1 Einleitung
2 Technologien und Ansätze im KI-gestützten Recruitung
2.1 Vom analogen zum KI-gestützten Recruiting
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Die sogenannte Reichweiten- und Reichhaltigkeitsgrenze (engl. „reach and richness frontier“) konnte in einem ersten Stadium der Digitalisierung durch die Einführung von digitalen Job-Boards Anfang der 2000er-Jahre durchbrochen werden, denn Anzeigen in digitalen Medien sind wesentlich billiger und haben eine größere Reichweite als solche im analogen Bereich.
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In einem zweiten Stadium ab ca. 2010 konnten Anzeigen aus digitalen Job-Boards mittels Suchmaschinen automatisch aggregiert werden. Hinzu kam die Verbreitung von professionellen und sozialen Netzwerken wie LinkedIn und Facebook, was ein gezielteres Advertising für ausgesuchte Communities ermöglichte. Durch den Netzwerkeffekt explodierte die Anzahl der Bewerbungen pro Stellenausschreibung, während die der Bewerbungen unqualifizierter Personen zunahm. Dadurch wiederum stieg der Aufwand für Firmen, diejenigen Bewerber herauszufiltern, welche den geforderten Kriterien entsprachen.
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In einem dritten Stadium musste daher manuelles zunehmend durch automatisiertes Screening ersetzt bzw. ergänzt werden. Dies geschah anfangs auf Basis einer automatisierten Stichwortsuche in den Bewerbungsschreiben und wurde ab 2015 zunehmend durch KI-gestützte Methoden ergänzt. Diese haben in diesem Kontext den Vorteil, dass Eigenschaften von Kandidaten identifiziert werden können, welche nicht explizit ausgedrückt sind, wie Arbeitseinstellung oder Motivation.
2.2 Künstliche Intelligenz im Recruitingprozess
2.3 Die Bausteine eines KI-Systems
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In der Vorverarbeitung findet man häufig Methoden des Natural Language Processing (NLP), welche es erlauben, komplexe Bedeutungen aus Text zu extrahieren, etwa zur Arbeitseinstellung eines Bewerbers. Methoden der Computer Vision wiederum ermöglichen es, Bilder zu erkennen und auszuwerten. So kann die Mimik einer Bewerberin in einem Videointerview hinsichtlich Emotionen und Stimmungen wie Stress, Selbstsicherheit oder Begeisterung analysiert werden.
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In der Hauptverarbeitung werden mehrheitlich Methoden des maschinellen Lernens (engl. „machine learning“) eingesetzt, wie Deep Learning oder Support Vector Machines. Aber auch Methoden des automatisierten Schließens (engl. „automated reasoning“) und Problemlösens (engl. „problem solving“) finden Anwendung, um Muster zu erkennen oder Bewerber auf Basis ihrer Eigenschaften zu klassifizieren. Beispielsweise können Informationen aus Bewerbungstexten und Videointerviews genutzt werden, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen.2 Wenn Machine-Learning-Modelle genutzt werden, müssen diese jedoch vorgängig „trainiert“ werden. Um etwa den Persönlichkeitsfaktor „Extraversion“ in einem Videointerview automatisch identifizieren zu können, müssen dem Modell vorgängig Beispiele extrovertierter Persönlichkeiten „gezeigt“ werden. Viele Softwareanbieter bieten hier vortrainierte Modelle an, welche direkt anwendbar sind. Dies ist immer dann möglich, wenn die gesuchten Muster allgemeingültig und nicht firmen- oder positionsspezifisch sind.
2.4 KI-basierte Textanalyse
2.5 Chatbots und Voicebots
2.6 KI-basierte Videoanalyse
3 Wirtschaftliche Chancen und Risiken
3.1 Anschaffungskosten und laufende Kosten
3.2 Einsparpotenziale durch Automatisierung
3.3 Innovationsförderung und Pionierstatus
3.4 Abhängigkeit von Anbietern
4 Ethische, soziale und rechtliche Herausforderungen
4.1 Ersetzung des persönlichen Gesprächs und physischen Aufenthalts
4.2 Verletzung der informationellen Autonomie und der Privatsphäre
4.3 (Ohn‑)Mächtigkeit der Systeme
4.4 Vorurteile und Verzerrungen
4.5 Fehleinschätzungen, -informationen und -schlüsse
4.6 Profilbildung
4.7 Ungleichgewicht
5 Empfehlungen für Unternehmen
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An Datenschutzgesetze halten: Unternehmen, die KI-Systeme einsetzen, sollten sich über deren Funktionen im Detail informieren und die entsprechenden Regelungen – insbesondere die DSGVO mit ihren Ausführungen zur Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten und speziell zu Privacy by Design und Privacy by Default – beachten (Bendel 2018b). Wenn eine Entscheidung „automatisch“ getroffen wird, ist nach DSGVO die Zustimmung des Betroffenen vonnöten (CIO News 2021).
