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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Aus analog wird digital? Der technische und der soziologische Blick auf die Digitalisierung der Produktion im Mittelstand

verfasst von : Maximilian Locher

Erschienen in: Post-digitales Management

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der technische Blick auf die Digitalisierung fokussiert die weitere Technisierung von Abläufen in der Produktion, dieses Mal auf der Basis elektronischer Medien. Der Schritt von relativ analogen Verhältnissen wie beispielsweise mündlichen Absprachen und schriftlich weitergegebenen Produktionsinformationen in digitale Verhältnisse hat dementsprechend ein vermeintlich einfaches Ziel: Die Produktion soll weiterhin möglichst störungsfrei funktionieren, nun aber mit zusätzlichen Gewinnen hinsichtlich der Produktivität. Der Beitrag skizziert den soziologischen Blick auf Digitalisierung und benennt Erfolgsfaktoren der Digitalisierung im Mittelstand.
Die Digitalisierung hält die Gesellschaft auf Trab. Überall stellen sich unzählige Fragen der technischen Implementierung elektronischer Medien. Bei all dieser Fokussierung auf die technischen Fragen der Digitalisierung gerät die dabei vollzogene soziale Transformation häufig aus dem Blick. Doch ist das ein Problem? Was unterscheidet einen technischen von einem soziologischen Blick auf die Digitalisierung? Was können diese Erkenntnisse zur Gestaltung der Digitalisierung in mittelständischen Betrieben beitragen, die im Zentrum des KILPaD-Projekts standen?

1 Digitalisierung – der technische Blick

Der technische Blick auf die Digitalisierung fokussiert die weitere Technisierung von Abläufen in der Produktion, dieses Mal auf der Basis elektronischer Medien statt unter bloßer Hilfe der Mechanik. Der Schritt von relativ analogen Verhältnissen wie beispielsweise mündlichen Absprachen und schriftlich weitergegebenen Produktionsinformationen in digitale Verhältnisse hat dementsprechend ein vermeintlich einfaches Ziel: Die Produktion soll weiterhin möglichst störungsfrei funktionieren, nun aber mit zusätzlichen Gewinnen hinsichtlich der Produktivität.
Die Digitalisierung wird davon ausgehend als Prozess der technischen Planung und Umsetzung verstanden und damit als Herausforderung für die technische Expertise des Unternehmens. Zu involvieren sind deshalb diejenigen, die den nötigen technischen Sachverstand besitzen: Also Steuerungsentwickler, Ingenieure und Informatiker. Ob im Falle von MES-Projekten, der Einführung neuer Produktionsplaner oder neuer Software – der Schritt der Digitalisierung erscheint vielerorts ähnlich technisch konzeptualisiert (vgl. Abb. 1). Hierin unterscheiden sich die anwendungsnahe Forschung außeruniversitärer Forschungsinstitutionen und die Arbeitspraxen von IT-Dienstleister und Unternehmen nur wenig.
Die Besonderheiten der Digitalisierung im Mittelstand werden aus dieser Perspektive vor allem als Restriktionen konzeptualisiert. Demnach fehle es im Mittelstand an ausreichendem Budget, Expertise und zeitlichen Kapazitäten für die Umsetzung und an geklärten formalisierten Prozessen. Folglich gehe es bei der Digitalisierung im Mittelstand vor allem darum, einen möglichst guten Umgang mit diesen Restriktionen zu finden.
Bevor an einigen Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung des Mittelstands dargestellt werden wird, wie der Mittelstand in der Digitalisierung jenseits von Restriktionen in Rechnung gestellt werden kann, soll dargestellt werden, welchen Unterschied ein soziologischer Blick auf die Digitalisierung machen kann und wie er in der Lage ist, die Suche nach Erfolgsfaktoren zu fundieren.

