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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Entwicklungslinien der globalisierungskritischen Bewegung in Deutschland

verfasst von : Björn Allmendinger

Erschienen in: Demokratie von unten?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Schon im Zuge des aufkommenden modernen Industriekapitalismus, der, wie in Abschnitt 2.1.2 bereits dargelegt, von vielen Autor*innen auch als Motor der ersten Globalisierungsphase betrachtet wird, waren die Schattenseiten dieses sozialen und ökonomischen Wandels kaum zu übersehen: siehe etwa die Verbreitung von Kinderarbeit, die Zunahme der Armutsmigration oder die Verschärfung der Wohnungsnot in den städtischen Ballungszentren. Im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen standen Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Eigentumsverteilung und der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Doch war die so genannte „soziale Frage“ nicht immer das auslösende Element gesellschaftlichen Unmuts.

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Fußnoten
1
Florian Hartleb zufolge steht auch die aktuelle „Kritik an der Globalisierung […] im Zusammenhang mit einem diffusen antimodernistischen Argwohn. Globalisierung scheint als etwas Böses, das ‚von außen‘ kommt, sozusagen als unerfreulicher Eindringling“ (Hartleb 2011: 384). Die hierdurch ausgelöste Verunsicherung und Skepsis mancher Bevölkerungsteile – oftmals mit dem Begriff der „Modernisierungsverlierer*innen“ in Verbindung gebracht –, die im Zuge des globalen Standortwettbewerbs (Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, Outsourcing o. Ä.) den Verlust ihrer Arbeitsstelle beklagen mussten, wird speziell von rechtsextremen Globalisierungsgegner*innen aufgegriffen und für ihre Propagandazwecke genutzt. So wird auf den Schutz der nationalen Identität verwiesen und ein völkisches, antimodernistisches Weltbild gezeichnet, in dem der Nationalstaat als Hüter traditioneller Werte und Normen fungiert.
 
2
Nur am Rande sei auf die Praxis der Maschinenstürmung hingewiesen, die speziell in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Anwendung kam. Hintergrund dieser Protestform war die zunehmende Mechanisierung der Arbeitswelt und der Niedergang traditioneller Handwerksberufe. Mit der Anschaffung neuer Maschinen und der Einführung neuer Produktionsverfahren bzw. Produktionstechniken wurden qualifizierte Arbeitskräfte entlassen und durch eine geringere Anzahl an ungelernten Arbeitskräften ersetzt. Schlechte Lohn- und Arbeitsbedingungen, branchenspezifische Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend waren die Folge. Durch die gezielte Zerstörung der Produktionsmittel (in vielen Fällen waren dies Woll- und Baumwollspinnereien mit vollmechanisierten Webstühlen) erhofften sich die Geschädigten ihre gefährdeten Arbeitsplätze längerfristig zu sichern, angemessene Lohnforderungen durchzusetzen und generell auf ihre missliche soziale Lage aufmerksam zu machen. Bekannte Widerstandsaktionen waren der schlesische Weberaufstand von 1844 oder die Ludditen-Unruhen in England von 1811/1812. Auch wenn Anknüpfungspunkte zur Kritik am kapitalistischen Fortschritts- und Technikglauben nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind, spielten sie innerhalb der damaligen Maschinenstürmerbewegung nur eine untergeordnete Rolle. Ansatzweise finden sich einzelne Ideen und Ansätze der damaligen Maschinenstürmer*innen in den anarcho-primitivistischen Theorien von heute wieder. Diese wurden in der Vergangenheit teilweise auch in der globalisierungskritischen Bewegung diskutiert (siehe z. B. Zerzan 1999 und 2005).
 
3
Im Original schrieb Gustave Flaubert 1837: „Oh! cette bonne civilisation, cette bonne pâte de garce qui a inventé les chemins de fer, les prisons, les clysopompes, les tartes à la crème, la royauté et la guillotine! (Flaubert 1837, zit. 2020).
 
4
Vorläuferorganisationen waren die in Pennsylvania gegründete „Society for Promoting the Abolition of Slavery“ (1775) sowie die in Frankreich ins Leben gerufene „Société des Amis des Noirs“ (1788).
 
5
Im Jahre 1907 wurde das „Central Office of International Associations“ als Dokumentations- und Recherchezentrum eingerichtet; 1910 erfolgte schließlich auf dem ersten „World Congress of International Associations“ in Brüssel die offizielle Gründung der UIA (vgl. UIA 2022).
 
6
Wie Andrea Liese berechtigterweise anführt, ist aufgrund der von der UIA festgelegten Kriterien für international agierende NGO von einer deutlich höheren Zahl auszugehen. So werden bspw. „all jene NGOs, die national organisiert sind, aber in ihren Zielen und Aktivitäten transnational ausgerichtet sind, nicht erfasst“ (Liese 2012: 426).
 
7
Nach Claudia Olejniczak gehören zur so genannten Dritte-Welt-Bewegung „alle formal organisierten oder informellen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen […], die sich mit entwicklungspolitischen bzw. nord-süd-politischen Fragestellungen befassen und/oder konkrete Projekte in den Ländern der Dritten Welt unterstützen“ (Olejniczak 2008: 320).
 
8
Wolfgang Kraushaar weist zu Recht darauf hin, dass die „Transnationalität […] sowohl vom Ziel als auch von der Form her bereits ein wesentliches Merkmal früherer Protestbewegungen [war]“ (Kraushaar 2001: 12). Als Beispiele führt er u. a. die kommunistische Weltfriedensbewegung, die Friedens- und Abrüstungsbewegung sowie die Weltbürger- und Europabewegung an (vgl. ebd.: 12 f.). Zudem sind an dieser Stelle auch die „antiimperialistisch motivierte[n] Internationalismuskampagnen“ (Haunss 2008: 450) aus dem autonomen, marxistisch-leninistisch und maoistisch geprägten Bewegungsspektrum zu berücksichtigen, die insbesondere in den 1980er Jahren eine nicht unerhebliche Rolle spielten (siehe bspw. die Mobilisierungskampagne gegen das IWF- und Weltbank-Treffen 1988 in West-Berlin).
 
9
Nach Wolfgang Streeck hat es ein „Unbehagen an der ‚Globalisierung‘ […] immer gegeben, aber erst mit dem Übergang zur neoliberalen ‚Hyperglobalisierung‘“ (Streeck 2021: 251), die mit dem Ende der bipolaren Welt und der „kosmopolitischen Präferenz des Neoliberalismus“ (ebd.: 508) einherging, habe sich eine „weltweit artikulierte Gegenposition“ (ebd.: 251) entwickelt.
 
10
Der Terminus „Dritte-Welt-Bewegung“, so Klein und Rohde, „ist nicht unumstritten. Mit ihm konkurrieren in der Literatur die Bezeichnungen Internationalismus- und Solidaritätsbewegung, was auf einen nicht geringen Interpretationsspielraum hinweist“ (Klein/Rohde 1994: 2). Im folgenden Abschnitt wird hauptsächlich die Begrifflichkeit „Dritte-Welt-Bewegung“ verwendet; nur gelegentlich wird auf die von Klein und Rohde erwähnten „Ersatzbezeichnungen“ zurückgegriffen (siehe hierzu ebenfalls den nachfolgenden Exkurs II).
 
11
Eine eindeutige Datierung sowie eine klare personelle Zuordnung der Wortschöpfung „Dritte Welt“ gestaltet sich durchaus schwierig; auf diesen Umstand weisen u. a. auch Nohlen und Nuscheler (1992: 17) hin.
 
12
Für Karl Rössel, der seinerzeit die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ mitkonzipiert hatte, kann der Terminus „Dritte-Welt“ im Sinne Frantz Fanon durchaus als „politischer Kampfbegriff“ (Rössel 2011) oder als eine „Art Klassenbegriff auf internationaler Ebene […], der Macht- und Ausbeutungsverhältnisse beschreibt“ (ebd.), verstanden werden.
 
13
In diesem Sinne führt Hans-Jürgen Bieling aus: „Die sozioökonomischen Differenzierungsprozesse und die politische Fragmentierung der Entwicklungsländer hatten einige Wissenschaftler bereits in den 1980er Jahren zum Anlass genommen, das Ende der ‚Dritten Welt‘ zu verkünden […]. Durch einen dritten Aspekt, den weltpolitischen Umbruch des Jahres 1989, wurde diese These zusätzlich akzentuiert“ (Bieling 2011: 212).
 
14
Vgl. hierzu ebenfalls die Erläuterungen von Böttger und Frech (1996: 2).
 
15
Der Begriff „Trikont“ verweis auf die drei Kontinente Afrika, Asien und Südamerika. In der Vergangenheit wurde er häufig als Alternative zu den Termini „Entwicklungsländer“ oder „Dritte Welt“ verwendet. Wie Samuel Salzborn berechtigterweise hervorhebt, ist der Begriff „Trikont“ eng verknüpft mit der Ideologie des Antiimperialismus (vgl. Salzborn 2019: 42) und bezieht sich indirekt auf einen Brief von Che Guevara von 1967 an das Exekutivsekretariat der OSPAAAL, in dem er zum Befreiungskampf in den „drei zurückgebliebenen Kontinente[n]“ (zit. n. Balsen/Rössel 1986: 185) aufrief.
 
16
Einer Kurzbeschreibung aus dem Attac-Bildungsmaterial „Kapitalismus – oder was? Über Marktwirtschaft und Alternativen“ ist bspw. zu entnehmen: „Die Teilnehmenden versetzen sich in unterschiedliche Rollen von Menschen aus dem Globalen Süden und Globalen Norden und erfahren unterschiedliche Lebensrealitäten in Bezug auf Wirtschaftswachstum“ (vgl. Attac-D 2017m: 1).
 
17
Zu erwähnen sind bspw. die zahlreichen internationalen Arbeiter- und Sozialistenkongresse (wie etwa in Paris 1889, Stuttgart 1907 oder Basel 1912), die Internationalen Brigaden während des Spanischen Bürgerkriegs (1936–39) oder die jeweiligen internationalen Arbeiterassoziationen (Erste Internationale/Internationale Arbeiterassoziation 1864–1872/76, Zweite Internationale 1889–1914 und Dritte Internationale/Komintern 1919–1943). Gerlach et al. merken hierzu allerdings kritisch an: „In der Geschichte der Arbeiterbewegung spielte internationale Solidarität viel stärker auf der politisch-ideologischen Ebene eine Rolle (etwa in der ersten und zweiten Internationalen) als im Bereich grenzüberschreitender Solidarität. Das gewerkschaftliche Solidaritätsverständnis war lange Zeit deutlich auf den Nationalstaat beschränkt“ (Gerlach et al. 2011: 8).
 
18
Zum Vergleich: In Westdeutschland existierten zum gleichen Zeitpunkt bereits mehr als 4.000 Dritte-Welt-Initiativen (vgl. Verburg 2012: 48). Dieses ungleiche „Kräfteverhältnis“ änderte sich auch in den Folgejahren nur unwesentlich: „Am Ende der neunziger Jahre bezifferten INKOTA und die 1994 aus dem nichtstaatlichen entwicklungspolitischen Bereich Ostdeutschlands hervorgegangene Stiftung Nord-Süd-Brücken (….) [die Gesamtzahl der Dritte-Welt-Initiativen auf dem ehemaligen Gebiet der DDR] mit gut 200. […] Was die regionale Verteilung der Initiativen betrifft, so ist ein Großteil von ihnen – wie schon in den achtziger Jahren – in Berlin angesiedelt. Fast die Hälfte der ostdeutschen nichtstaatlichen Dritte-Welt-Zusammenschlüsse hatte 1999 ihren Sitz in der Hauptstadt“ (ebd.: 152–153).
 
19
INKOTA setzt sich aus den Begriffen „Information“, „Koordination“ und „Tagungen“ zusammen.
 
20
Die nachfolgende Periodisierung orientiert sich an den Arbeiten von Balsen/Rössel (1986), Olejniczak (1999) und Hierlmeier (2002).
 
21
Rudi Dutschke und Gaston Salvatore übersetzten Guevaras Botschaft an das Exekutivsekretariat der OSPAAAL 1967 im Oberbaumverlag unter dem Titel: „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam. Das Wesen des Partisanenkampfes“ (vgl. Che Guevara 1967).
 
22
Blohm et al. beschrieben die damalige Szenerie auf dem Gegengipfel 1988 wie folgt: „Ein Hauch von ‚68 weht durch die TU, wo […] auch der Internationale Vietnamkongreß stattfand. Im Foyer hängt ein Transparent, das Che Guevara zeigt, Fidel Castro hat eine Grußadresse geschickt, und im Audimax wird Rudi Dutschke zitiert“ (Blohm et al. 1988: 25). Vielfach verband sich mit dem 68er-Vergleich auch die Hoffnung auf den Beginn einer ähnlich breiten Protestbewegung. In der Begrüßungsrede zu den „Autonomen Internationalismus-Tagen“ in Bremen (14. bis 17. April 1988), an denen ungefähr 500 Personen teilnahmen und die von Dietmar Bartz seinerzeit als ein „viertägiges Theorie-Treffen vor dem Hintergrund der IWF-Tagung“ (Bartz 1988: 8) in West-Berlin umschrieben wurden, hoben die Veranstalter etwa hervor: „Vielleicht wird ja 1988 so etwas Ähnliches wie 1968“ (zit. n. ebd.). Von wissenschaftlicher Seite wurde im Nachgang vor allem auf die Dritte-Welt-Thematik als verbindendes Element zwischen den 68er- und Anti-IWF-/Weltbank-Protesten hingewiesen. So hob Claudia Olejniczak in ihrem Überblickswerk zur Dritte-Welt-Bewegung in Deutschland hervor, dass der Protestzug von ca. 80.000 Menschen gegen die IWF-/Weltbank-Tagung am 25. September 1988 die „größte Demonstration zu einem Dritte-Welt-Thema“ (Olejniczak 1999: 157) seit den Anti-Vietnamkriegsprotesten von 1968 darstellte. Hierauf wies vormals bspw. auch Jürgen Gerhards in seiner Fallstudie zur IWF- und Weltbank-Tagung in West-Berlin hin (vgl. Gerhards 1993: 14).
 
23
Sowohl die ergebnisoffene, undogmatische Suche nach Alternativen als auch das Verständnis darüber, dass Veränderungen nur durch einen gemeinsamen Prozess des Voneinander-Lernens und des steten, selbstkritischen Hinterfragens erreicht werden können, finden sich später auch im zapatistischen Demokratieansatz wieder, der die globalisierungskritischen Debatten nachhaltig prägen sollte (vgl. Abschnitt 3.2.1).
 
24
Ergänzend sei ebenfalls auf die Anmerkung von Walter Waterman hingewiesen: „Wenn wir die letzte Hauptwelle der weltweiten Proteste, die durch das Jahr 1968 symbolisiert wird, mit der heutigen vergleichen, müssen wir feststellen, dass die Bewegungen der damaligen Periode parallel [Hervorhebung im Original] und nicht verknüpfend [Hervorhebung im Original] waren. Trotz aller Ähnlichkeiten scheint wenig Kontakt zwischen Paris und Prag, zwischen den europäischen Protesten und Aufständen und denen in Dakar, Tokio und Mexiko City bestanden zu haben“ (Waterman 2004a: 110).
 
