1 Einführung
2 Einführung in Prozessmanagement
2.1 Phasen und Perspektiven des Prozesslebenszyklus
2.2 Typen von Prozessmodellen
3 Anwendungsbereiche des digitalen Prozessmanagements
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Charakterisierung des Anwendungsfalls
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Diskussion der Anwendbarkeit der verfügbaren Prozessmanagementsysteme und der Angemessenheit des Standards in diesem Bereich
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Beobachtungen, Empfehlungen und Schlussfolgerungen
3.1 Personalorientierte Verwaltungsprozesse
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Aufgrund einer ganzen Reihe von gesetzlichen Regelungen sind – was typisch für eine Behörde ist – viele verschiedene Gruppen für die Ausführung der Schritte eines Prozesses verantwortlich. Da jede Gruppe eine zusätzliche Lane benötigt, wächst das Diagramm nicht nur horizontal – entsprechend der Länge eines Prozesses – sondern auch vertikal enorm – entsprechend der großen Anzahl an Gruppen. Insgesamt wächst so ein Prozessdiagramm auf eine Größe an, welche die Lesbarkeit und damit die Verständlichkeit des gesamten Prozessmodells drastisch einschränkt. Beide Aspekte, Lesbarkeit und Verständlichkeit, sind zwei der wesentlichen Anforderungen an ein Modell im Allgemeinen.
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Die Einführung von Pools und (Sub‑)Lanes in der oben geschilderten Weise geht davon aus, dass Organisationsstrukturen überwiegend bzw. ausschließlich hierarchisch aufgebaut sind. In der untersuchten Behörde gibt es jedoch eine Vielzahl von sogenannten Arbeitsteams, die sich quer über verschiedene hierarchisch angeordnete Abteilungen erstrecken. Diese horizontal ausgerichteten Organisationseinheiten gleichberechtigt mit normalen (Unter‑)Abteilungen als Lanes unter einem Pool (oder übergeordneten Lanes) zu positionieren, verursacht irgendwie Unbehagen, da es sich um eine völlig andere Form der Strukturierung einer Organisation handelt. Außerdem ist die Modellstruktur bei einer solchen Darstellung kaum nachvollziehbar.
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Viele Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung erfordern die strikte Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips oder ähnlich restriktiver Organisationsregeln. Eigentlich gibt es keine umfassende und eingängige Möglichkeit, solche Sachverhalte durch Pools bzw. Swimlanes zu modellieren d. h. darzustellen. Infolgedessen werden solche Situationen durch umständlich formulierte Pseudogruppen beschrieben und sind somit wenig anschaulich und verständlich.
3.2 Entscheidungs- und wissensintensive Prozesse
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Die Praktiker kommen mit der Darstellung von Aufgaben innerhalb eines CMMN-Cases recht gut zurecht. Auch verstehen sie, wie Aufgaben innerhalb eines Falles miteinander verbunden sind und wie Entscheidungen durch die DMN-Sprache modelliert werden. Dennoch fühlen sie sich mit den vielen verschiedenen Symbolen und Begriffen (z. B. Stage, Sentries, Milestones, Tags) überfordert.
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Im Gegensatz zu den recht positiven Erfahrungen bezüglich der Modellierung der funktionalen und verhaltensbezogenen Perspektive haben die Anwender enorme Probleme mit der organisatorischen, operativen und der Datenperspektive. Ähnlich wie bei den Erfahrungen mit BPMN-Prozessmodellen (Abschn. 3.1) besteht in der Fachpraxis ein starker Bedarf an leistungsfähigen Prozessmodellierungselementen für diese Perspektiven. So ist es z. B. von großer Bedeutung zu beschreiben, welche Organisationseinheiten und Bearbeiter für die einzelnen Aufgaben zuständig sind. Darüber hinaus müssen insbesondere für den technischen Teil des Gesamtprozesses Werkzeuge, Dienste und Systeme spezifiziert werden können, die für die Durchführung der verschiedenen Aufgaben erforderlich sind.
3.3 Außendienst und ortsbezogene Prozesse
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Außendienstprozesse werden geprägt durch einen starken Fokus auf Werkzeuge, die für bestimmte Aufgaben eingesetzt werden (z. B. Bohrer, Spezialzangen). Für die beteiligten Unternehmen besteht die Herausforderung darin, Aufgaben mit bestimmten Werkzeugen zu verknüpfen, um den Handwerkern, die für die Ausführung der Prozessschritte ausgewählt werden, entsprechende Empfehlungen geben zu können. BPMN bietet keine Möglichkeiten, diese Anforderungen in ein Prozessmodell einzubringen. BPMN unterscheidet hinsichtlich der operativen Perspektive nur zwischen verschiedenen Aufgabentypen, z. B. Service Task, Human Task. Hilfsmittel oder konkrete Werkzeuge können nicht deklariert werden. Die technischen Möglichkeiten des IoT bieten die Chance, solche Hilfsmittel digital zu identifizieren, z. B. mit Hilfe von RFID-Sensoren. Eine Brücke zwischen IoT-Middleware und Prozessmanagementsystem könnte daher Daten zwischen den Systemen austauschen und so automatisch zwischen ungeeigneten und passenden Werkzeugen unterscheiden.
