Skip to main content

2006 | Buch

Qualitative Netzwerkanalyse

Konzepte, Methoden, Anwendungen

herausgegeben von: Betina Hollstein, Florian Straus

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Grundlagen

Qualitative Methoden und Netzwerkanalyse — ein Widerspruch?
Auszug
Das Konzept des sozialen Netzwerks hat in den letzten Jahrzehnten die unter-schiedlichsten Forschungsfelder erobert und Eingang in verschiedenste soziologische Teildisziplinen gefunden. Soziale Netzwerke sind Thema in der Stadt-und Gemeindesoziologie, der Migrations- und der Familienforschung, der Organisationssoziologie und der Wissenschafts- und Technikforschung, der Politischen Soziologie, der Freizeit-, Milieu- und Lebensstilforschung oder der neueren Diskussion um das Sozialkapital. Entsprechend sind auch die Untersuchungsgegenstände sehr unterschiedlich. Untersucht werden Kommunikations-netzwerke, die Formierung subkultureller Szenen und sozialer Bewegungen, lokale Machteliten, Netzwerke zwischen Organisationen, informelle Netzwerke innerhalb von Organisationen, persönliche oder private Netzwerke und verstärkt auch virtuelle Netzwerke.
Betina Hollstein
Das Allgemeine und das Besondere des Netzwerkes
Auszug
Netzwerke sind ubiquitär. Es gibt keinen Bereich in der Gesellschaft, in dem Netzwerke keine Rolle spielen. Sie reichen von Nachbarschaftsnetzwerken, Wirtschaftsförderungsnetzwerken über Wissenschafts- oder Gesundheitsnetzwerke, Frauennetzwerke, Antidiskriminierungsnetzwerke bis zu solchen Netzwerken, die gemeinhin als problematisch gelten, wie Schleuser- und kriminelle Beschaffungsnetzwerke. An einer solchen Liste fällt auf, dass es zum einen Netzwerke gibt, die positiv konnotiert sind und politisch, ökonomisch, rechtlich, aber auch wissenschaftlich als förderungswilrdig gelten, deren Aufbau also nicht lediglich sozial geschieht, sondern wiederkehrend zum Zweck erklärt wird. Zum anderen werden Netzwerke beobachtet, die als problematisch gelten und deren Verhinderung oder Zerstörung daher zum Ziel wird. Gleichgültig aber, ob positiv oder negativ bewertet, ob Wissenschaftler- oder Schleusernetzwerk, infrage steht meistens nicht, ob es sich um Netzwerke handelt. Worin besteht aber die Gemeinsamkeit von Wirtschaftsförderungsnetzwerken und kriminellen Beschaffungsnetzwerken? Namensgebungen für „Typen“ helfen nicht weiter, verdecken vielmehr erhebliche Unklarheiten. Man vermeidet dann anzugeben, was Netzwerke generell ausmacht und ob ihre Merkmale verallgemeinerbar sind.
Michael Bommes, Veronika Tacke
Virtuelle Netzwerke — eine neue Form der Vergesellschaftung?
Auszug
Netzwerke und grenzüberschreitende Vernetzung haben in einer sich globalisierenden Welt Konjunktur. Das exponentielle Wachstum computervermittelter elektronischer Kommunikation in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Alltag via Internet, e-mail und Mobiltelefonie lässt Räume schrumpfen, beschleunigt Informations-, Wissens- und Erfahrungsaustausch, erleichtert Transaktionen und vervielfältigt die Optionen zu bi- und multilateraler Kommunikation und zur Erweiterung sozialer Beziehungen. Vermittelt über die neuen Technologien ist damit ein eigenständiger virtueller Raum entstanden, der eine neue Wirklichkeitsdimension mit eigenen technisch determinierten und sozial-kulturell bestimmten