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23.01.2024 | Radartechnik | Interview | Online-Artikel

"Radar verhält sich in der Metallproduktion anders als erwartet"

verfasst von: Dieter Beste

5:30 Min. Lesedauer

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Wie steinig der Weg war, Radarmesstechnik auch unter den extremen Produktionsbedingungen der Stahl- und Metallindustrie einsetzen zu können und was schließlich den Erfolg brachte, erläutert Marc Banaszak im Interview.

Staub, Dampf und extreme Temperaturen: Eigentlich liegt es auf der Hand, die Radartechnologie für berührungslose Messungen in solch rauen Produktionsumgebungen wie in der Stahlindustrie einzusetzen. Was ist daran so schwierig?

Tatsächlich kennen wir Patentschriften für entsprechende Lösungsansätze in der Stahl- und Metallindustrie, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen. Doch für die Radarmesstechnik konnten in der Vergangenheit nur relativ niedrige Frequenzen und damit relativ lange Wellen verwendet werden, mit denen keine besonders hohe Genauigkeit erzielbar war. Erst als es gelang, ein sehr hochfrequentes, extrem kurzwelliges Radarsignal auf einem Silizium-Germanium-Chip zu erzeugen, wurde der Technologiesprung möglich. Wir nutzen bei Mecorad in unseren Sensoren die hohe Mittenfrequenz der Mikrowellentechnik, um Objekte präzise zu erfassen.

Sie haben 2018 gemeinsam mit Andreas Heutz und Cagdas Ünlüer Ihr Unternehmen Mecorad als Startup aus der Technischen Hochschule Köln heraus gegründet.

Mit unserer Idee "Radarsensorik für die industrielle Praxis" gingen wir zur Technischen Hochschule Köln, um von dort aus den Exist-Forschungstransfer zu beantragen, mit dem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz forschungsbasierte Gründungsvorhaben unterstützt, die mit aufwändigen und risikoreichen Entwicklungsarbeiten verbunden sind. Doch aller Anfang ist schwer, das mussten auch wir erfahren. Glücklicherweise konnten wir für die Entwicklung neben der Ausstattung der Technischen Hochschule Köln zusätzliche Anlagen und Einrichtungen der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und des Fraunhofer Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz nutzen, um die neue Technologie schließlich unter realitätsnahen Bedingungen zu testen.

Was war der Grund für die Schwierigkeiten?

Obwohl Andreas und Cagdas berufliche Erfahrung aus dem Anlagenbau und der IIoT-Automatisierung mittels Sensorik im Stahl- und Metallbereich in die Start-Up-Gründung einbringen konnten, mussten wir bald feststellen, dass die realen Produktionsbedingungen in der Stahl- und Metallindustrie einen wesentlich größeren Einfluss auf die Radarsensorik und die Qualität der Ergebnisse haben, als wir dies zunächst angenommen hatten: Radar verhält sich in dieser extremen Umwelt dort einfach häufig anders als erwartet, da sehr viele mögliche Störquellen hinzukommen. Schnell wurde uns klar, dass die Entwicklung der Technologie nur unter nahezu reale Produktionsbedingungen erfolgreich sein würde.

Sie mussten also Praxispartner finden?

Genau. Gleichzeitig mit der Gründung unseres Startups fanden wir mit der WW-K Warmwalzwerk Königswinter und der Aperam zwei Unternehmenspartner, bei denen wir umfangreich pilotieren konnten. So entstand bereits seit 2018 unsere erste Dicken- und Breitenmessung in einer Warmwalzlinie und in Belgien unsere erste Breitenmessung direkt in der sekundären Kühlzone im Strangguss. Diese mehrjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit hat sich für uns nicht nur im Hinblick auf die Validierung von Messergebnissen ausgezahlt. Im Sommer 2023 konnten wir Aperam Ventures als Investor bei Mecorad begrüßen.

Was ist das Besondere an der Radarmesstechnik?

