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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Studie zum Nutzen persönlicher E-Mails in der Online- und Präsenzlehre

verfasst von : Michael Mühlhauser, Dominik Herrmann

Erschienen in: Digitale Kulturen der Lehre entwickeln

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In großen Onlinevorlesungen fehlt Studierenden manchmal die Motivation, sich mit den Kursinhalten auseinanderzusetzen. Die in diesem Beitrag vorgestellte Studie zeigt: regelmäßige persönliche E-Mails können die Lehr- und Lernkultur verbessern. In einer Online-Informatik-Grundlagenvorlesung im Sommersemester 2021 wurde dazu das Kommunikations- und Nutzungsverhalten von 473 Studierenden auf mehreren Lernplattformen ausgewertet. In einer Umfrage am Semesterende konnten die Studierenden darüber hinaus ihre subjektive Einschätzung zu den Kommunikationsangeboten abgeben. Die Auswertung zeigt, dass Studierende persönliche E-Mails von Lehrenden schätzen und dass diese einen signifikanten Einfluss auf das Kommunikationsverhalten haben, aber nicht unbedingt auf das Nutzungsverhalten von Lernangeboten.

1 Motivation

Während der Corona-Pandemie bevorzugten viele Studierende Präsenzveranstaltungen, da sie in der Online-Lehre Motivationsprobleme hatten (vgl. Alawamleh et al. 2022). Aber auch in großen Präsenzveranstaltungen ist der Kontakt zwischen Lehrpersonen und Studierenden oft unpersönlich und distanziert. Studierende kennen ihre Lehrpersonen dann nur aus aufgezeichneten Videos oder überfüllten Hörsälen. Unter diesen Umständen fällt es vielen Studierenden schwer, Fragen zu stellen. Außerdem führt diese distanzierte Atmosphäre bei den Studierenden mitunter zu einem Gefühl der Isolation, welches wiederum zu geringer Motivation und schlechten Leistungen führen kann (vgl. Nehme 2010; Glazier 2016). Die in der Literatur dokumentierten Effekte beobachten die Dozierenden am Lehrstuhl für Privatsphäre und Sicherheit in Informationssystemen der Otto-Friedrich-Universität Bamberg seit mehreren Jahren in ihren Informatik-Grundlagen-Veranstaltungen, an denen jedes Semester zwischen 250 und 500 Studierende teilnehmen.
Mit den Mitteln existierender Lernmanagementsysteme (an der Universität Bamberg: Moodle) ist es den Autoren bisher nicht gelungen, die Distanz zu den Studierenden zufriedenstellend zu überwinden. Selbst detailreich und nahbar formulierte, wöchentlich über Moodle versandte Ankündigungen mit Aufrufen, sich im Forum zu konkreten Fragestellungen zu äußern oder anhand einer bestimmten Frage auf die nächste Lehrveranstaltung vorzubereiten, führten nur bei einer Minderheit der Studierenden zu Beteiligung und Aktivität. Auch in den parallel zur Vorlesung angebotenen Übungsgruppen suchten nur wenige Studierende das Gespräch mit den Tutor:innen.
Vereinzelte Gespräche mit Studierenden deuteten darauf hin, dass sich die Studierenden von Ankündigungen, die über das Lernmanagementsystem versandt wurden, nicht persönlich angesprochen fühlten. Sie gaben an, dass die dortigen Aufrufe keine individuelle Verbindlichkeit erzeugten. Vor einer Beteiligung in Forum oder Vorlesung schreckten einige zurück, weil sie sich nicht trauten, mit ihrem Namen vermeintlich dumme Fragen zu stellen. Die daraufhin geschaffene Möglichkeit, im Moodle-Forum anonym Fragen zu stellen, wurde zwar zunehmend in Anspruch genommen; viele scheuten allerdings immer noch davor zurück, ihre vermeintlich höchst individuellen Verständnisprobleme vor aller Augen zu diskutieren.
Bei der Suche nach Lösungen kam am Lehrstuhl die Idee auf, die Studierenden mehrmals im Semester mittels E-Mails persönlich anzusprechen. Die Ansprache sollte von den Tutor:innen ausgehen, individuell an jede Teilnehmerin bzw. jeden Teilnehmer versandt werden, und durch konkrete Bezüge zu aktuell bearbeiteten Aufgaben Verbindlichkeit erzeugen. Darüber hinaus wurde am Lehrstuhl diskutiert, ob Studentinnen davon profitierten, wenn sie von einer Tutorin angeschrieben würden. Diese Diskussionen legten den Grundstein für die vorliegende Studie.
Um den persönlichen Kontakt zwischen Lehrpersonen und Studierenden zu erhöhen, werden in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert. Betrachtet wurden etwa kurze Grußkarten oder Briefe in Fortbildungsprogrammen (vgl. Visser und Keller 1990) sowie Kurznachrichten (SMS) zur Motivation von Studierenden (vgl. Goh et al. 2012). Gerade in der Online-Lehre bevorzugt die Mehrheit der Studierenden allerdings E-Mails zur Kommunikation mit Lehrpersonen (vgl. Chang et al. 2015). Der Einsatz von E-Mails als motivierende Maßnahme für Studierende wurde bereits unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht, etwa hinsichtlich der Anzahl der versendeten E-Mails, der Gestaltung der E-Mails (z. B. persönlich oder unpersönlich), aber auch im Hinblick auf das Ziel, das mit den E-Mails erreicht werden soll (vgl. Legg und Wilson 2009; Hodges und Kim 2010; Inkelaar und Simpson 2015). Dem vorliegenden Beitrag am nächsten sind Studien, die versuchen, Studierende zu motivieren, aktiver mitzulernen (vgl. Huett et al. 2008; Kim und Keller 2008; Parte und Mellado 2021).
Auch im Fokus dieses Beitrags steht die Frage, welchen Einfluss E-Mails auf die Motivation der Studierenden haben. Anders als in den meisten früheren Arbeiten werden die Studierenden aber nicht nur nach ihren Vorlieben befragt; das Vorgehen besteht in diesem Beitrag erstens in einer verdeckten Beobachtung des Kommunikationsverhaltens der Studierenden sowie ihrer Aktivität auf verschiedenen Lernplattformen innerhalb eines Kurses. Zweitens wurden die Studierenden nach Abschluss der Beobachtungen zu ihren Erfahrungen befragt. Dadurch kann das beobachtete Kommunikations- und Nutzungsverhalten mit der subjektiven Einschätzung der Studierenden abgeglichen werden.
In der Phase der verdeckten Beobachtung werden die Studierenden mit unterschiedlich formulierten E-Mails angeschrieben. Die versendeten E-Mails unterscheiden sich dabei in der Anrede und im Inhalt (vgl. Kim und Keller 2008; Revels 2013). Die Anrede wird in den E-Mails entweder persönlich oder als Gruppenanrede formuliert. Der Inhalt weist entweder einen Bezug zu aktuellen Themen des Kurses auf oder bietet nur allgemein Unterstützung an. Das Experiment wurde zunächst im Sommersemester 2021 in einer großen Informatik-Grundlagenvorlesung (reine Onlinelehre) durchgeführt. Zur besseren Generalisierbarkeit der Ergebnisse wurde ein Teil des Experiments im Sommersemester 2022 in der gleichen Vorlesung – nun in Präsenzlehre – wiederholt.
Der Rest des Beitrags ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst wird im zweiten Abschnitt eine Auswahl an verwandten Arbeiten beschrieben, die sich mit motivierenden E-Mails beschäftigen. Im dritten Abschnitt wird das Studiendesign erläutert, also wann E-Mails versendet wurden, wie diese formuliert waren, welche Daten gesammelt wurden und welche Fragen in der Umfrage gestellt wurden. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden im vierten Abschnitt präsentiert. Das beinhaltet sowohl die Analyse der Beobachtungsstudie als auch die Auswertung der Umfrage nach Ende der Beobachtungsphase. Im fünften Abschnitt werden die Ergebnisse diskutiert und miteinander verglichen. Im letzten Abschnitt werden Schlussfolgerungen gezogen.