Gesetzmäßigkeiten darstellt. Diese virtuelle Realität hat sich besonders in seiner Entstehungsphase als Projektionsfläche für vielfältige Spekulationen, Erwartungen, Hoffhungen und romantische Sozialutopien wie auch für Befürchtungen und Ängste vor Überwachung und Kontrolle gleichermaßen angeboten; mittlerweile sind computervermittelte Kommunikation und „Cyberspace“ in einer rasanten Entwicklung zu einem ganz normalen Bestandteil des Alltags moderner Gesellschaften geworden, dessen Auswirkungen zunehmend auch von den Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als eigenständiges Forschungsfeld unter vielfältigen Perspektiven empirisch untersucht werden. Als soziologische Untersuchungsperspektive bietet sich hier vor allem die Netzwerkforschung an, deren zentrales Thema Struktur, Aufbau und Qualität sozialer Beziehungen zwischen Personen und Organisationen ist.
Ernst von Kardorff
Die Rolle von Ideen und Deutungsmustern in der Politik: Wissenspolitologische Perspektiven auf Netzwerke
Auszug
In der politikwissenschaftlichen Governance-Debatte spielen „Netzwerke“ als Forschungskategorien unter Verweis auf die soziologischen Debatten um Struktur und Handlung sowie gesellschaftliche Mikro- und Makro-Ebenen eine große Rolle. Ihre spezifische Erscheinungsform wird dabei auf Fragen der politischen Steuerungsfähigkeit moderner Gesellschaften bezogen. Kennzeichnend für die Debatte ist die relative Heterogenität der theoretischen und konzeptionellen Zugänge. Der Netzwerk-Begriff scheint das Schicksal vieler zentraler Begriffe zu teilen: Weder gibt es eine standardisierte Definition, noch herrscht über den Nutzen des Begriffs als Metapher, Methode, Kategorie oder Theorie-Ansatz Einigkeit, weshalb Börzel eine „babylonische Bandbreite“ (Börzel 1998: 254, Übers. D.S.) des Begriffs konstatiert. Wer sich aufmacht, Politik-Netzwerke unter Rückgriff auf einen state of the art empirisch zu erforschen, hat hier sein erstes zu lösendes Problem. Ein zweites Problem entsteht, wenn der in der Politikwissenschaft seit Mitte der 1990er Jahre konstatierte interpretive turn (Nullmeier 1997; Checkel 1998; Maier 2003) zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht wird. Zentral für die Erweiterung der Perspektive unter diesem Stichwort ist die Relevanz, die „Ideen“, „Wissen“ und „Bedeutungen“ für den politischen Prozess zugesprochen wird, in der Überzeugung, dass Menschen auf Grundlage der Bedeutung, die Dinge für sie haben, handeln. In dieser Sicht wird die Rolle subjektiver Verarbeitungsweisen von gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeit betont.
Delia Schindler
Ein netzwerkanalytisches Vierebenenkonzept zur struktur- und akteursbezogenen Deutung sozialer Interaktionen
Auszug
Der vorliegende Beitrag stellt ein netzwerkanalytisches Vierebenenkonzept zur Diskussion, mittels dessen menschliche Interaktionen in ihrer sozialen Mehrdi-mensionalität erfassbar und deutbar werden. Insbesondere leistet dieses Konzept eine Verknüpfung der interaktionssoziologischen Akteursperspektive mit der strukturellen Perspektive auf die herrschenden Interaktionskonstellationen und übergeordneten Rahmenbedingungen. Beide Perspektiven besitzen ihre Berech-tigung und stehen eher in einem Ergänzungs- als in einem Konkurrenz- oder gar Ausschlussverhältnis.
Roger Häussling

