Der Fortschritt bei den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eliminiert weitestgehend ökonomische Handlungseinschränkungen und schafft völlig neue Handlungsmöglichkeiten. Das führt zu Innovationen, die bislang schlicht unvorstellbar waren (Schellinger et al.
2019). Dieser Vorgang wird als „digitale Transformation“ bezeichnet und wird vom MIT Center of Digital Business als Einsatz neuer digitaler Technologien (z. B. soziale Medien, mobile Kommunikationsgeräte, integrierte Sensoren, Cloud-Computing) zur signifikanten Verbesserung und zur Steigerung der Leistung von Geschäftsprozessen (z. B. Verbesserung der Kundenerfahrung, Rationalisierung des Betriebs oder Erstellung neuer Geschäftsmodelle) definiert (Fitzgerald et al.
2014). Augmented Reality (AR) ist eine der Schlüsseltechnologien der digitalen Transformation im industriellen und nicht-industriellen Umfeld. AR ist die Technologie, die die physische Welt durch rechnergenerierte, wahrnehmbare digitale Objekte erweitert, um eine interaktive Anwendererfahrung in der realen Welt zu ermöglichen. Durch die rasante Entwicklung von Displayhardware, neuen Interaktionsgeräten und Trackingsystemen werden heute Virtual und Augmented Reality Anwendungen entwickelt, die vor wenigen Jahren ausschließlich in großen Forschungslaboren realisierbar gewesen wären (Dörner et al.
2013). AR hat inzwischen in vielen Branchen und Geschäftsprozessen wie z. B. Handel, Vertrieb, e‑Commerce, Tourismus, Produktion, Logistik, Training, Einzug gefunden. Ein Hauptvorteil der AR-Anwendung besteht darin, Anwender in den betrachtenden Prozessen und Systemen durch hoch performante Display- und Anwendertracking- und UI-Funktionen vollständig zu integrieren und sich als Teil eines Erlebnisses zu fühlen. Der Einsatz von AR hilft dabei, räumliche Wahrnehmung von komplexen technischen und naturwissenschaftlichen Systemen im Vergleich zur einfachen 2D-Desktoppräsentation zu verbessern und somit komplexe Sachverhalte greifbarer und verständlicher abzubilden. Mehrere wissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass AR die menschlichen sensorischen Fähigkeiten fördert und die erforderliche kognitive Anstrengung reduziert, die für die Vorstellung komplexer Systeme und Produkte erforderlich sind (Liu et al.
2014; Horvat et al.
2018). Wissenschaftler der István-Széchenyi-Universität in Ungarn haben die Lerneffizienzsteigerung durch AR im Hochschulbereich untersucht und sind zu folgenden Ergebnissen gekommen: 30 % mehr studentische Aktivitäten und Teamarbeiten im Unterricht und 50 % besseres Verständnis der Unterrichtsinhalte (Horvat et al.
2019). Das Potenzial der AR-Technologie zur Effizienzsteigerung von Geschäftsprozessen und zur Generierung von neuen Geschäftsmodellen wurde bereits von Unternehmen sowohl aus den informationstechnischen als auch aus dem industriellen Bereich erkannt. Das große Interesse von Unternehmen an AR spiegelt sich in den Marktzahlen wider. Die Marktforschungsexperten sind sich alle über das enorme Wachstumspotenzial für den AR-Markt einig. Prognosen sprechen von einem globalen AR-Marktumsatz in Höhe von 70 bis 75 Mrd. Dollar im Jahr 2023. Bis 2023 sollen bis 2,5 Mrd. AR-Geräte weltweit verkauft werden, was enorme Möglichkeiten für die Entwicklung von innovativen AR-Anwendungen schafft (DigCapital
2019). Trotz dieses Trends befinden sich die AR-Anwendungen aktuell im industriellen Umfeld häufig im Experimentierbereich und die Übertragung auf die realen Geschäftsprozesse findet in vielen Fällen noch nicht statt. Laut einer Untersuchung von Capgemini Research Institute aus dem Jahr 2018 haben sich 55 % der ca. 600 befragten Unternehmen weltweit, die sich mit der AR-Technologie befassen, als Experimentator bezeichnet und 45 % als Umsetzer, in Deutschland sind es 62 % bzw. 38 % (Capgemini
2021). Vor allem der Mangel an AR-Fachexperten in industriellen Unternehmen sowie standardisierende industrielle AR-Lösungsansätze verhindern derzeit den breiten produktiven Einsatz von AR (Nee et al.
2012).