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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

1. Einleitung

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird die These der »Überflüssigkeit« in Bezug auf Chile eingeführt und ihre Bedeutung mit Blick auf den Konflikt zwischen indigenen Mapuche und der chilenishcen Forstindustrie erläutert. Zudem wird die der Arbeit zugrunde liegende Fragestellung sowie ihr Aufbau dargelegt.
Am 14. November 2018 wird Camilo Catrillanca bei einem Polizeieinsatz in der südchilenischen Region Araucanía gezielt von hinten erschossen. Der Vorfall führte zu landesweiten Protesten und wurde Gegenstand internationaler Berichterstattung.1 Catrillanca war politischer Aktivist und gehörte den indigenen Mapuche an. Mehr als zwei Jahre nach dem Vorfall werden acht Polizisten für Mord, Beihilfe zum Mord und Vertuschung verurteilt.2 Weniger als 50 Kilometer entfernt vom Gerichtssaal stürmen am gleichen Tage über 800 schwer bewaffnete Polizeibeamte mit 200 Fahrzeugen, Panzerwägen, Drohnen und Helikoptern mehrere kleine Ortschaften in einem von den Mapuche kontrollierten Gebiet der Kommune Ercilla. Insbesondere der Ort Temucuicui, aus dem Catrillanca stammt und der mit seinen rund 1000 Einwohner*innen kaum mehr Bewohner*innen zählt als der Polizeieinsatz Beamte, geriet in den Fokus der Einsatzkräfte.3 Bei dem Einsatz wurden nicht nur die Mutter, die Witwe und die Tochter Catrillancas verhaftet, es kam auch zu Schusswechseln, einem Toten und mindestens acht Schwerverletzten. Wenige Wochen später kündigen Mapuche-Gemeinschaften aus Ercilla an, eigene Sicherheitskräfte und somit eine »indigene Polizei« zu gründen. Während die Mapuche dies als einen weiteren Schritt in Richtung territorialer Selbstverwaltung bezeichnen, die von internationalem Recht gedeckt sei, betont die damalige chilenische Regierung unter Sebastián Piñera, sie werde keine Sicherheitskräfte außer den eigenen dulden.4
Der seit dem 19. Jahrhundert schwelende Konflikt zwischen dem chilenischen Staat und den indigenen Mapuche hat sich in den letzten Jahrzehnten neu entzündet. Die Mapuche wehren sich dabei nicht nur gegen das repressive Eindringen des Staates, sondern auch gegen Großgrundbesitzer*innen und Unternehmen, die sich Landflächen in ihren Gebieten aneignen. Seit Ende des 20. Jahrhunderts richten sich die Mapuche vor allem gegen die rasche Expansion riesiger Forstplantagen. Diese Flächen aus geradlinig gepflanzten Kiefern- und Eukalyptusbäumen prägen seit einigen Jahrzehnten das Gros der Landschaften im südlichen Chile. Sie sind heute Teil der global integrierten Forstindustrie, die aus den schnell wachsenden Bäumen kontinuierlich steigende Mengen Zellstoff für die Weltmärkte produziert. Die lokale Bevölkerung des chilenischen Südens mit ihrer kleinbäuerlichen Produktions- und Lebensweise und insbesondere die Mapuche wurden gleichzeitig nur prekär und nie umfassend als Lohnarbeiter*innen in den chilenischen Kapitalismus integriert. Vielmehr waren sie aus Sicht des kapitalistischen Sektors und insbesondere aus Sicht der Forstindustrie stets »überflüssig«, wie der Historiker José Bengoa schon in den 1980er Jahren kritisch anmerkte: »Die Mapuche-Bevölkerung ist in der neuen kapitalistischen Expansion nicht mehr ‚von Interesse‘, […] sie ist eine ‚Last der Vergangenheit‘, der man sich entledigen muss« (Bengoa 1983: 135 – eigene Übers.).
Seit Ende der 1990er Jahre kämpfen die Mapuche allerdings zunehmend militant um die Wiederaneignung ihres Landes. Sie haben sich dabei zum zentralen anti-kolonialen, anti-staatlichen, anti-kapitalistischen und ökologischen Akteur in Chile entwickelt (Aylwin 2000; Montalba-Navarro/Carraso 2003; Kaltmeier 2004; Pineda 2012; Schmalz et al. 2023). Heute verkörpern sie in besonderem Maße eine Strategie der Stärkung nicht-kapitalistischer ökonomischen Praktiken sowie den Gegensatz zum auf Ressourcenausbeutung ausgerichteten neoliberalen chilenischen Wirtschaftsmodell. Damit repräsentieren die Mapuche eine Konfliktdynamik, die der chilenischen Gesellschaft als ganzer zugrunde liegt. Dies wurde insbesondere während des estallido social – den sozialen Protesten Ende 2019 mit millionenfacher Beteiligung – deutlich, bei denen in sämtlichen Städten und Dörfern des Landes von Norden bis Süden die Fahne der Mapuche Demonstrationen schmückte. Eines der Lieder, das auf keinem der Proteste des estallido social fehlte, war »El baile de los que sobran« (»der Tanz der Überflüssigen«) von der chilenischen Band Los Prisioneros. Die zentrale Strophe darin lautet: »Reiht euch ein in den Tanz der Überflüssigen, niemand wird uns vermissen«. Damit beschreiben sie ein Gefühl der »Überflüssigkeit«, das weit über die Mapuche hinaus große Teile der chilenischen Bevölkerung betrifft. Die vorliegende Arbeit betrachtet den chilenischen Konflikt zwischen Forstindustrie und Mapuche als einen emblematischen Fall der Kämpfe der »Überflüssigen« im globalen Süden.5 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie diese Gegenwehr der »Enteigneten« um die Wiederaneignung ihrer verlorenen Ressourcen soziologisch zu verstehen ist.