Zum Verhältnis von quantitativer und qualitativer Netzwerkanalyse: Möglichkeiten der Triangulation

Möglichkeiten der Triangulation quantitativer und qualitativer Methoden in der Netzwerkanalyse
Auszug
Während die quantitative Netzwerkanalyse zum Standard der Methoden der empirischen Sozialforschung zählt, ist der Einsatz qualitativer Methoden in Netzwerkstudien nach wie vor unüblich. Dabei ist zu vermuten, dass durch ergänzende qualitative Forschungsstrategien zusätzlich zur Strukturbeschreibung die Untersuchung der sinnhaften Strukturierung von sozialen Prozessen und die Wirkung von Kontextfaktoren ermöglicht wird. In diesem Beitrag werden an einem Beispiel die Möglichkeiten der Triangulation quantitativer und qualitativer Methoden in der Netzwerkanalyse auf den Ebenen der Datenerhebung, Datenanalyse und Interpretation diskutiert. Ausgangspunkt ist der empirische Befund, dass bislang wenig qualitative Methoden vorliegen, welche originär für die Analyse relationaler Daten geschaffen wurden. Daher wird auf der Basis generischer qualitativer Methoden diskutiert, wie sich die Sinnhaftigkeit von Beziehungen, Strukturperzeptionen sowie Kontextfaktoren durch Triangulation erschließen lassen. Als Beispiel dient das Design eines Projektes zu Kooperationsstrukturen in der Forschung.
Karola Franke, Andreas Wald
Politiknetzwerke — Vorteile und Grundzüge einer qualitativen Analysestrategie
Auszug
Der Netzwerkbegriff hat in der sozialwissenschaftlichen Politikforschung eine herausgehobene Bedeutung erlangt. Damit reagieren Politikwissenschaftler und Soziologen auf die Tatsache, dass politische Willensbildung und Entscheidungs-findung stets eine Vielzahl von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ein-binden. Regieren ist eine Sache der politischen Verhandlung und Abstimmung vielfältiger und widerstreitender Interessen, Argumente oder Bewertungen und damit eine Sache der interorganisationellen Kooperation und Koordination. In diesem Sinne argumentiert die Forschung, dass man die Struktur eines Politik-feldes und damit die „Logik“ der darin entwickelten Politiken adäquat einfangen kann, indem man die Netzwerke, die sich zwischen den beteiligten politischen Organisationen entwickeln, herausarbeitet und analysiert (Knoke 1990; Weyer 2000).
Britta Baumgarten, Christian Lahusen
Netzwerkvisualisierung als Triangulationsverfahren bei der Analyse lokaler Weiterbildungslandschaften
Auszug
Der Netzwerkbegriff hat gegenwärtig im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung Konjunktur. Seit Ende der achtziger Jahre finden zunehmend Netzwerkkonzepte Eingang, die vor allem im Rahmen der Regionalentwicklung propagiert werden. Mit der Etablierung regionaler Kooperationsgeflechte werden die Lösung von Strukturproblemen und Innovationspotenziale erwartet. Beispielhaft für die Forderung nach einer stärkeren Vernetzung der verschiedenen Bildungsträger steht das Konzept der „Lernenden Region“.
Wolfgang Jütte

Formierung und Dynamik von Netzwerken

Entstehung und Funktionsweise eines regionalen Innovationsnetzwerks — Eine Fallstudienanalyse
Auszug
Wie regionale Innovationsnetzwerke entstehen, darüber ist noch immer wenig bekannt. Und das, obgleich Wissen zum „axialen Prinzip“ (Bell 1973: 41; Stehr 2000) der modernen Gesellschaft avanciert ist und sich dieses Wissen zugleich auf immer mehr spezialisierte Akteure verteilt (Rammert 2003), so dass etwa Werner Rammert für den Bereich der technischen Innovationen konstatiert, dass diese zunehmend „zwischen“ den für sie relevanten Wissensträgern in Netzwerken generiert und weiterentwickelt werden (Rammert 1997). Der implizite Charakter technischen Wissens wird für die erstaunliche „Inselbildung“ in der global vernetzten Welt verantwortlich gemacht: Weltweit bilden sich regionale Netzwerke, an denen eine Vielzahl innovativer Unternehmen einer Branche sowie entsprechend ausgerichtete Forschungsinstitute, Universitäten und Finanzdienstleister zu regionalen „Innovationsbrüten“ geworden sind. Regionale Netzwerke (Heidenreich 2000) werden — je nach dem Aspekt der gerade im Vordergrund steht oder dem theoretischen Ansatz innerhalb dessen der Begriff gebraucht wird — auch als innovative Milieus (Camagni 1991), Cluster (Swann u.a. 1998), industrial districts (Becattini 1990) und regionale Innovationssysteme (Cooke 2001) bezeichnet. Silicon Valley steht geradezu idealtypisch für diesen neuen Typus innovativer Regionen (Saxenian 1994).
Daniela Manger
Netzwerke religiöser Menschen — Die Dynamik von Wissensbeständen und Netzwerken religiöser Traditionen zwischen kollektiver Selbstabgrenzung und individueller Wahl
Auszug
Der folgende Artikel möchte eine grundlegende Skizze der Dynamik zwischen kollektiven Wissensbeständen und sozialen Netzwerken zeichnen. Die im Text geschilderten Beispiele sind qualitativen Forschungen zur Pluralisierung und Globalisierung der deutschen religiösen Gegenwartslandschaft entnommen. In diesen Projekten, die in ihrer theoretischen Perspektive wissenssoziologisch konzipiert waren, stießen wir quasi ‚nebenbei ‘auf den Erklärungswert, den die Ebene der sozialen Netzwerke auch für eine wissenssoziologische Perspektive hat. Das hatte zur Folge, dass wir uns der Frage zuwandten, wie Wissensbestände in religiösen Netzwerken verwaltet, weitergegeben oder zurückgewiesen werden. Da die Projekte durchwegs auf das Phänomen des Austauschs zwischen unterschiedlichen Netzwerken (und Wissensbeständen) fokussiert waren, standen noch zwei weitere Themen auf unserem Programm: Zum einen die Frage nach der Verbreitung von Wissenselementen und ihrer Integration in neue Wissensbestände und somit auch in neue Netzwerke und zum anderen die Frage nach der kreativen Vermittlungs- und Deutungsleistung der individuellen und kollektiven Akteure ‚zwischen ‘den Netzwerken.
Martin Engelbrecht
Prozesse sozialer Verortung in Szenen und Organisationen — Ein netzwerkorientierter Blick auf traditionale und reflexiv moderne Engagementformen
Auszug
Die Thematisierung verschiedener Formen des bürgerschaftlichen Engagements hat in den letzten Jahren (wieder) an Bedeutung gewonnen. Im Rahmen der theoretischen sozialwissenschaftlichen Aufarbeitung des bürgerschaftlichen Engagements, haben dabei netzwerkbezogene Argumentationen einen erheblichen, wenngleich keinen herausgehobenen Stellenwert eingenommen. Fur die Empirie gilt diese Einschränkung des Einflusses eines netzwerkbezogenen Blickwinkels noch stärker.
Renate Höfer, Heiner Keupp, Florian Straus

