recht gut abschätzen, wie erfolgreich die angestrebte Mensch-Roboter-Interaktion verlaufen werde (ebd., S. 248).
Diese Form von pragmatischem Alltagsexperiment ist kein Einzelfall. Ein anderer Forscher in den USA erwähnte mir gegenüber, dass er für ein laufendes Projekt „für eine Weile Fahrstuhl gefahren“ sei (ebd., S. 244–245). Er sei dafür einen Tag lang Menschen durch das Universitätsgebäude gefolgt, „but that wasn’t really a scientific experiment“ (ebd., S. 245). Der epistemische Wert der Aktivität habe darin bestanden, den Raum bearbeitbarer Probleme einzugrenzen, um den weiteren Verlauf des Projekts zu bestimmen. Interessant ist dabei die der Methode zugeschriebene Nützlichkeit für den jetzigen Stand des Projekts. In diesem soll ein Roboter über die Universitätsflure fahren und dabei noch näher zu definierende Ausgaben ausführen. Die vom Forscher angewendete Heuristik ist dabei explorativ und typisch für alltagsweltliche epistemische Praktiken: Schauen wir einfach, wie die Leute es machen! Der protoethnografische Ausflug war also auf einen schnellen und pragmatischen Erkenntnisgewinn ausgelegt und zielte zudem auf einen bereits stark eingegrenzten Ausschnitt des beobachtbaren Verhaltens. In dieser Fokuslegung kommt auch eine das Ergebnis strukturierende These zum Ausdruck: In diesem Fall lautet sie, dass den Wegen der Menschen im Gebäude und den technischen Tasks von Robotern ähnliche Ziele zugrunde liegen.
Dennoch ist diese alltägliche Form der Beobachtung als epistemisch zu bezeichnen. Ihre Wirksamkeit geht über das Kollegengespräch hinaus, sie bestehen in einer (oftmals gezielten) Auseinandersetzung mit bestimmten Ausschnitten von Alltagswelt, um den eigenen sozialen Roboter – oder die Grundlagen seines Funktionierens – anders zu verstehen als durch ein Laborexperiment. Diese Alltagsförmigkeit verweist wiederum auf die besondere Natur des Gegenstands der Sozialrobotik, der eben nicht nur in der Komplexitätsreduktion laboratisierender Praktiken erfasst werden kann. Die alltagsweltlichen epistemischen Praktiken nehmen selbstverständlich ebenfalls Reduktionen vor. Sie finden aber in derselben Sinnprovinz wie die sozialen Gegenstände statt, was eine Integration ihrer Komplexität und Kontingenz zumindest auf der Ebene der Handlungsprobleme der Forschenden ermöglicht.
Die alltagsweltlichen Erkenntnispraktiken sind lokal, sie finden an ‚echten‘ Orten statt. Sie betrachten (Mensch-Roboter-)Interaktion als in einen bestimmten sozialen Kontext integriert statt isolierend. Die alltagsweltlichen Erkenntnisobjekte besitzen dabei auch eine (oft als Störung auftretende) Eigenperformanz. Sie werden nicht in formalisierten Zeichensystemen festgehalten, sondern eher mündlich mit Kolleginnen und Kollegen besprochen. Die Akteure dieser Praktiken sind die Forschenden selbst, die beobachten, interpretieren und Heuristiken verwenden. Die Beobachteten tauchen aber ebenfalls als sinnförmig Handelnde auf. Die alltagsweltlichen epistemischen Praktiken sind allerdings idiosynkratisch in dem Sinne, dass sie nicht methodisch kontrolliert werden. Ihr epistemischer Wert besteht darin, den Raum bearbeitbarer Probleme einzugrenzen, um auf eine wissenschaftliche Fragestellung hinzuarbeiten, oder sich für Designentscheidungen inspirieren zu lassen.
