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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 6/2022

Open Access 27.10.2022 | Schwerpunkt

Die elektronische Patientenakte als zentraler Bestandteil der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen – Eine Analyse von Akzeptanzfaktoren aus Patientensicht

verfasst von: Kevin Kus, Patricia Kajüter, Tim Arlinghaus, Frank Teuteberg

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 6/2022

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Zusammenfassung

Der demografische Wandel sowie der Fachkräftemangel in der medizinischen und pflegerischen Versorgung stellen das deutsche Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Die elektronische Patientenakte (ePA) als zentraler Bestandteil der Digitalisierung im Gesundheitswesen soll dabei helfen, den Datenaustausch zwischen den beteiligten Akteuren zu vereinfachen, Leistungserbringer zu entlasten und gleichzeitig die Datenhoheit beim Patienten zu belassen. Neben benötigten IT-Spezialisten ist die Akzeptanz der beteiligten Akteure, die insbesondere die Leistungserbringer und Patienten umfassen, von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Adoption der ePA. In unserer Analyse beleuchten wir insbesondere die Faktoren, die auf die Nutzungsabsicht der ePA aus Sicht der Patienten einwirken, von denen bisher nur sehr wenige die ePA verwenden. Nach einer initialen Erläuterung der ePA und dem Einbezug relevanter Literatur werden 16 semistrukturierte Interviews mit Patienten durchgeführt, um wichtige Praxiserkenntnisse der (potenziellen) Nutzer zu erhalten. Darauf aufbauend wird ein Kategoriensystem von Akzeptanzfaktoren, die die Nutzung der ePA aus Patientensicht beeinflussen, entwickelt. Es lassen sich sechs Akzeptanzfaktoren identifizieren: (1) Informationsstand, (2) Gewohnheiten und normative Einflüsse, (3) Datenschutz, (4) Anwenderfreundlichkeit, (5) Medienkompetenz sowie (6) Funktionalitäten. Aus den Analyseergebnissen werden Handlungsempfehlungen für die ePA-Anbieter abgeleitet, die zu einer größeren Akzeptanz der ePA aus der Patientenperspektive führen können. Unser Forschungsvorhaben leistet einen wichtigen Beitrag dazu, welche Faktoren bei der Entwicklung und Bereitstellung der ePA aus Sicht der Patienten zu beachten sind und wie potenzielle Probleme dieser Nutzergruppe gelöst werden können.

1 Relevanz der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen

Der demografische Wandel mit einer stetig alternden Gesellschaft in Kombination mit einem Mangel an Fachkräften stellt das deutsche Gesundheitswesen vor große Herausforderungen (Treviranus et al. 2021). Für die Lösung der damit verbundenen Probleme ist die Digitalisierung von zentraler Bedeutung, um den Datenaustausch zwischen den beteiligten Akteuren zu vereinfachen und ressourceneffizienter agieren zu können. Wenn folglich die Digitalisierung zur Erleichterung der Datenerfassung und des -austauschs beitragen kann, wird dem Personal mehr Zeit für die Kernkompetenzen der gesundheitlichen Versorgung zur Verfügung stehen. In diese Überlegungen sind insbesondere die Patienten selbst einzubeziehen, die durch die Verwendung neu entwickelter digitaler Lösungen einen Beitrag zu einem qualitativ besseren und effizienteren Gesundheitswesen leisten können. In internationalen Vergleichen zum Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen liegt Deutschland jedoch deutlich hinter den meisten anderen Ländern zurück (Bertelsmann Stiftung 2018; Messal et al. 2021). Dies zeigt, dass sich hierzulande die Digitalisierung im Gesundheitswesen trotz groß angelegter Initiativen wie dem Aufbau der Telematikinfrastruktur (TI) nur zögerlich entwickelt.
Dabei spielt die Akzeptanz der beteiligten Akteure, die insbesondere die Leistungserbringer und Patienten umfassen, eine entscheidende Rolle für die erfolgreiche Adoption der jeweiligen IT-Lösung. In unserer Analyse fokussieren wir uns auf ein Kernelement der Digitalisierung im Gesundheitswesen, die 2021 eingeführte elektronische Patientenakte (ePA). Gesetzliche Krankenkassen müssen ihren Versicherten seit Anfang 2021 die ePA kostenlos als App zur Verfügung stellen, wobei die Nutzung durch die Versicherten freiwillig ist (BMG 2021a). Bisher wird die ePA allerdings nur von weniger als 1 % der gesetzlich Versicherten in Deutschland in Anspruch genommen (Bayerische Staatsregierung 2022). Dies führt zu folgenden Forschungsfragen:
FF1:
Welche Faktoren haben aus Patientenperspektive einen Einfluss auf die Nutzungsabsicht der ePA?
FF2:
Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, damit die Akzeptanz für die ePA aus Patientenperspektive erhöht wird und folglich mehr Versicherte in Deutschland die ePA nutzen?
Nach einer Erläuterung der ePA und der Zusammenfassung relevanter Literatur werden 16 semistrukturierte Interviews mit Patienten als zentraler Analysebestandteil durchgeführt. Darauf aufbauend werden Akzeptanzfaktoren für die Nutzung der ePA identifiziert und analysiert. Durch die Analyseergebnisse wird ein Rahmenkonstrukt von Handlungsempfehlungen gebildet, durch deren Umsetzung die Akzeptanz und Nutzungsabsicht der ePA aus der Patientenperspektive erhöht werden. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammengefasst und ein Ausblick für zukünftige Forschung gegeben.

