Skip to main content
Erschienen in:
Buchtitelbild

Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Echtzeitsimulation der Prozess-Maschinen-Interaktion zur Prognose der Prozessstabilität mit realer CNC am Beispiel eines Fräsprozesses

verfasst von : Sascha Röck

Erschienen in: Echtzeitsimulation in der Produktionsautomatisierung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Zusammenfassung

In diesem Artikel wird ein Ansatz für die Echtzeitsimulation von Wechselwirkungen zwischen Zerspanungsprozess und Werkzeugmaschine am Beispiel eines Fräsprozesses vorgestellt. Ziel des Ansatzes ist die Kopplung eines echtzeitfähigen Zerspanungsmodells mit einer realen CNC, um durch regeneratives Rattern bedingte Schwingungen bereits bei der Virtuellen Inbetriebnahme prognostizieren zu können. Dabei wird ein dexel-basiertes Modell des Werkstücks für die Berechnung der Spandicke und der Schnittkräfte unter Berücksichtigung von Werkzeugposition und Materialabtrag eingesetzt. Anhand simulativer Experimente wird der Ansatz auf Prognose- und Echtzeitfähigkeit für den Einsatz in einer CNC-gekoppelten Echtzeitsimulation untersucht.

5.1 Einführung

Die Prognose des Maschinenverhaltens unter Berücksichtigung des Zerspanungsprozesses mithilfe der Simulation ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Forschungsfeld innerhalb der Produktionstechnik. Insbesondere die Prozesssimulation stellt hohe Ansprüche an die verwendeten Simulationswerkzeuge.
Die Vorhersage der dynamischen Stabilität von Zerspanungsprozessen wird seit den 1950er-Jahren beispielsweise von Tlusty [1], Tobias [2] und Merrit [3] untersucht. Analytische Ansätze wurden in zahlreichen Publikationen von Altintas [4, 5] veröffentlicht. Henninger [6] und Chanda [7] wenden numerische Methoden auf diese Problemstellung an.
Die Verwendung von Simulationsmodellen in Verbindung mit realen CNC-Steuerungssystemen hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Verbreitung in vielen Bereichen der Forschung und Entwicklung erfahren. Angefangen bei der Hardware-in-the-Loop Simulation (HiLS) für die Virtuelle Inbetriebnahme von CNC-Steuerungssystemen [8] bis hin zu simulationsbasierten Methoden für die Zustandsüberwachung oder der modellprädiktiven Bahnplanung [9].
Aufgrund der üblicherweise sehr kleinen CNC-Steuerungstakte von ca. \(1\,ms\) ist eine hocheffiziente Simulation des Maschinenverhaltens erforderlich. Die Wechselwirkungen zwischen Zerspanungsprozess und Werkzeugmaschine haben dabei einen maßgeblichen Einfluss auf das Fertigungsergebnis und können in einer Simulation zur prozessorientierten Inbetriebnahme nicht vernachlässigt werden. Die tatsächlich auftretenden Prozesskräfte hängen von den Bewegungs- und Geschwindigkeitsprofilen der CNC ab und variieren stark in Abhängigkeit des CNC-Programms, aufgrund der eingestellten Steuerungsparametern sowie der implementierten CNC-Algorithmik für Bahnplanung, Bahninterpolation und Look-Ahead. Dies führt zu unterschiedlichen mechanischen Anregungen der Werkzeugmaschine und damit auch zu unterschiedlichen Bearbeitungsergebnissen, welche ausschließlich mithilfe einer steuerungsgekoppelten Echtzeitsimulation prognostiziert werden können. Abb. 5.1 zeigt das Strukturbild eines simulationsbasierten Inbetriebnahmeprozesses realer CNC-Steuerungssysteme mithilfe der HiLS (Virtuelle Inbetriebnahme).
In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur Modellierung und Echtzeitsimulation von Zerspanungsprozessen vorgestellt, um Prozesskräfte und Prozessinstabilitäten in einer HiLS für die Virtuelle Inbetriebnahme von Steuerungssystemen berücksichtigen zu können. Dieser Beitrag stellt eine gekürzte Fassung des in [10] veröffentlichten Ansatzes dar.