25
Beispielhaft hierfür ist eine Anmerkung von Christophe Aguiton, einstige Führungsfigur von Attac-Frankreich, aus dem Jahre 2002: „Es könnte von Nutzen sein, eine Parallele mit der Bewegung der Jugendlichen am Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu ziehen“ (Aguiton 2002: 152).
 
26
Subcomandante Marcos war bis 2014 „Sprecher der [zapatistischen] Bewegung und militärischer Leiter der bewaffneten Einheit“ (Kerkeling 2012: 205) der „Ejército Zapatista de Liberación Nacional“ (dt. Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee) (EZLN). Schon früh versuchte der mexikanische Geheimdienst die wahre, bürgerliche Identität des „Subcomandante Marcos“ zu ermitteln. Eine endgültige „Demaskierung“ des Rebellenführers gelang den staatlichen Behörden jedoch nicht. Im Februar 1995 veröffentliche Präsident Zedillo in einer Fernsehansprache den vermeintlichen Namen sowie weitere biographische Details des so genannten „Delegado Zero“. Zudem wurden Haftbefehle gegen Subcomandante Marcos und weitere Angehörige der EZLN-Führungsspitze erlassen. Nach Geheimdiensterkenntnissen soll es sich bei Subcomandante Marcos um Rafael Sebastián Guillén Vicente handeln: geboren 1957 in der mexikanischen Hafenstadt Tampico, Sohn eines Möbelhändlers, Student der Philosophie an der „Universidad Nacional Autónoma de México“ (UNAM) und im Anschluss daran Dozent an der „Universidad Autónoma Metropolitana“ (UAM) in Mexiko-Stadt. Im Jahre 1984, so Kerkeling unter Berufung auf Äußerungen der EZLN (vgl. hierzu Kerkeling 2012: 205), ging Marcos nach Chiapas und beteiligte sich dort am Aufbau der zapatistischen Guerilla (siehe hierzu ebenfalls Abschnitt 3.2.1).
 
27
Nach André Gunder Frank war diese gezielte „Entwicklung der Unterentwicklung“ (Frank 1969: 30) in weiten Teilen das „historische Produkt der vergangenen und andauernden wirtschaftlichen und anderen Beziehungen zwischen den unterentwickelten Satelliten und den jetzt entwickelten Metropolen“ (ebd.: 32 f.).
 
28
Vgl. hierzu ergänzend auch Kößler 1994: 18.
 
29
Diesbezüglich sei allerdings angemerkt, dass die bereits 1970 in Chile auf demokratischem Wege eingeleitete sozialistische Transformation, so Balsen und Rössel, „in der bundesdeutschen Linken [zunächst] nur ein bescheidenes Interesse [fand]“ (Balsen/Rössel 1986: 310) und die meisten Solidaritätsgruppen erst nach 1973, gewissermaßen als Reaktion auf den Militärputsch, entstanden.
 
30
Ab 1980 unter dem Namen „Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional“ aktiv; später unter der Bezeichnung „Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional“ bekannt.
 
31
Zu den damaligen Diskussionen vgl. u. a. Sandner/Sommer 1988: 64 ff., 106 ff. oder Denfeld 1989.
 
32
Siehe hierzu auch die Abbildungen 3.1 und 3.2.
 
33
Der „Gipfel für globale Solidarität“ fand vom 5. bis 6. Juli 2017 in der Kulturfabrik „Kampnagel“ anlässlich des G20-Treffens in Hamburg statt. An der Umsetzung beteiligt waren u. a. Attac-Deutschland, die Heinrich-Böll-Stiftung, das INKOTA-Netzwerk, „World Economy, Ecology & Development“ (WEED), die BUKO und medico international (vgl. Attac-D 2017ae).
 
34
Einen ähnlichen Zeitraum definieren auch das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ (BfM) und der BUKO in ihrer Dokumentation der Gegenproteste (vgl. BfM/BUKO 1989a: 5); wenngleich Thomas Sieplmeier als Vertreter des BUKO in einem damaligen Interview darauf hinwies, dass die inhaltliche Vorbereitungsphase auf die Berliner IWF-/Weltbank-Tagung bis zum Weltwirtschaftsgipfel und den damaligen Gegenprotesten in Bonn 1985 zurückreicht (siehe hierzu: Im Herbst der Bestie 1989; Min.: 22:08–22:34). Der eigentliche Beschluss, die Tagung in West-Berlin durchzuführen, wurde seitens des IWF und der Weltbank auf ihrer gemeinsamen Herbsttagung 1985 gefasst.
 
35
Vom 3. bis 5. Juni 1988 trafen sich in Potsdam ca. 50 Personen aus unterschiedlichen internationalistischen Zusammenhängen der DDR, um im Rahmen eines gemeinsamen Seminars über Möglichkeiten und Wege einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung zu diskutieren. Unter den Teilnehmer*innen befanden sich u. a. Akteure des Friedenskreis Friedrichsfelde, der Berliner Gruppe „Kirche von unten“ und der Gruppen Gegenstimmen (vgl. hierzu Engelmann 2007). Aus diesem Teilnehmerkreis entstand im Vorfeld der IWF-/Weltbank-Tagung in West-Berlin ein „Anti-Gipfelbündnis in der DDR“, dass mit der „Potsdamer Erklärung“ zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte und sich mit den Anti-IWF-Gruppen in der Bundesrepublik (siehe „Fuldaer Erklärung“ des BUKO 1987) solidarisierte. Die Gemeinsamkeit beider Vorbereitungs- bzw. Aktionsbündnisse bestand insbesondere in der Forderung nach einer bedingungslosen Schuldenstreichung für die Dritte Welt (vgl. Anti-Gipfelbündnis 1988).
 
36
Zu den Diskussionen und Gegenaktivitäten in der DDR bzw. Ost-Berlin lohnt sich ein Blick in: Engelmann (2007), Schmutz (1988: 6), Blohm et al. (1988: 27) oder Verburg (2012: 57, 61).
 
37
Vgl. zu dieser bewegungsinternen Auseinandersetzung auch DER SPIEGEL (1988b), Schwarzmeier (2001: 134 ff.) oder A. G. Grauwacke (2003: 205 ff.).
 
38
Detlev Hartmann war Mitarbeiter des linksradikalen Zeitschriftenprojekts „Autonomie“, deren letzte Ausgabe 1985 erschien und vor allem als Theorieorgan der autonomen, antiimperialistischen Szene anzusehen ist. Sein Text zur Anti-IWF-/Weltbank-Kampagne „Eine Mordmaschine kann man nicht reformieren“ wurde in diversen Szenezeitschriften abgedruckt; so u. a. auch im Reader zu den so genannten „Internationalismus-Tagen“ (14. bis 17. April 1988) in Bremen, welche im Vorfeld der IWF-/Weltbank-Tagung stattfanden (vgl. AStA Bremen 1988).
 
39
Jürgen Gerhards, der 1991 eine detaillierte Analyse der „Mobilisierung gegen die IWF- und Weltbanktagung 1988 in Berlin“ (vgl. Gerhards 1991) vorgelegt hat, nimmt eine Dreiteilung der an den Protesten und Gegenaktivitäten involvierten Gruppierungen vor: „Auf der einen Seite stehen die autonomen Gruppen, Frauengruppen, Anti-AKW-Gruppen und der Asta der Universität, auf der anderen Seite kirchliche Jugendgruppen und humanitäre Dritte-Welt-Gruppen, dazwischen die anderen Gruppierungen der Mobilisierungskampagne“ (ebd.: 239).
 
40
Eine nahezu identische Wortwahl gebrauchte auch Max Hoelz in seiner „Stellungnahme der Autonomen“ (vgl. Hoelz 1988: 23). Interessant sind in diesem Zusammenhang aber vor allem die Parallelen zum zapatistischen Denkansatz der „Einheit in der Vielfalt“, der auch heute noch ein Leitmotiv der globalisierungskritischen Bewegung darstellt.
 
41
Nichtsdestotrotz führte die Frage nach der Reformierung oder Abschaffung der Bretton-Woods-Zwillinge zu durchaus kontroversen Diskussionen. Diese waren geprägt von antikapitalistischer Rhetorik und der Suche nach Alternativen zum vorherrschenden Weltwirtschaftssystem: „Soll und kann man den IWF reformieren? Geht es um Schuldenerlaß oder Schuldenboykott? Oder stabilisieren diese Möglichkeiten wiederum nur das bestehende Weltwirtschaftssystem? Wer soll agieren – die Banken und Regierungen der Metropolen, die Regierungen der Dritten Welt oder die Unterdrückten aller Länder?“ (iz3w 1988a: 3). Selbst auf dem damaligen Gegenkongress der Gipfelgegner*innen wurde sich im Rahmen eines eigenen Forums „IWF und Weltbank: Abschaffen oder reformieren“ mit dieser Thematik näher auseinandergesetzt. Eine Einigung konnte jedoch nicht erzielt werden. So blieb auch die Abschlusserklärung des Gegenkongresses auf die Forderung nach einer umfassenden Schuldenstreichung fokussiert, ohne aber eine abschließende Antwort auf die „Frage, ob IWF und Weltbank abgeschafft oder reformiert werden sollen“ (Blohm et al. 1988: 25), zu geben.
 
42
In der West-Berliner Erklärung, welche am 24. September 1988 von den Teilnehmer*innen des internationalen Gegenkongresses verabschiedet wurde, hieß es hierzu: „Die Krise der ‚Dritten Welt‘ ist Bestandteil einer Weltwirtschaftsordnung, die seit Jahrhunderten durch die Vorherrschaft der heutigen Industrieländer und die systematische Ausbeutung der Kolonien und heutigen Entwicklungsländer geprägt ist. Ein Schuldenerlaß allein wird diese Strukturen nicht verändern. In den Ländern der Dritten Welt ist die Befreiung aus der Schuldknechtschaft aber eine unverzichtbare Voraussetzung für die Lösung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme, für die längst überfällige Suche nach neuen, selbstbestimmten Entwicklungswegen. […] Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Forderung nach umfassender und sofortiger Schuldenstreichung […]“ (T-Grüne 1989c: 314).
 
43
Die Teilnehmer*innen des Gegenkongresses waren hinsichtlich ihrer teils radikal anmutenden Kritik am undemokratischen Charakter der so genannten Bretton-Woods-Institutionen keinesfalls isoliert. Dies zeigt u. a. ein damaliger SPIEGEL-Beitrag zur IWF-/Weltbank-Tagung: „Die Wohlhabenden aus dem Industriegürtel sind darauf aus, ihre Vormundschaft zu wahren; und sie zeigen wenig Neigung, ihren Reichtum zu teilen. Es liegt in der Logik des kolonialen Erbes, innerhalb der Weltarbeitsteilung den Entwicklungsländern die Rolle des billigen Rohstofflieferanten zuzuweisen und ihnen bestenfalls zu erlauben, auf der verlängerten Werkbank der Industriestaaten ein bißchen mitzuverdienen. […] Währungsfonds und Weltbank agieren in diesem fest gefügten globalen Herrschaftssystem als ausführende Organe, quasi als Polizist des Industrie-Establishments. Sie helfen, die globale Verteilungsordnung abzusichern“ (DER SPIEGEL 1988a: 38–39).
 
44
Die Vorträge und Diskussionen dieser internationalen Konferenz wurden durch den „Trägerkreis des Internationalen Gegenkongresses der IWF/Weltbank-Kampagne“ und „Die Grünen im Bundestag“ in Buchform dokumentiert (vgl. T-Grüne 1989d). Zum Trägerkreis gehörten u. a. der BUKO, die Jusos, die Naturschutzjugend, terre des hommes und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (vgl. T-Grüne 1989a: 320). Insgesamt waren an den fünf parallelen Foren über 60 Referent*innen beteiligt.
 
45
Ebenfalls vom BfM organisiert wurde eine abendliche Trommelsession (inkl. Diaprojektionen) am 24. September 1988 in der Berliner Innenstadt unter dem Motto „Bürger beaufsichtigen Banker“ an der sich ungefähr 500 Menschen beteiligten (vgl. Blohm et al. 1988: 27).
 
46
Dieses positive Resümee Gerhards, das in ähnlicher Form auch in Nachberichten und Zwischenbilanzen einzelner an der Kampagne beteiligter Organisationen zu finden ist (vgl. bspw. Falk 1988), wurde hingegen nicht von allen Bewegungsakteuren geteilt. Vonseiten autonomer, linksradikaler Gruppen wurden z. B. die damalige Bündnispolitik und die ab 1987 vorangetriebene Anti-IWF-/Weltbank-Kampagne durchaus kritisch bewertet. So befand man im Nachhinein, dass ein Konsens zwischen den einzelnen Bewegungsspektren nur bedingt erreicht worden wäre (vgl. Schultze/Gross 1997: 151) und eine erfolgreiche bundesweite Mobilisierung gegen den Gipfel in West-Berlin letztlich an der „Beliebigkeit und Flüchtigkeit in der Organisierung autonomer Zusammenhänge“ (Geronimo 1990: 184) scheiterte. Die so genannten „Antiimperialistischen Stadtrundfahrten“ oder die von der West-Berliner Anti-Atom-Gruppe organisierten Proteste in der Siemensstadt („Siemensstadtkoordination“) blieben in ihrem Wirkungsradius äußerst beschränkt und die im Kampagnenkontext „entwickelten Strukturen lösten sich [später] im normalen ‚Alltagsrummel‘ [schnell wieder] auf“ (ebd.: 191). Ebenfalls kritisch bewertete auch Heinz Vilsmeier vom BUKO die Bündnisarbeit im Zuge der Anti-IWF-/Weltbank-Kampagne, wenngleich er vor allem die Position der Autonomen in den Fokus nahm. In einem Interview mit der taz führte er u. a. an: „Die Autonomen haben bisher von einem Bündnis nur gesprochen und nichts davon umgesetzt. Die Internationalismus-Tage in Bremen haben gezeigt, daß sie aus der Beschäftigung mit sich selbst noch nicht herausgekommen sind. Unsere Aufforderungen, sich in die Strukturen der Kampagne einzuklinken, werden hämisch übergangen. Jetzt wird der BUKO auch noch als reformistisch abgestempelt. Sie haben wenig kapiert und müssen jetzt mal dazu lernen [sic!]“ (zit. n. taz 1988a: 5). Im Gegensatz zu diesen durchweg kritischen Kommentaren betonte Walter Hättig in seiner Eröffnungsrede zum damaligen Gegenkongress: „Die gemeinsame Arbeit war geprägt von einer enormen Kooperation und der Bereitschaft, das in vielen Kampagnen der Vergangenheit übliche Lagerdenken zu überwinden. Für viele von uns – und das sei durchaus selbstkritisch angemerkt – war das eine ganz neue Erfahrung, die uns hoffentlich neue und produktive politische Perspektiven eröffnen wird“ (Hättig 1988: 30).
 
