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Open Access 05.12.2023 | Spektrum

Einsatz von XR zur Belebung von Leerständen

verfasst von: Karin Küffmann

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik

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Zusammenfassung

Virtuelle und Augmented Reality (VR/AR) sind als innovative Technologien vielseitig einsetzbar. Sowohl im Online-, aber auch im stationären Handel sind schon etliche innovative immersive Anwendungen entstanden, die neue kognitive und affektive Interaktions- und Informationsmöglichkeiten bieten. In den Bereichen Kunst, Immobilien, Architektur, Gaming, Fashion, Stadtplanung und -führungen finden sich ebenfalls mehr und mehr AR/VR Anwendungen. In diesem Beitrag wird nach einer Sichtung ausgewählter immersiver Projekte ein Konzept zur Nutzung von AR bzw. VR für Leerstände in einer ehemals attraktiven Einkaufsmeile vorgestellt. Neben gängigen Technologien und der Interoperabilität liegt der Fokus auf Belebung, Interaktion und Vernetzung der bestehenden Akteure eines Stadtteils. Die Leerstände sollen technologisch und thematisch vielseitig möglichst als Mitmachkonzept für viele Beteiligte mit XR belebt werden und so einen Beitrag zur Revitalisierung des Viertels leisten.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einführung

Virtuelle Reality (VR) und Augmented Reality (AR) sind in immer mehr immersiven Anwendungen in Museen, Theatern, der Immobilienwirtschaft, in den Innenstädten, in virtuellen Stadtführungen und 3D-Stadtplanungen, der Fashion- und Kosmetik-Industrie, aber auch in vielen anderen Online- und Präsenzgeschäften zu finden.
In diesem Beitrag soll ein möglicher Einsatz in einer kleinen Einkaufsmeile mit Leerständen zur Belebung des Viertels fokussiert werden. Insbesondere soll untersucht werden, ob mit den lokalen Gastronomen, Künstlern, Konzert- und Kongressbesuchern und Händlern, ein von allen nutzbares, thematisches XR Konzept erstellt werden kann. Auch soll überlegt werden, welche Voraussetzungen für eine solche Leerstandsbelebung mit immersiven Elementen gegebenenfalls notwendig sind.

2 Ausgangssituation und Zielsetzung

Gelsenkirchen-Ueckendorf war zu Bergbauzeiten Sitz einiger großer Unternehmen und Zechen. Im Zentrum des Ortsteils lag eine gut frequentierte Einkaufsstraße mit alten Bürgerhäusern, Geschäften, Gaststätten, Parks, Schulen und Künstlertreffs. Durch den Niedergang der Industrien folgten Arbeitslosigkeit, Armut und viele Leerstände in der alten Einkaufsstraße.
2010 begann die Stadtentwicklung mit der Renovierung etlicher Gebäude und der Wiederbelebung des Ortsteils als urbanes Kreativfeld für studentisches Wohnen, IT- und VR-Start Ups, Co-Working Spaces, Geschäften, Kinder- und Jugendtreffs und junge Gastronomie (Sander 2021). Die seit Jahren leerstehende Kirche wurde zu einer Veranstaltungshalle für Konzerte, Kleinkunst und Kongresse umgebaut, um neue Nutzungen zu ermöglichen. Zwischen Wissenschaftspark, Veranstaltungskirche und Sitz der Start Ups finden regelmäßig Events und Festivals zu verschiedensten Themen der AR/VR, Kunst und Stadtentwicklung unter Einbezug der Leerstände der Straße statt.
Zielsetzung dieses Projektes war daher die Erstellung eines Konzeptes zur Belebung der Leerstände des kleinen Kirchplatzes vor der renovierten Kirche mittels AR/VR. Es sollte eine immersive und thematische Vernetzung und Integration der unterschiedlichen lokalen Gruppen
  • die lokale Kunst- und Kreativszene der Umgebung,
  • die Besucher und Veranstalter der Kunstevents und Kongresse,
  • die lokale Gastronomie,
  • die IT-Start Ups und VR-Room (VROOM Ruhr 2022),
  • die Geschäfte,
  • die Anwohner und Anwohnerinnen der Straße
erreicht werden. Es soll untersucht werden, mit welcher Technologie, welcher Software, welchen organisatorischen Voraussetzungen eine mögliche Belebung der Straße mit AR- und VR-Elementen erreicht werden kann.