5.2 Dexelbasiertes Zerspanungsmodell zur Berechnung der Spandicke

Die Geometrie des Werkstücks wird durch eine definierte Anordnung sogenannter Dexel approximiert. Ein einzelnes Dexel stellt einen (begrenzten) geometrischen Strahl dar, welcher das Werkstück durchdringt und durch das Geradensegment.
$${\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}={\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}+\lambda \left({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{e,i}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\right)$$
(5.1)
mit dem Anfangspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\) sowie dem Endpunkt \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{e,i}\) mathematisch beschrieben wird. Abhängig von der Platzierung und Länge der einzelnen Dexel können Werkstücke unterschiedlicher Form abgebildet werden.
Spandickenberechnung
Abb. 5.2 zeigt das Prinzip der Spandickenberechnung auf Basis eines ebenen Dexelmodells.
Das durch die Spindelrotation bedingte Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) der \(j\)-ten Schneidkante wird durch Linearinterpolation zwischen aktueller Schneidenposition \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j,n}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}\) und vorangegangener Position \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j,n-1}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}-\Delta t\) mit der konstanten Zeitschrittweite \(\Delta t\) approximiert. Aus dem Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) zwischen Schnittdexel \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}\) und dem Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) wird die partielle Spandicke \({h}_{ij}\) berechnet.
Die partielle Spandicke \({h}_{ij}\) eines jeden Dexel \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}\) ist die skalare Projektion des gekappten Dexelsegments \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\) auf die Verbindungslinie \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\) zwischen dem Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) und dem Werkzeugmittelpunkt (TCP) \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\). Die resultierende Spandicke \({h}_{j}\) der \(j\)-ten Schneidkante kann somit als arithmetisches Mittel aller partiellen Spandicken \({h}_{ij}\) eines Schneidenpfadsegments \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) mit den Indices \({i}_{b}\le i\le {i}_{e}\) bestimmt werden.
$${h}_{ij}=\left|\frac{{\left({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\right)}^{T}\,\cdot\,\left({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\right)}{\left|{\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\right|}\right| \Rightarrow {h}_{j}=\frac{1}{{i}_{e}-{i}_{b}}\sum_{i={i}_{b}}^{{i}_{e}}{h}_{ij}$$
(5.2)
Bei kleinen Spindeldrehzahlen \(\Omega\) sowie bei kleinen Zeitschrittweiten \(\Delta t\) kann es vorkommen, dass das Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) zwischen zwei Dexeln liegt und ein Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) nicht direkt berechnet werden kann. In diesem Fall wird exakt an der Position \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j}\) ein neues Dexel eingefügt, was zu einer problemangepassten Verteilung von Dexeln innerhalb des Werkstücks und zu einer höheren Genauigkeit bei der Spandickenberechnung führt. Abb. 5.3 zeigt die Entwicklung der Dexelanzahl, während ein Fräser in ein rechteckiges Werkstück mit anfangs \({N}_{D}=20\) Dexeln eindringt. Die Anzahl der Dexel nimmt dabei nur solange zu, bis der Fräser vollständig in das Werkstück eingedrungen ist.
Schnittkraftberechnung
Die auf jede Schneidkante wirkenden radialen und tangentialen Schnittkräfte hängen von der Spandicke \({h}_{j,n}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}\) ab und können durch
$$\begin{array}{l}{F}_{rj,n}={k}_{r}a{h}_{j,n}\\ {F}_{tj,n}={k}_{t}a{h}_{j,n}\end{array}$$
(5.3)
mit den radialen und tangentialen Schnittkoeffizienten \({k}_{r}\) and \({k}_{t}\) sowie der Schnitttiefe \(a\) bestimmt werden [4]. Durch Transformation der radialen und tangentialen Schnittkräfte in xy-Koordinaten mithilfe der Rotationsmatrix \(\Phi \left({\phi }_{j,n}\right)\) in Abhängigkeit des Drehwinkels \({\phi }_{j,n}=\Omega {t}_{n}+\frac{2\pi }{N}j\) der \(j\)-ten Schneidkante und Summation aller im Eingriff befindlichen Schneidkanten kann die am Fräser angreifende Gesamtkraft
$$\left(\begin{array}{c}{F}_{x,n}\\ {F}_{y,n}\end{array}\right)=\sum_{j=0}^{N-1}\left[\Phi \left(\Omega {t}_{n}+\frac{2\pi }{N}j\right)\right]\left(\begin{array}{c}{F}_{rj,n}\\ {F}_{tj,n}\end{array}\right)$$
(5.4)
sowie das resultierende Axialmoment
$${T}_{n}={r}_{T}\sum_{j=0}^{N-1}{F}_{tj,n}$$
(5.5)
mit dem Fräserradius \({r}_{T}\) berechnet werden.