2 Digitalisierung – der soziologische Blick

Der systemtheoretisch informierte soziologische Blick auf die Digitalisierung versteht die Digitalisierung, ähnlich wie der technische Blick, als den Schritt vom relativ Analogen ins relativ Digitale. Im Gegensatz zum technischen Blick fokussiert er aber die technische Frage dieses Schritts nur als eine Frage unter anderen. Denn die Digitalisierung betrifft jenseits ihrer technischen Dimension jeweils soziales Verhältnisse, und das heißt mit Niklas Luhmann (2018, S. 101 f.) die strukturellen Kopplungen zwischen unterschiedlichen Systemen. Durch die Digitalisierung verändert sich grundsätzlich, wie sich Systeme aufeinander beziehen und einander wahrnehmen können. Eine Fokussierung auf die technische Dimension der Digitalisierung im Sinne ihrer Implementierung verliert aus dem Blick, welche Lösungen und auch Probleme die Digitalisierung für die von ihr betroffenen sozialen Verhältnisse produziert.
Für die Digitalisierung in Organisationen kommt hinzu, dass die zu digitalisierenden Kopplungen im Kontext von Entscheidungen stehen (vgl. Luhmann 2000). An der Kopplung zwischen Verwaltung und Produktion geht es nicht nur um Informationsaustausch. Vielmehr wird hier im Sinne der Entscheidungsnähe der Kommunikation in Organisationen ausgetestet, welche Produktionsplanung durch die Produktion tatsächlich leistbar ist und von dieser als Entscheidung übernommen werden kann, oder auch wie die Entscheidungen in der Produktion an Vorarbeiten der Verwaltung so anschließen können, dass tatsächlich das Produkt gefertigt wird, welches der Kunde bei der Verwaltung bestellt hat.
Digitalisiert werden also immer Verhältnisse, über die sich a) unterschiedliche Identitäten relationieren bzw. koppeln und die b) im Kontext von Entscheidungskommunikationen stehen und deshalb dafür entscheidend sind, wie im Betrieb entschieden werden kann.
Obgleich dies in der Forschung häufig übersehen wird, ist in den von uns beforschten mittelständischen Industriebetrieben beobachtbar, dass die Digitalisierung in vielen Fällen als mehr als planmäßige Technisierung verstanden wird. Stattdessen wird jede Digitalisierung durchgängig – ob implizit oder explizit – von zwei Bewegungen begleitet. Die eine Bewegung beschreibt Dirk Baecker als Arbeit am Imaginären der Digitalisierung des Analogen. Die Organisation arbeitet an einer (digitalisierten) Zweitform ihrer selbst im „Entwurfscharakter“ (Baecker 2021, S. 194), die die konkrete Digitalisierung zu motivieren und orientieren in der Lage ist. Umgekehrt kann von digitaler Seite auch das Analoge herangezogen werden als schöner, wenn auch historischer, Gegenentwurf zu dem, was jetzt digital schwerfällt.
Die andere Bewegung ist bereits 1988 von Karin Knorr Cetina et al. für die Wissenschaft als Laboratisierungsprozess beschrieben worden. In Laboratisierungsprozessen, so Knorr-Cetina, ringe die Wissenschaft, ob die Physik oder die Sexualwissenschaften, vor allem darum, in einer Art „Erzeugungsprozeß“ ihren Untersuchungsgegenständen „Artikulationen zu entlocken“ (Knorr Cetina et al. 1988, S. 89) und diese Artikulationen vor dem Hintergrund ihrer Differenz zum sich darin Artikulierenden zu interpretieren. Dabei geht es hier im Kern um „die Einbindung von Naturobjekten in kulturelle Interaktion“ (Knorr Cetina et al. 1988, S. 85). Doch die Erzeugung neuer Erkenntnisse ist nicht nur Sache der Wissenschaft. Auch in Projekten der Digitalisierung wird beobachtbar, dass man sich ob der eigenen Gegenwart, welche es zu digitalisieren gilt, in eigenen konstruktiven Erzeugungsprozessen dieser Gegenwart auf Projektebene rückzuversichern versucht. Für unsere Frage lässt sich homolog schließen, dass die Digitalisierung ihren Startpunkt immer in einer entsprechenden Erkundung der gegenwärtigen Verhältnisse und ihrer Analogizität findet, um deren Digitalisierung es ihr geht. Keine Digitalisierung ohne die mehr oder minder reflektierte Genese eines Verständnisses des zu Digitalisierenden.
