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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Entstehung eines sinnvollen Wirtschaftssystems durch gesellschaftliche Selbststeuerung

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird aus systemtheoretischer Sicht beschrieben, wie ein nachhaltiges Wirtschaftssystem operiert. Es wird gezeigt, wie durch Reflexion die pathologische Selbstreferenz aufgelöst und durch eine Generalisierung stabilisiert wird. Es wird erläutert, wie eine begrenzte Reflexion in wirtschaftlichen Entscheidungen eine Selbststeuerung des Wirtschaftssystems ermöglicht und wie sie durch Fremdbeschreibungen beeinflusst werden kann.
In diesem Kapitel wird aus systemtheoretischer Sicht beschrieben, wie ein nachhaltiges Wirtschaftssystem operiert. Es wird gezeigt, wie durch Reflexion die pathologische Selbstreferenz aufgelöst und durch eine Generalisierung stabilisiert wird. Es wird erläutert, wie eine begrenzte Reflexion in wirtschaftlichen Entscheidungen eine Selbststeuerung des Wirtschaftssystems ermöglicht und wie sie durch Fremdbeschreibungen beeinflusst werden kann.

4.1 Öffnung der pathologischen Selbstreferenz durch Reflexion

In diesem Kapitel wird beschrieben, wie durch Reflexion die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems geöffnet werden kann. Nach einer allgemeinen systemtheoretischen Beschreibung von gesellschaftlicher Reflexion durch Netzwerke wird deren Steuerungsmöglichkeit anhand des Wirtschaftssystems erläutert.

4.1.1 Reduktion von Kontingenz durch Bezug auf die Sozialdimension

Bei der gesellschaftlichen Steuerung lag der Fokus bisher stark auf der Auflösung von Kontingenz durch die zeitliche Dimension. Das heißt, die Unsicherheit der Zukunft wurde rational auf Basis von Erfahrungen aus der Vergangenheit bearbeitet (siehe Abschnitt 3.​1). Da diese Sinndimension wenig Anschlusspotenzial bietet, ist es nun notwendig, eine andere Sinndimension zu wählen, um Kontingenz zu reduzieren. Für die Entwicklung von neuem Sinn wird der Fokus auf die soziale Dimension gelegt, um die beschränkte Rationalität durch neue Perspektiven zu öffnen. Im folgenden Kapitel wird untersucht, mit welchen Steuerungsmöglichkeiten der Gesellschaft die Komplexität der zunehmenden gesellschaftlichen Kontingenz verarbeitet werden kann.
Zur Annäherung an die Frage, wie die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems aufgelöst werden kann, werden Überlegungen von Willke (2007) und Baecker (2007) herangezogen, die aus systemtheoretischer Sicht jeweils ein Szenario für ein Gesellschaftsbild in der Zukunft darstellen. Ein weiterer Vertreter, der Reflexion als einen Lösungsansatz für die Probleme der modernen Gesellschaft sieht, ist Beck (2016). Während Willke (2007) mit der Wissenschaftsgesellschaft erläutert, dass Wissen im Gegensatz zur Normativität für die gesellschaftliche Steuerung eine immer größere Rolle spielt, zeichnet Baecker (2007) mit einer Netzwerkgesellschaft nach, dass durch die neuen Informationstechnologien eine immer höhere Unsicherheit entsteht, die nur durch die Flexibilität der Steuerungsform „Netzwerke“ kontrolliert werden kann. Aus Sicht einer reflexiven Modernisierung (Beck 2016) können unerwartete Nebenfolgen der Risikogesellschaft durch Reflexion von Wahrheit reduziert werden. Aus systemtheoretischer Sicht führt jedoch jede Schaffung von neuem Wissen gleichzeitig zu neuem Nichtwissen, sodass die gesellschaftliche Kontingenz zunimmt, da Gefahren, die nicht beobachtbare Risiken enthalten, häufiger auftreten (Strulik 2000, S. 47).
Aus einer systemtheoretischen Perspektive entsteht Reflexion, wenn bei Systemen die Selbstreferenz und die Systemreferenz zusammenfallen. Systemreferenz ist die Referenz, die mittels der Differenz von System und Umwelt auf das System verweist. Die Selbstreferenz entspricht einem besonderen Fall von Referenz, da sie zugleich die Operation beinhaltet, die diese Differenz darstellt. Sie bezieht sich dadurch auf sich selbst. Mit der Selbstreferenz muss nicht der Gesamtsinn erfasst werden. Die Möglichkeiten sind kontrollierbar, indem sich das System an sich selbst orientiert und die Differenz zu seiner Umwelt beobachtet. Dies entspricht der Reflexion (Luhmann 1984, S. 216).
Bei einer Reflexion beobachten Systeme die Wirkung der eigenen Identität auf die Umwelt und die Rückwirkungen dieser Wirkungen auf sich selbst im Vergleich zu den Wirkungen, die andere Systeme auf ihre Umwelt erzeugen. Reflexion entsteht im System, wenn die System-Umweltdifferenz wieder in das System eintritt. Das System muss in der Lage sein, sich selbst zu beobachten und zu beschreiben. Reflexion entsteht durch eine Veränderung der Identität zur Sicherstellung der zukünftigen Selbsterhaltung. Wie die Auswirkungen beobachtet werden, ist aber von den gewählten Selektionskriterien des Systems selbst abhängig. Identität und Selbstbeobachtung lassen sich daher nur durch das System selbst ändern (Willke 1987, S. 266 ff.).
Auch für Japp (1996, S. 200) bedeutet Reflexion, dass ein System sich selbst als Differenz zwischen System und Umwelt beobachten kann. Systeme erkennen, dass andere Systeme anders beobachten, und können diese Erkenntnis auf sich selbst beziehen.
Durch eine Beobachtung zweiter Ordnung, bei der die Art der Beobachtung beobachtet werden kann, wird diese Kontingenz deutlich (Japp 1996, S. 54 ff.).
Damit sich das System jedoch mit der Vielzahl an Möglichkeiten und Komplexität nicht überlastet, muss die Auswahl durch Asymmetrie begrenzt werden. Erst mit einer asymmetrischen Inkongruenz ist es möglich, dass die Reflexion beschränkt wird und Operationen, also Beobachtungen erster Ordnung, fortgesetzt werden (Japp 1996, S. 206).
Zwar nähert sich das System durch Reflexion einer absoluten Rationalität an, aber eine gesamtgesellschaftliche Rationalität, mit der die gesamte Gesellschaft und deren Auswirkungen in der Gesellschaft abgebildet werden können, bleibt unerreichbar. Die gesellschaftlichen Funktionssysteme können zwar ihre Umwelt in einem begrenzten Maße berücksichtigen. Aber die Auswirkungen betreffen oft auch die Umwelt von anderen Funktionssystemen. Es fehlt daher ein gesellschaftliches Subsystem, das in der Lage ist, die Interdependenzen wahrzunehmen und entsprechend zu verarbeiten. Ein solches System kann aus systemtheoretischer Sicht nicht existieren, da dann die Gesellschaft komplett in der Gesellschaft abgebildet wäre, was aufgrund der Komplexität unmöglich erscheint. Es gibt jedoch die Möglichkeit, dass die bekannten Probleme klar artikuliert werden und die Umweltorientierung der gesellschaftlichen Funktionssysteme gesteigert wird. Insgesamt sollten in der Gesellschaft die Rückwirkungen auf die Gesellschaft transparent und besser kontrollierbar gemacht werden (Luhmann 1984, S. 645).
Durch die stärkere gegenseitige Abhängigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme aufgrund der Ausdifferenzierung der Gesellschaft entsteht auch die Notwendigkeit, dass die gesellschaftlichen Funktionssysteme ihre Reflexionsleistung erhöhen, indem sie ihre eigenen Auswirkungen auf die anderen Systeme berücksichtigen und ihre eigenen Möglichkeiten durch Spezialisierung selbst begrenzen (Willke 1993, S. 247).
Durch Reflexion werden die eigenen Möglichkeiten beschränkt und damit die Überlebensmöglichkeiten der anderen Systeme gesteigert. Dies ermöglicht die Koevolution der Systeme (Willke 1987, S. 268).
Eine höhere gesellschaftliche Reflexion entsteht durch strukturelle Kopplungen, mit denen Systeme durch den gegenseitigen Austausch von Erwartungen ihre Erwartungsstrukturen ändern (Melde 2012, S. 131 f.).
Die strukturelle Kopplung ermöglicht die Berücksichtigung der Gesellschaft auf drei unterschiedlichen Ebenen. Zum einen können Individuen durch strukturelle Kopplung in das Gesellschaftssystem integriert werden (Sozialintegration), zum anderen kann die Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft durch die ökologische Integration der natürlichen Umwelt ermöglicht werden, und die Systemintegration ermöglicht die Balance zwischen den unterschiedlichen Funktionssystemen. Durch gegenseitige Berücksichtigung der Erwartungen werden die Freiheitsgrade und somit der Möglichkeitsraum der weiteren Operationen der Systeme eingeschränkt (Melde 2012, S. 65 ff.).
Netzwerke entstehen, um in einer unkontrollierbaren Umwelt durch gegenseitiges Vertrauen und Abhängigkeiten wieder ein Stück weit Kontrolle zu erlangen. Mit Netzwerken versuchen Organisationen, ein besseres Verhältnis zu anderen Organisationen aufzubauen (Luhmann 2000, S. 409).
Während in der Vergangenheit bei Organisationen der Fokus besonders auf der wirtschaftlichen Umwelt lag, ermöglicht der Fokus auf Erwartungen, dass die gesellschaftliche und ökologische Umwelt berücksichtigt wird (Baecker 2003, S. 225).
Netzwerke führen zu einer Beschleunigung und zur Zunahme der Tiefenschärfe, was die Änderungsmöglichkeiten von Systemen verbessert. Besonders für Unternehmen wird deutlich, dass deren Umwelt nicht nur aus dem Markt, sondern auch aus anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen besteht. Durch die höhere Komplexität und Unsicherheit in Organisationen wandelt sich der Steuerungsansatz von einer stark kontrollierten Arbeit hin zu einer stärker eigenverantwortlichen Arbeit, die eine intensivere Berücksichtigung von nichtwirtschaftlichen Themen erfordert (Luhmann 2000, S. 410 f.).
Es geht dabei um eine Veränderung der Perspektive, insofern die gegenseitigen Erwartungen berücksichtigt werden und externe Effekte nicht externalisiert, sondern internalisiert werden. Es geht darum, dass auch die ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden und die Organisation sich nicht nur auf ein gesellschaftliches Funktionssystem als Referenz beschränkt. Vielmehr muss es auch Rücksicht auf andere gesellschaftliche Funktionssysteme nehmen und damit eine stärkere gesellschaftliche Verankerung ermöglichen (Baecker 2003, S. 318).
Mithilfe von Individuen, die als psychische Systeme wahrnehmungsfähig sind, kann die Organisation ihre Funktion erweitern. Das psychische System ist in der Lage, eine Verbindung der Organisation zu den anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen und zur Umwelt herzustellen (Baecker 2003, S. 299 ff.).
Durch Netzwerke können Störungen in der Informationsübertragung behoben werden. Üblicherweise werden in Systemen Irritationen in Informationen transformiert, das heißt, ein kommunikatives Ereignis wird einem der zwei möglichen Codes, mit denen das System arbeitet, zugewiesen. Bei dieser Zuweisung kann es jedoch zu Störungen kommen. Wenn eine Irritation einem Code nicht eindeutig zugeordnet werden kann, entsteht Lärm oder Rauschen. Besteht dieser Lärm längerfristig im System, kann es zu einer evolutionären Transformation innerhalb des Systems kommen, wobei die Strukturen verändert werden. Wird der Lärm allerdings zu laut, kann die Irritation auch zu einer Zerstörung des Systems führen. Andererseits ist das System auch auf Irritation und Lärm angewiesen, da das System sich sonst nicht verändern kann, sondern im Gegenteil erstarrte und damit zu existieren aufhören würde. Netzwerke können den Lärm erhöhen und das System damit stärker stören. Diese Netzwerke sind parasitär, da sie sich durch den Lärm selbst reproduzieren (Schneider und Kusche 2011, S. 176 ff.).
Eine gesamtgesellschaftliche Perspektive wird besonders durch Angst hervorgebracht. Sie bietet eine alternative Sinnorientierung, ohne auf rationale Argumente angewiesen zu sein, wodurch auch ein stärkerer Fokus auf gesellschaftliche und ökologische Themen möglich ist – insbesondere wenn über Angst kommuniziert wird und sie dadurch zur Moral zu werden scheint (Luhmann 1986, S. 238 ff.).
Durch Angst können soziale Bewegungen entstehen (Japp 1996, S. 185), deren Netzwerke eine Berücksichtigung der Gesellschaft ermöglichen. Durch den Verweis auf Konflikte und Widersprüche können soziale Bewegungen, insbesondere NGOs (Melde 2012, S. 101), systemübergreifend kommunizieren und die blinden Flecken der Funktionssysteme sichtbar machen (Luhmann 1986, S. 233 f.). Durch diesen Reentry der Gesellschaft in die Gesellschaft ermöglichen sie eine gesellschaftliche Selbstbeobachtung (Melde 2012, S. 72). Diese Paradoxie wird aufgelöst, indem sie sich selbst nicht als Teil der Gesellschaft beobachten und indem sie die Illusion aufbauen, dass die Gesellschaft lediglich ihrem Protestthema entspricht (Luhmann 1986, S. 235 f.). Zwar haben soziale Bewegungen damit immer einen blinden Fleck und sind damit selber paradox. Aber sie können auch Themen außerhalb der sozialen Systeme wählen und damit auf Gefahren hinweisen, die bisher nicht betrachtet wurden. Für Veränderungen müssen sie aber erreichen, dass ihre Kommunikation in den gesellschaftlichen Funktionssystemen Resonanz auslöst (Japp 1996, S. 188 ff.).
Durch Reflexion nimmt die Kontingenz zu, da das Beobachtete je nach Beobachtung anders erscheint, sodass sich eine Differenz ausbildet (Japp 1996, S. 58). Die Gefahr der Reflexion besteht darin, dass die blinden Flecken der Beobachtung immer wieder hinterfragt werden und in einem unendlichen Prozess des Hinterfragens zu einer Überlastung des Systems führen können (Japp 1996, S. 215).
Die Gesellschaft kann die Kontingenz durch Orientierung an Erwartungsstrukturen reduzieren. Durch die Referenz auf Erwartungen kann die tautologische Selbstreferenz der gesellschaftlichen Reflexion unterbrochen und eine Überlastung verhindert werden (Melde 2012, S. 136).
Luhmann (2008, S. 56 ff.) beschreibt die gegenseitige Berücksichtigung von Erwartungen als Moral. Moral dient als Kontingenzformel, die unbestimmbare in bestimmbare Kontingenz überführt und damit Kontingenz reduziert. Sie entsteht aus der Differenz aus Achtung und Missachtung. Zwar ist jede Situation mit einem binären Code moralisch klassifizierbar, aber andere gesellschaftliche Funktionssysteme können dieselbe Situation auch anderes bewerten. Moral basiert nicht auf Konsens, sondern auf Konflikt. Takt bezeichnet eine Generalisierung von Moral zu einer Metamoral. Wenn der Takt moralisiert wird, kann Moral auch reflexiv werden, wodurch die Risiken von Moral sichtbar werden. Die Aufgabe der Ethik ist es daher, vor zu viel Moral zu warnen.
Mit dem Verweis auf Moral und die damit verbundenen Konflikte tragen soziale Bewegungen dazu bei, dass kommuniziert wird, wodurch die Systeme sich erhalten können (Melde 2012, S. 68 f.).
Außer durch Fremdreferenz kann die Kontingenz auch durch Selbstreferenz reduziert werden. Eine Referenz auf Verantwortung ermöglicht die Beschränkung des Hinterfragens von Entscheidungen durch Reflexion. Durch diese Einschränkung der Beobachtung zweiter Ordnung werden Entscheidungen in der Organisation möglich. Wenn Nebenfolgen der Entscheidung entstehen und diese nicht der Umwelt, sondern dem System zugewiesen werden, lernt die Organisation. Da die Zuweisung meist nicht kausal nachverfolgt werden kann, ist die Zuweisung eine soziale Konstruktion, die abhängig von der Kultur ist (Japp 1996, S. 130 ff.).
Wer Verantwortung trägt, ist insbesondere aus politischer Sicht abhängig von der Zuweisung von Legitimität und Autorität. Während in der Demokratie Legitimität durch die Mehrheit erzeugt wird, ist die Legitimität in einer Wissensgesellschaft zunehmend von Expertise abhängig. Durch eine eher wissensbezogene Entscheidungsfindung entsteht zunehmend eine private Autorität, die auf einer Verknüpfung von privaten Organisationen und anderen Akteuren beruht. Private Autorität entsteht entweder dadurch, dass Legitimität durch den Staat vorgegeben wird, oder auf dem Weg, dass Legitimität durch besondere Expertise oder eine besondere Rolle in der Vergangenheit vom privaten Akteur erworben wird. Neue Formen der Rechenschaftspflicht können helfen, die Defizite der Verantwortung auf globaler Ebene zu reduzieren. So können beispielsweise globale Policy-Netzwerke die Reichweite von Mechanismen für die Erzeugung von Verantwortung erhöhen (Willke 2007, S. 44 ff.). Die zusätzliche Verantwortungsübernahme durch nichtstaatliche beziehungsweise private Autoritäten kann die Kontingenz aufgrund der gesellschaftlichen Reflexion wieder reduzieren.
Durch Reflexion wird es möglich, das bisher aus einer Beobachtung Ausgeschlossene wieder sichtbar zu machen. Durch die systemübergreifende Kommunikation von Netzwerken, insbesondere von NGOs, kann ein Reentry der Gesellschaft in die Gesellschaft erfolgen. Zum Schutz einer Überlastung kann die Reflexion mit einem Bezug auf Erwartungen oder Verantwortung begrenzt werden.

4.1.2 Reflexion der Gesellschaft in der Wirtschaft

Damit die Wirtschaft die autopoietische Selbsterhaltung nicht ohne Beachtung der anderen Systeme fortsetzt und die pathologische Selbstreferenz nicht in eine Katastrophe mündet, muss das Wirtschaftssystem die eigenen Auswirkungen auf die Gesellschaft reflektieren.
Im Werk „der neue Geist des Kapitalismus“ beschreiben Boltanski und Chiapello (2003), dass Reflexion dem modernen Wirtschaftssystem inhärent ist, da der Kapitalismus sich durch Kritik kontinuierlich weiterentwickelt und damit seinen Fortbestand sichert. Eine Dauerkritik der Wirtschaft erfolgt durch das Finanzsystem, das mit der kontinuierlichen Überprüfung der Renditen einen Wettbewerb erzeugt, in dem erfolgreiche Unternehmersysteme ihre Operationen fortführen oder beginnen können, während weniger erfolgreiche Unternehmer ihre Operationen einstellen müssen (Boltanski und Chiapello 2007, S. 489 ff.).
Mit „spirit of capitalism“ bezeichnen Boltanski und Chiapello (2007, S. 8) sowohl die Regeln des Kapitalismus als auch die Gründe für ein Engagement im Kapitalismus. Durch Kritik entsteht eine argumentative oder reale Anpassung des Geistes, wodurch ein neuer Geist des Kapitalismus entsteht. Aufgrund dieser Veränderung verlieren Kritiker ihre Argumentationsgrundlage – und es wird der Sinn, sich für den Kapitalismus einzusetzen, erneuert – zum Beispiel durch Engagement in Form von Arbeit (Boltanski und Chiapello 2007, S. 8 ff.).
Da innerhalb des Wirtschaftssystems durch Wettbewerb bereits eine Dauerkritik stattfindet, ist das kapitalistische System besonders auf Kritik von sozialen Bewegungen angewiesen, da sie das Wirtschaftssystem über die Bedrohung der Gesellschaft durch Gefahren außerhalb des Wirtschaftssystems informiert (Boltanski und Chiapello 2007, S. 514).
Aus systemtheoretischer Sicht kann das Wirtschaftssystem seine Autopoiesis durch die Reflexion der gesellschaftlichen Auswirkungen erhalten. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft muss das Immunsystem der Gesellschaft die Sensibilität für Störungen dementsprechend steigern (Luhmann 1984, S. 525). Für eine intensivere gesellschaftliche Reflexion des Wirtschaftssystems spielen Organisationen eine entscheidende Rolle, denn die Kommunikation zwischen Funktionssystemen ist nur mit Organisationen möglich (Luhmann 2000, S. 401).
Zwar sind die Organisationen unabhängige Systeme, die auch keinen direkten Eingriff in die gesellschaftlichen Funktionssysteme vornehmen können, aber sie sind in der Lage, durch Entscheidungen die Ausrichtung der gesellschaftlichen Funktionssysteme zu beeinflussen (Baecker 2003, S. 22).
Für eine höhere Reflexion im Wirtschaftssystem ist eine höhere Reflexion in Organisationen notwendig. Eine Reflexion über die Organisation der Organisation wird üblicherweise der hierarchischen Spitze zugewiesen. Allerdings findet innerhalb der Organisationen eigentlich eine Dauerreflexion durch Entscheidungen statt, da kontinuierlich hinterfragt wird, auf welche Irritationen die Organisation mit Resonanz reagieren soll (Luhmann 2000, S. 327). Eine höhere Reflexion in Organisationen bedeutet eine Änderung der Entscheidungsprämissen (Luhmann 2000, S. 305). „Kompetente Organisationen“ (Luhmann 2000, S. 190) hinterfragen die eigenen Strukturen, und „responsive Organisationen“ (Willke 1996, S. 201) verändern sich mit den Umweltveränderungen. Die eigene Identität muss mit Reflexion hinterfragt werden (Willke 1996, S. 209). Organisationen brauchen daher eine stärkere Beobachtung zweiter Ordnung, die die eigenen Operationen hinterfragt (Japp 1996, S. 72). Dies gelingt, indem sie sich weniger an Rationalität und eher an Erwartungen orientieren (Japp 1996, S. 168 ff.). Entscheidungsprämissen wie beispielsweise Unternehmensziele müssen an unerwartete Ereignisse angepasst werden können (Japp 1996, S. 73 f.). Im strategischen Management wird untersucht, wie Unternehmen sich durch einen kontinuierlichen Veränderungsprozess an verändernde Umweltbedingungen anpassen können (Schendel und Hofer 1979, S. 10). Bei der Betrachtung der Umwelt haben Organisationen in der Vergangenheit durch ihre strategischen Ansätze insbesondere die wirtschaftlichen Folgen in den Fokus genommen (Burmann 2002, S. 98). Mit den daraus abgeleiteten Zielen haben sich daher auch die Erwartungsstrukturen eher auf wirtschaftliche Themen begrenzt, sodass Entscheidungen überwiegend wirtschaftlich und weniger gesellschaftlich reflektiert wurden. Die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems kann daher durch Reflexion geöffnet werden, indem die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt in Entscheidungsprämissen berücksichtigt werden.

4.1.3 Gesellschaftliche Reflexion in realwirtschaftlichen Organisationen

Während die bisherige Reflexion der Organisationen sich auf den Wettbewerb stützt und sich aus der Dauerkritik der Wirtschaftlichkeit im Wirtschaftssystem ergibt, hat sich in Organisationen zusätzlich eine gesellschaftliche Reflexion entwickelt, die auf die Kritik in Bezug auf die äußere Umwelt der Wirtschaft eingeht.
Zur Auflösung der pathologischen Selbstreferenz des Wirtschaftssystems ist eine höhere gesellschaftliche Reflexion bei Organisationen notwendig. Nach Baecker versucht eine intelligente Organisation die Auswirkungen der Organisation auf die Umwelt zu berücksichtigen, die auf die Organisation zurückwirken (Baecker 2003, S. 74). Während gemäß der Bürokratisierung nach Max Weber die Rationalisierung durch den Bezug auf Experten entsteht, sollen intelligente Organisationen durch Reflexion auf Netzwerke zurückgreifen (Baecker 2003, S. 324). Mit deren Mitgliedern können die Auswirkungen auf die gesellschaftliche und ökologische Umwelt beobachtet werden (Baecker 2003, S. 237 f.).
Nach Willke (2007, S. 41 f.) entsteht eine intelligente Organisation nicht nur durch intelligente Mitglieder, sondern aus den Strukturen, Prozessen und Regelsystemen der Organisation, die reflexiv werden müssen. Organisationen sollten daher ein Gleichgewicht finden zwischen personeller und organisatorischer Intelligenz.
Das „postheroische[s] Management“ (Baecker 1994) ist ein Management, das die Entscheidungsprämissen reflektiert und die strukturellen Kopplungen anpasst, um die Gesellschaft wieder stärker in die Organisation einzubringen und somit die Reflexion zu erhöhen (Melde 2012, S. 199).
Die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems lässt sich somit durch eine höhere gesellschaftliche Reflexion von intelligenten Organisationen mit einem postheroischen Management auflösen.
Die Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Gesellschaft innerhalb einer Organisation wurde unter dem Konzept der Corporate Social Responsibility in einer kontroversen akademischen Auseinandersetzung diskutiert.
Da sich das Konzept in den letzten 50 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hat, hat sich bisher kein einheitliches Verständnis für Corporate Social Responsibility etabliert. (Schneider 2015, S. 40; Aguinis und Glavas 2012, S. 933; Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 64) Carroll (1999), Lee (2008), Carroll (2008) und Aguinis und Glavas (2012) geben mit Literaturübersichten einen Überblick über die Vielfalt der Definitionen, auf die nur im Hinblick auf die Möglichkeit zur Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft eingegangen werden, um die Anschlussfähigkeit zur Systemtheorie herzustellen.
Zur Berücksichtigung der Gesellschaft in Organisationen hat sich das Konzept der Corporate Social Responsibility in mehreren Phasen entwickelt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Arbeitsbedingungen diskutiert (Wren 2005). Ab den 1930er Jahren entstanden philanthropische Aktivitäten (Heald 1970) und erste treuhänderische (Hay und Gray 1974) und soziale Verpflichtungen für Organisationen (Eberstadt 1973, S. 22). Der Begriff „Corporate Social Responsibility“ (CSR) entstand jedoch erst ab den 1950er Jahren (Bowen 1953, S. 6). Daraufhin stand sehr stark das Thema „Philanthropie“ im Zentrum. CSR beruhte auf freiwilligen Aktivitäten, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgingen (Davis 1960, S. 70; McGuire 1963, S. 144). In diesem Zeitraum änderte sich das Verständnis von CSR, da die Verantwortlichkeit nicht mehr bei Personen, sondern bei Unternehmen gesehen wurde (Walton 1967, S. 18). Die 1970er Jahre waren besonders geprägt durch Rückwirkungen der Gesellschaft auf die Unternehmen (Carroll und Shabana 2010, 87 f.). In dieser Zeit entwickelten sich weitere Definitionen und Konzepte (Johnson 1971). Einen wichtigen Beitrag leistete das Committee for Economic Development (CED) (1971), das die Bedeutung der Wirtschaft für die Gesellschaft betonte und forderte, dass die Wirtschaft auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse eingeht und diese befriedigt. Die Voraussetzung dafür sei ein Vertrag zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, in dem die Wirtschaft die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft anerkennt und der Gesellschaft dient.
In einem ähnlichen Ansatz beschrieben Eells und Walton (1976), dass im Fall der Corporate Social Responsibility nicht nur wirtschaftliche Ziele, sondern auch gesellschaftliche Bedürfnisse und Ziele berücksichtigt werden sollen, denn auch das Wirtschaftssystem könne nur in einer funktionierenden Gesellschaft überleben, weshalb die Wirtschaft die Verantwortung übernehmen sollte, diese Gesellschaft zu unterstützen und zu verbessern.
Es entwickelte sich aber auch zunehmend Kritik gegenüber dem CSR-Konzept.
Levitt (1958) vermutete, dass die sozialen Bewegungen Unternehmen auch von der Gewinnorientierung, die die eigentlich Wohlfahrtsfunktion der Unternehmen darstellt, abbringen könnte. Die gesellschaftliche Wohlfahrt sollte eher vom Staat übernommen werden.
Ähnlich argumentierte auch Hayek (1967), der in CSR die Gefahr sah, dass sie die primären Unternehmensziele verwässert und dass Unternehmen von den eigentlichen Aufgaben abhält. Als prominentester Kritiker der CSR gilt der Ökonom Milton Friedman, der CSR als geschäftsbedrohendes Konzept als nicht erfüllbar erachtet und die einzige Verantwortung von Unternehmen in der Gewinnerzielung für Aktionäre sieht (Friedman 1962, S. 133). So betitelt der Ökonom Friedman seinen Artikel über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen provokativ: „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits!“ (Friedman 2007)
Wallich und McGowan (1970) stimmten Friedman dahin gehend zu, dass aus einem eingeschränkten Fokus auf die Profitmaximierung eine Investition in CSR keinen Sinn machen würde. Allerdings seien Aktionäre nicht nur an einem Unternehmen beteiligt, sondern besäßen ein diversifiziertes Portfolio, weshalb der Gewinn eines Unternehmens zulasten eines anderen Unternehmens auch nicht im Interesse der Aktionäre sein könne.
Diese These unterstützt auch Davis (1973), der die Annahme hatte, dass Unternehmen, die ihre Umwelt zerstören, zu der sie gehören, auch die Akzeptanz und Kunden verlieren, weshalb es für die langfristigen Interessen von Unternehmen sinnvoll ist, die Umwelt zu berücksichtigen.
In den 1980er Jahren entwickelte sich ein Verständnis von CSR, in dem Unternehmen die Umwelt berücksichtigten, da die eigenen Auswirkungen auf die Gesellschaft auf das Unternehmen zurückwirken (Lee 2008). Dieses Verständnis von CSR entspricht der Reflexion aus systemtheoretischer Sicht. Drucker (1984) geht davon aus, dass Unternehmen besonders dann gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, wenn sie mit einer Gewinnerzielung kompatibel ist. Nach dem Konzept der Corporate Social Responsiveness (CSR2) von Frederick (1978) sollen Unternehmen aufgrund von strategischen Überlegungen stärker auf die Erwartungen von gesellschaftlichen Anspruchsgruppen eingehen.
Mit dem Stakeholdergedanken (Freeman 1984) wurde eine eher strategische Orientierung von CSR eingeläutet. Freeman (1984) entwickelte mit seiner Stakeholder Theory die These, dass das Überleben des Unternehmens nicht nur durch Aktionäre, sondern auch durch eine Vielzahl von anderen Stakeholdern wie Mitarbeitern, Regierungen und Kunden beeinflusst wird. Für eine Verknüpfung des CSR-Konzeptes mit dem Stakeholderansatz, musste die Definition von CSR an die konkreten Stakeholdererwartungen angepasst werden, wodurch eine Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen von CSR entstanden ist (Lee 2008, S. 62). Die wohl bekannteste Definition von CSR stammt aus den 1990er Jahren. Nach der CSR-Pyramide von Carroll (1991) umfasst CSR „the simultaneous fulfillment of the firms economic, legal, ethical, and philanthropic responsibilities. Stated in more pragmatic and managerial terms, the CSR firm should strive to make a profit, obey the law, be ethical, and be a good corporate citizen“ (Carroll 1991, S. 43). Die Basis, damit Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können, besteht demnach in der Generierung von Gewinnen.
Insbesondere um die Jahrtausendwende wurden weniger theoretisch-konzeptionelle Weiterentwicklungen geleistet. Eher gewannen empirische Untersuchungen der Konzepte an Relevanz. Auch die Untersuchung von Best-Practices und die Ermittlung des Business Case gewann an Bedeutung (Carroll 2008, S. 40).
Aus systemtheoretischer Sicht tritt gesellschaftliche Verantwortung in jeder Entscheidung von Unternehmen auf. Die Verantwortungsübernahme, die nur durch Personen erfolgen kann, trägt zur Unsicherheitsabsorption bei (Luhmann 2000, S. 197).
Mit einer stärkeren strategischen Ausrichtung auf gesellschaftliche Ziele kommt das Unternehmen zwangsläufig in Konflikt mit wirtschaftlichen Zielen, denn für das Unternehmen ist es unmöglich, die gesamte Gesellschaft zu berücksichtigen und für alles Verantwortung zu übernehmen. Zur Realisierung von Corporate Social Responsibility muss es gelingen, dass die gesellschaftlichen Erwartungen in Einklang mit den wirtschaftlichen Erwartungen stehen. Da Unternehmen zur Selbsterhaltung auf Wirtschaftlichkeit angewiesen sind, können sie darüber hinaus keine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Durch Corporate Social Responsibility wird die Komplexität von externen Anforderungen verarbeitbar. Sie ermöglichen eine Kopplung der Unternehmen mit ihrer Umwelt, denn durch Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen werden die Differenzen zwischen den externen Erwartungen und den internen Zielen reduziert. Mithilfe von Corporate Social Responsibility entsteht eine Selbstverpflichtung, woraus neue externe Erwartungen entstehen, die zu neuen Selbstverpflichtungen führen. Durch diese Spirale wird es immer wieder ermöglicht, die Gesellschaft in der Wirtschaft zu berücksichtigen, was die Komplexität der Umwelt verarbeitbar macht. Durch Corporate Social Responsibility werden externe Erwartungen in die Unternehmenskommunikation übersetzt, wodurch die Gesellschaft eine interne Anschlussfähigkeit erhält und damit bearbeitbar wird (Melde 2012, S. 178 ff.).
Corporate Social Responsibility ermöglicht eine gesellschaftliche Reflexion in realwirtschaftlichen Organisationen, wodurch in den Entscheidungsprämissen die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt berücksichtigt werden können.