2 Verwandte Arbeiten

Der Einsatz von E-Mails als motivierende Maßnahme für Studierende wurde bereits in einigen Arbeiten untersucht. Kim und Keller untersuchten den Effekt von persönlichen E-Mails auf die Motivation der Studierenden, aber auch auf die Studiengewohnheiten und den Studienerfolg. Die Autoren konnten zeigen, dass Studierende, die personalisierte E-Mails erhalten haben, motivierter sind als solche, die unpersönliche E-Mails bekommen haben. Dieser Effekt soll hauptsächlich auf dem Inhalt der E-Mails beruhen, also insbesondere dem individuellen Bezug zu einem vorher ausgefüllten Fragebogen und nicht auf der namentlichen Anrede. Die Studierenden erhielten je nach Zufriedenheit mit ihren Testergebnissen vor dem Experiment anschließend entweder personalisierte oder unpersönliche E-Mails. Unzufriedene Studierende erhielten personalisierte E-Mails, zufriedene unpersönliche (vgl. Kim und Keller 2008).
Huett et al. untersuchten den Effekt von E-Mails auf die Motivation von Studierenden und die damit in Zusammenhang stehende Abbruchquote für den Kurs. Das Design der E-Mails basierte auf theoretischen Modellen wie dem ARCS-Modell (vgl. Keller 1987). Inhalte der E-Mails waren bspw. Erinnerungen an die Kursziele und Ermutigungen weiter kontinuierlich mitzuarbeiten. Eine Gruppe Online-Studierender erhielt motivierende E-Mails, die andere Gruppe nicht. Außerdem wurden die Online-Studierenden anhand einer Umfrage, die die Motivation misst, mit Präsenz-Studierenden verglichen. Die Autoren konnten einen statistisch signifikanten Unterschied in der Motivation zwischen den beiden Online-Gruppen feststellen. Im Vergleich zur Präsenz-Gruppe konnte jedoch kein Unterschied mehr festgestellt werden (vgl. Huett et al. 2008).
Revels untersuchte den Effekt von persönlichen E-Mails mittels Pre- und Posttest auf den Lernfortschritt beim Computer-Based Training. Die Studierenden wurden in persönlichen E-Mails mit ihren Vornamen angesprochen. Zum Vergleich gab es eine Gruppe, die mit unpersönlichen E-Mails angeschrieben wurde und eine Gruppe, die keine E-Mails erhalten hat. Zusätzlich gab es hinsichtlich der Frequenz der versendeten E-Mails nochmals eine Unterscheidung bei den Treatmentgruppen. Die Gruppen wurden einmal bzw. dreimal pro Woche angeschrieben. Die Studierenden konnten zu Beginn des Kurses entscheiden, ob sie an der Studie teilnehmen wollen, was zu Beobachtungseffekten geführt haben könnte. Trotz dieser Einschränkung konnte Revels aber zeigen, dass Studierende, die einmal pro Woche persönlich per E-Mail angeschrieben wurden, besser abschnitten als die anderen Gruppen (vgl. Revels 2013).
Parte und Mellado setzten ebenfalls E-Mails ein, um Studierende zu motivieren aktiver am Kurs teilzunehmen. Die Autoren haben die Studierenden dafür mithilfe des Blackboard-Learning-Programms in aktive, fast-inaktive und inaktive Studierende aufgeteilt. Jede dieser drei Gruppen wurde nochmals in eine Kontroll- und eine Treatmentgruppe aufgeteilt. Die Autoren haben gemessen, ob Studierende als Reaktion auf die E-Mail auf den Kurs zugreifen. Für aktive Studierende sahen die Autoren einen kleinen Effekt der E-Mails, für inaktive aber nicht. Außerdem wurden noch Tests durchgeführt, die den Einfluss des Geschlechts oder das Abschneiden bei der Klausur untersuchen. Hier traten signifikante Unterschiede beim Geschlecht auf, aber nicht bei der Klausur (vgl. Parte und Mellado 2021).
Kurtz et al. haben persönliche E-Mails als Intervention in Massive Open Online Courses (MOOCs) untersucht, um die hohe Abbruchquote in solchen Kursen zu reduzieren. Die Studierenden wurden zur Evaluation zufällig in eine Kontroll- und Treatmentgruppe aufgeteilt. In der Treatmentgruppe erhielten Studierende eine E-Mail, wenn sie eines der sieben wöchentlichen Quiz nicht gemacht hatten. In der Kontrollgruppe gab es keine Erinnerung. Die Autoren untersuchten folglich den direkten und verzögerten Einfluss der E-Mails auf die Bereitschaft die Quiz zu absolvieren. Der direkte Einfluss der Intervention wurde in der Studie als signifikant bewertet, der verzögerte Einfluss nicht (vgl. Kurtz et al. 2022).
Im Unterschied zu vielen der hier beschriebenen Arbeiten bedient sich der vorliegende Beitrag nicht nur Umfragen zur Quantifizierung des studentischen Lernverhaltens. Das Verhalten der Studierenden wird zusätzlich auf mehreren Lernplattformen beobachtet, um eine objektive Bewertung vornehmen zu können. Diese Idee haben Parte und Mellado bereits umgesetzt. Die Autoren betrachteten aber lediglich Kurszugriffe als Aktivitätsdaten (vgl. Parte und Mellado 2021). Im vorliegenden Beitrag wird für die Erhebung von Aktivitätsdaten hingegen eine Vielzahl der in der Lehrveranstaltung angebotenen Lernplattformen betrachtet, was einen breiteren Überblick über das Lernverhalten der Studierenden vermittelt. Durch die Auswertung der Umfrage und der Aktivitätsdaten auf den Lernplattformen kann letztendlich ein Vergleich zwischen dem subjektiven und objektiven Nutzen der E-Mails gezogen werden.

3 Studiendesign

Um die in der Einleitung formulierten Fragen zu beantworten, wurden zwei Experimente durchgeführt. In beiden Experimenten wurde untersucht, ob persönliche E-Mails Studierende dazu motivieren, über das Semester hinweg mehr mit Lehrpersonen zu kommunizieren und ob sie sich intensiver mit Selbstlernangeboten beschäftigen.

3.1 Überblick

Beide Experimente wurden in der Informatik-Grundlagenvorlesung „Einführung in Rechner- und Betriebssysteme“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg durchgeführt. Im ersten Experiment wird das Sommersemester 2021 betrachtet, in dem diese Vorlesung mit 473 Studierenden ausschließlich online angeboten wurde. Das zweite Experiment fand nach der Rückkehr in die Präsenzlehre im Sommersemester 2022 mit 417 Studierenden statt.
Konkret untersucht werden soll der Einfluss der Gestaltung der versendeten E-Mails. In der Studie werden drei verschiedene E-Mail-Typen verwendet: (1) persönlich-konkrete, (2) persönlich-unkonkrete und (3) unpersönlich-konkrete E-Mails. Persönliche E-Mails zeichnen sich durch eine Ansprache mit Vornamen aus, konkrete E-Mails durch einen Bezug zu aktuellen Themen des Kurses. Auf den Versand unpersönlich-unkonkreter Mails wurde verzichtet, da aufgrund der Erfahrungen mit Moodle-Ankündigungen kein starker Effekt zu erwarten war und der Aufwand einer (automatisierten) Personalisierung bzw. Konkretisierung gering ist. Hinweise zum Design der Kontrollgruppen folgen in Abschn. 3.2.
Neben dem Inhalt der E-Mails ist unter Umständen auch von Interesse, wer die Studierenden anschreibt. Frauen sind in MINT-Fächern wie der Informatik unterrepräsentiert (vgl. González-Pérez et al. 2020). In der Literatur wird daher diskutiert, welchen Einfluss weibliche Identifikationsfiguren auf Studentinnen haben können (vgl. Herrmann et al. 2016). Tatsächlich wurde in vorherigen Arbeiten bereits gezeigt, dass Studentinnen von persönlichen E-Mails unter Umständen mehr profitieren als Studenten (vgl. Parte und Mellado 2021). Basierend auf diesen Erkenntnissen ist die Vermutung, dass Studentinnen eher mit einer Tutorin kommunizieren als mit einem Tutor. Um dies zu untersuchen, wurden die Studierenden gemäß dem im Prüfungsverwaltungssystem hinterlegten Geschlecht zufällig, jedoch gleichmäßig auf einen Tutor und eine Tutorin aufgeteilt. Dadurch war gewährleistet, dass jeweils die Hälfte der Studenten bzw. Studentinnen von der Tutorin angeschrieben wurde, die andere Hälfte vom Tutor.
Um den Effekt der E-Mails objektiv, aber auch subjektiv aus Studierendensicht, beurteilen zu können, ist das Studiendesign des ersten Experiments in zwei Phasen aufgeteilt. In der ersten Phase (verdeckte Beobachtung) werden die unterschiedlich formulierten E-Mails über einen Zeitraum von zwölf Wochen an die Studierenden verschickt (siehe Abschn. 3.2). Außerdem werden Aktivitätsdaten der Studierenden auf den im Rahmen der Vorlesung angebotenen Lernplattformen gesammelt, um den Einfluss der E-Mails objektiv messen zu können (siehe Abschn. 3.3). Um möglichst realistische Daten zu erhalten, wissen die Studierenden in dieser Phase nicht, dass sie beobachtet werden (siehe Abschn. 3.5 für Hinweise zum ethischen Forschungsdesign). In der zweiten Phase (Befragungsphase) werden subjektive Einschätzungen der Studierenden mittels einer Umfrage eingeholt – nachdem die Studierenden in einem Debriefing über die Studie aufgeklärt wurden. Das zweite Experiment im Sommersemester 2022 bestand ausschließlich aus der Beobachtungsphase; auf eine Umfrage wurde verzichtet.