47
Eine etwas andere Einschätzung nahm Michael Voregger wenige Wochen vor der IWF-/Weltbank-Tagung vor. So führte er in seinem Beitrag „Eine Kampagne sucht eine Bewegung“ u. a. an: „So vielfältig und bunt das Spektrum ist, so unterschiedlich sind die Vorstellungen […]. Die Einigkeit reduziert sich auf die Feststellung, daß der IWF und die WB [Weltbank] ihre Maßnahmen an den Interessen der westlichen Industrieländer orientieren und somit entscheidend für Verelendungsprozesse in der Dritten Welt verantwortlich sind. Hier enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Während kirchliche Gruppen über den ‚schlimmen‘ IWF lamentieren, diskutieren die Grün-Alternativen Möglichkeiten der Schuldenstreichung und der Reformierbarkeit des IWF. Dies wird von den Autonomen als hilfskapitalistische Krisenlösung abgelehnt“ (Voregger 1988a: 32).
 
48
Ralf Thomas Baus und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff merkten in einem Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung im Hinblick auf die Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung an, dass diese „schon lange vor dem Beginn der Antiglobalisierungswelle“ (Baus/von Wilamowitz-Moellendorff 2002: 11) formuliert worden seien und später „mit dem Etikett der ‚Antiglobalisierung‘ versehen und unter dem […] Oberbegriff quasi alte[r] Wein in neuen Schläuchen“ (ebd.) verkauft wurde.
 
49
Einige Jahrzehnte später hielt Vandana Shiva auch den Eröffnungsvortrag zum „Gipfel für globale Solidarität“ in Hamburg (siehe hierzu ergänzend Abbildung 3.3).
 
50
Der Kongress der Umweltorganisationen unter dem Motto „Umweltzerstörung und Weltbank“ (22. bis 24. September 1988) fand parallel zum Gegenkongress in der Hochschule der Künste statt. An ihm nahmen mehr als 500 Personen aus etwa „150 Umwelt-, Menschenrechts- und anderen nichtstaatlichen Organisationen“ (Erklärung von Berlin 1988) teil. Eingeladen war auch der damalige Direktor der Umweltabteilung der Weltbank, Kenneth Piddington, der für die Politik seiner Institution u. a. vonseiten des brasilianischen Umweltaktivisten José Lutzenberger scharf kritisiert wurde (vgl. Blohm et al. 1988: 25).
 
51
Siehe z. B. die „Werbe-Tour“ von autonomen Gruppen nach Spanien, Italien und Griechenland (vgl. A. G. Grauwacke 2003: 214).
 
52
Die Eröffnungsrede des Gegenkongresses hielt der uruguayische Schriftsteller Mauricio Rosencof, der von 1972 bis 1985 aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Guerillabewegung Tupamaros inhaftiert war. Überdies trat auch die peruanische Schauspielgruppe „Candelaria“ auf und prangerte die „Ausbeutung der Dritten Welt durch die kapitalistischen Industrieländer“ (Blohm et al. 1988: 25) an.
 
53
Zumach und Lee beziffern die Gesamtzahl der damaligen G7-Gegner*innen in München auf lediglich 6.000 Personen (vgl. Zumach/Lee 2007).
 
54
Friederike Habermann bewertet den Aufstand der Zapatistas als Geburtsstunde einer „neuen internationalen Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung“ (Habermann 2002b: 143); Nele Boehme und Heike Walk betrachten ihn gar als eine „Initialzündung der transnationalen Bewegung“ (Boehme/Walk 2002: 9).
 
55
Neben der EZLN und der Kampagne gegen das MAI nennt Ulrich Peters bspw. noch die Streikwelle in Frankreich im November/Dezember 1995 als „Initialzündung für die Reanimation sozialer Bewegungen“ (Peters 2014: 237).
 
56
Pierre Bourdieu gilt als Wortschöpfer des TINA-Prinzips (vgl. hierzu u. a. Bauman 1999); gleichwohl kann dessen genauer Ursprung sowie erstmalige Erwähnung nicht eindeutig ermittelt werden.
 
57
Weitere in diesem Zusammenhang oftmals verwendete Protestkürzel lauten: „There Must Be an Alternative“ (THEMBA; siehe hierzu Ashley 2001) oder „There Are Many Alternatives“ (TAMA; siehe hierzu James 2004: 345).
 
58
Siehe hierzu ergänzend die von Manfred Schmidt erstellte Tabelle „Demokratieskalen für souveräne Staaten vom 19. bis ins 21. Jahrhundert“ (Schmidt 2010: 392 ff.).
 
59
Nach Werner Zips ist globale soziale Gerechtigkeit „ein Konzept, bei dem es um das gemeinsame weltgesellschaftliche Bemühen geht, die Globalisierung gerecht, sozial und ökologisch zu gestalten“ (Zips 2011: 119).
 
60
Namenspatron der EZLN bzw. der zapatistischen Bewegung ist Emiliano Zapata, einer der zentralen Symbolfiguren der mexikanischen Revolution. Die Bezugnahme auf diesen mexikanischen „Volkshelden“ und Revolutionsführer erfolgte jedoch nicht zufällig, sondern war von den Aufständischen bewusst gewählt worden. Durch den Widerstand der EZLN erlebte der so genannte „Zapata-Mythos“ (Zimmering 2005: 38) ein unverhofftes politisches Comeback: „Die Losung des alten Zapatas ‚Land und Freiheit‘ erlangte für die Indígenas eine neue existentielle Bedeutung. Die Replik auf Zapata ergab sich aber auch aus dem Machtkonzept der EZLN. Ebenso wie Emiliano Zapata will sie nicht die Macht im Lande erobern, sondern politische Autonomie, d. h. die Dispersion von Macht erreichen“ (ebd.). Aufgrund dieses begrifflichen und ideengeschichtlichen Zusammenhangs wird von einigen Autor*innen auch von einem „Neozapatismus“ bzw. von einer „neozapatistischen Bewegung“ gesprochen (vgl. hierzu bspw. Köhler 2003 oder Kastner 2006: 181).
 
61
Bereits kurz nach den revolutionären Ereignissen in Chiapas schrieb Wolfgang Dietrich: „Auf solche Signale haben die Internationalisten aller Länder nach der brutalen Vernichtung ihrer Hoffnung und Projektionen der siebziger und achtziger Jahre nur gewartet“ (Dietrich 1994: 126). Und Dietrich notiert weiter: „Mit dem Aufstand von Chiapas ging […] ein Ruck durch die Solidaritätsszene Europas. Der neue Schauplatz, die neue Sprache und die neue Moral gaben nach Piñata Sandinista, der Kooptierung der salvadorischen FMLN-Comandantes in das politische System, das sie einst bekämpft hatten, und dem Identitätsverlust der guatemaltekischen URNG neuen Mut“ (ebd.: 141).
 
62
Die „Zivilgesellschaft als Schutzfaktor“ (Zimmering 2008a, zit. 2010a: 216 oder Zimmering 2010a: 21) der EZLN und des zapatistischen Aufstands spielte in den Nachfolgejahren eine zentrale Rolle (siehe bspw. den gezielten Einsatz von Menschenrechtsbeobachtern in Form der „Internationalen Zivilen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte“). In der von Subcomandante Marcos verfassten „Geschichte von den drei Schultern“ heißt es in Bezugnahme auf die Symbiose von EZLN und Zivilgesellschaft: „Zusätzlich zu den zwei Schultern, die alle Menschen haben, haben die Zapatisten eine dritte: die der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft“ (Subcomandante Marcos 2004, zit. 2007: 147). Darüber hinaus war auch der beschleunigte Informationsfluss zwischen den Zapatistas und ihren weltweiten Unterstützergruppen ein nicht zu unterschätzender Faktor ihres Erfolgs. Ein besonders prägnantes Beispiel ist die Webseite der zapatistischen Bewegung (www.​ezln.​org). Diese wurde bereits im Frühjahr 1994 vom US-amerikanischen College-Studenten Justin Paulson eingerichtet und mit Hintergrundinformationen zum zapatistischen Aufstand versehen (vgl. Magallanes-Blanco 2011: 564 oder Huffschmid 1997: 138). Später wurden hier die zapatistischen Kommuniqués, Erklärungen o. Ä. einer breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
 
63
Holloway nimmt hier Bezug auf eine Äußerung der EZLN bzw. des Subcomandante Marcos aus dem Jahre 1996: „Eine neue Lüge wird uns als Geschichte verkauft. Die Lüge der Niederlage der Hoffnung, die Lüge der Niederlage der Würde, die Lüge der Niederlage der Menschheit. Der Spiegel der Macht bietet uns zum Ausgleich: die Lüge des Sieges des Zynismus, die Lüge des Sieges der Unterwürfigkeit, die Lüge des Sieges des Neoliberalismus“ (EZLN 1996b, zit. 1997: 120).
 
64
Eine erste vorläufige Bilanz der Chiapas-Solidaritätsarbeit in Deutschland ist bereits 1997 vom „Redaktionskollektiv Land und Freiheit“ verfasst worden (vgl. RLuF 1997).
 
65
Die Angaben über die Größenordnung und personelle Zusammensetzung dieses ersten internationalen Vernetzungstreffens der Zapatistas unterscheiden sich erheblich: Während Emcke et al. in ihrem SPIEGEL-Beitrag aus dem Jahre 2001 noch von 3.000 Teilnehmern aus über 100 Staaten ausgehen (vgl. Emcke et al. 2001: 126; ähnlich auch Holzapfel/König 2001: 29 oder Rucht 2002a: 62), nennen bspw. Ramírez, Castellanos oder Haberland eine Teilnehmerzahl von 5.000 Menschen aus 42 Ländern (vgl. Ramírez 2004: 109 und Haberland 2006a: 103) bzw. 47 Ländern (vgl. Castellanos 2009: 9). Oliver Nachtwey hingegen führt in seinem kurzen Exkurs zu den historischen Vorläufern der globalisierungskritischen Bewegung eine Zahl von über 3.000 Teilnehmenden aus 54 Ländern an (vgl. Nachtwey 2002: 26). Einer ähnlichen Auffassung ist hier auch Luz Kerkeling, wenngleich er, wie auch Martin Peters (2014: 236), von Aktivist*innen aus lediglich 40 Ländern ausgeht (vgl. Kerkeling 2014c).
 
66
In ähnlicher Weise argumentieren auch Haberland (2006a: 103), Zimmering (2010a: 15) oder Hirsch (2003: 128).
 
67
Philipp Gerber zufolge war der Impulsgeber für die Gründung einer weltweiten Kommunikationsplattform (später besser bekannt unter dem Namen „Peoples’ Global Action“) eine gemeinsame Sitzung von insgesamt 25 Aktivisten (zwölf aus Europa sowie zwölf aus dem globalen Süden: Kenia, Brasilien, Indien und den Philippinen), die sich direkt im Anschluss an das zweite intergalaktische Treffen in Spanien über die zukünftige Form und Gestalt eines derartigen Zusammenschlusses verständigten (vgl. Philipp Gerber, zit. n. Dyttrich 2013).
 
68
Ursprünglich nannte sich das Netzwerk „Peoples’ Global Action against Free Trade and the WTO“; der letzte Namensteil wurde später jedoch entfernt (vgl. Juris 2008: 321). PGA sollte nicht verwechselt werden mit „People’s Global Action on Migration, Development and Human Rights”, das 2006 als unabhängiges zivilgesellschaftliches Parallelevent zum „Global Forum on Migration and Development“ der UN installiert wurde.
 
69
Hinsichtlich der Größenordnung und genauen Zusammensetzung des ersten PGA-Kongresses in Genf liegen unterschiedliche Angaben vor: Nach Habermann nahmen an diesem Gründungskongress insgesamt „400 Abgesandte von Basisbewegungen, Nichtregierungsorganisationen sowie verschiedensten Gruppierungen aus 56 Ländern“ (Habermann 2014: 42) teil. Jeffrey Juris nennt hingegen eine Zahl von 300 Delegierten aus insgesamt 71 Ländern (vgl. Juris 2008: 46).
 
70
Wie Frauke Banse und Friederike Habermann rückblickend feststellten, wurden über die damaligen Genfer M16-Proteste „[a]ußerhalb der Schweiz […] in den westlichen Medien […] kaum berichtet, und über die Proteste im ‚globalen Süden‘ überhaupt nicht“ (Banse/Habermann 2012: 52). Für die bürgerlichen Medien, so die Schlussfolgerung von Banse und Habermann, war der Kontext der Proteste wohl noch zu neu und zu diffus; „[d]er Zusammenhang dieser Proteste wurde nicht deutlich“ (ebd.).
 
71
Einzelne Elemente des PGA-Ansatzes wurden bei den Protesten in Seattle vom „Direct Action Network“ (DAN) aufgegriffen und übernommen. Im Nachklang dieser Ereignisse entstanden in Nordamerika diverse „DAN-Chapter“, die sich schließlich zum „Continental Direct Action Network“ (CDAN) zusammenschlossen. Das DAN bzw. CDAN spielte insbesondere bei späteren Gipfelprotesten, wie z. B. gegen die gemeinsame Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington (16. bis 18. April 2000), eine äußerst bedeutende Rolle (vgl. hierzu Habermann 2002a: 37, 2002b: 146 oder Venter/Swat 2003: 401).
 
72
Eine detaillierte Auflistung der Gipfelproteste, globalen Aktionstage und PGA-Konferenzen ist der Online-Präsenz von PGA (vgl. PGA 2022a oder 2022b) oder der tabellarischen Übersicht von Jeffrey Juris (2008: 202 f.) zu entnehmen.
 
73
Schriftlich festgehalten wurden Struktur, Aufbau und politische Grundsätze von PGA in den so genannten „Hallmarks of Peoples’ Global Action“ (PGA 2022c), den „Organizational Principles“ (PGA 2022d) und dem „Peoples’ Global Action Manifesto“ (PGA 2022e).
 
74
MGR wurde anlässlich der IWF-/Weltbank-Tagung in Prag (2000) gegründet und sollte in erster Linie die katalanische Gegenmobilisierung koordinieren, aber auch einen Austausch mit anderen europäischen bzw. globalen Netzwerken ermöglichen. Die Struktur dieses katalanischen Netzwerks, die bspw. mit der von PGA durchaus vergleichbar war, fasste Jeffrey Juris wie folgt zusammen: „[T]here are no formal hierarchies, elected positions, or paid staff, and decisions are made by consensus. Horizontal structure and democratic process are thus viewed as political ends, leading to a practical, dynamic, and flexible form of activism“ (Juris 2008: 84).
 
