1 Einleitung

Unter Psychotherapeut*innen gilt Supervision als wesentlicher Bestandteil einer ethisch und professionell angemessenen Psychotherapie und viele berufspolitische Verbände und Organisationen verlangen eine lebenslange berufsbegleitende Supervision (Strauß et al. 2010, S. 455). Auch unter Coaches wird der Ruf nach einer Form der Professionalisierung des Beratungsformats immer lauter (z. B. Hullinger und DiGirolamo 2020, S. 2; Kotte 2018, S. 573). De Haan (2012, S. 5) postuliert Supervision als die Methode zur Qualitätssicherung von Coaching. Clutterbuck et al. (2016, S. 6–7) vertreten die Meinung, dass nicht nur der Umgang mit potenziell schwierigen Beratungssituationen (sogenannte „tricky situations“, S. 6) ein Grund dafür ist, Supervision in Anspruch zu nehmen, sondern dass regelmäßige Supervision – auch für erfahrene Kolleg*innen – sicherstellt, dass ethische Standards der Beratung eingehalten werden. Einige Praktiker*innen sehen eine Notwendigkeit darin, dass Personen, die helfende Berufe ausüben – u. a. Coaches, Berater*innen, Mentor*innen –, ihre eigenen Ressourcen stärken müssen, um in der Lage zu sein, die Ressourcen ihrer Klient*innen stärken zu können („the need for self-resourcing to resource others“, Turner und Palmer 2019, S. V). Dies kann unter anderem durch die Inanspruchnahme von Supervision geschehen.

Der vorliegende Artikel soll einen Einblick in den aktuellen Stand der Empirie zur Supervision für Psychotherapeut*innen und Coaches liefern. Der Fokus liegt hier auf der Forschung zum Nutzen der Supervision in beiden Anwendungskontexten. „Nutzen“ wird definiert als der „Vorteil, Gewinn, Ertrag, den man von einer Tätigkeit, dem Gebrauch von etwas (…) hat“ (Duden 2021a). Wir gehen auf exemplarische relevante Forschungsergebnisse ein, die beleuchten, welchen Vorteil, Gewinn oder Ertrag sowohl die Supervisand*innen selbst als auch ihre Klient*innen von der Inanspruchnahme von Supervision haben können. Hierbei berücksichtigen wir ebenfalls Hinweise auf einen „negativen“ Nutzen, sprich ggf. entstehende Nachteile. Wir gehen der Frage nach, ob sich die Aussagen und Einschätzungen der oben zitierten Autor*innen durch bisherige empirische Ergebnisse stützen lassen und ob sich die Forderung einiger Berufsverbände (u. a. Coachingverbände), regelmäßig Supervision in Anspruch zu nehmen, durch Studien unterfüttern lässt.

2 Definitionen

Der Begriff Supervision leitet sich vom Mittellateinischen Wort supervisio (auf Deutsch: Aufsicht) ab (Etymonline 2021). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Supervision auch als „Beratung und Beaufsichtigung von Psychotherapeuten“ (Duden 2021b) beschrieben. Im Englischen spricht man in diesem Zusammenhang von clinical supervision. Es existieren für das Beratungsformat Supervision zahlreiche, mitunter unterschiedliche Definitionen und Anwendungskontexte. Wir beziehen uns im Rahmen des vorliegenden Artikels auf die folgenden beiden Definitionen, um Psychotherapeutische Supervision und Coaching-Supervision zu beschreiben.

Psychotherapeutische Supervision: Eine intensive Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen, im Rahmen derer eine (oder mehrere) Person(en) die Aufgabe hat/haben, die Entwicklung der therapeutischen Kompetenzen der anderen Person(en) zu fördern (Nodop et al. 2010, S. 485).

Coaching-Supervision: Ein Prozess, durch den Coaches sich mit Hilfe von Supervisor*innen damit befassen, sowohl das Klient*innen-System als auch sich selbst als Teil des Klient*in-Coach-Systems besser zu verstehen und dadurch die eigene Arbeit zu reflektieren und Fähigkeiten zu entwickeln (Hawkins und Smith 2006, S. 12).

Entsprechnend der letzten Definition sind informellere Formen des Austauschs zur Reflexion der Coachingpraxis nicht Gegenstand dieses Artikels. Laut Kotte und Zimmermann (2022) inkludiert Coaching-Supervision sowohl die Ausbildungs- oder Lehrsupervision zur Reflexion erster eigener Coachingprozesse im Rahmen von Coachingweiterbildungen sowie die berufsbegleitende Kontrollsupervision zur Reflexion der fortlaufenden Coachingpraxis von erfahrenen Coaches.