4.1.4 Gesellschaftliche Reflexion in finanzwirtschaftlichen Organisationen

Auch das Finanzsystem arbeitet dauerhaft mit einer Reflexion, die sich allerdings auch nur auf die systeminterne Umwelt der Wirtschaft bezieht, indem Veränderungen der Umwelt in Form von Risiken durch das Finanzsystem wahrgenommen werden.
Untersuchungen zum Finanzsystem stützen sich daher meist auf die Auflösung der Kontingenz durch Rationalität, indem ein nutzenorientierter Homo oeconomicus, der die Chancen und Risiken rational abwägt, zugrunde gelegt wird. Dazu gehört beispielsweise die Portfoliotheorie (Markowitz 1952) und deren Weiterentwicklungen wie das Single-Index-Modell (Sharpe 1963) oder das Capital Asset Pricing Model (Lintner 1965; Mossin 1966). Mit der Annahme eines vollkommenen Marktes wird von einem trivialen System der Wirtschaft ausgegangen. Zwar gibt es auch Ansätze wie die Arbitragepreistheorie (Roll und Ross 1980), die nicht mehr davon ausgeht, dass Marktgleichgewichte entstehen, sondern nur davon, dass der Wertpapiermarkt bestrebt ist, abitragefrei zu werden. Aus systemtheoretischer Sicht sind diese Ansätze sehr leistungsfähig, da sie die Komplexität auf eine begrenzte Anzahl an Parametern beschränken und somit sofort eindeutige Lösungen produzieren. Allerdings sind sie jedoch nur so lange erfolgreich, wie auch das Finanzsystem in Einklang mit den grundlegenden Annahmen operiert. Da sie nicht in der Lage sind, die gesamte Komplexität der Wirtschaft im Modell abzubilden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die unterkomplexen Modelle scheitern. Sie bleiben immer unvollständig und enthalten immer die Gefahr, dass bestimmte Risiken übersehen werden. Beispielhaft ist die Finanzkrise 2009, deren vorangegangene Spekulation nicht mit den rationalen und empirischen Modellen erklärt werden konnte, was zeigt, dass die moderne Portfoliotheorie selbst zu unerwarteten Konsequenzen beitragen kann (Beyhaghi und Hawley 2013). Für eine Reflexion im systemtheoretischen Sinne müssten die Rückwirkungen der Umwelt durch die eigenen Auswirkungen auf die Umwelt betrachtet werden. Zwar verfolgen Aufsichtsbehörden und andere Marktteilnehmer das Interesse, solche systemischen Risiken zu identifizieren. Die quantitativen und qualitativen Methoden, beispielsweise bei der Darstellung der Risikokonstellation im einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) (Europäische Zentralbank 2018), sind jedoch begrenzt aussagefähig, da das Wirtschaftssystem zu komplex ist, als dass alle Erwartungen und Interdependenzen erfasst werden könnten, die zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren ermöglichen würden. Mit einem Policy-Netzwerk, das Markt und Hierarchie verbindet, und einer stärkeren strukturellen Kopplung zwischen privaten und öffentlichen Akteuren kann die Komplexität besser verarbeitet werden (Strulik 2000, S. 283). Qualitative Steuerungsansätze ermöglichen, die gegenseitigen Erwartungen besser zu berücksichtigen und die Auswirkungen genauer zu reflektieren (Strulik 2000, S. 254 ff.). Mithilfe von Kontextsteuerung können die bestehenden Annahmen reflektiert und neue Risiken identifiziert werden (Strulik 2000, S. 292). Diese Transparenz schafft einerseits Sicherheit, erzeugt aber gleichzeitig neue Unsicherheit, da die gewählte Beobachtungsperspektive die falsche sein kann (Strulik 2000, S. 149 ff.). Auch in Bezug auf die Finanzwirtschaft sollte daher nicht zwischen Risiko und Sicherheit, sondern zwischen Risiko und Gefahr unterschieden werden. Dies erhöht die Resonanz gegenüber Auswirkungen des Finanzsystems auf die systeminterne Umwelt der Wirtschaft (Strulik 2000, S. 280). Im Finanzsystem fand eine Reflexion besonders in Bezug auf die wirtschaftsinterne Umwelt statt. Finanzmathematische Modelle, die sich auf empirische Modelle beziehen, setzen auf eine Kontingenzreduktion auf Basis von historischen Erfahrungen, die allerdings nie die vollständige Komplexität der Wirtschaft erfassen können. Sie bleiben unvollständig, wodurch immer die Gefahr besteht, bestimmte Risiken zu übersehen. Aus systemtheoretischer Sicht können qualitative Steuerungsansätze, die gegenseitige Erwartungen berücksichtigen, neue Risiken aufdecken. Da die Beobachtungsperspektive aber immer blinde Flecken haben wird, ist zwischen Risiko und Gefahr zu unterscheiden.
Neben der Reflexion der systeminternen Umwelt der Wirtschaft hat sich jedoch auch eine Reflexion der systemexternen Umwelt der Wirtschaft entwickelt, welche die gesellschaftlichen Auswirkungen durch das Finanzsystem reflektiert. Ähnlich zur Corparate Social Responsiblity in der Realwirtschaft hat sich mit Social Responsible Investment in mehreren Phasen ein Ansatz in der Finanzwirtschaft entwickelt (Louche et al. 2012, S. 303), der die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt reflektieren kann.
Die erste Phase bezieht sich auf die Wurzeln von SRI, als Religion eine wesentliche Rolle spielte. Im frühen 18. Jahrhundert entwickelten in den USA die Methodisten und später die Gesellschaft der Freunde (Quäker) die Idee, Investitionen in Industrien, die den eigenen Nachbarn Schaden zufügen, auszuschließen, um eine Mitschuld zu vermeiden (Mehrpouya 2014, S. 17).
In Europa gehen die Wurzeln von SRI auf das 18. Jahrhundert zurück, in dem viele Banken mit einer konkreten Mission gegründet worden sind, gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen. Dazu gehörten Mikrokreditinstitute oder die Raiffeisen- und Volksbanken als Genossenschaften (Kaufer 2014, S. 76).
Daraus haben sich erste Fonds mit Ausschlusskriterium gebildet. Alle religionsbasierten SRI-Ansätze hatten die Gemeinsamkeit, dass sie sich auf die Achtung von religiösen Werten, Vermeidung von Mitschuld und dem Ausschluss von sündigen Sektoren fokussierten. In der zweiten Phase entwickelte sich das Verständnis von SRI im heutigen Sinne. In dieser Phase gab es einen Wandel von glaubensorientierten Ansätzen zu einem stärkeren Fokus auf die Erzeugung eines höheren Bewusstseins hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Louche et al. 2012, S. 303).
Ab den 1960er Jahren verbreiteten sich soziale Bewegungen in den USA, angetrieben von Studentenprotesten, die ein kollektives Divestment von Unternehmen, die in Südafrika investierten, mobilisierten, um Druck gegen das Apartheidregime aufzubauen (Mehrpouya 2014, S. 17 ff.).
Im gleichen Zeitraum versuchte beispielsweise die Antivietnam-Kriegsbewegung, institutionelle Investoren zu einem Verkauf von Dow-Chemical-Aktien zu bewegen, da Dow Chemical Napalm herstellte (Puaschunder 2016, S. 44). Ein weiteres Beispiel ist der proaktive Investorenaktivismus mit dem Namen Campaign GM, der 1970 die Aktionäre von GM mobilisierte, um die Interessensvertretung der Gesellschaft im Vorstand zu erhöhen und um erstmals eine schwarze Person in den Vorstand aufzunehmen (Mehrpouya 2014, S. 17 ff.). In den 1980er Jahren praktizierten US-Universitäten, Investoren, Kirchen, Städte, Gemeinden und Regierungen politische Deinvestitionen, um gegen das südafrikanische Apartheidregime, die Rassentrennung und ökonomische Diskriminierung von Nichteuropäern in Südafrika vorzugehen (Puaschunder 2016, S. 44).
Während also bis 1960 das Motiv für SRI hauptsächlich in einer Mischung aus Achtung von religiösen Werten und der Vermeidung einer Mittäterschaft bestand, indem Alkohol, Glücksspiel oder sündige Aktien vermieden wurden, entwickelte sich ab den 1960er Jahren durch Bürgerrechtsbewegung und Umweltbewegung der Anspruch, durch Divestments die Welt zu verändern (Puaschunder 2016, S. 44).
Die 1990er Jahre bildeten die dritte Phase. Diese Übergangsphase war durch ihre weniger konfrontativen Ansätze geprägt (Louche et al. 2012, S. 303).
Im Kontext des Wandels des institutionellen Rahmens und des neoliberalen Drucks zur Finanzialisierung seit den 1990ern entwickelte sich SRI allmählich aus der Nische in den Mainstream der Finanzwirtschaft. Mit der Entstehung von sozialen Bewegungen entstanden Grenzakteure, sodass sich die etablierten Finanzorganisationen und Investoren mit der gesellschaftlichen Umwelt auseinandersetzen mussten (Puaschunder 2016, S. 45).
Es gab einen starken Fokus auf Umweltthemen, weshalb besonders in Europa Umweltfonds aufgelegt wurden. In dieser Zeit begann es, dass sich eine Vielzahl an SRI-Ratingagenturen und -indizes entwickelte (Louche et al. 2012, S. 303).
Ab der Jahrtausendwende begann die Wachstumsphase von SRI. Der Anfang des 21. Jahrhunderts stellte einen Wendepunkt sowohl für die verwendeten Ansätze als auch für das Wachstum dar. Durch die stärkere Professionalisierung konnte eine höhere Akzeptanz in der Community der Mainstreaminvestoren erreicht werden. Dies hatte zur Folge, dass SRI seinen Aktivismus-Image verlor und eher kommerzielle Ambitionen verfolgte (Louche et al. 2012, S. 303).
Die Entwicklung der SRI-Bewegung von einer regional zu einer nationalen und dann internationalen Ebene führte zu einer globalen Diffusion, die durch eine zunehmende Größe und Vielfalt der Organisationen, die sich mit SRI beschäftigten, unterstützt wurde. Da immer mehr und größere Unternehmen in einer größeren Vielfalt durch SRI adressiert wurden, konnte ein immer größeres Netzwerk entstehen, das die Auswirkungen des Finanzsystems auf die gesellschaftliche Umwelt reflektierte. Während am Anfang besonders NGOs und religiöse Investoren für eine höhere Resonanz bezüglich gesellschaftlicher und ökologischer Themen im Finanzsystem sorgten, entwickelte sich ein vielfältiges Netzwerk, das sich mit SRI auseinandersetzte. Mit diesem wachsenden Netzwerk, das sich sowohl national als auch international ausstreckte und Netzwerk- und Beratungsorganisationen, Researchanbieter, wertebasierte und Mainstreaminvestoren, Konferenzen und Wirtschafts- und akademische Zeitschriften und Publikationen umfasste, konnte die Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Themen deutlich gesteigert werden (Puaschunder 2016, 45 ff.).
Ab 2010, der fünften Phase in der Entwicklung von SRI, kam SRI im Mainstream an und wurde zunehmend von institutionellen Investoren akzeptiert (Louche et al. 2012, S. 303).
Die zunehmende Informationstransparenz in Verbindung mit Benchmarks zum gesellschaftlichen Verhalten von Unternehmen und die Förderung des Gesellschaftsbewusstseins bei Treuhändern durch Regierungsbehörden sorgten für die Etablierung von SRI. Gleichzeitig nutzten Investoren ihre Macht, um das Verhalten von Unternehmen hin zu einer stärkeren gesellschaftlichen Verantwortung zu beeinflussen. SRI erreichte eine beispiellose Vielfalt mit weitreichenden Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement (Puaschunder 2016, S. 45).
Mittlerweile haben sich durch das internationale Netzwerk und die Vielzahl an Akteuren einschließlich NGOs, die sich mit SRI beschäftigen, auch internationale Institutionen gebildet, welche die gesellschaftliche Reflexion innerhalb der Finanzwirtschaft erleichtern.
Die internationale Zusammenarbeit zwischen Marktteilnehmern, Zentralbanken, Finanzministerien und Regulatoren wächst. Sie fokussiert sich besonders darauf, Wissen auszutauschen und neues Wissen zu schaffen. Dazu gehören zum Beispiel Sustainable Banking and Finance Network (SBFN), Principles for Responsible Investment (PRI) und die United Nations Environment Programme Finance Initiative (UNEP FI) (G20 Green Finance Study Group 2016, S. 7).
Es arbeitet mittlerweile eine Vielzahl an Akteuren an der Schnittstelle von Finanzmärkten und Nachhaltigkeit.
In Deutschland wurden 2017 420 relevante Akteure identifiziert, wovon sich 129 ausschließlich mit der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Finanzmärkten beschäftigen: Dies waren unter anderem Investoren, Intermediäre, Investierte, Dienstleister, Fachverbände, Regierungsbehörden, Universitäten und Forschungseinrichtungen (Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) 2017, S. 14). In Europa bietet insbesondere die Platform on Sustainable Finance die Möglichkeit zu einem Dialog und einer engen Kooperation zwischen verschiedensten Stakeholdern aus dem öffentlichen und privaten Sektor (EU Platform on Sustainable Finance 2021). Darüber hinaus gibt es noch die International Platform on Sustainable Finance, die als multilaterales Forum einen Austausch über Sustainable Finance Policies und Initiativen zwischen öffentlichen Behörden ermöglicht (International Platform on Sustainable Finance 2021).
Durch SRI kann das bisherige Policy-Netzwerk der qualitativen Kontextsteuerung um Akteure wie NGOs, die über die Systemgrenzen des Wirtschaftssystems kommunizieren können, erweitert werden. Durch Verantwortungsübernahme einzelner Mitglieder des Netzwerks entstehen klare Erwartungen, wodurch die Finanzwirtschaft die komplexe Gesellschaft in ihrer Logik verarbeiten kann. SRI macht daher in finanzwirtschaftlichen Organisationen eine gesellschaftliche Reflexion möglich, sodass in den Entscheidungsprämissen die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt berücksichtigt werden können. Indem die finanzielle Perspektive um gesellschaftliche Aspekte ergänzt wird, wird die Transparenz hinsichtlich der gesellschaftlichen Gefährdung durch das Finanzsystem erhöht.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass Reflexion entsteht, wenn bei Systemen die Selbstreferenz und Systemreferenz zusammenfällt und wenn die System-Umweltdifferenz im System wieder eintritt. Bei einer Reflexion beobachten Systeme die Wirkung der eigenen Identität auf die Umwelt und die Rückwirkungen dieser Wirkungen auf sich selbst. Wie die Auswirkungen beobachtet werden, ist aber von den gewählten Selektionskriterien des Systems selbst abhängig und kann daher auch nur das System selbst ändern. Durch diese Beobachtung zweiter Ordnung wird jedoch Kontingenz sichtbar. Erst mit einer asymmetrischen Inkongruenz ist es möglich, dass die Reflexion beschränkt und Operationen, also Beobachtungen erster Ordnung, fortgesetzt werden. Zwar nähert sich das System durch Reflexion einer absoluten Rationalität an, aber eine gesamtgesellschaftliche Rationalität, mit der die gesamte Gesellschaft und deren Auswirkungen in der Gesellschaft abgebildet werden könnten, bleibt unerreichbar. Durch Reflexion können Systeme jedoch die eigenen Auswirkungen auf andere Systeme berücksichtigen, um die eigenen Möglichkeiten so zu begrenzen, dass die Überlebensmöglichkeiten der anderen Systeme steigen.
Organisationen können mithilfe von Netzwerken die eigenen Auswirkungen auf Umwelt und andere Gesellschaftssysteme reflektieren. Denn durch Individuen als wahrnehmungsfähige psychische Systeme innerhalb eines Netzwerkes können Netzwerke systemübergreifend kommunizieren.
Soziale Bewegungen können mit ihren Netzwerken die blinden Flecken der gesellschaftlichen Funktionssysteme sichtbar machen. Durch eine Reduktion der Gesellschaft auf ein Protestthema ermöglichen sie den Reentry der Gesellschaft in die Gesellschaft.
Durch Reflexion nimmt Kontingenz zu, da die blinden Flecken der Beobachtung unendlich hinterfragt werden können, was zu einer Überlastung führen kann.
Durch Referenz auf Erwartungen kann die tautologische Selbstreferenz der gesellschaftlichen Reflexion unterbrochen und eine Überlastung verhindert werden. Insbesondere durch Moral, die auf einer gegenseitigen Berücksichtigung von Erwartungen beruht, kann Kontingenz reduziert werden.
Auch Verantwortung kann Kontingenz reduzieren, da sie verhindert, dass Entscheidungen hinterfragt werden.
Gesellschaftliche Kritik sorgt für gesellschaftliche Reflexion in der Wirtschaft, wodurch die gesellschaftliche Legitimität des Kapitalismus aufrechterhalten bleibt, sodass auch das Wirtschaftssystem seine Operationen fortsetzen kann. Aus systemtheoretischer Sicht kann das Wirtschaftssystem durch Reflexion der gesellschaftlichen Auswirkungen seine Autopoiesis erhalten.
Für eine höhere Reflexion im Wirtschaftssystem ist eine höhere Reflexion in Organisationen notwendig. In Organisationen findet eine Dauerreflexion durch Entscheidungen statt. Für eine Erhöhung der Reflexion müssen Entscheidungsprämissen geändert werden. Es sind stärker die eigenen Strukturen zu hinterfragen und stärkere Anpassungen an die Gesellschaft vorzunehmen. Entscheidungsprämissen, beispielsweise Unternehmensziele, müssen flexibler werden. Bei strategischen Ansätzen lag der Fokus in der Vergangenheit besonders auf der wirtschaftlichen Reflexion, aber nicht auf der gesellschaftlichen.
Die Entstehung von Corporate Social Responsibility (CSR) ermöglicht in realwirtschaftlichen Organisationen eine gesellschaftliche Reflexion, sodass in den Entscheidungsprämissen die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt berücksichtigt werden können.
Social Responsible Investment (SRI) macht in finanzwirtschaftlichen Organisationen eine gesellschaftliche Reflexion möglich, sodass in den Entscheidungsprämissen die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt berücksichtigt werden können.
Real- und finanzwirtschaftliche Organisationen können die gesellschaftliche Komplexität mithilfe eines Netzwerkes aus wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stakeholdern reduzieren. Die Übersetzung der Erwartungen der Stakeholder in die systemeigene Logik macht die Gesellschaft an die interne Kommunikation anschlussfähig. Durch diese Reflexion der gesellschaftlichen Auswirkungen kann das Wirtschaftssystem seine Autopoiesis erhalten.

4.2 Stabilisierung von neuem Sinn durch Generalisierung

In diesem Kapitel wird beschrieben, wie durch Generalisierung eine Überlastung der gesellschaftlichen Reflexion verhindert wird und durch Nachhaltigkeit ein einheitlicher Bezugspunkt entsteht, der Stabilität für wirtschaftliche Entscheidungen bietet. Nach der Beschreibung der gesellschaftlichen Funktion von Nachhaltigkeit wird deren Bedeutung für das Wirtschaftssystem dargestellt und erläutert, wie sich wirtschaftliche Entscheidungen an Nachhaltigkeit orientieren.