75
Konkret ging es dabei um eine möglichst ausgewogene Gewichtung der verschiedenen Basisbewegungen. So wurde bspw. bedingt durch die anfängliche „Übernahme von organisatorischen Arbeiten durch Individuen aus dem Norden“ (Habermann/Patel 2001: 42) eine Quotierung innerhalb von PGA eingeführt, die den Süden deutlich begünstigte (Verhältnis 70:30) und dadurch einer Übergewichtung finanz- und ressourcenstarker Akteure aus dem Norden entgegenwirkte (vgl. Habermann 2002b: 148).
 
76
Bewernitz nimmt eine ähnliche Bewertung vor: „Nicht nur der Umstand, daß die EZLN ihren Aufstand auf das NAFTA bezog und bezieht, macht sie zu VorreiterInnen einer Bewegung gegen die ökonomische Globalisierung. In zahlreichen Aufrufen verlangte sie Solidarität nicht im klassischen Sinne, sondern dadurch, daß sich die solidarischen Gruppen ‚im Herzen der Bestie‘ gegen Neoliberalismus und Deregulierung wehren. Die EZLN sah sich von Beginn an im Kontext eines weltweiten Widerstandes gegen die ökonomische Globalisierung. Entsprechend lud sie zweimal zu den weltweiten Treffen […] ‚gegen Neoliberalismus und für Menschlichkeit‘ ein, das zweite Mal explizit nicht, wie 1996, in Mexiko, sondern […] [in] Spanien (1997)“ (Bewernitz 2002: 89).
 
77
Die vergangenen „Kämpfe der Städte“ werden von Holloway nicht weiter ausgeführt. Es bleibt daher nebulös, welche genauen „Kämpfe“ hiermit gemeint sind.
 
78
Vgl. hierzu speziell EZLN 2005, zit. 2009: 121; Durán de Huerta 2001: 47, 76; EZLN 1995b, zit. n. 1996: 135 oder Subcomandante Marcos 1995a, zit. 1996: 226 und 228.
 
79
Auf die vermeintliche Neuinterpretation der Marxschen Feuerbachthese: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern“ (Marx 1845, zit. 1983: 7) durch die zapatistischen Revolutionäre haben bereits Holloway (2006: 36 f.) oder Labroisse (2004: 249) hingewiesen.
 
80
Sinnbildlich steht hierfür eine Passage aus der „Ersten Erklärung aus la Realidad“, die als Einladung zum „Ersten Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus“ (1996) formuliert wurde: „An alle Individuen, Gruppen, Kollektive, Bewegungen, sozialen, politischen und Bürgerrechts-Organisationen, an alle Gewerkschaften, Nachbarschaftsorganisationen, Kooperativen, an alle vergangenen und zukünftigen Linken, Nicht-Regierungsorganisationen und Gruppen der Solidarität mit den Kämpfen der Völker der Welt, Banden, Stämme, Intellektuelle, Indigene, Studierende, Musiker, Arbeiter, Künstler, Lehrer, Campesinos, Kulturinitiativen, Jugendbewegungen, alternative Medien, Umweltbewegte, Slumsiedler, Lesben, Homosexuelle, Feministen, Pazifisten. An alle Menschen ohne Haus, ohne Land, ohne Arbeit, ohne Nahrung, ohne Gesundheit, ohne Unabhängigkeit, ohne Demokratie, ohne Frieden, ohne Vaterland, ohne Morgen. An alle, die gleich welcher Hautfarben, Rassen oder Grenzen die Hoffnung zu ihrer Waffe und ihrem Schild machen“ (EZLN 1996b, zit. 1997: 121).
 
81
Viele Schriften der EZLN und des so genannten Subcomandante Marcos unterscheiden sich aufgrund ihrer poetischen Form und „märchenhaften“ Erzählweise sehr von den oft starren marxistisch-leninistischen oder maoistischen Stellungnahmen früherer Guerillagruppen Lateinamerikas; siehe hierzu z. B. die „Geschichten vom Alten Antonio“ (Subcomandante Marcos 2007).
 
82
Anne Huffschmid bezeichnete diesen Prozess des „voneinander Lernens“ sowie die neuartige Form der dialogorientierten Interaktion zwischen EZLN und den indigenen Dorfbewohnern später als „Imperativ des Zuhörens“ (zit. n. Habermann 2014: 24).
 
83
Wie u. a. auch der Rechtswissenschaftler Simon Schuster in seinen Ausführungen zur zapatistischen Gesellschaftsordnung hervorhebt, kann die „Quellenlage bezüglich der praktischen Ausgestaltung der Regierungsstrukturen [der Zapatistas]“ (Schuster 2017: 13) als schwierig bezeichnet werden. Vielfach war und ist man auf „Aussagen der Bewegung selber angewiesen“ (ebd.) und mangels „geschriebener Verfahrensnormen oder gar einer Verfassung“ (ebd.: 14) lassen sich nach wie vor die „organisationsrechtlichen Strukturen und die Kompetenzverteilung“ (ebd.) nur oberflächlich beschreiben. Einer der wesentlichen Gründe hierfür dürfte im zapatistischen Selbstverständnis liegen. Denn die Verbindlichkeit einer Verfassung oder eines festgeschriebenen Regelwerks würde dem eigenen Anspruch eines stets im Wandel begriffenen, basisdemokratischen Organisationsgefüges widersprechen.
 
84
Im Gegensatz zu Joachim Fest rechnete bspw. Richard Saage im Zuge des so genannten Mauerfalls und den tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der damaligen Sowjetunion mit keinem grundsätzlichen Ende der politischen Utopie: „Solange es Menschen gibt, die dem schrankenlosen Individualismus des ‚Krieges aller gegen alle‘ (Hobbes) das Leitbild einer solidarischen Gesellschaft gegenüberstellen, wird die politische Utopie auch eine Zukunft haben. Wie indes ihr orientierungsfähiges Muster aussehen könnte, das in authentischer Weise auf die Probleme der dritten industriellen Revolution reagiert, ist eine offene Frage“ (Saage 1990: 25).
 
85
Auf die kontrovers geführte Diskussion um eine indigene Demokratietradition, die den Zapatistas als Bezugs- und Anknüpfungspunkt für den Aufbau ihrer Selbstverwaltungsorgane diente, hat bereits Haberland (2006b: 33–34) hingewiesen. Von der Mehrheit der Autor*innen werden die „Konsens-Traditionen der indigenen Lebenswelten“ (Kerkeling 2012: 322) jedoch nicht grundsätzlich angezweifelt. Neben Zimmering (2010a: 16–17), Kerkeling (2006: 143) oder García de León (1994: 148) weist auch die EZLN selbst in ihren Stellungnahmen und Erklärungen auf diese indigenen Kontinuitätslinie hin (vgl. u. a. EZLN 2005, zit. 2009: 127). Poniatowska hat das überlieferte Organisationsprinzip der Indígenas wie folgt zusammengefasst: „In den Indigena-Gemeinden ist die Tradition lebendig, Probleme durch ‚Rathalten‘ oder ‚Beratung‘ zu lösen. Die Gemeindemitglieder versammeln sich auf irgendeiner Lichtung der Selva und ‚fassen Beschlüsse‘. Sie wählen einen Sprecher. Die ‚Delegierten‘ oder ‚Vertreter‘ müssen Rechenschaft über ihre Amtsausübung als ‚Autorität‘ ablegen, und ihre ‚Amtsmacht‘ beruht auf der ständigen Rückfrage bei den Einwohnern, was als ‚gehorchendes Befehlen‘ bekannt ist“ (Poniatowska 1997, zit. 2007: 12).
 
86
Der vom damaligen Präsidenten Ernesto Zedillo Ponce de León ausgerufene Waffenstillstand war vor allem eine Reaktion auf die zahlreichen nationalen wie internationalen Solidaritätsbekundungen für die EZLN.
 
87
Der CCRI-CG wurde am 23. Januar 1993 gegründet (vgl. Ehlers 2009: 77). Nach Kerkeling besteht dieses geheime, militärische Gremium aus über 100 Personen (vgl. Kerkeling 2012: 232). Das CCRI-CG ist gewissermaßen ein Bindeglied zwischen dem politisch-militärischen und zivilen Arm der zapatistischen Bewegung. Das „Geheime Revolutionäre Indigene Komitee“ besteht aus gewählten Repräsentanten der zivilen Unterstützerbasen, die die politischen Interessen der zapatistischen Gemeinden vertreten sowie die militärische Führungsebene der EZLN kontrollieren (vgl. u. a. Zimmering 2009, zit. 2010a: 239 oder Kerkeling 2012: 13 f.). Die Zusammensetzung der „Generalkommandantur“, dem obersten militärischen Entscheidungsgremium der EZLN, lässt sich aufgrund des intransparenten und undurchsichtigen Charakters dieses Organs nicht eindeutig ermitteln. Haberland stellt in seiner Analyse der zapatistischen Selbstverwaltungsstrukturen fest: „Die Führungsgruppe der EZLN ist (….) nicht demokratisch legitimiert, sondern evolutionär aus dem Prozess der Entwicklung der EZLN erwachsen […]. Es ist eine politische Führung, die aus den Indigenen selbst erwachsen ist und mit der sie sich identifiziert. Diese starke Verbindung zwischen der politisch-militärischen Führung und der bases de apoyo [Unterstützerbasen; Anm. B. A.], täuscht nicht darüber hinweg, dass sie ein exklusives Organ ist, welches sich nicht über eine Wahl legitimiert“ (Haberland 2006b: 50).
 
88
Diese Namensgebung erfolgte in Abgrenzung zur, als „schlecht“ empfundenen, offiziellen mexikanischen Regierung.
 
89
Die „municipios en rebeldía“ entstanden bereits im März 1996; noch im selben Jahr erfolgte die Gründung der „municipios autónomos“ (vgl. Köhler 2003: 244).
 
90
Merkmale der zapatistischen Autonomie sind u. a. die Nichtanerkennung der offiziellen mexikanischen Autoritäten sowie die grundsätzliche Ablehnung jedweder staatlicher Transfer- bzw. Unterstützungsleistungen. Letzteres führt oftmals zu Spaltungsprozessen innerhalb der zapatistischen Gemeinden, da zum einen nicht alle Gemeindemitglieder der zapatistischen Bewegung angehören und diese daher durchaus staatliche Hilfeleistungen erhalten, zum anderen weil auch die „Juntas“ in einigen Fällen bereits mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet haben (vgl. Kerkeling 2012: 232).
 
91
Garcia de León führt hierzu näher aus: „Eines der Organisationsprinzipien in Chiapas, vor allem in den Gemeinden der Tzeltal, ist das sogenannte ‚huoc ta huoc‘. ‚Huoc ta huoc‘ bedeutet in der Sprache der Tzeltal sammeln, wiedergeben und wieder sammeln. Es bezeichnet eine Organisationsform, in der die Führer nur auf Grundlage des Konsenses mit ihrer sozialen Basis handeln dürfen. Die Meinungen der Gemeindemitglieder werden angehört, die Führer fassen dies zu einem Vorschlag zusammen, der wiederum der Gemeinde präsentiert wird, bis ein allgemeiner Konsens erreicht wird, auf dessen Grundlage dann gehandelt wird. Dies wird in einem anderen Begriff zusammengefaßt, der sowohl in der Sprache der Tzeltal als auch der Tzotzil existiert – dem Begriff ‚k‘op’“ (García de León 1994: 148).
 
92
Vgl. hierzu Kerkeling (2006: 199) sowie die Stellungnahme der EZLN vom 11. Januar 1994: „Die EZLN trachtet nicht danach, dass eine oder andere Partei gewinnt, die EZLN strebt danach, dass es Gerechtigkeit gibt, dass es Freiheit gibt und das es eine Demokratie gibt, damit das Volk denjenigen auswählt, der ihm nach seinem eigenen Dafürhalten am besten passt […]. Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung fordert, dass die Regierung, egal welcher Partei, eine legitime Regierung ist, die aus einer wirklich freien und demokratischen Wahl hervorgeht […]“ (Ramírez 2004: 81).
 
93
Das bereits 1996 zwischen der EZLN und dem mexikanischen Staat unterzeichnete Abkommen von San Andrés, welches die verfassungsmäßige Verankerung indigener Autonomierechte vorsah, wurde von Regierungsseite nie vollständig umgesetzt: „Zu weit reichend [sic!] waren die zugestandenen Autonomierechte, die den indigenen Gemeinden nicht zuletzt mehr Selbstbestimmung und Rechte über die in Chiapas reichhaltig vorhandenen Bodenschätze eingeräumt hätte“ (Müller 2004). Stattdessen wurde 2001 ein stark veränderter Gesetzesentwurf (ley indígena; dt. Indigenen-Gesetz) dem mexikanischen Senat und Abgeordnetenhaus vorgelegt und schließlich verabschiedet; und dies trotz massiver Proteste und Interventionsversuche der Zapatistas und ihrer Sympathisant*innen. Daraufhin zogen sich die Zapatistas aus dem formalen politischen Entscheidungsprozess zurück und fokussierten sich zunehmend auf den Aufbau einer De-facto-Autonomie.
 
94
Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Zimmering (2009, zit. 2010a: 262 f.).
 
95
In einem Gespräch mit Durán de Huerta skizziert Subcomandante Marcos diesen nationalen Demokratisierungsprozess wie folgt: „Die Demokratie in den Gemeinschaften ist sehr einfach. Wenn jemand seine Aufgaben nicht erfüllt, setzen sie ihn ab und einen anderen ein. Wir sagen, daß es so auch im ganzen Land sein muß: wenn jemand seine Aufgabe nicht erfüllt, muß er abgesetzt werden und ein anderer an seine Stelle treten, so daß der Gewählte sich selbst und seine Partei dazu zwingt, das Versprochene zu erfüllen“ (zit. n. Durán de Huerta, Marta 2001: 42).
 
96
Diese „Machtposition“ speiste sich aus drei unterschiedlichen Quellen: Erstens aus den zahlreichen Kommuniqués des CCRI-CG, die mit dem Namen des „Subcomandante“ unterschrieben und veröffentlicht wurden, zweitens aus den diversen öffentlichen Auftritten, Reden und Interviews und drittens aus der medialen Inszenierung des „Sub“ als Führungspersönlichkeit und Leitfigur des weltweiten Widerstands gegen den Neoliberalismus.
 
97
Seit 2008 hatte sich Subcomandante Marcos schrittweise aus der Öffentlichkeit zurückgezogen; im Mai 2014 übergab er das Sprecheramt schließlich an Subcomandante Moisés. Ungeklärt bleibt bis dato ob und inwieweit Subcomandante Marcos eine reale Person gewesen ist oder sich hinter der Figur des zapatistischen Rebellenführers stets mehrere Zapatistas verborgen haben. Für Subcomandante Marcos spielte diese Frage nie eine entscheidende Rolle. In seinem Abschiedsbrief betonte er daher: „Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer und Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser. Um zu kämpfen, braucht man nur ein wenig Anstand, etwas Würde und viel Organisation. Alles Weitere nutzt dem Kollektiv oder eben nicht“ (zit. n. Kerkeling 2014c).
 