1.1 Die politische Ökonomie der »Überflüssigen«

Die Diagnose der »Überflüssigkeit« in Bezug auf große Teile der chilenischen Bevölkerung mag zunächst überraschen, erinnert man sich daran, dass Chile lange Zeit als soziales und wirtschaftliches Erfolgsmodell gehandelt wurde. Das Land wird seit den 1990er Jahren immer wieder von internationalen Organisationen zum Vorzeigekandidat für die lateinamerikanische Region ausgerufen (Pizarro 2020: 336). Einige nannten Chile in Anlehnung an die asiatischen Tigerstaaten gar den »Jaguar Lateinamerikas« (Gárate 2016: 22). Das Trio aus Neoliberalismus, Demokratisierung und Ressourcenausbeutung schien ein Garant für Fortschritt: In den 1990er Jahren wuchs die chilenische Wirtschaft durchschnittlich um 6,1 Prozent, in den 2000er Jahren um 4,2 Prozent und in den 2010er Jahren um durchschnittlich rund 3,0 Prozent jährlich.6 Dadurch versechsfachte sich seit Beginn der 1990er Jahre nicht nur das chilenische Pro-Kopf-Einkommen, zudem mehr als versiebenfachten sich auch die Exporte und das Land erlebte eine enorme Zunahme ausländischer Direktinvestitionen (Pizarro 2020: 340 f).7 Außerdem wuchs das Bildungsniveau seitdem quer durch alle Einkommensgruppen deutlich (PNUD 2017: 19 f), die Erwerbsquote stieg und die Armut sank von fast 40 Prozent zu Beginn der 1990er Jahre auf etwa 15 Prozent Ende der 2000er Jahre (MDP 2010c: 3).8 Diese soziale und wirtschaftliche Dynamik ist mit Blick auf die Beschäftigungseffekte und den Rückgang der Armut einerseits der ausgeweiteten staatlichen Sozialpolitik zu verdanken, andererseits aber zumindest indirekt auch einem Wirtschaftswachstum, das maßgeblich der Expansion der großen Exportsektoren geschuldet ist.
Mit dem chilenischen Wirtschaftswachstum, das wesentlich auf der Ausbeutung von Rohstoffen basiert, gehen jedoch erhebliche soziale und ökologische Probleme einher. Von Norden bis in den Süden Chiles sind die ökologischen Schäden der rohstoffausbeutenden Branchen, die die Weltmärkte mit Metallen aus dem Bergbau, Obst aus Plantagen, Zellstoff und Holz aus den Wäldern sowie Fisch aus den Meeren beliefern, dramatisch. Von den riesigen Kratern, die der Bergbau im Norden des Landes in die Landschaften gräbt, bis zum Wasser- und Flächenverbrauch der industriellen Land- und Forstwirtschaft und den Verschmutzungen durch die Lachsindustrie im Süden ist die chilenische Wirtschaft durch enorme Eingriffe, Veränderungen und Zerstörungen der Ökosysteme gekennzeichnet. Dennoch verzehnfachte die Lachsproduktion und versechsfachte die Zellstoffproduktion von den 1990ern bis in die 2000er Jahre ihre Produktionsvolumina (Fischer 2010: 102 f; Infor 2016: 85). Die Folge ist, dass Primärgüter knapp 86 Prozent aller chilenischen Exporte darstellten (2019) (CEPAL 2021: 44) und das Land in den letzten Jahrzehnten von unzähligen ökologischen Krisen heimgesucht wurde.
Zudem basiert das chilenische Wirtschaftsmodell auf einer massiven sozialen Ungleichheit, die auch in den vergangenen Jahren kaum zurückging (PNUD 2017: 21 f). Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Mehrheit der Chilen*innen am kapitalistischen Wachstum kaum teilhat, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass nur sehr wenige Chilen*innen direkt in den rohstoffausbeutenden Industrien beschäftigt sind. Diejenigen, die in größeren Unternehmen und beim Staat Arbeit finden, sind zudem meist äußerst prekär angestellt (Julián 2021). Es kommt zu massenhafter prekärer Beschäftigung sowie breiter Unterbeschäftigung (Páez/Sáez 2018) und gerade in den unteren Einkommensgruppen zu besonders hoher Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent (MDS 2018a: 38). Von denen, die Lohnarbeit finden, verdienen sechs von zehn Beschäftigten nicht genug, um einen vierköpfigen Haushalt über der Armutsgrenze zu halten (Durán/Kremerman 2019a: 3). Viele müssen sich deshalb verschulden, um Güter des täglichen Bedarfs zu erwerben (Durán/Narbona 2021: 217 f). Das chilenische Wachstumsmodell lässt sich folglich als ökologisch destruktiv und sozial exklusiv charakterisieren.