3 Virtuelle, augmented und mixed Reality

Virtuelle Realität beschreibt eine künstliche, nicht real existierende Umgebung (Knoll und Stieglitz 2022) in der ein Mensch komplett in eine virtuelle Welt eintauchen kann. Die Immersion, also die räumliche Darstellung, erfolgt durch spezielle 3D-Konstruktion der Objekte, ihrer Oberflächen und Eigenschaften, so dass sie sich bspw. 360° im Raum drehen und bewegen lassen und als eine räumliche Darstellung der Umgebung empfunden wird. Räumliche Anzeigen sind beispielsweise im Head Mounted Display oder per Projektionen auf mehrere Wände im CAVE möglich (Dörner et al. 2019). Die Bewegungen der Objekte im Raum werden über bspw. spezielle Steuergriffe und Tracking durch die User ausgelöst und es verändern sich dabei die immersiven Ansichten. Diese aufwändige Technologie wird zunehmend zu Schulungszwecken etwa in der Medizin, in der Industrieanlagen-Wartung und beim Militär genutzt. Im Gamingbereich existieren viele Spiele, die alleine oder mit mehreren in virtuellen Räumen gespielt werden können. Freigängige Brillen ohne Kabel mit schneller Bildaufbauzeit sind zurzeit noch teuer und eher im professionellen Umfeld oder Gaming-Bereich zu finden. Die Entwicklung wird aber auch hier in den nächsten Jahren deutlich voranschreiten und Technologiesprünge und damit auch neue VR-Entwicklungen induzieren.
Augmented Reality beschreibt die Erweiterung der Realität durch einen virtuellen Inhalt in Echtzeit (Knoll und Stieglitz 2022). Die Realität ist weiterhin sichtbar und wird mit digitalen audiovisuellen Medienformaten wie Bildern, Text, Videos, Sound, auch 3D-Objekten und 3D-Personen oder Tieren aus der Cloud erweitert (Mehler-Bicher und Steiger 2022). Es kann sich um textuelle oder bildliche Informationen, 360°Umgebungen, 3D- oder Bewegtbilder, Videos und Verlinkungen von Webseiten handeln (Langer 2022).
Im einfachen Falle wird das Mobiltelefon mit der Kamera auf ein Bild oder Gegenstand gerichtet und über eine App eine Sequenz aus der Cloud aktiviert. Etwas aufwändigere interaktive AR nutzt Bildschirme mit Kameras oder Touchdisplays, mit denen Besucher durch Gesten Auswahlen treffen können. Möglich ist eine Verknüpfung von einem multimedialen Objekt in der Cloud mit einer Geoposition oder speziellen visuellen Markierungen (Willmott 2014) – Strichcodes oder Gemälden auf Hauswänden. So können beispielsweise bei Stadtführungen an bestimmten Orten Grafiken, Videos oder Audio-Text aus der Cloud geladen und auf dem Handy dargestellt (Langer 2022) werden.
Mixed Reality oder auch extended Reality (XR) wurde zunächst als Synonym mit AR verwendet; XR wird inzwischen oft als Überbegriff für verschiedene Realitäts-Virtualitätsstufen zwischen Realität und kompletter VR, also „gemischter Realität“ genutzt (Dörner et al. 2019). Im Kontinuum zwischen kompletter Realität, erweiterter Realität, augmentierter Virtualität und Virtueller Realität gibt es verschiedene Übergangsstufen, die durch verschiedene Kombinationen von Technologien möglich werden. Durch die absehbare weitere technologische Entwicklung der Brillen und der Integration von 3D-Modellen wird sich im Bereich XR künftig noch viel stärker entwickeln. Daher wird im folgenden XR als Ausdruck für viele technologische Möglichkeiten im AR-VR-Kontinuum genutzt. Durch die Nutzung des vollen Funktionsumfangs eines Mobiltelefons mit Sensoren, Rechenleistung, Speicher, Apps, Funksystemen, Lidar und Messsystemen, Bildschirm, Mikrofon und Kamera sind vielfältige userorientierte und praktische Anwendungen leicht möglich.