4.2.1 Generalisierung durch Nachhaltigkeit

Neben der Möglichkeit, Kontingenz durch die zeitliche Dimension mithilfe von Erfahrungen und Rationalität oder mit der sozialen Dimension aufgrund einer höheren Reflexion über Netzwerke zu reduzieren, besteht eine Alternative in der Kontingenzreduktion mittels Generalisierung und eines einheitlichen Bezugspunktes in der sachlichen Dimension.
Auf der gesellschaftlichen Ebene ermöglicht eine höhere Reflexion zwar eine stärkere Berücksichtigung der Umwelt, aber wegen der Komplexität der Gesellschaft und vielfältiger Reflexionsmöglichkeiten entsteht gleichzeitig neue Kontingenz. Die Einführung der neuen gesellschaftlichen Steuerungsform mittels Netzwerke in Verbindung mit neuen Kommunikationsmedien der Digitalisierung sorgt zusätzlich für eine höhere Kontingenz.
Die Grenzen der gesellschaftlichen Reflexion werden anhand der Paradoxie der Beobachtungen ersichtlich. Zwar können Entscheidungsfolgen reflektiert werden, aber es ist nie möglich, alle Unsicherheiten zu beobachten, da die Komplexität der Gesellschaft zu groß ist. Bei dem Versuch, diese Komplexität in Gänze erfassen zu wollen, wäre es nicht mehr möglich, eine Entscheidung zu treffen. Damit eine Entscheidung getroffen werden kann, muss daher die Illusion der Sicherheit aufgebaut werden, dass alle relevanten Unsicherheiten berücksichtigt werden. Jede Beobachtung ist nur durch Blindheit möglich (Japp 1996, S. 164 f.).
Die Beobachtung von Netzwerken und NGOs ermöglicht zwar den Reentry von bisher Ausgeschlossenem, wodurch sich die Beobachtung einer Rationalität nähert (Luhmann 1984, S. 543), allerdings entstehen durch eine Beobachtung zweiter Ordnung erst mal unendliche Konflikte, mit denen gesellschaftliche Probleme in ihrer Umwelt sichtbar werden, die bisher in den Kommunikationen der Funktionssysteme so nicht berücksichtigt wurden. Unendliche Konflikte verweisen auf den blinden Fleck, der jeder Beobachtungsdifferenz eines Systems eigen ist. Auch die Reflexion durch soziale Bewegungen kann zu Blockadeeffekten führen, indem eine nachhaltige Lösung als zu gefährlich eingestuft wird, da jeder Versuch der Auflösung von Risiken zu scheinbar neuen Risiken führt (Japp 1996, S. 221 ff.).
Durch neue Kommunikationsmedien wird versucht, die neue Kontingenz, die durch die Beobachtung zweiter Ordnung entsteht, verarbeitbar zu machen. Durch Netzwerke (Baecker 2007) und die zunehmende Digitalisierung lassen sich mögliche Unsicherheiten aus den unendlichen Konflikten der Reflexion schneller bearbeiten (Luhmann 2000, S. 328). Da Algorithmen, sobald sich ein Inputfaktor ändert, sofort reagieren, entsteht eine direkte Kopplung, mit der eine höhere Sensibilität gegenüber der Umwelt möglich ist (Luhmann 2000, S. 367 ff.). Durch Informationstechnologie mit Echtzeitinformation wird vieles sofort möglich, und räumliche Entfernungen werden immer irrelevanter, da es möglich wird, jederzeit an jedem Ort der Welt zu sein (Willke 2007, S. 91). Durch die Digitalisierung kann jede Transaktion kosteneffizient und in Echtzeit ausgeführt werden, weshalb in der atopischen Gesellschaft Distanzen keine Rolle mehr spielen (Willke 2007, S. 196). Durch die direkte Kopplung nimmt die Komplexität jedoch auch weiter zu, und damit wird auch die Kontingenz an anderer Stelle erhöht, die dann durch eine indirekte Kopplung wieder reduziert werden muss (Luhmann 2000, S. 375 ff.). Algorithmen werden entwickelt, um Unsicherheit zu reduzieren, zugleich erhöhen sie aber an anderer Stelle die Unsicherheit (Esposito 2014).
Die zeitlich relevante zunehmende Beschleunigung und die Abnahme von räumlichen Distanzen in einer atopischen Gesellschaft führen zu einer enormen Erhöhung der Kontingenz. Die Auflösung der – insbesondere nationalstaatlichen – Ordnung führt zur Heterotopia (Willke 2003). Dies beschreibt eine Gesellschaft, die sich ihrer Hyperkomplexität und der daraus resultierenden Unordnung zunehmend bewusst wird.
Nach Japp können die unlösbaren Konflikte aufgelöst werden, indem durch die Unterstützung von intermediären Verhandlungssystemen ein vorläufiger Konsens hergestellt wird, durch den Konflikte dann entscheidbar werden. Blockaden zwischen den Funktionssystemen können von Verhandlungssystemen nur aufgelöst werden, wenn eine gemeinsame Sprache gefunden wird, die so mehrdeutig ist, dass sie in allen beteiligten Selbstbeschreibungen verwendet werden kann. Dies bewirkt bereits eine Steigerung der Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Die wesentliche Steigerung der Selbstbeobachtung entsteht allerdings dadurch, dass die Selbstbeschreibungen komplexer werden, was Einfluss auf die Reproduktion des Systems hat. Mithilfe einer Einheitssemantik können Warnsysteme die Gesellschaft funktionsunabhängig beobachten. Verhandlungssysteme ermöglichen, dass diese institutionalisiert werden (Japp 1996, S. 221 ff.).
Einen einheitlichen Bezugspunkt für Organisationen, der ein einheitliches Verständnis schafft und damit Unsicherheit reduziert, stellen Institutionen dar. Im folgenden Abschnitt wird daher beschrieben, wie aus systemtheoretischer Sicht durch Institutionen Kontingenz reduziert werden kann, um Entscheidungen zu ermöglichen.
Umgangssprachlich werden Institutionen oftmals mit Organisationen gleichgestellt, aus Sicht des Neo-Institutionalismus sind Institutionen aber Erwartungen, dass bestimmte Regeln eingehalten werden, die grundlegende Gültigkeit besitzen (Esser 2000, 2 ff.).
Nach Powell und DiMaggio (1991, S. 8) wird der Institutionenbegriff allerdings noch breiter gefasst. Neben Regeln, Prozessen und Normen, die formal gelten, zählen dazu auch „Symbolsysteme, kognitive Skripte, kulturelle Konventionen, soziokulturell konstruierte Identitäten und moralische Einstellungen, die dem menschlichen Verhalten einen (unhinterfragten) Bedeutungsrahmen verleihen.“
Aus dieser Sicht werden Institutionen nicht als Vorgabe gesehen, sondern sie ermöglichen die Entstehung von Handlungserwartungen, Präferenzen und Identitäten. Sie prägen die Erwartungen, was als möglich erachtet wird. In diesem Verständnis von Institutionen sind sowohl gegenseitige Erwartungen von Organisationen als auch allgemeine Erwartungen aus der Umwelt an Organisationen enthalten (Hasse und Krücken 1999, S. 53 f.).
Mit dem Fokus auf die institutionellen Umwelten versucht der neue soziologische Institutionalismus darauf hinzuweisen, dass es für das Überleben von Organisationen nicht mehr ausreicht, rein auf wirtschaftliche Effizienz zu achten, wie es üblicherweise in den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien angenommen wird (Hiß 2006, S. 129). Entscheidend für die Legitimität ist die Befolgung von institutionalisierten Regeln, die als Bestimmungen in der Gesellschaft reziprok entstandene Typisierungen oder Interpretationen darstellen (Berger und Luckmann 1967, S. 54).
Institutionelle Regeln werden von Akteuren befolgt, auch wenn sie nicht zwingend im Interesse der Akteure sind. Die Konformität mit diesen Regeln ist auf eine Art Vertragsbeziehung zurückzuführen, die darauf beruht, dass auf ein angemessenes Verhalten mit einer angemessenen Verhaltensweise reagiert wird. Sie wirken oft wie ein willentlicher Vertrag, allerdings entsprechen die Regeln einer gelernten Folge von Erwartungen (March und Olsen 1989, 22 ff.).
Wenn Organisationen die Erwartungen erfüllen, legitimieren sie sich gegenüber der technischen und institutionellen Umwelt. Dadurch erhalten sie die Ressourcen, die für das eigene Überleben bzw. die Selbsterhaltung notwendig sind (Meyer und Rowan 1977).
Luhmann kritisiert den neuen Institutionalismus, da er davon ausgeht, dass Organisationen externe Anforderungen unreflektiert übernehmen und der Eigenheit von Organisationen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Für Luhmann liegt der Theorie die fälschliche Annahme zugrunde, dass Organisationen keine Alleinstellungsmerkmale aufweisen, wodurch sie sich von der Umwelt gar nicht mehr unterscheiden und somit auch keine eigene Identität entwickeln (Luhmann 2000, S. 35,383,414,437).
Dies widerspricht dem Grundsatzgedanken der Systemtheorie, nach dem die Systeme aus sich selbst heraus entstehen und entwickeln, wodurch auch die Steuerungsproblematik von autopoietischen Systemen unterschätzt wird.
Nach dem Neo-Institutionalismus sind alle Organisationen in dieselbe institutionelle Umwelt eingebettet, weshalb eine Trennung von Wirtschaft und Kultur, also das Setzen von Werten, keinen Sinn macht. Die meisten empirischen Untersuchungen befassen sich mit dem organisationalen Feld und den Auswirkungen der Gesellschaft auf die Organisation. Es gibt aber auch vereinzelte Untersuchungen, die die Auswirkung der Organisation auf die Gesellschaft betrachten (Senge 2011, S. 154 ff.).
Im Ansatz des Institutional Entrepreneur wird zugelassen, dass Unternehmen auch eigene Ziele verfolgen und Institutionen nach ihren Interessen verändern können (DiMaggio 1988, S. 15; Beckert 1999, S. 781). Mit institutioneller Arbeit wird beschrieben, wie Organisationen Einfluss auf die Entstehung, Aufrechterhaltung oder Veränderung von Institutionen nehmen (Lawrence und Suddaby 2006, S. 215).
Die meisten Arbeiten befassen sich jedoch weiterhin eher mit dem organisatorischen Feld, da genau das die Stärke des institutionellen Ansatzes ist. Er beschreibt, dass die Handlungen und Werte von Akteuren und Organisationen nicht aus sich selbst heraus entstehen, sondern durch die Gesellschaft und soziale Einbettung geprägt sind. Wenn zu stark auf die Kritiker eingegangen würde, bliebe vom theoretischen Kern des Neo-Institutionalismus nicht mehr viel übrig (Senge 2011, S. 162).
Denn es stellt sich die Frage, wie Institutionen von Akteuren verbreitet oder modifiziert werden können, wenn sie diese eigentlich unhinterfragt befolgen.
Wegen dieses „paradox of embedded agency“ (Battilana und D'Aunno 2009) stellt sich die Frage: Wenn die Interessen und die Identität des Akteurs durch das institutionelle Feld bestimmt werden, wie ist er dann in der Lage, neue Verfahren zu entwickeln und andere dazu zu bringen, diese zu übernehmen?
Auch Beckert (1996) sieht die Notwendigkeit, Interessen stärker in der Theorie des Institutionalismus zu berücksichtigen, und entwickelt daher das Konzept des intentional rationalen Akteurs. Dieser Akteur verfolgt im Sinne des Homo oeconomicus eigene Interessen, allerdings greift er in Situationen der Ungewissheit auf soziale Mechanismen wie Regeln, Normen, Konventionen, Institutionen, soziale Strukturen oder Machtverhältnisse zurück. Diese sozialen Mechanismen reduzieren die Unsicherheit, indem sie die komplexe Handlungssituation strukturieren und für Entscheidungssicherheit sorgen. Handlungen werden allerdings nur so eingeschränkt, dass der Akteur weiterhin eigenen Interessen verfolgen kann.
Der intentional-rationale Akteur ist mit der Grundidee des soziologischen Institutionalismus kompatibel, da er trotz der Bereitschaft, Institutionen zu verändern, sie als gegeben annimmt (Hiß 2006, S. 198).
Die Systemtheorie steht mit der neoinstitutionalistischen Akzeptanz der Paradoxie der Differenz von Umwelt und System heutzutage nicht mehr ganz so im Widerspruch zum Neo-Institutionalismus, wie das Luhmann in den Anfängen angenommen hat. Allerdings bleibt der grundsätzliche Unterschied zwischen den Theorien erhalten, dass der wesentliche Einfluss auf die Entwicklung einer Organisation aus Sicht des Neo-Institutionalismus von außerhalb kommt, während die Systemtheorie von einer Entwicklung aus sich selbst heraus ausgeht. Demnach vernachlässigt der Neo-Institutionalismus die Autonomie von sozialen Systemen, wodurch auch der Erfolg von Steuerungseingriffen zur Beeinflussung von Organisationen überschätzt wird.
Da Institutionen und Systemtheorie einander nicht gänzlich gegenseitig ausschließen, hat sich die Systemtheorie daher sowohl aus einer risikotheoretischen als auch aus einer governancetheoretischen Perspektive mit Institutionen auseinandergesetzt.
Der risikoorientierte Ansatz versucht, die Kultursoziologie mit der Systemtheorie zu verknüpfen. Während die Kultursoziologie eine Kultur fordert, die sich stärker mit Risiken auseinandersetzt, betont die Systemtheorie die Bedeutung von Erwartungssicherheiten für Entscheidungen. Nur durch Latenz und Verschleierung von blinden Flecken können Entscheidungen getroffen werden (Japp 1996, 208 f.).
Nach Luhmann sind Institutionen zeitlich, sachlich und sozial generalisierte Symbolzusammenhänge (Luhmann 1984, S. 135), mit denen der Möglichkeitsraum eingeschränkt werden kann. Sie geben nicht vor, was als objektiv richtig betrachtet werden kann, sondern geben einen Kontext, was in einer bestimmten Situation als angemessen erscheint.
Institutionen können in der Systemtheorie mit Erwartungen und Erwartungserwartungen übersetzt werden, die bei Entscheidungen durch Generalisierung eine Asymmetrie erzeugen, mit der Kontingenz reduziert werden kann (Japp 1996, S. 112). Soziale Erwartungen sorgen für stabile Verhältnisse, die allerdings auch kontingent sind (Japp 1996, S. 63).
Da auch Erwartungssicherheit veränderbar ist, muss eine Sicherheitsillusion entstehen, die die Möglichkeit verschleiert, dass es auch anders sein könnte (Japp 1996, S. 40).
Durch die Scheinsicherheit wird auch die Risikoparadoxie bei Entscheidungen, die darin besteht, dass mit jeder Reduktion von Risiken neue Risiken erzeugt werden, aufgelöst. Entscheider erzeugen eine Selbstbindung, indem sie sich am Ende auf irgendetwas Irrationales beziehen, was die Paradoxie auflöst (Japp 1996, S. 212).
Entscheidungen in Organisationen beziehen sich meist auf Entscheidungsprogramme, die eine Scheinsicherheit erzeugen, da sie dem Entscheider bei einer unerwarteten Nebenfolge als Rechtfertigung dienen kann. Entscheidungsprogramme beziehen sich auf strukturelle, prozessuale und motivationale Entscheidungsprämissen, die sich an Institutionen, Kulturen und Ideologien orientieren (Japp 1996, S. 104).
Der Bezug auf Institutionen bei Entscheidungen, die die Entscheidung ermöglichen und damit Kontingenz reduzieren, ist von der Kultur abhängig. Da aber auch die Kultur veränderbar ist, entscheidet die vorherrschende Ideologie, welche Kultur eher dominiert (Japp 1996, S. 121 ff.).
Für den Verweis auf Motive, Erwartungen oder Werte sind als Letztbezug Ideologien notwendig, mit denen erst eine irrationale Zurechnung möglich wird (Japp 1996, S. 103).
So sorgt auch Normativität für eine Unsicherheitsabsorption, da bei Entscheidungen, die sich auf vorangegangene Entscheidungen beziehen, ein Letztbezug erzeugt wird, der die Entscheidungskette abbricht (Japp 1996, S. 88). Die Governancetheorie nach Willke schließt an die Regimetheorie (Keohane 1982; Krasner 1982) an, geht aber über diese hinaus, da nicht nur die Vor- und Nachteile bestimmter Regime, also Normen, Regeln und Prozesse zu Regelung eines bestimmten Themenfeldes, analysiert werden, sondern allgemeiner hinterfragt wird, warum welche Governanceformen in sozialen Systemen entstehen (Willke 2007, S. 12 ff.). Dabei befasst sich Willke sowohl mit normativen Regimen als auch mit Governance-Regimen. Ein normatives Regime stützt sich zur Durchsetzung nicht auf die Exekutive, sondern muss mit Soft Power, also durch Argumente, Wissen und faire Prozesse überzeugen, wodurch es sich von der politischen Macht emanzipieren kann (Willke 2007, S. 84).
Das Governance-Regime impliziert intelligente Superstrukturen sozialer Systeme, die Formen und Modi für eine Selbsterhaltung entwickeln und steuern, um ein kollektives Ziel zu erreichen. Im Gegensatz zum Neoinstitutionalismus entsteht das kollektive Ziel jedoch immer intern und ist ein Ergebnis interner Operationen. Allerdings stehen die Ziele durch eine strukturelle Kopplung immer in Bezug zur gegebenen Umwelt oder einem Kontakt. Durch eine Balance aus Autonomie und Umweltreaktion entsteht ein viables System (Willke 2007, S. 127).
Wie in Abschnitt 3.​2.​2 dargestellt, lag der Fokus in der Vergangenheit auf dem Wirtschaftswachstum als Bezugspunkt, was als Ideologie in vielfältiger Weise die Entscheidungsfindung beeinflusst hat. Diese starke Reduktion der Beobachtung der Gesellschaft hat zwar die Entscheidung erleichtert, dies führt allerdings wegen der unerwarteten Nebenfolgen durch die blinden Flecken der Beobachtung dazu, dass diese Form der Ideologie als Letztbezug hinterfragt wurde. Aufgrund der Selbstgefährdung der Gesellschaft deutet sich ein kultureller Wandel an, der zu einer anderen Selbstbeobachtung der Gesellschaft führt. Nachhaltigkeit als normatives Leitbild kristallisiert sich zunehmend als neuer Bezugspunkt heraus, der als Letztbezug Orientierung in vielfältigen Entscheidungssituationen bietet. In diesem Abschnitt wird beschrieben, warum Nachhaltigkeit weder durch politische Steuerung noch durch die Forderung nach Verantwortung angestrebt werden kann. Es wird dargestellt, warum Nachhaltigkeit eine Selbststeuerungsfunktion für die Gesellschaft impliziert.
Der Ursprung des Begriffs liegt auch in steuerungstheoretischen Überlegungen. Der Begriff Nachhaltigkeit geht auf das Jahr 1713 zurück, wobei das Ziel verfolgt wurde, den Waldbestand zu erhalten, indem nicht mehr Bäume gefällt wurden, als nachwuchsen.
Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag. (Carlowitz 2009, S. 150)
Eine andere geläufige Definition bezieht sich weniger auf den ökologischen Erhalt, sondern stellt mit einer Betonung der inter- und intragenerationalen Gerechtigkeit die soziale Dimension in den Vordergrund: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ (United Nations 1987, S. 37)
Die Interpretation von Nachhaltigkeit als Leitbild führt bis heute in der sozialwissenschaftlichen Forschung zu einer intensiven Diskussion der politischen Steuerung mit unterschiedlichen Instrumenten und Maßnahmen. Es wird angenommen, dass durch politische Steuerung das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft erreicht werden kann. Diese Steuerungsillusion führt jedoch die Sozialwissenschaften in eine mögliche Sackgasse, denn die zunehmende Komplexität und Dynamik der Gesellschaft steigern das Wissen, aber auch das Nichtwissen, und damit die Unsicherheit, insofern jeder politische Eingriff zu unerwarteten Nebenfolgen führt und wichtige Aspekte vernachlässigt werden, um unerwarteten Nebenfolgen vorzubeugen (Melde 2012, S. 23 ff.).
Da die Komplexität der Gesellschaft eine Steuerung von Nachhaltigkeit unmöglich macht, wurden Forderungen nach Moral und Verantwortung lauter. Allerdings resultierte daraus das Problem, dass die Gesellschaft nicht in der Lage war, sich selbst zu repräsentieren, weshalb sie für ihre Selbstgefährdung nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.
Die Heterogenität der unterschiedlichen Moralvorstellungen macht es unmöglich, eine „richtige“ Entscheidung zu treffen. Die Illusion der Verantwortung besteht im Wesentlichen darin, dass wir selbst und vollkommen eigenständig über unsere Zukunft bestimmen können, was aber wegen der Fremdbestimmung und der Ungewissheit der Zukunft nicht realistisch erscheint. Gegenüber der handlungs- und akteurstheoretischen Perspektive erkennt die Systemtheorie die Ambivalenz der Gesellschaft, das Steuerungspotenzial von Organisationen und ist sich den Konflikten durch eine Integration mit Hilfe von Moral bewusst. Zudem wird in der Systemtheorie die Steuerung nicht als eine einfache Intervention konzipiert, sondern als ein iterativer Prozess, der ergebnisoffen verläuft. Die systemtheoretische Betrachtung der Steuerung von Nachhaltigkeit setzt daher auf eine Stärkung der Selbststeuerung der Funktionssysteme und Organisationen (Melde 2012, S. 39 ff.).
Für ein besseres Verständnis der Steuerungsfunktion von Nachhaltigkeit setzt sich die Systemtheorie mit der Semantik von Nachhaltigkeit auseinander, denn mit Semantik wird Sinn in einer Gesellschaft geordnet. Dabei ist zwischen einem semantischen Apparat und der gepflegten Semantik zu unterscheiden. Der semantische Apparat impliziert die vielfältigen Begriffe, die in der Kommunikation verwendet werden und das Wissen darüber. Die gepflegte Semantik arbeitet mit diesem semantischen Apparat, in dem er hinterfragt wird und semantische Innovationen entwickelt werden. Die gepflegte Semantik stellt die Reflexion der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung dar. Beide Ebenen beeinflussen sich kontinuierlich (Luhmann 1997, S. 866 ff.).
Nachhaltigkeit hat sich von der Ebene des semantischen Apparates zur Ebene der gepflegten Semantik weiterentwickelt.
Es hat über 200 Jahre gebraucht, bis der Begriff auch in anderen Kontexten als der Forstwirtschaft verwendet wurde. Eine zunehmende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit erfolgte erst ab den 1960ern und 1970ern. Aufgrund der gesellschaftlichen Selbstgefährdung begann die Gesellschaft, eine stärkere Reflexivität auszubilden und insbesondere die Wirtschaftsweise zu hinterfragen. Ein Konzept, das für eine Transformation geeignet schien, war Nachhaltigkeit. Die bisherigen Semantiken reichten nicht aus, um eine Antwort auf diese gesellschaftlichen Probleme zu geben, weshalb die semantische Innovation der Nachhaltigkeit diffundierte. Die erste offensichtliche Kritik, die die im wahrsten Sinne des Wortes existierenden Grenzen der Wachstumssemantik aufzeigten, war der Bericht des Club of Rome (1972). Nachhaltigkeit wurde dort als eine Alternative zur Fortschrittssemantik ausgedeutet, die das Bewahrende der Nachhaltigkeitssemantik betont. Allerdings war dieser radikale Gegenentwurf nicht anschlussfähig. Um diese Radikalität zu mäßigen, hat sich die Semantik „Nachhaltigkeit“ zu „nachhaltiger Entwicklung“ weiterentwickelt. Die Betonung liegt damit nicht mehr auf der Bewahrung, sondern lässt auch Fortschritt zu. Die semantische Innovation der nachhaltigen Entwicklung besteht in einem Oxymoron, das gleichzeitig auf Stabilität und Veränderung setzt. Mit dem Brundtland-Bericht (United Nations 1987) hat sich eine weitere Veränderung der Semantik nachhaltiger Entwicklung ergeben. Mit der Definition von nachhaltiger Entwicklung in Bezug auf Bedürfnisse hat sich das Verständnis von nachhaltiger Entwicklung von einer Auseinandersetzung zwischen Natur und Gesellschaft auf ein rein soziales Phänomen verschoben. Ökologische Grenzen wurden nicht als absolut betrachtet, sondern als abhängig davon, inwiefern die Gesellschaft selbst in der Lage ist, mit den Herausforderungen umzugehen. Damit ist die gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr von dem Menschen oder der Natur abhängig, sondern ausschließlich von der Gesellschaft. Die Gesellschaft kann durch Innovationen dafür sorgen, dass sich die Grenzen verschieben. Die Nachhaltigkeitssemantik wird dadurch zur Selbstbeschreibung der Gesellschaft (Melde 2012, S. 92 ff.).
Die Gesellschaft macht sich damit selbst zum Subjekt nachhaltiger Entwicklung. Dabei wird die Nachhaltigkeitssemantik zur Selbstbeschreibung einer Gesellschaft, die sich selbst als vermittelnde Variable zwischen Natur und Individuum beobachtet. Sie ordnet nunmehr auch im semantischen Apparat Kommunikation, mit denen sich die Gesellschaft zuvorderst selbst (als soziales System) und im Verhältnis zu ihrer natürlichen (ökologische Systeme) und psychischen Umwelt (Bewusstseinssysteme) beschreibt. Möchte man den von der Nachhaltigkeitssemantik verbreiteten Sinn also auf einen Nenner bringen, so geht es ihm um die langfristige Aufrechterhaltung der Entwicklungsfähigkeit gekoppelter sozialer, ökologischer und psychischer Systeme. Die Nachhaltigkeitssemantik macht die desintegrativen Tendenzen zwischen den beteiligten Systemen innerhalb dieser Entwicklung zu ihrem Thema und spielt sich entweder zu moralisch-normativen oder zur regulativen - jedenfalls aber immer zur integrativen - Instanz der Weltgesellschaft auf. (Melde 2012, S. 97)
Nachhaltigkeit ermöglicht die Entstehung von neuem Sinn, der sich systemtheoretisch aus einer Differenz zwischen Aktualität und Potenzialität ergibt. Sinn dient als Supermedium aller Formbildung. Er basiert auf einem Verweisungsüberschuss von einer aktuellen zu einer potenziellen Formentstehung. Sinn ist immer nur selektiv, da aus einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten gewählt werden muss (Schützeichel 2003, S. 55 f.).
Die Selektion in jeder Aktualisierung entspricht einer Negation, weshalb Sinn nur durch Negation hervorgerufen werden kann. Negation beutet nicht, dass Sinn vernichtet wird, sondern dass Potenzial für neuen Sinn erzeugt wird. Die Negation ermöglicht sowohl Reflexivität, also die Negation der Negation, als auch Generalisierung (Schützeichel 2003, S. 38).
Die Nachhaltigkeitssemantik führt zu einer Ordnung von Kommunikation und verleiht den Systemen Sinn. Aufgrund der polykontexturalen Gesellschaft, die auf vielschichtigen Perspektiven alleine schon zwischen den unterschiedlichen Funktionssystemen beruht, kann keine eindeutige Lösung angeboten werden, weshalb der Nachhaltigkeitsbegriff meist in einer Negation definiert, was verhindert oder nicht getan werden soll (Melde 2012, S. 87 ff.).
Aus systemtheoretischer Sicht fordert Nachhaltigkeit daher nicht eine bestimmte Entwicklung der Gesellschaft, sondern führt eher an, was an negativen Konsequenzen zu vermeiden ist (Melde 2012, S. 106). Aber genau in diesen Hinweisen auf das Negative besteht die integrative Funktion der Nachhaltigkeitssemantik. Denn sie fasst alle Risiken zusammen, die für Individuen, in der Natur oder zwischen den Systemen bestehen und auf die die Gesellschaft mit der Integrationsforderung der Nachhaltigkeit antworten kann (Melde 2012, S. 107).
Nachhaltigkeit erzeugt durch einen intersystemischen Diskurs eine systemunabhängige Sinnstruktur, die jedes System auf seine Situationen auslegen kann. Dabei spielen soziale Bewegungen eine besondere Rolle, da sie neue Themen zur Überlebensfähigkeit der Gesellschaft für den Diskurs produzieren (Melde 2012, S. 162 ff.).
Die Integration der Nachhaltigkeit durch Semantik wird generalisiert, da Nachhaltigkeit für bestimmte Ereignisse ein einheitliches Verständnis bei unterschiedlichen Systemen schafft und somit eine vorübergehende Kopplung ermöglicht. Für eine dauerhafte Lösung, die Nachhaltigkeit eigentlich anstrebt, müssen jedoch auch die Strukturen innerhalb des Systems verändert werden. Dazu sind die Erwartungen zu verändern. Denn nur bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in Entscheidungen kann von einer Integration in Strukturen gesprochen werden. Nachhaltigkeit löst durch die Negation Irritationen aus, die wiederholt zur Enttäuschung von Erwartungsstrukturen führen. Dies löst in den Systemen Resonanz aus, wodurch deren Programme so verändert werden, dass Freiheitsgrade, die zu negativen Konsequenzen bei anderen Systemen führen können, eingeschränkt werden. Nachhaltigkeit übernimmt die Aufgabe einer Kontingenzformel, da sie als Abschlussformel nicht mehr hinterfragt wird und dadurch Erwartungssicherheit schafft. Die Kontingenzformel Nachhaltigkeit wirkt dann, wenn eine negative Entwicklung mithilfe einer negativen Selektion verhindert werden muss. Diese Einschränkungen führen zu einer negativen Integration der Gesellschaft. Sie definiert kein vorgegebenes Ziel, aber sie verhindert die Überforderung mit Kontingenz (Melde 2012, S. 121 ff.).
Nachhaltigkeit ermöglicht besonders eine Reduktion der sozialen und zeitlichen Kontingenz.
Die Reduktion der sozialen Kontingenz entsteht durch Systemintegration, soziale Integration und ökologische Integration. Eine Systemintegration entsteht durch Nachhaltigkeit, indem sie eine gegenseitige Beschränkung des Möglichkeitsraums zwischen Systemen erzeugt, und zwar dadurch, dass Nachhaltigkeit fehlende Selbstbegrenzungsmechanismen aufdeckt. Soziale Integration wird durch Nachhaltigkeit erzeugt, indem eine Inklusion des Individuums als psychisches System in die Gesellschaft bzw. in alle gesellschaftlichen Funktionssysteme sichergestellt wird, wodurch Ungleichheit abgebaut wird und gleichberechtigte Chancen vergeben werden. Eine ökologische Integration wird erzeugt, indem Resonanz für ökologische Themen in der Gesellschaft ausgelöst wird, wodurch die Freiheitsgrade der Umweltauswirkungen eingeschränkt werden. Außer vor der Herausforderung der sozialen Kontingenz steht die Gesellschaft auch vor derjenigen der zeitlichen Kontingenz. Eine zeitliche Integration entsteht, wenn Systeme trotz ihrer unterschiedlichen Operationsweise bei einem Ereignis eine strukturelle Kopplung erreichen. Durch die Einschränkung der Freiheitsgrade, wie der Moment interpretiert werden soll, entsteht auch in diesem Fall aus der Negation eine Integration (Melde 2012, S. 107 ff.).
Die zunehmende Kontingenz durch gesellschaftliche Reflexion kann durch Institutionen als Erwartungserwartungen begrenzt werden. Nachhaltigkeit erzeugt eine Erwartungssicherheit, mit der Entwicklungsmöglichkeiten von einzelnen Systemen so beschränkt werden, dass sich die Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft insgesamt verbessern.

