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15.06.2023 | Industrie 4.0 | Schwerpunkt | Online-Artikel

Unternehmen verstolpern die Digitalisierung

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5 Min. Lesedauer

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Existenzsicherung vor Investitionen in die Zukunft, das ist einer aktuellen Studie zufolge der Taktgeber für die Digitalisierung in Unternehmen weltweit. Der Fokus liegt auf Wirtschaftlichkeit. Krisen und der Fachkräftemangel liefern dafür die Argumente.

Seit der Hannover Messe 2011 kursiert der Begriff Industrie 4.0 als Synonym für industrielle Digitalisierung. Doch trotz des Potenzials digitaler Methoden für Innovation, Qualität, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit hinken nicht nur die DACH-Staaten bei der Umsetzung hinterher. Die Studie der IT-Beratung MHP "Industrie 4.0 Barometer 2023" mit 899 weltweit befragten Industrieunternehmen, darunter mehr als die Hälfte KMU, zeigt, dass nur die Hälfte aller Produktionsprozesse automatisiert sind. Dazu passt: Über die Hälfte aller Unternehmen setzt sich nicht mit den Vorteilen der Industrie 4.0 auseinander oder sieht sie nicht als zielführend an. Grund dafür ist der starke Fokus auf den Return on Investment (ROI). 

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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die neuen Anforderungen der Smart Factory

In Kap. 1 wurden bereits einige allgemeine Ausführungen zum wirtschaftlichen Umfeld, zum Status der realen Produktion und zu Strategien gemacht, wie man durch mehr Transparenz und Reaktionsfähigkeit die perfekte Produktion erreichen kann. In Kap.

Produktion unter ihren Möglichkeiten digitalisiert

Zwei Drittel aller befragten Unternehmen investieren wegen Unsicherheiten beim ROI zurückhaltend in neue Technologien und die Automatisierung ihrer Prozesse. Ausschlaggebende Argumente sind der vorab kaum zu quantifizierende Nutzen von komplexen Technologien wie dem Digitalen Zwilling sowie die unklaren Gewinnaussichten von Digitalisierungsinitiativen. Der Sprung auf das nächste Level der Digitalisierung wird außerdem durch den Mangel an qualifizierten Fachkräften und fehlende Weiterbildungsmaßnahmen erschwert. 

Deutlich werden die Digitalisierungslücken vor allem beim Shopfloor Management in der Produktion. Zwar zeigt ein Vergleich mit den Vorjahresstudien, dass Unternehmen ihre Lehren aus den krisenbedingten Lieferengpässen gezogen und nun die Transparenz ihrer Lieferketten verbessert haben. Doch bei der Vernetzung des Shopfloors sind Versäumnisse auszubügeln. So wurde aus wirtschaftlichen Erwägungen bislang kaum in ganzheitliche Automatisierungslösungen investiert. Stattdessen dominieren nach wie vor Insellösungen. 

Stiefkind Shopfloor Automation

Die Herausforderung ist jetzt, bestehende Systeme und Technologien miteinander zu vernetzen und eine einheitliche Datenbasis zu schaffen. Ziel ist, die einzelnen Prozessschritte übergreifend zu orchestrieren, damit individuelle Kundenanforderungen und unterschiedliche Produkte mit der gleichen Infrastruktur abgebildet werden können. Die Digitalisierung des Shopfloors ermöglicht eine effizientere und flexiblere Produktion. Es werden Ressourcen geschont und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gestärkt.

Unternehmen verhalten sich bei der Shopfloor Automation zurückhaltend:

  • Der durchschnittliche Automatisierungsgrad liegt bei 49 Prozent.
  • Bei Unternehmen aus den DACH-Staaten, UK und den USA sind 44 Prozent der Produktionskette automatisiert.
  • In China sind 69 Prozent der Produktionskette automatisiert.
  • Ein Drittel benutzt weder autonome Maschinen noch Roboter oder fahrerlose Transportsysteme (AGV/FTS).
  • 38 Prozent nutzen Maschinen und Roboter, die autonom handeln, sich selbständig steuern oder verbessern können (z. B. fahrerlose Transportsysteme)
  • 36 Prozent planen den Einsatz.
  • 28 Prozent testen die Technologie aus.
  • Unternehmen bezeichnen ihren Automatisierungsgrad als "relativ gut".
  • 24 Prozent glauben ihre teil- und vollautomatisierten Prozesse auf einer Höhe mit dem Wettbewerb.
  • Ein Viertel glaubt sich dem Wettbewerb voraus.
  • Insgesamt haben sich die teil- und vollautomatisierten Prozesse um 15 Prozentpunkte verbessert.
  • Die Einführung von Industrie-4.0-Technologien verzögert sich bei 64 Prozent wegen unsicherer ROI.
  • 56 Prozent haben Schwierigkeiten qualifizierte Mitarbeiter einzustellen.
  • 55 Prozent haben dafür im Tagesgeschäft keine Kapazitäten.
  • ASV (43 Prozent) und KI (39 Prozent) haben nach Ansicht der Befragten das größte wirtschaftliche Potenzial.