4 XR im Handel und innerstädtischen Anwendungen

Zunächst sollte ein Überblick über mögliche XR-Anwendungen im Handel und relevanten Akteuren in einer Innenstadt per Recherche gewonnen werden.

4.1 Online-Handel

Insbesondere im Online-Handel werden immersive Elemente zunehmend vielfältig genutzt. Am Bildschirm können dabei Funktionen realisiert werden, die das Erlebnis oder die Servicequalität im Präsenzgeschäft 24/7 ergänzen oder mit digitalen Mitteln eine völlig neue Welt erschaffen. Interessant waren für unsere Zwecke, insbesondere
  • die immersive Kosmetikberatung von Lancôme (Lancôme 2023) oder L’Oreal (L’Óreal 2023),
  • das VR-Shoppingerlebnis bei Saturn (Saturn 2023),
  • die AR-Brillenanprobe mithilfe von App und Kamera (Misterspex 2023),
  • der Download von AR-Einrichtungsgegenständen (Ikea Places 2019),
  • die virtuellen 360° Studios bspw. von Adidas (Fashionnetwork 2023), Telekom (Rooom 2023), Lancôme (Lancôme 2023)
  • die Online-Kunstgalerien (Rooom 2023; BBC 2023)
  • die Verschmelzung von High-Fashion, Kunst mit XR und NFTs (Showstudio 2023; SWR 2023; Chanel 2023; Gucci 2023)
Im Online-Business sind neben einfachen Produkterweiterungen auch Nutzungen von neuen Technologien wie die 360°-Räume mit AR-Technologie auch spektakulärere Entwicklungen und Verschmelzungen verschiedenster Technologien und Anwendungsbereiche (Park et al. 2018) zu finden. Da diese Anwendungen digital realisiert sind, könnten sie grundsätzlich auch in einem Präsenzgeschäft oder Leerstand i. S. eines Omnichannel-Auftritts ausgeführt werden.