98
Noch im Jahre 2001 äußerte sich Subcomandante Marcos in einem Gespräch über die zapatistische Bewegung mit Marta Durán de Huerta recht zuversichtlich: „Ich bin wie jeder andere Compañero hier. Vielleicht hat diese Bewegung zu sehr auf mein Bild aufgebaut, denn ich bin der, der Spanisch spricht, aber meine Arbeit ist nicht die eines Führers. Wenn es also heißt: ‚Marcos ist der Chef‘, stimmt das einfach nicht, die Chefs sind sie. Ich habe eine gewisse Befehlsgewalt in eher militärischen Fragen. Sie haben mir gesagt, daß ich reden soll, weil ich spanisch spreche. Durch mich sprechen die Compañero. Die Leitung haben sie. Sie bestimmen meine Grenzen […]. Sie sind meine Chefs und ich muß ihnen gehorchen […]“ (zit. n. Durán de Huerta 2001: 14).
 
99
Luz Kerkeling wies 2012 darauf hin, dass der „Frauenanteil in den bewaffneten Einheiten der EZLN […] über 30 Prozent [beträgt], […] [letztlich aber nur] eine kleine Anzahl an Führungspositionen von Frauen bekleidet [werde]“ (Kerkeling 2012: 144).
 
100
Eine gelungene Definition des Begriffs „Ejido“ ist Raina Zimmering gelungen: „Ejido ist Land, das dem Staat gehört und den Gemeinden übergeben wird. Die Gemeinden verteilen es dann an ihre Mitglieder, teilweise zur individuellen und teilweise zur kollektiven Nutzung. Das Ejidoland durfte nicht verkauft, konnte aber vererbt werden. Nach der Bodenreform, die der mexikanischen Revolution folgte und im Artikel 27 der Verfassung von 1917 festgeschrieben wurde, hatten alle mexikanischen Bauern Anrecht auf Ejidoland, wodurch das Überleben eines großen Teils der Bevölkerung gesichert wurde. In der Verfassungsreform von 1992 wurde Artikel 27 dahingehend geändert, dass Ejidoland nun privatisiert werden darf“ (Zimmering 2010b: 23).
 
101
Ein prägnantes Beispiel sind hierfür die Entscheidungsprozesse in den einzelnen Asambleas, die nach Recherche von Haberland sowohl ein Konsensverfahren als auch einen Mehrheitsbeschluss erlauben (vgl. Haberland 2006b).
 
102
Ergänzend sei auf die Aussage der Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Coni Suarez Aguilar hingewiesen: „Die Autonomien haben bisher über eine territoriale Struktur funktioniert. Es gibt dabei verschiedene Niveaus: die autonomen Bezirke, die Gemeinden mit ihren eigenen Autoritäten und die Versammlungen der guten Regierung, die die Verwaltung unterstützen und die Arbeiten auf regionalem Niveau koordinieren. In diesen Versammlungen werden viele Themen besprochen, sie sind der Ort, an dem Anfragen entgegen genommen [sic!] werden, die von der Rechtsprechung bis zur Erziehung reichen, von der Gesundheit und der inneren Organisation der Gemeinden bis hin zu Feiern, die eher traditionellen Charakter haben. Diese Versammlungen sind nicht permanent und sie dauern keine einheitlich definierten Zeitperioden. In jeder Region, in jedem Caracol werden eigene Beschlüsse darüber getroffen, wie lange jede Versammlung der guten Regierung im [sic!] ihrem Amt bleibt.“ (zit. n. Ressler/Waibel 2006).
 
103
Am 22. Dezember 1997 ereignete sich in Acteal ein Massaker an der einheimischen Bevölkerung. Dabei wurden 45 Menschen von Paramilitärs ermordet. Dies sorgte weltweit für Empörung: „Vom 22. Dezember 1997 […] bis zum 13. Januar 1998 […] kam es in 130 Städten in 27 Ländern aller 5 Kontinente zu Mobilisierungen“ (Ramírez 2004: 131).
 
104
Exemplarisch stehen hierfür das 1999 gegründete Café Libertad Kollektiv in Hamburg, dass den Import und Vertrieb zapatistischer Produkte (insbesondere Kaffee) in Deutschland organisiert, sowie das ebenfalls in der Hansestadt ansässige und 2012 gegründete Kaffeekollektiv Aroma Zapatista eG.
 
105
Entstanden ist dieses bundesweite Solidaritätsnetzwerk im Zuge der „intergalaktischen Treffen“ 1996 bzw. 1997 und deren Vor- und anschließenden Nachbereitung. Doch schon Ende der 1990er Jahre kam es aufgrund interner Auseinandersetzungen (hierbei ging es speziell um die zapatistische Interpretation von Volk und Nation, den verstärkten Personenkult um Marcos sowie die Rolle der zapatistischen Frauen) zu einer strukturellen und personellen „Ausdünnung“ (vgl. Kerkeling 2004). Nach Kerkeling und Titze bestand das Ya-Basta-Netz noch 2012 aus ca. 90 Solidaritäts- und Aktionsgruppen sowie Einzelpersonen (vgl. Kerkeling/Titze 2012: 16).
 
106
Die Gruppe Arbeitermacht versteht sich als die deutsche Sektion der Liga für die Fünfte Internationale. Seit den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg firmiert sie unter dem Namen „Gruppe ArbeiterInnenmacht“.
 
107
Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Zapatistas von jeher einen anti-kapitalistischen Ansatz verfolgt haben, der sich in seiner Radikalität auch in der Erklärung zur Delegationsreise 2021 wiederfindet. Dieser war etwa zu entnehmen: „Es ist nicht möglich, dieses System zu reformieren, zu erziehen, abzumildern, zurechtzufeilen, zu zähmen, zu humanisieren. […] Das Überleben der Menschheit hängt von der Zerstörung des Kapitalismus ab. Wir ergeben uns nicht, wir verkaufen uns nicht – und wir geben nicht nach“ (EZLN 2021).
 
108
Simon Schuster ordnete in seiner Untersuchung den zapatistischen Selbstverwaltungsstrukturen insgesamt sogar zwischen 200.000 und 300.000 Menschen zu (vgl. Schuster 2017: 130).
 
109
Hierauf hat u. a. John Holloway hingewiesen und den Widerstand der Piqueteros 2001/2002 wie folgt beschrieben: „Dies ist kein Schrei gegen die Demokratie, sondern der Ruf nach einer anderen Art von Demokratie, einer Demokratie ohne Stellvertreter. Die andere Seite des argentinischen ‚¡Que se vayan todos!‘ besteht in der Gründung von Nachbarschaftsräten, Versammlungen an denen jede und jeder teilnehmen kann. Diese Versammlungen sprengen die Logik der Repräsentation, denn ihr Ziel besteht nicht in der Ausübung von oder der Suche nach instrumenteller Macht, sondern es ist der Versuch, unsere Macht, kreative Macht, zu bündeln und auszudrücken. Dies bedeutet, daß sie anders organisiert sind, dass Horizontalität statt Vertikalität ihr zentraler Grundsatz ist, dass sie den Staat nicht als Bezugspunkt nehmen, dass sie die Grenzen des Privateigentums nicht von vornherein annehmen, dass sie die normalerweise getroffene Differenzierung zwischen Politik und Gesellschaft nicht hinnehmen, dass sie Berufspolitikern oder Parteien keinen Raum bieten, usw.“ (Holloway 2003: 17).
 
110
Die Tute Bianche, die sich nach den Protesten gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua in Disobbedienti (dt. Ungehorsame) umbenannten, entstanden im Zuge der Proteste gegen die Räumung des Centri Sociali Leoncavallo in Mailand, in dessen Rahmen die Aktivist*innen auf einer italienweiten Solidaritätsdemonstration (10. September 1994) erstmals einheitlich in weißen Overalls auftraten (vgl. Tute Bianche 2001: 16). Hervorzuheben ist dabei, dass „Tute Bianche“ sowohl eine Bewegung als auch eine Aktionsform darstellte. „Der Name“, so der italienische Disobbedienti-Aktivist Francesco Raparelli, „[…] [bezog] sich auf ihre Kleidung, die die Unsichtbarkeit, aber auch die neuen Konfliktfiguren irregulärer und prekärer Arbeitsverhältnisse, bis hin zu den immer unsicherer werdenden traditionellen Arbeitsverhältnissen darstellen sollte“ (Raparelli 2002: 85). Die Wurzeln der Tute Bianche reichen bis auf die Autonomia Operaia der 1970er Jahre zurück. International für Aufsehen sorgte im März 2001 die Reise von insgesamt 300 Mitgliedern der Tute Bianche nach Mexiko, um die dortigen EZLN-Kommandant*innen auf ihrem Weg in die Hauptstadt zu begleiten und, wenn auch eher in symbolischer Form, vor eventuellen Übergriffen zu schützen.
 
111
Aus deutscher Perspektive kann z. B. das Bündnis „Block G8“ in Heiligendamm 2007 sowie das darin involvierte „Ya-Basta“-Netzwerk, welches auf dem damaligen G8-Protestcamp in Reddelich ein eigenes Ya-Basta-Barrio (Solidaritätszeltlager) errichtete, genannt werden.
 
112
John Holloway fand dafür ergänzend folgende Formulierung: „Die Revolution kann nur eine Frage sein, nicht eine Antwort; eine Fortsetzung der Rebellion, nicht ihre Befriedigung“ (zit. n. Fritz 2004a: 156).
 
113
Dies hätte auch die im MAI festgehaltenen länderspezifischen Sonder- und Ausnahmeregeln betroffen.
 
114
Dies geschah bspw. auch auf dem Anti-MAI-Kongress in Bonn am 25. April 1998 (vgl. hierzu Bär 1998 oder Sennekamp 1998).
 
115
Eine ähnliche Argumentationslinie war später auch im Zuge der TTIP-Verhandlungen festzustellen. So hieß es in einem Positionspapier der IG Metall: „Unser Ziel muss sein: Nutzung der Wachstumschancen für die Sicherung und Förderung von Standorten und Beschäftigung und gleichzeitige Wahrung eines hohen Niveaus bei Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards“ (IGM 2013: 1).
 
116
Die Namensgebung dieses „Bewegungshandbuchs“ ist eine Anspielung auf den Roman „News from Nowhere“ (Kunde von Nirgendwo) von William Morris (vgl. 1890, zit. 1981).
 
117
Die erste „Reclaim the Street“-Party fand im Mai 1995 in der Londoner Camden High Street statt (vgl. u. a. Aguiton 2002: 145).
 
118
Für Martin Peters stellen die Streiks von 1995 – neben dem Aufstand der EZLN und den Protesten gegen das MAI – gar einen wesentlichen Vorläufer der globalisierungskritischen Bewegung dar (vgl. Peters 2014: 237). Und auch Christophe Aguiton ist der Auffassung, dass ohne die Streiks in Frankreich und die anderen Streik- und Widerstandsbewegungen in den USA (bei UPS, General Motors oder Boeing), Südkorea oder Großbritannien der 1990er Jahre die Entstehung einer weltweiten globalisierungskritischen Protestbewegung gewiss nicht möglich gewesen wäre (vgl. Aguiton 2002: 13). Nach Ansicht von Christine Unrau sind die Ereignisse in Frankreich hingegen „erst im Nachhinein mit der Bedeutung des ‚Gründungsmoments‘ der französischen Globalisierungskritik aufgeladen“ (Unrau 2018: 51) worden. Nicht unberücksichtigt bleiben sollte an dieser Stelle zudem die innenpolitische Komponente der französischen Streiks vom November/Dezember 1995. Nach Henrik Uterwedde richteten sich die Proteste nämlich nicht nur „gegen Massenarbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und wachsende Ungleichheit, […] [sondern] auch gegen die europäischen Einbindungen und Anpassungszwänge, in deren Namen viele Sparmaßnahmen und Leistungseinschränkungen begründet“ (Uterwedde 1998: 19) wurden.
 
119
Aufschlussreich ist hier ein Blick in die West-Berliner Erklärung, die von den damaligen Teilnehmer*innen des internationalen Gegenkongresses anlässlich der IWF- und Weltbank-Tagung in Berlin 1988 beschlossen wurde. Darin hieß es: „Demokratische Wirtschaftsbeziehungen, die von allen beteiligten Ländern gleichberechtigt gestaltet werden, sind im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes nicht zu verwirklichen. Unser Kampf für eine neue, an den Grundbedürfnissen und Lebensinteressen aller Menschen orientierte Entwicklungslogik muß deshalb mit dem Entwurf von Alternativen zur bestehenden Weltwirtschaftsordnung verbunden werden. […] Doch heute schon lässt sich sagen: Ihre [gemeint ist eine neue Weltwirtschaftsordnung; Anm. B. A.] Verwirklichung ist nur denkbar auf dem Weg einer radikalen und umfassenden Demokratisierung der Internationalen Beziehungen und durch die Überwindung der zerstörerischen Dynamik, die der Weltmarkt heute entwickelt und die sich in Hunger, Naturzerstörung und Krieg niederschlägt“ (T-Grüne 1989c: 316–17).
 
120
Signifikant sind hierfür auch die Debatten innerhalb der autonomen Bewegung, die seinerzeit maßgeblich an der Mobilisierung gegen die IWF- und Weltbank-Tagung in West-Berlin beteiligt war. So geht u. a. aus einer Untersuchung von Sebastian Haunss hervor, dass das Themenfeld „Internationalismus“ in einer der zentralen bundesweiten Kommunikationsplattformen der Autonomen, der Zeitschrift Interim (vgl. Haunss 2004: 133) – die erste Ausgabe erschien am 1. Mai 1988 –, nur eine untergeordnete Rolle spielte und in den Jahren von 1988 bis 2001 vielmehr die internen „Organisations- und Selbstverständnisdebatten“ für weite Teile der autonomen Bewegung von Bedeutung waren (vgl. ebd.: 134).
 
121
Hierbei handelt es sich um den Titel eines Informationspakets, das im Zuge der Gipfelvorbereitungen von der US-amerikanischen NGO „Public Citizen“ verbreitet wurde (vgl. auch Thomas 2000: 123).
 
122
In Folge der Ereignisse von Seattle mehrten sich die Vorwürfe vieler Entwicklungsländer, „sich im undemokratischen Regelwerk des Welthandels nicht mehr repräsentiert zu fühlen“ (Behn 2003: 10). Dies sollte später auch einer der wesentlichen Gründe für das spektakuläre Scheitern der 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún (2003) sein.
 
123
Vgl. hierzu die von Jackie Smith vorgelegte Analyse zu den „Mobilizing Structures and Collective Identities“ der Gipfelproteste von Seattle (vgl. Smith 2001).
 
124
Eine ähnliche Beschreibung des Protestspektrums findet sich bei Cockburn und Clair: „There was also a robust international contingent on the streets Tuesday morning [Bezug genommen wird hier auf den 30. November 1999; Anm. B. A.]: French farmers, Korean greens, Canadian wheat growers, Mexican environmentalists, Chinese dissidents, Ecuadorian anti-dam organizers, U´wa tribespeople from the Colombian rainforest and British campaigners against genetically modified foods“ (Cockburn/Clair 2000: 28).
 