Es ist darüber hinaus anzumerken, dass der Begriff Coaching in der Theorie und Praxis der Beratungsform nicht einheitlich verwendet wird; dies spiegelt sich in den bestehenden Begriffsdefinitionen (Greif et al. 2018, S. 1 ff.) wider. Während Psychotherapie – die auf die Behandlung psychischer Störungen sowie psychisch bedingter körperlicher Beschwerden abzielt – in zahlreichen Ländern gesetzlich reguliert ist, ist Coaching eine weniger stark abgegrenztes Tätigkeitsfeld. Wir orientieren uns im vorliegenden Artikel an der Definition von Greif (2008, S. 59), der Coaching als

eine intensive und systematische Förderung ergebnisorientierter Problem- und Selbstreflexionen sowie Beratung von Personen oder Gruppen zur Verbesserung der Erreichung selbstkongruenter Ziele oder zur bewussten Selbstveränderung und Selbstentwicklung (Greif 2008, S. 59; Hervorhebungen im Original)

beschreibt.

3 Funktionen von Supervision

Milne und Watkins (2014, S. 4) identifizieren drei Funktionen und Ziele von Supervision für Psychotherapeut*innen: Eine normative, formende und stärkende Funktion. Im Rahmen der normativen Funktion soll die Qualität der psychotherapeutischen Tätigkeit überprüft werden, während durch die formende Funktion die therapeutischen Kompetenzen verbessert werden sollen. Die stärkenden Elemente der Supervision umfasst unter anderem die emotionale Unterstützung von Supervisand*innen. Die Autoren betonen, dass alle Funktionen dem übergeordneten Ziel dienen, Patient*innen eine sichere und effektive Psychotherapie anbieten zu können.

Auch der Coaching-Supervision werden drei Funktionen zugeschrieben (Hawkins und Smith 2006, S. 12; Kotte 2018, S. 577): Eine entwicklungsbezogene, unterstützende und qualitätssichernde Funktion. Durch die entwicklungsbezogene Komponente sollen Supervisand*innen in ihrer professionellen Entwicklung (d. h. in ihrer Fach- und Prozesskompetenz) unterstützt werden. Indem Supervisor*innen ihren Supervisand*innen einen sicheren Ort für die Reflexion ihrer Beratungstätigkeit ermöglichen, unterstützen und begleiten sie sie. Supervision dient somit der Entlastung, Psychohygiene und Stärkung der Supervisand*innen. Um die Qualität der Dienstleistung sicher zu stellen, geben Supervisor*innen eine dritte und unabhängige Perspektive auf das Geschehen zwischen Berater*in und Klient*in. Professionelle und ethische Standards der Beratung werden reflektiert. Diese drei hier ausgeführten Funktionen lassen sich nicht nur theoretisch herleiten und begründen, sie finden sich auch in empirischen Untersuchen wider (u. a. Jepson 2016, S. 136; Passmore und McGoldrick 2009, S. 157). Jepson (2016, S. 136–137) beispielsweise fand in ihrer Untersuchung, dass Coaches die entwicklungsbezogene Komponente (in Form von kontinuierlichem Wachstum und Entwicklung der eigenen Praxis) als besonders wichtig einschätzten. Darüber hinaus zeigt sich u. a. bei einer weiteren Befragung von Coaches, dass Supervision für einige von ihnen explizit zum sozialen Austausch und zur Überwindung der sozialen Isolation dient, die mit der Tätigkeit als Coach verbunden sein kann (Zimmermann et al. 2022, S. 14). Es ist entsprechend davon auszugehen, dass weitere Funktionen von Coaching-Supervision bestehen. So wird von einzelnen Autor*innen beispielsweise auch der reflektierende Dialog und die vertiefenden Reflexion als eine weitere, eigenständige Funktion diskutiert (Bachkirova et al. 2020, S. 38–39).