5.3 Simulationsergebnisse und Validierung

Zur Validierung der Prognosefähigkeit des Ansatzes für dynamische Kräfte und Prozessstabilität (Rattern), wurde ein schwingfähiges Modell mit einem Freiheitsgrad in Vorschubrichtung mit dem Schnittkraftmodell gekoppelt. Mit diesem einfachen Schwingungsmodell können analytische Ergebnisse zur Validierung herangezogen werden.
Schwingungsmodell mit einem Freiheitsgrad
Das Schwingungsmodell kann als ein durch die Schnittkräfte angeregter Einmassenschwinger mit einem Feder-Dämpfer-Element zwischen Werkzeugmittelpunkt und Werkzeugaufnahme aufgefasst werden (Abb. 5.4), dessen Bewegungsgleichung durch
$$\ddot{x}+2D{\omega }_{0}\dot{x}+{\omega }_{0}^{2}x={\omega }_{0}^{2}u+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x}\left(\Omega ,a\right)$$
(5.6)
gegeben ist, wobei \(x\) die Werkzeug-Istposition und \({F}_{x}\) die durch das Dexelmodell berechnete Schnittkraft in Vorschubrichtung in Abhängigkeit der Spindeldrehzahl \(\Omega\) und der Schnitttiefe \(a\) darstellen. Des Weiteren ist \(u\) die Werkzeug-Sollposition, \({\omega }_{0}\) eine natürliche Eigenfrequenz der Spindel, \(D\) der Dämpfungsgrad und \({k}_{0}\) die Gesamtsteifigkeit von Spindel und Werkzeug.
Aufgrund der harten Echtzeitbedingungen einer CNC-gekoppelten HiLS wird zur Lösung von Gl. (5.6) eine äußerst recheneffiziente Methode für die numerische Zeitintegration, das sogenannte symplektische Eulerverfahren (Semi-implizites Eulerverfahren), herangezogen. Dabei werden für jeden Zeitschritt \({t}_{n+1}={t}_{n}+\Delta t\) die nachfolgend aufgeführten Integrationsschritte mit den Anfangsbedingungen \({x}_{n}={x}_{0}\) und \({v}_{n}={\dot{x}}_{0}\) ausgeführt:
$$\begin{aligned}&{\alpha}_{n}=-2D{\omega }_{0}{v}_{n}-{\omega }_{0}^{2}{x}_{n}+{\omega }_{0}^{2}{u}_{n}+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x,n}\\&{v}_{n+\frac{1}{2}}={v}_{n}+\frac{\Delta t}{2}{\alpha}_{n} \\& {x}_{n+\frac{1}{2}}={x}_{n}+\frac{\Delta t}{2}{v}_{n+\frac{1}{2}} \\& {\alpha}_{n+\frac{1}{2}}=-2D{\omega }_{0}{v}_{n+\frac{1}{2}}-{\omega }_{0}^{2}{x}_{n+\frac{1}{2}}+{\omega }_{0}^{2}{u}_{n}+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x,n} \\& {v}_{n+1}={v}_{n+\frac{1}{2}}+\frac{\Delta t}{2}{\alpha}_{n+\frac{1}{2}} \\& {x}_{n+1}={x}_{n+\frac{1}{2}}+\frac{\Delta t}{2}{v}_{n+1}\end{aligned}$$
(5.7)
Die explizite Berechnungsabfolge in Gl. (5.7) erfordert dabei lediglich eine einmalige Berechnung der Schnittkraft \({F}_{x}\) anhand des Dexelmodells pro Zeitschritt, was den rechenintensivsten Teil der Berechnung darstellt.
Transiente Analyse – Eindringen des Werkzeugs
Aus der transienten Simulation gehen die dynamischen Prozesskräfte hervor, welche beim Eindringen in das Werkstück entstehen. Es wird dabei die in Tab. 5.1 aufgeführte Parametrierung verwendet.
Tab. 5.1
Parametrierung des Modells
Parameter
Symbol
Wert
Einheit
Fräserradius
\({{{r}}}_{{{T}}}\)