125
Im Januar 1999 wurde Seattle als Tagungsort festgelegt (vgl. Thomas 2000: 121).
 
126
Das „International Forum on Globalization“ ist ein 1994 gegründeter Zusammenschluss von kritischen Intellektuellen, welcher im Vorfeld des WTO-Gipfels eine Reihe von Teach-ins mit dem „Who´s who der Globalisierungskritik“ (Reimon 2002: 71) organisierte. Teilnehmende daran waren u. a. José Bové, Vandana Shiva, Susan George, Walden Bello und Lori Wallach.
 
127
Gründungsmitglieder des DAN waren „Ruckus Society“ aus Berkeley sowie das „Rainforest Action Network“ (RAN) und „Global Exchange“ aus San Francisco (vgl. Reimon 2002: 64 f., Mies 2001: 46 f. oder Juris 2008: 33). Darüber hinaus waren aber auch andere Gruppen wie z. B. Earth First!, Art & Revolution oder PGA am DAN beteiligt.
 
128
Die AFL-CIO beteiligte sich in größerem Umfang (sowohl personell wie finanziell) an der Anti-WTO- Kampagne: „The AFL-CIO send 30 paid staff members to Seattle to assist local unions and they spent close to $1 million mobilizing opposition to the WTO […]. They organized the transportation of thousands of their members by bus and rail, and engaged in months of active mobilization of their membership to organize the anti-WTO-campaign in Seattle“ (Flesher Fominaya 2014: 55). Unterstützt wurde die AFL-CIO auch von zahlreichen kanadischen Gewerkschafter*innen, die sich den Protesten und Gegenaktionen in Seattle anschlossen.
 
129
Der Zusammenschluss von unterschiedlichen Bezugsgruppen zu einem Cluster erfolgt oftmals nach bestimmten Kriterien: Die Teilnehmenden/Mitglieder kommen aus der gleichen Region (Bayern, Provence, Kalifornien etc.), haben identische Arbeits- und Interessenschwerpunkte (Arbeitnehmerrechte, Umweltfragen etc.) oder verfolgen mit ihren Aktionen eine ähnliche Strategie (Sitzblockade, Menschenkette, nächtliche Störaktion vor den Hotels der Delegationsteilnehmer*innen etc.).
 
130
Dies ist ebenfalls der Titel eines im Jahre 2000 erschienenen Dokumentarfilms von Rick Rowley und Jill Friedberg (vgl. This Is What Democracy Looks Like, USA 2000). Weiterhin ist erwähnenswert, dass der „Battle of Seattle“ auch verfilmt wurde und damit die Anti-WTO-Proteste von Seattle 2007 erneut in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit gelangten.
 
131
Anwendung fand dieser Slogan auch im Rahmen der Anti-IWF-/Weltbank-Proteste 1988 in West-Berlin (vgl. Hackland 1988: 5).
 
132
Greenpeace bezeichnet diesen Zusammenschluss in einem Reader zum zehnjährigen Bestehen der WTO als „Quad-Gruppe“ (Greenpeace 2005: 8; siehe ebenfalls George 2002b: 22). In dieser seien die „vier mächtigsten Mitglieder“ (ebd.) der Organisation zusammengefügt; mit dem Ziel, die „Inhalte des Konsenses weitestgehend vorherzubestimmen, vorausgesetzt sie können ihre handelspolitischen Differenzen untereinander beilegen“ (ebd.). Der Terminus „Quad-Gruppe“ ist in Bezug auf die WTO durchaus gebräuchlich, wenngleich damit nicht immer die gleiche Ländergruppe gemeint ist. Ursprünglich bezog sich der Begriff „Quad“ (abgeleitet von „Quadrilateral of Trade Ministers“) auf die Wirtschafts- und Handelsmächte EU, USA, Japan und Kanada, auf deren Betreiben hin die WTO einst gegründet wurde (vgl. Hack 2020: 88). 2006 griff Alexis Passadakis von Attac-Deutschland diese Begrifflichkeit auf und führte an, dass aufgrund der „veränderten weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse“ (Passadakis 2006: 24) eine neue Quad bestehend aus den USA, der EU, Indien und Brasilien entstanden sei (vgl. ebd.: 25).
 
133
Genf war bis 1994 Amtssitz des GATT-Sekretariats. Nachdem die Gründung der WTO beschlossen wurde, bewarben sich sowohl die Schweizer Rhonestadt als auch Bonn als zukünftigen Sitz (vgl. BZ 1994). Das Vorbereitungskomitee der WTO entschied sich schließlich jedoch für die Übernahme der bisherigen GATT-Räumlichkeiten in Genf und damit gegen einen Umzug.
 
134
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Rolle des Nationalstaats oder der Demokratie im so genannten Zeitalter der Globalisierung innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung, aber auch in der Wissenschaft, äußerst kontrovers diskutiert wird (siehe hierzu auch den Abschnitt 2.​2). Bei den hier dargelegten Argumentationsmustern handelt es sich folglich nur um eine grobe Zusammenfassung der im Rahmen der WTO-Proteste in Seattle 1999 geführten Diskussionen.
 
135
Gelauncht wurde das IMC (www.​indymedia.​org) am 28. November 1999, wenige Tage vor dem globalen Aktionstag (vgl. Reimon 2002: 69).
 
136
Indymedia verzeichnete während der Anti-WTO-Proteste ca. 1,5 Millionen Zugriffe; selbst die etablierten Medien griffen teilweise auf das Material der alternativen Medienaktivist*innen zurück (vgl. Medosch 2002: 283).
 
137
In Anlehnung an das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (GATT), das als Vorläufer der WTO gilt.
 
138
Hierbei handelt es sich um eine Aktionsform, die in den Jahren nach Seattle vor allem mit dem globalisierungskritischen Aktivistenduo „The Yes Men“ (siehe: http://​theyesmen.​org/​) in Verbindung gebracht wurde.
 
139
Siehe hierzu ergänzend die Untersuchungsergebnisse von Michelle Beyeler (2013: 142 f.).
 
140
Die FAI, welche bereits 1927 und somit noch vor dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs gegründet wurde, war ein Zusammenschluss mehrerer „grupos de afinidad“ (Bezugsgruppen) der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft „Confederación Nacional del Trabajo“ (CNT). Ihr Ziel war es u. a., den hierarchischen und zentralistischen Strömungen innerhalb der Gewerkschaft entgegenzuwirken. Dennoch war die FAI eine „streng strukturierte Mitglieder-Organisation, und die damaligen Bezugsgruppen blieben im Allgemeinen lange zusammen und bildeten sich nicht ad hoc“ (Gordon 2010: 28), wie es heute bspw. im Rahmen von globalisierungskritischen Gipfelprotesten häufiger der Fall ist.
 
141
Auszüge aus dem Flyer „Block G8: bewegen – blockieren – bleiben“ anlässlich des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm sind im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.
 
142
Nach Naomi Klein sind die „affinity groups“ ein loser Zusammenschluss aus mindestens 2 und maximal 20 Personen (vgl. Klein 2001b: 5). Eine hiervon leicht abweichende Zahl nennt Marianne Maeckelbergh. Ihr zufolge weisen affinity groups zumeist eine Gruppengröße von 6 bis 12 Personen auf (vgl. Maeckelbergh 2009: 43). Zu deren Organisationskultur führt Maeckelbergh weiter an: „An affinity group is a small group of people […] who build strong relationships of trust and friendship with each other and take action together. […] [T]oday most affinity groups are ad hoc and fleeting, being formed only a few days before a major blockade“ (ebd.). Und das Netzwerk „Skills for Action“, das seit vielen Jahren für unterschiedliche Gruppen, Bündnisse und Initiativen Aktionstrainings in Deutschland organisiert, führt hinsichtlich der Gruppengröße der Bezugsgruppen aus: „Die Größe einer BG [Bezugsgruppen] hängt von der Aktion und den Personen ab. Meist sind 4–8 Personen eine gute Größe. Es können aber auch kleinere (3–5 Personen) oder größere Gruppen (10–15 Personen) gebildet werden“ (SfA 2013: 37).
 
143
Die tschechische „Initiative Against Economic Globalisation“ (INPEG) war ein loser Zusammenschluss von globalisierungskritischen Gruppen im Zuge der Jahrestagung von IWF und Weltbank 2000 in Prag. Gegründet wurde die Initiative bereits im September 1999. INPEG setzte, getreu dem Motto „Prag selbst organisieren!“, auf das Konzept der Selbstbestimmung und Selbstorganisierung. Der Fokus richtete sich dabei auf das in Seattle bereits erfolgreich erprobte Organisationsprinzip der „affinity groups“ und „cluster“. Friederike Habermann notierte seinerzeit in einem Augenzeugenbericht für die Wochenzeitung der Freitag: „Es soll koordinierte, gewaltfreie Aktionen mit dem Ziel geben, die Delegierten von IWF und Weltbank solange zu blockieren, bis sie ihre undemokratischen Institutionen aufgelöst haben. Eine Reform halten die Aktivisten angesichts der realen Machtverhältnisse für utopisch. Dagegen wird bei INPEG Demokratie gelebt und jede Entscheidung im Konsensprinzip getroffen, so hat sich eine Struktur mit verschiedenen Untergruppen und entsprechenden Vernetzungstreffen entwickelt“ (Habermann 2000).
 
144
Ein ähnliches Organisationskonzept war auch wenig später in Prag anlässlich der Jahrestagung von Weltbank und IWF erkennbar: „As with previous actions, decisions were made by consensus, and a ‚spokescouncil‘ model was employed based on decentralized coordination among autonomous affinity groups organized into larger clusters and blocs“ (Juris 2008: 127).
 
145
Diese Tendenzen lassen sich auch in anderen globalisierungskritischen Zusammenhängen beobachten, wie z. B. Jeffrey Juris anhand des MGR-Netzwerks aus Barcelona darlegt (vgl. Juris 2008: 84). So konstatiert Jeffrey, dass speziell der Zugang zum Internet sowie der Zeitaspekt, d. h. die Möglichkeit an den turnusmäßig stattfindenden Netzwerktreffen oder Onlinediskussionen teilnehmen zu können, die Entstehung von informellen Eliten zumindest begünstigen würde (vgl. ebd.).
 
146
Auszüge aus dem Attac-Flyer „Dem G7/G8-Gipfel entgegen…“, der im Vorfeld des G8-Gipfels 2001 in Genua veröffentlicht wurde, sind im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.
 
147
Die Herausbildung derartiger Cluster kann geographischer, ideologischer oder aktionsspezifischer Natur sein. In den meisten Fällen handelt es hierbei um Ad-hoc-Zusammenschlüsse von 3–4 Bezugsgruppen, die sich im Zuge globalisierungskritischer Massenproteste bilden.
 
148
An dieser Stelle sei auf ein Arbeitspapier des britischen „Seeds for Change“-Netzwerks hingewiesen, in dem sich tiefergehender mit Hilfsmitteln für Konsensentscheidungen in größeren Gruppenzusammenhängen befasst wird (vgl. SfC 2022: 55 ff.). Einen näheren Einblick in die jeweiligen Handzeichen im Sprecher*innenrat („twinkling“, „time out“, „technical point“, „direct response“, „disagreement“ etc.) gibt die Arbeit von Marianne Maeckelbergh (2009: 50 f.).
 
149
Bezüglich der Organisation in Bezugsgruppen in Großengstingen lohnt sich ebenfalls ein Blick in die Arbeit von Peter E. Quint (2008: 12 ff.).
 
150
Dies lässt sich auch anhand des Bezugsgruppenmodells, wie es bei den Protesten gegen das Atomwaffenlager bei Großengstingen 1982 praktiziert wurde, beispielhaft skizzieren. Sternstein notierte hierzu rückblickend: „Die Sprecherratssitzungen verliefen oft ‚chaotisch‘. Sie waren mit Nebensächlichkeiten überfrachtet, zogen sich in die Länge, Ungeduld und Nervosität kamen auf, persönliche Konflikte traten in den Vordergrund. […] Die Kommunikation klappte oft nur schlecht und manchmal gar nicht. […] Es wuchs die Neigung zu Aktionen auf eigene Faust, weil der Willensbildungsprozeß zu langsam und mühselig erschien und oftmals im Sande verlief. Frust über endlose Sitzungen breitete sich aus, bei einzelnen machten sich sogar Deinteresse [sic!] und Ablehnung des Bezugsgruppensystems bemerkbar“ (Sternstein 1983: 81–82).
 
151
Zit. n. Vittorio Agnoletto (vgl. Braun 2011), dem damaligen Sprecher des Sozialforums von Genua. Bei der hier verwendeten Formulierung Agnolettos handelt es sich um die Übersetzung des bislang nur in italienischer Sprache erschienenen Werks „L’eclisse della democrazia“ (vgl. Agnoletto/Guadagnucci 2011).
 
152
Diese Bezeichnung wurde und wird vor allem von bewegungsnahen Autoren verwendet, um die Hochphase der globalisierungskritischen Gipfelproteste 2001 zu beschreiben (vgl. hierzu u. a. Reimon 2002: 159, Monroy 2011 oder Landgraf 2001). Dem „Summer of Resistance“ vorausgegangen war eine Phase, die von Christophe Aguiton als „lange[s] Jahr 2000“ (Aguiton 2002: 210) beschrieben wird und den Zeitraum von Dezember 1999 (Battle of Seattle) bis Januar 2001 (erstes Weltsozialforum in Porto Alegre) umfasst. Das Jahr 2001 bildete in diesem Kontext für Aguiton eher ein „Jahr der Wende und des Übergangs“ (ebd.: 214).
 
153
Siehe bezüglich der globalisierungskritischen Mobilisierung gegen das WEF bspw. den Aufruf des Weltsozialforums 2001 (vgl. WSF 2001, zit. 2004).
 
154
Michael Braun bezeichnete die Proteste von Neapel als „Generalprobe für Genua“ (Braun 2001: 9) und als die bis dato „größte Mobilisierung gegen die Globalisierung [in Europa]“ (ebd.). Das No-Global-Netzwerk aus Neapel gehörte später auch zu den tragenden Säulen der Anti-G8-Proteste in Genua.
 
155
Wie Peter Ullrich bezüglich der Genuamobilisierung hervorhebt, unterstützen die „technischen Möglichkeiten des Internets – vor allem die schnelle, weitreichende und unkomplizierte für viele zugängliche Informationsvermittlung – […] die organisatorische Vielgliedrigkeit optimal“ (Ullrich 2004: 170).
 
156
Nach Jörg Bergstedt wurden von den einzelnen Bündnissen und Netzwerken rund 20 Busse zum G8-Gipfel nach Genua organisiert (vgl. Bergstedt 2004: 17).
 