Mit diesem »exklusiven Wachstum« (Suryanarayana 2008) ist Chile allerdings nicht alleine. Eine Reihe von Ländern des globalen Südens sind durch einen »jobless growth« (Bhaduri 2018) gekennzeichnet, an dem große Teile der Bevölkerung kaum partizipieren. So geht der World Employment and Social Outlook-Bericht der ILO aus dem Jahr 2020 davon aus, dass es aufgrund mangelnder Beschäftigungsmöglichkeiten und der allgemein geringen Inklusivität des kapitalistischen Wachstums höchstens zu einem geringfügigen nachhaltigen Rückgang der Armut in den Niedriglohnländern kommen wird (ILO 2020: 11). Schon vor den durch Corona-Pandemie und Inflation ausgelösten Weltwirtschaftskrisen schätzte die Organisation die Zahl der Unterbeschäftigten und Arbeitslosen weltweit auf rund 473 Millionen Menschen (ebd.: 12). Bei weiteren über drei Milliarden Vollbeschäftigten können die Haupteinkommen den Lebensunterhalt nicht sichern. Grund dafür seien zu geringe Einkommen und fehlende soziale Absicherungen (ebd.). Dies betreffe insbesondere die rund 1,4 Milliarden meist informell tätigen Selbstständigen und deren Familienangehörige (ebd.). Von den weltweit Beschäftigten verdienen 19 Prozent nicht genug, um sich mit ihren Einkommen über das Armutsniveau zu heben (ebd.: 13). Die Folge ist, dass sich große Teile der Bevölkerung außerhalb des kapitalistischen und formellen Sektors (zusätzliche) Einkommensquellen erschließen müssen.
Ein Symptom dieser Problematik ist der fortwährend wachsende informelle Sektor. Insgesamt geht die ILO im Jahr 2020 von rund zwei Milliarden informell Beschäftigten aus, das entspricht über 60 Prozent der weltweiten arbeitenden Bevölkerung (ILO 2020: 13). Auch künftig – so die ILO – würden Jobs mehrheitlich in diesem unsicheren, niedrig bezahlten und informellen Bereich entstehen, was nicht nur die globale Ungleichheit, sondern auch diejenige auf den Arbeitsmärkten innerhalb der Länder weiter festschreibe (ebd.: 13 f). Diese Zahlen zeigen, dass monetär entlohnte Arbeit global gesehen sowohl mit Blick auf die Einkommenshöhe als auch bezüglich der Einkommenssicherheit äußerst prekär ist. Mike Davis (2006) titulierte diese Zustände in den 2000er Jahren im Kontext zunehmender Urbanisierung als »Planet of Slums«. Dabei bezog er sich auf ein Phänomen, das schon Karl Marx (1973: 670 ff) mit dem Stichwort der »Übervölkerung« beschrieb. Damit war auf die fortwährende Situation all jener Menschen verwiesen, die im Laufe der kapitalistischen »Entwicklung« aus ihren alten Produktions- und Lebensweisen herausgeworfen wurden, aber keine oder nur periodisch Beschäftigung im kapitalistischen Sektor fanden.9 Später wurden im Anschluss daran Phänomene der dauerhaften »Übervölkerung« in Lateinamerika unter dem Stichwort der Herausbildung eines »marginalen Pols« oder der »marginalen Massen« diskutiert (Quijano 1974; Delfino 2012). Heute werden mit Blick auf die Unterbeschäftigung im kapitalistischen Sektor je nach Weltregion sozialwissenschaftliche Begriffen genutzt, die von den »Überzähligen« (Castel 2000: 348; Scherrer 2018), den »Überschüssigen« (Davis 2006: 174 ff), den »Überflüssigen« (Clover 2021: 52) über die »Ausgegrenzten« (Bauman 2005; Kronauer 2010; Sassen 2014) und »Ausgeschlossenen« (Bude 2008) bis zum »Prekariat« (Standing 2011) oder dem »Semiproletariat« (Moyo/Yeros 2005a; ebd.: 2005b; Bernstein 2010: 54 f) reichen. Insbesondere in den ärmeren Weltregionen stellt Unterbeschäftigung und soziale Exklusion ein massives soziales Problem eines Großteils der Bevölkerung dar.
Die mangelnde Integrationsfähigkeit des kapitalistischen Sektors verstärkt die Bedeutung von Einkommensmöglichkeiten prekärer Privathaushalte außerhalb der im engen Sinne kapitalistischen Produktionsweise. Der Rückgriff auf eine Reihe verschiedener Produktionsformen ist in Ländern des globalen Südens daher seit vielen Jahrzehnten eine Strategie ärmerer Haushalte, um ihre soziale Reproduktion längerfristig zu gewährleisten (Elwert/Evers/Wilkens 1983; Kößler/Hauck 1999; Mahnkopf/Altvarer 2015; Zhan/Scully 2018). Schon seit der Entstehung des globalen Kapitalismus sind nicht-kapitalistische ökonomische Aktivitäten für einen Großteil der weltweiten Privathaushalte von zentraler Bedeutung. »Semiproletarische Haushalte«, worunter urbane und rurale Haushalte zu verstehen sind, die ihr Einkommen aus unterschiedlichen ökonomischen Quellen und Aktivitäten bündeln, die von Subsistenzökonomie über kleine Warenproduktion bis zu informellem Warenhandel und formeller Lohnarbeit reichen können, sind – wie unterschiedliche Autor*innen betonen – deshalb seit langem die »statistische Norm« innerhalb der weltweiten kapitalistischen »Entwicklung« (Arrighi 1973; Wallerstein 1983: 27, 64; Moyo/Yeros 2005a: 5; ebd.: 2005b: 9, 25 ff).10
Ein zentraler wirtschaftlicher Bereich, der den Haushalten entscheidende Sicherheiten – wenngleich in der Regel nur geringe monetäre Einkommen – verschafft, ist rund um den Globus die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Die weltweit mindestens 500 Millionen bäuerlichen Familienbetriebe, die ihr eigenes Land zu großen Teilen mit der eigenen Arbeitskraft bewirtschaften, stellen – Berechnungen der FAO zufolge – weltweit über 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe dar und produzieren rund 80 Prozent der weltweiten Lebensmittel (FAO 2014: 8 f, 93 f). Die internationale NGO etc group (2017: 8, 12, 17) schätzt, dass rund 70 Prozent der Weltbevölkerung ihre Nahrungsmittel aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und kleinen Fischerei erhalten, die dafür nur auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen zurückgreift. Die häufig unter kolonialer Herrschaft enteigneten großen Landflächen des globalen Südens dienen heute hingegen meist für die Produktion für den Weltmarkt. Während agroindustrielle Unternehmen folglich rund 75 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche kontrollieren und damit die internationalen Weltmärkte speisen, versorgen die kleinbäuerlichen Haushalte mit weitaus geringeren verbleibenden Ressourcen den Großteil der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln. Dies bezeugt nicht nur die Relevanz der Einkommen ärmerer Privathaushalte aus nicht-kapitalistischen Sektoren, sondern auch die Bedeutung dieser Sektoren für die Belieferung der Weltbevölkerung mit erschwinglichen Gütern des alltäglichen Bedarfs.
