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Open Access 2024 | OriginalPaper | Chapter

Altes nutzen oder Neues erfinden? Wie Firmen sich dem Emissionshandel anpassen

Author : Cara Stromeyer

Published in: Im Brennpunkt der Wirtschaftspolitik

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, müssen die CO2 Emissionen rasch auf Netto-Null sinken. Wie wirksam ist das Emissionshandelssystem der EU? CO2 Steuern und die Preise für Emissionsrechte geben der Umwelt einen Preis und machen Emissionen kostspielig. Die Firmen können Altes nutzen oder Neues erfinden. Der Einsatz existierender Technologien verspricht schnelle, aber begrenzte Erfolge. Neue Innovationen dauern länger, aber wirken umso nachhaltiger. Die Forschungsarbeit zeigt, wie die Einführung des Emissionshandels in der EU die grünen Innovationen beflügelt. Das senkt die Kosten für die Eindämmung der Emissionen und steigert die Chance, ehrgeizige Klimaziele zu erreichen.
Relevanz
Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, müssen die CO2 Emissionen rasch auf Netto-Null sinken. Wie wirksam ist das Emissionshandelssystem der EU? CO2 Steuern und die Preise für Emissionsrechte geben der Umwelt einen Preis und machen Emissionen kostspielig. Die Firmen können Altes nutzen oder Neues erfinden. Der Einsatz existierender Technologien verspricht schnelle, aber begrenzte Erfolge. Neue Innovationen dauern länger, aber wirken umso nachhaltiger. Die Forschungsarbeit zeigt, wie die Einführung des Emissionshandels in der EU die grünen Innovationen beflügelt. Das senkt die Kosten für die Eindämmung der Emissionen und steigert die Chance, ehrgeizige Klimaziele zu erreichen.
Quelle
Calel, R. (2020). Adopt or innovate: Understanding technological responses to cap-and-trade. American Economic Journal: Economic Policy, 12, 170–201.
Im Kampf gegen steigende Treibhausgasemissionen setzen wir viel Hoffnung auf grüne Innovation. Mit neuen Technologien wie Elektroautos und Solaranlagen können wir CO2Emissionen effektiv reduzieren. Um die Entwicklung solcher Technologien zu beschleunigen und Emissionen herunterzufahren, hat die EU unter Anderem das EU-Emissionshandelssystem (EHS) eingeführt. Dieses System funktioniert nach dem «Cap & Trade» Prinzip. Hierbei wird für jedes Jahr eine Obergrenze («Cap») an Treibhausgasemissionen festgelegt. Die EU-Länder verteilen die entsprechende Menge von Emissionsberechtigungen an Unternehmen, die diese dann frei untereinander handeln können («Trade»). Auf dem Markt bildet sich ein Preis für Emissionsrechte. Jedes Jahr wird die Emissions-Obergrenze reduziert. Dadurch haben die Unternehmen einen Anreiz, ihre Emissionen stetig weiter zu reduzieren. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie anderen Unternehmen Emissionsrechte teuer abkaufen.1
Wie beeinflusst der Emissionshandel die technologischen Entscheidungen der Unternehmen? Einen ersten Anhaltspunkt gibt ein Blick in die Vergangenheit. In den letzten Jahrzehnten gab es bereits andere «Cap & Trade» Programme mit dem Ziel, Umweltverschmutzungen wie Schwefeldioxid, Stickstoffoxide oder Blei zu reduzieren. Diese Programme haben vorwiegend dazu geführt, dass Unternehmen bereits existierende «saubere» Verfahren und Technologien verstärkt implementiert und genutzt haben. Einen Anschub zur Entwicklung neuer, grüner Innovation gab es allerdings kaum, da die benötigten Technologien zur Reduktion der Umweltverschmutzung bereits ausreichend vorhanden waren. Bei den Emissionsreduktionen nach dem EU-Emissionshandelssystems sind die Voraussetzungen dagegen ganz anders. Es gibt noch nicht genügend rentable, «saubere» Technologien, um die Emissionen ausreichend herunterzufahren. Die EU hofft darauf, dass das EHS die Firmen zur Entwicklung neuer Technologien anregen wird. Kann ein «Cap & Trade» System das erreichen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich der Klima-Ökonom Raphael Calel von der Georgetown University. In seiner Studie, die mit dem CESifo Distinguished Affiliate Award ausgezeichnet wurde, untersucht er, wie die Firmen auf das EHS der EU reagiert haben. Haben sie vorwiegend existierende «saubere» Technologien implementiert, oder neue Technologien entwickelt? Die Untersuchung nutzt Daten zu britischen Firmen über den Zeitraum 2000–2012. Der Datensatz enthält detaillierte