4.2.2 Nachhaltigkeit als Referenz im Wirtschaftssystem

Auch im Wirtschaftssystem führt eine höhere gesellschaftliche Reflexion zu einer zunehmenden Kontingenz, die nur durch Generalisierung begrenzt werden kann.
Im Wirtschaftssystem ist eine Beobachtung nur durch Ausgrenzung möglich. Rationalität bietet in wirtschaftlichen Organisationen einen Bezugspunkt, wie aus der Vielzahl an Beobachtungsmöglichkeiten eine Auswahl der Beobachtungsform generiert werden kann. Im Wirtschaftssystem wurde üblicherweise die Komplexität durch einen Bezug auf Rationalität begrenzt (Luhmann 2000, S. 27).
Organisationen operieren vor allem mit dem Fokus auf wirtschaftlicher Rationalität, die der Logik des Wirtschaftswachstums zugrunde liegt. Dem Wachstum können Organisationen nur folgen, indem sie mehr und schneller Entscheidungen treffen (Japp 1996, S. 46).
Da Organisationen selbst zur Umwelt von anderen Organisationen gehören, führt die zunehmende Veränderung von Organisationen zu einer Zunahme der Unsicherheit der Umwelt von Organisationen (Luhmann 2000, S. 404 ff.). Die blinden Flecken der rationalen Beobachtung führen zu einer Zunahme von unerwarteten Nebenfolgen, die auf das System zurückwirken können (Japp 1996, S. 46 f.). Die Nachteile der Scheinsicherheit von Rationalität werden immer stärker sichtbar, und die Illusion der rationalen Entscheidungen wird deutlicher, weshalb immer mehr verlangt wird, das bisher Ausgeschlossene stärker zu berücksichtigen (Luhmann 2000, S. 458). Durch die stärkere Reflexion werden die blinden Flecken der Beobachtung deutlich. Gleichzeitig verlieren die bisherigen Referenzpunkte ihre Stabilität, da jedes Wissen zu neuem Nichtwissen führt.
Wenn nämlich neues Wissen geschaffen wird, heißt das erst mal, dass nur dort, wo das Wissen erzeugt wurde, neues Wissen vorhanden ist, während sonst überall Nichtwissen entstanden ist (Wiesenthal 2006, S. 50). Im Versuch, gesellschaftliche Erwartungen zu berücksichtigen, müssen Personen netzwerkartig mit einer Vielzahl an Adressanten kommunizieren, was leicht zu einer Überforderung der Organisation führen kann (Baecker 2003, S. 67). Zur Vermeidung einer Überlastung der Organisation durch eine zu umfangreiche gesellschaftliche Reflexion sollte daher eine gegenseitige Begrenzung der Systeme geschaffen werden. Die Freiheitsgrade sollten so eingeschränkt werden, dass sie mit der Autopoiesis kompatibel sind und somit Sinn aufrechterhalten bleibt. Die Einschränkung der Komplexität macht es erst möglich, dass eine höhere Komplexität entsteht (Luhmann 2000, S. 100).
Mit der Veränderung einer internen Referenz auf wirtschaftliche Rationalität in Richtung einer Referenz in der Umwelt können Organisationen dafür sorgen, dass sich die Kontingenz ihrer Umwelt wieder reduziert. Denn nur mit dem Bezug auf die Gesellschaft können Organisationen die turbulente Umwelt wieder stabilisieren, indem Kooperationen geschlossen werden, die ein höheres Ziel verfolgen – auch auf die Gefahr hin, dass sie nicht die richtigen sind (Luhmann 2000, S. 412).
Die Governanceethik nach Wieland (1999), die einen moralischen Bezug zu Institutionen aus systemtheoretischer Sicht herstellt, gibt einen Hinweis darauf, wie Organisationen die Kontingenz der gesellschaftlichen Reflexion durch eine Referenz in der Umwelt reduzieren können, um den Möglichkeitsraum für Entscheidungen in wirtschaftlichen Organisationen sinnvoll einzuschränken. Die Governanceethik basiert auf Aspekten der Institutionenökonomik, die gesellschaftstheoretisch reflektiert wird (Wieland 1999, S. 85).
Demnach schließen Organisationen Verträge, um ein kollektives Ziel zu erreichen, dass individuell nicht erreichbar wäre. Durch ethische Systeme kann die Kooperationsbereitschaft gesteigert werden, da die Kommunikation von moralischen Werten und Selbstbindung die Erwartungssicherheit für andere Organisationen erhöht. So stellt die Einführung von Verhaltensgrundsätzen ein Leistungsversprechen dar, das Verhaltenserwartungen für die eigene Organisation wie auch eine Erwartungssicherheit bei anderen Organisationen erzeugt (Wieland 1999, S. 52 ff.).
Allerdings kann kritisiert werden, wie Wieland (1999) die Governanceethik weiter konkretisiert. So bleibt unklar, warum die Einflussfaktoren auf die Kooperationsrente in einer mathematischen Formel dargestellt werden, da dies der systemtheoretischen Komplexität eigentlich nicht gerecht wird (Schwegler 2009, S. 237 f.). Auch der starke Fokus auf die Einhaltung von Regeln entspricht eigentlich nicht der systemtheoretischen Logik, da der Innovationsfähigkeit der Unternehmen und der Entwicklung aus sich selbst heraus nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird (Beschorner 2008, S. 92). Ebenso ist der Vorschlag eines Wertemanagementsystems kritisierbar, das Erwartungssicherheit in einem Unternehmen erzeugen soll, da damit eine intensive Bürokratisierung verbunden ist (Neuberger 2006, S. 394).
Der Ansatz macht jedoch sehr gut deutlich, wie Erwartungssicherheiten aufgebaut werden können und damit die Stabilität in der Umwelt von Organisationen erhöht werden kann. Durch eine moralische Kommunikation wird der Möglichkeitsraum der Entwicklung der Organisation so eingeschränkt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten von anderen Organisationen nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert werden. Wenn sich die anderen Unternehmen auch in ihren Möglichkeiten einschränken, um die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen Organisationen zu verbessern, entsteht für alle ein Vorteil. So zeigt beispielsweise das Bekenntnis zum UN Global Compact (United Nations Global Compact 2020) und den UN Principles for Responsible Investment (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2020) an, dass eine Entwicklung der real- oder finanzwirtschaftlichen Organisation nicht rein auf Grundlage eines wirtschaftlichen Opportunismus erfolgt, sondern dass auch die Umwelt nicht beschädigt werden soll und die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme beachtet werden.
Die Governanceethik (Wieland 1999, S. 115) geht ähnlich wie Luhmann (2000, S. 449) und Baecker (2003, S. 236) davon aus, dass es noch keine globale normative Zieldimension gibt, auf die Bezug genommen werden kann, vielmehr entstehe diese gerade erst (Luhmann 2000, S. 464). In dieser Arbeit wird jedoch davon ausgegangen, dass sich mit Nachhaltigkeit bereits eine solche Semantik entwickelt hat, auf die auch als Zieldimension Bezug genommen werden kann, sodass sie damit eine entsprechende Sicherheit für Entscheidungen in Unternehmen erzeugt. Mit der Entstehung der United Nations Sustainable Development Goals konnte sich die Staatengemeinschaft auf 17 globale Ziele einigen, die gemeinsam erreicht werden sollen. Sie ermöglichen eine neue Form der Global Governance (Biermann et al. 2017). Sie können von Unternehmen als globales Rahmenwerk herangezogen werden, um konkrete Entscheidungssituationen zu klären. Da die Ziele auf die Politik ausgelegt sind, bedarf es in den Unternehmen jedoch einer gewissen Transferleistung, um einen konkreten Unternehmensbezug herzustellen. Aber allein das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Entwicklung und die damit verbundenen Fremd- und Selbstbegrenzungen schaffen bereits Entscheidungssicherheit für das Unternehmen und andere Organisationen und erzeugen dadurch neue Handlungsmöglichkeiten.
Ersichtlich wird die Bedeutung der Nachhaltigkeit im Wirtschaftssystem besonders durch die Verschiebung der Kontingenzreduktion in Organisationen von einer Referenz auf eine wirtschaftliche Rationalität zu einer Referenz auf Nachhaltigkeit.
Analog zum Wirtschaftswachstum auf Ebene des Wirtschaftssystems konnte auf Ebene der Organisation mit Hilfe von Rationalität der Fokus auf rein wirtschaftliche Aspekte gelegt werden, wodurch alles andere ausgeschlossen werden konnte.
Aufgrund der Theorie wirtschaftlichen Entscheidens scheint es so, als ob über Aufwand und Ertrag, Kosten, Nutzen und Risiken, Nachteile und Vorteile gleichzeitig entschieden werden könnte. Voraussetzung für eine solche systematisierte Darstellung ist die Begrenzung von externen Kosten, die berücksichtigt werden sollen. Denn je mehr Variablen berücksichtigt werden, umso stärker nehmen auch die Widersprüche zu. Mit zunehmender Komplexität entsteht eine höhere Wahrscheinlichkeit von Konflikten, denn jedes neue Wissen führt auch zu Kritik. Bei der Verarbeitung der Unsicherheit und Widersprüche ist auch die zeitliche Dimension zu berücksichtigen, da ein zusätzlicher Zeithorizont dazu führt, dass die betrachteten Variablen stärker im Widerspruch zueinander stehen. Bei der Betrachtung eines längeren Zeithorizonts nehmen Widersprüche zu. Durch die klare Definition der Berechnung der Kosten werden widersprüchliche Erwartungen aufgelöst. In einer Entscheidung kann ein Widerspruch zwischen Gegenwart und Zukunft aufgelöst werden, indem die Zukunft bereits heute berücksichtigt wird. Durch Kausalanalysen können zukünftige Konsequenzen von Entscheidungen abgeschätzt werden, wodurch der Möglichkeitsraum für Entscheidungen eingeschränkt werden kann (Luhmann 1984, S. 457 ff.).
Durch diesen klaren Bezugspunkt der Wirtschaftlichkeit wird es möglich, Komplexität zu reduzieren, und durch diese Scheinsicherheit wird es möglich, Entscheidungen zu treffen.
Im Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung können durch Kosten und Gewinne Vorteile und Nachteile eindeutig gegeneinander aufgewogen und somit klare Entscheidungen getroffen werden. Der Bezug der Organisation auf das Wirtschaftssystem und das Wirtschaftswachstum, woraus sich die wirtschaftliche Rationalität ableitet, ist jedoch nur eine unter vielen Referenzen, mit denen die Organisation ihre Umwelt beobachten kann. Mit dem Bezug auf die Gesellschaft wird deutlich, dass es auch andere Erwartungen als wirtschaftliche gibt. Dadurch wird ersichtlich, dass eine Differenz zwischen der Organisation und der Gesellschaft existiert, wodurch eine neue Referenz zur Auflösung der Paradoxie durch Nachhaltigkeit möglich wird (Baecker 2003, S. 236 ff.).
Da der Bezugsrahmen für die Referenz auf die Umwelt nur durch eine Konstruktion des Systems selbst erzeugt werden kann, kann ein anderer Bezug zur Umwelt nur durch die Veränderung der Beobachtungsperspektive des Systems generiert werden (Luhmann 2000, S. 100). Indem das System die Beobachtungsdifferenz stärker auf die Umwelt ausrichtet, können die Systemoperationen so eingeschränkt werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft verbessert werden.
Die Gegenwart ist abhängig von Entscheidungen. Die Entscheidung, was beobachtet werden soll, bestimmt darüber, welche Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft gesetzt wird. Gleichzeitig ist die Entscheidung abhängig von der Gegenwart. Je nachdem welcher Blick in der Vergangenheit gesetzt worden ist und welcher Zeithorizont in der Zukunft betrachtet wird, werden andere Entscheidungen getroffen (Luhmann 2000, S. 157).
Auch im Wirtschaftssystem hat die Zeitdimension eine Auswirkung auf die Sachdimension. Wenn also eine andere Beobachtung stattfindet, kann ein anderer Zeitbezug gewählt werden. Andererseits kann die Wahl eines anderen Zeitbezugs auch eine andere Entscheidung hinsichtlich der Beobachtung in der Sachdimension notwendig machen.
Mit der Verschiebung der Referenz von der wirtschaftlichen Rationalität zur Nachhaltigkeit entsteht eine neue Entscheidungssicherheit, an der sich Entscheidungen in Organisationen orientieren können. Durch die gegenseitige Beschränkung wird es möglich, ein höheres gemeinsames Ziel anzustreben.

4.2.3 Nachhaltigkeit in realwirtschaftlichen Organisationen

Um besser nachvollziehen zu können, wie wirtschaftliche Organisationen mit einer Referenz auf Nachhaltigkeit beobachten, wird im folgenden Kapitel der Fokus auf realwirtschaftliche Organisationen und nachhaltige Innovationen gelegt. Damit kann nicht nur gezeigt werden, wie Organisationen den einheitlichen Referenzpunkt „Nachhaltigkeit“ konkretisieren, sondern auch die systemtheoretische Annahme, berücksichtigt werden, dass Organisationen als selbstreferenzielle Systeme aus sich selbst heraus entstehen und sich nicht nur einfach den Anforderungen der Umwelt anpassen.
In Unternehmen wurden zur Ausrichtung der Entscheidungsprogramme an Nachhaltigkeit verschiedene Ansätze entwickelt, die sich auf Nachhaltigkeit beziehen und versuchen, diese für die wirtschaftliche Organisation zu konkretisieren.
Zu den Programmen gehören insbesondere Nachhaltigkeitsstrategien, in denen zunächst mit den Konzepten Effizienz (Schmidt-Bleek 1997), Konsistenz (McDonough und Braungart 2002; Ellen MacArthur Foundation 2013), Suffizienz (Sachs 1993) ökologische Aspekte in den Vordergrund gestellt wurden. Mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass eine nichtnachhaltige Wirtschaftsweise nur aufgelöst werden kann, wenn auch die gesellschaftliche Dimension berücksichtigt wird. Mit einer Verknüpfung zum Thema der Corporate Social Responsibility wurde zunehmend auch die gesellschaftliche Umwelt als weitere Beobachtungsreferenz hinzugezogen. In der Praxis haben sich daher CSR und Nachhaltigkeit sehr stark angenähert (Schneider 2015, S. 29). Diese Annäherung ging soweit, dass die Begriffe heutzutage sogar synonym verwendet werden (Schaltegger 2011). Damit gelten die Erläuterungen im Abschnitt 4.1.3 zu CSR, die das Verhältnis der Organisation zur gesellschaftlichen Umwelt beschreiben, auch für Organisationen, die ihre Beobachtungsreferenz an Nachhaltigkeit ausrichten. Durch die Entwicklung von Konzepten wie die Triple Bottom Line (Elkington 1998) entwickelten sich Konzepte, deren Nachhaltigkeitsperspektive sowohl die sozialen als auch die ökologischen Aspekte umfassen. Dadurch wurde die rein auf die Wirtschaft ausgerichtete Beobachtungsperspektive um die Referenz auf die Umwelt, die sowohl die Gesellschaft als auch die ökologische Umwelt impliziert, erweitert.
Mit dem Nachhaltigkeitsmanagement übernimmt die realwirtschaftliche Organisation Verantwortung, gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Es ist eine spezielle Form der Verantwortungsübernahme, da im Rahmen einer integrierten Funktion in der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimension langfristig Wertschöpfung erzeugt und Wertverlust reduziert wird, wodurch Erwartungen zur sozialen und ökologischen Umwelt in der Organisation berücksichtigt werden können (Beckmann et al. 2020).
Durch den Einfluss auf die Kommunikation der Unternehmen in der Wirtschaft und deren Bedeutung innerhalb der Gesellschaft können Organisationen durch eine Veränderung der Beobachtungsperspektive in Richtung der Nachhaltigkeit einen Wandel der Wirtschaft maßgeblich prägen. Da Unternehmen ständig mit der gesellschaftlichen Umwelt kommunizieren, haben sie kontinuierlich eine negative oder positive Wirkung auf die Verwendung von Nachhaltigkeit als Referenz. Wenn Unternehmen diese Perspektive nicht einnehmen und die eigenen Auswirkungen auf die gesellschaftliche und ökologische Umwelt nicht berücksichtigen, beschränken sie gleichzeitig die Entwicklungsmöglichkeit der anderen Systeme. Ein nachhaltiges Unternehmen zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es nicht nicht-nachhaltig ist. Es berücksichtigt die Erwartungen der anderen Systeme und schränkt diese nicht ein. Eine nachhaltige Wirtschaftsweise sorgt für eine weltweite und dauerhafte Befriedigung der Grundbedürfnisse, ermöglicht gleichzeitig eine hohe Lebensqualität und den Erhalt der Natur und kümmert sich um eine gerechte Gesellschaft unter Beachtung der Menschenrechte. Unternehmerisches Nachhaltigkeitsmanagement versucht, einen wirtschaftlichen Vorteil unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt durch den Bezug auf Nachhaltigkeit herzustellen (Schaltegger 2015, S. 199 ff.).
Durch Nachhaltigkeitsstrategien kann der Möglichkeitsraum von Entscheidungen eingeschränkt werden. Paech (2005, S. 274 ff.) zeigt mit dem „offenen hierarchischen System“ wie die Strategien zusammenhängen und Entscheidungsmöglichkeiten beschränken. Dabei werden die Nachhaltigkeitsstrategien unterschiedlichen Abstraktionsebenen zugeordnet. Auf der untersten Ebene kann ein technischer Wandel von Produkten und Techniken zu einer Veränderung in den bestehenden Nutzungssystemen führen. Auf der Ebene der Nutzungssysteme können durch einen systemischen Wandel mit einer Veränderung der Hardware- und Infrastrukturen bestehende Bedarfe befriedigt werden. Auf beiden Ebenen lassen sich Effizienz- und Konsistenzstrategien verwenden. Darüber hinaus lassen sich allerdings auch Bedarfe durch einen kulturellen Wandel verändern, indem der Sinn und Ausmaß der Konsumkultur hinterfragt wird. Bedarfe können durch Suffizienzstrategien verändert werden. Darüber hinaus existieren als Letztbezug menschliche Bedürfnisse, die keinen Spielraum für eine Steuerung gewähren, da sie existenziell notwendig sind und nicht infrage gestellt werden können.
Nach der risikotheoretischen Perspektive der Systemtheorie auf Institutionen (Japp 1996, S. 212) entsteht eine Scheinsicherheit, indem Entscheidungen auf Entscheidungsprogramme, Entscheidungsprogramme auf Institutionen, Institutionen auf Kultur und Kultur auf Ideologien verweisen. Für nachhaltige Entscheidungen müssen diese Scheinsicherheiten aufgebrochen werden und durch eine Scheinsicherheit in Bezug auf Nachhaltigkeit ersetzt werden. Nachhaltigkeit ermöglicht als Ideologie eine Scheinsicherheit für Kultur, Kultur für Institutionen, Institutionen für Entscheidungsprogramme und Entscheidungsprogramme für Entscheidungen. Dadurch wird es möglich, dass andere Entscheidungen in Organisationen getroffen werden.
Als realwirtschaftliche Organisationen müssen Unternehmersysteme aber auch ihre Innovationsaktivitäten (siehe Abschnitt 2.​2.​2) auf Nachhaltigkeit ausrichten.
Geels (2002) beschreibt in Bezugnahme auf die Ansätze des technologischen Regimes (Nelson und Winter 1982, S. 258) und der Neukombinationen (Schumpeter 2006, S. 158) der evolutorischen Ökonomik, wie unterschiedliche Ebenen an soziotechnologischen Veränderungen beteiligt sind. Radikale Innovationen entstehen zuerst in Nischen (Mikroebene) und können sich nur durchsetzen, wenn sie mit den soziotechnischen Regimen (Mesoebene) kompatibel sind. Diese Regime entstehen aus den Erwartungen von verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssystemen. Sie umfassen etablierte Praktiken und sorgen durch Regulierung und Institutionen für Stabilität und Erwartungssicherheit, wodurch auch Pfadabhängigkeiten entstehen. Die Regime sind wiederum in eine Landschaft (Makroebene) mit externen Faktoren wie Wirtschaftswachstum, Migration, kulturelle Normen und Werte, aber auch Umweltprobleme eingebettet. Diese externen Rahmenbedingungen ändern sich langsam und können nicht kurzfristig von der Nischenebene oder der Regimeebene beeinflusst werden. Da die Regimeebene und die mit ihr verbundenen Erwartungen von der Landschaft geprägt werden, ist der Erfolg von radikalen Innovationen aus der Nische ebenso von der Landschaftsebene abhängig. So können Veränderungen in der Landschaft Druck auf bestehende Regime ausüben, der es ermöglicht, dass sich bestimmte Innovationen aus der Nische durchsetzen können. Radikale Innovationen können sich etablieren, wenn Erwartungen präziser und allgemeiner akzeptiert werden. Mit einer Veränderung des Regimes können Innovationen auch zu einer Veränderung der Landschaft beitragen. Dabei ist zu betonen, dass die Veränderung sich nicht schlagartig vollzieht, sondern sich eher über die Zeit durch verschiedene Neukombinationen nicht-linear und schrittweise ergibt.
Geels (2011) ergänzt in einem Aufsatz, dass die Multi-Level-Perspektive besonders für eine Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit einen guten Erklärungsansatz bietet, da diese systemische Veränderung meist sehr komplex und ein langfristiger Prozess ist, an dem viele unterschiedliche Systeme daran beteiligt sind. Meist fehlt der Anreiz für einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit, der oftmals mit Bereitstellung eines kollektiven Gutes einhergeht, da Probleme wie Trittbrettfahrer und das Gefangenendilemma auftreten. Es ist daher eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen notwendig in Verbindung mit einer strategischen Neuausrichtung der Unternehmen. Durch verschiedene Lock-In Mechanismen sind Pfadabhängigkeiten entstanden, die erst aufgebrochen werden müssen.
Die hierarchischen Zusammenhänge von Nachhaltigkeitsstrategien und -innovationen zeigen, dass für eine Ausrichtung von Unternehmen auf Nachhaltigkeit nicht nur eine Veränderung von Entscheidungsprogrammen, sondern auch eine Veränderung von Institutionen und der Kultur notwendig ist. Allerdings bleibt der Wandel des Wirtschaftssystems auf einer Initiative der Unternehmersysteme angewiesen, sich an Nachhaltigkeit auszurichten.
Nachhaltiges Entrepreneurship zeichnet sich dadurch aus, dass diese Unternehmer Produkte, Technologien, Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle, die einen ökologischen Schaden verringern und einen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes erzeugen, entwickeln und durchsetzen. Dadurch besteht eine enge Verbindung zwischen nachhaltigem Unternehmertum und Nachhaltigkeitsinnovationen, denn nachhaltige Unternehmen sorgen dafür, dass sich Nachhaltigkeitsinnovationen aus einer Nische in den Massenmarkt bewegen, wodurch ein größerer Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt wird (Schaltegger und Wagner 2011, S. 223).
Aus systemtheoretischer Sicht nehmen die Nachhaltigkeitsunternehmer Einfluss auf die Autopoiesis der Innovationen innerhalb der Realwirtschaft, indem sie die Möglichkeiten der Evolution begrenzen und eine Ausrichtung auf Nachhaltigkeit vornehmen. Dadurch haben sie einen wesentlichen Einfluss auf die nachhaltige Evolution der Gesellschaft (Hasenmüller 2013, S. 293).
Voraussetzung für ein nachhaltiges Unternehmertum sind also „Nachhaltigkeitsinnovationen“ (Konrad und Nill 2001, S. 38). Von Nachhaltigkeitsinnovationen kann dann gesprochen werden, wenn eine Erneuerung einer Technik, einer Organisation, eines Nutzungssystems, einer Institution oder Soziales geschaffen wurde, was dazu beiträgt, ökologische Knappheit zu reduzieren und eine global und langfristig übertragbare Wirtschaftsweise zu erzeugen oder zu erhalten (Fichter et al. 2006, S. 44). Es geht also darum, die Autopoiesis der Innovationen unter Berücksichtigung der Auswirkung auf die soziale und ökologische Umwelt dauerhaft zu erhalten. Damit verfolgen aus systemtheoretischer Sicht nachhaltige Unternehmer und Nachhaltigkeitsinnovationen ein ähnliches Ziel wie das Wirtschaftssystem (siehe Abschnitt 2.​2.​2). Denn auch darin soll die Zahlungsfähigkeit erhalten werden, indem die Knappheit so verteilt wird, dass die gegenwärtige Verteilung nicht eine stabile Vorsorge für die Zukunft gefährdet (Luhmann 1988, S. 64).
Systemtheoretisch betrachtet kann eine Veränderung von Nachhaltigkeit als Institution nur aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren erzielt werden. Eine höhere Reflexion gesellschaftlicher Auswirkungen in einem Netzwerk von Akteuren (siehe Abschnitt 4.1) macht es möglich, nachhaltige Innovationen zu entwerfen. Diese können sich jedoch nur durchsetzen, wenn sich das Regime, also die Institutionen des Wirtschaftssystems, entsprechend ändert. Dazu braucht es Irritationen aus der Umwelt und einen Wandel auf der gesellschaftlichen Ebene zu einer nachhaltigen Entwicklung. Erst wenn diese stabilisierenden Faktoren der Regimeebene bzw. der Institutionen des Wirtschaftssystems sich ändern, wird es möglich, dass Innovationen auch zu einer Veränderung des Wirtschaftssystems führen. Eine Verschiebung der Referenz innerhalb des Wirtschaftssystems zu Nachhaltigkeit und die Berücksichtigung der Auswirkungen auf die gesellschaftliche und ökologische Umwelt können daher nicht durch das Wirtschaftssystem alleine erfolgen, sondern sie sind zudem davon abhängig, dass diese Beobachtungsform auch in anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen eingenommen wird. Denn erst wenn es zu diesem Paradigmenwechsel auf der Gesellschaftsebene kommt, können Entscheidungen auf diese abstrakteste Scheinsicherheit als Letztbezug referenzieren und höhere kombinatorische Gewinne erzeugen.
In realwirtschaftlichen Organisationen wird eine Referenz auf Nachhaltigkeit besonders durch Nachhaltigkeitsstrategien möglich, da sie als Entscheidungsprämissen die Entscheidungen der Organisation prägen. Durch nachhaltiges Unternehmertum und Nachhaltigkeitsinnovationen können realwirtschaftliche Organisationen selbst zur Etablierung von Nachhaltigkeit beitragen.