2 Grundlagen und Hintergrund

2.1 Die elektronische Patientenakte, ihre Funktionalitäten und rechtliche Hintergründe

Bei der ePA handelt es sich um eine digitale Anwendung in Form einer elektronischen Akte, in der Patienten ihre Gesundheitsdaten selbstständig ablegen oder von behandelnden Ärzten einstellen lassen können und die für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherungen kostenlos zur Verfügung steht (BMG 2021a). Die Bereitstellung der ePA im Rahmen der TI-Entwicklung ist für die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen von zentraler Bedeutung. In der ePA werden alle wichtigen Informationen zum Gesundheitszustand und zur Krankenhistorie eines Patienten gespeichert. Dies beinhaltet u. a. Befunde, Diagnosen, Gesundheitspässe, Arztbriefe, Laborberichte und Therapie- sowie Medikamentenpläne oder Patientenverfügungen (vgl. Abb. 1). Im Fokus steht dabei die zeit- und ortsunabhängige sowie transparente und interdisziplinäre Bündelung gesundheitsrelevanter Informationen über die Grenzen von Praxen und Krankenhäusern hinweg (KBV 2022). Die ePA stellt eine Vernetzungsmöglichkeit dar, welche es ermöglicht, die dezentralen Systeme der verschiedenen Leistungserbringer wie bspw. Ärzte, Apotheken, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser durch die TI zu einem Kommunikationsverbund zu aggregieren (Kolain und Molavi 2019). Der Patient behält stets die Datenhoheit, da es ihm obliegt zu entscheiden, welche Daten er welchen Leistungserbringern zur Verfügung stellt. Ausschließlich Akteure, die über einen elektronischen Heilberufsausweis verfügen und dadurch qualifiziert sind, Teil dieses Kommunikationsverbundes auf Seiten der Leistungserbringer zu sein, können an die TI angeschlossen werden.
Im Jahr 2015 wurde das E‑Health-Gesetz verabschiedet und damit der Grundstein für die Einführung der ePA gelegt. Im Wesentlichen soll das Gesetz den Aufbau einer sicheren TI gewährleisten und die Entwicklung digitaler Anwendungen, wie der ePA, beschleunigen (BMG 2022). Nach Einführung des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, welches beispielsweise die Einführung des elektronischen Rezeptes (eRezept) regelt, folgte 2019 das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Dem TSVG ist erstmals zu entnehmen, dass Krankenkassen dazu verpflichtet sind, die ePA ab 2021 für ihre Versicherten zur Verfügung zu stellen (BMG 2019).
Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz werden auch Apotheken und Krankenhäuser verpflichtet, sich an die TI anschließen zu lassen. Darüber hinaus werden weitere Sicherheitsstandards sowie Grundlagen zur Überwindung von Medienbrüchen zwischen den verschiedenen Systemen durch standardisierte Schnittstellen definiert (BMG 2020a). Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz geht mit einem Update der TI einher und soll die Überführung von Daten aus digitalen Gesundheitsanwendungen in die ePA erleichtern. Zudem werden das eRezept und die ePA weiterentwickelt und auch Pflegedienste sowie weitere Heil- und Hilfsmittelerbringer verpflichtend an die TI angeschlossen. Zuletzt soll die Arbeit für alle Akteure mithilfe der TI erleichtert werden, indem sie in datenschutzrechtlichen Punkten entlastet werden (BMG 2021b).
Bedingt durch die fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehenden neuen Datenschutzanforderungen wurde die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verabschiedet. Dabei bringt die ePA besondere Anforderungen an die Verarbeitung hochsensibler personenbezogener Daten mit sich. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2020 das Patientendaten-Schutz-Gesetz etabliert. Die Patienten erhalten damit das Recht darauf, ihre Akte von Ärzten befüllen zu lassen und dabei die Datenhoheit zu bewahren (BMG 2020b). 2020 ist ebenfalls das Krankenhauszukunftsgesetz verabschiedet worden, das Investitionen in die digitale Infrastruktur fördert.
Seit dem 01.01.2021 sind Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten eine ePA zur Verfügung zu stellen. Der Rollout der ePA erfolgt stufenweise und dient als Grundlage für die Einführung weiterer Funktionen im Zeitverlauf (BMG 2021a). Seit dem 01.07.2021 sind auch alle Vertragsärzte und Psychotherapeuten dazu verpflichtet, die ePA lesen und befüllen zu können (BMG 2021a). Zwar gelten diese gesetzlichen Verpflichtungen für Leistungserbringer bereits seit einiger Zeit, doch die Nutzung der ePA durch die Patienten ist freiwillig und wird bisher nur schleppend angenommen. Mehr als ein Jahr nach dem gesetzlichen Rollout nutzen mit knapp 500.000 Personen weniger als 1 % der gesetzlich Versicherten die ePA (Bayerische Staatsregierung 2022; Gematik 2022). Auch deswegen wird über die Einführung eines Opt-Out-Verfahrens diskutiert, das eine automatisierte Einrichtung der ePA für die Patienten definiert, was nur durch aktives Widersprechen rückgängig gemacht werden könnte (Bayerische Staatsregierung 2022). Zu erwähnen ist außerdem, dass die Krankenversicherungen jeweils eigene ePA-Lösungen anbieten, die sie den Versicherten zum Download zur Verfügung stellen. Die ePA der Techniker Krankenkasse (TK Safe) sowie die ePA der Hanseatischen Krankenkasse haben im Gegensatz zu den ePAs anderer großer gesetzlicher Krankenversicherungen (z. B. BARMER eCare, DAK ePA, KKH ePA, AOK Mein Leben) die Besonderheit, dass sie nicht als separate App verfügbar sind, sondern in die allgemeine Service-App der Versicherungen integriert sind.

