Gut Ding will Weile haben. Das ist der aktuelle Beziehungsstatus zwischen deutschen Unternehmen und Start-ups. Kooperiert wird hier so selten wie in keinem anderen europäischen Land. Der Grund ist banal.
"Je mehr verschiedene Quellen man 'anzapft', desto höher ist rein statistisch die Wahrscheinlichkeit, dass eine gute Idee dabei ist", schreibt Springer-Autorin Barbara Mehner über die Erhöhung des kreativen Potenzials durch Open Innovation (Seite 159). Für Unternehmen wird es immer schwieriger, Innovationen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten alleine voranzutreiben und sich auf rauen Märkten zu behaupten. Als logische Folge ist Open Innovation, also die Kooperation mit externen Partnern wie etwa Start-ups, Forschungseinrichtungen, Universitäten oder anderen Unternehmen, im Begriff, sich zur Standardstrategie zu entwickeln.
Open Innovation: Multiple Perspektiven auf ein Problem
Die Pandemie hat bewiesen, dass Zusammenarbeit auch über große geografische Entfernungen hinweg funktioniert. Open Innovation bedeutet, mithilfe von digitalen Kommunikationstechnologien Know-how aus unterschiedlichen Wissensdomänen und analogen Märkten zur Lösung eines komplexen Problems oder zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen zusammenfließen zu lassen. Das senkt Innovationskosten, beschleunigt Entwicklungsprozesse und minimiert Risiken. So jedenfalls lauten die Versprechen. Deutsche Unternehmen sehen das allerdings eher skeptisch.
Fragen, die sich Unternehmen vor der Öffnung ihrer Innovationsprozesse stellen sollten (Mehner, Seite 167) |
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Die Hälfte aller befragten Führungskräfte erklärten, dass sie mit Open Innovation für besseres Innovationsmanagement während und nach der Pandemie begonnen haben. Besonders begehrte Open-Innovation-Partner sind Start-ups. Ihnen eilt der Ruf voraus, flink, belastbar und risikoaffin zu sein. Junge Firmen treiben ihre Ideen agiler und flexibler voran als etablierte Unternehmen. An neue Technologien passen sie sich leichter an. Die besondere Mentalität der Neugründungen liefert 72 Prozent aller europäischen Unternehmen offenbar gute Gründe für gemeinsame Projekte, wie der Open Innovation Report 2023 von Sopra Steria zeigt. Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz und Cyber-Sicherheit sind die drei wichtigsten Themen, bei denen Unternehmen die Zusammenarbeit mit Start-ups forcieren. Befragt wurden 1.648 Unternehmen und neu gegründete Firmen in zehn europäischen Ländern.
Start-ups? Unwichtig!
Zwei Drittel der Umfragepartner stufen die Zusammenarbeit mit Jungunternehmern als strategisch wichtig bis entscheidend ein. Die Ziele einer Start-up-Kooperation haben 58 Prozent erreicht. Mit den Ergebnissen sind sie zufrieden. In Deutschland wird das anders gesehen. Gerade einmal 57 Prozent aller Befragten haben mit Gründern zusammengearbeitet. Das ist der niedrigste Wert im Ländervergleich und erstaunt die Studienautoren gleich zweifach, gilt Berlin doch als die europäische Hauptstadt der Start-ups. Die Kooperation mit ihnen stufen gar 13,8 Prozent als "unwichtig" ein, ein Punkt, in dem nur die französischen Nachbarn mit ihnen d'accord gehen (14 Prozent).
Die Studienautoren vermuten in Deutschland eine Innovationskultur, die sich von den anderen Ländern unterscheidet. Deutschen Unternehmen falle es schwer, Innovationen nach einem erfolgreichen Pilotprojekt auszurollen und in ihr Kerngeschäft zu integrieren. Zudem probierten viele Akteure alternative Strategien, nämlich statt gemeinsamer Entwicklungsprojekte gleich mit Start-ups zu fusionieren, oder eigene "Schnellboote" zu gründen.
Weitere Erkenntnisse zum Verhältnis deutscher Unternehmen und Neugründungen:
- 48 Prozent erreichen ihre Ziele bei Start-up-Kooperationen nur bei der Hälfte der durchgeführten Projekte
- 38 Prozent sehen nicht übereinstimmende Ziele für die Zusammenarbeit als größtes Hindernis für die Zusammenarbeit von jungen Unternehmen an
- 59 Prozent wollen in den kommenden 18 Monaten eine Zusammenarbeit in Angriff nehmen
- 27 Prozent haben keine Pläne
- 66 Prozent haben die Verantwortung für Start-up-Kooperationen ins mittlere Management verlagert
Open Innovation: Gekommen, um zu bleiben
Open Innovation bedeutet für Unternehmen, Teil eines Ökosystems zu sein, "in dem Menschen, Organisationen und Branchen gemeinsam entwickeln und Wissen teilen", schreibt Springer-Autorin Natascha Hebestreit (Seite 144). Das Prinzip sei zwar mittlerweile in den meisten Unternehmen angekommen. Zuverlässig messen lassen sich Erfolge aber bislang ebenso wenig, wie das Scheitern. Während bei letztem nicht immer klar ist, "ob es sich um eine falsche Anwendung gehandelt hat oder ob Open Innovation an sich die falsche Herangehensweise war" (Seite 147). Sind Erfolge von der Open-Innovation-Strategie und der Auswahl der Partner abhängig. Ist im Unternehmen die Entscheidung pro Open Innovation gefallen, dann ist eine mögliche Strategie (Seite 149):
- nach Gelegenheiten suchen
- deren Marktpotenzial bestimmen
- potenzielle Entwicklungspartner suchen
- sich mittels passender Kommerzialisierungsform um eine Wertschöpfung kümmern
- das Innovationsangebot ausweiten
Open-Innovation wird als Thema seine Bedeutung behalten, ist sich Hebestreit sicher. "Grund dafür ist vor allem das große Effizienzsteigerungspotenzial, das zentrale Branchen entwickelter Volkswirtschaften noch durch eine verstärkte Digitalisierung haben" (Seite 157).