4.2.4 Nachhaltigkeit in finanzwirtschaftlichen Organisationen

Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie Nachhaltigkeit am Kapitalmarkt von der globalen Ebene konkretisiert wird, sodass sich finanzwirtschaftliche Organisationen an Nachhaltigkeit ausrichten können und nachhaltige Innovationen finanziert und Risiken durch eine nichtnachhaltige Wirtschaftsweise reduziert werden können.
Der bisherige Fokus auf eine wirtschaftliche Rationalität wird bei Organisationen der Finanzwirtschaft am ehesten am Umgang mit Risiken ersichtlich.
In den finanzwirtschaftlichen Organisationen der Banken erzeugen Entscheidungen sowohl Wissen als auch Nichtwissen. Banken reduzieren mit ihren Entscheidungen für beispielsweise neue Finanzinstrumente und -produkte Risiken, die allerdings aufgrund der Komplexität auch neue Risiken schaffen. Wegen der Ungewissheit der Zukunft lassen sich die Folgen nie ganz abschätzen, weshalb auch die systemischen Risiken zunehmen. Banken üben eine latente Funktion aus. Sie reduzieren nicht nur Risiken, sondern sie ermöglichen zudem, eine höhere Komplexität aufzubauen, die allerdings höhere Risiken birgt, da neue Externalitäten und Systemrisiken erzeugt werden. Dadurch wird auch die Umwelt des Finanzsystems gefährdet, was auf die Banken selbst zurückwirken kann (Strulik 2000, S. 17 ff.).
Scheinsicherheit wird durch die Differenz von Risiko und Sicherheit erzeugt. Sie wird erzeugt, indem die Organisation eine Reflexion von Entscheidungsfolgen vollzieht und dadurch Externalitäten scheinbar internalisiert (Strulik 2000, S. 84).
Durch die Institutionalisierung des Risikomanagements entsteht eine Erwartungssicherheit, die Entscheidungen ermöglicht, da selbst bei unerwarteten Nebenfolgen darauf rekurriert werden kann. Das Risikomanagement reduziert dadurch zeitliche, sachliche und soziale Kontingenz (Strulik 2000, S. 24 f.).
Die Unterscheidung zwischen Risiko und Sicherheit ist jedoch eine soziale Fiktion, da absolute Sicherheit nie vollständig garantiert werden kann. Diese Scheinsicherheit hilft allerdings, Entscheidungen zu treffen (Strulik 2000, S. 66).
Die scheinbare Sicherheit, die dadurch entsteht, dass einige Folgen der Entscheidung berücksichtigt werden, begrenzt die Suche nach möglichen Entscheidungsfolgen und löst daher die Entscheidungsparadoxie auf. Obwohl das Risikomanagement nie die ganze Umwelt berücksichtigen kann, erzeugt es eine Scheinsicherheit, die Entscheidungen ermöglicht.
Auch bei der treuhänderischen Pflicht wurde in der Vergangenheit eine wirtschaftliche Rationalität als Referenzpunkt zur Auflösung von Kontingenz verwendet.
Im Finanzsystem verwalten Treuhänder das Geld oder andere Vermögenswerte im Auftrag von Investoren oder anderen Begünstigten. Diese verlassen sich auf die Treuhänder, dass sie im besten Interesse für die Investoren und anderen Begünstigte handeln, was meist finanziell ausgedrückt wird. Die treuhänderische Pflicht, die gesetzlich definiert ist, versucht sicherzustellen, dass die Treuhänder verantwortlich im Sinne der Investoren und Begünstigten und nicht zu ihrem eignen Vorteil handeln. Die treuhänderische Pflicht beruht klassischerweise auf Loyalität und Vorsicht (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) und United Nations Environment Programme Finance Initiative (UNEP FI) 2019, S. 10).
Die treuhänderische Pflicht kann als eine Art Institution verstanden werden, die den Möglichkeitsraum für finanzwirtschaftliche Entscheidungen vorgibt und auf die als Letztbezug der Entscheidungsketten referenziert wird.
Während es in der Vergangenheit fraglich war, ob durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit die treuhänderische Pflicht verletzt wird, hat sich durch die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit auch die treuhänderische Pflicht verändert. Dies liegt daran, dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit sich in der Zwischenzeit als eine Investmentnorm etabliert hat. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit vorteilhaft oder zumindest nicht negativ für den wirtschaftlichen Erfolg ist (siehe dazu auch Abschnitt 4.3.1). Außerdem werden politische und gesetzliche Rahmenbedingungen so verändert, dass Nachhaltigkeit stärker in Investmententscheidungen berücksichtigt wird (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) und United Nations Environment Programme Finance Initiative (UNEP FI) 2019, S. 21).
Die Veränderung der treuhänderischen Pflicht macht deutlich, dass eine Verschiebung in der Referenz der Finanzwirtschaft von einer rein wirtschaftlichen Rationalität zu Nachhaltigkeit stattfindet.
Neben der Veränderung der Referenz für Treuhänder orientieren sich auch die politischen Rahmenbedingungen des Finanzsystems nicht mehr nur an der Ideologie des Wachstums, sondern an der nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, führend im Bereich des nachhaltigen Finanzwesens zu werden, um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Neben den Interessen der EU wird darin auch die Verantwortung gesehen, einen Beitrag für die UN Sustainable Development Goals zu leisten (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 11).
Ein zukünftiges nachhaltiges Finanzsystem soll einerseits die Lehren der Finanzkrise berücksichtigen, aber gleichzeitig auch einen Beitrag leisten, die bereits vereinbarten Ziele einer nachhaltigen Wirtschaft zu erreichen (European Commission 2018, S. 1).
Mit dem Referenzpunkt der Nachhaltigkeit und der Einigung auf globaler Ebene, wird es möglich, gesellschaftliche und ökologische Aspekte in den Rahmen gebenden Strukturen des Finanzsystems zu berücksichtigen.
Das grundlegende Ziel eines nachhaltigen Finanzsystems besteht darin, einen Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten. Das bedeutet, dass ein nachhaltiges Finanzsystem die nachhaltige Entwicklung unterstützt, indem es die heutigen Bedürfnisse befriedigt, ohne die Möglichkeiten von zukünftigen Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, zu beschränken (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2017, S. 11).
Ein nachhaltiges Finanzsystem wird als Instrument gesehen, wirtschaftliche Entwicklung, soziale Inklusion und eine ökologische Erneuerung zu erreichen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 9). Ein nachhaltiges Finanzsystem bietet die beste Chance für eine Neuordnung des Finanzsystems, das nicht mehr auf einer kurzfristigen Stabilisierung basiert, sondern langfristig positive Auswirkungen erzeugt (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2017, S. 16). In einem nachhaltigen Finanzsystem wird die Beobachtungsperspektive erweitert, indem gesellschaftliche und ökologische Themen starker berücksichtigt werden. Gleichzeitig wird aber auch die Perspektive in der zeitlichen Dimension geändert, indem ein langfristigerer Zeithorizont betrachtet wird. Ein nachhaltiges Finanzsystem soll sowohl zu einer nachhaltigen Realwirtschaft führen als auch die Stabilität der Finanzwirtschaft erhöhen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 6). Es sollte daher sowohl Risiken und Chancen durch Nachhaltigkeit in Finanzentscheidungen berücksichtigen, um ein besseres Finanzsystem zu erzielen, als auch eine bessere Entwicklung ermöglichen, indem mehr Jobs geschaffen, Armut bekämpft, ein inklusives Wachstum herbeigeführt und ein Wandel zu einer dekarbonisierten, ressourceneffizienten Wirtschaft erzeugt werden (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2017, S. 11). Mit einem stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit soll also aus systemtheoretischer Sicht nicht nur die Umwelt des Finanzsystems erhalten bleiben und wiederhergestellt, sondern auch die Autopoiesis des Finanzsystems sichergestellt werden. Es geht also auch um die Sicherstellung der Selbsterhaltung des Finanzsystems, indem die Umwelt aufrechterhalten bleibt, da sie durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft Funktionen erfüllt, auf die das Finanzsystem zugreift und die es braucht, um selbst zu funktionieren.
Mit einem Aktionsplan für nachhaltiges Wachstum soll die Finanzwirtschaft stärker mit der europäischen und globalen Realwirtschaft verbunden werden, um daraus einen positiven Beitrag für die gesellschaftliche und ökologische Umwelt zu erzeugen. Mit dem Aktionsplan wird angestrebt, Finanzströme in nachhaltige Investitionen, die ein nachhaltiges und inklusives Wachstum ermöglichen, zu allokieren, sowie Finanzrisiken, die durch Nachhaltigkeitsthemen entstehen, zu managen und die Transparenz und langfristige Perspektive in Finanz-, aber auch Wirtschaftsaktivitäten zu erhöhen. Die EU versteht daher unter einem nachhaltigen Finanzwesen die Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialthemen in Investmententscheidungen, die zu längerfristigen und nachhaltigen Aktivitäten führen (European Commission 2018, S. 2 f.).
Aus systemtheoretischer Sicht werden durch ein nachhaltiges Finanzsystem die Rahmenbedingungen so verändert, dass in nachhaltigen Innovationen höhere Renditen entstehen und weniger Risiken erzeugt werden. Soziale Systeme müssen deshalb nicht mehr gegenseitig ein Bekenntnis für eine Orientierung an Nachhaltigkeit aussprechen und Vertrauen aufbauen, um ein übergeordnetes Ziel zu erreichen, sondern können sich auf die politischen Vereinbarungen beziehen, die über demokratische Prozesse entstanden sind und für alle gleichermaßen gelten. Mit einem nachhaltigen Finanzsystem werden Governance-Strukturen geschaffen, die Entscheidungssicherheit erzeugen, wodurch Investmententscheidungen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden können.
Nachhaltiges Investment macht deutlich, wie Nachhaltigkeit in den Programmen der finanzwirtschaftlichen Organisationen berücksichtigt werden kann. Es bietet eine Alternative, wie die Vielzahl an Investitionsmöglichkeiten reduziert werden können. Analog zur Weiterentwicklung von „CSR“ zu „Nachhaltigkeit“ in der Realwirtschaft hat sich in der Finanzwirtschaft der Begriff „Social Responsible Investment (SRI)“ zu „nachhaltiges Investment“ weiterentwickelt. Ähnlich der CSR hat SRI seine Wurzeln in einer Reflexion der gesellschaftlichen Auswirkungen von wirtschaftlichen Entscheidungen. Durch Verantwortung soll die gesellschaftliche und ökologische Umwelt stärker in diese Entscheidungen wieder miteinbezogen werden. Sozial verantwortliche Investoren integrieren damit CSR in die Finanzentscheidung und lenken finanzielle Ressourcen auf Basis der gesellschaftlichen Auswirkungen der investierten Aktivitäten (Puaschunder 2016, S. 42).
Über SRI gab es eine lange akademische Auseinandersetzung, was darunter verstanden werden und welche Terminologie verwendet werden soll. Die zwei wichtigsten Begrifflichkeiten waren „Social Responsible Investment“ und „ethisches Investment“ (Sparkes und Cowton 2004, S. 46). Eine Literaturanalyse von 190 akademischen Artikeln von 1975–2009 ergab, dass unter ethischem Investment ein stärker deontologisches ethisches Verständnis vorherrscht und Responsible Investment stärker finanzorientiert ist, wobei Nachhaltigkeitskriterien besonders aufgrund zusätzlicher Risikoinformationen hinzugezogen werden (Eccles und Viviers 2011, S. 389). SRI ist also eine Investmentphilosophie, die Profitmaximierung mit Sozialbemühungen kombiniert. Durch die Integration von Sozial-, Umwelt- und Finanzaspekten in Investitionen verfolgen sozial gewissenhafte Investoren wirtschaftliche und gesellschaftliche Wertmaximierung gleichzeitig. Dabei ist eine ähnliche Weiterentwicklung hinsichtlich der Verwendung der Begrifflichkeit von SRI wie CSR festzustellen, da SRI an Bedeutung verliert und durch den Begriff „nachhaltiges Investment“ abgelöst wird. Ein Beispiel dafür ist die Namensgebung des europäischen Verbandes für SRI, der sich 2008 noch als European Social Investment Forum (EUROSIF 2014b) und sich dann ab dem Jahr 2010 als European Sustainable Investment Forum bezeichnete (EUROSIF 2014a, S. 63).
Seit 2018 macht der deutsche Verband für nachhaltige Investments FNG eine Unterscheidung zwischen verantwortlichen und nachhaltigen Investments. „Verantwortliche Investments“ bezeichnet einen breiteren Ansatz, da dieser Anlagestrategien umfasst, die produktunabhängig über die gesamte Organisation angewendet werden können. Sie sehen ein öffentliches Bekenntnis über die Einhaltung von bestimmten Standards oder Prinzipien vor. Nachhaltige Investments stellen nur eine Teilmenge davon dar, da sie sich nur auf Produkte und Spezialbanken beziehen, die explizit als nachhaltig ausgewiesen werden (Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) 2020, S. 29).
Es ist auch aus systemtheoretischer Sicht nachvollziehbar, dass nachhaltige Investments eine Teilmenge von SRI darstellen. Allerdings nicht, weil die Produktebene eine Teilmenge der Organisation darstellt, sondern weil Nachhaltigkeit eine Teilmenge der Gesellschaft ist. Aus dieser Perspektive erfolgt auch ein Bekenntnis zu öffentlichen Standards und Prinzipien nicht durch verantwortliche Investments, sondern durch nachhaltige Investments. Denn nachhaltige Investments zeichnen sich in dem systemtheoretischen Verständnis gerade dadurch aus, dass sie auf das global vereinbarte Ziel einer nachhaltigen Entwicklung einzahlen und sich somit aus der übergeordneten Institution „Nachhaltigkeit“ ableiten. Nachhaltige Investments können daher sowohl auf der Organisations- als auch der Produkt- oder Entscheidungsebene getätigt werden. Unter nachhaltigen Investments werden daher Investitionen verstanden, die einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung durch eine Integration von langfristig ausgerichteten ökologischen, sozialen und Governancekriterien in der Investitionsentscheidung leisten (Busch et al. 2016, S. 305).
Aus systemtheoretischer Sicht besteht also der wesentliche Unterschied zwischen SRI und nachhaltigen Investments darin, dass SRI versucht, die gesellschaftliche und ökologische Umwelt zu berücksichtigen, während sich nachhaltige Investments auf ein globales Ziel der nachhaltigen Entwicklung beziehen, welche die gesellschaftlichen und ökologischen Themen definiert und einschränkt. Nachhaltige Investments sorgen somit für eine klare Orientierung, was die Entscheidungsfindung bei Finanzentscheidungen auf der konkreten Ebene erleichtert und somit auch die Berücksichtigung von gesellschaftlichen und ökologischen Aspekten in Finanzentscheidungen verbessert.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die gesellschaftliche Reflexion immer wieder blinde Flecken der Beobachtung deutlich werden lässt. Die Beobachtung von Netzwerken und NGOs ermöglicht einen Reentry von bisher Ausgeschlossenem, wodurch sich die Beobachtung einer absoluten Rationalität annähert. Die Aufdeckung von blinden Flecken löst jedoch Scheinsicherheiten auf und macht immer mehr Widersprüche sichtbar, wodurch Konflikte entstehen. Zur Auflösung der unlösbaren Konflikte braucht es eine gemeinsame Sprache, in der funktionsunabhängige Gefährdungen der Gesellschaft kommuniziert werden können. Durch einen temporär gütigen Konsens können die gesellschaftlichen Funktionssysteme einen gemeinsamen Sinn finden, mit dem Kontingenz reduziert werden kann.
Die Systemtheorie hat sich sowohl aus einer risikotheoretischen als auch einer governanceorientierten Perspektive mit Institutionen auseinandergesetzt. Aus einer risikotheoretischen Perspektive der Systemtheorie auf Institutionen sind bei Risikoentscheidungen Scheinsicherheiten notwendig. Durch Scheinsicherheit kann die Risikoparadoxie bei Entscheidungen, die darin besteht, dass mit jeder Reduktion von Risiken neue Risiken erzeugt werden, aufgelöst werden. Besonders Ideologien dienen als Letztbezug für eine Scheinsicherheit, wodurch auch Normativität Kontingenz reduzieren kann.
Nach der governanceorientierten Perspektive auf Institutionen der Systemtheorie können sich soziale Systeme zu einem Governance-Regime zusammenschließen und durch Selbststeuerung ein kollektives Ziel anstreben, das zwar auch die Umwelt berücksichtigen kann, aber im Wesentlichen aus sich selbst heraus entsteht.
Während in der Vergangenheit die Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten durch Wachstum begrenzt wurde, wird zunehmend ein Orientierungsrahmen für Entscheidungen durch Nachhaltigkeit geschaffen. Moral scheitert genauso wie die politische Steuerung an der zunehmenden Kontingenz der Gesellschaft. Das Verständnis von Nachhaltigkeit als ein normatives Leitbild trägt maßgeblich zu dieser Steuerungsillusion bei. Die Systemtheorie legt den Fokus daher stärker auf Selbststeuerung. Nachhaltigkeit steht für den Sinn, die Entwicklungsfähigkeit von gekoppelten, sozialen, ökologischen und psychischen Systemen langfristig zu erhalten. Nachhaltigkeit bekommt ihre integrative Funktion durch Negation, da bei Nachhaltigkeit negative Entwicklungen aufgezeigt werden und kommuniziert wird, was verhindert oder unterlassen werden soll. Dadurch werden Freiheitsgrade, aber auch Kontingenz reduziert, wodurch Nachhaltigkeit zur Kontingenzformel wird. Durch Nachhaltigkeit wird eine einheitliche Abstimmung möglich, die zum einen ein Bekenntnis zu einem einheitlichen Ziel schafft und die zum anderen aufzeigt, wo Einschränkung notwendig sind, damit auch Entwicklungsmöglichkeiten bei anderen Systemen garantiert sind. Nachhaltigkeit schafft durch Negation Einheit.
Eine höhere gesellschaftliche Reflexion macht zwar die Blindheit der Rationalität sichtbar, führt aber auch zu einer weiteren Erhöhung der Unsicherheit, was leicht in einer Überforderung der Organisation enden kann. Zur Vermeidung einer Überlastung der Organisation durch eine zu starke gesellschaftliche Reflexion sollte daher eine gegenseitige Begrenzung der Systeme geschaffen werden. Mit einer Veränderung der internen Referenz von der Referenz auf wirtschaftliche Rationalität zu der Referenz auf die Umwelt können Organisationen ein höheres Ziel anstreben und dafür sorgen, dass sich die Kontingenz ihrer Umwelt wieder reduziert. Durch die Beobachtung mit der Differenz von Organisation und Gesellschaft mit Hilfe der Referenz auf Nachhaltigkeit wird ein langfristigerer Zeithorizont als Perspektive eingenommen, sodass andere Konsequenzen ersichtlich werden, wodurch wiederum andere Entscheidungen getroffen werden können.
In Unternehmen werden mit Nachhaltigkeitsstrategien klare Entscheidungserwartungen erzeugt. Dadurch können Unternehmen Erwartungen von anderen sozialen Systemen berücksichtigen und ihre eigene Umwelt erhalten. Unternehmen können sich so entwickeln, dass sie nicht die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen Systeme einschränken. Mithilfe von Nachhaltigkeitsinnovationen können nachhaltige Unternehmersysteme die realwirtschaftlichen Operationen verändern und somit die gesellschaftliche Evolution beeinflussen. Es müssen dafür stabile Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auf einer abstrakteren Ebene für die notwendige Sicherheit sorgen.
Auch in der Finanzwirtschaft findet eine Verschiebung der Referenz von der wirtschaftlichen Rationalität auf Nachhaltigkeit statt. Durch den Bezug auf Nachhaltigkeit kann der Möglichkeitsraum gesellschaftlicher und ökologischer Themen eingeschränkt werden, da ein einheitliches Verständnis geschaffen wurde, wie die Selbstgefährdung der Gesellschaft verhindert werden kann. In finanzwirtschaftlichen Organisationen gibt es eine wichtige Entscheidungsprämisse in der treuhänderischen Pflicht. Mit einer stärkeren Ausrichtung an Nachhaltigkeit wird es möglich, in den finanzwirtschaftlichen Organisationen Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu treffen. Im Rahmen eines nachhaltigen Finanzsystems werden die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass sich finanzwirtschaftliche Entscheidungen an Nachhaltigkeit orientieren. Durch nachhaltige Investments können finanzwirtschaftliche Organisationen Nachhaltigkeitsinnovationen fördern und Nachhaltigkeitsrisiken reduzieren.

4.3 Selbststeuerung der Wirtschaft durch begrenzte Reflexion

In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die Gesellschaft stärker in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann. Es wird gezeigt, wie durch eine Verschleierung der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft die Voraussetzungen für eine begrenzte Reflexion in wirtschaftlichen Entscheidungen geschaffen werden und wie die Selbststeuerung durch Fremdbeschreibungen beeinflusst werden kann.