Die Arbeiten am Imaginären und der Untersuchung des (relativ analogen) Gegenwärtigen kann erfolgreicher oder weniger erfolgreich gelingen. Einerseits kann ein Imaginär gesponnen werden, das brüchig ist und mehr Angst produziert, als dass es orientierende Kraft entwickelt. Andererseits können Imaginäre auch so angelegt werden, dass sie eben aufgrund ihrer Unvollständigkeit attrahieren, und unterschiedlichen lokalen Imaginären ausreichend Raum bieten und diese aufnehmen. Einerseits können Laboratisierungsprozesse zum gegenwärtigen Verhältnis die Intelligenz und Entscheidungsrelevanz gegenwärtiger relativ analoger Verhältnisse dramatisch unterschätzen und in den Fiktionen einer von der Praxis weit entfernten Projekt-Management-Ebene verharren, um dort Lösungen für Probleme zu entwerfen, die es vor Ort gar nicht gibt. Umgekehrt können Laboratisierungsprozesse durch Gespräche mit Anwendern aber auch eine hohe Sensibilität für den konkreten Kontext entwickeln, in denen sich erweist, ob die digitale Lösung tatsächlich Probleme löst. Dementsprechend versuchte sich das KILPaD-Projekt an der Digitalisierung in einem zirkulären systemischen Prozess, welcher die imaginäre Arbeit genauso ernst nimmt wie eine möglichst detailreiche und anwendernahe Analyse der bestehenden Verhältnisse und all seiner strukturellen Kopplungen, die mit dem zu Digitalisierenden in einem Zusammenhang stehen. Dabei erweist sich, dass im Entscheidungskontext der Organisation die Erforschung gegenwärtiger analoger Prozesse und Nutzerperspektiven mehr bedeutet als einen rein analytischen Vorgang. Denn diese Erforschung ermöglicht als Projektkommunikation eigendynamische Entwicklungen, von denen Entscheidungen unmittelbar profitieren können. Erst hier stoßen Imaginäre von Effizienzsteigerungen auf Wünsche, schon vor der Rente Arbeitszeiten zu reduzieren oder sich von monotonen Arbeiten abzuwenden und sich stärker auf kreativere Aufgaben zu konzentrieren.
Auf der Grundlage dieser Erörterungen lassen sich einige Schlussfolgerungen des soziologischen Blicks auf Digitalisierung ziehen.
Die Digitalisierung von Organisationen beschreibt eine soziale Transformation. Sie muss sich deshalb vor allem an ihren Anwendern und am Kunden bewähren und kann sich nicht nur erfolgreich schätzen, wenn etwas technisch funktioniert. Beispiele von Projekten zur prädiktiven Instandhaltung zeigen, dass wenig geholfen ist, wenn Maschinendaten zwar besser zur Verfügung stehen, sie dann von den Instandhalter:innen aber aufgrund anderer Gründe nicht in Entscheidungen über die Anpassung von Wartungszeiträumen, die Ersatzteilbeschaffungen oder Veränderungen der Maschinenbedienung übersetzt werden können.
Dabei überrascht die Digitalisierung neben ihren Lösungen auch immer damit, neue Probleme zu schaffen. Wo Arbeitsinstruktionen aus der Arbeitsvorbereitung für die Produktion durch digitalisierte Werkaufträge effizienter übermittelt werden können, droht die aus der händischen Übergabe gewonnene Autorität des langjährigen geachteten Kollegen der Arbeitsvorbereitung verloren zu gehen. Dem Arbeitsvorbereiter wird ein schwieriger Auftrag womöglich eher abgenommen als einer digital zugelieferten und damit unpersönlich erscheinenden Auftragsdatei.
Berater und Dienstleister der Digitalisierung helfen nicht immer, den Fokus auf die Transformation der sozialen (Entscheidungs-)Verhältnisse im Zuge der Digitalisierung jenseits ihrer technischen Dimensionen zu wahren. Entsprechend widerständig und selbständig müssen Organisationen bei aller Unterstützung von außen an ihrer Digitalisierung arbeiten, anstatt sich diese Arbeit von außen abnehmen zu lassen.