3.2 Versenden der E-Mails

Zur besseren Verständlichkeit wird das Studiendesign in zwei Schritten erläutert. Die grundlegenden Ideen werden zunächst anhand eines naives Studiendesign skizziert, welches allerdings die Chancengleichheit der Studierenden im Hinblick auf das Klausurergebnis verletzt. Anschließend wird das darauf aufbauende, tatsächlich verwendete Studiendesign vorgestellt, welches Chancengleichheit gewährleistet.
Wie in Abb. 1 dargestellt, werden die Studierenden in einem naiven Studiendesign zur Evaluation der drei verschiedenen E-Mail-Typen zufällig in vier gleich große Gruppen (G1 bis G4) aufgeteilt. Dabei wird festgelegt, welche Gruppe welchen E-Mail-Typ zu welchem Zeitpunkt erhält. G1 erhält z. B. alle drei Wochen persönlich-konkrete E-Mails, G2 persönlich-unkonkrete und G3 unpersönlich-konkrete. G4 dient als Kontrollgruppe und erhält keine E-Mails.
Der Einfluss der E-Mails kann somit direkt durch einen Vergleich mit der Kontrollgruppe evaluiert werden. Außerdem können die Effekte der unterschiedlichen E-Mail-Typen verglichen werden. Ein solches Studiendesign ist allerdings ethisch kaum zu vertreten: Unterschiedliche E-Mail-Typen für die Gruppen verletzen das Gebot der Chancengleichheit. Studierende der Kontrollgruppe könnten in der Klausur schlechter abschneiden als Studierende, die E-Mails erhalten haben. Außerdem könnten Studierende, die persönlich-konkrete E-Mails erhalten haben, besser abschneiden als solche, die unkonkrete oder unpersönliche E-Mails erhalten haben.
Faires Studiendesign
Daher wurde für die Studie ein Design entwickelt, das die Chancengleichheit bestmöglich gewährleistet. Um gleiche Voraussetzungen für die Klausur zu schaffen, sollen alle Studierenden gleich viele E-Mails eines jeden E-Mail-Typs erhalten. Um diese Anforderung zu erfüllen, wurden die Studierenden zufällig, aber gleichmäßig nach Geschlecht und ihrer Eigenschaft, ob sie den Kurs wiederholen oder erstmalig teilnehmen, in drei Gruppen (A, B, C) aufgeteilt. Wie in Abb. 1 dargestellt ist, haben alle Studierenden im fairen Studiendesign eine persönlich-konkrete, eine persönlich-unkonkrete und zwei unpersönlich-konkrete E-Mails erhalten. In jeder Woche des Experiments hat aber nur eine Gruppe eine E-Mail erhalten, sodass die anderen beiden Gruppen als Kontrollgruppe infrage kommen. Außerdem wird in den Gruppen jeweils die Hälfte der Studierenden (Aufteilung gleichmäßig nach Geschlecht) von einem Tutor bzw. einer Tutorin angeschrieben. Die zwölf Wochen des Experiments entsprechen dem Zeitraum vom 29.04. bis zum 21.07.2021. Der Untersuchungszeitraum beginnt also nicht unmittelbar in der ersten Vorlesungswoche (ab 12.04.2021). Erfahrungsgemäß sind viele Studierende am Anfang des Semesters motiviert und probieren alle zur Verfügung gestellten Lernplattformen einmalig aus, ohne diese später tatsächlich aktiv zu nutzen. Der Untersuchungszeitraum endet auch schon am 21.07.2021 mehrere Wochen vor dem Semesterende, um Verzerrungen wegen der Nähe zur Klausur zu vermeiden. Wie in Abb. 2 zu sehen ist, sind Studierende nämlich kurz vor der Klausur – diese fand in Woche 15 statt – deutlich aktiver.

3.3 Erfassung des Kommunikations- und Lernverhaltens

Daten zum Kommunikations- und Lernverhalten der Studierenden wurden vom Vorlesungsbeginn bis zur Klausur, also auch vor und nach dem Untersuchungszeitraum, gesammelt. Um das Kommunikationsverhalten zu analysieren, wurde für alle Studierenden ermittelt, ob sie in einer Woche direkten Kontakt zu den Tutor:innen aufgenommen haben. Als direkter Kontakt zählt es, wenn mindestens eine schriftliche persönliche Nachricht übermittelt wurde (E-Mail oder Chat).
Zur Evaluation des Lernverhaltens wurden Aktivitätsdaten der Studierenden auf verschiedenen Lernplattformen gesammelt. Die Nutzung aller zur Verfügung gestellten Lernplattformen war freiwillig. Die Daten zum Kommunikations- und Lernverhalten der Studierenden wurden datensparsam erhoben und verarbeitet, um den Grundsatz der Datenminimierung umzusetzen (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO), d. h. es wurde vor der Beobachtung festgelegt, welche Daten für die Analysen benötigt würden und nur diese Daten protokolliert. Nicht gespeichert wurde insbesondere der Inhalt der persönlichen Nachrichten zwischen Tutor:innen und Studierenden. Die Tutor:innen haben allerdings festgehalten, dass bzw. wann sie eine persönliche Nachricht von welchen Studierenden erhalten haben.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Funktionen der Lernplattformen gegeben. Für die Auswertung ist jeweils nur von Interesse, wie oft bzw. ob die Studierenden die Lernplattform in einer Woche genutzt haben.
Arena: Hier können die Studierenden Online-Übungsaufgaben zu aktuellen Themen der Vorlesung bearbeiten. Die gelösten Aufgaben werden nach dem Übermitteln eines Lösungsvorschlags automatisiert überprüft und Studierende erhalten Feedback. Für eine Person wird eine Aktivität vermerkt, wenn sie in der Arena einen Lösungsvorschlag abgegeben hat.
Booklet: Die Studierenden können in festgelegten Zeitintervallen, z. B. einmal pro Woche, einen handgeschriebenen Zettel in einer Webanwendung hochladen. In gebundener Form können alle im Semester hochgeladenen Zettel in der Klausur als Hilfsmittel verwendet werden. Für eine Person wird eine Aktivität vermerkt, wenn sie eine Seite hochgeladen hat.
Chat: Für den Kurs gab es verschiedene für alle Kursteilnehmende sichtbare Chaträume, in denen Fragen gestellt und diskutiert werden konnten. Eine Aktivität wird vermerkt, wenn eine Person eine Chat-Nachricht dort eingestellt hat.
Forum: Studierende konnten in einem für den Kurs eingerichteten Forum Fragen an die Lehrpersonen stellen. Eine Aktivität wird vermerkt, wenn eine Person einen Foren-Beitrag unter ihrem Namen eingestellt hat.
Playground: Den Studierenden wurde ein Zugang zu einem Linux-Server zur Verfügung gestellt, auf dem sie Übungsaufgaben bearbeiten konnten. Eine Aktivität wird vermerkt, wenn sich eine Person am Linux-Server angemeldet hat.
Quiz: Es gab verschiedene Quiz in Moodle zu aktuellen Themen des Kurses, die online gelöst werden konnten. Eine Aktivität wird vermerkt, wenn eine Person ein Quiz bearbeitet hat.