2.2 Akzeptanzfaktoren der Nutzer aus der Literatur

In einer Studie von Fischer (2019) geben weit mehr als die Hälfte der Befragten an, nicht über ausreichend Informationen zur ePA zu verfügen. Wenig überraschend ist daher die Einschätzung von 61 % der Teilnehmer einer weiteren Erhebung, dass eine Aufklärung durch Ärzte nicht sichergestellt werden kann (Baxmann et al. 2018). Die Bedeutung einer besseren Informiertheit wird in einer Versichertenbefragung deutlich, in der ein zu geringer Wissensstand über die ePA als gewichtigster Grund für die Nichtnutzung aufgeführt wird (an der Heiden et al. 2021).
Ein detailliertes Rechte- und Rollenkonzept sowie die Datenverschlüsselung sind ebenfalls Grundvoraussetzungen für die Nutzung einer ePA. Es wird befürchtet, dass Datenmissbrauch oder die Manipulation sensibler Daten durch unerlaubte Zugriffe erfolgen könnte (Baxmann et al. 2018; Fischer 2019).
Darüber hinaus kann die IT-Kompetenz der Nutzer als Einflussfaktor in Bezug auf die Akzeptanz der ePA angesehen werden. Relevant ist zum einen die Erfahrung im Umgang mit Technik sowie zum anderen die Bereitschaft, sich mit technischen Innovationen auseinanderzusetzen (Fischer 2019). Eine wahrgenommene höhere Komplexität der ePA wirkt sich wiederum negativ auf die Akzeptanz aus (Niazkhani et al. 2020). Komplexitäten bestehen Niazkhani et al. (2020) zufolge vor allem in Unklarheiten des medizinischen Fachjargons für Patienten und unklarer Darstellung der Informationen.
Zudem hängt die Akzeptanz auch davon ab, welche Erwartungen potenzielle Nutzer an die ePA haben. Generell erhoffen sich diese eine schnelle und transparente Behandlung, welche durch einen stetigen Datenaustausch zwischen behandelnden Ärzten und Therapeuten verbessert wird (Fischer 2019). Die daraus resultierende Leistungserwartung beschreibt das Ausmaß, in dem der potenzielle Nutzer glaubt, dass die Nutzung der ePA ihm helfen wird, seine Leistung zu verbessern. Dies kann sich durch ein größeres gesundheitliches Bewusstsein oder einen verbesserten allgemeinen Gesundheitszustand ausdrücken (Alsahafi et al. 2022).
Ein weiterer Faktor ist die Einbindung der Nutzer in den Entwicklungsprozess von Softwarelösungen. Das Vertrauen der Patienten in die ePA ist hierbei ein entscheidender Aspekt zur Erhöhung der Akzeptanz, indem das System userzentriert entwickelt wird und Nutzerwünsche berücksichtigt werden (Alsahafi et al. 2022; Scheibner et al. 2021).
Darüber hinaus fanden Halmdienst et al. (2022) heraus, dass ein weiterer Akzeptanzfaktor in der Multimorbidität der Patienten liegt. Je multimorbider ein Patient ist, desto höher ist die Anzahl der verschriebenen Medikamente sowie der Krankenhausaufenthalte und desto höher ist die Notwendigkeit sowie die Akzeptanz der ePA.
In Tab. 1 werden die beschriebenen in der Literatur identifizierten Akzeptanzfaktoren zusammengefasst.
Tab. 1
Akzeptanzfaktoren für die ePA-Nutzung aus der Literatur
Akzeptanzfaktor
Kurzbeschreibung
Quelle
Informationsstand
Informiertheit über die ePA und die Funktionen
(an der Heiden et al. 2021; Baxmann et al. 2018; Fischer 2019)
Datenschutz
Integrierte Mechanismen zum Schutz vor Datenmissbrauch
(Baxmann et al. 2018; Fischer 2019)
IT-Kompetenz
Nutzerfahrung mit IT-Anwendungen, Bereitschaft für neuartige IT-Lösungen
(Fischer 2019; Niazkhani et al. 2020)
Erwartungshaltung
Erwartungen bezüglich eines verbesserten Datenaustauschs und Gesundheitsmanagements
(Alsahafi et al. 2022; Fischer 2019)
Nutzereinbindung
Berücksichtigung der Nutzerwünsche in der Entwicklung und Anpassung der ePA
(Alsahafi et al. 2022; Scheibner et al. 2021)
Multimorbidität
Persönliche Notwendigkeit der ePA, eigener Gesundheitszustand
(Halmdienst et al. 2022)