4 Möglicher Gegenstand von Supervision

Was in einer Supervision im Fokus stehen kann, soll an dieser Stelle kurz exemplarisch anhand des „7-eyed supervisor model“ (u. a. Hawkins und Smith 2006, S. 157–176) verdeutlicht werden. Auch wenn zahlreiche weitere Supervisionsmodelle existieren, ermöglicht das „7-eyed supervisor model“ einen guten Überblick über verschiedene Bereiche, die im Rahmen einer Supervision tiefgehender beleuchtet werden können. Nach diesem Modell lassen sich sieben Bereiche unterscheiden. Zu nennen sind hier:

  • Klient*innen der Supervisand*innen,

  • Interventionen der Supervisand*innen,

  • Beziehungsdynamiken (zwischen SupervisiandInnen und ihren Klient*innen),

  • Person der Supervisand*innen,

  • Spiegel- oder Parallelprozesse (die sich in der Supervision ergeben),

  • Selbstreflexion der Supervisor*innen,

  • systemischer Kontext.

5 Einblicke in die Forschung

Es wurde in einschlägigen Datenbanken (z. B. Google Scholar, PsycInfo) mit deutsch- und englischsprachigen Suchbegriffen und Schlagwörtern (z. B. „coaching supervision“, „clinical supervision“, „Nutzen von Supervision“) nach Literatur gesucht. Tab. 1 gibt einen Überblick über alle empirischen Studien, die einbezogen und im Folgenden erläutert werden.

Tab. 1 Übersicht der integrierten Fachartikel

5.1 Psychotherapeutische Supervision

Supervision gilt als wesentlicher Bestandteil einer ethisch und professionell angemessenen Psychotherapie (Strauß et al. 2010, S. 455). Die hohe Bedeutung, die der Supervision von Seiten praktizierender Psychotherapeut*innen, Supervisor*innen und Therapieausbildungsinstituten zugeschrieben wird (u. a. Nodop et al. 2010; Ochs et al. 2012), steht jedoch im Kontrast zu der bisher eher schwachen und teilweise widersprüchlichen empirischen Befundlage bezüglich der tatsächlichen Wirkung von Supervision (Kühne et al. 2019, S. 54; Möller et al. 2017, S. 89). Milne und Reiser (2012) plädieren für eine evidenzbasierte Supervisionspraxis, auch wenn dies von manchen Praktiker*innen kritisiert wird (z. B. aufgrund von Skepsis gegenüber der externen Validität von Forschungsergebnissen). Die Autoren sehen die Notwendigkeit einer auf Forschungsergebnissen basierten Supervisionspraxis, um den Nutzen für Supervisand*innen sicherzustellen und die Effektivität des Beratungsformats zu steigern (S. 143).

Bisherige empirische Untersuchungen der klinischen Supervisionspraxis beziehen sich häufig nur auf die Aus- und Weiterbildungsphase von Psychotherapeut*innen (Strauß et al. 2010, S. 456). Bestehende Forschungsergebnisse bestätigen neben einer allgemeinen Zufriedenheit mit der Supervision (Kühne et al. 2019, S. 57) positive Effekte von Supervision für Psychotherapeut*innen-in-Ausbildung, die sich u. a. in Form einer gesteigerten Effektivität von angewandten Interventionen und höheren Outcomes für Patient*innen zeigten (Callahan et al. 2019, S. 154, 156).

Ergebnisse vergangener Befragungen (z. B. Ochs et al. 2012, S. 217) zeigen, dass auch ein Großteil von bereits approbierten Psychotherapeut*innen regelmäßig informelle Intervision mit Kolleg*innen oder formelle professionelle Einzelsupervision mit Supervisor*innen in Anspruch nimmt. Diese Psychotherapeut*innen berichten, einen positiven Nutzen von Supervision zu erleben, zum Beispiel für:

  • die stetige berufliche Weiterentwicklung,

  • die Qualitätssicherung der eigenen Tätigkeit,

  • den besseren Umgang mit der eigenen Isolation, die bei der therapeutischen Tätigkeit in der Einzelpraxis erlebt wird (ebd., S. 218–219).

Studienergebnisse über den statistischen Zusammenhang von Supervision und Therapie-Outcome für Patient*innen beschreiben Möller et al. (2017, S. 94) insgesamt als spärlich und inkonsistent; hieran hat sich auch durch die jüngste Forschung nach Kenntnisstand der Autor*innen nichts geändert. Es ist somit noch weitestgehend ungeklärt, ob Psychotherapeut*innen, die Supervision in Anspruch nehmen, auch tatsächliche bessere Psychotherapie anbieten, was sich zum Beispiel in der Form äußern könnte, dass ihre Patient*innen nach Ende der Therapie weniger Symptomatik berichten. Auch aus Sicht von Callahan et al. (2019, S. 156) und Kühne et al. (2019, S. 63) ist der aktuelle Bestand an Empirie zur klinischen Supervision weiterhin überschaubar. Hier bedarf es langfristig weiterer Forschung, vor allem jenseits des Ausbildungskontextes.

