Agile Produktentwicklung

Können Sie sich an Momente in Ihrem Berufsleben erinnern, in denen Sie besonders glücklich waren? Gab es eine Führungsperson, die Ihnen die Möglichkeit gegeben hat, dies erleben zu dürfen? Wenn ja, was hat dieser Mensch besser gemacht als andere? Wie hat er geführt? Was bedeutet für Sie wirklich gute Führung?

Die Japanischen Wissenschaftler Ikujirō Nonaka und Hirotaka Takeuchi schufen im Rahmen ihrer Arbeiten zu Wissensmanagement und Organisationsentwicklung die Grundlagen von Scrum. Sie verwendeten in diesem Zusammenhang erstmals den Begriff »Scrum« (engl. für Gedränge beim Rugby). Gemeint war ein ultimativer Teamzusammenhalt zur gemeinsamen Zielerreichung, wie er beim Rugby-Scrum geradezu physisch spürbar ist. Scrum-Teams arbeiten – ganz wie beim Rugby – als kleine, sich selbst organisierende Einheiten. Von außen wird lediglich die Richtung vorgegeben. Das Team bestimmt die Taktik und den Weg zur Zielerreichung selbst. Als eigentliche Erfinder des Scrum-Entwicklungsprozesses gelten jedoch Jeff Sutherland und Ken Schwaber. Sutherland führte bei einem Projekt für die Guinness Peat Aviation eine neue Rolle für die Projektleiter ein. Der Projektleiter wurde dabei zu einem Mitglied des Teams und seine Rolle entsprach eher der eines Moderators als der eines Managers.

In mehr als drei Jahren, über 40 namhaften Unternehmen und mehr als 100 komplexen Mechatronik-Projekten ist es uns gelungen, die zuvor genannten Gegenargumente zu überwinden. Einige sehr erfolgreiche Beispiele können Sie in diesem Buch nachlesen – hier mein außerordentlicher Dank an die Industrieautoren der folgenden Beiträge.

Im klassischen Projektmanagement lernt man, dass zu Projektbeginn eine sogenannte Work Breakdown Structure (WBS) erarbeitet wird. Die WBS strukturiert die Gesamtkomplexität des Projektes, der »Elefant wird in Scheiben geschnitten« und die Arbeitspakete-Struktur des gesamten Projektes dargestellt. Jedes einzelne Arbeitspaket hat eine geringere Komplexität als das Ganze.

Elektronische Komponenten und Systeme in Kraftfahrzeugen sowie der Markt für ebendiese Komponenten bzw. Systeme sind aktuell maßgeblich von zwei starken Veränderungen geprägt: Die Komplexität der einzelnen Komponenten und insbesondere Systeme steigt zunehmend an. Der Vernetzungsgrad der einzelnen Komponenten untereinander, und in zunehmendem Maße auch über die Grenzen des einzelnen Kraftfahrzeugs hinaus, nimmt ebenfalls stark zu. Sowohl die Fahrzeuge als auch die einzelnen elektronischen Komponenten werden Teil des »Internet der Dinge und Dienstleistungen« (IoTS).

Agile Prinzipien bewähren sich bisher vor allem in klar abgegrenzten Bereichen, wie etwa der Softwareentwicklung. Ihr Potenzial können sie aber auch in der gesamthaften Produktentwicklung entfalten – vorausgesetzt, die Organisation des Unternehmens wird umfassend an agile Prinzipien angepasst. Wenn dieser Kulturwechsel gelingt, macht er ein Unternehmen auch in einem volatilen Umfeld innovativ und zukunftsfähig.

Nahezu alle Unternehmen stehen heute vor denselben großen Herausforderungen. Die Transparenz und Geschwindigkeit, mit der neue Ideen vermarktet werden, führt in sehr kurzen Zeitspannen zu einer Revolution ganzer Industriezweige. Die steigende Vernetzung von Lösungen zwingt etablierte Unternehmen in neue Denkmuster, um die Geschwindigkeit der eigenen Innovationsprozesse ständig zu verbessern. Größe oder Historie schützen heute nicht mehr davor, innerhalb eines Jahrzehnts in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Überleben werden die Unternehmen, die sich auf die veränderten Marktgegebenheiten am schnellsten einstellen können.

Die Festool GmbH entwickelt und vertreibt hochwertige Elektro- und Druckluftwerkzeuge für professionelle Anwender und ist mit Exzenterschleifern, Tauchsägen und Oberfräsen für professionelle Anwender weltweiter Marktführer. Bereits die Gründung des Unternehmens unter dem Namen Fezer & Stoll 1925 war mit einer technischen Innovation verbunden – der ersten transportablen Kettensäge. Heute setzt das Unternehmen mit weltweit 2 700 Mitarbeitern über 547 Millionen Euro (2015) um und kann auf eine Exportquote von 76 % verweisen. Hauptforschungs- und Entwicklungsstandort ist die Unternehmenszentrale in Wendlingen.