3 Erfolgsfaktoren der Digitalisierung im Mittelstand

Ausgehend von diesen Einsichten des soziologischen Blicks auf die Digitalisierung der Organisation lassen sich folgende Rückschlüsse für Erfolgsfaktoren der Digitalisierung im Mittelstand ziehen:
  • Der Mittelstand muss seine nicht bestreitbaren Restriktionen in der Ressourcenausstattung in einen umso größeren Kunden- und Organisationsfokus seiner Digitalisierungsvorhaben übersetzen. Nur was den konkreten Anwendern vor Ort und dem Kunden hilft, bleibt dann als investitionswürdiges Digitalisierungsvorhaben übrig. Digitale Technik darf weiterhin faszinieren. Die Entscheidung darüber, welches Digitalisierungsvorhaben zu verfolgen ist, informiert sich dann aber über mehr als die technischen Versprechen der entsprechenden Hersteller und Dienstleister.
  • Die Stärke des Mittelstands generiert sich vor allem aus seiner agilen Kundenfokussierung und seiner Facharbeiterkultur. Eine gute Digitalisierung des Mittelstands besteht dementsprechend darin, Facharbeit und Agilität weiterzuentwickeln und auf ein breiteres Fundament zu stellen, anstatt den Facharbeiter auf dem Shop Floor zum bloßen Helfer zu degradieren oder überbürokratische Unternehmenssoftware einzuführen. Gefragt sind Lösungen der Digitalisierung, die analoge Intelligenzen gleichermaßen nutzbar machen wie die Digitaltechnik. Wenn also digitale Werkaufträge angelegt werden, sollten auch Zusatzinformationen wie Zeichnungen oder Auftragsdetails zugänglich werden und nicht nur das absolut Notwendige. Und wo beispielsweise eine künstliche Intelligenz einzelne Produktionsschritte optimiert plant, wird die Intelligenz des Planungsverantwortlichen dort besonders wichtig, wo besondere Komplexitätsreduktionen wie in der Gestaltung der Übergänge zu anderen Produktionsschritten erforderlich werden, um diese nicht zu überlasten.
  • In Großkonzernen kann man sich bisweilen ein schlechtes Change Management im Sinne eines ‚take it or leave it‘ leisten. Der Mittelstand hingegen ist aufgrund unterschiedlicher Faktoren auf seine Mitarbeiter angewiesen. Eine ‚gute‘ Digitalisierung des Mittelstands kann deshalb nur gelingen, wenn das häufig gebetsmühlenhafte Insistieren auf das „Mitnehmen“ oder „Abholen“ vor Ort so ausbuchstabiert wird, dass die Anwender der digitalen Lösung tatsächlich Einfluss auf ihre konkrete Ausgestaltung gewinnen. Die Digitalisierungsvorhaben müssen und können sich von den Problem- und Lösungswahrnehmungen ihrer fachkundigen Anwender:innen in Produktion und Verwaltung mitnehmen lassen (vgl. Locher 2022), anstatt zu rein technikgetriebenen Fortschrittsprojekten des Managements zu werden.
  • Der Mittelstand zeichnet sich gerade dadurch aus, dass viele MitarbeiterInnen aus eigener Erfahrung genau wissen, was an anderen Stellen der Organisation besonders wichtig ist. Statt dem Denken in Zuständigkeiten und einem Verharren in unternehmensinternen Elfenbeintürmen steht das pragmatische Lösen von Problemen stärker im Fokus. Dementsprechend ist es für den Mittelstand entscheidend, Digitalisierungsvorhaben nicht zu neuen Elfenbeinturm-Projekten werden zu lassen und in ein vom Shop Floor weit entferntes Projektmanagement abzuschieben, sondern diese besonderen Ressourcen der Problemidentifikation und Multiperspektivität weiter zu nutzen. Gute Digitalisierung im Mittelstand zeichnet sich darin aus, was den Mittelstand bis heute so erfolgreich macht: in maximaler Anwendungsnähe und engmaschiger Kommunikation.
  • Wenn es so ist, dass der Erfolg des Mittelstands sich vor allem aus seiner Agilität, seiner Facharbeiterkultur und seinen starken internen Netzwerken speist, dann bedeutet dies vor allem eines: Die Digitalisierung des Mittelstands führt dann zum Erfolg, wenn sie als Projekt der Organisationsentwicklung und nicht als reines Technik-Projekt verstanden wird. Die Fundamente der Agilität und des gemeinsamen Arbeitens werden sonst schnell unreflektiert erschüttert, anstatt sie für eine digitalisierende Weiterentwicklung zu nutzen. Die Arbeit mit unseren mittelständischen Partnern zeigt, dass die Mitarbeiter ihre Vorstellungen zu Soll-Prozessen gerne teilen, wenn sie danach gefragt werden und über die Möglichkeiten digitaler Techniken informiert werden, bevor diese schlussendlich eingeführt sind.
  • Der Mittelstand wird sich dann erfolgreich digitalisieren, wenn er Reifegradeinschätzungen von Berater:innen nur zu Beginn eigener Digitalisierungsbemühungen Glauben schenkt und ab diesem Punkt an der ständigen Weiterentwicklung digitaler Lösungen arbeitet. Das Stichwort der agilen Digitalisierung aus dem Projekttitel KILPaD bezieht sich genau darauf, digitale Lösungen stetig agil weiterzuentwickeln und das Feedback von AnwenderInnen aus Verwaltung wie Produktion responsiv handzuhaben, anstatt es zu ignorieren und sich zu 100 % digitalisiert zu wähnen.