Zunächst ist Radar wie das sichtbare Licht Teil des elektromagnetischen Spektrums – im Mikrowellenbereich oberhalb von einem Millimeter Wellenlänge. Somit sind Radarwellen dem in der optischen Messtechnik genutzten Lichtspektrum nicht völlig unähnlich, haben aber im Vergleich einige Besonderheiten, verbunden mit Vorteilen in bestimmten Situationen. Bekanntlich kann ein Radar ein Schiff im Nebel erkennen. Das kann man sich zunutze machen, wenn etwa durch die Kühlung von Anlagen Nebelschwaden entstehen oder in einer Werkhalle eine stark staubbelastete Atmosphäre herrscht. Die Reflexion der Welle, also des rücklaufenden Signals, erfolgt zudem zuverlässig an den unterschiedlichsten Oberflächen. Insbesondere auch an Aluminium, Edelstahl oder hochglänzenden Oberflächen, die einem Laser oder einer Kamera immer wieder große Probleme bereiten. Außerdem kann eine Radarwelle verschiedene Materialien durchdringen. So wie ich ein Mobilfunksignal in einem geschlossenen Raum empfangen kann, können Radarwellen beispielsweise durch Keramik oder feuerfeste Materialien gesendet und empfangen werden. Das hat den Vorteil, dass ein Radarsensor in extremen Umgebungen wie beim Strangguss sehr gut durch Keramik geschützt wird oder durch feuerfeste Materialien hindurch in einen Ofen blicken kann, ohne dass Falschluft von außen in die Ofenatmosphäre gelangt.

Sind mit der Radartechnik Gefahren verbunden?

Im Gegensatz zu Isotopen- oder Röntgenlösungen, die in der Stahl- und Metallindustrie noch häufig eingesetzt werden, ist die Radartechnologie absolut sauber und ungefährlich. Jeder Mitarbeiter kann sich ungeschützt in der Nähe oder vor Radarsensoren aufhalten. Selbst bei maximaler Leistung unserer Sensoren emittieren wir etwa 500- bis 1000-mal weniger Strahlung als ein handelsübliches Smartphone.

Welche Stolpersteine lagen auf dem Weg bis zur Marktreife Ihres Radar-Messverfahrens für raue Produktionsumgebungen?

Im Laufe der Entwicklung haben wir den Eindruck gewonnen, dass beim Einsatz von Radar in solchen hochbelasteten Produktionsumgebungen lange Zeit grundlegende Fehler gemacht wurden. Häufig wurde und wird versucht, einen Sensor aus einer relativ sauberen Produktionsumgebung einfach in stark belastete Bereiche zu überführen. Dies ist jedoch nicht zielführend. In Betrieben der Stahl- und Metallindustrie sind Besonderheiten und systematische Fehlerquellen für das Messergebnis hinsichtlich Genauigkeit, Präzision und Robustheit der Messung zu beachten. Was im Labor funktioniert, versagt in der Praxis. Zum Beispiel bei hohen und oftmals extrem schwankenden Umgebungstemperaturen. Für ein genaues und robustes Messergebnis ist es wichtig, diesen Einfluss zu kompensieren. Und dafür reicht es nach unserer Erfahrung nicht aus, zum Beispiel einen Hitzeschild zu verwenden oder zu kühlen. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, die Sensorik unter extremen Bedingungen direkt am Einsatzort zu entwickeln. Unsere in extremer Produktionsumgebung entwickelte Radarmesstechnik wollen wir künftig auch in weniger belasteten Industriebereichen wie dem allgemeinen Maschinenbau oder zur Unterstützung der Robotik einsetzen.

Wo sehen Sie weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarf?

Mit Mecorad arbeiten wir derzeit in zwei Themenfeldern intensiv mit Forschungseinrichtungen zusammen. Zum einen geht es um die Beherrschung der dreidimensionalen Darstellung von Werkstücken. Gemeinsam mit dem Partner Fraunhofer IWU wollen wir komplexe Werkstückstrukturen beim Schmieden präzise erfassen, indem wir hochfrequente Radartechnik an einem Roboterarm installieren. Ein zweites Thema ist die Untersuchung von Materialien mit Radar. Hier arbeiten wir mit den Metallurgen der TU Freiberg an Möglichkeiten, Schlacken zu erfassen. Ziel ist hier vor allem eine frühere und damit deutlich verbesserte Kontrolle der Schlacke im Recyclingkreislauf, was einen großen Beitrag zur Verbesserung der CO2-Bilanz der Metallindustrie leisten könnte.

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