Migration, räumliche und virtuelle Mobilität

Quantitative und qualitative Veränderungen in den sozialen Netzwerken junger Migranten — Ergebnisse einer Langzeitstudie
Auszug
In einer Langzeituntersuchung (drei Befragungen innerhalb von acht Jahren) über den Verlauf des sozialen Akkulturationsprozesses junger russisch-jüdischer Migranten wurden zwei unterschiedliche Instrumente, Leitfadeninterviews und Netzwerk Questionnaire, zur Datengewinnung und -analyse verwendet. Während der Schwerpunkt der Interviews auf den subjektiven Einstellungen, Intentionen und Erfahrungen bezüglich sozialer Beziehungen liegt, zielt der Netzwerkfragebogen auf die quantitativ beschreibbare Netzwerkstruktur. Werden — wie hier geschehen — Interviews- und Netzwerkfragebogen getrennt ausgewertet, haben sie eine wechselseitige Ergänzungs- und Kontrollfunktion füreinander. In der Regel sollten die Ergebnisse aus Interview- und Netzwerkfragebogen übereinstimmen, gleichwohl können auch Diskrepanzen auftreten, die fallspezifisch aufzuklären sind.
Yvonne Schütze
Migration, Mobilität und Beziehung im Raum: Egozentrierte Netzwerkzeichnungen als Erhebungsmethode
Auszug
Das Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag qualitative Netzwerkzeichnungen leisten können, wenn es um die Frage sich verändernder räumlicher Mobilitäts- und Migrationsmuster geht. Dazu wird auf ein Projekt Bezug genommen, in dessen Rahmen österreichische WissenschaftlerInnen, die zum Untersuchungszeitpunkt in den USA arbeiteten, zu ihren Zukunftsperspektiven interviewt wurden. Sie wurden im Rahmen von qualitativen Interviews um eine grafische Darstellung ihrer wichtigsten InteraktionspartnerInnen gebeten, um die Einbettung in berufliche und private Netzwerke zu thematisieren.
Elisabeth Scheibelhofer
Topographien mobiler Möglichkeitsräume. Zur soziomateriellen Netzwerkanalyse von Mobilitätspionieren
Auszug
Modernisierungsdebatten zeichnen sich durch eine gewisse Abstinenz raumsoziologischer Fragen und Perspektiven aus. Zwar wird die Transformation kapitalistischer Gesellschaften in Verbindung mit Globalisierung, Entgrenzung, Netzwerkbildung und Virtualisierung diskutiert. Doch die geographisch-räumlichen Dimensionen dieser Entwicklungsprozesse bleiben nur allzu oft ausgeblendet.1 Das ist insofern bemerkenswert, als die Entstehung einer globalen Welt ein zutiefst raum-zeitliches Phänomen ist (vgl. Giddens 1996; Harvey 1989). Immer wieder wird von der Mobilisierung, gar der „Mobilmachung“ der Moderne gesprochen, und dies durchaus auch im Sinne einer physischen und räumlichen (vgl. Sloterdijk 1989; Urry 2000; Bauman 2000). Bislang werden jedoch Mobilität und Mobilisierung primär sozial verstanden und analysiert (Beck 1986, 1993, 2002; Zapf 1994, 1998). Die Dynamisierung und räumliche Entgrenzung sozialer Netwerke werden zwar bedacht und unter Begriffen wie sociospheres (Albrow 1996), socioscapes (Appadurai 1998) etc. diskutiert. Doch die Bedeutung geographischer Netze bzw. deren topographische Formierung und Konstellation werden meist nicht erhoben und von daher auch nicht analysiert und interpre-tiert.2 Darauf hat kürzlich John Urry unter dem Titel Social networks, travel and talk (Urry 2003) hingewiesen. Er thematisiert, dass die Netzwerkforschung sich einerseits Gedanken über die Bedeutung materieller Netze (wie Verkehrsverbindungen und I+K-technologische Netze) machen muss.
Sven Kesselring