3.4 Datensatz

Beschrieben wird im Folgenden der Datensatz für das erste Experiment im Sommersemester 2021. Zu Beginn des Semesters wurden 473 Studierende zufällig, aber gleichmäßig nach Geschlecht und ihrer Eigenschaft, ob sie den Kurs wiederholten oder erstmalig teilnahmen, auf die drei Gruppen A, B und C aufgeteilt. In der Datenanalyse wurden alle Studierenden ausgeschlossen, die sich während des Semesters bei den Tutor:innen abmeldeten (n = 30), oder über das ganze Semester hinweg kaum aktiv waren. Konkret wurden alle Studierenden mit weniger als zehn Aktivitäten im Semester in der Analyse nicht berücksichtigt (n = 161). Eine Aktivität ist hierbei eine direkte Kontaktaufnahme zu den Tutor:innen oder eine Aktivität auf einer beliebigen Lernplattform. Bei Studierenden, für die weniger als zehn Aktivitäten über das ganze Semester aufgezeichnet wurden, ist davon auszugehen, dass diese den Kurs nicht ernsthaft besucht haben. Dies spiegelt sich auch in der Klausurteilnahme wider. Von den 161 nicht berücksichtigten Studierenden haben etwa 93 % die Klausur nicht mitgeschrieben.
Letztendlich wurden in der Datenanalyse also 282 Studierende berücksichtigt. Wie in Tab. 1 zu sehen ist, waren diese Studierenden mehrheitlich 20 bis 29 Jahre alt (78 %), männlich (67 %) und wurden in der D-A-CH-Region geboren (74 %). Das Verhältnis von Studierenden, die den Kurs wiederholten (47 %) und Studierenden, die den Kurs zum ersten Mal belegten (53 %), ist relativ ausgeglichen (der hohe Anteil der Wiederholenden erklärt sich unter anderem durch die Tatsache, dass Studierende in der Prüfung beliebig viele Fehlversuche haben). Im bereinigten Datensatz wurden von der Tutorin (51 %) etwas mehr Studierende angeschrieben als vom Tutor (49 %). Die 282 Studierenden verteilen sich auch nach der Datenaufbereitung relativ gleichmäßig auf die drei Gruppen. Gruppe A enthält 100, Gruppe B 89 und Gruppe C 93 Studierende. Die Verteilung von Alter, Geschlecht, Geburtsland, Tutor:in und Wiederholer war auch nach der Datenaufbereitung in allen Gruppen noch sehr ähnlich. Ein Chi-Quadrat-Test ergab keinen signifikanten Unterschied bei der Verteilung dieser Attribute in den einzelnen Gruppen (p > 0,05).
Tab. 1
Beschreibung des Datensatzes.
 
Gruppe A
Gruppe B
Gruppe C
Total
 
N = 100
N = 89
N = 93
N = 282
Alter
    
0–19
6 %
11 %
9 %
9 %
20–29
82 %
73 %
80 %
78 %
30 + 
12 %
16 %
12 %
13 %
Geschlecht
    
F
37 %
31 %
30 %
33 %
M
63 %
69 %
70 %
67 %
Geburtsland
    
D-A-CH
68 %
79 %
76 %
74 %
Anderes
32 %
21 %
24 %
26 %
Tutor:in
    
F
49 %
51 %
55 %
51 %
M
51 %
49 %
45 %
49 %
Wiederholer
    
Ja
44 %
51 %
47 %
47 %
Nein
56 %
49 %
53 %
53 %

3.5 Ethische und datenschutzrechtliche Aspekte

Auf eine angemessene Berücksichtigung ethischer und datenschutzrechtlicher Aspekte wurde geachtet, auch wenn sich dies als äußerst zeitaufwendig erwiesen hat. Das Studiendesign wurde in Gesprächen mit Mitgliedern des Ethikrats der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und mit Kollegen aus der Psychologie verfeinert. Darüber hinaus erfolgten Abstimmungen mit der hauseigenen Datenschutzstelle und der Stabsstelle IT-Recht für die bayerischen staatlichen Hochschulen und Universitäten. Der Ethikrat der Universität Bamberg hat das Studiendesign begutachtet und dessen Unbedenklichkeit bescheinigt. Die Datenschutzstelle und die Stabsstelle IT-Recht haben bei der Erstellung der Datenschutzinformationen unterstützt.
Beim Studiendesign waren insbesondere prüfungsrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen. In früheren Arbeiten wurden Studierende häufig zufällig in eine Kontroll- und Treatmentgruppe aufgeteilt (vgl. Parte und Mellado 2021; Kurtz et al. 2022), was die Chancengleichheit beeinträchtigen kann, sofern nur ein Teil der Studierenden E-Mails erhält, und die Kontrollgruppe nicht. Eine Lösung hierfür kann darin bestehen, die Studierenden vor der Studie über das Experiment aufzuklären und sie über ihre Teilnahme entscheiden zu lassen (vgl. Revels 2013). Denkbar wäre es auch, nur die Studierenden anzuschreiben, die mit ihren Leistungen unzufrieden sind (vgl. Kim und Keller 2008). Selbst mit diesen Maßnahmen würden Studierende durch die E-Mails allerdings immer noch unterschiedlich behandelt, was Auswirkungen auf das Prüfungsergebnis haben kann.
Die Chancengleichheit wird mit dem in diesem Beitrag vorgestellten Studiendesign gewährleistet, indem alle Studierenden die gleichen E-Mails erhalten. Jede Gruppe hat eine persönlich-konkrete, eine persönlich unkonkrete und zwei unpersönlich-konkrete E-Mails bekommen. Unterschiede bestehen lediglich im Zeitpunkt, zu dem die E-Mails an die Studierenden geschickt wurden. Somit haben alle Studierenden die gleiche Hilfestellung vor der Klausur bekommen, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Aufmerksamkeit aus forschungsethischer Sicht bedarf insbesondere die Entscheidung, in der ersten Phase des Experiments Interventionen und verdeckte Beobachtungen zu nutzen. Diese Konstruktion erfordert Abwägungen zwischen erwartetem Nutzen und möglichen Risiken (vgl. Schlütz und Möhring 2018). Die Studierenden vorab zu informieren würde aber aufgrund von Beobachtereffekten Daten verzerren. Die Studierenden wurden daher erst am Ende des Semesters (nach der Prüfung) in einem Debriefing über die Studie aufgeklärt.
Weiterhin wurden den Studierenden im Debriefing nachträglich die Datenschutzinformationen nach Art. 13 und 14 DSGVO übermittelt: die Rechtsgrundlagen für die Datenerhebung in den verschiedenen Systemen; die Arten der verarbeiteten Daten; die Zwecke, die mit den Datenarten jeweils verfolgt werden; die eingesetzten organisatorischen und technischen Maßnahmen zum Schutz der Daten; Aufbewahrungsfristen; Informationen zu den Speicherorten; Informationen zur Übermittlung an Dritte und zur Veröffentlichung von Daten; Kontaktdaten der verantwortlichen Stelle und ihres Datenschutzbeauftragten; Hinweise auf die Betroffenenrechte; Kontaktdaten der Datenschutzaufsichtsbehörde für Beschwerden. Diese Informationen wurden in Abstimmung mit der Datenschutzstelle der Otto-Friedrich-Universität Bamberg ausgearbeitet. Nach dem Debriefing stellte eine teilnehmende Person einen Antrag auf Auskunft über die erhobenen Daten gemäß Art. 15 DSGVO. Das Auskunftsersuchen wurde durch die Übermittlung der diese Person betreffenden Daten bearbeitet.
Im Debriefing wurde auch erläutert, wie der Grundsatz der Datenminimierung während und nach der Erhebung konkret umgesetzt wurde. Das Debriefing und die Datenschutzhinweise wurden unter einer freien Lizenz veröffentlicht (vgl. Mühlhauser und Herrmann 2023). Nach dem Debriefing wurden die Studierenden dazu eingeladen, an einer Umfrage teilzunehmen und ihre Erfahrungen und Einschätzungen zu teilen. Dabei wurden keine individualisierten Links verwendet, um die Privatsphäre der Studierenden zu schützen.
Vor der Analyse der Daten wurden diese so weit wie möglich pseudonymisiert bzw. anonymisiert. Für die Studierenden wurden beispielsweise zufällige numerische Pseudonyme erzeugt, um die Analyse unvoreingenommen und ohne Personenbezug durchführen zu können. Bei anderen Attributen, wie z. B. dem Alter, wurden die Werte generalisiert, sodass mit dieser Angabe keine Person mehr direkt identifiziert werden kann.
Schließlich waren die Interessen der beiden am Experiment beteiligten Tutor:innen in ihrer Rolle als Angestellte am Lehrstuhl zu berücksichtigen. Es galt zu vermeiden, dass die Analyse des Kommunikationsverhaltens der Studierenden zu einer unzulässigen Überwachung der Arbeitsleistung der Tutor:innen führte. Die Tutor:innen wurden daher vorab über die Studie, die damit verfolgten Zwecke und die für sie daraus erwachsenden Risiken aufgeklärt. Ferner wurden Verhaltensregeln festgelegt, um die Intensität der Betreuung durch die Tutor:innen zu standardisieren. Der Inhalt der Kommunikation mit den Studierenden wurde von den Tutor:innen nicht an den Lehrstuhl weitergegeben. Um ihre Privatsphäre zu schützen, dokumentierten die Tutor:innen keine Nachrichtenanzahlen, Zeitaufwände und genaue Uhrzeiten, sondern nur, an welchen Tagen mindestens ein Kommunikationsereignis mit einer Studierenden bzw. einem Studierenden stattfand.

