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19.01.2023 | Konstruktion + Entwicklung | Schwerpunkt | Online-Artikel

Zukunftstechnologien erfordern neue Engineering-Ansätze

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Neue Technologien für die Energieversorgung, die Mobilität oder die Kreislaufwirtschaft sind äußerst komplex. Darum sollten bekannte Ansätze der Produktentstehung laut Acatech einem umfassenden Advanced Systems Engineering weichen.

Die Geschichte des Maschinenbaus lässt sich als eine Abfolge ständiger Grenzüberschreitungen erzählen – als Überschreitung von Fachgrenzen. Bewegten sich Wellen und Zahnräder dereinst in Takt und Richtung, die Nocken, Schubstangen und Seilzüge vorgaben, so sorgten hydraulische, pneumatische du elektronische Regelungen später für ungekannte Präzision und Flexibilität. Heute verwandeln Mikroprozessoren und drahtlose Vernetzung mechanische Objekte zu autonom agierenden Produktionsmitteln. "Zur Leistungssteigerung dienen heute vorrangig interdisziplinäre Lösungen", schreiben Iris Gräßler und Christian Oleff in der Einführung in Systems Engineering des Buchs Systems Engineering. Die immer stärker digitalisierten und vernetzten Systeme "ziehen als Konsequenz eine wachsende Systemkomplexität nach sich".

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Ein Ende der ständig zunehmenden Komplexität ist nicht in Sicht. Beispielsweise sollen Produkte heute lebenszyklusübergreifend gedacht werden. Die eingesetzten Werkstoffe und Komponenten sollten nach Ende der Produktnutzung recycelbar und wiederverwendbar sein – und das am besten etliche Male. Dies fügt der bislang bekannten Komplexität in der Produktentstehung eine weitere Dimension hinzu.

Advanced Systems Engineering macht Komplexität beherrschbar

Wie lässt sich diese Komplexität in der Produktentstehung überhaupt beherrschen? "Nicht mit dem Engineering von gestern", sind sich Reinhard Ploss, Jan Wörner und Jürgen Gausemeier von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) sowie Siegfried Russwurm vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sicher. Technologien für die Energieversorgung und die Mobilität von morgen sowie für die Kreislaufwirtschaft werden autonom und dynamisch vernetzt arbeiten. Produkte würden dabei immer häufiger eng mit Dienstleistungen kombiniert, und sie werden in der Regel mit dem Menschen interagieren.

Solche hoch vernetzten technischen und soziotechnischen Systeme lassen sich nur noch mithilfe eines neuen Ansatzes des Systems Engineering planen, realisieren und betreiben – mit dem Advanced Systems Engineering (ASE). Eine aktuelle Acatech-Veröffentlichung stellt den Ansatz vor: ASE vereint die Entwicklung intelligenter Produkte (Advanced Systems, AS) mit der modellbasierten Systemgestaltung mittels Digitalem Zwilling (Systems Engineering, SE) und stark auf Kreativität und Agilität beruhenden Arbeitsweisen (Advanced Engineering, AE). Um die Komplexität der anstehenden Technologieeinführungen zu beherrschen, bedarf es dabei modellbasierter Entwicklungen über die Grenzen einzelner Fachdisziplinen hinweg. Engineering-Prozesse müssten KI-unterstützt ablaufen und dabei bereits zukünftige Entwicklungen von Märkten, Technologien und Geschäftsumfeldern antizipieren. Nicht zuletzt sollte die frühzeitige Erlebbarkeit neu eingeführter Technologien für Akzeptanz und Identifikation etwa in der Bevölkerung sorgen.

Wettbewerb mit China, Japan, Südkorea und USA

Deutschland bringt laut dem Strategiepapier gute Voraussetzungen mit, um ein globaler Technologieführer für die Entwicklung komplexer Systeme zu werden, was sich beispielsweise in den vorhanden Kompetenzen für cyber-physische Systeme und Produktionstechnik zeigt. Allerdings haben auch Länder wie China, Japan, Südkorea und die USA die Bedeutung von ASE erkannt und werden starke Wettbewerber sein. Insbesondere im Systems Engineering haben China und die USA, gemessen an der Anzahl an Hochschulabsolventinnen und Publikationen, die Nase vorn.

Dass die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu anderen Industrienationen weniger kompetent in der Entwicklung softwareintensiver Systeme ist und sich bislang zu wenig auf Geschäftsmodelle versteht, die Sach- und Dienstleistungen verknüpfen, könnte da zum Nachteil geraten. "Der Weg zu einer führenden Engineering-Nation wird größte Anstrengungen erfordern", schreiben die Autoren denn auch, insbesondere auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.

Handlungsempfehlungen für "German Engineering"-Standard

In dem Strategiepapier stellt Acatech 27 Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vor, wie in Deutschland eine weltweit anerkannte De-facto-Standardmethodik für ASE entstehen könnte. Unter der Marke "German Engineering" könnte sie nach Vorstellung der Autoren bekannt gemacht werden. Folgende drei Maßnahmen hätten laut Acatech die größten Hebelwirkungen, um die deutsche Wirtschaft und Industrie zum führenden Entwickler von intelligenten technischen und soziotechnischen System zu machen:

  • Eine von Industrie und Hochschulen getragene Organisation treibt besonders relevante ASE-Aktivitäten im Rahmen eines sogenannten Engineering-Excellence-Programms voran und koordiniert die Entwicklung von ASE-Datenräumen, Standardisierung, Validierung und des Software Systems Engineering. Hier sind insbesondere Wirtschaft und Industrie gefordert.
  • Seitens der Wissenschaft werden Methoden entwickelt, die die Nachhaltigkeit von technischen und soziotechnischen Systemen in den Fokus rücken, ohne Designziele wie Verlässlichkeit, Resilienz und Usability zu vernachlässigen.
  • Die Politik stellt die digitale und technologische Souveränität auf nationaler und europäischer Ebene sicher, sodass Anbieter auch mit außereuropäischen Partnern vertrauensvoll kooperieren können und Anwender selbstbestimmt zwischen mehreren Anbietern entscheiden können. Die europäische Datenstrategie sowie die Initiative Gaia-X oder die Plattform Catena-X legen laut Acatech hierfür die Basis.

Fachübergreifende Kompetenzen stärken

Daneben sollten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mithilfe regelmäßig erstellter Zukunftsreports in die Lage versetzt werden, vielversprechende neue Technologien aufzugreifen , während eine Vielzahl aussagekräftiger Anwendungsbeispiele unterschiedlichen Unternehmen aufzeigt, wie sie mithilfe von ASE Produkte zügiger, zielgenauer und wirtschaftlicher entwickeln können.

ASE-Methoden sollten daraufhin entwickelt werden, dass sie Systeme auch noch im laufenden Betrieb validieren können; etwa wenn sie ihr Verhalten auf unvorhergesehene Betriebssituationen einstellen müssen. Auch die hohe – safety- und securityrelevante – Softwareintensität dieser Systeme muss in der Methodik berücksichtigt werden, während die Entwicklungsumgebung so zu gestalten ist, dass Produkte mithilfe von Daten aus Test- und Simulation, Betrieb eines Vorgängerprodukts, Markt oder Nutzungspräferenzen gestaltet werden können.

Weitere Empfehlungen betreffen eine engere Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft sowie die Aus- und Weiterbildung. Unter anderem schlägt Acatech vor, grundständige fakultätsübergreifende Studiengänge einzuführen. Das würde der Gegebenheit gerecht, "dass die Systeme komplexer werden und in der Regel einen fachgebiets- beziehungsweise fakultätsübergreifendem Engineering-Ansatz erfordern."

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