Digitalisierung braucht den Mut zum Risiko

"Unternehmen überschätzen sowohl ihre eigenen Kompetenzen als auch den Umsetzungsstand bezüglich der Automatisierung ihres Shopfloors", schreiben die Studienautoren. An Unternehmen aus den DACH-Staaten appellieren sie, zu handeln. Rücklagen zu bilden, sei in unsicheren Zeiten zwar eine nachvollziehbare Strategie. Aber: "Gewisse Risiken müssen eingegangen werden, um Chancen zu nutzen." Es geht darum, mehr Resilienz, Flexibilität und Qualität sowie das Erfüllen von gestiegenen Kundenanforderungen zu realisieren. Hinzu kommt der entscheidende Wert der Digitalisierung als Treiber für mehr Nachhaltigkeit.

Dass der "Hype" um die Digitalisierung der Produktion im Mittelstand nachgelassen hat und deutschen Unternehmen bis zur digitalen Fabrik noch einen weiten Weg zurücklegen müssen, registrieren auch die Springer-Autoren Marc Bayer und Fabian Bauer. Zwar habe die digitale Fabrik das Potenzial, besonders die mittelständische Fertigung zu revolutionieren. Allerdings dokumentiere der KfW-Digitalisierungsbericht 2020 einen Rückgang der Digitalisierungsaktivitäten im Mittelstand schon vor Corona. Ein Drittel der mittelständischen Unternehmen führte dann selbst unter dem Eindruck der Pandemie keine Digitalisierungsinitiativen durch. Stattdessen konzentrierten sich Firmen auf schnell umsetzbare Maßnahmen und stellten langfristige Vorhaben zurück. Hindernisse auf dem Weg zur Smart Factory sind vor allem im Unternehmensalltag auszumachen.

Alltagsgeschäft bremst die Digitalisierung aus

Anders als großen Unternehmen fehlt dem Mittelstand der finanzielle und personelle Spielraum für Experimente. Wird in neue Technologien investiert, dann müssen sie sich kurzfristig bewähren und amortisieren. Außerdem mangelt es an fachlichen Kompetenzen für eine umfassende Digitalisierung und die Digitalisierung bindet Ressourcen, die knapp sind und an anderer Stelle fehlen. Muss unternehmensintern zwischen verschiedenen ressourcenbindenden Themen entschieden werden (SAP-Einführung, Modularisierung des Produktportfolios, Programmen zur Leistungssteigerung und Digitalisierung), dann fällt die Entscheidung aus den genannten Gründen am ehesten gegen die Digitalisierung aus. (Seite 470/471) 

Fahrplan Richtung digitalisierte Produktion

Was ist zu tun? Die Springer-Autoren leiten aus ihren Untersuchungsergebnissen vier Handlungsempfehlungen ab, mit denen sich die digitale Produktion realisieren lässt und die im Alltag Orientierung geben (Seite 482/483):

  1. Übergreifendes digitales Zielbild entwickeln: Nicht länger in bereichs- und aufgabenspezifischen Anwendungen denken. Die Digitalisierung ganzheitlich angehen und alle Elemente der digitalen Fabrik mitbedenken. Einen Digitalisierungsfahrplan aufstellen, Ziele herunterbrechen, Investitionen ermitteln und Entscheidungen gemeinsam treffen.
  2. Zukunftsfähige Fähigkeiten, Strukturen und Kultur etablieren: Mitarbeitende befähigen. In der Unternehmenskultur den Willen und die Offenheit für digitale Initiativen verankern. Rolle des Managements als Treiber und Enabler definieren.
  3. Partnerschaften und Kooperationen eingehen: Flexible Partnerschaften mit engem Bezug zum Geschäft und klaren Zielvorgaben etwa mit Start-ups, Zulieferern aber auch Wettbewerbern anlegen.
  4. Den CFO überzeugen: Mut zu unternehmerischen Entscheidungen zeigen und die Bereitschaft zu Learning by Doing beweisen.

Insgesamt zeigt sich, dass seit Einführung des Begriffs Industrie 4.0 zwar vieles im deutschen Mittelstand passiert ist, aber noch immer zu sehr auf wirtschaftliche Sicherheit beharrt und in Insellösungen gedacht wird. Außerdem fehlt es an Know-how und qualifizierten Mitarbeitenden. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, empfiehlt sich die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und auch Forschungseinrichtungen sowie eine gezielte Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Zudem sollten Unternehmen verstärkt auf die Förderung von Frauen und jungen Talenten setzen, um den Fachkräftemangel langfristig zu bekämpfen.

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