\(0.01\)
\(\left[{{m}}\right]\)
Schnitttiefe
\({{a}}\)
\(0.01\)/ \(0.03\)
\([{{m}}]\)
Tangentialer Schnittkoeffizient
\({{{k}}}_{{{t}}}\)
\({10}^{8}\)
\(\left[{{N}}/{{{m}}}^{2}\right]\)
Radialer Schnittkoeffizient
\({{{k}}}_{{{r}}}\)
\(0.6\,\cdot\,{{{k}}}_{{{t}}}\)
\(\left[{{N}}/{{{m}}}^{2}\right]\)
Anzahl der Schneiden
\({{N}}\)
\(10\)
\(\left[-\right]\)
Vorschubgeschwindigkeit
\({{{v}}}_{{{x}}}\)
\(0.02\)
\(\left[{{m}}/{{s}}\right]\)
Spindeldrehzahl
\({{\Omega}}\)
\(600\)
\(\left[{{r}}{{e}}{{v}}/{{m}}{{i}}{{n}}\right]\)
Dämpfungsgrad
\({{D}}\)
\(0.1\)
\(\left[-\right]\)
Natürliche Eigenfrequenz
\({{{\omega}}}_{0}\)
\(500\)
\(\left[{{r}}{{a}}{{d}}/{{s}}\right]\)
Steifigkeit
\({{{k}}}_{0}\)
\({10}^{7}\)
\(\left[{{N}}/{{m}}\right]\)
Zeitschrittweite der Simulation
\(\Delta t\)
\(0.0002\)
\(\left[{{s}}\right]\)
Die Ergebnisse der Simulation sind für die Schnitttiefe \({{a}}=0.01\,\boldsymbol{ }[{m}]\) (Prozess stabil) in Abb. 5.5 und für \({{a}}=0.03\,\boldsymbol{ }[{m}]\) (Prozess instabil) in Abb. 5.6 dargestellt. Im stabilen Fall stellt sich eine stationäre Kraft \({{F}}_{{x}}\) ein, sobald das Werkzeug vollständig in das Werkstück eingedrungen ist, da sich im Idealfall immer die gleiche Anzahl an Schneiden im Eingriff befinden und sich somit ein symmetrisches Kräftegleichgewicht einstellt (Abb. 5.5).
Im Falle einer Prozessinstabilität beginnt die Kraft \({{F}}_{{x}}\), und damit auch die Werkzeugposition \({{x}}\), mit der Ratterfrequenz \({{\omega}}_{{c}}\approx 530\,\boldsymbol{ }\left[rad/s\right]\), welche nahe der natürlichen Eigenfrequenz \({{\omega}}_{0}=500\,\boldsymbol{ }\left[rad/s\right]\) der Spindel liegt, zu oszillieren. Das Werkzeug kann dabei den Kontakt zum Werkstück verlieren („zero cut“). Bei bestimmten Schnitttiefe-Spindeldrehzahl-Kombinationen verursacht die angeregte Eigenschwingung des Systems einen periodischen Spandickenverlauf und somit eine Welligkeit auf der Oberfläche des Werkstücks. Beim erneuten Eingriff des Werkzeugs führt die Welligkeit zur Selbstanregung des Systems, welche ein Aufschaukeln und damit eine Prozessinstabilität hervorrufen kann (Abb. 5.6).
Dieser Regenerativeffekt wird auch als regeneratives Rattern bezeichnet. Die transiente Analyse zeigt, dass dieser Effekt durch das Modell gut abgebildet wird.
Validierung anhand von analytischen Stabilitätsdiagrammen
Eine verlässliche Prognose von Ratterschwingungen ist essenziell für die Virtuelle Inbetriebnahme von Fräsprozessen. Zur Validierung der Prognosefähigkeit wurden mehrere Simulationsläufe nach Abb. 5.5, 5.6 und Tab. 5.1 mit unterschiedlichen Spindeldrehzahlen durchgeführt und solange die Schnitttiefe variiert, bis die Prozesskraft Instabilität anzeigt. Die Ergebnisse wurden anschließend mit den nach Altintas und Budak in [4] analytisch ermittelten Stabilitätsdiagrammen (Stability Lobes) verglichen. Im Diagramm in Abb. 5.7 ist die