3 Methodik

Mithilfe der Erkenntnisse aus der relevanten Literatur wurden semistrukturierte Interviews nach Gläser und Laudel (2010) mit 16 gesetzlich versicherten Personen durchgeführt. Die Interviews fanden entweder vor Ort (n = 6) oder über gängige Onlinekonferenztools (n = 10) statt. Um etwaigen Unklarheiten bezüglich der ePA vorzubeugen, wurden den Teilnehmern zu Beginn die wesentlichen Funktionalitäten sowie Benutzeroberflächen vorgestellt. Die Durchführung der Erhebungen erstreckte sich auf den Zeitraum zwischen November 2021 und Juni 2022. Die Interviewdauer betrug zwischen 22 und 61 min.
Nach der Transkription der Interviews wurde für die anschließende Kodierung der relevanten Textpassagen die Software QDA Miner verwendet. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse wurde ein deduktives Kodierschema nach Mayring (2010) gewählt, basierend auf den zuvor in der Literatur identifizierten Kategorien bzw. Einflussfaktoren. Wenn während der Analyse der Interviews neue Faktoren identifiziert werden konnten, wurden diese induktiv hinzugefügt.
Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde darauf geachtet, die verschiedenen Eigenschaften der potenziell breiten Nutzergruppe zu berücksichtigen, was eine Diversität der Teilnehmer hinsichtlich des Gesundheitszustands, des Alters und der Technikaffinität inkludiert und bei einigen Teilnehmern mit einem beruflichen Bezug zum Gesundheitssektor einhergeht. Tab. 2 listet die Interviewpartner mit Altersangabe sowie weiteren relevanten Attributen auf.
Tab. 2
Übersicht über die Interviewpartner
ID
Geschlecht
Alter
Beruf im Gesundheitssektor
Gesundheitliche Beeinträchtigung (Chronische Krankheit und/oder Multimorbidität)
T1
Weiblich
35
Ja
Nein
T2
Männlich
59
Nein
Nein
T3
Weiblich
26
Nein
Nein
T4
Weiblich
27
Ja
Nein
T5
Weiblich
51
Nein
Nein
T6
Weiblich
65
Ja
Ja
T7
Weiblich
27
Nein
Ja
T8
Männlich
24
Nein
Nein
T9
Weiblich
25
Nein
Nein
T10
Weiblich
23
Ja
Nein
T11
Männlich
30
Nein
Nein
T12
Männlich
32
Nein
Nein
T13
Männlich
22
Nein
Nein
T14
Männlich
23
Nein
Nein
T15
Weiblich
69
Ja
Nein
T16
Weiblich
63
Nein
Ja