Damit zeigt sich, dass diejenigen, die aus Sicht des kapitalistischen Sektors »überflüssig« sind, gesellschaftlich äußerst wertvolle Tätigkeiten verrichten. Sie produzieren Güter und Dienstleistungen, die für einen Großteil der Bevölkerung überlebenswichtig sind.11 Diese Tätigkeiten finden – wie ich zeigen werde – allerdings zu großen Teilen außerhalb des kapitalistischen Sektors statt. Mit dem Konzept des bedarfsökonomischen Sektors möchte ich in der vorliegenden Arbeit diejenigen ökonomischen Aktivitäten zusammenfassen, die innerhalb von Privathaushalten sowie formellen und informellen Klein(st)betrieben zum Zweck der Erzielung von Gütern und Einkommen für die soziale Reproduktion der Privathaushalte verrichtet werden.12 Sie reichen von der Produktion für den Eigenbedarf innerhalb und außerhalb des Haushalts über den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte auf lokalen Märkten bis hin zu Dienstleistungen im informellen Sektor. Der bedarfsökonomische Sektor umfasst damit ökonomische Praktiken und Märkte, die auf die soziale Reproduktion der einfachen Bevölkerung ausgerichtet sind. Mit diesem Ansatz ist es möglich, spezifische Konflikte zu untersuchen, die sich zwischen bedarfsökonomischem und kapitalistischem Sektor ergeben.
Sozialwissenschaftlich wurden derartige Beziehungen klassischerweise als kapitalistische »Innen-Außen-Verhältnisse« untersucht (Harvey 2003: 141; De Angelis 2007; Dörre 2009a: 42; Saave 2022).13 Während soziale Konflikte im »Inneren« der kapitalistischen Produktionsweise im Anschluss an Marx (1973: 245 ff) üblicherweise als Kämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapital verstanden werden, spielen sich die in dieser Arbeit betrachteten sozialökologischen Konflikte zwischen dem kapitalistischen »Innen« und dem nicht-kapitalistischen »Außen« ab. Diese »Innen-Außen-Konflikte« betrachtete Marx als eine historische Problematik zu Beginn der Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse, die er als »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« bezeichnete und die vor allem ab dem 16. Jahrhundert um die Enteignungen der direkten Produzent*innen kreiste, die damals vorwiegend kleine Bauernhaushalte darstellten (Marx 1973: 741 ff; Wallerstein 1983: 38 f ; Banaji 2013: 98 ff). Wie allerdings spätere Forschungen zeigten, gehören diese »Landnahmen« und »Enteignungen« in unterschiedlichen sozialen Bereichen und geografischen Räumen zur dauerhaften Funktionsweise kapitalistischer Akkumulation (Luxemburg 1975; Werlhof 1978; Harvey 2003; De Angelis 2007; Dörre 2009a; ebd. 2013b). Zudem werden diese fortgesetzten Enteignungen – wie ich in dieser Arbeit zeige – durch Gegentendenzen der Wiederaneignung produktiver Ressourcen durch die »Überflüssigen« begleitet (Moyo/Yeros 2005b: 27–29; Moyo/Jha/Yeros 2016: 496; Zhan/Scully 2018: 1020, 1022). »Innen-Außen-Konflikte« stellend damit keineswegs nur eine historische Thematik dar. Die in dieser Arbeit untersuchten sozialökologischen Konflikte werden in diesem Sinne entlang der Grenze zwischen dem kapitalistischen (Innen) und dem bedarfsökonomischen Sektor (Außen) ausgetragen, weshalb ich sie in Anlehnung an Nancy Frasers Konzept der »boundary struggles« (Fraser 2016; 2017) als Grenzkämpfe bezeichne.14 Dabei handelt es sich nicht um Konflikte entlang politischer Gebietsgrenzen, sondern um Kämpfe an den Grenzen zwischen sozialen »Räumen«, die in diesem Fall unterschiedliche sozioökonomische Praktiken umfassen.