3.6 Umfrage

Mit einer Umfrage, zu der nach dem Debriefing eingeladen wurde, soll die subjektive Sicht der Studierenden erfasst werden. Diese Sicht ergänzt die objektiv erhobenen Kommunikations- und Nutzungsdaten. Die Umfrage haben 119 Studierende vollständig ausgefüllt, also ein erfreulich hoher Anteil der Teilnehmenden.
Den Studierenden wurden dabei verschiedene Fragen zu den E-Mails und deren Effekt gestellt. Für einen ersten Eindruck wurden Studierende gefragt, ob sie E-Mails erhalten haben und die Tutor:innen direkt kontaktiert haben, also Fragen gestellt bzw. auf die E-Mails geantwortet haben. Weitere Fragen gingen auf das Frage- und Lernverhalten ein. So wurden die Studierenden etwa gefragt, ob die E-Mails sie motiviert haben, ob sie dadurch über den Stoff nachgedacht haben, aber auch ob sie die E-Mails gestresst haben. Außerdem wurden Fragen zu den unterschiedlichen E-Mail-Varianten gestellt, also ob die persönliche Anrede wahrgenommen wurde und als angenehmer empfunden wurde bzw. ob ein konkreter Bezug hilfreich ist. Die Studierenden wurden auch nach Gründen gefragt, warum bzw. warum sie nicht auf die E-Mails geantwortet haben. Abschließend wurden Studierende gefragt, ob sie sich persönliche E-Mails auch in weiteren Durchläufen des Kurses, anderen Online-Kursen oder sogar Präsenzkursen wünschen. Der vollständige Fragebogen wurde unter einer freien Lizenz online veröffentlicht (vgl. Mühlhauser und Herrmann 2023).

4 Ergebnisse

Um den Effekt von E-Mails zu messen, werden für jede Woche des Untersuchungszeitraums sowohl die direkten Kontaktaufnahmen zu den Tutor:innen als auch die Aktivitätsdaten der Studierenden betrachtet. Die Basis für die Auswertung bilden sowohl für „Kontaktaufnahme“ als auch für jede Lernplattform die Anzahl von Aktivitäten in einer Woche sowie eine Indikatorvariable, die kodiert, ob eine Person in dieser Woche aktiv war oder nicht.
Insgesamt wurden drei Forschungshypothesen formuliert:
In Hypothese 1 wird der Frage nachgegangen, ob die versendeten E-Mails die Aktivität der Studierenden erhöhen. Als Maß für die Aktivität wird dabei sowohl das Kommunikations- als auch das Lernverhalten betrachtet. Es wird vermutet, dass Studierende, die eine E-Mail erhalten, aktiver sind als Studierende in der Kontrollgruppe.
Bei Hypothese 2 liegt der Fokus auf den direkten Kontaktaufnahmen. Es wird untersucht, ob eine E-Mail von Tutor:innen die Kontaktaufnahmen seitens der Studierenden erhöht. Auch hier ist zu vermuten, dass der Anteil der Studierenden, die eine E-Mail erhalten haben und die Tutor:innen kontaktieren größer ist als der Anteil der Studierenden, die die Tutor:innen kontaktieren, obwohl sie keine E-Mail erhalten haben.
Hypothese 3 konzentriert sich auf die Kontaktaufnahmen von Studentinnen. Hier ist basierend auf vorherigen Arbeiten (vgl. Herrmann et al. 2016; Parte und Mellado 2021) zu vermuten, dass Studentinnen eher Kontakt aufnehmen, wenn sie von einer Tutorin (und nicht von einem Tutor) eine E-Mail erhielten.
Bei allen durchgeführten Tests in diesem Abschnitt wird die Holm–Bonferroni-Korrektur für multiples Testen angewendet (vgl. Holm 1979). Das Signifikanzniveau liegt bei α = 0,05.

4.1 Erhöhen E-Mails die Aktivität der Studierenden?

In der ersten Hypothese wird vermutet, dass die versendeten E-Mails die Aktivität der Studierenden erhöhen. Um diese Hypothese zu überprüfen, wird für jede Gruppe und Woche der Anteil der Studierenden ermittelt, die mindestens einmal auf einer beliebigen Lernplattform aktiv waren oder die Tutor:innen direkt kontaktiert haben. In Tab. 2 ist zu sehen, dass in der ersten Woche für 93 % der Studierenden in Gruppe A eine Aktivität aufgezeichnet wurde. In Gruppe B waren 98 % der Studierenden aktiv und in Gruppe C waren es 92 %. Für die statistische Analyse wird in den ersten beiden Wochen aufgrund der Vergleichbarkeit immer Gruppe C als Kontrollgruppe verwendet, da diese Gruppe in beiden Wochen noch keine E-Mail erhalten hat. In den späteren Wochen wird hierfür immer die Gruppe mit dem größten Zeitabstand zur letzten Intervention verwendet, also die Gruppe, die am längsten keine E-Mail erhalten hat.
Tab. 2
Anteil aktiver Studierender in den drei Gruppen (A, B, C)
Woche
Gr. A
Gr. B
Gr. C
Mail
p-Wert
Holm(p)
1
0,931
0,98
0,922
p + k
0,888
1,00
2
0,94
0,981
0,882
p + u
0,012
0,085
3
0,90
0,91
0,891
u + k
4
0,851
0,892
0,80
p + u
0,446
1,00
5
0,79
0,911
0,862
p + k
0,292
1,00
6
0,83
0,88
0,781
u + k
7
0,771
0,82
0,87
u + k
8
0,68
0,791
0,69
u + k
9
0,722
0,72
0,781
p + k
0,297
1,00
10
0,711
0,74
0,63
u + k
11
0,64
0,731
0,69
u + k
12
0,412
0,42
0,491
p + u
0,238
1,00
1Gruppe, die in dieser Woche die E-Mail erhalten hat
2Kontrollgruppe, die zur Ermittlung des p-Wertes dient
In der ersten Woche wird demnach der Anteil aktiver Studierender in Gruppe A und Gruppe C miteinander verglichen. Gruppe A hat in dieser Woche persönliche-konkrete (p + k) E-Mails erhalten, Gruppe C keine. Der Anteil aktiver Studierender wird für die beiden Gruppen in der Analyse mit absoluten Häufigkeiten in einer 2 × 2-Kontingenztafel dargestellt. Zur Ermittlung des p-Wertes wird ein Chi-Quadrat-Test ohne Yates-Korrektur verwendet, da bei allen Tests die erwarteten Häufigkeiten größer als fünf sind und die Stichprobengröße groß genug (n > 60) ist (vgl. Backhaus et al. 2021). Für die Durchführung des Tests wird die R-Implementierung chisq.test – abgesehen von der deaktivierten Yates-Korrektur – mit den Standard-Einstellungen verwendet. Im Test wird der Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und der Aktivität der Studierenden mit den Ausprägungen aktiv oder inaktiv ermittelt. Tab. 2 zeigt die p-Werte des Chi-Quadrat-Tests für die einzelnen Interventionen. Unpersönlich-konkrete (u + k) E-Mails werden nicht betrachtet, da sie konzeptuell einer Ankündigung im Forum entsprechen.
In der zweiten Woche konnte initial ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit (Gruppe B, Gruppe C) und der Aktivität festgestellt werden, χ2(1) = 6,29, p = 0,012, Φ = 0,186. Der mit Holm-Bonferroni korrigierte p-Wert ist mit p = 0,085 bei α = 0,05 aber nicht mehr signifikant. Absolut gesehen waren 98 % der Studierenden in Gruppe B aktiv, in Gruppe C nur 88 %. Die persönlich-unkonkreten (p + u) E-Mails haben in dieser Woche demnach einen kleinen Effekt auf die Aktivität der Studierenden. Der Effekt fällt nach der Korrektur für multiples Testen aber nicht mehr signifikant aus. Das heißt, in den Wochen, in denen persönliche E-Mails an die Studierenden geschickt wurden, konnte mit dem verwendeten Studiendesign kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und der Aktivität der Studierenden erfasst werden. Insgesamt kann die Hypothese, dass Studierende durch die persönlichen E-Mails aktiver werden, demnach nicht bestätigt werden.