2.3.3 Inszenierende Praktiken
Forschende in der Sozialrobotik besitzen Routine darin, ihre Maschinen zu präsentieren. Die Anlässe dafür sind verschieden, stehen jedoch meist im Zusammenhang mit dem Werben für die eigene Forschung. Einen häufigen Anlass bieten professionelle Kommunikationsmaßnahmen der Institution, an der das Labor beheimatet ist. Robotikgruppen bekommen oft den Auftrag, eine Vorführung vorzubereiten, da das Interesse an Robotern allgemein hoch ist. Roboter werden auch genutzt, um potenzielle Studierende für Studiengänge zu interessieren. Wettbewerbe wie „Jugend forscht“ oder die schulischen „Science Fairs“ in den USA sind ebenfalls ein beliebtes Umfeld zur Vorführung robotischer Fähigkeiten außerhalb eines Forschungskontexts. Diesen Vorführungen kommt auch eine zentrale epistemische Qualität zu, da die Forschenden hier nicht einfach Roboterverhalten wie im Labor, mit all seinen Abbrüchen und Neustarts, oder wie in realen Nutzungssituationen, die ja nicht auf einer Bühne funktionieren, abbilden können. Sie müssen stattdessen eine Auswahl von möglichem Roboterverhalten treffen und dieses auch mit darstellerischen Mitteln wie Musik, Erzählung oder sogar eigenen Schauspieleinlagen rahmen.
Empirische Studien zeigen, dass die Interaktion mit Robotern ganz wesentlich auf der kulturellen und interaktiven Situierung durch Menschen beruht (Alač et al.
2011; Muhle
2018; Pentzold und Bischof
2019). Kein sozialer Roboter funktioniert ohne explizite Eingriffe und Einweisungen einer anwesenden dritten Person oder vorbereitete Weichenstellungen, bspw. durch eine Manipulation des Einsatzorts, durch Abspielen voraufgezeichneten Verhaltens oder einfach durch die populär-kulturell vermittelten Erwartungen an eine Roboterinteraktion auf Seiten der Betrachter. Erst durch diese Formen der Einbettung werden Roboter in sozialen Situationen überhaupt interaktionsfähig. Der analytische Blick auf inszenierende Praktiken in der Sozialrobotik zeigt, dass es sich dabei um eine zentrale epistemische Qualität handelt.
Die offensichtlichste Form der Inszenierungen von sozialen Robotern ist die menschenähnliche Gestaltung der Maschinen. Die allermeisten sozialen Roboter haben ein humanoides Aussehen mit Torso und Extremitäten und einem gesichtsähnlichen Fokuspunkt, der durch Ausdrucksmodalitäten wie rudimentärer Mimik oder Augenbewegungen als zentrale Schnittstelle zur Interaktion dienen soll. Hinzu kommt, dass soziale Roboter im Forschungs- und Präsentationskontext immer einen eigenen Namen erhalten und damit subjektiviert werden. Eine oftmals geäußerte Begründung dafür lautet, dass es für Menschen somit einfacher sei, mit dem Roboter zu interagieren. Empirische Untersuchungen zeigen dagegen, dass die durch menschenähnliche Gestaltung erzeugte Erwartung gemessen an den Fähigkeiten der Maschinen eher zu Interaktionsabbrüchen führt (Krummheuer
2010; Lindemann und Matsuzaki
2017; Muhle
2019).
Noch weiter verbreitet als eine menschenähnliche Gestaltung ist das Erstellen von Filmclips zur Demonstration von Roboterverhalten. Beinahe jedes Robotik-„Lab“ produziert solche Videos, um die Tauglichkeit seiner Maschinen zu zeigen. Hierbei wird ein technisch bereits realisiertes oder auch erst noch zu erreichendes Roboterverhalten teils durch Fernsteuerung oder computergrafische Manipulation erzeugt und als Videoclip beispielsweise auf YouTube zirkuliert. Die Rolle solcher Clips ist sowohl für den spielerischen Ausdruck der Identität der Forschenden (Both
2015) als auch die Erzeugung von Erwartungen bei der breiteren Öffentlichkeit und Stakeholdern wie Krankenkassen (Winthereik et al.
2008) nicht zu unterschätzen. Solche Videos sind aber nicht nur persuasive Wissenschaftskommunikation, sie spielen auch für die Erkenntnispraktiken innerhalb der Robotik eine wichtige Rolle: Innerhalb einer Forschungsgruppe werden auch die Videos anderer Forschungsgruppen angeschaut und bewertet. Dabei werden die Videos auf kritische Zeichen der Inszenierung, wie Schnitte oder Beschleunigung, hin untersucht (Bischof
2017, S. 259–263). Dazu gehört auch das Wissen darüber, wie der Blick des Betrachters durch technische, filmische und symbolische Mittel gelenkt werden kann. Es besteht also nicht nur ein Wissen darüber, wie man Roboterverhalten gut inszeniert, sondern auch, wie man eine solche Inszenierung dechiffriert – als Form impliziter
peer-review.