Zudem ist es als kritisch zu erachten, dass in der Supervisionsforschung retrospektive Selbstauskünfte von Supervisand*innen überwiegen (Möller et al. 2017, S. 89; Schigl 2016, S. 83). Selbstauskünfte von beteiligten Parteien unterliegen häufig Verzerrungen wie der sozialen Erwünschtheit (z. B. Paulhus und Vazire 2007) und sind daher als objektive Quelle zu hinterfragen. So ist es auch denkbar, dass Supervisand*innen die Nützlichkeit der Supervision überschätzen, da sie viel Zeit und Geld in die Maßnahme investiert haben oder die Befragung von ihren Supervisor*innen initiiert wurde (Schigl 2016, S. 83).

Strauß et al. (2010, S. 456) kritisieren des Weiteren, dass unter anderem das bewusste Verschweigen bestimmter Themen in der Supervision (z. B. aufgrund von Angst der Supervisand*innen, negativ bewertet zu werden) bisher zu wenig Beachtung in der Forschung erhalten hat. De Luca (2021) greift dieses Thema auf, indem sie die Geheimnisse von 74 Psychotherapeut*innen in Ausbildung (PiAs) empirisch untersuchte. Die Ergebnisse zeigen, dass viele der befragten PiAs sich beispielsweise nicht trauten anzusprechen, dass sie:

  • eine Supervision als wenig hilfreich erlebten (n= 35),

  • sich während einer Supervision nicht ernst genommen fühlten (n= 21),

  • in den eigenen psychotherapeutischen Konzeptionen von denen der Supervisor*innen abwichen (n= 18),

  • aggressive Gegenübertragungsgefühle gegenüber den Supervisor*innen empfanden (n= 16),

  • die Schweigepflicht verletzten (d. h. außerhalb des Ausbildungs- oder Therapiekontextes über Patient*innen gesprochen haben; n= 12),

  • Zweifel an ihrer Fachkompetenz hegten (n= 10).

Als Motive für das Geheimhalten gaben die Befragten häufig u. a. Scham, Bedenken um das eigene Ansehen, Selbstschutz und Angst an, als gewünschte Eigenschaften und Kompetenzen von Supervisor*innen Offenheit, Wertschätzung und Vertrauen (De Luca 2021). Dass eine Supervision Scham und Angst auslösen und mit diesen Affekten konfrontieren kann (z. B. Friesel-Wark 2013; Möller 1998), sollte nicht unterschätzt werden.

Erste Untersuchungen im psychosozialen und sozialpädagogischen Bereich deuten darauf hin, dass Supervision möglicherweise auch unerwünschte, irritierende oder störende Effekte haben kann (Schigl 2016, S. 88). So könnte es Supervisor*innen an Kompetenz mangeln, während sie (Schigl 2016, S. 87):

  • ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen (und dadurch z. B. falsche Ratschläge erteilen, finanzielle Ressourcen der Supervisand*innen „verschwenden“, dem Ruf von supervisorischen Interventionen schaden),

  • Situationen im Gruppensupervisionssetting nicht gewachsen sind (und dadurch z. B. in dysfunktionale Gruppengeschehnisse nicht zielführend eingreifen, Konflikte innerhalb von Teams verhärten),

  • sich unethisch, indiskret und intransparent verhalten (z. B. vertrauliche Informationen aus der Supervision an Dritte weitergeben).

Die Folgen äußern sich laut Schigl (2016, S. 83) schlimmstenfalls in psychischen Verletzungen und der Beeinträchtigung der Integrität einzelner oder mehrerer Supervisand*innen. Bezüglich psychotherapeutischer Supervision beschreiben Kühne et al. (2019, S. 61) in ihrem systematischen Literatur-Review, in welchem sie die Ergebnisse von insgesamt 19 Studien zusammenfassen, dass in den meisten bisher durchgeführten Studien zur Wirksamkeit von Supervision keine negativen Effekte oder ungewollte Nebenwirkungen berichtet werden. Die Autor*innen merken an, dass dies möglicherweise eher darauf hindeutet, dass es hierzu noch zu wenig Forschung gibt, als dass diese nicht auftreten (Kühne et al. 2019, S. 61).