4.2 Erhöhen E-Mails die Kontaktaufnahme zu Tutor:innen?

In der zweiten Hypothese wird untersucht, ob Studierende häufiger Kontakt zu den Tutor:innen aufnehmen, wenn sie eine persönliche E-Mail von diesen erhalten haben. Für die Evaluation wird der Anteil der Studierenden mit direkter Kontaktaufnahme zu den Tutor:innen in jeder Gruppe für alle Wochen ermittelt. Anschließend werden die Anteilswerte mittels Chi-Quadrat-Test miteinander verglichen. Die Ergebnisse sind in Tab. 3 dargestellt.
Tab. 3
Anteil Studierender mit direktem Tutorenkontakt.
Woche
Gr. A
Gr. B
Gr. C
Mail
p-Wert
Holm(p)
1
0,351
0,03
0,042
p + k
1,11e-07
1,45e-06*
2
0,07
0,201
0,052
p + u
0,0026
0,0232*
3
0,02
0,10
0,131
u + k
4
0,191
0,062
0,04
p + u
0,0058
0,0465*
5
0,07
0,311
0,042
p + k
1,50e-06
1,80e-05*
6
0,02
0,08
0,091
u + k
7
0,051
0,11
0,04
u + k
8
0,03
0,071
0,03
u + k
9
0,032
0,03
0,201
p + k
0,0001
0,0015*
10
0,051
0,03
0,03
u + k
11
0,02
0,071
0,04
u + k
12
0,032
0,01
0,201
p + u
0,0001
0,0015*
1Gruppe, die in dieser Woche die E-Mail erhalten hat
2Kontrollgruppe, die zur Ermittlung des p-Wertes dient
In allen Wochen, in denen eine persönliche E-Mail (p + k, p + u) versendet wurde, konnte ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe festgestellt werden. In der ersten Woche haben in Gruppe A bspw. 35 % der Studierenden Kontakt zu den Tutor:innen aufgenommen, in Gruppe C nur 4 %. Der Chi-Quadrat-Test ergibt für die persönlich-konkreten E-Mails demnach einen signifikanten p-Wert beim Vergleich dieser Gruppen, χ2(1) = 28,16, p < 0,001, Φ = 0,382. In der fünften Woche ist der p-Wert beim Vergleich von Gruppe B und Gruppe C auch signifikant, χ2(1) = 23,15, p < 0,001, Φ = 0,357. Das Gleiche gilt für den Vergleich zwischen Gruppe C und Gruppe A in der neunten Woche, χ2(1) = 14,50, p < 0,001, Φ = 0,274. Auch bei den persönlich-unkonkreten E-Mails sind alle p-Werte signifikant. In der zweiten Woche liegt ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Kontaktfreudigkeit der Studierenden und der Gruppenzugehörigkeit (B, C) vor, χ2(1) = 9,08, p = 0,003, Φ = 0,223. Das Gleiche gilt für die vierte Woche und die Gruppen A und B, χ2(1) = 7,61, p = 0,006, Φ = 0,201, sowie die Gruppen A und C in der zwölften Woche, χ2(1) = 14,50, p < 0,001, Φ = 0,274. Dementsprechend kann die Hypothese, dass Studierende häufiger Kontakt zu den Tutor:innen aufnehmen, wenn sie persönliche E-Mails erhalten, bestätigt werden.

4.3 Kontaktieren Studentinnen lieber Tutorinnen?

In der dritten Hypothese wird untersucht, ob Studentinnen, die von einer Tutorin E-Mails erhalten haben, häufiger direkten Kontakt zu den Tutor:innen aufnehmen als die Vergleichsgruppe. Die Vergleichsgruppe besteht hier aus Studentinnen, die von einem Tutor die E-Mails bekommen haben. Für den Vergleich der beiden Gruppen wird für jede Studentin ermittelt, an wie vielen Tagen sie in den zwölf Wochen des Untersuchungszeitraums Kontakt zu den Tutor:innen aufgenommen hat.
Die Vermutung ist, dass Studentinnen eher Kontakt zu den Tutor:innen aufnehmen, wenn sie von einer Tutorin angeschrieben werden. Die 49 Studentinnen, die von der Tutorin angeschrieben wurden, haben im Durchschnitt an 0,96 Tagen im Untersuchungszeitraum direkten Kontakt aufgenommen (M = 0,96, SD = 1,37).
In der Vergleichsgruppe wurden 44 Studentinnen vom Tutor angeschrieben. Diese 44 Studentinnen haben die Tutor:innen im Durchschnitt an 2,20 Tagen im Untersuchungszeitraum kontaktiert (M = 2,20, SD = 6,23), also absolut gesehen häufiger. Mögliche Gründe hierfür werden in der Diskussion (siehe Kap. 5) aufgegriffen. Um die Gruppen miteinander zu vergleichen, wird ein Welch t-test für zwei unabhängige Stichproben verwendet.
Der Welch t-test kann bei dieser Hypothese keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen feststellen, tWelch(46,733) = −1,2988, p = 0,2004, pHolm = 1,00. Das heißt, Studentinnen, die von einer Tutorin angeschrieben werden, nehmen in Relation zur Vergleichsgruppe nicht häufiger Kontakt zu den Tutor:innen auf. Die Vergleichsgruppe besteht hier aus Studentinnen, die von einem Tutor E-Mails erhalten haben. Dementsprechend kann die Hypothese, dass Studentinnen, die von einer Tutorin E-Mails erhalten, häufiger direkten Kontakt aufnehmen, nicht bestätigt werden.