Die Branche des Material-Handling und der Flurförderzeuge ist geprägt von extrem vielfältigen und hochkomplexen Kundenanforderungen und damit von einer außergewöhnlich breiten Produktpalette bei fast allen Herstellern. Kaum ein Gerät gleicht dem anderen, die Branche wandelt sich nicht nur durch den Aufschwung des E-Commerce rapide, der Wettbewerbsdruck verschärft sich. Gründe genug für die KION Group, einem weltweit führenden Anbieter von Gabelstaplern, Lagertechnik und Supply-Chain-Solutions, sich für agile Ansätze in der Produktentwicklung zu entscheiden.

OSRAM, mit Hauptsitz in München, ist ein weltweit führender Lichthersteller mit einer über 100-jährigen Geschichte. Das Produktportfolio beinhaltet High-Tech-Anwendungen auf der Basis halbleiterbasierter Technologien wie Infrarot-LED oder Laser. Die Produkte kommen in verschiedensten Anwendungen von Virtual Reality über autonomes Fahren oder Mobiltelefonen bis hin zu vernetzten intelligenten Beleuchtungslösungen in Gebäuden und Städten zum Einsatz. Im Bereich Fahrzeug-Lichttechnik ist das Unternehmen globaler Technologie- und Marktführer.

Die Energieversorgungsstrukturen sind weltweit im Umbruch. Dezentrale erneuerbare Energien gewinnen dabei immer mehr an Bedeutung. In diesem dynamischen Umfeld ist die Branche der Hersteller von Wechselrichtern und Systemtechnik für die Photovoltaik von starkem Wettbewerb und immer kürzeren Produktlebenszyklen geprägt. Um sich in diesem Verdrängungsmarkt erfolgreich zu behaupten, ist es für den Marktführer SMA Solar Technology AG (SMA) elementar, neue Geschäftsmodelle und Wachstumsfelder zu erschließen, vor allem aber auch, Innovationen schnell voranzutreiben (Keese 2014 und 2016).

Die digitale Vernetzung schafft neue Möglichkeiten und wird damit auch neue Anforderungen des Marktes wecken. Im Privatleben bietet das Internet heute bereits einen Komfort, auf den kaum jemand noch verzichten möchte. Einkäufe und Bankgeschäfte erledigen, Preisvergleiche anstellen, Musik hören, Videos herunterladen etc. – die Liste ist beliebig lang. All diese Anwendungen sind zur Normalität geworden. Umso mehr verwundert es, dass wir in der industriellen Produktion damit vielfach noch ganz am Anfang stehen. Denn hier geht es nicht nur um Annehmlichkeiten, sondern um Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität. Der Begriff Industrie 4.0 wurde bereits vor fünfeinhalb Jahren auf der Hannover Messe Industrie 2011 vorgeschlagen. Industrie 4.0 ist aber bis heute in der Industrie nicht wirklich angekommen, einige Anwendungen in der Massenproduktion ausgenommen.

Es gibt kaum ein Unternehmen, welches das Attribut »agil« nicht für sich in Anspruch nimmt. Die Innovationsgeschwindigkeit steigt weiter und wer an der Spitze dabei sein möchte, hat im harten internationalen Wettbewerb ohne Agilität kaum eine Chance. Nicht nur einzelne Unternehmen, ganze Industrien verändern sich heute in kurzer Zeit radikal (Brynjolfsson 2014). Die Markteinführung des iPhones liegt nur zehn Jahre zurück! Was bedeutet Agilität für das Unternehmen Siemens Healthineers nun konkret? Wie interpretiert und realisiert es – agiles Arbeiten? Der Begriff »agil« im Kontext von Produktentwicklungsprozessen wurde 2001 über das »Manifesto for agile Development« bekannt (Beck 2001). Das grundlegende Gedankengut hat sich in den davor liegenden 15 Jahren nach und nach entwickelt. Denklinien wie »Lean Management« (Womack 1996), »Concurrent Engineering« (Clausing 1994), »SCRUM« (Nonanka 1986) und Extreme Programming (Beck 2000) überlappen in zentralen Ideen wie der klaren Ausrichtung am Kundennutzen, einer Entbürokratisierung der Arbeit, einer Abwendung von starren Aufbauorganisationen hin zu flexiblen Projektstrukturen und der Delegation breiterer Verantwortung auf einzelne Projektmitarbeiter. Siemens Healthineers arbeitet seit Mitte der 90er-Jahre erfolgreich mit vielen dieser Ansätze. Eingefasst durch das top+-Programm der Siemens AG, das 1998 gestartet wurde (Siemens 2006), standen immer erprobte und durch firmeninterne Beratung unterstützte Methodenbausteine für die einzelnen Unternehmensbereiche zur Verfügung. Die Produktionsstätten werden seit über 20 Jahren nach Prinzipien des Lean-Management geführt. Methoden wie Wertstromanalyse, Kanban, visuelles Management, teilautonome Gruppen sind in die Unternehmens-DNA eingegangen und sehr gut etabliert. Auch in der Produktentwicklung wurden seit Mitte der 90er-Jahre immer wieder gute Erfahrungen mit Concurrent Engineering gemacht. Einige der erfolgreichsten Produktserien sind durch die Arbeit in cross-funktionalen Projektteams entstanden. In der SW-Entwicklung ist das agile Entwicklungsmodell mit SCRUM-Teams und Backlog-orientiertem, iterativem Entwickeln inzwischen in weiten Bereichen der Standard. Gleichzeitig muss aber auch konstatiert werden, dass es im