5.2 Coaching-Supervision

Hawkins et al. (2019, S. 5) postulieren, dass Coaching-Weiterbildungen lediglich den ersten Baustein für die professionelle Weiterentwicklung von Coaches – oder romantischer ausgedrückt –, für die Reise, auf die sich Coaches einlassen, legen, und es einer kontinuierlichen professionellen Weiterentwicklung bedarf. Zu einem ähnlichen Urteil kommen Gannon und Myers (2018, S. 479), die sich mit den verschiedenen Weiterbildungsmaßnahmen im Coachingbereich auseinandersetzen und schlussfolgern, dass diese Aus- und Weiterbildungen lediglich einen Startpunkt markieren.

Im Rahmen einer europaweiten Umfrage aus dem Jahr 2017 gaben 35 % der befragten Coaches aus Deutschland an, regelmäßig formelle Supervision in Anspruch zu nehmen, um ihre eigene Berufspraxis zu reflektieren (Passmore et al. 2018, S. 10). Die teilnehmenden deutschen Coaches lagen damit über dem ebenfalls in der Umfrage ermittelten europäischen Durchschnitt (30 %). Befragt nach der Häufigkeit der Inanspruchnahme von Coaching-Supervision, ergab sich in einer weiteren Studie eine deutlich höhere Nutzer*innenquote (82 % bei 121 Befragten; Zimmermann et al. 2022, S. 8). Untersucht wurden ausschließlich Coaches aus dem deutschsprachigen Raum. Möglicherweise deuten die unterschiedlichen Zahlen darauf hin, dass Coaching-Supervision häufig eher unregelmäßig und mit längeren zeitlichen Abständen in Anspruch genommen wird.

Im Jahr 2009 stellten Passmore und McGoldrick (S. 145) die Frage: „Supervision, extra-vision or blind faith?“ (auf Deutsch: Super-Vision, Extra-Vision oder blindes Vertrauen?), um die unterschiedlichen und zum Teil unklaren Erwartungen von Supervisand*innen an das Format Coaching-Supervision abzubilden. Verglichen mit der Forschung zur psychotherapeutischen Supervision ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Coaching-Supervision deutlich jünger (Hawkins et al. 2019, S. 8). Seit den ersten themenspezifischen Arbeiten aus den frühen 2000er Jahren wurden bisher wenigstens vier Literatur-Reviews verfasst (Bachkirova et al. 2020; Joseph 2016; Moyes 2009; Tkach und DiGirolamo 2017). Die Autor*innen des zu diesem Zeitpunkt aktuellsten systematischen Literatur-Reviews (Bachkirova et al. 2020) ziehen als Fazit (S. 46 ff.), dass die bisher vorliegende Forschung zur Wirksamkeit von Coaching-Supervision zwar noch am Anfang steht (d. h. es mangelt an belastbarer Evidenz und aussagekräftigen Erfolgsmaßen), die Ergebnisse von insgesamt 68 zusammengefassten Studien – u. a. 13 zum Nutzen von Supervision – aber darauf hindeuten, dass Supervision einen positiven Nutzen für Coaches haben könnte. So zeigten zum Beispiel Müller et al. (2020), dass der Zusammenhang von arbeitsbezogenem Stress (z. B. geäußert in Form von Rumination über Coaching-Klient*innen in der Freizeit) und der erlebten Arbeitszufriedenheit für Coaches abgepuffert wird, wenn diese Supervision in Anspruch nehmen. Das heißt: Selbst bei überdurchschnittlichem Stress sind diejenigen Coaches, die Supervision in Anspruch nehmen, zufrieden mit ihrer Tätigkeit als Coach, während Coaches ohne Supervision berichten, unterdurchschnittlich zufrieden zu sein. Die Autor*innen vermuten, dass die Ressourcen-Funktion der Supervision Grund für den positiven Effekt sein könnte (Müller et al. 2020, S. 25). So ist es Coaches im Rahmen von Supervision möglich, ihre Gedanken über Klient*innen mit ihren Supervisor*innen zu besprechen und mit diesen Gedanken besser abzuschließen. Besonders in Phasen, in denen Coaches sich durch ihre Coachingtätigkeit gestresst fühlen, könnte es also helfen, wenn sie eine/n SupervisorIn ihres Vertrauens aufsuchen. In einer weiteren Studie (Graßmann und Schermuly 2018) wurde der Zusammenhang von Supervision und negativen Effekten von Coaching für den Coach (z. B. emotionale Erschöpfung) untersucht. Die Autor*innen fanden (S. 83), dass neurotische Coaching-Noviz*innen mehr negative Effekte von ihrer Coachingtätigkeit berichteten, dieser Effekt sich aber nicht zeigte, wenn sie durch Supervision begleitet wurden. Supervision stellt womöglich also eine Präventionsmaßnahme dar – vor allem für Coachinganfänger*innen.