4.2 Präsenzhandel und Innenstadt

Der Präsenzhandel ist auf eine lebendige Innenstadt mit einer gewissen Frequenz angewiesen. Daher werden neben den besonderen Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden in Präsenzläden auch die möglichen Anwendungen für eine lebendigere Innenstadt im Allgemeinen im Auge behalten, beispielsweise die Anwendungen des Stadtplanungs‑, Wissenschafts‑, Theater- und Kunstbetriebes.
Kundinnen und Kunden gehen gerne in Präsenzläden, um ihre kognitiven, affektiven und sozial-interaktiven Bedürfnisse (Langer 2022) zu befriedigen. Dabei stehen die kognitiven Bedürfnisse für den Wunsch nach Wissen und Information, beschreiben aber auch Neugierde, Selbsterfahrung und Sinnstiftung durch Mediennutzung. Ein Beispiel wäre etwa die immersive Aktivierung von Audio- und Video-Informationen über Produkte oder Orte.
Die affektiven Bedürfnisse sind eher der Wunsch nach Unterhaltung, Zerstreuung, Entspannung, Spiel und Spaß. Die Mediennutzung wird zu Stimulationszwecken und zur Abwechslung eingesetzt. XR kann vielerlei Inhalte und Geschichten immersiv erlebbar machen und so zu besonderen Eindrücken führen. Sozial-interaktive Bedürfnisse sind die nach sozialer Anerkennung und Kontakten – etwa in Chatrooms, virtuellen Räumen oder virtuellen Spielen (Langer 2022), wie sie der VR-Room und die VR_Places in der alten Einkaufsstraße schon bieten.
Auch im Präsenzhandel und Innerstädtisch waren interessante XR-Anwendungen (Grothues et al. 2021) zu finden:
  • eine immersive Explorer Abenteuerwelt mit 3D Brillen (Globetrotter 2022),
  • einige Museumserweiterungen (Gallerytalk 2023; BBC 2023; Rooom 2023b),
  • einige Stadtführungen und Theatervorstellungen mit VR-Brillen (VisitEssen 2023; Theater Essen 2023),
  • eine immersive Schatzsuche (SteamRoll East 2022) in einer Mall oder immersive Rätsel in einer Denkmal-App (Lokalkompass 2023)
  • ein Magic Mirror an belebten Orten für virtuelle Drachen (Acer 2019),
  • Zara und Timberland mit virtuellen Anproben auf Bildschirmen oder Spiegeln (Geonovel 2018; Zara 2022; Timberland 2022),
  • bewegte Tiere auf 3D-Hologram-Displays vor speziellen Hintergründen, wie bei Circus Roncalli (Roncalli 2022),
  • tierische Erweiterungen im Showroom (Tillys 2018),
  • XR Stadtplanung und -Führung mit Geopositionsverknüpfung (SpotAR 2022; Cityscaper 2022)
  • lebendige Spielsachen (ZolliBolli 2022; 20minCh 2022) und
  • Adidas mit 3D-Produktfiltern auf dem Mobiltelefon (Adidas 2023a, b)
Die technologische Umsetzung war unterschiedlich komplex; man wählte im einfachen Fall das Mobiltelefon, um OCR-Codes, Plakate, Objekte einzuscannen (Grothues et al. 2021) und verlinkte XR-Elemente aus der Cloud zu aktivieren. Typische mobiltelefonbasierte AR-Anwendungen sind etwa Stadtplanungen und -führungen, Produktfilter und lebendige Spielsachen, bei denen AR-Inhalte verschiedenster Art die Realität erweitern. Aufwändiger sind 3D-Hologramme auf Spezialfolien, glasartigen holografischen Displays, Magic Mirrors mit Kameras für interaktive Anwendungen; sehr aufwändig sind hingegen komplette VR-Produktionen für Präsenzhandel, Theater, Museen und Stadtführungen, die ein besonders beeindruckendes Erlebnis schaffen.
Mittels XR kann unterschiedlicher Content (Bilder, Filter, 2D, 3D, Holografien, Filme, 360°Videos) zu Darstellungs- und Informations- oder Unterhaltungszwecken in die reale Welt integriert (Seidl 2018) werden. Die gefundenen Anwendungen sprechen eigentlich alle die kognitiven Bedürfnisse, insbesondere aber die affektiven und sozial-interaktiven Bedürfnisse der Betrachter an; sie hatten insbesondere überraschende, spannende, unterhaltende, spaßige oder spielerische Eigenschaften. Viele Anwender und Anwenderinnen waren sehr angetan und engagierten sich mit Bildern über soziale Medien (Seidl 1018).
XR kann demnach für Präsenzläden, Konferenzsäle (Grothues et al. 2021) und Ausstellungen (rooom 2023) zeitweise oder 365/24/7 eine Ergänzung mit vielen neuen Möglichkeiten bieten. Der Handel oder die Veranstalter können mit XR ein stärker audio-visuelles und immersives Produkterlebnis bieten, sowie mehr, detailliertere und interessantere immersive Produkt- und Dienstleistungsinformationen bereitstellen, um die Kundenberatung und den Auswahlprozeß (Seidl 2018) zu unterstützen. Zusätzliche XR-Produktinformationen können die Auswahl, insbesondere bei erklärungsbedürftigen Produkten erleichtern und unterstützen so die Kundenberatung. Da der stationäre Handel seine Sortimente via XR vollständiger und lebendiger als im kleinen Ladenlokal darstellen kann, bietet sich hier die Möglichkeit neben der Inspiration der Kundinnen und Kunden, die Sortimente 24/7 auszudehnen.

