Das agile Sprintlernen wurde im Rahmen des Vorhabens inMEDIASres (gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds ESF) – als eine Form des agilen Lernens im Unternehmen – von den Forschungspartnern Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und ZNL Transfer Zentrum für Neurowissenschaften und Lernen entwickelt und gemeinsam mit vier Unternehmen zu jeweils mehreren Lernthemen erprobt.
Diese Praxisumsetzungen wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens eng begleitet und evaluiert. Die Beobachtungen zeigen, dass mittels agilem Lernen im Unternehmen auch komplexe Lerninhalte bei verschiedensten Zielgruppen erfolgreich gelernt werden können – allerdings nur, wenn dabei einige Aspekte für die qualitativ hochwertige Ausgestaltung des agilen Lernens beachtet werden. Auch die Zufriedenheit der Lernenden und die Akzeptanz der Lernform werden dadurch beeinflusst, wie gut das agile Lernprojekt aufgesetzt und durchgeführt wurde. Dieses Kapitel beschreibt qualitätsrelevante Aspekte im agilen Lernen ausgehend von den Erfahrungen und Evaluationsergebnissen im Vorhaben inMEDIASres.
12.2 Qualitätskriterien für das agile Lernen
Abhängig vom Lerngegenstand stellen sich schon vor Beginn des agilen Lernens verschiedene Fragen: Wer ist der fachliche Begleiter für dieses Lernthema? Welche Lernziele werden verfolgt und wie können diese gut durch die Lernaufgaben und Akzeptanzkriterien abgedeckt werden? Wie lang sind die Etappen und lernt das Team arbeitsintegriert oder in Vollzeit (im Detail siehe auch Kap.
11)?
Das Lernen selbst geschieht nah am oder gar integriert in den Arbeitsalltag und ist durch ein kontinuierliches Zusammenspiel der Lernenden untereinander sowie mit den fachlichen und methodischen Begleitern gekennzeichnet. Die Erfahrungen aus den Erprobungen zeigen, dass hier auch Haltungsfragen ins Spiel kommen. Worauf es im Einzelnen ankommt, damit die oben genannten Qualitätsziele erreicht werden können, wird im Folgenden entlang der einzelnen Phasen und Rollen im agilen Lernen dargestellt.
Durchführungsphase
Die gesamte Lernorganisation muss sinnvoll umgesetzt sein. Das bedeutet, dass das Aufsetzen eines agilen Lernens (siehe Kap.
11) einer angemessenen Vorbereitung bedarf. Hierzu zählt neben der sinnvollen Rollenbesetzung auch ein Zeitplan (Zeitpunkt, Etappenlänge, etc.), der zum Arbeitsablauf und zu den Rahmenbedingungen der Lernteams passt.
Als besonders wertvoll bezeichnen Teilnehmer (vor allem Lernteams) das Review. Dieses Element hat – verglichen mit der Planung und der Retrospektive – einen besonders hohen Einfluss auf den Nutzen für die Lernenden wie auch für das Unternehmen. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Feedbackqualität im Review. Fachliche Begleiter sollten Feedback auf der Aufgabenebene, d. h. konkret entlang der definierten Akzeptanzkriterien geben und anerkennen, dass der Dialog im Review Teil des Lernprozesses ist.
Die Evaluationsergebnisse zeigen außerdem, dass ein gutes Aufwand-Nutzen-Verhältnis aller einzelnen Meetings, d. h. Planung, Review und Retrospektive, wichtig ist. Bei gut formulierten Lernaufgaben und einem eingespielten Lernteam kann die Planung sehr kurz ausfallen, solange das Meeting seine Funktion erfüllt. Ein Review kann als „zu langgezogen“ erlebt werden, wenn Inhalte wiederholt besprochen werden oder thematisch abgeschweift wird. Gleichzeitig schätzen die Lernteams die fachliche Tiefe im Review und merken an, dass ein zu kurzes Review dem Lernprozess schadet. Die Retrospektive sollte ebenso wie die Planung bedarfsorientiert und situationsbezogen durchgeführt werden, um ein positives Aufwand-Nutzen-Verhältnis zu erzielen.
Auch das Verhältnis von Struktur und Selbststeuerung, das besonders kennzeichnend für das agile Lernen ist, sollte zum Lernteam und zum Lernthema passen. Der gesamte Ablauf folgt einer klaren Struktur – gleichzeitig hat das Lernteam vor allem während der Lernetappe viele Freiheitsgrade. Hat ein Team wenig Vorwissen in einem Lernthema und ist erstmalig für das agile Lernen zusammengestellt worden, kann eine engere Begleitung (auch während der Lernetappe) durch die fachlichen und/oder methodischen Begleiter sinnvoll und hilfreich sein. Auf der anderen Seite konnten Lernteams, die bereits Vorerfahrungen mit dem agilen Lernen und/oder dem Lerninhalt hatten, während der Lernetappe gänzlich auf die Begleiter verzichten.
Das agile Lernen ist besonders ergiebig, wenn die Potenziale seiner iterativen Struktur genutzt werden: Dazu zählen das Lernen aus Fehlern und die Anpassungen über die Etappen hinweg. Das bedeutet bspw., dass Ergebnisse aus der Retrospektive in Maßnahmen oder Anpassungen für die nächste Etappe münden. Die Umsetzung dieser Anpassungen hat der methodische Begleiter im Blick. Er reflektiert diese mit dem Lernteam in der nächsten Retrospektive usw.
Schließlich sind auch die Tools und Instrumente, die das Lernen und Arbeiten unterstützen, sinnvoll zu wählen. Sie müssen gut zur Durchführungsform des agilen Lernens passen (online vs. präsent und Vollzeit vs. arbeitsintegriert), Zugang zu den Lernaufgaben und weiteren erforderlichen Dokumenten gewährleisten und möglichst an bestehende und dem Team bekannte Tools und Plattformen ankoppeln.
12.4 Fazit
Alles in allem zeigt sich, dass agiles Lernen im Unternehmen mit all seinen Potenzialen bei weitem nicht voraussetzungsfrei ist. Zu einer wirklich guten und qualitativ hochwertigen Umsetzung gehört eine passende Qualifizierung und letztlich auch Erfahrung, insbesondere was die Rolle des methodischen Begleiters betrifft. Agiles Lernen hat sehr viele strukturgebende Elemente – wobei die Herausforderungen häufig im Detail liegen. Neben recht hohen Ansprüchen an die didaktische Aufbereitung (insbesondere der Lernaufgaben) sind vor allem „weiche Faktoren“ und Kompetenzen wie die Haltung der Beteiligten und die Situationskompetenz des methodischen Begleiters entscheidend für eine hohe Qualität. Wird agiles Lernen ohne jegliche Vorerfahrung und ohne Beachtung dieser weichen Faktoren umgesetzt, besteht die Gefahr, diese Lernform zu „verbrennen“, weil die Beteiligten den Sinn nicht erkennen können, ein schlechtes Aufwand-Nutzen-Verhältnis erleben oder wenig Nachhaltigkeit im Lernen erleben.
Unternehmen, die das agile Lernen im Unternehmen intensiv nutzen oder bei sich verankern wollen, sollten die Maßnahmen des Qualitätssicherungskonzepts strukturiert umsetzen, um den größtmöglichen Nutzen mit dem agilen Lernen zu erzielen: jederzeit schlank bedarfsgerecht jene Kompetenzen aufbauen zu können, die letztlich nur durch Erfahrungslernen zu erwerben sind.