Schnitttiefe \(a\) über der Spindeldrehzahl \(\Omega\) dargestellt, wobei die analytisch berechnete kritische Schnitttiefe \({a}_{\text{lim}}\) den auf Basis des Dexelmodells ermittelten stabilen und instabilen Simulationsergebnissen gegenübergestellt wird. Aus Abb. 5.7 wird eine sehr gute Übereinstimmung des dexelbasierten Ansatzes mit der analytischen Lösung für Spindeldrehzahlen zwischen \(\Omega =200\, \left[1/min\right]\) und \(\Omega =600\,\left[1/min\right]\) deutlich. Die Prozesskraftverläufe \({{F}}_{{x}}\) bei einer Spindeldrehzahl \(\Omega =600\,\left[1/min\right]\) für Schnitttiefen an der Stabilitätsgrenze (\(a=\text{16,17,18}\,mm\)) sind beispielhaft in Abb. 5.8 dargestellt.
Echtzeitfähigkeit
Die Echtzeitfähigkeit wird mithilfe des Echtzeitfaktors (engl. „real-time factor“, \(RT\!F\))
$$RT\!F=\frac{{t}_{cpu}}{{t}_{sim}}$$
(5.8)
angegeben, wobei \({t}_{sim}\) das Simulationszeitintervall und \({t}_{cpu}\) die für die Ausführung der Simulation im Zeitintervall benötigte CPU-Zeit darstellt. Der \(RT\!F\) muss bei Echtzeitsimulationen unter 1 liegen. In Abb. 5.9 ist der Zeitverlauf des \(RT\!F\) für die Simulation des Frässzenarios aus Abb. 5.4 mit \(\Omega =2000\,[rev/min]\) und \(\Delta t=0.001\,[s]\) dargestellt. Der \(RT\!F\) verläuft dabei annähernd konstant. Lediglich zu Simulationsbeginn variiert der Rechenaufwand aufgrund der Adaption der Dexelanzahl, während das Werkzeug in das Werkstück eindringt.
Insbesondere die Parameter Spindeldrehzahl \({\Omega}\), Zeitschrittweite der Simulation \(\Delta t\) und die Anzahl der Schneiden \(N\) nehmen Einfluss auf die Rechenzeit und damit auf den RTF. Sowohl bei steigender Spindeldrehzahl als auch bei einer größeren Schneidenanzahl erhöht sich die Rechenzeit. Bei sehr kleiner Spindeldrehzahl und sehr kleiner Simulationszeitschrittweite dominiert die hohe Anzahl adaptierter Dexel den Gesamtrechenaufwand und der \(RT\!F\) steigt ebenfalls. Tab. 5.2 zeigt den \(RT\!F\) und die Dexelanzahl \({N}_{D}\) für verschiedene Parametrierungen.
Tab. 5.2
Echtzeitfaktor (\(RT\!F\)) und Dexelanzahl \({N}_{D}\) in Abhängigkeit der Spindeldrehzahl \({\Omega }\), der Zeitschrittweite der Simulation \(\Delta {t}\) und der Schneidenanzahl \(N\) (Simulationsrechner: Intel Core i7-8750 H, 2.20 GHz, 16 GB RAM, Windows 10, 64 bit)
\(\Delta t\)
0.001 [s]
\({{\Omega}}\textit{[}\frac{\text{\textit{rev}}}{\text{\textit{min}}}\textit{]}\)
100
200
500
1000
2000
5000
10.000
N = 2
RTF
0.1
0.08
0.08
0.1
0.14
0.3
0.53
ND
505
319
218
205
202
200
200
N = 10
RTF
0.24
0.2
0.2
0.27
0.39
0.82
1.46
ND
487
316
217
205
202
201
200
\(\Delta t\)
0.0002 [s]
\({{\Omega}}\textit{[}\frac{\text{\textit{rev}}}{\text{\textit{min}}}\textit{]}\)
100
200
500
1000
2000
5000
10.000
N = 2
RTF
1.02
0.63
0.41
0.33
0.32
0.43
0.63
ND
1826
984
488
315
228
205
202
N = 10
RTF
2.77
1.84
1.26
1.04
0.89
1.21
1.96
ND
1725
957
484
323
228
205
202