4.3.1 Verschleierung der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft

Aus systemtheoretischer Sicht erfolgt eine Steuerung durch eine Erhöhung oder Reduktion einer Differenz, daher spielt auch die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft eine entscheidende Rolle für eine andere Operationsweise des Wirtschaftssystems.
Die gesellschaftlichen Funktionssysteme sind durch einen Zufall über die Wahl der Beobachtungsdifferenz entstanden. Was vom System beobachtet wird, ist abhängig von den Strukturen des Systems. Es ist nie möglich, alles zu beobachten, sondern immer nur eine vereinfachte Abbildung beobachtbar (Willke 1987, S. 248 ff.).
Strukturen eines Systems können aufrechterhalten werden, indem etwas nicht bewusst ist oder nicht gesehen wird. Bewusstseinslatenz beschreibt eine Art von Latenz, in der bestimmte Dinge in der Selektion nicht berücksichtigt werden, da sie nicht bekannt sind. Darüber hinaus gibt es strukturfunktionale Latenz. Diese versucht bewusst, Kommunikation zu verhindern, um die eigenen Strukturen zu bewahren. Denn würden die nicht bekannten Informationen kommuniziert werden und ins Bewusstsein rücken, würden die Strukturen zerstört werden (Luhmann 1984, S. 459).
Für eine Veränderung der Beobachtung müssen die Differenzen der Beobachtung anders gesetzt werden. Auch für eine gesellschaftliche Steuerung spielen aus systemtheoretischer Sicht Differenzen eine wesentliche Rolle. Unter Steuerung versteht Luhmann eine „intentionale Kommunikation“ (Luhmann 2000, S. 403).
Da die Steuerung eines gesamten Systems viel zu komplex wäre, bezieht sie sich nur auf eine spezifische Unterscheidung. Ziel ist die Erhöhung oder Reduzierung einer bestimmten Differenz. Beobachtet wird also nur diese Differenz. Das System wird daher nicht in seiner Ganzheit und in seinem Unterschied zur Umwelt betrachtet, sondern die Steuerung wird lediglich auf die beobachtete Differenz reduziert (Luhmann 2000, S. 403). Bei einer Steuerung geht es immer um eine Veränderung einer Differenz, die sich sowohl innerhalb des Systems als auch in der Umwelt befinden kann (Luhmann 1988, S. 328).
Nach Luhmann (1988, S. 343) erfolgt die Steuerung innerhalb des Wirtschaftssystems durch eine Geldmengendifferenzminimierung. Durch den evolutionär gebildeten Geldcode (Luhmann 1988, S. 344 f.) erfolgt die Verarbeitung von Ereignissen in der Gesellschaft durch Zahlungen und Preise (Willke 1996, S. 59). Da der Code nicht verändert werden kann, besteht die einzige Möglichkeit für eine Veränderung der Beobachtung im Wirtschaftssystem in einer Veränderung der Programme (Luhmann 1988, S. 347).
Ein Steuerungseingriff ist im Grunde nur eine Operation unter vielen – egal ob er sich auf das System oder die Umwelt bezieht. Bei parallel stattfindenden Operationen ist immer mit Nebeneffekten zu rechnen, so kann selbst die Beobachtung der Steuerung unerwartete Effekte bewirken. Auch die Politik kann nicht steuern, da die Systeme nach ihrer eigenen Logik arbeiten und jeweils ganz andere Unterscheidungen verwenden. Politik ist daher nur einer von vielen Differenzminimierungsversuchen, die es vielfach gibt. Systemtheoretisch ist eine Steuerung eher als Selbststeuerung zu verstehen (Luhmann 1988, S. 331 ff.).
Das Wirtschaftssystem kann nicht durch direkte Eingriffe der Politik gesteuert werden, denn dadurch werden rentable Investitionen unrentabel gemacht. Durch Steuern werden beispielsweise Zahlungen geleistet, ohne dass die eigene Zahlungsfähigkeit dadurch wiederhergestellt werden kann. Durch die Politik können die Preise kaum so verändert werden, dass sie die Externalitäten genau miteinbeziehen. Wenn aber nicht alle Aspekte in den Kosten berücksichtigt werden, führt das zu einer unvollständigen Perspektive des Wirtschaftssystems, sodass die zu lösenden Probleme durch die Wirtschaft nicht adäquat gelöst werden, was sich wiederum auf andere Systeme überträgt (Luhmann 1986, S. 109 ff.). Nach der Theorie der Autopoiesis kann das Wirtschaftssystem nur sich selbst steuern, da Politik andere Systeme nicht steuern kann (Luhmann 1988, S. 325).
Systeme haben ihren primären Fokus auf der Selbsterhaltung, sie können die Umwelt daher eigentlich nicht berücksichtigen. Für sie macht es keinen Sinn, zukünftige Auswirkungen zu berücksichtigen, wenn dies dazu führt, dass sie diese Zukunft gar nicht erreichen können (Luhmann 1986, S. 38). Nach Willke (1995, S. 231 ff.) kann das Steuerungsproblem mit zusätzlichem Wissen durch eine höhere Reflexion gelöst werden. Willke (1997, S. 69 ff.) geht davon aus, dass Funktionssysteme ihre Autopoiesis an einer externen Referenz orientieren können. Zwar nimmt er nicht an, dass eine direkte externe Steuerung möglich ist, aber die gesellschaftlichen Funktionssysteme können eine gesamtgesellschaftliche Rationalität in ihrer eigenen Systemlogik wahrnehmen. Damit sie dazu in der Lage sind, benötigt es externe Supervision, wodurch die Möglichkeiten der Operationen des Systems gemeinsam beschränkt werden.
Eine Berücksichtigung der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt in der Wirtschaft ist also nur möglich, wenn klar ist, welche externen Erwartungen es gibt, welche Möglichkeiten der anderen Systeme durch die Operationen des Systems beschränkt werden und mit welchen Einschränkungen im Möglichkeitsraum des Systems die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen Systeme wiederhergestellt werden können.
Demnach bleibt das System auf Supervisoren, insbesondere die Politik, angewiesen, die die gesellschaftliche Gesamtrationalität für das System übersetzt, das in eine stärkere Abstimmung mit der Umwelt gehen sollte. Durch die Übertragung von neuem Sinn werden für das System neue Win-Win-Lösungen sichtbar, die mit der Autopoiesis des Systems und des beteiligten Systems kompatibel sind (Willke 1997, S. 304).
Wiesenthal kritisiert diese Perspektive, da darin das politische System plötzlich in der Lage ist, eine Gesamtrationalität einzunehmen, die hinter der Systemrationalität steht. Damit würden die Systeme die Fortsetzung ihrer eigenen Autopoiesis hintenanstellen, um eine gegenseitige Abstimmung zu ermöglichen, was eigentlich nicht mehr mit der Logik der Systemtheorie kompatibel wäre (Wiesenthal 2006, S. 73).
Dabei vernachlässigt Wiesenthal jedoch eine wesentliche Möglichkeit, die einen solchen Zusammenhang wieder mit der Systemtheorie kompatibel macht: nämlich die Berücksichtigung einer gesamtgesellschaftlichen Rationalität, die die Möglichkeiten der Selbsterhaltung des Systems zwar kurzfristig eingeschränkt, die aber aus einer langfristigen Perspektive dem System die Möglichkeit bietet, zum Erhalt der eigenen Grundlagen beizutragen, wodurch die Voraussetzungen geschaffen werden, die Autopoiesis des Systems langfristig fortzusetzen.
Dies ist allerdings nur möglich, wenn durch die gesamtgesellschaftliche Perspektive nicht die eigene Autopoiesis kurzfristig gefährdet wird. Eine Einschränkung der Möglichkeiten sollte aber nicht mit der Selbstgefährdung des Systems gleichgestellt werden. Im Gegenteil, es kann durch eine Einschränkung der Möglichkeiten auch neuer Sinn erzeugt werden, der die Selbsterhaltung sogar erleichtert.
Anhand der Reflexion im System wird deutlich, dass die Systeme Leistungen für andere Systeme zur Verfügung stellen und selbst auf die Leistung von anderen Systemen angewiesen sind. Dadurch wird die Berücksichtigung anderer Themen in der Entscheidungslogik wahrscheinlicher, denn Systeme integrieren in ihre Selbstbeschreibungen Erwartungen an andere Systeme. Damit wird eine gegenseitige Rücksichtnahme ermöglicht. Durch die stärkere gegenseitige Berücksichtigung werden jedoch auch gegensätzliche Erwartungen wahrscheinlicher, die zu Konflikten führen können und eine gegenseitige Annäherung notwendig machen. Diese Diskrepanzen führen jedoch erst dazu, dass die Beobachtungsperspektive verändert wird und Operationen sich verändern. Für eine Veränderung der Operationen ist eine Differenz zwischen Systemrationalität und gesamtgesellschaftlicher Rationalität notwendig (Japp 1996, S. 209 f.).
Die gesellschaftlichen Funktionssysteme sind aufgrund der Ausdifferenzierung auf die Funktionsweise der anderen Systeme angewiesen. Eine Beachtung der Entwicklungsmöglichkeiten anderer Systeme ist durch Selbstbegrenzung möglich. Sie können deren Erwartungen jedoch nur berücksichtigen, wenn sie ihre Selbsterhaltung dadurch nicht gefährden – oder umgekehrt formuliert: Sie sind in der Lage, ihre Erwartungen zu berücksichtigen, wenn sie auch zu deren Selbsterhaltung beiträgt.
Im Wirtschaftssystem kann die Berücksichtigung der Gesellschaft nur auf der Ebene der Programme, die über den Code bestimmen, erfolgen, da sie veränderbar sind. Die Steuerung der systeminternen Operationen erfolgt daher durch die Programmierung des Systems. Im Wirtschaftssystem erfolgt die Programmierung von Zahlungen über Preise. Durch quantitative Vergleiche von Preisen wird es möglich, zu entscheiden, ob eine Zahlung richtig oder falsch ist. Die Veränderung des Programmes, also eine Programmierung der Programmierung, erfolgt durch den Markt, da er über den Preis bestimmt. Die Umwelt wird im Wirtschaftssystem also nur in den Preisen berücksichtigt, wenn die externen Kosten internalisiert werden. Da das Wirtschaftssystem nur in einer sehr beschränkten Bandbreite eine Sensibilität oder einem beschränkten Resonanzbereich gegenüber Umweltereignisse aufweist, kann es auch nur begrenzt auf die gesellschaftliche Selbstgefährdung reagieren. Zwar ist das Wirtschaftssystem theoretisch in der Lage, alles aus der Gesellschaft zu berücksichtigen, allerdings nur das, was wirtschaftlich ist. Es muss daher immer die Frage sein, mit welchen Preisen kann die Zahlungsfähigkeit erhalten werden. Denn nur so erzeugt das Rauschen der Umwelt Resonanz im Wirtschaftssystem und sorgt für die Aufrechterhaltung der Autopoiesis (Luhmann 1986, S. 90 ff.).
Für eine andere Beobachtung der Wirtschaft müssen also die Preise so verändert werden, dass darin die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf die Umwelt enthalten sind.
Stehr (2007) beschreibt unter Moralisierung der Märkte, dass durch veränderte gesellschaftliche Erwartungen immer mehr nichtwirtschaftliche Kriterien im Markt berücksichtigt werden, da sich sowohl das Konsumverhalten als auch die Produktionsverfahren geändert haben.
Für das Wirtschaftssystem ist es daher vorteilhaft, wenn die eigenen Operationen und die damit verbundene Systemrationalität mit der gesamtgesellschaftlichen Rationalität in Einklang gebracht werden. Dies gelingt, wenn die Systeme ihre eigene Rationalität in Bezug auf den Umweltkontext reflektieren. Das Wirtschaftssystem steuert sich selbst durch einen Reentry der Gesellschaft in das Wirtschaftssystem. Die Erwartungsstrukturen werden nicht mehr nur im Hinblick auf die systeminterne Umwelt, also die Märkte, sondern auch mit Bezug auf die systemexterne Umwelt stabilisiert. Dies bedeutet eine fundamentale Veränderung in der Selbstbeschreibung des Marktes, da das Wirtschaftssystem nun in der Lage, ist die eigenen Auswirkungen auf die Umwelt in der eigenen Sprache zu berücksichtigen, das heißt, dass die bisher unberücksichtigten externen Kosten nun internalisiert werden können. Zwar stimmt es weiterhin, dass das Wirtschaftssystem nichts anderes als wirtschaftliche Kriterien mit dem Systemcode verarbeiten kann, denn die Selbstbeschreibung der Wirtschaft läuft nur über Preise. Allerdings können die Auswirkungen auf die Umwelt, die durch Wissenschaft, Politik und soziale Bewegungen ermittelt werden, in die Preise aufgenommen werden. Allerdings können in den Preisen aufgrund der Komplexität der Umwelt nicht alle ökologischen und sozialen Auswirkungen berücksichtigt werden. Ob Organisationen tatsächlich die gesellschaftliche und ökologische Umwelt in den Operationen berücksichtigen, muss mit Blick auf die Organisationen und nicht auf die Funktionssysteme analysiert werden (Melde 2012, S. 165 ff.).
Die Gesellschaft kann also nur im Wirtschaftssystem verarbeitet werden, wenn sie wirtschaftlich relevant geworden ist. Sie kann also auch nur so weit berücksichtigt werden, als sie mit wirtschaftlichen bzw. finanziellen Zielen kompatibel ist. Da die Gesellschaft sich immer von der Wirtschaft unterscheiden wird, da sie ansonsten mit ihr identisch wäre, stellt diese Annahme ein Paradox dar. Dass alle gesellschaftlichen Ziele mit wirtschaftlichen Zielen kompatibel sind, ist eine Illusion. Diese Paradoxie lässt sich invisibilisieren, indem die gesellschaftlichen Ziele betrachtet werden, die mit dem Wirtschaftssystem kompatibel und verarbeitbar sind. Durch diese Begrenzung der Reflexion kann die Gesellschaft trotz ihrer höheren Komplexität in das Wirtschaftssystem eingeschlossen werden.
Die Kritik am Wirtschaftswachstum, an dessen negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen die Differenzen zwischen Wirtschaft und gesellschaftlicher und ökologischer Umwelt ersichtlich wurden, konnte durch das Narrativ eines grünen Wachstums verdrängt und invisibilisiert werden.
Das Kernargument bestand darin, dass ein Rückgang des Wachstums auch zu einem Rückgang des Wohlstands führt. Demgegenüber könne eine Internalisierung der ökologischen Externalitäten sowohl zu Wachstum als auch zu einer Verbesserung der Umweltqualität führen (Schmelzer 2016, S. 298). Mit grünem Wachstum wird bis heute bei der OECD geworben (OECD 2015). Mit der Illusion eines grünen oder inklusiven Wachstums wird es möglich, die Komplexität der Gesellschaft zu reduzieren und in der Wirtschaft zu berücksichtigen. Denn der Möglichkeitsraum der wirtschaftlichen Entwicklung wird eingeschränkt, indem nur die gesellschaftlichen Aspekte berücksichtigt werden müssen, die wirtschaftlich relevant sind, wodurch die Gesellschaft in die Wirtschaft wieder eingeschlossen werden kann. Dies führt dazu, dass die pathologische Selbstreferenz aufgelöst wird, da sie sich stärker gegenüber der Umwelt öffnet. Zudem ist eine Anschlussfähigkeit an die Kommunikation im Wirtschaftssystem über Zahlungen gewährleistet, sodass die Autopoiesis fortgesetzt werden kann. Gleichzeitig schützt die Begrenzung auf Wirtschaftliches vor einer Überlastung der gesellschaftlichen Komplexität. Der Möglichkeitsraum der Entwicklung der Wirtschaft wird so eingeschränkt, dass in der aktuellen Entwicklung ein Potenzial für weitere Entwicklung entsteht, da alle Möglichkeiten ausgeschlossen werden, die zu einer Gefährdung der Umwelt führen. Diese aktuellen Einschränkungen der Möglichkeiten öffnen den Möglichkeitsraum für zukünftige Entwicklungen und für die Fortsetzung der Autopoiesis. Die Potenzialität nimmt zu und neuer Sinn entsteht.
Organisationen können die Berücksichtigung der Gesellschaft im Wirtschaftssystem ermöglichen, da die Programme der Wirtschaft durch Organisationen verändert werden können. Aufgrund der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft kann eine stärkere Berücksichtigung der Wirtschaft nur erfolgen, wenn bei Entscheidungen die Reflexion auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen begrenzt wird. Für eine Änderung der Beobachtungsdifferenz im Wirtschaftssystem sind Organisationen von grundlegender Bedeutung, da sie die Programme verändern können, auf deren Ebene die Gesellschaft berücksichtigt werden kann. Organisationen sind in der Lage, durch ihre Entscheidungen eine Differenz zu verändern und Paradoxien zu verschleiern.
In Organisationen erfolgt die Steuerung durch das Management, dessen Aufgabe es ist, Unterschiede zu identifizieren, die entweder vergrößert oder verkleinert werden sollen.
Eine gebräuchliche Unterscheidung besteht in der Soll-Ist-Abweichung. Diese führt zu beobachteten Differenzen, die erhöht oder reduziert werden sollen. Gewinn und Rendite bilden Beobachtungsdifferenzen, die zwar nicht von der Organisation selbst entworfen wurden, aber an denen sich die Organisation durch die Definition von Zielen selbst messen kann. Mit der Wahl der Beobachtungsdifferenz erfolgt eine doppelte Selektion, denn die gewählte Differenz prägt das aktuelle Bild und beeinflusst den potenziellen Zustand der Organisation. Die Aufgabe des Managements besteht darin, die Differenz zwischen Organisation und Umwelt in die Organisation einzuführen und verarbeitbar zu machen. Es muss sich daher darüber klar werden, welche Differenz es setzen möchte. Das Management kann eine Referenz zur Organisation, Wirtschaft, Gesellschaft oder zum Individuum herstellen. In einem Strategieprozess erfolgt eine Festlegung, die korrigierbar ist. Dabei entstehen Spannungen aus der Differenz zwischen einem aktuellen und einem zukünftigen Zustand des Systems, die zu Entscheidungen anregen. Das Management muss die Differenzen zwischen Aktualität und Potenzialität so für die Organisation wählen und die Organisation entsprechend ausstatten, dass sie die Ziele erreicht (Baecker 2003, S. 234 ff.).
Organisationen richten ihre Zielsetzung und Beobachtungsdifferenz auf die Funktion eines bestimmten gesellschaftlichen Funktionssystems aus. Allerdings müssen alle Organisationen ihre Mitglieder bezahlen und eine Refinanzierung sicherstellen, wodurch alle Organisationen vom Wirtschaftssystem abhängig sind und dieses System eine besondere Rolle spielt (Luhmann 2000, S. 405).
Da sich jedoch nicht alle über den Markt refinanzieren können, kommt auch der Politik durch die Unterstützung mit staatlichen Zahlungsmitteln eine gewisse Bedeutung zu (Luhmann 2000, S. 468). Zwar befinden sich Systeme in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, da alle Funktionssysteme mit allen anderen Funktionssystemen gekoppelt sind, aber Organisationen können die Gesellschaft nur berücksichtigen, wenn dies ihre Zahlungsfähigkeit nicht gefährdet.
Durch eine Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen wird es möglich, dass bei Entscheidungen in der Finanzwirtschaft die Gesellschaft berücksichtigt wird. Für die Auflösung der Paradoxie durch die Einführung der ökologischen und gesellschaftlichen Umwelt in die Wirtschaft, also durch ein Reentry der Differenz zwischen Wirtschaft und Umwelt in das System, ist es notwendig, dass die Wirtschaft sich nicht selbst gefährdet, sondern ihre Selbsterhaltung im Blick behält. Es reicht also nicht aus, wenn sich wirtschaftliche Organisationen durch eine Beobachtung zweiter Ordnung selbst beobachten, sondern sie benötigen eine Beobachtung dritter Ordnung, die die Rückwirkungen auf das System der Auswirkungen des Systems auf die Umwelt betrachtet. Es gibt daher eine Reihe von finanzwissenschaftlichen Untersuchungen, welche wirtschaftlichen Folgen die Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Themen hat.
Im Finanzsystem wurden die wirtschaftlichen Rückwirkungen der eigenen Entscheidungen besonders bei großen institutionellen Investoren anhand des Prinzips „Universal Ownership“ (Monks und Minow 1995, S. 143) ersichtlich. Nach diesem Prinzip richten sich große Investoren mit einem breiten Portfolio nicht an Eigeninteressen, sondern an der Allgemeinheit aus.
Denn durch die breite Diversifikation führt eine Externalisierung einer Anlage zu einem Nachteil bei einer anderen Anlage. Investoren sollten daher die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft berücksichtigen, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen (Hawley und Williams 1997, 2000; Hawley und Wicks 2002; Hawley und Williams 2007).
Durch ihre Größe sind sie strukturell dazu veranlagt, sich dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zu verschreiben und den Markt, ergänzend zu gesetzlichen Anforderungen, in diese Richtung zu bewegen. Allerdings ist es in der Praxis schwer, die finanziellen Konsequenzen aller Auswirkungen abzuschätzen, weshalb die universelle Investorentheorie zwar als erstrebenswerte oder normative Theorie gesehen werden kann, aber keinen aktuellen Zustand abbildet (Richardson und Peihani 2015, S. 406 ff.).
Mit dem Versuch, gesellschaftliche Auswirkungen zu messen, wurde es möglich, auch die finanzielle Relevanz der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt nicht nur theoretisch herzuleiten, sondern auch empirisch zu untersuchen. Margolis und Walsh (2003, S. 268) beschrieben die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance als ein 30-jähriges Bestreben, eine empirische Beziehung zwischen dem gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen und seinem finanziellen Erfolg herzustellen. Bereits in den Anfängen zur Auswertung von Metastudien zum Zusammenhang von Corporate Social Performance und Corporate Financial Performance entstand eine Diskussion über die Methodik und die Interpretation der Ergebnisse (Griffin und Mahon 1997; Roman et al. 1999; Mahon und Griffin 1999; Margolis und Walsh 2003). In den jüngeren Metastudien wird meist das Fazit gezogen, dass in Summe ein eher signifikant neutraler bis leicht positiver Zusammenhang zwischen der Nachhaltigkeitsleistung und dem wirtschaftlichen Erfolg besteht (Friede et al. 2015; Busch und Friede 2018; Atz et al. 2021).
Es gibt jedoch auch sehr grundsätzliche Kritik gegenüber einer statistischen Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung der Gesellschaft. Ein klassisches Problem bei Metaanalysen besteht in Publikationsverzerrungen, da nicht alle Studien, sondern nur Studien mit erwünschten Ergebnissen publiziert werden (Rosenthal 1979). Diese Art der Verzerrung soll auch bei den Ergebnissen der Metastudien über den Zusammenhang zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance vorliegen (Orlitzky 2011; Rost und Ehrmann 2017). Neuere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass keine Publikationsverzerrungen vorliegen (Busch und Friede 2018). Es muss jedoch betont werden, dass bei dieser Analyse der Verzerrung nur die Untereffekte der Metaanalysen zugrunde gelegt wurden, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einer Untersuchung der den Metastudien zugrunde liegenden Primärstudien Publikationsverzerrungen festzustellen sind. Auf eine Verzerrung deuten zumindest die unterschiedlichen Korrelationen in den Gruppen der Fachzeitschriften hin. Es kann also nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse zu dem Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeitsleistung und finanzieller Leistung aufgrund von Publikationsverzerrungen durch erwünschte Effekte beeinflusst werden. Ein weiterer Diskussionspunkt bei den Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Nachhaltigkeitsleistung und der finanziellen Leistung besteht in der Frage zur Richtung der Kausalität (Salzmann et al. 2005, S. 30). Einerseits gibt es die Überlegung, dass ein Management mit einer guten Nachhaltigkeitsleistung zu einem finanziellen Erfolg führt (Waddock und Graves 1997). Andererseits gib es auch die These, dass erst finanzieller Erfolg notwendig ist, um in Nachhaltigkeit zu investieren, weshalb eine gute Nachhaltigkeitsleistung erst aus dem finanziellen Erfolg resultiert (McGuire et al. 1988). Da beide Thesen empirisch belegt werden können, gibt es auch die Annahme eines positiven Kreislaufs, in dem sich die Nachhaltigkeitsleistung und der finanzielle Erfolg gegenseitig bedingen, was auch die Metametastudie von Busch und Friede (2018, S. 602) als besonders wahrscheinlich erachtet. Die Nachhaltigkeitsleistung und die finanzielle Leistung befinden sich in einer selbstverstärkenden Steigerungsspirale. In diesem Steigerungsprozess spielt die Wissenschaft keine unwesentliche Rolle, denn durch Performation kann es sein, dass Theorien nicht nur die Realität beschreiben, sondern auch gestalten. Dies kann so weit gehen, dass sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Marti und Gond (2018) beschreiben am Beispiel der Diskussion um die positive Korrelation von Corporate Social Performance und Corporate Financial Performance, wie es zu einer solchen Selbsterfüllung kommen kann. Die Darstellung eines positiven Zusammenhangs zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance kann die Investoren zum Experimentieren verleiten, die tatsächlich in manchen Fällen positive Erfahrungen sammeln. Dadurch kann eine positive Rückkopplungsschleife entstehen, die zu einem Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft anregt und durch die die wissenschaftlichen Annahmen zur gesellschaftlichen Realität werden.
Obwohl am Ende nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden kann, dass es generell wirtschaftlich vorteilhaft ist, die Gesellschaft zu berücksichtigen, oder dass die Kritik gegenüber den Metastudien gerechtfertigt ist, hilft die Scheinsicherheit eines positiven Zusammenhangs, dass die Gesellschaft in finanzwirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt wird. Durch die wissenschaftliche Bestätigung, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist, werden Praktiker davon überzeugt, sich stärker mit gesellschaftlichen Aspekten auseinanderzusetzen, sodass die Gesellschaft tatsächlich stärker in der Wirtschaft berücksichtigt wird. Umfragen zeigen, dass Manager und Investoren zunehmend eine höhere Relevanz von Nachhaltigkeit für den Shareholder-Value sehen (McKinsey 2020) und Portfoliomanager und Finanzanalysten zunehmend Nachhaltigkeit in ihren Investmententscheidungen und -analysen berücksichtigen (van Duuren et al. 2016; CFA Institute 2017; Umweltbundesamt (UBA) 2017; EY 2020). Die qualitativen Angaben werden unterstützt durch den Anteil an nachhaltigen Investments am gesamten verwalteten Vermögen (siehe Abschnitt 5.​5.​1). Mit dem Fokus auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftskriterien wird es also möglich, die Gesellschaft in die bestehenden Entscheidungserwartungen zu integrieren und damit einen Anschluss an existierende Strukturen zu finden, wodurch Resonanz im Finanzsystem entsteht.
Durch die Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen wird es möglich, dass die Gesellschaft bei Entscheidungen in der Realwirtschaft berücksichtigt wird.
Die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg ist sehr komplex und von der Kontingenz der Situation, den Unternehmen und den standortbezogenen Faktoren abhängig, die nur schwer analytisch gemessen werden können. Die Herausforderung von quantitativen Studien bei der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance besteht in Hinblick auf die Identifikation der Bedeutung und der Rolle des Business Case für Nachhaltigkeit innerhalb eines Unternehmens, da beispielsweise der ökonomische Wert von Nachhaltigkeitsstrategien weit schwieriger zu erfassen ist und immaterielle Vermögenswerte (wie beispielsweise Markenwert oder Mitarbeiterloyalität) schwer zu quantifizieren sind (Salzmann et al. 2005, S. 30 ff.).
Die Untersuchungen geben daher wenig Erkenntnis über die wirtschaftliche Relevanz von Gesellschaftsthemen auf organisationaler Ebene und dazu, wie ein Business Case in Unternehmen entwickelt und verwendet werden kann. Allerdings gibt es Theorien, die sich auf organisatorischer Ebene näher damit befasst haben, wie in wirtschaftlichen Entscheidungen stärker gesellschaftliche Themen berücksichtigt werden können. Das Stakeholder-Management, der Business Case for CSR, Shared Value und der Business Case for Sustainability sind Ansätze, die sich aus einer strategischen Perspektive mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Gesellschaft auseinandergesetzt haben.
Den Anstoß für eine wirtschaftliche Betrachtung von gesellschaftlichen Themen in strategischen Entscheidungen von Unternehmen hat das Stakeholder-Management gegeben. Im Stakeholder-Management wird die Berücksichtigung der Gesellschaft in Form von Stakeholderinteressen als Voraussetzung eines wirtschaftlichen Erfolges gesehen, da die Rückwirkungen der Auswirkungen der Unternehmen auf deren Umwelt wesentliche Rückwirkung auf die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen erzeugen (Freeman 2004, S. 231).
Aus systemtheoretischer Sicht wird damit deutlich gemacht, dass Unternehmen für eine höhere gesellschaftliche Reflexion auf ein Netzwerk an Akteuren angewiesen sind. Vergleichbar mit der Generalisierung durch Nachhaltigkeit, die Entscheidungssicherheit durch eine Einheit erzeugt, wird aber gleichzeitig betont, dass Unternehmen und Stakeholder eine gemeinsame normative Basis benötigen, um eine stabile Beziehung aufzubauen (Freeman 2004, S. 234 f.).
Mit der Frage, ob Shareholder die gleichen Interessen wie Stakeholder haben können (Williamson 1985; Freeman und Evan 1990; Goodpaster 1991; Boatright 1994; Marens und Wicks 1999; Goodpaster und Holloran 1994) arbeitet die Stakeholder-Managementtheorie selbst mit der Paradoxie der Gesellschaft im Wirtschaftssystem. Im Gegensatz zu den Theorien zur CSR, die die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft hervorhebt, invisibilisiert die Stakeholder-Managementtheorie die Differenz zwischen Unternehmen und Gesellschaft (Freeman und Moutchnik 2013, S. 5 ff.), indem das Stakeholder-Management als Teil der Unternehmensstrategie betrachtet wird (Freeman 2004, S. 231). Die gesellschaftliche Reflexion wird begrenzt, indem Vorschläge unterbreitet werden, mit welchen Akteuren aus einem Netzwerk das Unternehmen kommunizieren soll (Phillips und Reichart 2000; Mitchell et al. 1997; Agle et al. 1999). Mit einem holistischen Ansatz von Harrison und St. John (1994) erzeugt die Stakeholdertheorie eine kommunikative Anschlussfähigkeit gegenüber bestehenden Managementtheorien, wodurch die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft erleichtert wird.
Die Bedeutung der Wirtschaftlichkeit wurde im Forschungsfeld zu CSR unter dem Begriff „Business Case for CSR“ diskutiert. Während in der Stakeholdertheorie besonders Akteure in den Fokus gestellt wurden, liegt der Fokus beim Business Case for CSR eher auf den Themen, die für einen wirtschaftlichen Erfolg berücksichtigt werden sollten. Da nach dem Business Case for CSR gesellschaftliche Themen eher berücksichtigt werden, wenn sie wirtschaftlich sind (Schreck 2015, S. 74 f.), wurden direkte und indirekte Strategien ausgearbeitet, die zeigen, wie CSR eine positive Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit haben kann (Carroll und Shabana 2010, S. 101 f.). Aufgrund der unternehmensspezifischen Kontingenz sollten jedoch unbedingt die individuellen Rahmenbedingungen der Unternehmen berücksichtigt werden (Schreck 2015, S. 76 f.).
Auch im Konzept des Shared Values wird aufgezeigt, wie durch die Berücksichtigung der Gesellschaft Innovationen und Wettbewerbsvorteile für Unternehmen entstehen können (Porter und Kramer 2006, S. 78).
Nach dem Shared-Value-Ansatz entsteht ein höherer Mehrwert, wenn Unternehmen gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen. Unternehmen sollten auf den Erhalt ihrer Umwelt achten, da sie auf deren Funktion angewiesen sind (Kramer und Porter 2011, S. 6). Durch den Fokus auf Themen, die sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen gesellschaftlichen Mehrwert bewirken, entsteht ein selbstverstärkender Prozess (Kramer und Porter 2011, S. 6 ff.).
Aus systemtheoretischer Sicht führen die daraus resultierenden positiven externen Effekte dazu, dass die Entwicklungsmöglichkeiten in der Umwelt der Wirtschaft verbessert und mit dieser gesunden Umwelt auch neue Entwicklungsmöglichkeiten der Wirtschaft geschaffen werden. Die Scheinsicherheit der Wirtschaftlichkeit der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen führt dann tatsächlich zu einer verbesserten Wirtschaftlichkeit.
Im Unterschied zum Business Case for CSR liegt der Fokus beim Shared Value auf der Messbarkeit, weshalb nur Themen betrachtet werden, die mit dem Kerngeschäft vereinbar sind. Während CSR eher kritisch gegenüber dem Kapitalismus steht, vertraut der Shared-Value-Ansatz eher den Möglichkeiten des Kapitalismus, um das Wirtschaftssystem zu erhalten (Liel und Luetge 2015, S. 186).
Auch beim Konzept des Business Case for Sustainability geht es darum, dass mit dem Geschäftsmodell von Unternehmen eine gesellschaftliche Herausforderung gelöst werden soll. Die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung sollen wirtschaftlich erreicht werden (Schaltegger und Lüdeke-Freund 2012, S. 2 ff.).
Er berücksichtigt die Kontingenz der Unternehmen (Salzmann et al. 2005, S. 27; Schaltegger und Hasenmüller 2005, S. 2) und zeigt mit Unternehmensstrategien, die sowohl einen direkten als auch einen indirekten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben, unter welchen Bedingungen die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist (Schaltegger und Lüdeke-Freund 2012, S. 6 f.). Nachhaltige Unternehmer können durch ihre Innovationen zu einer positiven Entwicklungsdynamik einer nachhaltigen Gesellschaft beitragen (Schaltegger 2015, S. 207).
Beim Business Case for Sustainability entsteht durch eine doppelte Selektion der Gesellschaft Scheinsicherheit. Durch Nachhaltigkeit wird die Komplexität der Gesellschaft reduziert, indem nur bestimmte Themen, die für die Selbsterhaltung der Gesellschaft kritisch sind, ausgewählt werden. Im zweiten Schritt werden dann aus diesem Möglichkeitsraum der Unternehmen die Themen ausgewählt, die sich wirtschaftlich umsetzen lassen. Damit wird also einerseits die Komplexität so reduziert, dass die Gesellschaft trotz ihrer Komplexität in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann, und durch den Fokus auf die wirtschaftlichen Themen wird Anschlussfähigkeit an die wirtschaftliche Kommunikation erzeugt. Durch die Integration von Nachhaltigkeitsthemen in die Unternehmensstrategie werden die Erwartungsstrukturen in den Unternehmen verändert, sodass auch in den operativen Entscheidungen gesellschaftliche Themen Berücksichtigung finden.
Die Invisibilisierung der Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft macht die Beobachtung der Gesellschaft in der Wirtschaft möglich. Ohne die Paradoxie könnte die Gesellschaft nicht in der Wirtschaft berücksichtigt werden. Die Überzeugung, dass Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Erwartungen mit wirtschaftlichem Erfolg kompatibel sind, führt dazu, dass sich Unternehmen um mehr Nachhaltigkeit bemühen. Allerdings wird dabei unterstellt, dass alle gesellschaftlichen Erwartungen mit finanziellen Kriterien kompatibel sind, wodurch auftretende Zielkonflikte ignoriert werden.
Die Frage, wie gesellschaftliche Erwartungen in Einklang mit der Gewinnorientierung der Unternehmen gebracht werden können und somit sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Ziele erreicht werden können, haben Lin-Hi und Suchanek (2011) anhand des Spannungsfeldes von Moral und Gewinn untersucht, das in den folgenden Absätzen nachgezeichnet wird.
Lin-Hi und Suchanek (2011, S. 66) untersuchen aus einem systemtheoretischen Verständnis, wie Moral und Gewinn und somit gesellschaftliche und wirtschaftliche Ziele vereint werden können. Demnach steht Moral für die Codierung „Gut und Böse“ und Gewinn für die Codierung „Zahlung und Nichtzahlung“. Durch die ausdifferenzierten Systeme entsteht eine Integrationsherausforderung in Form der Frage, wie die Systeme in einen kontrollierten Zusammenhang gebracht werden können.
Nach Lin-Hi und Suchanek (2011, S. 78) existieren Konflikte von Gewinn und Moral auf unterschiedlichen Ebenen, die mit unterschiedlichen Strategien gelöst werden können.
Auf der „Spielzugebene“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 76) können gesellschaftliche Ziele aus Wettbewerbsgründen in Konflikt mit einer kurzfristigen Gewinnerzielung stehen. In einer zeitraumbezogenen Perspektive können Anreize so gestaltet werden, dass bei einer Betrachtung von Gewinnen zu einem späteren Zeitpunkt auch die moralischen Auswirkungen berücksichtigt werden. Die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung kann in dem Fall als Investition in die Zukunft betrachtet werden. So kann auch der Verzicht auf einen kurzfristigen Gewinn mit dem wettbewerbsorientierten Anreizsystem kompatibel sein, da zukünftige Erträge den Verzicht überkompensieren. Die Voraussetzung für solch eine Selbstbeschränkung besteht in dem Vertrauen, dass die zukünftigen Gewinne auch tatsächlich realisiert werden können. Wenn Unternehmen überlegen, ob sie eine Kooperation mit einer anderen Organisation eingehen sollen, können sie sich an der Reputation und Integrität der Organisation orientieren, da sie ein Gedächtnis der Organisation bilden. Als Sicherheit dienen Vermögenswerte, die als Pfad für eine Kooperation betrachtet werden können. Sie reduzieren Komplexität, da das Verhalten besser abschätzbar wird. Damit eine Vorleistung erbracht wird, ist am Ende jedoch immer Vertrauen notwendig, das durch ein hohes Sozialkapital gestärkt werden kann (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 78).
Wie bereits im Abschnitt 2.​2.​4 dargestellt, sind auch aus systemtheoretischer Sicht für diesen Fall Netzwerke notwendig, die mit dem Vertrauen arbeitet, durch das Einbringen einer Vorleistung eine Gegenleistung zu erhalten.
Bei einem Konflikt zwischen Gewinn und Moral verzichten Unternehmen immer dann auf kurzfristige Gewinne, wenn dieser Verzicht zu einem späteren Zeitpunkt einen höheren Gewinn in Aussicht stellt. Gesellschaftliche Verantwortung wird durch eine Selbstbeschränkung hinsichtlich kurzfristiger Gewinne bei einer gleichzeitigen Investition in Integrität, Image und Reputation, die die Voraussetzung für zukünftige Gewinne bilden, ermöglicht. Kurzfristige Gewinne stehen deshalb prinzipiell mit einem langfristigen Erfolg in Konflikt. Die Verantwortung des Unternehmens besteht also besonders darin, einen Verzicht auf kurzfristige Gewinne institutionell zu verankern (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 79).
Wenn eine zeitraumbezogene Perspektive nicht mehr ausreicht, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Zielkonflikte aufzulösen, werden auf der „Spielregelebene“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 80) neue ordnungspolitische Strategien benötigt. Wenn der Wettbewerb nicht ausreichend reguliert wird, kann es sein, dass kurzfristige Gewinne für Unternehmen einen höheren Anreiz bieten als die Selbstbeschränkung für einen langfristigen Unternehmenserfolg, da die langfristigen Vorteile die kurzfristigen Kosten oder die verpassten Gewinnchancen nicht kompensieren können. Auch wenn es mit bestehenden Anreizstrukturen kompatibel ist, kann es sein, dass das Erzielen der kurzfristigen Gewinne gesellschaftlich kritisiert wird. Es ist möglich, dass ein Unternehmen eine Selbstbeschränkung erwägt, diese aber nur sinnvoll erscheint, wenn sich auch andere Unternehmen beschränken, um selber keine Nachteile zu erfahren. Dieses Gefangenendilemma wird auch als Tragik der Allmende (Hardin 1968; Ostrom 1990) diskutiert. Die Vorteile der Beschränkung entstehen erst in einer Kooperation und der Sicherheit, dass alle anderen Akteure sich ebenso beschränken. Dies kann jedoch nur durch Institutionen, z. B. durch Global Governance, sichergestellt werden, die die Voraussetzungen schaffen, dass die Anreize so gestaltet werden, dass Gewinn und Moral integriert werden können. Durch die Globalisierung und den damit einhergehenden Machtverlust der Nationalstaaten steigt die Steuerungsdeutung der Unternehmen, eigene Defizite der Anreizstrukturen innerhalb des Wettbewerbs zu beseitigen. Allerdings verhindern fehlende Sanktionsmechanismen und ein zu geringes Vertrauen oftmals, einen gemeinsamen Vertrag einzugehen, um eine Selbstbeschränkung verbindlich zu machen. Oftmals ist die Unsicherheit zu groß, ob durch die Einschränkung tatsächlich ein größerer Nutzen in der Zukunft im Vergleich zu den Aufwänden der Beschränkung oder entgangenen Chancen des Verzichts entsteht (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 80 ff.).
Wie bereits im Abschnitt 4.2.1 dargestellt, dient besonders die Generalisierung durch Nachhaltigkeit als Referenz für eine Vereinbarung von Beschränkungen. Denn mit der Referenz auf Nachhaltigkeit versucht ein System die Möglichkeiten der Entwicklung von anderen Systemen nicht zu beeinträchtigen, um langfristig die Umwelt und somit auch sich selbst erhalten zu können. Je mehr Unternehmen sich zu Nachhaltigkeit bekennen und ihren Möglichkeitsraum bei ihren Entscheidungen aufgrund der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit einschränken, entsteht zunehmend Sicherheit, dass Unternehmen durch eine Selbstbeschränkung keinen Nachteil erfahren.
Darüber hinaus wird jedoch auch kritisiert, dass Unternehmen per se nachteilig für die Gesellschaft sind. Diese Vorstellungen und normativen Erwartungen beziehen sich auf das „Spielverständnis“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 76). Auf dieser Ebene bestehen semantische Konflikte, bei denen die Unternehmen nicht akzeptiert und grundsätzlich als schädlich für die Gesellschaft gesehen werden. Durch Vorbehalte gegenüber ökonomischen Zusammenhängen können normative Forderungen entstehen, die nicht im Sinne der Gesellschaft sind. So kann es auch im gesellschaftlichen Interesse liegen, durch Wettbewerb effizientere Leistungen und Innovationen hervorzubringen, mit denen im ersten Schritt auch Arbeitsplatzverluste verbunden sind. Diese semantischen Konflikte entstehen durch normative Einstellungen von Akteuren, die die praktischen Entscheidungsprozesse der Wirtschaft nicht ausreichend berücksichtigen. Da es kaum möglich ist, diesen normativen Vorstellungen entgegenzuwirken, besteht die einzige Möglichkeit für Unternehmen, mit solchen normativen Vorstellungen umzugehen, darin, ihre begrenzten Verantwortungsmöglichkeiten aufzuzeigen und zu demonstrieren, dass sie auf der Spielzugebene alles tun, was in ihrer Macht liegt, um Gewinn und Moral zu vereinen (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 83 ff.).
Auf allen drei Ebenen bleibt die Voraussetzung, dass gesellschaftliche Ziele mit der Logik des Wirtschaftssystems kompatibel sein müssen. Die unterschiedlichen Ebenen, in denen Zielkonflikte entstehen, unterscheiden sich jedoch in der Unsicherheit, mit der dieser Zusammenhang besteht. Auf der Spielzugebene kann durch einen Wechsel der Beobachtungsperspektive unter Berücksichtigung der Unsicherheit der Zukunft eine gleichzeitige Erreichung der Ziele hergestellt werden. Auf der Spielregelebene steigt die Unsicherheit, da die Vereinbarkeit nicht nur von den eigenen Entscheidungen, sondern auch von anderen Organisationen abhängt. Beim Spielverständnis scheint die Unsicherheit so groß zu sein, dass eine Vereinigung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielen unwahrscheinlich bleibt. In allen Fällen besteht jedoch die Notwendigkeit, dass für eine Berücksichtigung der Gesellschaft eine Kompatibilität von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt und die Unsicherheit so weit reduziert wird, dass eine Vereinigung von beiden möglich erscheint. Auf der Spielzugebene wird das durch eine scheinbar vorhersehbare Zukunft erzeugt, die die Sicherheit für heutige Investitionen bietet. Auf der Spielregelebene wird die Sicherheit generiert, dass andere Organisationen die Gesellschaft auch berücksichtigen und sich beschränken. Eine absolute Unvereinbarkeit, wie auf der Ebene des Spielverständnisses, lässt sich nicht auflösen, ohne das System selbst zu hinterfragen. Innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems lässt sich daher nur auf die Sicherheiten des Spiels und der Spielzugebene verweisen. Es müssen also in dem Fall die Unsicherheiten verschleiert werden. Mit dem Verweis auf die Scheinsicherheit, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft wirtschaftlich sinnvoll ist, ist es möglich, die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu invisibilisieren. Durch die Auflösung der Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft wird es möglich, dass die Gesellschaft in der Wirtschaft berücksichtigt wird.
Aus systemtheoretischer Sicht kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft per se wirtschaftlich ist. Denn auch an der Diskussion um Moral und Gewinn wird deutlich, dass es viele gesellschaftliche Themen gibt, die nicht mit der Wirtschaftlichkeit von Unternehmen kompatibel sind. Dies trifft auch auf die Berücksichtigung der zeitlichen Perspektive zu, bei der davon ausgegangen wird, dass Unternehmen heute auch unwirtschaftliche Gesellschaftsthemen beachten sollten, die in einer langfristigen Perspektive wirtschaftlich vorteilhaft werden können. Durch die Ungewissheit der Zukunft ist dies ein hohes Risiko für die Unternehmen. Die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen die Gesellschaft berücksichtigen, besteht darin, dass sie ihre eigene Selbsterhaltung nicht gefährden. Unternehmen schränken ihre Gewinnmaximierung nur ein, wenn sie sich sicher sein können, dass sie in Zukunft daraus einen Vorteil ziehen. Durch die Generalisierung von Nachhaltigkeit werden Hinweise gegeben, wo es sich lohnt, Einschränkungen vorzunehmen. Dies setzt jedoch voraus, dass Wettbewerber sich im gleichen Maße einschränken, damit das Unternehmen keine Nachteile erfährt. Daher müssen die Anreizsysteme des Wettbewerbs entsprechend geändert werden. Wenn also die Berücksichtigung der Gesellschaft nicht oder noch nicht wirtschaftlich ist, bleibt nichts anderes übrig, als die Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen.
Da im Wirtschaftssystem nur Wirtschaftliches verarbeitet werden kann, muss für einen Reentry der Gesellschaft in die Wirtschaft die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft invisibilisiert werden. Indem der Fokus auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen gelegt wird, kann die Gesellschaft in finanz- und realwirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt werden.

