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03.09.2020 | Geldpolitik | Interview | Online-Artikel

"Die Geldpolitik der Notenbanken wird unberechenbarer"

verfasst von: Swantje Francke

3 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Burkhard Allgeier

Burkhard Allgeier ist Chief Investment Officer von Hauck & Aufhäuser sowie Geschäftsführer von H&A Global Investment Management.

Krisen sind ebenso wenig berechenbar wie die Maßnahmen, um ihnen zu begegnen. Im Gespräch erklärt Zentralbankexperte Burkhard Allgeier die aktuelle Geldpolitik der EZB in der Corona-Krise. 

Springer Professional: Welche übergeordnete Rolle kommt der Zentralbank angesichts des Covid-19-Szenarios zu?

Burkhard Allgeier: Zentralbanken haben – wie zumeist in Krisenzeiten – die Aufgabe des Kreditgebers der letzten Instanz (lender of last resort) zu übernehmen. Um gravierende Störungen auf den Kapitalmärkten zu vermeiden, war und ist es richtig, zu ihrer Funktionsfähigkeit beizutragen. Das bringt es mit sich, auch unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Sowohl die EZB als auch die amerikanische Notenbank (Fed) beispielsweise haben ihre Anleihekaufprogramme in Volumen und Spektrum deutlich ausgeweitet. So wurden die Finanzierungsbedingungen günstig gehalten – für Staaten, aber auch Unternehmen.

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Welche Auswirkungen hat dies auf die Geldpolitik der Zentralbanken?

Die Geldpolitik der Notenbanken wird damit zum einen unkonventioneller und zum anderen auch unberechenbarer, also nicht-antizipativ. Zum Punkt unkonventionell: Die alleinige Beschränkung nur auf das Zinsinstrumentarium haben die Notenbanken mit dem Erreichen oder Unterschreiten der Nullzinsgrenze (zero lower bound) aufgegeben. Sofern geldpolitischer Handlungsbedarf besteht oder seitens der Notenbanken erkannt wird, sind die Notenbanken somit gezwungen, unkonventionelle Maßnahmen wie Anleihekäufe, zukunftsgerichtete Aussagen zur weiteren (Zins-)Politik (forward guidance) bis hin zur – von Japan praktizierten – Kontrolle der Renditekurven (yield curve control) zu ergreifen. Die Problematik dabei ist, den richtigen Zeitpunkt für den Exit von solchen unkonventionellen Strategien zu finden, einschließlich der richtigen Dosierung, um nicht erneute Marktturbulenzen und möglicherweise negative realwirtschaftliche Effekte zu erzeugen. Die Angemessenheit der Maßnahmen zu wahren, ist dabei keine leichte Aufgabe – selbst das Bundesverfassungsgericht hat das infrage gestellt.

Zum Punkt der Unberechenbarkeit der Geldpolitik: Generell gilt, dass nicht-antizipierte, transitorische, also von den Marktteilnehmern überwiegend nicht erwartete, vorübergehende Maßnahmen einer Notenbank besonders effektiv sind und die beabsichtigte Wirkung der Geldpolitiker erzielen. Allerdings oftmals um den Preis einer erhöhten Volatilität auf den Kapitalmärkten. Schließlich kann es auch zu einer Überforderung der Geldpolitik führen, auf jede Krise – unabhängig von ihrer Ursache – reagieren zu müssen oder zu wollen.

Was passiert mit dem Bargeld?

Im Zuge der Corona-Krise kam es anfänglich, also Mitte bis Ende März, zu einer stark erhöhten Banknotennachfrage, wie der Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Juni 2020 ab Seite 38 ausweist. Die Auszahlungen an Banknoten stiegen vor allem aus Vorsichtsmotiven deutlich an. Die Zahlungsgewohnheiten haben sich aber verändert, die Nutzung von Bargeld ging zurück, das kontaktlose Bezahlen nahm entsprechend zu. Ob es im Zuge der Corona-Krise zu einer dauerhaften Veränderung des Zahlungsverhaltens kommt, ist offen. Tatsächlich ist es aber so, dass jüngere Bevölkerungsschichten verstärkt bargeldlose Zahlungsformen bevorzugen.

In welche Richtung haben sich die Aussichten auf die Einführung digitaler Währungen vor dem neuen Szenario verändert?

Bereits vor der Pandemie gab es verschiedene Vorstöße hierzu – am brisantesten unter anderem von Facebook mit Libra. Inzwischen hat die EZB eine internationale Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich zum Ziel gesetzt hat herauszufinden, wie eine digitale Währung eine klassische Währung ergänzen oder gar zum Teil ablösen könnte. Außerdem gilt es, die Emission von digitalem Zentralbankgeld so zu steuern, dass der Zahlungsverkehr effizienter, die bestehende Währungsordnung jedoch nicht infrage gestellt wird. Schließlich soll ein digitaler Euro – bei dem jeder Bürger ein Konto bei der EZB führen könnte – nicht zu einer Verdrängung von Geschäftsbanken führen. Ein befürchteter Bank-run soll verhindert werden.

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