Lebenslauf und Biographie

Freunde, Familie und das eigene Leben. Zum Einfluss sozialer Netzwerke auf die Lebens- und Familienplanung junger Erwachsener in Lübeck und Rostock
Auszug
Der Lebenslauf von Individuen wird durch den unmittelbaren sozialen Kontext der Freunde, Verwandten, Bekannten und Kollegen entscheidend geprägt. Zwischen der Makroebene der Gesellschaft und der Mikroebene des einzelnen Akteurs gelegen, stellt die Ebene des Netzwerks persönlicher Kontakte und Beziehungen eine besondere Herausforderung für die empirische Lebenslaufforschung dar. Dabei ist davon auszugehen, dass gerade diese alltäglichen Kommunikations-, Unterstützungs- oder Erlebnisnetzwerke eine wichtige Grundlage zum Verständnis individueller Pläne, Motive oder Entscheidungen bilden. Je nach sozialem Umfeld werden beispielsweise unterschiedliche Vorstellungen und Normen gelten, zu welchem Zeitpunkt, auf welche Weise und in welcher Abfolge bestimmte Lebensereignisse wie die Gründung einer Familie auftreten sollten. Diese für den individuellen Lebenslauf so entscheidenden Orientierungen werden für den Einzelnen durch den sozialen Kontakt mit seinen Mitmenschen erfahrbar, werden durch die soziale Interaktion reproduziert, aber auch verändert.
Laura Bernardi, Sylvia Keim, Holger von der Lippe
Soziale Netzwerke im Fokus von qualitativen Sekundäranalysen — Am Beispiel einer Studie zur Biografiegestaltung junger Erwachsener
Auszug
Am Beispiel einer Studie zur Biografiegestaltung junger Erwachsener soll in diesem Artikel erörtert werden, wie soziale Netzwerke im Rahmen von qualitativen Sekundäranalysen auf der Basis eines Datenbanksystems untersucht werden können. Dabei soll insbesondere aufgezeigt werden, welche Chancen mit einer Re-Analyse von weit angelegten Studien verbunden sind, in denen soziale Netzwerke eher implizit thematisiert wurden und nicht explizit im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen.
Thomas Kühn
„Dresdner Bewältigungsvignetten“ — Ein qualitatives Erhebungsinstrument zur Erfassung kindlicher Hilfesuch- und Bewältigungsstrategien
Auszug
Soziale Netzwerkbeziehungen und soziale Unterstützungserfahrungen sind eng an persönliche Bewältigungsstile und -kompetenzen gebunden. Persönliches Coping und soziale Unterstützung sind zwar differenzierbare Konstrukte (Vaux 1988), es wird jedoch davon ausgegangen, dass gerade im Rahmen der stressreduzierenden Funktionen sozialer Unterstützung auch emotionale, kognitive und handlungsbezogene Copingfunktionen aufgehoben sind (Shumaker/ Brownell 1984) und dass es auch spezifischer persönlicher Bewältigungshaltungen und -kompetenzen bedarf, soziale Netzwerke aufbauen und pflegen zu können sowie deren soziale Unterstützungsressourcen wahrzunehmen, zu aktivieren und zu nutzen.
Jillian Werner, Steve Stiehler, Frank Nestmann