4 Ergebnisse der Interviewanalyse

Durch die Interviews konnten sechs zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden, die im Zusammenspiel die Akzeptanz der ePA aus Sicht der Patienten beeinflussen. Diese Faktoren lassen sich in primäre und sekundäre Einflussfaktoren unterteilen. Die interdependenten primären Einflussfaktoren kommen bei der Nutzung der ePA zur Geltung und können, je nach dem Design der Anwendung, dafür sorgen, dass diese positiv bewertet und weiter genutzt wird oder als negativ bewertet wird. Hierbei handelt es sich um die Aspekte Anwenderfreundlichkeit, Medienkompetenz und Funktionalitäten. Die sekundären Einflussfaktoren sind in keinem direkten Zusammenhang mit der Nutzerwahrnehmung bei Gebrauch der Anwendung zu sehen, sondern wirken vielmehr darauf ein, ob es zu einer erstmaligen Nutzung der ePA kommt. Hierbei handelt es sich um die Faktoren Informationsstand, Gewohnheiten und normative Einflüsse sowie Datenschutz. Bei all diesen Faktoren spielen demografische Eigenschaften der breiten potenziellen Nutzergruppe eine Rolle, die insbesondere das Alter betreffen. Abb. 2 veranschaulicht die Struktur der identifizierten Einflussfaktoren.
Akzeptanzfaktor #1: Informationsstand
In den Interviews konnte eine große Unwissenheit über die ePA identifiziert werden. Zwar konnten sich die meisten Interviewten etwas unter dem Begriff „ePA“ vorstellen, die konkreten Anwendungen und die Funktionsweise konnte jedoch lediglich eine Person näher erläutern (T7). Unter allen Interviewteilnehmern wird die Meinung vertreten, dass auch nach dem Rollout zu wenig Informationen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus haben alle Interviewteilnehmer angegeben, bisher nicht über eine offizielle Stelle, wie beispielsweise die Krankenkasse oder den behandelnden Arzt, über das Angebot informiert worden zu sein. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass seitens der Leistungserbringer eine geringe Akzeptanz besteht oder diese die ePA aufgrund von Zeitmangel sowie fehlender Kompetenzen nachrangig behandeln.
Allerdings besteht bei fast allen Befragten der Wunsch, von einer offiziellen Stelle informiert zu werden, beispielsweise in Form eines Informationsschreibens der Krankenkasse oder eines Arztgesprächs. Als Begründung wird angeführt, dass bei einem Arztbesuch der direkte Bezug zum Gesundheitsthema besteht, was Seriosität und Vertrauenswürdigkeit der Angaben vermittelt (T3, T12, T13). T12 konkretisiert die Bedeutung des behandelnden Arztes in diesem Aufklärungsprozess, den man „in die Verantwortung nehmen muss. Der Arzt ist ja letztlich auch die Vertrauensperson. Wenn der sagt: ‚Holen Sie sich das mal, das ist gut‘, dann machen die Leute das auch.“
Akzeptanzfaktor #2: Gewohnheiten und normative Einflüsse
Den Interviews kann entnommen werden, dass die Akzeptanz steigt, wenn eine Innovation stärker in der Gesellschaft etabliert ist (T4). Das hängt damit zusammen, dass dadurch mehr Informationen weitergegeben werden und mehr Feedback erteilt wird. Meinungen aus dem eigenen Bekanntenkreis haben mehreren Befragten zufolge einen großen Einfluss auf die eigene Nutzungsabsicht der ePA (T11, T12, T16). Teilweise wird sozialer Druck vernommen, der sich darin widerspiegelt, dass eine Bereitschaft zur Nutzung neuer Technologien vorausgesetzt wird. Insbesondere ältere Befragte verweisen zudem auf teils jahrzehntelange Gewohnheiten, die das papierbasierte Sammeln wichtiger gesundheitsrelevanter Informationen umfassen und nur mit erheblichen mentalen Anstrengungen zu ändern sind (T15, T16). Exemplarisch ist folgende Aussage: „Ich habe noch keine Lust, das alles digital zu machen, das kommt noch dazu. […] Ich bin wie gesagt die Generation, die ein Buch gerne in die Hand nimmt und auch gerne mal den Arztbericht von früher liest und den in die Hand nimmt“ (T16).
Die Hälfte der befragten Personen setzt eine freiwillige Nutzung voraus. In diesem Zusammenhang ist die Medienkompetenz, einhergehend mit dem demografischen Hintergrund, von Relevanz. So könne die Nutzung der ePA nicht verpflichtend sein, solange nicht gewährleistet ist, dass auch die ältere Generation sowie körperlich oder geistig eingeschränkte Personen diese nutzen können (T3). Die andere Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, dass die ePA verpflichtend eingeführt wird, allerdings unter der Voraussetzung, dass zuvor detailliert informiert und aufgeklärt wird sowie weitere Zugriffsmöglichkeiten und barrierefreie Elemente integriert werden.
Zuletzt ist die Akzeptanz einer Technologie abhängig von intrinsischer Motivation. Im Rahmen der Interviews wurde insbesondere die Möglichkeit, den eigenen Gesundheitsstand zu überwachen sowie eine effizientere und vollständige Ablage medizinischer Dokumente zu erreichen, als Motivationsgrund für die Nutzung genannt. Darüber hinaus besteht die Erwartung, dass der Alltag durch die digitale Anwendung erleichtert werden kann. Dies trifft vor allem auf die Personen zu, die ohnehin ihre Gesundheitsdaten regelmäßig dokumentieren, was für gewöhnlich mit bereits vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergeht (T6, T7, T16). Demgegenüber wird von jüngeren Befragten geäußert, dass ohne größere gesundheitliche Einschränkungen keine Notwendigkeit zur Nutzung der ePA und damit zur Umstellung bisheriger Gewohnheiten besteht (T12, T13, T14). Eine ePA kann im Negativen auch dazu führen, dass der Patient ununterbrochen mit seinem Gesundheitszustand konfrontiert wird (T6). Zuletzt besteht die Angst, dass die Pflege der Daten mit viel Aufwand verbunden ist, was sich ebenfalls negativ auf die Motivation auswirkt.
Akzeptanzfaktor #3: Datenschutz
Das Thema Datenschutz ist in Bezug auf die ePA von zentraler Bedeutung. Alle interviewten Personen äußern Bedenken, welche im Zusammenhang mit dem Datenschutz und der Datensicherheit stehen.
Ungefähr die Hälfte der Interviewpartner befürchtet, dass im Zusammenhang mit der ePA persönliche Nachteile für die Nutzer durch Datenschutzverletzungen entstehen könnten. Nicht zuletzt besteht die Gefahr von technischen Problemen wie Serverausfällen oder Angriffen von außen, beispielsweise durch Hackerangriffe (T1, T16), was zu Datenverlust bzw. -missbrauch führen kann. Als Beispiel führen T1, T4 und T16 an, dass es für Bewerber und Mitarbeitende eines Unternehmens zu Benachteiligungen kommen könnte, wenn Unternehmen einen Einblick in die persönlichen Gesundheitsdaten erhalten. Konkret stehen auch Nachteile im Rahmen von betriebsärztlichen Untersuchungen und einhergehenden Einblicken in die Krankenhistorie im Fokus (T2, T4, T9).
Nicht nur der potenzielle Zugriff durch unbefugte Personen wird bemängelt, auch die Datenhoheit, also der Zugriff der Patienten an sich, wird als kritisch bewertet. So wird befürchtet, dass die Möglichkeit, eigenständig Befunde hinzuzufügen und zu löschen dazu führen kann, dass die Daten unvollständig sind und die Akte „geschönt“ wird (T4). Dadurch könne die Qualität der Behandlung beeinflusst werden (T4, T8).