Bedarfsökonomische Aktivitäten und insbesondere kleinbäuerliche Produktionsweisen geraten seit geraumer Zeit allerdings zunehmend in die Krise (Moyo/Yeros 2005b: 18 f; Bernau 2008). Der weltweite Klimawandel und ökologische Krisen treffen in den vergangen Jahrzehnten insbesondere Länder des globalen Südens (Nixon 2011: 68 ff; Backhouse/Tittor 2019: 299–303; Svampa 2019: 104–115; United Nations 2020: 25). Damit verstärken sich die genannten »Innen-Außen-Konflikte«, die aus der ungleichen Verteilung von Ressourcen und der Intensivierung kapitalistischer Naturausbeutung resultieren und um die Verteilung von Ressourcen und Land zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor geführt werden (Moyo/Yeros 2005b; Borras et al. 2012; Composto/Navarro 2014: 63; Svampa 2015; Zhan/Scully 2018: 1030 f, 1033; D’Costa/Chakraborty 2017; Prause 2020; Tittor 2023). Wissenschaftlich und zivilgesellschaftlich führte dies zur Verbreitung von Debatten um »land grabbing« (Borras et al. 2012) sowie »sozialökologischer Verteilungskonflikte« (Martinez-Alier 2004) und politisch hatte es eine Welle ländlicher Bewegungen zur Folge (Moyo/Yeros 2005b: 44–52). Diese reichen von internationalen Bündnissen wie vía campesina (übers.: der bäuerliche Weg), der MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra – übers.: Bewegung der Landarbeiter*innen ohne Land) in Brasilien über das Southern African Network on Land (SANL) bis hin zu bewaffneten maoistischen Bewegungen in Südasien (Shah 2013). Derartige sozialökologische Auseinandersetzungen werden im Zuge des Klimawandels voraussichtlich weiter zunehmen und könnten die zentralen sozialen Konflikte des 21. Jahrhunderts darstellen. Immer wieder kämpfen dabei weltweit kleinbäuerliche und vor allem indigene Bewegungen an vorderster Stelle für die sozialen und ökologischen Belange der ärmsten Teile der Bevölkerung (Gedicks 2001; Parraguez-Vergara et al. 2018; Svampa 2020: 61 ff; Martinez-Alier 2021: 11). Gerade in Ländern wie Chile, in denen große Unternehmen sämtliche natürliche Rohstoffe ausbeuten, kommt es angesichts knapper werdenden Ressourcen zu einer Zunahme an Verteilungskonflikten entlang des »Innen-Außen-Verhältnisses«. Wie im Falle der – in dieser Arbeit untersuchten – Auseinandersetzungen zwischen Forstindustrie und Mapuche handelt es sich dabei häufig um offene Konflikte zwischen exportorientierten Großunternehmen und der lokalen Bevölkerung (Landherr/Graf 2019; Dorsch 2021). Dabei setzen sich Aktivist*innen immer wieder lebensbedrohlichen Gefahren aus. 2020 erreichte die offiziell bekannte Zahl ermordeter Umweltaktivist*innen – laut der NGO global witness – einen traurigen Rekord von 227 Personen. Auf Lateinamerika entfällt ein Großteil dieser Morde (Global Witness 2021: 10, 12).
Vor diesem Hintergrund kam es in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch zu einer Reihe neuer Forschungen über Landkonflikte (Martinez-Alier 2004; Borras/Franco 2009; Borras et al. 2012; Svampa 2019; Prause 2020; Dietz/Engels 2020). In der Regel werden die Konflikte dabei aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive danach befragt, wie sie verlaufen und welche Akteure, Strategien, Organisationsformen und Ziele dabei eine Rolle spielen. Dietz/Engels (2020: 211 f) verweisen darauf, dass es notwendig ist, diese Forschungen zur »Handlungsebene« stärker an ein Verständnis »sozialer Strukturen« rückzubinden. Dafür ist in der Sozialwissenschaft typischerweise der Klassenbegriff von zentraler Bedeutung. Deshalb wird in dieser Arbeit neben dem Fokus auf die »Innen-Außen-Verhältnisse« auch eine klassentheoretische Perspektive gewählt. Die Studien, die bisher von einer soziologischen und klassentheoretischen Perspektive auf Landkonflikte im globalen Süden blicken, verweisen diesbezüglich auf Begriffe des »Semiproletariats« oder der »classes of labour« (Arrighi 1973; Moyo/Yeros 2005b: 8 f, 26 f; Bernstein 2010: 110–112). Beide Konzepte lassen – wie ich in dieser Arbeit zeigen werde – bei näherer Betrachtung eine soziologische Leerstelle erkennen, die vor allem die Charakterisierung des »nicht-kapitalistischen Bereichs« betreffen, dem für das alltägliche Überleben der »Überflüssigen« eine bleibende Bedeutung zukommt. Je nach Kontext wurde von ihm als »need economy« (Sanyal 2007: 208 ff), als »poor economics« (Banerjee/Duflo 2012) oder als »economía popular« (Sarria/Tirriba 2003) gesprochen. Ich werde in meiner Heuristik (Abschnitt 2.​6) darauf aufbauend den angesprochenen Begriff des »bedarfsökonomischen Sektors« vorschlagen und die genannten Konflikte anschließend als klassenspezifische »Grenzkämpfe« untersuchen.
Der Blick auf die sozioökonomische Ebene wirft – vor dem Hintergrund des Gesagten – die Frage danach auf, wie sich der bedarfsökonomische Bereich zum kapitalistischen Sektor verhält. Kapitalismustheoretische Forschungen zu Ländern des globalen Südens machen seit den 1970er Jahren fast immer ein funktionales Verhältnis des nicht-kapitalistischen Bereichs zum kapitalistischen Sektor aus, in dem letzterer aus ersterem billige Arbeitskräfte bezieht.15 Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu den »Exkludierten« und »Überflüssigen« gehen hingegen davon aus, dass der globale Kapitalismus auf einen Großteil der »marginalen Massen« in immer geringerem Maße als Lohnabhängige angewiesen ist (Quijano 1974: 331 ff; Davis 2006: 174 ff; Sanyal 2007: 245 ff; Burawoy 2017; Scherrer 2018; Brand 2018; Clover 2021: 33 ff). Mit einer eigenen Positionierung in diesem Debattenfeld will die vorliegende Arbeit auch einen kapitalismustheoretischen Beitrag zu der Frage des Verhältnisses zwischen dem kapitalistischen und dem bedarfsökonomischen Sektor leisten.