157
Im internen Kreis von Attac-Deutschland wurde im Rückblick auf die G8-Proteste von Genua und die eigens hierfür organisierten Busse konstatiert: „Die Busse waren kostendeckend. Es fuhren jedoch nur 10–15 deutsche Attacis mit. ‚Die Mobilisierung unserer Leute war schlecht‘ [hier wird das Attac-Mitglied Oliver Moldenhauer zitiert; Anm. B. A.]. Die Mehrheit bestand aus Linksruck und anderen“ (Attac-D 2001d: 1).
 
158
Nach Aussage von Francesco Colucci, damaliger Polizeichef Genuas, wurden insgesamt 140.000 Kontrollen an den italienischen Grenzen durchgeführt sowie präventiv über 2.000 Personen zurückgewiesen (vgl. Francesco Colucci, zit. n. Palidda 2008: 109).
 
159
Emilio Fede war von 1992 bis 2012 Journalist für Rete 4, einem Privatsender der Mediaset-Gruppe von Silvio Berlusconi. Ihm wurde seitens der italienischen Linken eine parteiliche und zumeist Berlusconi-freundliche Berichterstattung vorgeworfen.
 
160
Hierbei handelt es sich um Angaben des Bundesinnenministeriums aus dem Jahre 2001 (vgl. Kaleck 2001: 20). Azzellini (2002c: 17), Bürgin et al. (2001: 24) oder auch Holzapfel und König (2002) führen leicht abweichende Zahlen an. So ist bspw. nach Holzapfel und König von insgesamt 81 Personen auszugehen, denen eine Meldepflicht auferlegt wurde. Des Weiteren wurde mit 78 Personen eine „Gefährderansprache“ durchgeführt (vgl. ebd.: 34) – Peters zufolge waren davon allein in Berlin 50 Personen betroffen (vgl. Peters 2014: 263).
 
161
Bezug genommen wird hier auf Roland Roth und Dieter Rucht (2008: 497), wenngleich hierzu mehrere, durchaus unterschiedliche Angaben kursieren. Noch im Vorfeld des G8-Gipfels rechnete bspw. Attac mit mehr als 5.000 Globalisierungskritiker*innen aus Deutschland (vgl. Ceballos Betancur 2001: 6). Allein aus Berlin, so Sascha Kimpel vom Berliner Bündnis gegen den Weltwirtschaftsgipfel, seien 500 Personen, davon 200 aus den eigenen Bündnisstrukturen, an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel beteiligt gewesen (vgl. Sascha Kimpel, zit. n. Heinen 2001). In welchem Umfang sich deutsche Gipfelgegner*innen letztendlich an den Protesten in Genua beteiligten, lässt sich an dieser Stelle jedoch nicht abschließend klären.
 
162
Bei dem Schulkomplex „Armando Diaz“ handelt es sich um mehrere Gebäude. Hierzu gehören die Pascoli- und Pertini-Schule. Irrtümlicherweise wurde letztere stets mit der Begrifflichkeit „Diaz-Schule“ versehen. Dies hatte zur Folge, dass die Räumungen der Pascoli- und Pertini-Schule am 21./22. Juni 2001 nicht selten unter die Oberbegriffe „Diaz-Razzia“ oder „Diaz-Überfall“ subsummiert wurden.
 
163
Wagenschein war in diesem Zusammenhang kein Einzelfall. Zahlreiche Journalist*innen wurden während der Gipfeltage an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert und von den Sicherheitskräften verletzt (vgl. RWB 2002). Im Fall des britischen BBC-Mitarbeiters Mark Covell sogar derart schwer, dass er nach dem Überfall auf die Diaz-Schule, dessen erstes Opfer er wurde, ins Koma versetzt werden musste: „He was left with eight broken ribs, a shredded lung, a broken hand […] [and] 16 missing teeth“ (BBC 2008).
 
164
Zu den Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen in der Bolzaneto-Kaserne vgl. u. a. Buntenbach/Ströbele 2001, Azzellini 2001c, Vecchi 2001, Davies 2008 oder AI 2002. Amnesty International notierte 2002 in seinem Report zu den Ereignissen: „Dozens of people were subjected to arbitrary and illegal arrest and there were numerous allegations of law enforcement and prison officers subjecting individuals to cruel, inhuman and degrading treatment inside detention facilities. Detainees were systematically denied the rights to have their relatives promptly notified of their whereabouts, and to prompt access to lawyers and, in the case of foreign nationals, to consular officials“ (AI 2002).
 
165
Die FelS ist eine 1991 entstandene linksradikale Initiative/Gruppe, die sich im Mai 2015 in der Berliner Ortsgruppe der „Interventionistischen Linken“ (IL) auflöste. Sie war bis zu ihrer Auflösung Teil der globalisierungskritischen Bewegung in Deutschland und Herausgeberin der überregionalen Zeitschrift „arranca!“.
 
166
Noch 2011 hatten die Straßburger Richter im Fall „Carlo Giuliani“ Italien vom Vorwurf des Menschenrechtsverstoßes (hier: Verstoß gegen das Recht auf Leben) freigesprochen und die tödlichen Schüsse des Carabinieris Mario Placanica als Notwehr ausgelegt (vgl. Rath 2011).
 
167
An anderer Stelle führte Leggewie aus: „Daraus, dass die Gewinninteressen der Konzerne so oft vor den ‚Bedürfnissen der Völker‘ rangieren, ziehen Kritiker einer fehlgegangenen Globalisierung ihre moralische Handlungslegitimation, die sie zugleich als demokratisch ausgeben. Sie sprechen für die Erniedrigten und Beleidigten, die sonst keine Stimme haben und sich auf üblichem Wege nicht artikulieren können (Leggewie 2001: 21).
 
168
Stephan Kaufmann gab schon 2002 in einem Beitrag für die Berliner Zeitung zu bedenken: „Ihre alte Stärke, die Offenheit gegenüber politischen Überzeugungen, wird zur Schwäche in dem Moment, in dem die Bewegung inhaltlich zielgerichtet agieren will“ (Kaufmann 2002).
 
169
Ralf Thomas Baus und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff bezeichneten die gängige Praxis gipfelbezogener Gegenproteste in einem Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung einst auch als „omnipräsenten Konferenzterror mit beachtlicher Medienwirksamkeit“ (Baus/von Wilamowitz-Moellendorff 2002: 10).
 
170
Sichtbarste Zeichen einer nach wie vor großen Mobilisierungskraft der globalisierungskritischen Bewegung in Europa waren z. B. die Massenproteste gegen die G8-Treffen in Evian 2003 oder Gleneagles 2005. Matthias Monroy schlussfolgerte daher 10 Jahre nach den Protesten in Genua, dass „der ‚Summer of Resistance‘ nicht Höhepunkt, sondern zumindest für Europa eher Beginn einer immer wieder grenzüberschreitenden Protestbewegung“ (Monroy 2011: 25) war. Mit Blick auf die Entwicklungen in einzelnen Ländern ist die Schlussfolgerung Monroys allerdings nur bedingt haltbar. In Italien, wo die Bewegung in den Jahren 2000/2001 eine enorme Dynamik entfaltete, zerbrach bspw. das Anti-G8-Bündnis von Genua „bereits während des Gipfels – nicht zuletzt an Fragen des Umgangs mit Repression. Gewerkschaften und Parteien wie die Rifondazione Comunista, die sich damals bewegungsnah profiliert hatten“, so Johanna Wintermantel, „entfernten sich wieder und kapitulierten vor Berlusconis weiterem Aufstieg“ (Wintermantel 2011: 26). In Schweden, um ein weiteres Beispiel zu nennen, wurde die Bewegung, ähnlich wie auch in Italien nach dem G8-Gipfel von Genua, von einer staatlichen Repressionswelle in Folge der gewaltsamen Ausschreitungen von Göteborg (Slaget om Göteborg) erschüttert und dadurch in ihrer strukturellen Substanz geschwächt.
 
171
Vgl. hierzu auch Waterman 2004a: 107; oder speziell in Bezug auf Attac: Koufen/Winkelmann 2002.
 
172
Einen gelungenen Einblick in die bewegungsinternen Diskurse nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bietet die Transkription eines Gesprächs, dass Ivo Bozic mit Stefanie Kron, Wolf-Dieter Vogel, Bernd Beier und Deniz Yücel im September 2011 geführt hat (vgl. Bozic 2011).
 
173
Vgl. hierzu ebenfalls die Ausführungen von Kaisa Eskola und Felix Kolb (2002a: 211). Ergänzend sei außerdem darauf hingewiesen, dass bspw. in den USA die Terroranschläge vom 11. September der globalisierungskritischen Bewegung vor Ort einen „schweren Schlag“ (Ray/Lebuhn 2007: 81) versetzten und es „mehrere Jahre [dauerte], bis die verschiedenen Teile der globalisierungskritischen Bewegung wieder zusammenfanden und zumindest ein Stück ihrer ehemaligen Stärke wiedererlangten“ (ebd.).
 
174
Dem Europäischen Sozialforum gingen ab März 2002 mehrere Vorbereitungstreffen in Brüssel, Wien und Thessaloniki voraus.
 
175
Einige Autor*innen gehen sogar von einer deutlich größeren Zahl an Teilnehmer*innen raus. Della Porta schätzt bspw., dass etwa eine Millionen Menschen an der Abschlussdemonstration des ersten Europäischen Sozialforums teilgenommen haben (vgl. della Porta 2009: 13).
 
176
In vielen Ländern waren die Demonstrationen vom 15. Februar 2003 die größten Proteste in der Geschichte. Nach Sidney Tarrow nahmen in Rom rund zweieinhalb Millionen, in Madrid etwa eine Million, in New York ca. eine halbe Million und in London fast zwei Millionen Menschen an den jeweiligen Protestzügen teil (Tarrow 2005: 15). Allein in den USA kam es in über 150 Städten zu Friedensdemonstrationen. Insgesamt gingen nach Recherchen von Amir Amirani, der 2015 einen Dokumentarfilm zu den Protesten vom 15. Februar 2003 veröffentlichte, in 789 Städten (verteilt auf 72 Länder) Menschen gegen einen drohenden Krieg im Irak auf die Straße (vgl. We Are Many 2015; siehe hierzu ebenfalls: http://​wearemany.​com).
 
177
Toralf Staud merkte damals in der ZEIT an: „Die Idee, am 15. Februar in den nationalen Hauptstädten gegen den Irak-Krieg zu demonstrieren, wurde vor nur drei Monaten geboren – im November in Florenz, als Globalisierungskritiker beim Europäischen Sozialforum zusammensaßen. Und mit jedem Tag, an dem die USA Richtung Krieg drängten, wurde der Aufruf zur immer größeren Lawine, die sich über Internet-Seiten und E-Mails über alle Ländergrenzen ausbreitete. Die Vernetzung von Globalisierungskritikern jeder Couleur, die in den vergangenen Jahren gewachsen ist, zahlte sich aus“ (Staud 2003c).
 
178
Im Nachhinein bewertete selbst Attac-Deutschland die G8-Proteste 2005 als Misserfolg: „[B]eim G8 Gipfel in Schottland erlebten wir einen Tiefpunkt solcher Gipfelmobilisierung: Die Bewegung war sehr gespalten und der Regierung Blair gelang es, mit dem Image des Afrika-Helfers als Sieger dazustehen“ (Attac-D 2007b: 158).
 
179
Die IL ist ein linksradikaler Zusammenschluss, der erstmals im Zuge der Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm verstärkt öffentlich in Erscheinung trat.
 
180
Für Jennifer Gronau markiert vor allem der Doppelgipfel (G8 und G20) von Toronto einen Wendepunkt in der globalisierungskritischen Protestmobilisierung. So ist, ihrer Ansicht nach, besonders nach 2010 ein merklicher Rückgang der globalisierungskritischen Gegenproteste zu verzeichnen (vgl. Gronau 2015: 67). Anzumerken sei an dieser Stelle aber, dass sich die Analysen von Gronau nur auf die G7- bzw. G8- und G20-Gipfel beziehen und andere globalisierungskritische Protestereignisse oder Kampagnen, wie etwa jene gegen TTIP und CETA, in ihrer Auflistung unberücksichtigt bleiben (vgl. ebd.: 66–67).
 
181
Letzteres hatten bspw. auch Andretta et al. (2003: 123 ff.) in ihrer Untersuchung der Anti-G8-Proteste in Genua (2001) diagnostiziert.
 
182
Elke Steven, damalige Sekretärin des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“, merkte im Nachgang der Ereignisse rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm an, dass die Grundrechte der Bürger*innen während der Gipfeltage als nachrangig erachtet und der Ausnahmezustand alsbald zur Normalität deklariert wurde (vgl. Steven 2008: 71). Die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, so Steven weiter, wurden unter dem Deckmantel der Sicherheit derart beschnitten, dass in diesem Kontext ganz zweifellos auch von einem „Notstand der Demokratie“ (ebd.) gesprochen werden könne. Diese Sichtweise wurde nicht von allen Beobachter*innen und Kommentator*innen geteilt. Günther Nonnenmacher befand bspw. in einem Leitartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die Umstände unter denen der G8-Gipfel in Heiligendamm stattgefunden habe, für eine Demokratie unwürdig [gewesen] seien und der Einsatz von 16.000 Polizisten, der zuvor noch von vielen als unverhältnismäßig kritisiert worden war, letztlich nur das Schlimmste verhindert hätte (vgl. Nonnenmacher 2007: 1). Und unter Verweis auf die während der Gipfeltage begangenen „Regelverletzungen“ einzelner Aktivist*innen fügte Nonnenmacher in drastischen Worten hinzu: „Auf die ‚Gewalt gegen Sachen‘ folgt die ‚Gewalt gegen Personen‘, das heißt: der politisch motivierte Mord“ (ebd.).
 
183
Das erste dieser Treffen fand vom 25. bis 26. März 2006 in Rostock statt. An diesem nahmen ca. 300 Globalisierungskritiker*innen teil, darunter vor allem Vertreter*innen von Umweltgruppen, Gewerkschaften, entwicklungspolitischen Organisationen, Attac-Deutschland und der IL. An der zweiten und dritten Aktionskonferenz beteiligten sich zwischen 400 und 450 Interessierte (vgl. Attac-D 2007b: 160).
 
184
Dissent! verstand sich als ein loses Netzwerk, dass „no central office, no spokespeople, no membership list and no paid staff“ (zit. n. Maeckelbergh 2009: 42) hatte und den beteiligten Akteuren in erster Linie als Kommunikations- und Vernetzungsplattform dienen sollte. Der deutsche „Ableger“ entstand 2005 im Rahmen des BUKO-Kongresses in Hamburg.
 
185
Angemietet wurden die Räumlichkeiten seinerzeit von Attac-Deutschland (vgl. Demmer et al. 2007).
 
186
Sven Giegold, damals Mitglied im Attac-Koordinierungskreis, kritisierte das Vorgehen des Bundeskriminalamts gegen die Gipfelgegner*innenszene in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung als „völlig unverhältnismäßig“ (zit. n. SZ 2007b) und bewertete die Razzien unter Berufung auf §129a StGB als „eine konzertierte Aktion zur Entmutigung des Protests gegen den G-8-Gipfel“ (ebd.). Und auch der Bundesgerichtshof wies wenige Monate später die „Begründung für die Durchsuchungen als illegitim zurück“ (Teune 2008: 22).
 