Die Gefahr, dass Daten durch Viren oder Serverausfälle abgegriffen werden oder verloren gehen, kommt zwar während der Interviews zur Sprache, gleichzeitig wird aber auch Vertrauen in die technische Umsetzung geäußert. Nach den Interviewergebnissen besteht der Glaube in ein sehr gutes Backup-System, sodass die Gefahr des Datenverlustes deutlich geringer ist als bei Papierakten, welche wiederum leichter durch äußere Einflüsse wie einen Brand oder ein Hochwasser beschädigt werden können.
Akzeptanzfaktor #4: Anwenderfreundlichkeit
Eine höhere Anwenderfreundlichkeit kann dadurch erreicht werden, auf die geringe Technikaffinität der älteren Zielgruppe einzugehen. Gerade bei dieser Zielgruppe liegen zudem häufig Sehprobleme sowie weitere körperliche Beschwerden vor, die die Nutzung via Smartphone erschweren können (T13, T15, T16). Um eine barrierefreie Nutzung zu ermöglichen, sollten Anleitungen zur Nutzung der App in Form von Audio-Hilfen oder Einblendungen schriftlicher Hilfestellungen eingepflegt werden (T9). Die Mehrheit der Interviewteilnehmer setzt eine einfache und intuitive Bedienbarkeit sowie einen übersichtlichen Aufbau der App voraus.
Nicht zu vernachlässigen ist die Möglichkeit der Nutzung über verschiedene Endgeräte. Mehr als die Hälfte der Befragten hält die Alternativen Smartphone und Tablet alleine für unzureichend. Mehrere Teilnehmer schlagen ebenfalls eine webbasierte Lösung vor (T3, T7, T9) bzw. würden die ePA selbst präferiert an einem Computer mit größeren Monitoren nutzen (T15, T16). Einzelne Befragte äußern zudem eine erhöhte Unsicherheit bei einer potenziellen Datenverwaltung über das Smartphone, auch aufgrund schneller auftretender eigener Fehler wie dem falschen Anklicken von Schaltflächen (T15, T16). Als zusätzliche Alternative wird außerdem der Zugang zur Akte in der Praxis über die Gesundheitskarte genannt (T1, T5, T10). So kann gewährleistet werden, dass auch Patienten ohne internetfähiges Endgerät die digitale Akte nutzen können.
Nach einer Erläuterung der gängigen Registrierungsverfahren der ePA wurde dies als Barriere empfunden, da es die erstmalige Nutzung zum Austesten der Funktionalitäten deutlich erschweren kann (T11). Andererseits wurde angemerkt, dass die Sicherheit der Akte elementar und ein zu lasches Registrierungsverfahren demzufolge nicht wünschenswert sei. In diesem Zusammenhang wurde auf die Möglichkeit des Zugangsverfahrens durch die Online-Ausweis-Funktion hingewiesen.
Darüber hinaus wird mit der Schnittstellenkompatibilität zu anderen digitalen Anwendungen eine weitere Anforderung an die Nutzerfreundlichkeit gestellt. Dies beinhaltet die Verfügbarkeit der ePA auf allen Endgeräten und die Kompatibilität mit anderen Gesundheitsapps, z. B. zum Tracken von Vitalfunktionen. Einige Befragte haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass die ePA in die bereits häufiger genutzten Standardapps der Krankenkassen integriert und nicht als separate App angeboten werden sollte (T12, T13).
Akzeptanzfaktor #5: Medienkompetenz
Medienkompetenz setzt sich aus der gesammelten Erfahrung und der Innovationsbereitschaft zusammen. Beides steht in einem Abhängigkeitsverhältnis mit den affektiven Faktoren der Computereinstellung, der Freude am Umgang mit technologischen Innovationen und der Computerangst (Fischer 2019). Die Befragten sind im Besitz eines internetfähigen Endgerätes und somit potenziell in der Lage, die ePA zu nutzen. Einige verwenden zudem bereits elektronische Gesundheitsanwendungen. Allerdings lässt sich ein enormer Unterschied zwischen den Altersgruppen festhalten. So fällt es den Jüngeren deutlich leichter Apps zu nutzen als den Älteren. Den Aussagen ist zu entnehmen, dass eine Barriere der Nutzung der ePA in einer fehlenden Technikaffinität, insbesondere der älteren Zielgruppe, begründet liegt (T3, T9, T11, T12, T13, T14, T15, T16). Beispielhaft dafür steht die folgende Aussage: „Ich glaube schon, dass das ein Problem ist, gerade bei älteren Menschen. […] Also ich kenne das auch selber von Verwandten, die ein bisschen älter sind, dass sie […] sich gar nicht trauen, selbst wenn sie ein Smartphone besitzen, […] und viele Sachen auch nicht unbedingt verstehen“ (T3). Einige Befragte sehen dies jedoch als eher temporäres Problem, da die aktuell fünfzig- bis sechzigjährigen Menschen bereits vertrauter mit digitalen Anwendungen sind und fehlende Technikaffinität somit in einigen Jahren kein größeres Problem mehr darstellen würde (T12, T13, T15).
Zusammenfassend lässt sich eine erhebliche Barriere durch die verminderte Medienkompetenz bei älteren oder körperlich sowie geistig eingeschränkten Personen konstatieren. Die Hälfte der Befragten ist davon überzeugt, dass bei der Einführung und Nutzung der ePA unterstützt werden muss.
Akzeptanzfaktor #6: Funktionalitäten
Neben den bereits betrachteten Faktoren sind die Funktionalitäten in der ePA selbst als zentraler Faktor für die Nutzungsabsicht der Patienten zu nennen. Die wesentliche Funktion, die die ePA ausüben muss, ist eine vollumfängliche, digitale Datenablage- sowie Datenverwaltungsfunktion, die ein differenziertes Erteilen von Zugriffsberechtigungen ermöglicht (T2, T3, T11, T12, T13, T14, T15). T11 führt hierzu aus: „Gewünschte Funktionalität wäre die Möglichkeit, alles zum Gesundheitszustand einzusehen […] und am besten auch übersichtlich und dass dann zu allem auch dran steht, welche Ärzte darauf Zugriff haben.“ Zu den relevanten medizinischen Informationen zählen dabei Therapien, medizinische Bilddokumente wie Röntgenaufnahmen, aber auch Medikationspläne, sodass durch diese Übersicht das unnötige Durchführen redundanter medizinischer Tätigkeiten ebenso wie das Auftreten ungewünschter Wechselwirkungen zwischen Medikamenten vermieden werden kann. Mehrere Interviewteilnehmer wünschen sich zudem die Integration von Gesundheitspässen wie dem Impfpass, der für einzelne jüngere Befragte sogar relevanter wäre als eine Therapie- oder Medikationsübersicht, da keine oder kaum Krankheiten vorliegen, aber teils Unwissenheit über notwendige Impfungen besteht oder der Verlust des papierbasierten Dokuments befürchtet wird (T11, T13). Vereinzelt wird zudem begrüßt, Bonusprogramme der Krankenkassen in die ePA zu integrieren (T14). Die Integration solcher inhaltlichen Elemente könnte folglich zu einer breiteren Akzeptanz der ePA beitragen. Schließlich wird von einigen Befragten auch die Bedeutung herausgestellt, dass bei stärker eingeschränkten, multimorbiden, Personen, die immens von der ePA profitieren könnten, die Nutzungsmöglichkeit durch eine Vertretungsperson gegeben sein muss (T15, T16).
Die textlichen Erläuterungen zu den übergeordneten identifizierten Akzeptanzfaktoren werden in Abb. 3 noch einmal zusammengefasst und veranschaulicht, indem den sechs Akzeptanzfaktoren auf Metaebene jeweils charakteristische Unterpunkte zugeordnet werden.