Informationen über jede Firma, z. B. Umsatz und Angestellte, aber auch CO2 Emissionen, Patente und Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) pro Unternehmen. Um den Effekt des EU-EHS auf Firmenentscheidungen zu bestimmen, nutzt Calel eine Besonderheit der Regeln des EU-EHS in Grossbritannien. Generell unterliegen nur solche Firmen dem EU-EHS, die mindestens eine «grosse» Produktionsanlage betreiben. Nur diese Firmen müssen dem EU-EHS Folge leisten, während Firmen, die mehrere kleinere Einheiten betreiben, aber nach anderen Kriterien vergleichbar sind, nicht dem EU-EHS unterliegen. Anhand solcher Firmen-Paare kann Calel bestimmen, welchen Einfluss das Emissionshandelssystem der EU auf die Firmenentscheidungen hat. Der finale Datensatz enthält 403 EU-EHS Firmen und 446 Firmen, die nicht unter das EU-EHS fallen.
Abb. 1 zeigt die Entwicklung von grünen Technologien in Grossbritannien. Um festzustellen, ob Unternehmen bereits existierende emissionsarme Technologien implementiert haben, betrachtet Calel die CO2 Intensität der Produktion. Wenn Firmen schlagartig weniger CO2 für ihre Produktion ausstossen, ist es wahrscheinlich, dass sie emissionsarme Produktionstechnologien implementiert haben. Panel A bildet die ausgestossenen Tonnen CO2 pro £1000 Bruttowertschöpfung ab (obere Linie). Diese sind zwischen 2000 und 2010 stetig gesunken, um insgesamt 25 %. Allerdings scheint die Einführung des EU-ETS im Jahr 2005 keinen sichtbaren Einfluss auf die CO2 Intensität gehabt zu haben. Eine Veränderung des Trends nach 2005, also ein schneller Erfolg durch den Einsatz existierender Technologien, ist nicht zu erkennen. Ausserdem ist auch die Anzahl Arbeiter pro £1000 gesunken, was vermuten lässt, dass die Produktion schlichtweg effizienter geworden ist – unabhängig vom EU-ETS. Es ist zu vermuten, dass das EU-EHS die Einführung emissionsarmer Technologien nicht beschleunigt hat.
Anders sieht es bei den grünen Patenten aus. Anhand der Anzahl grüner Patente kann der Forscher messen, ob Unternehmen grüne Innovation vorangetrieben haben. Panel B zeigt die Anzahl grüner Patente (untere Linie) und die Gesamtzahl der Patente in Grossbritannien. Die Anzahl grüner Patente ist vor 2005 stetig um 9 % gestiegen. Nach der Einführung des EU-EHS im Jahr 2005 hat sich die Anzahl grüner Patente allerdings verdoppelt. In der gleichen Zeitspanne hat sich die Gesamtmenge aller Patente deutlich weniger schnell entwickelt, und zeigt 2005 keine Veränderung auf. Daraus kann man schliessen, dass das EU-EHS einen deutlichen Anstieg von grünen Innovationen ausgelöst hat.
Um diese Vermutungen zu überprüfen, führt Calel eine Analyse der Firmen-Paare durch. Aus den Daten geht hervor, dass die CO2 Intensität der EU-EHS Firmen durchschnittlich nicht gesunken ist. Daraus schliesst der Wissenschaftler, dass EU-EHS Firmen keine bereits existierenden grünen Technologien implementiert haben, um ihre Emissionen zu senken. Ein Grund dafür könnte sein, dass das EU-EHS keine sofortige Emissionsreduktion vorschreibt, aber mit den ansteigenden Preisen für Emissionsrechte den CO2 Ausstoss zunehmend verteuert. Die Firmen müssen also ihre Emissionen über die nächsten Jahrzehnte immer weiter senken, um die steigenden Emissionskosten zu vermeiden. In dieser Situation lohnt es sich kaum, die existierenden, teils teuren Technologien zu implementieren, wenn diese in einigen Jahren schon nicht mehr ausreichend Emissionen sparen. Stattdessen ist es zielführender, in die Forschung und Entwicklung von emissionsarmen Technologien zu investieren. Dadurch können Firmen ihre Emissionen in Zukunft stärker senken, als es die heutigen Technologien ermöglichen.
Firmen, die unter das EU-Emissionshandelssystem (EHS) fallen, scheinen existierende grüne Technologien kaum genutzt zu haben. Die Emissionen pro Produktionseinheit sind durch das EU-EHS nicht stärker gesunken als zuvor.
Tatsächlich zeigt der Forscher, dass das EU-EHS die Zahl grüner Patente gesteigert hat. Firmen, die vom EU-EHS reguliert sind, haben rund 25 % mehr grüne Patente angemeldet, als sie es ohne das EHS getan hätten. Unterdessen ist die Anzahl nicht-grüner Patente für alle Firmen gefallen. Die Einführung des EHS scheint diesen Rückgang leicht gebremst zu haben. Der Autor schätzt, dass die EU-EHS Firmen auch rund 4 % mehr nicht-grüne Patente auf den Markt gebracht haben, als sie es ohne das EU-EHS getan hätten. Das EU-EHS hat also die Innovationsneigung der Firmen insgesamt gesteigert, mit einem starken Fokus auf grüne Patente.