Dokumentenanalysen

Zur Bedeutung sozialer Netzwerke für die Konstruktion biographischer Sicherheit
Auszug
Persönliche soziale Netzwerke erfüllen viele Funktionen. In der biographischen (Un-) Sicherheitsforschung zeigt sich ihre herausragende Bedeutung darin, dass durch sie Gewissheit erzeugt werden kann. Denn wen wir kennen, wem wir vertrauen und auf wen wir glauben, uns verlassen zu können, beeinflusst unmittelbar unser Empfinden von Sicherheit (Diewald 1991). Gerade die Unterstützung, die das informelle Netzwerk verspricht, scheint besonders wichtig für ein subjektives Gefühl von Sicherheit. Auf welche Weisen die subjektiven Deutungen des eigenen Netzwerks zur biographischen Sicherheit bzw. Gewissheit beitragen und welche Wandlungstendenzen sich diesbezüglich im letzten Jahrhundert ergeben haben, sind zentrale Forschungsfragen der Studie „Vom sicheren zum unsicheren Leben? Ein historischer Vergleich von Künstlerbiographien“, die hier als Beispiel für eine qualitative Netzwerkanalyse vorgestellt wird.1
Helga Pelizäus-Hoffmeister
Die Netzwerkanalyse literarischer Texte — am Beispiel Thomas Manns „Der Zauberberg“
Auszug
Die Netzwerkanalyse ist in ihrer heutigen Forschungspraxis zwischen verschiedenen Fächern angesiedelt, so dass diese auf vielfältige Weise Einfluss auf den Forschungsprozess nehmen. Von Genogrammen in den psychologisch-sozialpädagogischen Bereichen über die Soziogramme bis hin zu den unterschiedlichen Strukturanalysen der Sozialwissenschaften haben sich im Laufe der Jahrzehnte vielfältige Theorien und Methoden herausgebildet. Zu solchen neu eroberten Gebieten gehört die Netzwerkanalyse von Dokumenten und literarischen Texten. John F. Padgett und Christopher K. Ansell (1993) haben in den neunziger Jahren die Wurzeln der Familie Medici im 15. Jahrhundert in den Florentiner Elitefamilien mit Hilfe einer Dokumentenanalyse nachgezeichnet. Dabei haben sie die Sozialbeziehungen von 92 Florentiner Familien nach verschiedene Typen erhoben, wie z.B. Verwandtschaftsbeziehungen, Heiratsbeziehungen, ökonomischen und politischen Beziehungen sowie die Freundschaftsbeziehungen (vgl. Padgett/Ansell 1993). Die soziale Einbettung der Florentiner Elitefamilien des 15 Jahrhunderts retrospektiv mit Hilfe von überlieferten Dokumenten zu studieren, eröffnete einen völlig neuen Blick auf den örtlich begrenzten, vielfältigen und widersprüchlichen Charakter des Lebens in dieser Zeit. Die Heterogenität der örtlichen Aktionen, Netzwerke und Identitäten erklärt zum einen warum ein Zusammenschluss erst im nach hinein prognostizierbar ist und zum anderen wie politische Macht geboren wurde.
Marina Hennig

Resümee

Entwicklungslabor qualitative Netzwerkforschung
Auszug
In einer der Diskussion am Rande des Münchner Sonderforschungsbereichs „Reflexive Modernisierung” hatten Betina Hollstein und ich die Idee für einen Workshops zur qualitativen Netzwerkanalyse. Wir hatten beide gerade längere Zeit zum Netzwerkthema gearbeitet und dabei den Eindruck gewonnen, dass es sich lohnen würde, in einem vermutlichen kleinen Zirkel der qualitativen Netzwerkanalytiker zu einem Erfahrungsaustausch zusammen zu kommen. Da solche Vorhaben bekanntlich schnell gefasst, in der Umsetzung aber etwas dauern, wurde es schließlich eine ad-hoc Gruppe auf dem Soziologenkongress in München im Herbst 2004. Bereits beim call for papers waren wir überrascht, wie viele Meldungen es zu den unterschiedlichsten Themenfeldern gab. Diese konnten wir im Rahmen der ad-hoc-Gruppe nur zum Teil berücksichtigen. Dies war die Geburtsstunde für dieses Buch. Im Verlauf der Planung und ersten Entstehungsphase wuchs die Zahl der Beiträge und damit auch der Buchumfang noch einmal beträchtlich. Bemerkenswert war letztlich nicht nur die Zahl der Studien (das Buch hätte auch noch deutlich mehr Umfang annehmen können), sondern die Vielfalt der Ansätze, auf die Betina Hollstein in der Einleitung bereits eingegangen ist. Damit wurde es möglich, dieses Buch nicht als Reader, sondern als Handbuch und damit als erste systematische Aufarbeitung der Möglichkeiten qualitative Forschungsmethoden für die Analyse von sozialen Netzwerken zu konzipieren
Florian Straus
Backmatter
Metadaten
Titel
Qualitative Netzwerkanalyse
herausgegeben von
Betina Hollstein
Florian Straus
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90074-2
Print ISBN
978-3-531-14394-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90074-2

Premium Partner