5 Handlungsempfehlungen für die Anbieter der ePA

Durch die Interviewerkenntnisse konnten nicht nur Einflussfaktoren hinsichtlich der ePA-Nutzung identifiziert werden, sondern auch Handlungsempfehlungen (HE) für die ePA-Anbieter abgeleitet werden. Diese werden im Folgenden erläutert.
HE #1: Informieren und bei Bedarf schulen
Eine wesentliche Erkenntnis der Interviews ist fehlendes Wissen über die ePA. Wenn ein Großteil der Patienten die ePA folglich nicht oder kaum kennt, wird sie von diesem erheblichen Teil der Bevölkerung auch nicht genutzt werden. Das bedeutet keine bewusste Ablehnung, sondern dass die anbietenden Stellen nicht ausreichend über die ePA informieren.
Auf Seite der größeren Institutionen sind hier die gesetzlichen Krankenkassen als direkte Anbieter, aber auch der Staat als gesetzlicher Initiator zu sehen, die in größerem Maße als bisher über die ePA informieren müssten. Es wird deshalb vorgeschlagen, bei der ePA Online- und Offlineinformationskampagnen in größerem Umfang einzuführen. Wenn Patienten ohne aktives Suchen auf vertrauenswürdigen Websites der Bundesregierung sowie der Krankenkassen informiert werden, wird der Bekanntheitsgrad rasch steigen. Wichtig ist aber auch, Informationen in Papierform, beispielsweise in Form von Broschüren bei Krankenkassen oder Arztpraxen, auszulegen und insbesondere von den Hausärzten als Vertrauenspersonen darauf hingewiesen zu werden. Die Interviewergebnisse deuten darauf hin, dass gerade bei der älteren Bevölkerung eine erste Information in Papierform oder von Hausärzten vertrauenswürdiger erscheint.
Darüber hinaus konnte ein Bedarf hinsichtlich einer initialen Schulung der ePA identifiziert werden. Im Idealfall sollten beispielsweise Krankenkassen in regelmäßigen Abständen persönliche Schulungen zur ePA anbieten. Ergänzend sollten zielführende Anleitungen und Erklärvideos online angeboten werden sowie eine Hotline speziell für Nachfragen zur ePA zur Verfügung gestellt werden.
HE #2: Den Datenschutz als hohes Gut bewahren und diesbezügliche Maßnahmen kommunizieren
Damit es zu einer Nutzungsabsicht der ePA kommt, sollten die Informationsaktivitäten immer die Datenschutzmaßnahmen beinhalten. Negativ zu bewerten sind diesbezüglich Berichte, die den Datenschutz der ePA anzweifeln. Beispielsweise ist in diesem Zusammenhang zu nennen, dass Patienten den Leistungserbringern anfangs keinen Zugriff auf einzelne Dokumente erteilen konnten, sondern nur die Extreme von völliger Verweigerung und vollständigem Zugriff möglich waren (Ärzteblatt 2020).
Letztlich müssen die Datenschutzmaßnahmen gewährleisten, dass ein selbstbestimmtes Teilen der Gesundheitsdaten jederzeit sichergestellt wird und die rechtlichen Datenschutzmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf die DSGVO, eingehalten werden. Folgende Punkte sind dabei zentral:
  • Selbstbestimmtes Teilen der Daten: Der Nutzer entscheidet selbstständig, ob und welche Daten er mit welchen Leistungserbringern teilt. Zugriffsberechtigungen können neu erteilt und wieder entzogen werden.
  • 2‑Schlüssel-Prinzip beim Dateneintrag: Nach dem Freischalten von Daten durch die Versicherten benötigen die einsehenden Leistungserbringer einen Heilberufsausweis sowie eine PIN zum Einsehen der Daten.
  • Verschlüsselte Speicherung und Übertragung mit modernen kryptografischen Verfahren.
  • Signaturverfahren zum Schutz vor unberechtigter Veränderung.
  • Initiale Registrierung über Ident-Verfahren.
HE #3: Die erstmalige Nutzung für die Patienten einfach gestalten
Das Ident-Verfahren zur initialen ePA-Registrierung sollte einerseits Anforderungen an die Datensicherheit erfüllen und Datenmissbrauch verhindern. Andererseits darf diese primäre Registrierung keine zu komplexe Hürde darstellen. Es ist davon auszugehen, dass viele Patienten die ePA zu Beginn ausprobieren möchten, um sich dann selbst ein angemessenes Urteil bilden zu können. Wird diese Möglichkeit durch zu aufwendige Registrierungsverfahren erschwert, kann dies zu einem Ablehnungsverhalten führen. Wenn beispielsweise ein Video-Ident-Verfahren mit einem für Nutzer völlig unbekannten System durchgeführt wird, zusätzlich mehrere Passwörter gefordert und weitere umfangreiche Informationen vom Registrierenden zur Identifikation erfragt werden, ist dies kontraproduktiv. Positiver zu bewerten ist diesbezüglich, wenn mehrere Ident-Verfahren wie z. B. Online-Ident ohne Gesprächspartner und Video-Ident mit realem Gesprächspartner zur Verfügung stehen, wobei sich der Nutzer für eines entscheiden kann.
HE #4: Nutzeranreize schaffen, die über die effizientere Verwaltung von Gesundheitsdaten hinausgehen
Zum einen fehlt, insbesondere bei der jüngeren Zielgruppe, die Notwendigkeit der Nutzung, da sie tendenziell wenige Arztbesuche aufweist und auch ohne ePA einen Überblick über ihre Gesundheitshistorie hat. Zum anderen spielen die bisherigen Gewohnheiten eine große Rolle, die einen Wechsel zur ePA erschweren. Dementsprechend sollten weitere Anreize für die Patienten integriert werden, was auch finanzielle Vorteile beinhalten könnte. Gesetzliche Krankenkassen bieten bereits häufig Bonusprogramme für ihre Versicherten an, die zu Auszahlungen führen, wenn die Versicherten beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen absolviert haben. Ähnlich könnte die Registrierung und erstmalige Nutzung der ePA vergütet werden.
Darüber hinaus könnten Ansätze aus dem Bereich von Gamification dazu führen, die Nutzung der ePA interessanter zu gestalten. Das Einbinden spielerischer Lernelemente wie Fragen zur Gesundheit mit einem möglichen Aufstieg in höhere Level sollte in den Optionen zum weiteren Design der ePA zumindest diskutiert werden, auch wenn der Fokus bei der Verwaltung und Zugriffserteilung der Gesundheitsdaten verbleiben muss.
HE #5: Barrierefreiheit integrieren und durch individuell gestaltbares Design den unterschiedlichen Nutzergruppen nachkommen
Eine paradoxe Situation hinsichtlich der ePA liegt darin, dass insbesondere der Bevölkerungsteil am meisten davon profitieren könnte, der am wenigsten mit diesem digitalen Angebot zurechtkommt. Das liegt nicht allein an fehlender digitaler Kompetenz, sondern häufig an sich insbesondere im Alter verstärkenden körperlichen Beeinträchtigungen, die beispielsweise das Sehvermögen und die Tippgeschicklichkeit betreffen können. In Zusammenhang mit dem primären Angebot der ePA als Lösung für Smartphones kann dies ein ernstzunehmendes Problem darstellen, da diese wesentlich kleiner als Computer sind. Dementsprechend ist es hinsichtlich eines ersten Schrittes zur Barrierefreiheit wichtig, dass die ePA auch webbasiert angeboten wird.
Weiterhin werden Audiofunktionen wie speech-to-text und ein einfaches Vergrößern der Schrift für Menschen mit Sehschwierigkeiten elementar sein, um diesen die Nutzung zu vereinfachen. Zusätzlich sollte die ePA in mehreren Sprachen zur Verfügung stehen. Zudem sind Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bzw. fehlenden digitalen Kompetenzen bestmöglich einzubinden, was mit hinreichend vielen Anleitungen und einfachen Bedienelementen gelingen kann.
Aus diesen Ausführungen ist zu schließen, dass das Design der ePA insgesamt nutzerindividuell einstellbar sein sollte. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Barrierefreiheit, sondern auch hinsichtlich der individuellen Nutzerwünsche. So mag es bei der jüngeren Zielgruppe wichtiger sein, dass Gesundheitspässe auf der Startseite erscheinen, wohingegen für multimorbide Patienten vor allem der Medikationsplan von Bedeutung sein kann.