Die Frage, der ich in der vorliegenden Arbeit nachgehe, richtet sich darauf, wie die Beziehungen zwischen dem kapitalistischen und dem bedarfsökonomischen Sektor funktionieren und wie damit zusammenhängend sozialökologische Konflikte in Ländern des globalen Südens, die wie Chile stark durch Rohstoffausbeutung und Unterbeschäftigung gekennzeichnet sind, als Innen-Außen-Konflikte zu verstehen sind. Dabei stellt sich auch die Frage, warum der bedarfsökonomische Sektor in Chile sozial und wirtschaftlich überhaupt weiterhin eine derart wichtige Rolle spielt und warum der chilenische Kapitalismus die »Überflüssigen« nicht mittels Lohnarbeit integrieren kann. Außerdem frage ich danach, inwiefern sich nicht nur die Konflikte zwischen der Forstindustrie und den Mapuche als klassenspezifische Grenzkämpfe verstanden werden können, sondern diese eine zentrale Konfliktdynamik in der chilenischen Gesellschaft insgesamt darstellen. Diesen Fragen gehe ich mittels einer empirischen Untersuchung des bedarfsökonomischen Sektors in Chile und einem Fokus auf den emblematischen Konflikt zwischen Forstindustrie und Mapuche nach. Dabei versuchen die Mapuche ökologische und ökonomische Ressourcen für ihre bedarfsökonomischen Praktiken zu erstreiten. Allerdings sind die Kämpfe der Mapuche in der Hinsicht besonders, als dass sie mit historischen Ansprüchen ihre seit der Kolonisierung enteigneten Ressourcen zurückerlangen wollen. Die Kämpfe der Mapuche um »Wiederaneignung«, die sie als historisches Subjekt der »Enteigneten« führen, stellen – wie ich in dieser Arbeit zeige – dabei eine besonders radikale Form der chilenischen »Innen-Außen-Konflikte« dar.

1.2 Die politische Ökonomie der Enteigneten

In Interviews, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit geführt wurden, berichten Mapuche immer wieder von ihren Landbesetzungen auf Plantagen der Forstindustrie: »Wir verteidigen damit unser Land, etwas, das ursprünglich uns gehörte, nicht etwas, das sie uns gestern weggenommen haben, sondern etwas, das sie schon unseren Großeltern, unseren Urgroßeltern weggenommen haben«, sagt beispielsweise Aukan (a15), der aus einer armen ländlichen Kommune im Süden des Landes stammt, die von kleinbäuerlicher Landwirtschaft und kilometerlangen Forstplantagen geprägt ist. Wie viele andere beteiligt sich auch er an Landbesetzungen, die das Ziel haben, Gebiete zurückzuerlangen, um dadurch die eigene Produktions- und Lebensweise zu stärken. Aukan führt aus: »Jetzt fangen wir an, auf dem besetzten Land was Neues aufzubauen. Das ist Teil unseres Kampfes. Auch wenn wir wissen, dass sie uns wieder vertreiben werden […]« (a15).
Wie in dem angeführten Zitat exemplarisch deutlich wird, kämpfen die Mapuche mittels eines Diskurses der Wiederaneignung um Gebiete, die ihnen in ihrer Geschichte in unterschiedlichen Enteignungswellen genommen wurden. Zuerst waren es die Kolonialkriege mit den spanischen Eroberern, die die Mapuche große Ländereien kostete und einen Großteil ihrer Bevölkerung dahinraffte. Im 19. Jahrhundert folgte dann die kriegerische Kolonisierung durch den chilenischen Staat und der vollständige Verlust ihres Territoriums. Die Mapuche wurden in abgegrenzte Reservate umgesiedelt. Im 20. Jahrhundert konnten die Mapuche insbesondere unter der sozialistischen Präsidentschaft Salvador Allendes (1970–1973) allerdings wieder Gebiete zurückerlangen. Doch diese Phase dauerte nur kurz und in den späten 1970er Jahren folgte eine neue Welle der Enteignungen im Rahmen der Militärdiktatur. Diese Erfahrungen der oft militärischen Enteignungen wirken bei den Mapuche bis heute fort. Sie haben Wunden aufgerissen, die nie verheilt sind und die kollektive Identität der Mapuche und ihre politische Strategie zutiefst prägen. Wie unterschiedliche Autor*innen verdeutlichen, kämpfen die Mapuche daher als politisches Subjekt mit einer zutiefst »historischen« Identität (Foerster/Montecino 2007; Valenzuela 2007; Marimán et al. 2017; Correa 2021). Die geschilderten Enteignungswellen befeuern dabei maßgeblich ihren politischen Handlungswillen. Die Mapuche kämpfen daher nicht nur als »Überflüssige«, sondern als unrechtmäßig »Enteignete«. Sie kämpfen in ihren eigenen Worten für reivindicación, was sich als Wiedergutmachung oder Wiederaneignung übersetzen lässt.