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KI-Systeme sichern: Auch KI-Systeme können gehackt und manipuliert werden, von Personen außerhalb und innerhalb des Unternehmens. Entsprechend sind sie und die damit verbundenen Datenbanken, Wissensbasen und Informationssysteme abzusichern. Zudem ist auf die Vertrauenswürdigkeit und den Sitz der Anbieter zu achten.
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Ethische Leitlinien und rechtliche Rahmenbedingungen beachten: Auf EU-Ebene wurden Leitlinien für den Einsatz von KI-Systemen8 sowie rechtliche Rahmenbedingungen entwickelt. Diese gilt es zu beachten und einzubeziehen, im Einzelfall freilich herunterzubrechen und anzupassen. Als hohes Risiko wird im „legal framework on AI“ eine „CV sorting software for recruitment procedures“ (European Commission 2021) angesehen.
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Eigene Ethikkommission einrichten: Es können eigene Ethikkommissionen und passende Leitlinien etabliert werden. Ferner sind von mehreren Firmen genutzte Ethikkommissionen (etwa innerhalb von Branchen) denkbar. Es sollte kein reines Compliance-Management getätigt, sondern wissenschaftliche Ethik berücksichtigt werden, etwa um die diskursive Methode mit verschiedenen Interessengruppen anzuwenden und so einen Konsens zu erzielen (Kuhlen 2004).
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Beschäftigte einbeziehen: KI im Recruiting sollte nicht nur eine Aufgabe der HR-Abteilung sein. Oliver Suchy, Mitglied des DGB sowie des Ethikbeirats für HR Tech, formuliert es so: „Wir müssen ganz am Anfang, im Ursprung der Entwicklung, Beschäftigte und Interessenvertretung beteiligen und gemeinsam diesen Prozess der Entwicklung von Zielen für eine KI, die Umsetzung und auch die Überprüfung neu organisieren“ (Basso 2021). Am Ende müssen die Eintretenden und die Anwesenden miteinander arbeiten und auskommen.
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Awareness schaffen: Für die Chancen und Risiken und Fragen der Verantwortung ist bei der Belegschaft zu jedem Zeitpunkt der Einführung und des Betriebs der Recruitingsysteme Awareness zu schaffen. Die Systeme müssen gekannt, die Folgen beurteilt, im Zweifelsfall (auch angeordnete) Maßnahmen (etwa solche, die gegen die Compliance oder die Menschenwürde verstoßen) abgelehnt werden können.
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Schulungen anbieten: Mit Blick auf die Awareness, den technischen Hintergrund und die professionelle Handhabung der Recruitingsysteme sind den Beschäftigen regelmäßig Schulungen anzubieten, wobei ethische, soziale und rechtliche Aspekte relevant sind. Die Schulungen können eingekauft oder – dies ist vor allem sinnvoll, wenn Besonderheiten beim Einsatz auftreten – inhouse entwickelt werden.
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Transparenz herstellen: Für die Bewerber ist größtmögliche Transparenz herzustellen, wobei wiederum die Bestimmungen der DSGVO, aber ebenso unternehmenseigene (womöglich noch höhere) Standards herangezogen werden können. Sie sollten erfahren, dass (evtl. selbstlernende) Algorithmen verwendet werden, wie die Systeme funktionieren und was mit den persönlichen Daten geschieht. Sie sind rechtzeitig, umfassend und verständlich zu informieren.
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Alternativen anbieten: Die Bewerber sollten die Möglichkeit haben, ein traditionelles Verfahren zu durchlaufen oder bestimmte Verfahren im KI-gestützten Prozess wie Emotionserkennung ablehnen zu können, ohne dass ihnen daraus Nachteile resultieren. Dies kann wiederum im Kontext von Privacy by Design umgesetzt werden, und es sind einfache Auswahlmöglichkeiten wie Checkboxen und Menüs zu integrieren.
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Nachbereitung anschließen: Nach dem Bewerbungsgespräch bzw. dem Assessment sollte der Interessent die Möglichkeit haben, die umfeld- und personenbezogenen Daten im Zuge seiner informationellen Autonomie einzusehen – hier greift ebenfalls die DSGVO mit dem Recht auf Informationsfreiheit (als Informationszugangsfreiheit) – und ggf. zu löschen (wiederum im Sinne der DSGVO). Vor allem sollten auch Analyse und Interpretation bzw. maschinelle Entscheidungen erläutert werden.