6 Fazit und Ausblick

Ziel des Beitrags war es, zum einen die wesentlichen Faktoren zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Nutzungsabsicht der ePA durch die Patienten haben (FF1) und zum anderen konkrete Handlungsempfehlungen für die anbietenden Stellen zu erörtern, sodass die ePA von mehr Patienten in Deutschland angenommen wird (FF2). Hinsichtlich FF1 lässt sich konstatieren, dass mit Anwenderfreundlichkeit, Medienkompetenz und Funktionalitäten primäre Einflussfaktoren identifiziert werden konnten, die für die Bewertung der ePA während der Nutzung eine maßgebliche Rolle spielen. Weiterhin wurden mit Informationsstand, Gewohnheiten und normative Einflüsse sowie Datenschutz sekundäre Einflussfaktoren identifiziert, die vor der etwaigen erstmaligen Nutzung im Entscheidungsprozess für oder gegen die ePA von Bedeutung sind. Damit dieser Entscheidungsprozess der Patienten letztlich so ausfällt, dass die ePA besser angenommen wird, konnten Handlungsempfehlungen (FF2) herausgearbeitet werden, die Informations- und Schulungskampagnen, das strikte Einhalten von Datenschutzmaßnahmen, die Vereinfachung der initialen Registrierung, die Integration von Anreizen sowie die Designanpassung hinsichtlich der Nutzerpräferenzen beinhalten. Ein Erfolg der ePA ist von zentraler Bedeutung, um die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen weiter voranzutreiben und die beteiligten Akteure besser zu vernetzen, sodass Herausforderungen wie der demografische Wandel und der Fachkräftemangel gemeistert werden können. Durch den Beitrag wurden mithilfe der geführten 16 Interviews bedeutende Praxiseinblicke zur ePA aus der Nutzerperspektive gewonnen. Es ist allerdings zu erwähnen, dass die Ergebnisse dieser qualitativen Analysen sich auf die Patientenperspektive beschränken und nicht repräsentativ für alle Patienten bzw. Nutzergruppen gelten. Zukünftige Forschung sollte die identifizierten Aspekte durch quantitative Studien untersuchen und zudem die Einschätzungen der Leistungserbringer als weitere Nutzergruppe berücksichtigen. Im Beitrag wurde der Fokus zudem auf das deutsche Gesundheitswesen gelegt. Folglich könnten zukünftige Beiträge in internationalen Vergleichsstudien berücksichtigen, wie die ePA in anderen Ländern angenommen wird.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei allen Interviewteilnehmern. Ein besonderer Dank gilt Frau Sarah Engel für die erhaltene Unterstützung.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Die elektronische Patientenakte als zentraler Bestandteil der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen – Eine Analyse von Akzeptanzfaktoren aus Patientensicht
verfasst von
Kevin Kus
Patricia Kajüter
Tim Arlinghaus
Frank Teuteberg
Publikationsdatum
27.10.2022
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 6/2022
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-022-00921-5

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