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07.12.2023 | Künstliche Intelligenz | Interview | Online-Artikel

"Generative KI hat für die Fertigung sehr großes Potenzial"

verfasst von: Thomas Siebel

5:30 Min. Lesedauer

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Die generative KI gilt als das nächste Instrument im digitalen Werkzeugkasten der Industrie. Enno de Boer von McKinsey erläutert im Interview die Funktionsweise sowie die Potenziale für Produktentwicklung und Produktion.

Was unterscheidet die generative KI von einer "normalen" KI?

Das Besondere an der Generativen KI ist, dass sie wie ein menschliches Gehirn Muster in riesigen unstrukturierten Datensätzen erkennen kann. Um Inhalte auszuwählen oder zu "generieren", wird ein Deep-Learning-Modell zur Vorhersage von Inhalten verwendet. Dieses Modell wird oft Token oder Einbettungen genannt. Ein anderes Modell analysiert und bewertet die Auswahl. Genau deshalb wird generative KI oft als Generative Adversarial Network bezeichnet. Bei beiden Teilmodelle handelt es sich um herkömmliche Deep-Learning- oder Machine-Learning-Modelle, die heute in der Industrie bereits weit verbreitet sind. Die Basismodelle der generativen KI sind allerdings sehr groß und stellen oft Muster über Billionen von oft unterschiedlichen Datenpunkten dar. Dadurch ist es möglich, Unmengen von unstrukturierten Daten zu verarbeiten. Generative KI kann echtes menschliches Denken und Zusammenhänge nachbilden, Erkenntnisse synthetisieren, Inhalte generieren und Interaktionen "vermenschlichen".

Arbeiten Industrieunternehmen bereits mit generativer KI?

Einige "Leuchttürme" in der Industrie haben das große Potenzial erkannt und bringen generative KI in Bereiche, in denen Daten am unstrukturiertesten sind. Dies ist oft vor- und nachgelagert der Fall, zum Beispiel in der Produktentwicklung, bei der Beschaffung und im Servicebereich. Eine Initiative des World Economic Forum – das Global Lighthouse Netzwork, das zusammen mit McKinsey gegründet wurde – verknüpft weltweit solche Vorreiter fortschrittlicher Produktionstechnologien.

Welche neuen Möglichkeiten eröffnet die generative KI der Produktionstechnik?

In der Produktion hat generative KI einen großen Einfluss: Sie dient als eine Art Abkürzung zu Anwendungsfällen, die die Produktivität der Mitarbeiter erhöhen, indem sie viele unstrukturierte Daten oder dokumentationsintensive Prozesse automatisieren. Auch der Einsatz anderer fortschrittlicher Technologien wird mithilfe von generativer KI verbessert und somit die digitale Transformation beschleunigt – beispielsweise durch Co-Piloten in der Softwareentwicklung, für personalisierte Schulungsprogramme oder mit digitalen Assistenten für agile Teams.

Gibt es bereits Beispiele für den Einsatz einer generativen KI in der Industrie?

Es gibt eine Menge Beispiele! Bei den zuletzt gekürten Lighthouses hat beispielsweise jedes einzelne Unternehmen einen Pilotversuch durchgeführt, viele sogar mehrere. Wir haben alle verschiedenen Anwendungsfälle in der Produktion erfasst und über 50 verschiedene Beispiele gezählt, von den bereits erwähnten technischen Assistenten bis hin zu Produktdesign-Tools und Vertriebs-Cockpits. Viele der Use Cases ergänzen sich sehr gut, sodass beträchtliche Produktivitätsfortschritte erzielt werden können.

Wie funktioniert die Arbeit mit einer generativen KI in der Praxis?

Ich möchte das Konzept anhand von Windturbinen veranschaulichen: Ein Ingenieur im ersten Jahr fordert generative KI auf, ein 3-D-Modell für Änderungen an den neuesten Rotorblättern seines Unternehmens zu entwerfen. Anschließend lässt er die Plattform Dutzende von analytischen Simulationen koordinieren, die auf angewandten KI-Modellen basieren. Die Plattform erstellt einen vollständigen Bericht über die potenzielle Produktleistung, in dem zwei Bereiche für Designverbesserungen und ein Compliance-Problem dokumentiert sind. Der Ingenieur schaltet einen Design Advisor ein, der sich auf frühere Unternehmensdesigns und sogar auf im Internet gesammelte Informationen über Produkte von Mitbewerbern bezieht, um Iterationen zu erstellen. Nach ein paar Stunden Hin und Her hat der Ingenieur einen hochwertigen, kostenoptimierten und vollständig simulierten Entwurf.