In der bisherigen Forschung werden die Auseinandersetzungen zwischen Mapuche und staatlichen Sicherheitsbehörden sowie den Großunternehmen der Forstwirtschaft im Süden Chiles in der Regel als kultureller, historischer oder ethnischer Konflikt beschrieben (Kaltmeier 2004; Cayuqueo 2017; Foerster 2018; Correa 2021; Höhl 2022). Andere sprechen von einem kulturellen und ökologischen Konflikt (Montalba-Navarro/Carrasco 2003). Dabei sind stark sozialethnografische Fragestellungen mit einem Blick auf die kulturelle, historische, politische und in einigen Fällen auch auf die ökologische Thematik verbreitet, die in der Regel fallanalytisch auf die lokale Mikroebene blicken (Montalba-Navarro/Carrasco 2003; Pineda 2014; Schmidt/Rose 2017; Foerster 2018; Höhl 2022; Garbe 2022).16 Die Publikationen von Mapuche-Autor*innen sind wiederum in der Regel historisch und häufig auf die kulturell-politische Selbstbestimmung gerichtet (Marimán 2012; Marimán et al. 2017; Cayuqueo 2017; Pairican 2020). Nur sehr wenige sprechen von einem sozioökonomischen Konflikt zwischen Großgrundbesitzer*innen und kleinbäuerlichen Haushalten. Deshalb wird eine soziologische Einbettung des Konflikts aus einem Makroblick kaum gewagt. In gewisser Weise sind die Arbeiten von José Bengoa und einige wenige weitere dabei eine Ausnahme (Bengoa 1983; ebd. 1999; ebd. 2008; Quiñones 2012; Cerda 2017).17 Gleichzeitig herrscht ein annähernder Konsens darüber, dass bei dem Konflikt drei Dimensionen eine zentrale Rolle spielen: die kolonial-kulturelle und historische Dimension, die ökologische Dimension sowie die Dimension der sozialen und ökonomischen Ungleichheit (Aylwin 2000: 295 f; Kaltmeier 2004; Klubock 2014; Schmalz et al. 2023). Ebenso besteht in der Forschung Einigkeit darüber, dass die ökonomischen Praktiken der Mapuche-Gemeinschaften zu großen Teilen nicht innerhalb des kapitalistischen Sektors verortet werden können, weshalb sie mangels besserer Alternativen meist der Subsistenzproduktion zugeordnet werden (Bengoa 1983: 130–143; Boroa 2013; Pareja 2021: 381, 385; Ojeda 2021: 277 f; kritisch: Marimán et al. 2017: 266). Der empirische Blick der vorliegenden Arbeit auf die sozioökonomische Realität in den Gebieten der Mapuche wird allerdings zeigen, dass das Konzept der Subsistenzproduktion nur auf einen kleinen Teil der bedarfsökonomischen Praktiken in diesen Gebieten zutrifft. Damit besteht gerade mit Blick auf die ökonomischen Praktiken der Mapuche eine Forschungslücke.18 Daher stellt sich die empirische Forschungsfrage, wie sich die sozioökonomischen Verhältnisse in den ländlichen Gebieten mit großem Mapuche-Anteil soziologisch verstehen und wie sich deren Auseinandersetzungen mit der Forstindustrie damit zusammenhängend erklären lassen.
Diese sozioökonomische Fragestellung steht nicht im Widerspruch, sondern ergänzend zu Analysen, die den kulturellen und historischen Charakter der Kämpfe der Mapuche betonen. Der analytische Wert des Übergangs von der politischen Ökonomie der »Überflüssigen« zur »politischen Ökonomie der Enteigneten« liegt dabei darin, dass unter Beibehaltung eines sozioökonomischen Ausgangspunkts anerkannt wird, dass die Mapuche nicht nur als »Überflüssige«, sondern zudem als eigenes politisches Subjekt mit einer kulturellen Identität und mittels historischen Ansprüchen und damit als »Enteignete« um eigenständige und kulturell spezifische sozioökonomische Praktiken kämpfen. Damit wird auch offengelegt, dass die politische Ökonomie der Enteigneten einen spezifischen Teilbereich des bedarfsökonomischen Sektors bildet, der in diese Arbeit genauer untersucht wird und durch eine eigene kulturelle Ökonomie gekennzeichnet ist. In der vorliegenden Arbeit wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die politische Ökonomie der Enteigneten aufgrund ihrer kulturellen Identität, einer eigenen politischen Strategie sowie einer spezifischen kulturellen Ökonomie der Mapuche einen besonderen Bereich der politischen Ökonomie der »Überflüssigen« in Chile bildet.19 Diese Perspektive soll es ermöglichen, die Kämpfe der Enteigneten innerhalb der Gesamtdynamik der chilenischen Wirtschaft und den damit verbundenen Klassenverhältnissen zu verorten. So resultiert die hohe Relevanz des Konflikts der Mapuche mit der Forstindustrie vor allem daraus, dass sich die Mapuche im Süden Chiles auf radikale Weise dem kapitalistischen Sektor entgegenstellen und damit einen emblematischen »Innen-Außen-Konflikt« führen, der das gesamte Land betrifft und die Interessen des bedarfsökonomischen Sektors repräsentiert. Um dies zu zeigen, verorte ich den Konflikt der Mapuche in dieser Arbeit innerhalb der chilenischen Klassenverhältnisse.