5 XR Frames als sichtbare immersive Interaktionsfläche in Schaufenstern

Für unser Beispiel sollten die Zielgruppen des Umfeldes – Künstler, Konferenz- und Veranstaltungsorganisatoren, existierende Unternehmen und Start Ups, Läden und Gastronomiebetriebe wie auch die Anwohner und Schulen – im Sinne eines Co-Creationprozesses für eine immersive Belebung und Interaktion der alten Einkaufstraße einbezogen werden. Es stehen also neben den leeren Ladenlokalen, die leeren Schaufenster aber auch die Schaufenster der umliegenden Geschäfte im Fokus. Da es sich um unterschiedliche Anbieter- und Nutzergruppen handelt, wurde einfache und leicht zu handhabbare Technologie mit dem verfügbaren und vielfältig einsetzbaren Mobiltelefon präferiert. Auch sollten passend zu thematischen Ereignissen – Konzerte (Emschertainment 2022), Kabarett, Kunstwoche, Konferenzen (LalaRuhr 2022), VR_Places (Places Festival 2023) – temporär wechselnde immersive Erlebnisse von verschiedenen Anbietern für kognitive, affektive und sozial-interaktive Benutzerbedürfnisse (Entertainment, Spiele, Information, Werbung, Spaß) erbracht werden können. Inhaltlich wurden sowohl immersive Ausstellungen, immersive Produkt- und Dienstleistungsangebote, Spiele und Kunst angedacht. Die lokalen Kunst‑, Veranstaltungs‑, Produkt- und Gastroanbieter könnten mittels XR immersiv auf ihre Angebote hinweisen, Konferenzveranstalter ihre Inhalte immersiv erweitern und erklären. Auch lokale Bildungsanbieter könnten die Jugendlichen in die Erstellung und Nutzung von XR anleiten oder Lehrberufe immersiv darstellen.
Die Schaufenster des XR-Start Ups (mXR Storytelling 2022) sind am kleinen Kirchplatz, der Raum für viele Menschen, körperliche Aktivitäten und sozialen Austausch bietet, zentral in der Straße platziert und eignen sich als Testfläche. Durch die Verfügbarkeit von Strom, W‑LAN, Wettersicherheit sind immersive Angebote auch 24/7, also außerhalb von Öffnungszeiten möglich. Da im Bereich der Schaufenster WLAN verfügbar ist, können einfache Apps zur XR-Verlinkung und -Aktivierung wie ArtiVive, HoloLink, ARScavenger und andere geladen und genutzt werden. Passend zu den Veranstaltungen oder Themen der Straße sollte das entsprechende immersive Angebot – von den Anbietern geplant und organisiert werden; je nach Thema und Anzahl der Beteiligten könnten auch die anliegenden Schaufenster oder Ladenlokale – im Sinne von immersiven Erlebnismeilen – flexibel erweitert werden.
Dazu wurden für die leeren Schaufenster bunte Rahmen verschiedener Größe als XR Frames angedacht, die deutlich sichtbar das Vorhandensein immersiver Verlinkungen signalisieren. Wie im Konzept des s’Fach’l (Fachl 2023) könnten verschiedenste immersive Inhalte unterschiedlicher Anbieter auf einem Schaufenster als bunte immersive Mitmachfläche, i. S. von Co-Creation (Mütterlein et al. 2022) dargestellt werden, so dass sich ein immersiver Treff- und Informationspunkt entwickelt.
Wie in Abb. 1 skizziert, sollen XR Frames als farbige Rahmen um ein Objekt, Bilderrahmen oder Bildschirm zum virtuellen Mitmachen und Weiterführen anregen. In den bunten XR Frames können einfach OCR-Codes, Bilder, reale Kunst oder Gegenstände mit verschiedenen immersiven Inhalten – 360°Filme, Texte, Bilder, Videos, Tonanleitungen, Filter – in der Cloud über eine der ausgewählten Apps verbunden und geladen werden.
Richtet man die Kamera des Mobiltelefons beispielsweise auf das Logo, wird über die App HoloLink ein 360° Raum aktiviert, in dem man sich räumlich bewegt und Video und Texte zu verschiedenen Studiengängen abrufen kann. Eine ähnliche Art der Immersion ist mit ArtiVive möglich; hier wird über das Erkennen einer Flasche als reales Objekt eine Bewegtbildsequenz mit Namen und Wegbeschreibung der Retrokneipe aktiviert und am Mobiltelefon im Routenplaner angezeigt. Beides ist intuitiv zu realisieren und erlernen. Die Noten könnten beispielhaft für künstlerische Inhalte wie das nächste Sonntagskonzert oder den örtlichen Gesangsverein stehen, der Löwe für eine lebendige Geschichte oder einen Link zu Sommerangeboten des Zoos, die Blume könnte auf lokale Floristen oder Kinderaktionen in den nahen urbanen Gemeinschaftsgärten hinweisen.
Die möglichen Einsatzszenarien als immersives Informations- und Erlebnisfenster sind mit der einfachen Technologie vielfältig und relativ schnell erstellbar. Künstler könnten über derartige Apps ihre Bilder immersiv ausstellen und Links zum Verkauf anbieten. Lokale Gastronomen, Veranstalter und Geschäfte könnten zu bestimmten Zeitpunkten immersiv auf ihre Angebote hinweisen und so eine reale Vernetzung im Viertel durch digitale Inhalte lebendig erweitern. StartUps, Studierende, kleine und mittlere Unternehmen, Vereine können mit 360° Filmen, 3D-Objekten, holografischen Objekten, Bildern, lebendigen Postkarten und Spielen (Mehler-Bichler und Steiger 2022) über diese XR Frames auf ihre Projekte, Produkte, Dienstleistungen, Ausbildungsplätze usw. hinweisen. Ein immersives Schaufenster könnte sich damit sowohl zur Ausdehnung der Produktsortimente des Handels eignen, wie auch als Ausstellungs- und Kaufplattform für Kunst und Tickets oder als elektronisches und immersives Informationsboard für die Aktionen im Stadtteil. Bei Apps und Mobiltelefonnutzung ist die Plattformunabhängig gegeben, so dass weitere Personen – lizenzabhängig – ohne Probleme dazu kommen können.
Aufwändigere Technologie wird sich nur für permanente Anbieter, etwa den Veranstaltungsbetreiber mit ständigen Installationen lohnen, um sie bei verschiedensten Events – beispielsweise Konzerteinführungen oder Sitzplatzzuweisungen – nutzen zu können. Für die permanenten und zweitweisen Anbieter der Straße muss neben kompatiblen Plattformen auch ad hoc eine entsprechende Einführung und Schulung abgehalten werden. Die Lösung ist grundsätzlich aber einfach skalierbar und auf eine Erlebnismeile anwendbar.