Im Rahmen einer länderübergreifenden Erhebung befragten McAnally et al. (2020) Coaches dazu, was sie an Einzel- (S. 15) und Gruppensupervision (S. 23) schätzen.

Am häufigsten nannten die Befragten im Zusammenhang mit Einzelsupervision:

  • gelernte neue Perspektiven, Einsichten und Ansätze,

  • die Möglichkeit, sich selbst weiterzuentwickeln,

  • Zeit und Raum zum Nachdenken zu haben.

Im Zusammenhang mit Gruppensupervision berichteten sie über:

  • einen tieferen Einblick,

  • die Tatsache, etwas gelernt zu haben,

  • geteilte Erfahrungen.

Bachkirova et al. (2020, S. 45) kritisieren an den bisherigen Forschungsergebnissen, dass lediglich die positiven Effekte der Coaching-Supervision auf Coaches untersucht wurde. Das heißt, die Untersuchung der Nutzen für andere durchaus relevanten Stakeholder wie Klient*innen, die Organisation der Klient*innen und die Professionalisierung von Coaching wurden bisher in der Forschung vernachlässigt. Es sollte an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass derartige Untersuchungen methodisch sehr anspruchsvoll bis kaum zu realisieren wären.

Zudem ist es bisher weitestgehend unklar, welche Faktoren beeinflussen, ob Coaching-Supervision von Supervisand*innen als sinnvoll erachtet wird. Erste empirische Studien deuten darauf hin, dass zum Beispiel eine Supervisionsausbildung der Supervisor*innen (Passmore und McGoldrick 2009, S. 160) und die Bereitschaft sowie das Vertrauen der Coaches selbst, sich auf einen Supervisionsprozess einzulassen (McGivern 2009, S. 33) positive Effekte auf die Wirksamkeit haben könnten.

6 Fazit

Auch wenn es ohne Frage noch weiterer Forschung zur Wirksamkeit von Supervision bedarf, deuten bisherige Forschungsergebnisse auf einen Nutzen von Supervision – im Sinne positiver Effekte – hin, sowohl für Psychotherapeut*innen (und Psychotherapeut*innen-in-Ausbildung) als auch für Coaches (und Coach-Noviz*innen). Das bisherige Fehlen einer belastbaren empirischen Fundierung der Wirksamkeit ist nicht als Indiz für die Unwirksamkeit zu werten.

Im Rahmen einer Literaturrecherche stießen wir ebenfalls auf einzelne Studien, die auf negative Effekte des Beratungsformats hindeuten. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass es nicht nur noch weiterer Empirie zu positiven Effekten, sondern auch Forschungsarbeiten wie von Schigl (2016) zu unerwünschten, irritierenden oder störenden (Neben)Wirkungen des Beratungsformats Supervision im psychotherapeutischen und Coaching-Setting bedarf. Bisherige Studien unterstreichen: Auch für die Supervision selbst sind qualitätsfördernde Maßnahmen von Nöten (beispielsweise eine kontinuierliche Weiterbildung der Supervisor*innen und eine Reflexion der Supervisionsprozesse, unterstützt durch Dritte).

Es deutet sich an, dass der Nutzen der Beratungsform Supervision das Risiko negativer Effekte übersteigt. Auf Basis bisheriger Studien plädieren wir aus diesem Grund für die Inanspruchnahme von Supervision, während wir Praktiker*innen gleichzeitig dazu auffordern möchten, ihrem Bauchgefühl bei einer möglichen Skepsis gegenüber der Intervention und/oder der Supervisor*innen (z. B. fehlendes Vertrauen) wahrzunehmen und dementsprechend zu handeln (z. B. Irritationen ansprechen, ggf. Wechsel der Supervisor*innen).