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13.09.2023 | Verwaltungsmanagement | Interview | Online-Artikel

„Vergabe ist kein Selbstzweck“

verfasst von: Stefanie Hüthig

4 Min. Lesedauer

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Marco Junk, Geschäftsführer und Gründer des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW), über die Wirkung der Beschleunigungsgesetze, das Vergabetransformationspaket und die Bedeutung der öffentlichen Beschaffung.

springerprofessional.de: Herr Junk, in Sicherheits- und Energiefragen mussten vor einigen Monaten die Beschaffungsprozesse beschleunigt werden. Dazu wurden das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz, BwBBG, und das LNG-Beschleunigungsgesetz LNGG, auf den Weg gebracht. Was haben die Gesetze in Ihrer Wahrnehmung bisher bewirkt?

Marco Junk: Helmut Kohl sagte einmal, „entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Für den Bereich LNG waren, jedenfalls auch aufgrund des Gesetzes, beeindruckend schnell Erfolge zu vermelden. Im Bereich der Bundeswehrbeschaffung sieht das nach wie vor anders aus, auch, weil der Zustand der Bundeswehr – anders als gerne behauptet – nicht die Folge des bisherigen Vergaberechts war. Zumal bereits 2020 das „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ verabschiedet wurde, mit ganz ähnlicher Zielsetzung, aber weitgehend ausgebliebenem Effekt. Nicht zu vergessen, dass zunächst auch die Produktionskapazitäten der wehrtechnischen Industrie hochgeschraubt werden mussten, die sich analog zur „Friedensdividende“ entwickelt hatten.

Noch in der Entwicklung ist das Vergabetransformationspaket, das öffentliche Vergaben einfacher und damit günstiger, wirtschaftlicher und auch nachhaltiger machen soll. Mittlerweile ist die öffentliche Konsultation zu dem Vorhaben beendet. Für das erste Halbjahr 2024 wird mit dem Gesetz gerechnet. Halten Sie das für realistisch?

Nach allem, was man aus dem federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK hört, ja. Die Herausforderungen war dabei, dass 450 Stellungnahmen eingereicht wurden, was Rekord sein dürfte. Daran erkennt man die Bedeutung der öffentlichen Beschaffung. Mit rund 300 Milliarden Euro pro Jahr ist sie der größte Markt Deutschlands. Das BMWK hat den Prozess vorbildlich organsiert. Neben den Stellungnahmen gab es zahlreiche Gesprächsrunden zum Austausch mit den Stakeholdern.

Welche Ansätze aus dem bisherigen Vergabetransformationsprozess sind vielversprechend und welche kritisieren Sie?

Bis der Gesetzentwurf vorliegt, will ich mich auf den Gesetzeszweck beschränken. Die öffentliche Beschaffung soll wirtschaftlicher, sozialer, innovativer und ökologischer ausgerichtet werden. Die Idee, die enorme Marktmacht von Bund, Ländern und Kommunen als Steuerungsinstrument zu nutzen, ist nicht neu – die große Vergaberechtsreform von 2009 nahm erstmals die bis dato verächtlich als „vergabefremde Aspekte“ bezeichneten Ziele als zulässig in das Vergaberecht auf – und natürlich richtig. Aber nach der Dauerreform des Vergaberechts in den vergangenen 15 Jahren, eben weil es dienliches Werkzeug politischer Steuerung ist, erhofften sich ihre Anwender, das heißt die Beschaffer in Bund, Ländern und Kommunen, vor allem eines, nämlich in Ruhe gelassen zu werden. Man muss kein Prophet sein, um jetzt schon zu wissen: Kaum ein Anwender wird sich auf das neue Regelwerk freuen.

Am 18. Oktober 2023 veranstalten Sie in Berlin das Event „Kommunen gestalten Zukunft“. Auf der Agenda stehen mit Klimaschutz, Innenstadtentwicklung und digitalen Fragen Themen, die mit dem Zweck Ihres Netzwerks auf den ersten Blick direkt wenig zu tun haben. Warum sind diese Themen dennoch für Sie und Ihre Mitglieder wichtig?

Vergabe ist kein Selbstzweck. Sie dient immer einer Bedarfsdeckung, und zahlenmäßig sind die größten Bedarfsträger die Kommunen. Über 90 Prozent aller Vergaben kommen von ihnen. Die aktuell drängendsten Themen in den Kommunen sind die eben genannten, und das in Zeiten immer knapperer Kassen und Personal. Die Tagung soll Lösungen aufzeigen und Impulse geben, nicht abstrakt, sondern anhand konkreter, bereits umgesetzter Projekte. Das Thema Vergabe wird diesmal außen vor bleiben.

Auf welchen der Vorträge auf der Veranstaltung sind Sie besonders gespannt?

Ich freue mich unter anderem besonders auf den Vortrag „Digitallotsen, Chatbots und KI in der Smart City Heidelberg“ von Dr. Philipp Lechleiter, Abteilungsleiter bei der Stadt Heidelberg. Um ein Extrembeispiel für den Einsatz solcher Technologie zu nennen: Viele Menschen, die am Wochenende die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen, gehören dort gar nicht hin. Dennoch muss dies für jeden zunächst festgestellt werden, zum Nachteil derer, die wirklich in einer Notlage sind. Hier könnten Chatbots und KI eine große Unterstützung und damit Zeitersparnis bringen. Das klingt erstmal unheimlich, ist es aber bei näherer Betrachtung nicht. Und die schlichte Notwendigkeit wird uns früher oder später dazu zwingen.

Die Fragen stellte Stefanie Hüthig schriftlich.


Marco Junk ist Geschäftsführer und Gründer des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) und Leiter Regierungsbeziehungen beim IT-Unternehmen Eviden, das zur Atos-Gruppe gehört. Das DVNW ist Plattform zum Wissensaustausch im öffentlichen Auftragswesen und hat nach eigenen Angaben rund 12.000 Mitglieder.

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