6 Voraussetzungen

Leerstände können zum ersten, als kleine Locations für spezielle Veranstaltungen oder auch nur als Schaufenster für immersive Angebote genutzt werden, da sie über Strom, WLAN, trockene und abschließbare Räume verfügen. In unserem Beispiel wurden die leeren Schaufenster angedacht, um auch abends immersive Elemente anzuzeigen und hochwertigere Technologie geschützt aufstellen zu können. Es müssen zweitens Apps für den jeweiligen Anwendungsfall und das Szenario ausgewählt werden; die entsprechenden Lizenzen müssen beschafft, verwaltet und finanziert werden. Es sind drittens für die Co-Creatoren der Inhalte Anleitungen und Schulungen notwendig, um die Anfangshürden zu überwinden und die Produktion der Inhalte zu ermöglichen. Die thematisch wechselnden, aktivierenden und temporären Ausstellungen müssen viertens geplant, beworben und organisiert werden. Dies wird den Hauptanteil der Arbeit ausmachen; sollen die Schaufenster lebendig sein, setzt dies eine temporäre, abwechslungsreiche und für die jeweilige Zielgruppe interessante Bespielung der Schaufenster beziehungsweise Ladenlokale voraus. Es sind Anpassungen je nach gewünschter Technologie und Event nötig – die Schaufenster und Lokale sind dann entsprechend flexibel umzugestalten und die Events mit Schulungen zu unterstützen. Es ist letztlich ein Geschäftsmodell nötig, das den Aufwand finanziert. Hier wären neben Mieteinnahmen für die Rahmenvermietung, Technologiebereitstellung, aber auch Gebühren für Teilnahme, Produktplatzierungen und Schulungen, sowie Werbeeinnahmen über Affiliate Links, App-In Käufe und E‑Mail-Marketing denkbar. Es ist somit ein kleines Managementteam nötig, um diese Art der immersiven Straßen- und Leerstandsgestaltung zu realisieren.