4 Keine Digitalität ohne leistungsfähige Analogizität: agile analoge Digitalisierung

Gerade in letzterem Aspekt lässt sich begründen, was in der folgenden Abbildung (Abb. 2) mit dem unteren roten Pfeil symbolisiert wird: Für eine auch über die Zeit hinweg erfolgreiche Digitalisierung bedarf es agiler Abgleiche digitaler Lösungen damit, welche Probleme sie selbst produzieren und welche Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung auf der analogen Seite von Werkern oder anderen Anwendern wahrgenommen werden. Industrie 4.0 wird im Mittelstand nur Erfolg haben, wenn die Organisationsleistung vollbracht wird, analoge und digitale Intelligenzen in ein neues komplementäres Verhältnis miteinander zu bringen. Das eine kann es nicht ohne das andere geben. Das Ziel einer agil analogen Digitalisierung sollte die Vision der Digitalisierung im Mittelstand beschreiben, nicht das einer rein technisch orientierten einmaligen Digitalisierung.
Die Empirie zeigt, dass einmal Digitalisiertes durch Töne, Farben, Pop-up-Fenster oder Grafiken verfügbar gemacht wird. Daten werden nach ihrer technischen Erhebung, Strukturierung und Verrechnung in neuen Bildern, Lauten und Texten verfügbar gemacht. Die Digitalisierung tritt dadurch in analogem Gewand wiederum in die Umwelten von Entscheidungssituationen ein. Erst dort entscheidet sich, welche soziale Relevanz diejenige Realität für das Entscheiden gewinnt, die zu digitalisieren versucht wurde, wie beispielsweise bestimmte Leistungsdimensionen einer bestimmten Maschine. Dadurch entpuppt sich die Arbeit am Wiedereintritt der digitalen Daten in die Entscheidungsumgebungen der Organisation als Arbeit an der Anschlussfähigkeit der über Daten zugänglich gemachten Realität der Organisation an ihre Entscheidungen. Erst an Entscheidungen wird beobachtbar, ob die Anreicherung der Verhältnisse der Organisation mit digitalen Techniken tatsächlich einen Unterschied macht oder nicht. So zeigt sich erst an Entscheidungen der Produktionsplanung, ob die ‚bessere‘ Abbildung eines Maschinenparks durch die Ausstattung der Maschinen mit neuen Sensoren und dem Abgriff ihrer Daten durch ausgefeilte MES-Systeme und deren farbenfrohe Aufbereitung auch einen Unterschied macht. Es wird sich jeweils erst noch herausstellen, ob die zusätzlich in die Entscheidungsumwelten eingebrachten Abbildungen der Maschinen einen Unterschied machen. Ein rein technischer Blick auf die Digitalisierung verpasst die Reflexion der sozialen Dimension der Digitalisierung daraufhin, ob sie für das Entscheiden der Organisation einen Unterschied macht und, wenn ja, welchen.
Tatsächlich zeigen unsere Untersuchungen, dass die Frage nach dem Unterschied, den der digitale Unterschied macht, nicht überall behandelt und formuliert wird. Stattdessen zeigen sich gerade in den größeren Unternehmen Versuche, zu messen, wie der digitale Aufgriff neuer analoger, durch die Digitalisierung angereicherter Entscheidungsumwelten in Entscheidungen seinerseits ‚funktioniert‘ und entsprechende ‚Returns‘ ermöglicht, welche die Investitionen der Digitalisierung zu rechtfertigen erlauben. Wir haben es also mit einer Digitalisierung (Messung) der Digitalisierung (Entscheidungen) der Digitalisierung (digitale Anreicherung analoger Entscheidungsumwelten) zu tun. Inwiefern die wiederum analog vermittelte digitale Vermessung der Digitalisierung der Digitalisierung der Organisation ihrerseits einen Unterschied macht und wie sie ihrerseits digitalisiert wird, konnte im KILPaD-Projekt noch nicht erfasst werden. Die Eindrücke dieser digitalen Vermessungen könnten zu neuen Frustrationen führen. Sie könnten aber auch als Anlass dazu dienen, einen rein technischen Blick auf die Digitalisierung der Organisationsverhältnisse zu hinterfragen. Der Geschäftsführer der nass magnet GmbH, Patrick Oelkers, hat im Interview für dieses Buch die dafür leitende Erkenntnis unerreichbar klar formuliert: „Der Prozess wird, wenn man digitalisiert, nicht automatisch besser, schlanker und kostengünstiger, sondern erstmal nur anders.“
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Literatur
Zurück zum Zitat Baecker D. (2021) Die Digitalisierung der Arbeit, In: Baecker D. & Elsholz U. (Hrsg.), Parallele Welten der Digitalisierung im Betrieb, Springer VS, Wiesbaden, 193–240. Baecker D. (2021) Die Digitalisierung der Arbeit, In: Baecker D. & Elsholz U. (Hrsg.), Parallele Welten der Digitalisierung im Betrieb, Springer VS, Wiesbaden, 193–240.
Zurück zum Zitat Knorr Cetina K., Amann K, Hirschauer S, Schmidt KH (1988) Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der „Verdichtung“ von Gesellschaft. In: Zeitschrift für Soziologie 17, 2, 85–101. Knorr Cetina K., Amann K, Hirschauer S, Schmidt KH (1988) Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der „Verdichtung“ von Gesellschaft. In: Zeitschrift für Soziologie 17, 2, 85–101.
Zurück zum Zitat Locher M (2021) Humanisierung der Arbeit 4.0? Über agile Digitalisierungsketten und Räume des Unbeobachtbaren. In: Baecker D, Elsholz U (Hrsg), Parallele Welten der Digitalisierung im Betrieb, Springer VS, Wiesbaden, 77–110. Locher M (2021) Humanisierung der Arbeit 4.0? Über agile Digitalisierungsketten und Räume des Unbeobachtbaren. In: Baecker D, Elsholz U (Hrsg), Parallele Welten der Digitalisierung im Betrieb, Springer VS, Wiesbaden, 77–110.
Zurück zum Zitat Locher M (2022) Lassen wir uns mitnehmen?! Über eine notwendige Transformation der deutschen Managementphilosophie. In: Zeitschrift Organisationsentwicklung 42, 1, 62–65. Locher M (2022) Lassen wir uns mitnehmen?! Über eine notwendige Transformation der deutschen Managementphilosophie. In: Zeitschrift Organisationsentwicklung 42, 1, 62–65.
Zurück zum Zitat Luhmann N (2000) Organisation und Entscheidung, Westdeutscher Verlag, Opladen. Luhmann N (2000) Organisation und Entscheidung, Westdeutscher Verlag, Opladen.
Zurück zum Zitat Luhmann N 1998 Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Luhmann N 1998 Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Metadaten
Titel
Aus analog wird digital? Der technische und der soziologische Blick auf die Digitalisierung der Produktion im Mittelstand
verfasst von
Maximilian Locher
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40707-0_17

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