4.4 Umfrage

Insgesamt haben 119 Studierende die Umfrage am Ende des Semesters komplett ausgefüllt, nachdem sie über die Studie informiert wurden. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus der Umfrage zur Motivation der Studierenden und ihrer Bewertung der persönlichen E-Mails vorgestellt.
Motivation der Studierenden: Fragen zur Motivation der Studierenden wurden auf einer Skala von 4 (trifft voll zu) bis 0 (trifft nicht zu) mit fünf Ausprägungen gemessen. Tatsächlich haben die E-Mails, in denen den Studierenden Unterstützungsangebote gemacht wurden, nach eigener Einschätzung etwa die Hälfte der Studierenden motiviert, sich mit Inhalten und Aufgaben des Kurses zu beschäftigen (4 = 21,85 %, 3 = 29,41 %). Etwa 20 % der Studierenden fühlten sich nicht motiviert, sich mit den Inhalten und Aufgaben des Kurses zu beschäftigen (1 = 6,72 %, 0 = 12,61 %). Der Rest hat eher neutral geantwortet (2 = 22,69 %).
Die E-Mails haben Studierende mehrheitlich auch dazu gebracht, sich zu überlegen, ob sie zu Inhalten oder Aufgaben Fragen haben (4 = 33,61 %, 3 = 26,05 %). Nur ein geringer Teil fühlte sich hier nicht motiviert (1 = 6,72 %, 0 = 5,88 %). Bei einigen Studierenden könnten die E-Mails aber auch das Gegenteil bewirken: sie gaben an, sich unter Druck gesetzt zu fühlen (4 = 10,08 %, 3 = 17,65 %). Mehr als die Hälfte der Studierenden hat sich allerdings kaum unter Druck gesetzt gefühlt (1 = 15,13 %, 0 = 33,61 %) oder stand der Aussage neutral gegenüber (2 = 19,33 %).
Antwortverhalten der Studierenden: Neben der Motivation entscheidend ist, ob die E-Mails auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Modulinhalten gefördert haben. Daher wurde gefragt, aus welchen Gründen die Studierenden auf die E-Mails geantwortet haben. Bei dieser Frage war eine Mehrfachauswahl aus fünf Gründen und eine Freitexteingabe möglich. Die meisten Studierenden gaben an zu antworten, weil sie tatsächlich eine Frage hatten oder Unterstützung benötigten (38,66 %), den persönlichen Kontakt angenehm fanden (36,97 %), nicht unhöflich sein wollten (35,29 %), Feedback geben wollten (33,61 %) oder sich dazu aufgefordert fühlten (18,49 %). Neben den Gründen, warum Studierende geantwortet haben, sind die Gründe, warum sie es nicht getan haben ebenso interessant. Um dies zu erfassen, war neben der Freitexteingabe auch wieder eine Mehrfachauswahl möglich. Hier konnten Studierende acht verschiedene Gründe angeben. Der Großteil der Antworten entfiel darauf, dass die Studierenden zu diesem Zeitpunkt keine Unterstützung benötigten (45,38 %) oder nicht wussten, was sie den Tutor:innen antworten sollten (33,61 %). Teilweise lag es auch daran, dass die E-Mail vergessen wurde (22,69 %) bzw. zu einem ungünstigen Zeitpunkt ankam (15,97 %). Ein kleiner Anteil der Antwortenden hat sich hingegen nicht getraut, dem Tutor bzw. der Tutorin zu antworten (12,61 %) oder empfand es als nicht nützlich zu antworten (10,92 %).
Anrede und Inhalt der E-Mails: Die E-Mails haben sich im Experiment in der Anrede (persönlich oder unpersönlich) und im Bezug zum aktuellen Stoff unterschieden (konkreter Bezug oder kein konkreter Bezug). Die subjektiven Einschätzungen zur Anrede und zum Inhalt der E-Mails wurden auf einer Skala von 4 (trifft voll zu) bis 0 (trifft nicht zu) mit fünf Ausprägungen gemessen. Hierbei wurde die Anrede mit Vorname von mehr als 75 % der Studierenden als angenehm empfunden (4 = 64,71 %, 3 = 14,29 %). Nur ein geringer Teil empfand die Anrede als nicht angenehm (1 = 7,56 %, 0 = 1,68 %). Die persönliche Anrede mit Vornamen wurde von der Mehrheit der Studierenden (4 = 63,87 %, 3 = 13,45 %) auch explizit als angenehmer empfunden als die unpersönliche Anrede. Etwa die Hälfte der Studierenden fand den Bezug zu aktuellen Aufgaben hilfreich (4 = 26,89 %, 3 = 22,69 %). Etwa ein Fünftel der Studierenden empfand den Bezug als weniger hilfreich (1 = 9,24 %, 0 = 9,24 %). Im Vergleich zu E-Mails, die keinen konkreten Aufgabenbezug hatten, fanden etwa 43 % der Studierenden die konkreten E-Mails hilfreicher (4 = 22,69 %, 3 = 21,01 %). Etwas mehr als 21 % der Studierenden fanden die konkreten E-Mails nicht hilfreicher (1 = 5,04 %, 0 = 16,81 %).
Generelle Zufriedenheit mit dem Format: Am Ende der Umfrage wurden Studierende gefragt, ob sie sich eine Weiterführung wünschen, also ob sie von Lehrenden auch in Zukunft mit persönlichen E-Mails angesprochen werden möchten. Die Fragen dazu wurden auf einer Skala von 4 (stimme voll zu) bis 0 (stimme nicht zu) mit fünf Ausprägungen gemessen. Mehr als 75 % der Studierenden wünschten sich, dass persönliche E-Mails auch in Zukunft in dieser Grundlagenvorlesung eingesetzt werden (4 = 60,50 %, 3 = 16,81 %). Weniger als 10 % stimmen dem eher nicht zu (1 = 3,36 %, 0 = 5,04 %). Die Einschätzung der Studierenden galt nicht nur für diesen Kurs, sondern auch für andere Online-Kurse (4 = 54,62 %, 3 = 18,49 %, 1 = 4,20 %, 0 = 5,88 %). Weiterhin wünschte sich die Mehrheit persönliche E-Mails auch in Präsenzveranstaltungen (4 = 42,02 %, 3 = 21,85 %, 1 = 7,56 %, 0 = 6,72 %).

4.5 Präsenzveranstaltung

In der Umfrage hat sich ein Großteil der Studierenden gewünscht, dass persönliche E-Mails auch in Präsenzveranstaltungen eingesetzt werden. Im Sommersemester 2022 wurde das Experiment daher in der gleichen Vorlesung mit einigen Änderungen wiederholt. Die Teilnehmenden wurden zwar wieder in vier Gruppen (1–4) aufgeteilt, allerdings wurden ausschließlich persönlich-konkrete E-Mails versandt, da beide Eigenschaften in der Umfrage mehrheitlich positiv wahrgenommen worden waren. Zum anderen wurde darauf verzichtet, Aktivitäten in den Lernplattformen zu protokollieren, da der Fokus beim zweiten Experiment auf der Beobachtung des Kommunikationsverhaltens lag. Aus organisatorischen Gründen wurden beim zweiten Experiment statt einer Tutorin und einem Tutor nun drei Tutoren und eine Tutorin eingesetzt.
Tab. 4 zeigt den Anteil der Studierenden, die in einer Woche direkten Kontakt zu den Tutor:innen aufgenommen haben. In den Wochen, in denen eine persönlich-konkrete E-Mail verschickt wurde, nahmen bis zu 15,4 % der Studierenden Kontakt auf. In den Wochen, in denen keine persönlichen E-Mails verschickt wurden, war der Anteil mit bis zu 6,7 % der Studierenden niedriger.
Tab. 4
Anteil Studierender mit direktem Kontakt in Präsenzveranstaltung.
Woche
Mail
Gr. 1
Gr. 2
Gr. 3
Gr. 4
1
p + k
0,124
0,135
0,144
0,135
2
0,019
0,019
0,048
0,000
3
0,000
0,029
0,010
0,058
4
p + k
0,057
0,125
0,077
0,125
5
0,019
0,029
0,010
0,019
6
0,010
0,019
0,019
0,010
7
p + k
0,048
0,077
0,067
0,077
8
0,029
0,048
0,029
0,010
9
0,019
0,067
0,019
0,029
10
p + k
0,057
0,087
0,154
0,058
Im Vergleich zum ersten Experiment sind die Anteilswerte der Studierenden, die direkten Kontakt zu den Tutoren aufgenommen haben, insgesamt geringer. Der Unterschied zu den Wochen ohne persönlich-konkrete E-Mail ist ebenfalls nicht mehr so stark ausgeprägt. Die Ergebnisse in Tab. 4 lassen erkennen, dass persönliche E-Mails auch in der Präsenzlehre den Kontakt der Studierenden zu Tutor:innen intensivieren können.