4.3.2 Selbststeuerung durch Selbst- und Fremdbeschreibungen

Da das Wirtschaftssystem nicht durch eine direkte Steuerung verändert werden kann, ist eine stärkere begrenzte Reflexion der Gesellschaft in der Wirtschaft nur durch Selbststeuerung möglich. Da die Selbststeuerung auf einer Selbstbeschreibung basiert (siehe Abschnitt 2.​2.​4), kann jedoch durch die Veränderung einer Fremdbeschreibung Einfluss auf die Selbstbeschreibung und damit auf die Selbststeuerung genommen werden.
Die Beobachtung von Organisationen steht, wie jede Beobachtung von autopoietischen Systemen, vor der Herausforderung, dass diese zu komplex sind, um sie vollständig von außen erfassen zu können. Auch bei einer Reflexion der eignen Operationen bleibt das System für sich selbst unerreichbar, wodurch eine gewisse Intransparenz immer vorhanden ist und sich nie vollständig vermeiden lässt (Luhmann 2000, S. 424).
Für Baecker (2003, S. 331) besteht die Selbstorganisation eines Systems in einer Ausdifferenzierung eines Selbst innerhalb des Systems, das sich vom eigentlichen System unterscheidet. Durch dieses System im System wird das System für die Umwelt erfassbar.
In der Selbstbeschreibung erzeugt das System selbst eine Innendarstellung und eine Außendarstellung. Im Gegensatz dazu, gibt es Fremdbeschreibungen, die von außen angefertigt werden. Organisationen dient die Selbstbeschreibung zur Schaffung einer Identität. Dabei müssen Organisationen gleichzeitig Einzigartigkeit und Anpassungsfähigkeit demonstrieren (Luhmann 2000, S. 417 ff.).
Die Identität einer Organisation ist jedoch nur durch eine Selbstbeobachtung in Verbindung mit einer Fremdbeobachtung möglich. Selbstreferenzielle Systeme können nur mit der Irritation aus der Umwelt existieren, weshalb Organisationen auf Fremdbeschreibungen angewiesen sind (Baecker 2003, S. 328 f.).
Da eine Selbststeuerung sowohl auf eine Selbstbeschreibung als auch auf eine Fremdbeschreibung angewiesen ist, wird im folgenden Abschnitt zur Beschreibung einer stärkeren begrenzten Reflexion in der Wirtschaft auf beide Perspektiven eingegangen und dargestellt, wie eine Verschiebung der Selbstbeschreibung und der Fremdbeschreibung – von der Referenz auf die interne Umwelt der Wirtschaft auf die externe Umwelt der Wirtschaft – stattfindet.
In Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung durch Texte (Luhmann 2000, S. 417) und eine Auswahl an aussagekräftigen Indikatoren, die die Geschichte der Organisation erzählt (Luhmann 2000, S. 423).
Voraussetzung für die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft ist eine Beschreibung der Gesellschaft. Diese Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft kann durch Indikatoren erleichtert werden. Eine Scheinsicherheit des gesellschaftlichen Abbildes in der Gesellschaft entsteht, wenn durch wenige Indikatoren viele Rückschlüsse möglich werden (Luhmann 1984, S. 387).
In Form von Indikatoren und anderen Formen, die keine Zahlungen darstellen, aber Hinweise auf Zahlungen geben können, wird eine Selbstbeschreibung im Wirtschaftssystem möglich (Luhmann 1988, S. 128). In wirtschaftlichen Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung üblicherweise durch die doppelte Buchhaltung über Geschäftsberichte, die eine lange Evolution durchlebte. Die erste schriftliche Dokumentation von wirtschaftlichen Operationen wurde bereits 3500 Jahre vor Christus auf Tontafeln vorgenommen (Carmona und Ezzamel 2007, S. 183 ff.). Die doppelte Buchführung wurde im 15. Jahrhundert erstmals von Luca Pacioli (1494) in Venedig niedergeschrieben und konnte sich durch den Buchdruck ausbreiten (Sangster et al. 2008, S. 115). Durch den Computer konnte ab den 1950er Jahren die Leistungsfähigkeit der Buchhaltung deutlich gesteigert werden (Sandner und Spengler 2011, S. 7 ff.). Mit dieser Selbstbeschreibung entstand ein Gedächtnis der Organisationen, mit dem sehr komplexe Operationen möglich wurden (Luhmann 1988, S. 19). Der Fokus auf rein wirtschaftliche Indikatoren in der doppelten Buchführung ermöglichte eine rein wirtschaftliche Rationalität (Luhmann 2000, S. 406) und trug damit maßgeblich zur Komplexitätssteigerung des Wirtschaftssystems bei (Luhmann 2000, S. 442). Mit der Komplexität konnte auch die Geschwindigkeit der Verarbeitung gesteigert werden, wodurch wirtschaftliche Operationen beschleunigt werden konnten (Luhmann 1988, S. 21). Die doppelte Buchhaltung erzeugt eine gesellschaftliche Legitimität für die wirtschaftlichen Operationen, da sie aufzeigt, dass das Aufwand-Nutzenverhältnis gerechtfertigt ist (Carruthers und Espeland 1991, S. 55). Durch Rechnungslegungsstandards wie die International Financial Reporting Standards vom International Accounting Standards Board (IASB) (2018) oder die Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS) vom Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (2018) konnte die Legitimität weiter gesteigert und Akzeptanz erzeugt werden, dass aus der Auswahl von möglichen Beobachtungsdifferenzen der Selbstbeschreibung die richtige Differenz gesetzt wurde und die Vernachlässigung aller nicht berücksichtigten Themen berechtigt ist.
Neben den positiven Effekten, die durch die Komplexitätsreduktion der doppelten Buchhaltung entstehen, trägt die doppelte Buchhaltung mit der Setzung der Beobachtungsdifferenz aber auch zur Selbstgefährdung des Wirtschaftssystems bei, wodurch die gesellschaftliche Legitimität verloren geht.
Da bei der Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung viele Themen vernachlässigt werden und die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen in der Kosten-/Nutzenabwägung keinen Eingang finden, sind alternative Selbstbeschreibungen für eine höhere gesellschaftliche Reflexion notwendig. Bei einem Gedächtnis wie der doppelten Buchhaltung entsteht das Bild der Gegenwart aus einer Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft – und die Selbstbeschreibung durch einen Reentry der Differenz zwischen System und Umwelt (Luhmann 2000, S. 442 ff.).
Für ein anderes Gedächtnis müssen daher die Differenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft sowie zwischen System und Umwelt verändert werden.
In Organisationen besteht neben der Selbstbeschreibung oft eine Vielzahl an anderen Differenzen, die die Organisation hyperkomplex machen. Luhmann geht davon aus, dass Organisationen weiterhin mit einem rationalen Modell operieren, das allerdings allmählich von einer neuen Selbstbeschreibung verdrängt wird. Somit existieren in der Organisation zwei Selbstbeschreibungen gleichzeitig, die unterschiedlich Sinn erzeugen, ohne die bereits existierende Selbstbeschreibung zu ersetzen (Luhmann 2000, S. 441 f.).
Eine Alternative sieht Luhmann daher in einer Ergänzung der klassischen Buchhaltung um weitere Kennziffern (Luhmann 2000, S. 328). Wie von Luhmann vermutet, hat sich in der Zwischenzeit in der Unternehmenspraxis aus dem hyperkomplexen Raum der unterschiedlichen Differenzen eine zweite Differenz gegen eine Vielzahl anderer möglicher Differenzen durchgesetzt. Neben der klassischen Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung hat sich als alternative Selbstbeschreibung mit einer langfristigen Orientierung und der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen die Nachhaltigkeitsberichterstattung herauskristallisiert.
Für ein besseres Verständnis dieser Selbstbeschreibung wird die Entstehungsgeschichte ansatzweise nachgezeichnet.
Während in den 1970er Jahren vor allem untersucht wurde, wie die Finanzberichterstattung um soziale Themen erweitert werden konnte, traten ab den 1980er Jahren besonders Umweltthemen ins Zentrum der Beobachtung. Mit der Entstehung der Nachhaltigkeitsberichterstattung in den 1990er Jahren wurden die Bilanzierungsansätze der Finanzbuchhaltung auf ökologische Themen übertragen (Mathews 1997, S. 484 ff.).
Gray et al. (1993) unterscheiden drei Arten der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die von der doppelten Buchhaltung geprägt sind: Nachhaltigkeitskosten, Inventarisierung des Naturkapitals und Input-Output Analysen.
Mit der Triple Bottom Line (TBL) beschrieb Elkington (1998) erstmals, dass die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Organisation in einer Nachhaltigkeitsberichterstattung zusammen dargestellt werden sollten. Die Idee der integrierten Betrachtungsweise von sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten geht auf den Brundtland-Bericht (United Nations 1987) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen zurück (Lamberton 2005, S. 13).
Ähnlich den Finanzberichterstattungsstandards entstanden auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung Berichtsstandards wie beispielsweise die Global Reporting Initiative (GRI) (2018) oder der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK). Sie ermöglichen eine Generalisierung von gesellschaftlichen Themen, da sie eine Auswahl an gesellschaftlichen Themen vorgeben, die in der Selbstbeschreibung enthalten sein sollten. Dadurch wird die Komplexität der Gesellschaft reduziert, die Auswahl aller anderen wirtschaftsexternen Umweltthemen legitimiert und eine Begründung für die Vernachlässigung aller nicht berücksichtigten Themen gefunden. Auch bei den Berichterstattungsstandards – beispielsweise den Standards des Sustainability Accounting Standards Board (SASB) und des International Integrated Reporting Council (IIRC) (2018) oder den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) und den Diskussionen über eine integrierte Berichterstattung (CDP et al. 2020) – entwickelte sich eine Tendenz zur Fokussierung auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen. Durch diese Begrenzung der gesellschaftlichen Reflexion wurde die Paradoxie zwischen Wirtschaft und Gesellschaft invisibilisiert, was die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft erleichterte.
Zwar helfen die Berichterstattungsstandards mit Vorgaben wie beispielsweise einer Materialitätsanalyse dabei, zu bestimmen, wie gesellschaftliche Themen ausgewählt werden sollen (Taubken und Feld 2018, S. 1 ff.). Allerdings bleibt die Auswahl der gesellschaftlichen Themen eine Entscheidung der Organisation. Denn die Organisation entscheidet selbst darüber, welche Themen für sie wichtig sind und welche Stakeholder einbezogen werden sollen, um zu erfahren, was für andere wichtig ist.
Systemtheoretisch können sich Organisationen zwar der Meinung von außen anpassen, damit sie ihre Identität jedoch nicht verlieren, müssen sie aber eigene Entscheidungen treffen. Da soziale Systeme sich selbst nie vollständig erfassen können, müssen sie Entscheidungen treffen, was für die eigene Beschreibung relevant ist und was von der Beschreibung ausgeschlossen wird. Da immer davon ausgegangen werden muss, dass nicht alles erkannt und berücksichtigt wurde, ist bei einer Selbstbeschreibung immer damit zu rechnen, dass sie nicht mehr aktuell ist. Das bisher Ausgeschlossene könnte möglicherweise schon relevant geworden sein, sodass es eingeschlossen werden müsste, oder das Eingeschlossene könnte irrelevant geworden sein, sodass es ausgeschlossen werden müsste (Luhmann 1988, S. 424 ff.).
Durch eine regelmäßige Aktualisierung der Materialitätsanalyse kann sichergestellt werden, dass bisher Unberücksichtigtes Eingang findet und somit die Scheinsicherheit erzeugt wird, dass die gesamte Gesellschaft beobachtet werden kann.
Ähnlich zur Selbstbeschreibung erfolgt auch bei der Fremdbeschreibung von wirtschaftlichen Organisationen eine Verschiebung von einer wirtschaftlichen Rationalität auf eine gesellschaftliche Perspektive. Mit anderen Fremdbeschreibungen können die Selbstbeschreibung und somit auch die Selbststeuerung der Organisation beeinflusst werden.
Dazu zählen beispielsweise Berater, die mit einer Fremdbeschreibung die Perspektive der Selbstbeschreibung erweitern und so bisher nicht Betrachtetes hervorheben. Indem Berater vermeiden, die Organisation in ihrer vollständigen Komplexität erfassen zu wollen, werden auch direkte Steuerungsversuche vermieden, wodurch die Akzeptanz der Fremdbeobachtung erhöht wird und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Selbstbeobachtung verändert wird (Luhmann 2000, S. 433 ff.).
Weitere Fremdbeschreibungen werden durch Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Banker und Analysten angefertigt, die einen Einfluss auf die Selbstbeschreibung ausüben (Baecker 2003, S. 335).
Organisationen nutzen Fremdbeschreibungen, um Scheinsicherheiten zu erzeugen, indem sie beispielsweise externe Informationen sammeln, um intern und extern nachweisen zu können, dass die organisationalen Entscheidungen nach einer rationalen Vorgehensweise getroffen werden. Fremdbeschreibungen werden damit als Legitimation von Entscheidungen mit hohen Unsicherheiten verwendet. Die Fremdbeschreibungen können aber auch durch die neuen Informationen zu anderen Erwartungen innerhalb der Organisation führen, wodurch es zu internen Strukturveränderungen kommen kann und die Entscheidungen selbst beeinflusst werden, obwohl sie möglicherweise zuerst nur eine symbolische Funktion haben sollten. Durch die Unsicherheitsabsorption in Organisationen führen nicht alle externen Beschreibungen sofort zu Änderungen. Organisationen erzeugen einen Widerstand, insbesondere gegenüber Umweltereignissen mit hoher Unwahrscheinlichkeit (Japp 1996, S. 176 f.).
Für eine höhere gesellschaftliche Reflexion in der Wirtschaft ist eine Wiedereinführung der Umwelt in das System notwendig. Die Voraussetzung dafür ist Latenz.
Luhmann (1984, S. 458 f.) unterscheidet Latenz in faktische Latenz und strukturfunktionale Latenz. Faktische Latenz besteht dann, wenn bestimmte Informationen in der Kommunikation nicht berücksichtigt werden, da ein Wissen darüber unmöglich ist. Strukturfunktionale Latenz schützt Strukturen, indem bestimmte Informationen bewusst verschleiert werden, was der Stabilisierung von Strukturen dient. Falls diese Informationen und die Latenz aufgedeckt werden, werden die bestehenden Strukturen zerstört. Gleichzeitig entsteht dadurch die Möglichkeit zum Aufbau von neuen Erwartungsstrukturen. Sozialer Wandel resultiert daher insbesondere aus dem Aufbrechen von latenten Strukturen.
So reduzieren beispielsweise Kreditratingagenturen durch ihre Fremdbeschreibungen in Form von Bewertungen die Komplexität über wirtschaftliche Zusammenhänge, was die Entscheidungsfindung erleichtert. In ihrer latenten Funktion sorgen sie aber dafür, dass der Anschein erhalten bleibt, dass sie die Wirtschaft in ihrer Komplexität tatsächlich verstehen. Sie verschleiern, dass die wirtschaftliche Umwelt eigentlich viel zu komplex ist, als dass sie in einer Organisation vollständig abgebildet und damit verstanden werden könnte. Mit dieser Latenz wird die Differenz der wirtschaftlichen Umwelt und der Wirtschaft verschleiert, wodurch die Differenz der Wirtschaft und ihrer wirtschaftlichen Umwelt in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann. Dadurch entsteht die Scheinsicherheit, die es ermöglicht, dass wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden können und weitere Komplexität im Wirtschaftssystem aufgebaut wird (Strulik 2008, S. 291 ff.).
Zwar haben auch Kreditratingagenturen damit begonnen, die wirtschaftsexterne Umwelt zu berücksichtigen (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2018b, 2018a), innerhalb des Finanzsystems sind jedoch spezielle Organisationen entstanden, die Fremdbeschreibungen über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen erstellen (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017, S. 35).
Das Umweltbundesamt (UBA) (2017, S. 7) hat ein Modell für die Informationskette von gesellschaftlichen Informationen innerhalb des Finanzsystems entwickelt, das vier Anwender der Selbstbeschreibungen von Unternehmen unterscheidet: Direktnutzer, wozu Nachhaltigkeitsratingagenturen gehören, sammeln Primärdaten von Unternehmen und NGOs. Screener, wie beispielsweise Fondmanager, betrachten Unternehmensinformationen nur sehr grob und gehen in einen direkten Dialog mit den Unternehmen. Rohdatennutzer, wozu auch Fondmanager zählen, verwenden die aufgearbeiteten Primärdaten von Nachhaltigkeitsratingagenturen und ergänzen diese mit NGO-Informationen, um Risiken und Kontroversen zu identifizieren. Dies ist ein standardisierter Prozess in der Finanzanalyse. Ratingnutzer, wie zum Beispiel Pensionskassen, orientieren sich bei der Investitionsentscheidung an den Ergebnissen und Einschätzungen der Nachhaltigkeitsratings und der Auswahl in Nachhaltigkeitsfonds. Da sie sehr selten direkte Unternehmensinformationen verwenden, sind die Informationen der Investitionsentscheidung sehr abstrahiert.
Die Selbstbeschreibung der Unternehmen in Form von Nachhaltigkeitsberichten wird also nur von den Direktnutzern verwendet. Die Finanzmarktakteure stützen sich eher auf die Fremdbeschreibung, die von den Intermediären auf Basis der Nachhaltigkeitsberichte, also der Selbstbeschreibung, erstellt wird. Damit nehmen Nachhaltigkeitsratingagenturen eine zentrale Position in der Informationskette ein und spielen eine wichtige Rolle im Finanzsystem (Umweltbundesamt (UBA) 2017, S. 7).
Entscheidungen in der Finanzwirtschaft orientieren sich zur Berücksichtigung gesellschaftlicher Themen daher besonders an der Fremdbeschreibung von Nachhaltigkeitsratingagenturen.
Auch für die Realwirtschaft sind Nachhaltigkeitsratingagenturen bedeutsam für die Erstellung einer Fremdbeschreibung der gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen. Nach Melde (2012, S. 155) haben sich neben Ratingagenturen auch Beratungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf das Thema „Nachhaltigkeit“ spezialisiert und stellen Unternehmen Fremdbeschreibungen mit einem stärkeren Fokus auf die Gesellschaft zur Verfügung und können darüber Unternehmen beeinflussen.
Da Nachhaltigkeitsratingagenturen nicht nur für Finanzmarktakteure, sondern auch für Unternehmen eine zentrale Rolle in den Fremdbeschreibungen der Unternehmen mit Bezug auf die gesellschaftliche Umwelt spielen, haben sie ein hohes Potenzial, die Selbstbeschreibung der Unternehmen zu verändern und eine Selbststeuerung im Wirtschaftssystem auszulösen. Voraussetzung für eine solche Steuerung ist die Messbarkeit der gesellschaftlichen Themen, die bei Organisationen beobachtet werden. Die Basis dafür war eine einheitliche Definition von Corporate Social Responsibility, die den Möglichkeitsraum der zu betrachtenden Gesellschaftsthemen einschränkte.
Im wissenschaftlichen Diskurs hat es sich etabliert, die Messgröße der Corporate Social Responsibility als „Corporate Social Performance“ zu bezeichnen. Sethi (1975) erwähnte erstmals den Begriff „Corporate Social Performance“ und diskutierte Dimensionen, mit denen Corporate Social Responsibility gemessen werden kann.
In dem Artikel „A three-dimensional conceptual model of corporate performance“ von Carroll (1979) wurde zum ersten Mal aus der Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen zu CSR, die Carroll in Coporate Responsibility, Social Issues und Social Responsivness (Carroll 1979, S. 499) eingeteilt hatte, ein einheitliches Modell entwickelt, das die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen zusammenfassend mit den Kategorien „economic, legal, ethical and discretionary“ (Carroll 1979, S. 500) beschrieb und damit messbar machte.
Nach Lee (2008, S. 60) ist das Besondere an diesem Konzept, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen nicht als gegensätzlich und unvereinbar galten, sondern es wurden unternehmerische Ziele in das Konzept integriert und besonders die Beziehung der Organisation zur Umwelt thematisiert.
Es gab diverse Weiterentwicklungen dieses Konzeptes (Miles 1987; Ullmann 1985; Wartick und Cochran 1985; Wood 1991).
Eine besonders erwähnenswerte Abwandlung entwickelten Wartick und Cochran (1985, S. 767), die die wesentlichen Aspekte von CSR nach Carroll (1979) Coporate Responsibility, Social Issues und Social Responsivness durch Principles, Processes und Policies ersetzten, was die praktische Anwendung erleichterte.
Das Modell von CSR wurde von Carroll (1991) selbst nochmals überarbeitet, indem er Discretionary durch Philanthropic ersetzte und darunter auch das Thema Corporate Citizenship einordnete. In einer pyramidalen Darstellung, die sich mittlerweile als Standardmodell für CSR etabliert hat, wurden auch konkrete Vorgaben gemacht, wie ein Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollte: „make profit, obey the law, be ethical, and be a good corporate citizen“ (Carroll 1991, S. 43).
Mit diesen Anpassungen lag nun eine klare Definition der gesellschaftlichen Verantwortung vor, wodurch die Messbarkeit der Corporate Social Performance möglich wurde. Wissenschaftler konnten, wie in Abschnitt 4.3.1 beschrieben, nun empirische Analysen zur Korrelation von Corporate Social Performance und Coporate Finanical Performance durchführen, und Praktiker waren nun in der Lage in der Wirtschaft gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen (Wood and Jones 1995). Voraussetzung für die Messbarkeit der gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen war also eine Einigung oder Generalisierung, welche Themen der komplexen Gesellschaft wie berücksichtigt werden sollten. Die Diskussion, wie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen am besten gemessen werden können, hat sich in die Form von Nachhaltigkeitsratings weiterentwickelt, für die es auch eine Vielzahl an anderen Bezeichnungen gibt (Avetisyan und Hockerts 2017, S. 318). Während sie früher CSR-Ratingagenturen (Scalet und Kelly 2010) oder soziale Ratingagenturen (Chatterji et al. 2009; Chatterji und Toffel 2010; Arjaliès 2010) genannt wurden, sind sie dann zunehmend auch als ESG-Ratingagenturen bezeichnet worden (SustainAbility 2018), da sie meist aus den Dimensionen „Environment“, „Social“ und „Governance“ aufgebaut sind.
Allerdings gibt es bisher noch keine einheitliche Begrifflichkeit zu Nachhaltigkeitsratings. Neben ESG-Rating, wie MSCI und Sustainalytics ihre Ratingprodukte nennen, gibt es, wie im Fall von VigeoEiris, auch die Bezeichnung als Sustainability Rating (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 31).
Da die Bezeichnung SRI kaum noch verwendet wird, liegt mit der Entwicklung von SRI zu ESG beziehungsweise zu Nachhaltigkeitsratings eine ähnliche Weiterentwicklung vor, wie sie aus unternehmerischer Sicht bei dem Wandel von CSR zu Nachhaltigkeit festzustellen ist (siehe Abschnitt 4.2.3), weshalb in dieser Arbeit auch die Bezeichnung „Nachhaltigkeitsratings“ verwendet wird.
Nachhaltigkeitsratings sind Bewertungen von Unternehmen, Ländern, Finanzprodukten oder -fonds, die auf vergleichende Auswertungen der Ansätze, Berichterstattungen, Strategien oder Performances zu Nachhaltigkeitsthemen basieren. Die vergleichende Bewertung erfolgt in Bezug auf Kriterien, die durch die Nachhaltigkeitsratingagentur vorgegeben werden, oder in Bezug auf die Wettbewerber. Einige Nachhaltigkeitsratings umfassen Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien gemeinsam in einem Rating, während andere Nachhaltigkeitsratings sich auf einen bestimmten Aspekt von Umwelt, Soziales oder Governance fokussieren. Nachhaltigkeitsratingagenturen können nach dem unterschieden werden, was sie messen. Die übliche Form besteht in einer Nachhaltigkeitsrisikobewertung, bei der die Risikoexposition und das Management der Unternehmen analysiert werden. Es gibt auch Nachhaltigkeitswirkungsbewertungen, die die Auswirkung einer Entität auf ein bestimmtes Nachhaltigkeitsthema bewerten. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl an anderen Nachhaltigkeitsratingagenturen, die Aspekte wie die Berichterstattung oder andere spezifische Themen wie klimabezogene Themen bewerten (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 58).
Da Nachhaltigkeitsratings üblicherweise die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen ermitteln, sind sie von Ansätzen, die die nachhaltige Entwicklung von Staaten bewerten, zu unterscheiden. Es gibt Ansätze, die die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts modifizieren. Dazu gehört beispielsweise der Measure of Economic Welfare (MEW) von Nordhaus und Tobin (1972) oder der Index of Sustainable Welfare (ISEW) von Daly und Cobb (1994), der später zum Genuine Progress Indicator (GPI) (Cobb et al. 1995) weiterentwickelt wurde. Außerdem gibt es Ansätze, die das Bruttoinlandsprodukt als einzelnen Indikator mit weiteren Indikatoren zu einem Index aggregieren. Dazu zählt beispielsweise der Human Development Index (HDI) des United Nations Development Programme (1990). Darüber hinaus wurden Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt, die ausschließlich die Lebenszufriedenheit messen, beispielsweise der Inequality-Adjusted Happiness Index von Veenhoven und Kalmijn (2005) und der Gross National Happiness Index aus Buthan (Ura et al. 2012). Zufriedenheit wurde auch ergänzend in Indizes mitaufgenommen, wie zum Beispiel der Happy Planet Index (HPI) der New Economics Foundation (2006), der World Happiness Report der Vereinen Nationen (Helliwell et al. 2012) oder der Better Life Index der OECD (2013). Als Alternative zum Bruttoinlandsprodukt wurden auch Ansätze entwickelt, die Indikatoren nicht aggregiert in einem Index zusammenfassen, sondern einzeln darstellen. Dazu zählen die 169 Indikatoren der UN-Ziele der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung (United Nations 2015). Mit den Sustainabiliy Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung (2022) können auf Länderebene auch nachhaltige Politikergebnisse ermittelt werden. Mit diesen Daten lässt sich beispielsweise untersuchen, welcher Zusammenhang zwischen Demokratiequalitäten oder Good Governance und nachhaltigen Politikergebnissen besteht (Bandelow und Hornung 2022). Da diese Arbeit den Fokus auf Unternehmen und nicht Staaten legt, werden die in diesem Abschnitt genannten Ansätze in vorliegender Arbeit nicht weiter untersucht.
Die Nachhaltigkeitsratingagenturen sind deutlich von Kreditratingagenturen abzugrenzen. Beide Agenturen stellen zwar ein wesentliches Instrument für die Orientierung bei Investitionsentscheidungen dar. Während aber Kreditratingagenturen den Fokus auf die klassischen finanziellen Themen, wie die Kreditwürdigkeit oder das Ausfallrisiko von Emittenten, legen, bewerten Nachhaltigkeitsratingagenturen mithilfe von ESG-Kriterien die Nachhaltigkeitsleistung und -auswirkungen von Unternehmen. Sie stellen Informationen über andere, möglicherweise finanziell relevante, Themen zur Verfügung. Die beiden Arten von Ratingagenturen haben unterschiedliche Geschäftsmodelle, Unabhängigkeiten, Methoden und Kunden. So werden Kreditratingagenturen beispielsweise üblicherweise von den Emittenten bezahlt, während es bei den Nachhaltigkeitsratingagenturen meist Investoren sind. Im Kern bewerten und vergleichen Nachhaltigkeitsratingagenturen die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen, Ländern und anderen Wertpapieremittenten hauptsächlich in den Bereichen, in denen für die Emittenten die größten Nachhaltigkeitsherausforderungen existieren. Die analytische Arbeit basiert in erste Linie auf öffentlich verfügbaren Informationen, die von den Emittenten oder Drittanbietern bereitgestellt werden. Darüber hinaus werden auch Informationen verarbeitet, die im direkten Austausch mit den Emittenten gesammelt werden. Unternehmen und Finanzinstitutionen, die kreditsensitive Geschäfte durchführen, verwenden neben Kreditratings auch Nachhaltigkeitsratings, um die Gegenparteirisiken besser zu bewerten. Investoren verwenden üblicherweise Nachhaltigkeitsratings, die auftragsunabhängig erstellt werden, während Unternehmen und andere Emittenten auch freiwillig die Erstellung von Nachhaltigkeitsratings in Auftrag geben. Wenn Nachhaltigkeitsratings beauftragt wurden, erfolgte die Bezahlung meist über die Emittenten (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 75 ff.).
Schäfer et al. (2006, S. 22 ff.) nähern sich dem Thema der Nachhaltigkeitsratings mit dem allgemeinen Konzept eines „Nachhaltigkeitsbewertungssystems“, das als Instrument einen Markt für Kommunikations- und Sanktionsprozesse über Nachhaltigkeit institutionalisiert, und unterscheidet die Nachhaltigkeitsbewertungssysteme nach den Erstellern: Inhouse-Analysten, Ratingagenturen und Indexanbieter.
Inhouse-Analyseabteilungen sind jedoch wenig transparent. Es existieren kaum Informationen, welche Finanzinstitutionen über eine solche Abteilung verfügen und wie diese arbeitet. Einer der wenigen Vermögensverwalter, der seinen Research-Prozess transparent macht, ist die DZ Bank AG. Sie zeigt, dass die Auswahl der Unternehmen auch auf Nachhaltigkeitsratings, in diesem Fall Sustainalytics, basiert (DZ BANK AG 2018). Aufgrund der begrenzten Information und da die meisten Inhouse-Analysten, wie die DZ Bank, sich auch auf Nachhaltigkeitsratingagenturen stützen, werden die Inhouse-Analysten nicht weiter untersucht.
Als weiteres Nachhaltigkeitsbewertungssystem werden von Schäfer (2012, S. 24) Nachhaltigkeitsindizes aufgeführt. Sie werden von Indexanbietern erstellt, indem sie eine Liste von gewichteten Aktien aus einem breiten Aktienuniversum auf Basis von Nachhaltigkeitskriterien auswählen (Slager 2015, S. 393).
Indizes und Benchmarks werden herangezogen, um die Performance des Marktes und von Portfolios einschätzen zu können. Die wichtigsten Indizes, die oftmals mit dem Markt gleichgesetzt werden, betrachten eine begrenzte Anzahl an großen Unternehmen. Benchmarks leisten einen indirekten, aber wichtigen Beitrag für die Kapitalallokation. Obwohl viele Indizes nicht die gesamte wirtschaftliche Situation widerspiegeln, werden sie oft so wahrgenommen. Sie werden häufig als Barometer zur Bewertung der Entwicklung des Aktienmarktes herangezogen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 53).
Nachhaltigkeitsindizes unterscheiden sich von den klassischen sehr umfassenden Indizes des Gesamtmarktes, da sie bestimmte Nachhaltigkeitskriterien einbeziehen, mit denen eine Auswahl an Wertpapieren vorgenommen wird. Alle Indizes werden mit Regeln entwickelt, die sicherstellen, dass die Auswahl der Wertpapiere objektiv und konsistent vorgenommen wird (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 64).
Mit dem Domini Social 400 Index entstand 1990 der erste Nachhaltigkeitsindex in den USA. Erst eine Dekade später kamen weitere Nachhaltigkeitsindizes wie der Dow Jones Sustainability Index (DJSI), der Financial Times Stock Exchange-Index (FTSE4Good) und der Ethibel Sustainability Index (ESI) hinzu (Schäfer et al. 2006, S. 157).
Nachhaltigkeitsindizes werden auch allgemeiner als Nachhaltigkeitsrankings bezeichnet, die oftmals gegenüber Nachhaltigkeitsratings abgegrenzt werden. Nach SustainAbility (2018, S. 4) werden bei einem Ranking Unternehmen mit einem Bewertungssystem aufgelistet und in eine Reihenfolge oder Gruppierung gebracht.
Ein Ranking ist eine Liste, die Unternehmen oder Finanzprodukte auf Basis der Nachhaltigkeitsperformance klassifiziert und nach einem spezifischen Einstufungssystem in eine Reihenfolge, Gruppierung oder Priorisierung bringt. Oftmals sind Rankings jedoch nur ein anderer Output eines Nachhaltigkeitsratings, da das Einstufungssystem im Wesentlichen der Methode des Nachhaltigkeitsratings entspricht (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 60).
Da die Erstellung eines Indizes oder Rankings durch die Festlegung einer Reihenfolge bzw. einer Einordnung von Unternehmen in eine Gruppe eine Nachhaltigkeitsbewertung voraussetzt, handelt es sich lediglich um eine bestimmte Form der Ergebnisdarstellung eines Nachhaltigkeitsratings. Es wird daher im weiteren Verlauf der Arbeit die Unterscheidung zwischen Indexanbieter und Nachhaltigkeitsratingagentur nicht vollzogen, sondern auch bei dem Indexanbieter von einer Nachhaltigkeitsratingagentur gesprochen.
Die meisten Nachhaltigkeitsratingagenturen entstanden in den 1970er Jahren. Die ersten Nachhaltigkeitsratingagenturen wurden in den USA gegründet, um die Bedürfnisse von institutionellen Anlegern wie Kirchen, Stiftungen und Pensionsfonds zu befriedigen. In den 1980er Jahren entwickelten sich unter Menschen- und Verbraucherrechtsorganisationen kundenorientierte Bewertungssysteme, die die Unternehmen nach ethischen, sozialen und Umweltkriterien bewerteten. In Großbritannien legte EIRIS 1985 den Grundstein für Nachhaltigkeitsbewertungen für britische Investoren. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien wurde diese Entwicklung stark von religiösen Institutionen unterstützt. Ab den 1990er Jahren entwickelten sich weltweit eher kapitalmarktorientierte Ratingagenturen, die als unabhängige Finanzmarktintermediäre in den Markt traten. An diesem Trend waren auch Banken und institutionelle Investoren beteiligt, die für ihre eigenen Finanzprodukte Methoden entwickelten oder aufkauften (Schäfer et al. 2006, S. 156 f.).
Bis in die 1990er Jahre wurden Nachhaltigkeitsratings von Unternehmen kaum beachtet. Mit der Zeit haben sich die Unternehmen aber intensiver mit Nachhaltigkeitsratings auseinandergesetzt und begannen, die Ergebnisse stärker intern und extern zu kommunizieren (Avetisyan und Hockerts 2017, S. 318).
Zudem wurden ab den 2000er Jahren zunehmend auch konventionelle Kreditratings auf diesen Trend aufmerksam und haben vorsichtige Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeitsratings getätigt (Schäfer et al. 2006, S. 26).
In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich eine große Vielfalt an Ratingprodukten. Schäfer et al. (2006) identifizierten für das Jahr 2006 71 Institutionen mit einem Nachhaltigkeitsbewertungssystem. Während bei der Untersuchung von SustainAbility im Jahr 2013 noch 50 Nachhaltigkeitsratingagenturen mit 100 Nachhaltigkeitsratings betrachtet wurden, waren es in der Erhebung der Global Initiative for Sustainability Ratings mittlerweile mehr als 600 Nachhaltigkeitsratingprodukte (SustainAbility 2018, S. 3). Nach einer Studie von KPMG umfasst der weltweite Markt für Nachhaltigkeitsratings 150 Nachhaltigkeitsratingagenturen. Es wird geschätzt, dass etwa 30 bis 40 Nachhaltigkeitsratingagenturen ihren Sitz in Europa haben (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 16).
Im Markt gab es in den letzten Jahren den Trend zu einer Konsolidierung der etablierten Nachhaltigkeitsratingagenturen durch Übernahmen von klassischen Finanzinvestmentanalyseunternehmen und gleichzeitig ein Wachstum der Gesamtanzahl an Nachhaltigkeitsratingagenturen durch den Markteintritt von neuen Wettbewerbern. Allerdings ist es für die neuen Wettbewerber herausfordernd, mit den großen Nachhaltigkeitsratings mitzuhalten, da ein großes Investmentvolumen notwendig ist, um eine glaubwürdige Alternative zu schaffen, die eine Vielzahl an gesellschaftlichen Themen mit tausenden Datenpunkten von tausenden Unternehmen umfasst (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 8).
Avetisyan und Hockerts (2017, S. 323) identifizierten auf Grundlage einer vertieften Analyse dieses Konsolidierungsprozesses drei Wachstumsstrategien der Nachhaltigkeitsratingagenturen: organisches Wachstum, Partnerschaften und M&A (Merger and Acquisitions).
Während sich das organische Wachstum durch Eröffnung von weiteren Standorten und mithilfe von Partnerschaften auf eine regionale Ebene beschränkte, konnte dieser regionale Radius durch M&As deutlich erweitert werden, sodass das Wachstum in einer globalen Dimension stattfand.
Avetisyan und Hockerts (2017, S. 324) führen den Konsolidierungsprozess im Ratingmarkt auf wirtschaftliche Ursachen zurück. Zum einen entstehen durch einen Zusammenschluss Skaleneffekte, was den Unternehmen ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell ermöglicht. Zum anderen führt eine Kooperation zu einer höheren Marktmacht, und die Synergieeffekte mit der erworbenen Agentur erleichtern eine Standardisierung.
Aktuell wurden zehn bis 15 wesentliche Nachhaltigkeitsratingagenturen identifiziert. Dazu zählen: Bloomberg, CDP, FTSE Russell, ISS-ESG, MSCI, Refinitiv, RepRisk, RobecoSAM, Sustainalytics und Vigeo Eiris (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 15).
Wichtige Anbieter wie MSCI, S&P, Moody’s, Fitch und CDP haben ihren Sitz in Nordamerika oder dem Vereinigten Königreich. Alle haben jedoch auch Standorte in der EU, da ein Teil Anbieter übernahmen, die vorher ihren Hauptsitz in Europa hatten. Dazu zählen beispielsweise, Sustainalytics, Vigeo Eiris, Oekom und SAM. Darüber hinaus gibt es noch 30 bis 40 kleinere Anbieter für nachhaltigkeitsbezogene Ratings, Daten und Research-Produkte und Dienstleistungen, die in der EU angesiedelt sind (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 7 f.). Auch wenn der Konsolidierungsprozess überwiegend wirtschaftliche Gründe hat, bringt er mit sich, dass die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen durch Nachhaltigkeitsratings weltweit immer weiter harmonisiert werden und ein globales Bild von Nachhaltigkeitsanforderungen entsteht. Im Abschnitt 5.​4 wird vertieft darauf eingegangen.
Voraussetzung für eine Selbststeuerung ist eine Selbstbeschreibung, die durch eine Fremdbeschreibung beeinflusst werden kann. Nachhaltigkeitsratings ermöglichen eine Fremdbeschreibung in Bezug auf Nachhaltigkeit, wodurch die gesellschaftlichen Auswirkungen von Organisationen beschrieben werden können.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass für eine Veränderung der Operationsweise von Systemen deren Differenzen, mit denen sie beobachten, verändert werden müssen. Im Wirtschaftssystem erfolgt die Steuerung durch die Geldmengendifferenz. Eine Veränderung der Differenz ist jedoch nur durch eine Selbststeuerung möglich, indem das wirtschaftliche Programm in Form von Preisen verändert wird. Die Berücksichtigung der Gesellschaft ist nur möglich, wenn die eigene Selbsterhaltung nicht gefährdet wird, weshalb die gesellschaftliche Reflexion begrenzt werden muss. Da das Wirtschaftssystem sich gerade durch die Differenz zur Gesellschaft auszeichnet, stellt die Gleichstellung der Wirtschaft mit der Gesellschaft eine Paradoxie dar. Die Berücksichtigung der Gesellschaft ist daher nur möglich, indem die Illusion der Beobachtung der Gesellschaft in der Wirtschaft invisibilisiert wird. Dies erfolgt beispielsweise durch die Illusion eines grünen Wachstums. Mit einer Begrenzung der Beobachtung auf die Gesellschaftsthemen, die mit dem wirtschaftlichen Code relevant sind, kann die Differenz der Beobachtung des Wirtschaftssystems verändert werden.
Da die Programme der Wirtschaft nur durch Organisationen verändert werden können, kann die gesellschaftliche Umwelt nur berücksichtigt werden, indem die Reflexion in Entscheidungen auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen begrenzt wird. Dies erzeugt die Scheinsicherheit, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist. Im Finanzsystem wird diese Scheinsicherheit mit Korrelationsanalysen zwischen Nachhaltigkeitsleistung und Finanzleistung nachgewiesen. Im Unternehmen wird dies durch den Business Case für Nachhaltigkeit dargestellt. Dies ist jedoch eine Illusion, da es auch gesellschaftliche Themen gibt, die nicht mit der Logik des Wirtschaftssystems vereinbar sind. Durch die Latenz, die diese Möglichkeit verschleiert, wird es denkbar, dass die gesellschaftlichen Erwartungen ohne Überlastung in die wirtschaftlichen Entscheidungen Eingang finden. Durch diese Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen kann das Wirtschaftssystem zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beitragen.
Eine stärkere begrenzte Reflexion der Gesellschaft im Wirtschaftssystem ist nur durch Selbststeuerung möglich. Selbststeuerung basiert auf Selbstbeobachtung, die sich in einer Selbstbeschreibung manifestiert. Für eine Veränderung der Steuerung muss eine andere Selbstbeschreibung entstehen.
In wirtschaftlichen Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung üblicherweise über Geschäftsberichte auf Basis der doppelten Buchhaltung. Da bei der Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung viele Themen vernachlässigt werden und die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen keinen Eingang in die Kosten-/Nutzenabwägung finden, entstand mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung eine alternative Selbstbeschreibung, die eine höhere gesellschaftliche Reflexion ermöglicht. Durch den Trend in Richtung einer integrierten Berichterstattung mit wirtschaftlich relevanten Gesellschaftsthemen wird die gesellschaftliche Reflexion begrenzt und die Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft invisibilisiert, was die Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen erleichtert.
Für eine externe Steuerung von Organisationen zum Zweck einer stärkeren begrenzten Reflexion können Fremdbeschreibungen als Steuerungsinstrument herangezogen werden. Mit anderen Fremdbeschreibungen kann die Selbstbeschreibung der Organisation, und somit auch die Selbststeuerung, beeinflusst werden.
Bisherige Fremdbeschreibungen von Organisationen haben sich stark an der wirtschaftlichen Rationalität mit einer Differenz zur internen Umwelt des Wirtschaftssystems orientiert. Für die Fremdbeschreibung von Unternehmen mit einer Referenz auf die externe Umwelt des Wirtschaftssystems haben sich mit Nachhaltigkeitsratingagenturen spezialisierte Institutionen gebildet. Da Nachhaltigkeitsratingagenturen sowohl mit Finanzakteuren als auch mit Unternehmen kommunizieren, spielen sie eine zentrale Rolle bei den Fremdbeschreibungen der gesellschaftlichen Umwelt.
Voraussetzung für eine Fremdbeschreibung mit Referenz auf die gesellschaftliche Umwelt ist die Messbarkeit der gesellschaftlichen Themen, die bei Organisationen beobachtet werden. Die Basis dafür ist eine einheitliche Definition von Corporate Social Performance, mit der die gesellschaftliche Reflexion beschränkt werden kann. Es haben sich mit der Zeit spezialisierte Agenturen herausgebildet, die die gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmen messen. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Anzahl der Nachhaltigkeitsratingagenturen und der gleichzeitigen Konsolidierung des Marktes entwickelten sich die bisher regionalen Agenturen zu internationalen Organisationen mit einer globalen Reichweite. Die methodischen Ansätze der Nachhaltigkeitsratingagenturen und deren Herausforderungen werden in Kapitel 5 vertieft.