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Mobile und ortsverteilte Prozesse umfassen typischerweise mehrere Prozessteilnehmer, die an verschiedenen Orten an aufeinander folgenden Aufgaben arbeiten (z. B. ein Handwerksbetrieb mit mehreren Handwerkern, welche auf verschiedenen Baustellen arbeiten). Wir betrachten beispielhaft einen mobilen verteilten Prozess, bei dem Handwerker zu Kunden fahren, um defekte Heizungen zu ersetzen. Hier sollten standortbezogene Daten genutzt werden, um z. B. den Reparaturauftrag und die dazugehörigen Aufgaben demjenigen Handwerker zuzuweisen, der sich am nächsten zum Standort des Kunden befindet. Die meisten Forschungen im Bereich BPM haben sich jedoch nur mit Aspekten der Ortskenntnis befasst, wie z. B. Prozessanpassung, Prozessmodellierung und Mining (Dörndorfer and Seel 2018; Behkamal et al. 2022), oder mit Managementaspekten kontextbezogener Prozesse (Hallerbach et al. 2008; Rosemann et al. 2008). Die Implementierung eines lauffähigen Systems auf der Basis von Standardnotationen wie BPMN zur Erfassung und Verarbeitung von Standortdaten ist nicht bekannt. Insbesondere die Zuordnung von konkreten Nutzern zu Aufgaben in BPMN auf Basis von Standortdaten ist nach Kenntnis der Autoren ebenfalls noch ein offenes Forschungsthema (Poss and Schönig 2023) und wurde in einer eigenen Arbeit (Poss et al. 2023) kürzlich eingeführt. Auch hier gilt, dass Echtzeit-Standortdaten von IoT-Geräten, die durch Prozessmanagement-Technologie genutzt werden, Unternehmen helfen, effizientere, effektivere und nachhaltigere Prozesse zu implementieren.
3.4 Produktionsprozesse und Industrial IoT Security Management
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Eine formal definierte Notation wie BPMN kann eine Grundlage für die Umsetzung eines BPM-basierten Security-by-Design-Ansatzes bieten. Da jedoch die IIoT-Sicherheitsanforderungen aus dem IEC-62443-Standard noch nicht von dieser Notation unterstützt werden, fehlt eine Methode, diese Sicherheitsanforderungen und mögliche Schutzmaßnahmen entsprechend darzustellen. Während für Sicherheitsaspekte im klassischen IT-Bereich bereits einige Beschreibungssprachen existieren, fehlt noch ein spezialisierter Ansatz für das IIoT mit seinen einzigartigen Anforderungen der industriellen Betriebstechnik (Hornsteiner et al. 2022).
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Die wachsende Bedeutung von IIoT ist bereits erkannt worden und damit auch das Fehlen einer Modellierungssprache zur Darstellung IIoT-bewusster Prozesse (Meyer et al. 2015). Das umfangreiche EU-geförderte Forschungsprojekt Internet of Things Architecture (IoT-A)10 entwickelte dazu eine umfassende BPMN-Erweiterung, die Sensoren, IIoT-spezifische Aufgaben und Cloud-Geräte abdeckt (Meyer et al. 2013, 2015). Für unser Projekt wollen wir diese Forschungsergebnisse nutzen, um die Fertigungsprozesse der beteiligten Praxispartner zu modellieren. Die entwickelten Forschungsergebnisse und Artefakte werden jedoch weder auf den Webseiten der Projekte noch auf öffentlichen Webseiten der EU veröffentlicht. Auch sehen wir keine Bestrebungen, die Ergebnisse dieses umfangreichsten Projekts in einen Standard oder ein Werkzeug zu übernehmen.
4 Fazit
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Aus industrieller Sicht werden bestimmte Perspektiven des Prozessmanagements, welche für die Praxis von enormer Bedeutung sind, z. B. die organisatorische und die operative Perspektive, zu wenig erforscht bzw. nicht mehr weiter erforscht. Es fehlt an leistungsfähigen und implementierbaren akademischen Prototypen, welche anschließend im industriellen Umfeld professionell umgesetzt werden können. Darüber hinaus sind bestimmte Bereiche des Prozessmanagements, z. B. die Sicherheitsperspektive, noch nicht ausgereift und ausreichend erforscht. Dieses Manko sollte zu weiterer Forschung in solchen Bereichen anregen, anstatt solche Bereiche aufgrund fehlender Neuartigkeit zu vernachlässigen und stattdessen neuesten Forschungstrends zu folgen.
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Ebenfalls wäre aus industrieller Sicht wünschenswert, wenn Methoden der deklarativen Prozessmodellierung so weiterentwickelt werden, dass sie im praktischen Umfeld einsetzbar sind. Diese mächtigen Modellierungsansätze sind leider aufgrund ihrer Komplexität kaum im normalen industriellen Umfeld anwendbar.
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Aus akademischer Sicht ist vor allem zu bemängeln, dass vielversprechende Konzepte, z. B. zur Modellierung des organisatorischen Aspekts, von ortsbezogenen Prozessen oder der Sicherheitsperspektive, nicht in Produkten für das Prozessmanagement umgesetzt werden. Ihre Notwendigkeit unterstreichen die hier aufgezeigten Praxisprojekte.