187
Wie Dieter Rucht und Simon Teune in einer quantitativen Analyse der G8-Berichterstattung festgestellt haben, lösten speziell die Polizeirazzien gegen die G8-Gegner*innen „die erste Welle von Berichten über die Gipfelproteste“ (Rucht/Teune 2008: 58) in den deutschen Printmedien aus. Zuvor hatte sich „das mediale Interesse“, wie damals etwa schon von Gregor Samsa von „NoLager Bremen“ angemerkt wurde, „lange in äußerst überschaubaren Grenzen gehalten. Noch im April [2007] grassierte bei zahlreichen OrganisatorInnen die Angst, einige hoch gesteckte Ziele – insbesondere die Marke von 100.000 TeilnehmerInnen auf der Auftaktdemonstration am 2. Juni – könnten auf blamable Weise verfehlt werden“ (Samsa 2007: 4). Und auch Sven Giegold stellte nach den polizeilichen Maßnahmen gegen die Gipfelgegner*innenszene fest, dass vor dem 9. Mai 2007 bspw. „nur wenige Tickets für die Busfahrten zu den Demos verkauft worden“ (zit. n. Denkler 2007) seien und sich dies danach deutlich geändert habe.
 
188
Eine der aufsehenerregendsten Beitritte war gewiss jener von Heiner Geißler (CDU) in einer Talksendung am 15. Mai 2007. Und auch in der Folgezeit ließ das Interesse an Attac nicht nach, so dass in der Woche der Gipfelproteste nochmals 1.300 Menschen eine Attac-Mitgliedschaft beantragten (vgl. taz 2007b: 3).
 
189
Auf Plakaten und Protestschildern war während der Gipfeltage in Heiligendamm des Öfteren von einer „demokratiefreien Zone“ die Rede (siehe exemplarisch Attac-D 2007b: 41). Mit diesem Begriffspaar nahm man Bezug auf die von den Sicherheitsbehörden deklarierte „versammlungsfreie Zone“ rund um den Gipfelort Heilgendamm.
 
190
Bei der „Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala“ handelte es sich um eine Koordinierungsstelle der Polizei, die eigens für den G8-Gipfel in Heiligendamm bei der Polizeidirektion Rostock eingerichtet worden war. Sie nahm „am 1. Dezember 2005 mit zunächst 25 Beamtinnen und Beamten unter dem Leitenden Polizeidirektor Knut Abramowski ihre Arbeit auf“ (Busch 2008: 99) und verfügte in der Hochphase der Gipfelvorbereitungen und Gipfelkoordination über mehrere Hundert Mitarbeiter*innen.
 
191
Zur genauen Teilnehmerzahl kursieren unterschiedliche Angaben: die Veranstalter*innen sprachen von 80.000, die Polizei hingegen lediglich von 25.000 Menschen, die sich den beiden Protestzügen angeschlossen hatten (vgl. Teune 2008: 18 oder FAS 2007a: 2).
 
192
Neben Peter Wahl ist hier u. a. Werner Rätz zu nennen, der noch am Abend des 2. Juni 2007 betonte, dass es „keinerlei Rechtfertigung für den Angriff auf Personen“ (zit. n. DER SPIEGEL 2007c) gebe und die gewaltsamen Auseinandersetzungen am Rostocker Stadthafen „überhaupt nicht im Sinne der Veranstalter“ (ebd.) gewesen seien.
 
193
Als Urheber der so genannten „Fünf-Finger-Taktik“ gilt das bundesweite Kampagnennetzwerk „X-tausendmal quer“ (vgl. hierzu Banse/Habermann 2012: 60), das in der Vergangenheit etwa die Blockaden gegen die Atommülltransporte nach Gorleben koordinierte und dessen Aktionen stets den Grundsätzen der Gewaltfreiheit und Basisdemokratie unterliegen. Die Fünf-Finger-Taktik erlangte durch den G8-Gipfel 2007 größere Bekanntheit und wurde in den Folgejahren u. a. bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main 2015 (vgl. Nestler 2015) oder den Anti-G20-Protesten in Hamburg 2017 (vgl. Berbner et al. 2017) angewandt. Sie ist zentraler Bestandteil vieler Blockadetrainings und aktions- oder kampagnenspezifischer Bildungs- und Informationsveranstaltungen der globalisierungskritischen Bewegung.
 
194
Im Rostocker Camp befand sich auch das so genannte „Attac-Barrio“. Hierbei handelte es sich in gewisser Weise um ein Viertel innerhalb des Camps, das während der Anti-Gipfelproteste als Sammelstelle und Anlaufpunkt für Attac-Aktivist*innen diente.
 
195
In den Jahren von 2011 bis 2013 war Wolfgang Grenz Generalsekretär von Amnesty International Deutschland.
 
196
Attac-Deutschland kommentierte das Urteil wie folgt: „Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass mit dem Verbot unzulässig in das Grundrecht der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit eingegriffen wurde. Demonstrationsfreiheit ist ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie – wo sie eingeschränkt wird, ist die Demokratie selbst eingeschränkt“ (Attac-D 2011).
 
197
Vgl. hierzu ebenfalls Gretschmann 2010, taz 2010: 21 oder BI 2010.
 
198
Eine Einzelauflistung der „technisch-logistischen“ Amtshilfe liest sich wie folgt: „Von der Marine wurden eine Fregatte, drei Minenjagdboote, sechs Verbindungsboote und ein Hafenschlepper als Basis für die Minentauchergruppe eingesetzt. Das Heer beteiligte sich mit einem Großraumhubschrauber, vier mittleren Transporthubschraubern, zwei ABC-Spürpanzern, einem Flugfeldfeuerwehrwagen, vier Faltstraßengeräten, zehn gepanzerten Spähfahrzeugen (Typ Fennek) sowie einem Luftraumüberwachungsradar. Die Sanitäter steuerten ein Rettungszentrum sowie eine Verwundeten-Dekontaminationseinrichtung bei. Die Luftwaffe trat mit vier Eurofightern, acht Phantom-Abfangjägern und sieben Missionen mit Tornados […] auf den Plan. Insgesamt wurden 14 Mal diese Tornados eingesetzt. Zusätzlich wurden SAR-Hubschrauber sowie zwei Transall-Transporter zur Verfügung gestellt. Der Einsatz von drei AWACS-Luftfahrzeugen erfolgte auf Ersuchen des Inspekteurs der Luftwaffe in seiner Zuständigkeit für die Gewährleistung der Sicherheit im Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland“ (Plotzki 2008: 189).
 
199
Im konkreten Fall handelte es sich um einen Flug, der 36 Meter unter der Mindestflughöhe von 150 Metern lag und aus „wetterbedingten Gründen“ in niedrigerer Flughöhe durchgeführt werden musste (vgl. u. a. Plotzki 2008: 191).
 
200
Jens Kastner unterscheidet im Hinblick auf die globalisierungskritische Bewegung und ihre Theoretiker*innen zwischen drei Autorengruppen (vgl. Kastner 2011: 30): 1. Autor*innen, die sich mit dem Phänomen der Globalisierung und der mit ihr in Zusammenhang stehenden Bewegung der Globalisierungskritiker*innen wissenschaftlich auseinandergesetzt haben aber in „keinerlei positiven Beziehung“ (ebd.) zu letzteren stehen; 2. Autor*innen, die eine bewegungsnahe Position einnehmen und sich gegenüber der globalisierungskritischen Bewegung solidarisch zeigen, jedoch eine gewisse wissenschaftliche Distanz pflegen; 3. Autor*innen, die „ihre Forschungen und ihr Wissen bewusst in den Bewegungskontext stellen“ (ebd.) und mit ihren Arbeiten die theoretische Grundlage für die heutige Globalisierungskritik schufen, wie etwa Naomi Klein, Walden Bello, Vandana Shiva, Arundhati Roy oder Susan George.
 
201
Vom „BUKO Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft“ wurden die G8-Gipfel auch als ein „Knoten im Netzwerk globaler Hegemonie“ (BUKO AW 2007: 22) beschrieben.
 
202
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in einem Themenheft in Folge der Proteste von Heiligendamm die wesentlichen Kernpunkte der globalisierungskritischen Argumentation wie folgt zusammengefasst: „Den reichen Staaten des Nordens wird vorgeworfen, in einer ungerechten Weltordnung im Interesse transnationaler Konzerne die Ressourcen der armen Länder des Südens zu plündern. Zur Durchsetzung bedienen sie sich internationaler, nicht demokratisch legitimierter Organisationen, wie z. B. Weltbank und IWF. Dies sei auch der Sinn der Treffen der G8-Regierungschefs“ (BfV 2008: 5).
 
203
Einschränkend führte Warning in diesem Zusammenhang lediglich die politischen Verhältnisse in Russland unter Wladimir Putin an.
 
204
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass selbst Ignacio Ramonet im Nachgang der Proteste gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua in einem Kommentar für Le Monde diplomatique zu bedenken gab, dass die zum Gipfeltreffen angereisten Staatschefs zwar durch Wahlen demokratisch legitimiert seien, dadurch allein aber keine Berechtigung abgeleitet werden könne, Entscheidungen gegen das Gemeinwohl zu treffen oder vorwiegend im Sinne einflussreicher Großkonzerne zu handeln. So führte Ramonet aus: „Zu ihrer Verteidigung hatten die Führer der reichsten Industrieländer nur die alte Leier parat: ‚Wir sind demokratisch gewählt‘. Doch die Bürger lassen sich davon nicht mehr beeindrucken, schließlich ist demokratische Legitimation das Mindeste, was man von einem Staatsoberhaupt verlangen kann. Nur ist sie eben kein Freibrief, ihre Wahlversprechen und das Gemeinwohl zu verraten oder exzessive Privatisierungen durchzusetzen und nur die Interessen der Unternehmen wahrzunehmen, die den eigenen Wahlkampf finanziert haben“ (Ramonet 2001b: 1).
 
205
Zu den Protesten in Toronto und dem hier erwähnten Banner siehe: Braune 2018 oder EPA 2018.
 
206
Eine Ausnahme bilden hier die Proteste gegen die IWF-/Weltbank-Tagung 1988 in West-Berlin, in dessen Zuge insgesamt 688 tagungsspezifische Artikel erschienen (vgl. Gerhards 1993: 165). Die diesbezügliche Analyse von Jürgen Gerhards erstreckte sich auf vier Berliner Tageszeitungen und umfasste den zeitlichen Rahmen vom 6. März 1985 bis zum 30. September 1988. Nach Gerhards war das damalige Kampagnenziel der Gipfelgegner*innen speziell auf die „Mobilisierung öffentlicher Meinung durch kollektive Proteste“ (ebd.: 81) ausgelegt – was ihnen in weiten Teilen letztlich auch gelang. In einer Zwischenbilanz von Rainer Falk in der Zeitschrift „Dritte Welt“ war daher im November 1988 zu lesen: „Zum erstenmal seit ihrer Gründung 1944 stand eine Jahrestagung der beiden wichtigsten Institutionen des internationalen Finanzsystems im Zentrum der Aufmerksamkeit einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit. Diese war nicht mehr bereit, deren Monopol auf die Interpretation der weltwirtschaftlichen Realitäten und deren Rezepte einfach hinzunehmen. Dies drückte sich u. a. darin aus, dass die Aktionshöhepunkte der Kampagne mindestens die gleiche, wenn nicht mehr öffentliche Aufmerksamkeit fanden, als die offizielle Jahrestagung“ (Falk 1988: 5).
 
207
Ein ähnliches Bild bietet sich auch in Bezug auf die Berichterstattung im Kontext der Anti-IWF-/Weltbank-Proteste 1988 in West-Berlin. So wurden Argumente und Positionen der Gipfelgegner*innen kaum thematisiert: „Die Mehrzahl der Berichte über Aktionen der Gegner der IWF- und Weltbanktagung waren“, wie z. B. Jürgen Gerhards im Nachgang der Ereignisse feststellte, „Ereignisberichterstattungen und keine Berichte über die mit den Protestereignissen verknüpften Anliegen“ (ebd.: 174). Es gelang „zwar die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken […], […] aber nur in geringem Maße, inhaltliche Positionen zu vermitteln“ (ebd.). Diese inhaltliche Fixierung der Medien setzte sich dann auch anlässlich der Proteste von Seattle (1999), Prag (2000) und Genua (2001) fort. Wie z. B. Dieter Rucht in seiner Analyse der „Anteile der Hauptthemen der Berichterstattung deutscher Zeitungen“ feststellte, spielten die Argumente der Protestgruppen hier ebenfalls eine eher untergeordnete Rolle: In Seattle war ein Anteil von 1,5 Prozent zu konstatieren, in Prag lediglich 0,9 Prozent und in Genua immerhin 3,8 Prozent. In allen drei Fällen überwogen allgemeine Berichte über die Proteste und den Gipfel (vgl. Rucht 2002a: 71 f.).
 
208
Hinsichtlich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Attac-Deutschland im Vorfeld der G8-Proteste in Genua notierte Felix Kolb: „Journalisten wurde angeboten, in den von Attac organisierten Bussen mit nach Genua zu fahren und ca. 15 Journalisten machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Attac richtete einen speziellen Email-Verteiler und einen SMS-Verteiler ein, um Journalisten zeitnah über alle Entwicklungen in Genua informieren zu können. Vom Bundesbüro in Verden aus vermittelte Attac während der Proteste kontinuierlich mediengerechte Interviewpartner für Rundfunk, Presse und Fernsehen“ (Kolb 2003).
 
209
Hier bezogen auf ausgewählte deutschsprachige Presse- und Online-Artikel vor und während der Gipfeltage.
 
210
Zur Gewaltfrage im Zuge der Anti-G8-Proteste von Heiligendamm erschien 2008 in der Reihe „Texte“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Sammelband, der die unterschiedlichen Argumentationslinien innerhalb der linken Gipfelgegner*innenszene nochmals zusammenfasste (vgl. Rilling 2008).
 
211
Im Frühjahr 2015 wurde der negativ behaftete Begriff „Troika“ auf Wunsch der griechischen Regierung im offiziellen Sprachgebrauch durch „Die Institutionen“ ersetzt.
 
212
Die Veranstalter*innen bezifferten die Teilnehmer*innenzahl später auf insgesamt 250.000; die Berliner Polizei ging von etwa 150.000 Teilnehmer*innen aus.
 
213
Die Wirkmächtigkeit der Bewegung, so Ulrich Brand und Patrick Makal, war und ist dabei stets abhängig von zwei Bedingungen: „Massenmobilisierung und eine positive (Medien-)Berichterstattung“ (Brand/Makal 2022: 9).
 
Metadaten
Titel
Entwicklungslinien der globalisierungskritischen Bewegung in Deutschland
verfasst von
Björn Allmendinger
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44296-5_3