Generative KI scheint aktuell noch eine Thema für die große Unternehmen zu sein. Insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es jedoch an Fachkräften und an Kompetenz in digitalen Technologien. Wie können auch sie sich die neuen Möglichkeiten zunutze machen?

Generative KI ist nur ein Werkzeug im Werkzeugkasten, wenn auch ein bedeutendes. Kleine und mittlere Hersteller sollten sich auf den Aufbau digitaler Fähigkeiten konzentrieren – die Datengrundlagen, die Fähigkeiten, das Wissen für alle Arten der Digitalisierung. Um die Vorteile generativer KI zu nutzen, gebe ich dieselben Empfehlungen, die ich im digitalen Bereich im Allgemeinen gebe.

Welche Empfehlungen sind das?

Erstens: Identifizieren Sie die ein oder zwei Anwendungsfälle mit der größten Wirkung. Die Cases sollten gebündelt werden und keine tiefgreifende Datenintegration im gesamten Unternehmen erfordern – ein Chatbot, der sich mit SOPs befasst, benötigt beispielsweise nur die aktuellen Handbücher und SOPs, um zu funktionieren. Ein Tool für die Produktionsplanung hingegen könnte die Verbindung von Bedarfsprognose, Kundenauftrag, Anlagenleistung und vielen anderen Datenpunkten erfordern.

Zweitens: Identifizieren Sie die Technologie und die Daten, die Sie zur Lösung des Problems benötigen. Wo befinden sie sich? Gibt es einen Anbieter, der den Dienst bereitstellen kann? Wo müssen sie gehostet werden?

Drittens: Setzen Sie Ihre Mitarbeiter und deren Talente richtig ein, einschließlich der Mitarbeiter, die Sie mithilfe von Anbietern und anderen Ökosystem-Partnern wie Universitäten finden können. Wie fördern Sie die Talente, die für Implementierung, Entwicklung und das Design von Lösungen zuständig sind? Wie stellen Sie sicher, dass Anwendungsfälle angepasst werden können – insbesondere, wenn Sie einen Anbieter nutzen?

Welches wirtschaftliche Potenzial sehen Sie in der generativen KI im industriellen Umfeld?

Ein sehr großes Potenzial! Laut einer unserer Studien wird generative KI jährlich zwischen 2,6 und 4,4 Billionen US-Dollar an Wert zur Weltwirtschaft beisteuern. Fast ein Viertel davon dürfte in der Fertigung und der Lieferkette erzielt werden. Die neuen Fähigkeiten zur Generierung von Inhalten, zur Gewinnung von Erkenntnissen und zur Interaktion mit Nutzern können die Produktivität aller mit der Fertigung und der Lieferkette verbundenen Aufgaben verdoppeln. Nicht wertschöpfende Aufgaben können zu 70 Prozent oder mehr automatisiert werden.

Wie wird sich der Markt für generative KI-Lösungen entwickeln? Werden etwa die großen Hersteller eigene Lösungen entwickeln und anbieten oder könnte zum Beispiel auch eine Start-up-Szene entstehen?

Es gibt Dutzende von Start-ups, die an der Entwicklung von Basismodellen arbeiten. Und es gibt Hunderte weitere, die Anwendungen für die Feinabstimmung entwickeln. Auch größere Unternehmen wie Microsoft entwickeln As-a-service-Kapazitäten zur Bereitstellung von Grundmodellen generativer KI für Hersteller und zahlreiche andere Unternehmen. Dies bedeutet, dass sich schnell eine robuste Wertschöpfungskette herausbilden wird. Je nach Größe, Umfang und Bedarf an interner Kontrolle über die Datenmodelle- und -sicherheit muss man sich die Make-or-Buy-Fragen stellen – also, ob man selbst Kapazitäten schafft oder zukauft. Diese Abwägung haben viele Hersteller bereits für Hardware und andere Komponenten getroffen – und jetzt ist es an der Zeit, dieses Prinzip auf KI-Technologien zu übertragen.

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