5 Diskussion

Die statistischen Auswertungen legen nahe, dass die persönlichen E-Mails keinen signifikanten Effekt auf die Aktivität der Studierenden auf den Lernplattformen hatten. Anscheinend konnten die persönlichen E-Mails die Studierenden jedoch dazu bewegen, häufiger Kontakt zu den Tutor:innen aufzunehmen. In Bezug auf das Kommunikationsverhalten konnte in den einzelnen Wochen ein signifikanter Unterschied zwischen Kontroll- und Treatmentgruppen festgestellt werden.
Diese unterschiedlichen Ergebnisse bestätigen Ergebnisse aus vorherigen Arbeiten. Persönliche E-Mails haben nicht immer einen signifikanten Effekt auf die Motivation oder das Kommunikations- und Lernverhalten der Studierenden. Kim und Keller betrachteten mehrere Dimensionen der Motivation und konnten zwar insgesamt, aber nicht für alle Dimensionen Effekte der E-Mails erkennen. Auch bei den Studiengewohnheiten haben die Autoren keinen Effekt der persönlichen E-Mails festgestellt (vgl. Kim und Keller 2008). Parte und Mellado stellten einen Effekt von motivierenden E-Mails für bereits aktive Studierende fest; bei inaktiven Studierenden konnte jedoch kein signifikanter Effekt festgestellt werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Geschlecht einen Einfluss darauf hat, ob E-Mails einen Effekt haben. Studentinnen zeigten nach Erhalt einer motivierenden E-Mail häufiger Aktivität, Studenten nicht (vgl. Parte und Mellado 2021). Im vorliegenden Beitrag hatte das Geschlecht der Tutor:innen hingegen keinen signifikanten Einfluss auf das Kommunikationsverhalten der Studentinnen. Eine persönliche E-Mail einer Tutorin führte im Vergleich zu einer E-Mail von einem Tutor nicht zu einer signifikant häufigeren Kontaktaufnahme bei den Studentinnen.
Der Inhalt der E-Mails hat aber einen Einfluss auf das Kommunikationsverhalten der Studierenden. Durch einen konkreten Bezug zum aktuellen Stoff ist der Effekt der persönlich-konkreten E-Mails, Φ = (0,382, 0,357, 0,274), im Vergleich zu persönlich-unkonkreten E-Mails, Φ = (0,223, 0,201, 0,274), nochmals etwas größer. Dabei sind Effekte nach Cohen ab Φ = 0,10 klein, ab Φ = 0,30 mittel und ab Φ = 0.50 groß (vgl. Cohen 1988). Dementsprechend sollten Lehrpersonen E-Mails an die Studierenden am besten mit einer persönlichen Anrede und einem konkreten Bezug zum Stoff formulieren.
Die Ergebnisse der verdeckten Beobachtung bestätigen sich in der Umfrage. Von den 119 an der Umfrage teilnehmenden Studierenden fand eine deutliche Mehrheit, dass die persönlichen E-Mails angenehmer waren als die unpersönlichen. Etwa die Hälfte der Studierenden empfand den Bezug zum aktuellen Stoff in den konkreten E-Mails hilfreich. Weiterhin gab etwa die Hälfte an, dass die persönlichen E-Mails sie motiviert hätten, sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Die generelle Zufriedenheit der Studierenden mit dem Instrument war hoch. Eine deutliche Mehrheit der Studierenden wünscht sich, dass persönliche E-Mails in diesem Kurs, in anderen Onlinekursen, und in Präsenzveranstaltungen eingesetzt werden. In den Aktivitätsdaten, die verdeckt auf den Lernplattformen erhoben wurden, konnte allerdings kein signifikanter Effekt der E-Mails festgestellt werden.
Beim zweiten Experiment im Präsenzsemester zeigte sich, dass persönliche E-Mails auch in Präsenz dazu führen, dass Studierende vermehrt Kontakt zu den Tutor:innen aufnehmen. Der Einfluss der E-Mails ist allerdings geringer als in der Online-Veranstaltung. Persönlich-konkrete E-Mails können also nicht nur in der Onlinelehre, sondern auch in der Präsenzlehre zur Verbesserung der Lernatmosphäre eingesetzt werden.
Einschränkungen: Bei der Interpretation der Ergebnisse sind einige Einschränkungen zu beachten. Das Verhalten der Studierenden im Sommersemester 2021 wurde durch die Corona-Pandemie beeinflusst. Die Beobachtung der Aktivitäten auf den Lernplattformen erfasst nur einen Ausschnitt aller Lernaktivitäten der Studierenden, auch wenn alle Inhalte auf den Lernplattformen prüfungsrelevant waren. Schließlich wurden bei der Analyse Aktivitäten auf allen Lernplattformen zusammen betrachtet, wodurch individuelle Verhaltensmuster kaschiert worden sein könnten. Eine Konzentration auf ausgewählte Lernplattformen erschien jedoch inhaltlich nicht begründbar.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine Lehrveranstaltung mit vielen aufwendig gestalteten Selbstlernangeboten handelt, die den Ruf hat, anspruchsvoll zu sein. Möglicherweise war daher das Grundniveau der Lernaktivität bereits so hoch, dass die E-Mails keinen signifikanten Einfluss mehr darauf hatten.
Bei der Auswertung der Aktivitätsdaten ist zu beachten, dass das Studiendesign auf Chancengleichheit ausgelegt ist. Demnach ist es nicht möglich den Effekt der E-Mails auf den Klausurerfolg zu ermitteln.
Außerdem erschwert das Studiendesign die Beurteilung der Effekte der E-Mails ab der vierten Woche. Möglicherweise existieren wochenübergreifende Effekte, wodurch Studierende durch eine persönliche E-Mail nicht nur in der aktuellen Woche, sondern über einen längeren Zeitraum aktiver sind; dadurch könnten die Unterschiede zwischen den E-Mail-Typen unterschätzt werden. Neben dieser studierendenindividuellen Dynamik könnte es auch allgemeine zeitliche Effekte geben, die nicht modelliert wurden. Der Schwierigkeitsgrad der im Zeitverlauf behandelten Themen schwankt und es gibt nicht für alle Themenbereiche der Veranstaltung vergleichbare Übungsangebote. Abgesehen davon schwankt die Aktivität der Studierenden im Laufe des Semesters. Gegen Ende des Experiments steigt die Aktivität wegen der Nähe zur Klausur stark an. Dies verzerrt die Beobachtungen in den letzten Wochen des Versuchszeitraums. Einige wenige Studierende haben außerdem bereits vor Abschluss des Experiments vermutet, dass die E-Mails im Rahmen einer Studie versendet würden, was zu kleineren Verzerrungen geführt haben könnte.
Die Überprüfung der dritten Hypothese kann ebenfalls durch Verzerrungen beeinträchtigt sein. Hier wurde beobachtet, dass bei einer Gleichverteilung der Studentinnen auf die Tutorin und den Tutor, die Tutorin von den Studentinnen im Schnitt weniger kontaktiert wurde als der Tutor. Dieses Ergebnis könnte dadurch zu erklären sein, dass Tutorin und Tutor in der Online-Veranstaltung nicht die gleiche Sichtbarkeit hatten: Für die in der Veranstaltung behandelten Übungsaufgaben gab es eine Reihe von Videos, die alle vom Tutor aufgenommen worden waren.

6 Schlussfolgerungen

Lehrende können Studierende motivieren, aktiver am Kurs teilzunehmen, indem sie ihnen mehrmals im Semester persönliche E-Mails senden. Dieses Ergebnis liefern die in diesem Beitrag vorgestellten Experimente. Dazu wurden das Kommunikationsverhalten und die Aktivitätsdaten auf mehreren Lernplattformen ausgewertet und eine Umfrage unter Studierenden durchgeführt. Studierende, die eine persönliche E-Mail von Tutor:innen erhielten, nahmen signifikant häufiger Kontakt zu diesen auf. E-Mails mit einer persönlichen Anrede und einem konkreten Bezug zu aktuell in der Veranstaltung behandelten Themen hatten dabei den stärksten Effekt.
Für zwei weitere Hypothesen ließen sich hingegen keine signifikanten Effekte feststellen. Erstens hatten die E-Mails keinen signifikanten Effekt auf die gesamte Aktivität der Studierenden. Zweitens nahmen weibliche Studierende – entgegen der Erwartung – nicht häufiger Kontakt zu den Tutor:innen auf, wenn sie von einer Tutorin angeschrieben wurden. Dies mag an den Einschränkungen des die Chancengleichheit wahrenden Studiendesigns und der für die Experimente gewählten Lehrveranstaltung liegen. Der subjektive Eindruck der Studierenden ist jedenfalls sehr positiv. Insgesamt scheint der Einsatz von persönlich-konkreten E-Mails empfehlenswert, um Studierende zu aktivieren und Kommunikationsbarrieren abzubauen, zumal der Aufwand für die Umsetzung durch eine Automatisierung des Versands recht gering ist.
Der vorliegende Beitrag wurde im Rahmen des Projekts WINTERMUTE (16KIS1128) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.
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Metadaten
Titel
Studie zum Nutzen persönlicher E-Mails in der Online- und Präsenzlehre
verfasst von
Michael Mühlhauser
Dominik Herrmann
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43379-6_5

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