Die Beliebtheit von Videoclips sozialer Roboter zeigt sich über Demovideos hinaus in (halb-)dokumentarischen Formaten mit Roboterverhalten und Interview- oder Sprechersequenzen der Forschenden. Diese Videoclips sind ebenfalls eher kurz (typischerweise zwischen drei und fünf Minuten) und versuchen Roboterverhalten unmittelbar und affektiv darzustellen. Diese Eigenschaft wirkt besonders im Kontakt mit technischen Laien wie Forschungsförderern, Journalisten oder avisierten Nutzergruppen. Suchman (
2014) hat den Charakter dieser Videos näher beschrieben: Indem Clips von Roboterfähigkeiten an übergreifende Narrative anknüpfen und technisch noch nicht mögliches Roboterverhalten simulieren, stimulieren sie ihr Publikum im Hinblick auf das Potenzial von Robotik.
Like other conventional documentary productions, these representations are framed and narrated in ways that instruct the viewer what to see. Sitting between the documentary film and the genre of the system demonstration or demo, the videos create a record that can be reliably repeated and reviewed in what becomes a form of eternal ethnographic present. These reenactments thereby imply that the capacities they record have an ongoing existence – that they are themselves robust and repeatable. (Suchman
2007, S. 237–238)
Suchman verdeutlicht hier die problematische Tendenz, dass immer wieder abrufbare Clips ein vielleicht nur einmal und kurzfristig gezeigtes Verhalten entzeitlichen. Dieses Problem besteht bei vielen Demovideos in der Robotik: Sie führen Roboterverhalten nur scheinbar neutral vor. Sie beschleunigen oder verlangsamen Bildsequenzen, sie schneiden Szenen zusammen, verstärken Wirkungen durch Musik, erklären Funktionen durch Sprechertext und schließen an Narrative und Charaktere aus Filmen und Science-Fiction-Büchern an. Mit diesen audiovisuellen Inszenierungen kreieren sie das Setting, vor dem die (geplante) Funktionsweise des sozialen Roboters besonders gut sichtbar werden soll.
Im Hinblick auf die dabei verwendete Rhetorik einer besseren Zukunft sind einige Analysen der symbolischen Settings von Demovideos unternommen worden. Suchman (
2014) analysiert das Werbevideo für den sozialen Heimassistenten Jibo, Schulte und Graf (
2020) den sozialen Heimassistenten Moxie. Die Analysen zeigen, wie sehr spezifische Ausschnitte von wünschenswertem Verhalten herangezogen werden, um die Roboter als tauglich darzustellen – und welche Aspekte sozialer Realität dabei stillschweigend nicht thematisiert werden (in den zitierten Beispielen sind es die Rollen von Klasse, Hautfarbe und Vorstellungen guter Familie).
Die Inszenierungen von Roboterverhalten in Livedemonstrationen, Demovideos oder experimentellen Anordnungen sind eine spezifische Form der Expertise, die in der Sozialrobotik weit verbreitet ist. Zur praktischen Erkenntnisweise werden sie dadurch, dass sie das Bild von sozialen Robotern und deren Fähigkeiten aktiv gestalten. Dabei werden vor allem die Eigenschaften inszeniert, die die Maschinen selbst nicht generieren können: soziale Situiertheit, symbolische Eingebundenheit, Subjektivität und Historizität. Dadurch wird das Erkenntnisobjekt Mensch-Roboter-Interaktion einerseits gestalterisch hervorgebracht, andererseits werden zukünftige Nutzungssituationen und Nutzer und Nutzerinnen beeinflusst. Die Sozialrobotikforschung schafft die Bedingungen, unter denen Mensch-Roboter-Interaktion denkbar und messbar wird, durch Praktiken der Inszenierung nicht unwesentlich selbst. Eine wichtige Funktion dieser Inszenierungen ist dabei die Erweiterung und Ermöglichung der wissenschaftlichen Fähigkeiten der Sozialrobotik. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Mystifizierung der Maschinen in einer Umkehrung des erkenntnistheoretischen Verhältnisses dieser Forschung zu ihren Gegenständen: Sozialrobotik läuft Gefahr, ihre eigenen Inszenierungen zu erforschen, wenn die Ergebnisse der inszenierenden Praktiken nicht methodisch von den expliziten Praktiken der Wissenserzeugung, wie etwa den Laborexperimenten, getrennt werden.