4.4 Zwischenfazit

Damit Nachhaltigkeitsratings in den Steuerungsmöglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung systemtheoretisch eingeordnet werden können, muss ein systemtheoretisches Verständnis für eine nachhaltige Gesellschaft und ein nachhaltiges Wirtschaftssystem aufgebaut werden.
Reflexion ermöglicht die Auflösung der pathologischen Selbstreferenz des Wirtschaftssystems. Durch den Einbezug von weiteren Akteuren durch ein vielfältiges Netzwerk wird Kontingenz reduziert, da ersichtlich wird, welche Operationen umgesetzt werden können, ohne dass Gesellschaft und Ökologie gefährdet werden, wodurch neuer Sinn generiert wird. Gleichzeitig entsteht durch die gesellschaftliche Reflexion auch eine Erhöhung der Kontingenz, da im Grunde alle bisherigen Annahmen, Erfahrungen und Entscheidungen hinterfragt werden könnten. Diese Möglichkeit wird durch die Auswahl der Akteure begrenzt, die ihr Wissen über gesellschaftliche Auswirkungen in das Netzwerk einspeisen. Sie übernehmen die Verantwortung, die gesellschaftlichen Themen aus ihrem individuellen Netzwerk zu selektieren, darüber zu kommunizieren und eine Anschlussfähigkeit innerhalb des Wirtschaftssystems herzustellen.
Im Wirtschaftssystem entsteht eine wirtschaftliche Reflexion durch den Wettbewerb, der das Kapital immer dorthin fließen lässt, wo die Renditen am höchsten sind. Durch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Erwartungen anderer Systeme kann die Resonanz gegenüber der internen Umwelt der Wirtschaft erhöht werden. Zur Vermeidung der pathologischen Selbstreferenz der Wirtschaft sollte eine höhere gesellschaftliche Reflexion durch den Einbezug eines Netzwerkes, das gesellschaftliche Erwartungen impliziert, ergänzt werden, da dadurch die Resonanz gegenüber der externen Umwelt der Wirtschaft, also gegenüber Gesellschaft und Ökologie, erhöht wird. Die Berücksichtigung der Rückwirkung der eigenen Auswirkungen auf die interne und externe Umwelt der Wirtschaft trägt sowohl zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft als auch zu derjenigen der Gesellschaft bei, denn mit der Reflexion werden die latenten selbstgefährdenden Operationen aufgedeckt. Die gesellschaftliche Reflexion schafft die Möglichkeit für eine andere Evolution des Wirtschaftssystems, die dessen dauerhafte Funktionsweise durch die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit sicherstellt.
Abstrakter beschrieben stellt die Reflexion eine Alternative zur Auflösung von Kontingenz durch Rationalität und zur Bezugnahme auf Erfahrungen aus der Vergangenheit dar. Mit dem Prinzip „Trial and Error“ werden zufällige Ereignisse als Irritationen genutzt, um eine höhere Resonanz zu erzeugen. Durch Reflexion werden die bisherigen Annahmen hinterfragt. Die Rückwirkungen der Umwelt auf das System selbst durch dessen Auswirkungen auf die Umwelt werden ersichtlich und veränderbar, wodurch neuer Sinn für die Anschlussfähigkeit der Autopoiesis entsteht.
Die Generalisierung durch Nachhaltigkeit erzeugt eine Stabilisierung für neuen Sinn.
Durch eine höhere gesellschaftliche Reflexion werden bestehende Scheinsicherheiten, blinde Flecken und Widersprüche aufgedeckt, wodurch neue Kontingenz entsteht, welche durch Netzwerke in Verbindung mit neuen Kommunikationsmedien der Digitalisierung verstärkt werden. Zur Auflösung der unlösbaren Konflikte kann eine gemeinsame Sprache, in der funktionsunabhängige Gefährdungen der Gesellschaft kommuniziert werden, einen gemeinsamen Sinn erzeugen, der Kontingenz zu reduzieren vermag. Für eine Reduktion der Kontingenz ist eine Unsicherheitsabsorption notwendig. Institutionen können als Orientierungsrahmen Unsicherheiten reduzieren. Für Entscheidungen sind Scheinsicherheiten notwendig, auf die Bezug genommen werden kann. Dazu zählen als Letztbezug auch Ideologien. Soziale Systeme können sich auch zu einem Governance-Regime zusammenschließen, um ein kollektives Ziel zu erreichen.
Nachhaltigkeit steht für den Sinn, die Entwicklungsfähigkeit von gekoppelten, sozialen, ökologischen und psychischen Systemen langfristig zu erhalten. Eine gesellschaftliche Integration erfolgt durch Negation, da Nachhaltigkeit negative Entwicklungen aufzeigt. Nachhaltigkeit erzeugt durch einen intersystemischen Diskurs eine systemunabhängige Sinnstruktur, die jedes System auf seine Situationen hin auslegen kann. Nachhaltigkeit übernimmt die Aufgabe einer Kontingenzformel, da sie als Abschlussformel nicht mehr hinterfragt wird und dadurch Erwartungssicherheit schafft. Nachhaltigkeit beeinflusst die operativen und strukturellen, festen und losen Kopplungen der Systeme, wodurch Erwartungsstrukturen verändert werden. Durch eine Koevolution der Systeme wird eine Selbststeuerung der Gesellschaft möglich. Durch die Einschränkung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten werden die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen verbessert.
Im Wirtschaftssystem findet eine Verschiebung der Referenz von der wirtschaftlichen Rationalität auf Nachhaltigkeit statt. Organisationen können ein kollektives Ziel anstreben, wenn sie moralische Werte und Selbstbindungen kommunizieren, wodurch sie Erwartungssicherheiten für andere Organisationen schaffen. Nachhaltigkeit erzeugt als Referenz eine Scheinsicherheit, welche ökologischen und gesellschaftlichen Themen bei Innovations- oder Investmententscheidungen berücksichtigt werden sollten. Damit gibt sie sowohl Organisationen der Realwirtschaft als auch der Finanzwirtschaft einen Hinweis, wie die eigenen Möglichkeiten beschränkt werden müssen, um die Entwicklungsmöglichkeiten anderer Systeme zu verbessern.
Durch eine Generalisierung mit Nachhaltigkeit kann Kontingenz mit einem Bezug auf die sachliche Sinndimension reduziert werden, da ein einheitlicher Bezugspunkt existiert, der die Reflexionsmöglichkeiten der Gesellschaft beschränkt. Durch diese Einschränkung des Möglichkeitsraums können im Wirtschaftssystem Entscheidungen für Operationen getroffen werden, die Sinn erzeugen, indem sie auf Operationen verweisen, die weitere Operationen ermöglichen.
Eine Selbststeuerung der Wirtschaft ist nur durch Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen möglich. Die Gesellschaft kann im Wirtschaftssystem nur berücksichtigt werden, wenn die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft verschleiert wird. Die Voraussetzung für eine Berücksichtigung der Gesellschaft in wirtschaftlichen Entscheidungen besteht also darin, dass die Gesellschaft mit der Wirtschaft gleichgestellt wird. Da die Umwelt der Wirtschaft nur über Preise wahrzunehmen möglich ist, kann mit dieser Illusion die Gesellschaft anschlussfähig an die wirtschaftliche Logik gemacht werden. In der Finanzwirtschaft erfolgt die Illusion durch den Nachweis, dass eine positive Korrelation zwischen der Nachhaltigkeitsleistung und der Finanzleistung besteht. In der Realwirtschaft erfolgt eine Bestätigung durch den Business Case für Nachhaltigkeit. Für Situationen, in denen dieser Zusammenhang nicht besteht, müssen jedoch die Rahmenbedingungen angepasst werden.
Die Invisibilisierung der Paradoxie erzeugt die Voraussetzung für eine Selbststeuerung des Wirtschaftssystems. Dazu muss die Selbstbeobachtung geändert werden, die in Selbstbeschreibungen Ausdruck gewinnt. In wirtschaftlichen Organisationen vollzieht sich momentan ein Wandel der Selbstbeschreibung. Neben der doppelten Buchhaltung, die sich auf wirtschaftliche Rationalität bezieht, entsteht eine Nachhaltigkeitsberichterstattung, die auf Nachhaltigkeit referenziert. Durch Fremdbeschreibungen können andere Selbstbeschreibungen entstehen, wodurch neue Strukturen generiert und andere Entscheidungen getroffen werden. Während in der Vergangenheit Fremdbeschreibungen meist in Bezug auf eine wirtschaftsinterne Umwelt erfolgten, sorgen Nachhaltigkeitsratings heutzutage für eine Fremdbeschreibung in Bezug auf die wirtschaftsexterne Umwelt.
Die gesellschaftliche Selbstgefährdung durch ein pathologisches Wirtschaftssystem löst sich auf, indem durch eine begrenzte Reflexion neuer Sinn für das Wirtschaftssystem erzeugt wird, der im Einklang steht mit den gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Durch begrenzte Reflexion kann die wirtschaftliche und gesellschaftliche Autopoiesis langfristig fortgesetzt werden.
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Metadaten
Titel
Entstehung eines sinnvollen Wirtschaftssystems durch gesellschaftliche Selbststeuerung
verfasst von
Christian Strangalies
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44078-7_4