Das EU-EHS hat einen Anstieg der Patente mit einem Fokus auf grüne Innovationen ausgelöst. Im Unterschied zu vergleichbaren anderen Firmen haben Firmen, die dem EU-EHS unterliegen, 25 % mehr grüne Patente und 4 % mehr nicht-grüne Patente auf den Markt gebracht.
Zusätzlich untersucht Calel die Investitionen in grüne Forschung und Entwicklung (F&E). Haben die Firmen lediglich Patente angemeldet, die bereits vor dem EU-EHS entwickelt wurden, oder haben sie tatsächlich in neue grüne Innovationen investiert und zusätzliche Patente angemeldet? Anhand seiner Daten schätzt der Wissenschaftler, dass das EU-EHS zu einem 32-%igen Anstieg der Investition in grüne F&E geführt hat. Auch in die nicht-grüne Forschung haben die Firmen weiterhin mindestens so viel investiert wie zuvor. Das EU-EHS scheint die Investitionen in grüne F&E vorangetrieben zu haben, ohne dass andere Forschung darunter leiden musste.
EU-EHS Firmen haben ihre Ausgaben für grüne Innovation durchschnittlich um 32 % gesteigert, ohne die Ausgaben für andere Innovationen zu reduzieren.
Diese Resultate sind ermutigend. Allerdings bleibt zu beachten, dass das EU-EHS nur einen kleinen Teil der britischen Firmen betrifft. Die meisten Firmen werden vom EU-EHS nicht reguliert, und reagieren dadurch viel weniger auf die Einführung des EU-EHS. Welchen Effekt hat das EU-EHS also auf Grossbritannien insgesamt? Der Autor schätzt, dass die Anzahl grüner Patente insgesamt um ca. 0,1–0,25 % gestiegen ist. Die Investition in grüne Forschung und Entwicklung ist um 1–2 % angestiegen. Das klingt zunächst bescheiden. Calel zeigt allerdings, dass es sich dennoch um ein beeindruckendes Ergebnis handelt, wenn man es mit den politischen Kosten vergleicht. Die britische Regierung müsste rund £81–138 Mio. Steuergelder gezielt investieren, um den gleichen Anstieg grüner Patente durch Subventionen für grüne Forschung zu erreichen.2 Das EU-EHS hat dem Staat stattdessen £1,3 Billionen zusätzliche Einnahmen durch Auktionen von Emissionsrechten eingebracht.
Insgesamt hat das EU-EHS in Grossbritannien dazu geführt, dass die totale Anzahl grüner Patente um 0,1–0,25 % gestiegen ist. Die Ausgaben für grüne F&E sind um 1–2 % gestiegen. Die britische Regierung hätte rund £81–138 Mio. Steuergelder gezielt investieren müssen, um das gleiche Ergebnis durch Subventionen für grüne F&E zu erreichen.
Mit seiner Forschungsarbeit konnte Raphael Calel zeigen, dass das EU-EHS grüne Innovation anregt. Firmen, die unter das EU-EHS fallen, geben mehr Geld für grüne F&E aus und bringen mehr grüne Patente auf den Markt. Sie engagieren sich also für die Entwicklung verbesserter, emissionsarmer Technologien. Dadurch unterscheidet sich das EU-EHS deutlich von vorherigen «Cap & Trade» Programmen, bei denen Firmen lediglich bereits vorhandene, saubere Technologien implementiert haben, anstatt neues zu entwickeln. Das verbessert die Perspektiven für die Entwicklung der CO2 Märkte: Wenn Firmen stärker auf grüne Innovation fokussieren, dann werden effizientere und günstigere emissionsarme Technologien verfügbar. Die Kosten für die Reduktion von Emissionen sollten schneller sinken, als man es von anderen «Cap & Trade» Programmen gewohnt ist. Damit werden ambitioniertere Emissionsziele möglich, ohne die Kosten übermässig zu steigern. Die Chancen auf eine Abwendung der schlimmsten Folgen des Klimawandels steigen.
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Footnotes
1
Quelle: European Commission (2022), EU Emissions Trading System (EU ETS), Climate Action. https://​ec.​europa.​eu/​clima/​eu-action/​eu-emissions-trading-system-eu-ets_​en.
 
2
Für diese Berechnung nutzt der Autor Raphael Calel die Schätzungen von Dechezleprêtre, Antoine, Elias Einiö, Ralf Martin, Kieu-Trang Nguyen, and John Van Reenen. 2016. „Do Tax Incentives for Research Increase Firm Innovation? An RD Design for R&D“ NBER Working Paper 22.405.
 
Metadata
Title
Altes nutzen oder Neues erfinden? Wie Firmen sich dem Emissionshandel anpassen
Author
Cara Stromeyer
Copyright Year
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44415-0_9

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