7 Fazit

Grundsätzlich zeigen die Überlegungen, dass ein kreatives, urbanes XR-Lern- und -Testlabor für vielfältige Themen- und Zielgruppen in alten Leerständen und Schaufenstern entwickelt werden kann. Leerstände könnten thematisch, temporär und 24/7 zu Kunstmeilen, Architektur- und Stadtgestaltungsausstellungen, Eventlocations oder zur Gaming-Area und vieles mehr werden. Es kann Lebendigkeit, Interaktion und Vernetzung thematisch und temporär durch die Ansprache affektiver, kognitiver und sozial-interaktiver Bedürfnisse hergestellt werden. Sowohl für Künstler, Konzert- und Veranstaltungsbesucher, Unternehmen, Gastrobetriebe wie auch Jugendgruppen und Gamer können ansprechende immersive Programme erstellt werden; insbesondere junge Leute sind in der Technologie schnell zuhause und haben hier viele Ideen, die für interaktive Szenarien nutzbar ist.
Die Überlegungen zeigen, dass mittels XR eine vielfältige Anreicherung eines oder mehrerer Leerstände erfolgen kann, wenn zielgruppenorientiert ein lebendiges und ansprechendes Programm aufgestellt wird. Für Gamer sind virtuelle Spieleorte, für Wissenschaftler und Stadtplaner virtuelle Vorführungen und Reallabore interessant; Kunstbesucher interessieren sich für Hinweise auf Hintergrundinformationen oder auf verlinkte Ticketverkäufe. Für Handel und Dienstleister kann eine 24/7 Produktpräsentation, Sortimentserweiterung, Ausdehnung der Kaufmöglichkeiten auf die Abendstunden immersiv realisiert attraktiv sein. Deutlich wird auch, dass Handel, Kunst, Entertainment und Information mit immersiven Technologien verschmelzen und zu Erlebnissen aller Art in Leerständen werden können.
Wie die Beispiele gezeigt haben, sind vielfältige immersive Einsatzformen und -gebiete als immersives Real Labor möglich. Technologische Offenheit und Flexibilität sind dabei bedeutsam für die Erprobung vielseitiger Formate; die Technologie ist noch längst nicht ausgereift. Die vielfältigen Beispiele zeigen die stetige Weiterentwicklung möglicher Anwendungen auf dem AR-VR-Kontinuum. Auch die Kombinationen mit 3D-Modellen und 3D-Druck, räumlich-virtuellen Karten, Metaverse-Anwendungen und NFTs wie in der High Fashion Industrie deuten darauf hin, dass sich in den nächsten Jahren vieles in immersive Formen und digitale Geschäftsmodelle wandeln wird. Die technologische Entwicklung und die in vielen Städten wachsende Anzahl von XR-Anwendungen werden in den nächsten Jahren die Herausarbeitung der „richtigen“ Zeitdauer und des „geeigneten“ Contents sowie der „geeigneten“ Geschäftsmodelle fördern.

Danksagung

Mein besonderer Dank für den Impuls gilt Sabrina Borowski, Matthias Krentzek und Roman Pilgrim von der mXR Storytelling sowie den Studierenden Robin Splettstößer, Robin Tschoeke und Manuel Nowaczyk des FB Wirtschaft der Westfälischen Hochschule für die intensive Research und die technischen Prototypen.
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Zurück zum Zitat Grothues A, Thesing T, Feldmann C (2021) Digitale Geschäftsmodelle und Innovationen mit Augmented Reality und Virtual Reality – erfolgreich für die Industrie entwickeln und umsetzen. Springer Gabler, Wiesbaden Grothues A, Thesing T, Feldmann C (2021) Digitale Geschäftsmodelle und Innovationen mit Augmented Reality und Virtual Reality – erfolgreich für die Industrie entwickeln und umsetzen. Springer Gabler, Wiesbaden
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Metadaten
Titel
Einsatz von XR zur Belebung von Leerständen
verfasst von
Karin Küffmann
Publikationsdatum
05.12.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-023-01020-9

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