5.4 Erweiterbarkeit auf komplexe Zerspanungsprozesse

Ein signifikanter Vorteil des dexelbasierten Modellansatzes ist die Erweiterbarkeit auf komplexe Anwendungen mit beliebigen Werkstückgeometrien und sich ändernden Zerpanungsbedingungen. Abb. 5.10 zeigt beispielhaft einen Unrunddrehprozess, der sich mit dem vorgestellten Ansatz für eine Echtzeitsimulation modellieren lässt. Die Dexel des Drehwerkstücks verlaufen dabei von der Drehachse zum Werkstückrand. Das Drehwerkzeug wird periodisch dem rotierenden Werkstück zugestellt, wodurch die Schneide pro Umlauf mehrfach den Eingriff verliert und unstetige Kraftverläufe die Folge sind.
Derartige Kraftverläufe lassen sich analytisch nur schwer, und in der Regel nur für idealisierte Sonderfälle berechnen, insbesondere unter Berücksichtigung der Prozessinstabilität. Der dexelbasierte Modellansatz hingegen ermöglicht einen vergleichsweisen einfachen numerischen Zugang mit zugleich hoher Recheneffizienz.
Zukünftige Forschungsarbeiten am Virtual Automation Lab der Hochschule Esslingen sollen den Modellansatz auf weitere Zerspanungsprozesse, insbesondere dreidimensionale Prozesse, erweitern. Dazu wird der Ansatz verfolgt, die dexelbasierten Werkstückmodelle in mehreren Schichten übereinander zu legen und für die Spandickenberechnung anstatt Schneidenpfadsegmente räumliche Flächensegmente heranzuziehen.
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Tlusty J (1954) Selbsterregte Schwingungen bei der Bearbeitung der Metalle. Acta Technica Academiae Scientiarum Hungaricae, 8(3–4):320–360 Tlusty J (1954) Selbsterregte Schwingungen bei der Bearbeitung der Metalle. Acta Technica Academiae Scientiarum Hungaricae, 8(3–4):320–360
2.
Zurück zum Zitat Tobias S, Fishwick W (1958) Theory of regenerative machine tool chatter. The Engineer 205:199–203 Tobias S, Fishwick W (1958) Theory of regenerative machine tool chatter. The Engineer 205:199–203
3.
Zurück zum Zitat Merritt HE (1965) Theory of self-excited machine-tool chatter: Contribution to machine-tool chatter research, Journal of Engineering for Industry 87(4):447–454 Merritt HE (1965) Theory of self-excited machine-tool chatter: Contribution to machine-tool chatter research, Journal of Engineering for Industry 87(4):447–454
4.
Zurück zum Zitat Altintas Y, Budak E (1995) Analytical prediction of stability lobes in milling. Annals of the CIRP 44(1):357–362. Elsevier Altintas Y, Budak E (1995) Analytical prediction of stability lobes in milling. Annals of the CIRP 44(1):357–362. Elsevier
5.
Zurück zum Zitat Altintas Y (2001) Analytical prediction of three dimensional chatter stability in milling. JSME International Journal Series C Mechanical Systems, Machine Elements and Manufacturing 44(3):717–723 Altintas Y (2001) Analytical prediction of three dimensional chatter stability in milling. JSME International Journal Series C Mechanical Systems, Machine Elements and Manufacturing 44(3):717–723
6.
Zurück zum Zitat Henninger C, Eberhard P (2008) Improving the computational efficiency and accuracy of the semi-discretization method for periodic delay-differential equations. European Journal of Mechanics – A/Solids 27(6):975–985. Elsevier Henninger C, Eberhard P (2008) Improving the computational efficiency and accuracy of the semi-discretization method for periodic delay-differential equations. European Journal of Mechanics – A/Solids 27(6):975–985. Elsevier
7.
Zurück zum Zitat Chanda A, Fischer A, Eberhard P, Dwivedy SK (2014) Stability analysis of a thin-walled cylinder in turning operation using the semi-discretization method. Acta Mechanica Sinica 30(2):214–222. Springer Chanda A, Fischer A, Eberhard P, Dwivedy SK (2014) Stability analysis of a thin-walled cylinder in turning operation using the semi-discretization method. Acta Mechanica Sinica 30(2):214–222. Springer
8.
Zurück zum Zitat Pritschow G, Röck S (2004) Hardware in the loop. Simulation of machine tools. Annals of the CIRP 53(1):295–298. Elsevier Pritschow G, Röck S (2004) Hardware in the loop. Simulation of machine tools. Annals of the CIRP 53(1):295–298. Elsevier
9.
Zurück zum Zitat Sekler P, Verl A (2009) Real-time computation of the system behaviour of lightweight machines. 2009 First International Conference on Advances in System Simulation, S 144–147, IEEE Sekler P, Verl A (2009) Real-time computation of the system behaviour of lightweight machines. 2009 First International Conference on Advances in System Simulation, S 144–147, IEEE
Metadaten
Titel
Echtzeitsimulation der Prozess-Maschinen-Interaktion zur Prognose der Prozessstabilität mit realer CNC am Beispiel eines Fräsprozesses
verfasst von
Sascha Röck
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66217-5_5

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.