Die Frage nach den Klassenverhältnissen der »Überflüssigen«, in denen sich dieser spezifische Konflikt bewegt, ermöglicht es dabei erstens, aufzuzeigen, dass gerade infolge der massiven Schwächung der Organisationen der Arbeiter*innen und Bäuer*innen in der chilenischen Militärdiktatur (1973–1990), kulturelle Anerkennungskonflikte wie derjenige der Mapuche an Bedeutung gewinnen. Damit lässt sich die wachsende Bedeutung des »Kulturellen« und »Ethnischen« in politischen Bewegungen von unten, die sich in »demobilisierten Klassengesellschaften« (Dörre 2020: 24 ff) feststellen lässt, auch in Chile diagnostizieren. Zweitens wird mittels der Frage nach den Klassenverhältnissen der »Überflüssigen« aber auch deutlich, was die Mapuche-Haushalte auf dem Land mit ihren verarmten Nachbar*innen, die nicht den Mapuche angehören, verbindet. Drittens wird es dadurch möglich, zu analysieren, wie sich die Mapuche und ihre Kämpfe in den gesamtgesellschaftlichen Machtasymmetrien und Ungleichheiten und mit Blick auf das kapitalistischen »Innen-Außen-Verhältnis« als Grenzkämpfe zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor einordnen lassen. Viertens werden mit der Frage nach Klassenverhältnissen auch Zusammenhänge zwischen den Konfliktdynamiken vor Ort und deren ökonomischer Position in der globalen Arbeitsteilung sichtbar. Widerstandspraktiken und Konfliktdynamiken werden damit – wie es Charles Tilly (2006: 34) forderte – aus dem größeren Kontext erklärt. Insbesondere die Einbettung des sozialökologischen Konflikts in internationale politische und ökonomische Verhältnisse, die Immanuel Wallerstein (2010: 202 f) stets vehement einforderte, lässt verstehen, warum es sich dabei nicht um isolierte Einzelkonflikte, sondern um »systematische« Bestandteile und Widersprüche im »modernen Weltsystem« handelt. Das Verständnis von Grenzkämpfen als Klassenkonflikte lässt uns damit verstehen, warum die Grenzkämpfe der Mapuche weit mehr als ein lokal begrenzter Konflikt sind und warum sie immer wieder große Strahlkraft entfalteten (Huenchumil 2019; Schmalz et al. 2023).

1.3 Aufbau der Arbeit und zentrale Thesen

Die vorliegende Forschungsarbeit resultiert aus der grundlegenden Frage danach, wie sich sozialökologische Konfliktdynamiken in Ländern des globalen Südens kapitalismustheoretisch verstehen lassen, die wie Chile in hohem Maße durch Rohstoffexporte in die Weltmärkte integriert sind. Dabei vertrete ich die These, dass diese sozialökologischen Konflikte als Grenzkämpfe entlang der kapitalistischen Innen-Außen-Verhältnisse interpretiert werden müssen. Diese werden in der Sozialwissenschaft meist im Anschluss an Marx‘ »ursprüngliche Akkumulation« und Rosa Luxemburgs (1975) »Akkumulation des Kapitals« diskutiert (Harvey 2003: 141; De Angelis 2007; Dörre 2009a: 42; Saave 2022) und spielen auch in feministischen, ökologischen und rassismuskritischen Debatten eine wichtige Rolle (Meillassoux 1975; Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomsen 1984; Federici 2004; Hall 2012; Backhouse 2015; Fraser 2016). Implizit oder explizit widmeten sich darüber hinaus insbesondere Autor*innen aus Ländern des globalen Südens der Frage nach Konflikten entlang dieses Innen-Außen-Verhältnisses (Lewis 1954; Córdova 1971; Laclau 1971; Santos 1975; Patnaik 1990; Sanyal 2007). Die vorliegende Arbeit beginnt daher mit einem Theorieteil (Kapitel 2), der zu einem aktualisierten Verständnis der Innen-Außen-Verhältnisse in Ökonomien des globalen Südens beitragen soll.
Der theoretische Teil dieser Arbeit nimmt dabei die Frage zum Ausgang, warum es entgegen breit geteilter Erwartungen überhaupt zu einem »Überleben des Nicht-Kapitalistischen« in Ländern des globalen Südens gekommen ist (Abschnitt 2.​1) und auf welche verschiedenen Weisen dieses »Nicht-Kapitalistische« theoretisch konzipiert wurde. Zunächst werfe ich diesbezüglich einen Blick auf das modernisierungstheoretische Denken und die dominanten Konzepte des »traditionellen« und »informellen Sektors« (Abschnitt 2.​2). Dabei zeige ich, warum ich diese Ansätze für unzureichend halte. Anschließend lege ich Theorien dar, die sich in kritischer Abgrenzung zu den Modernisierungstheorien entwickelten (Abschnitt 2.​3). So zeigte das Dependenz- und Weltsystemdenken (Abschnitt 2.​3.​1) deutlich, dass das »Nicht-Kapitalistische« als Produkt der »Modernisierung« seit dem Kolonialismus und nicht als ein historisches »Überbleibsel« verstanden werden muss. Aus dem dependenz- und weltsystemtheoretischen Denken können – so werde ich zeigen – eine Reihe wertvoller Begriffe und Erkenntnisse bezüglich des »Innen-Außen-Verhältnisses« gewonnen werden. Das betrifft vor allem das Konzept der »strukturellen Heterogenität« (Córdova 1971), das ich für die vorliegende Arbeit fruchtbar mache. Allerdings zeigt sich auch, dass in dieser Theorietradition bezüglich des »Nicht-Kapitalistischen« keinesfalls Klarheit gewonnen werden konnte. Dafür brachten sozialanthropologische und feministische Debatten (Abschnitt 2.​3.​2) neue Erkenntnisse zu dieser Thematik hervor. Claude Meillassoux (1975) stieß die Forscherung darauf, sich mit dem »ökonomischen und sozialen System der Hausgemeinschaft« (ebd.: 7 ff) als Ort auseinanderzusetzen, an dem sich verschiedene Produktionsweisen miteinander »artikulierten« (Wolpe 1980). Feministische Autor*innen nahmen im Anschluss die Reproduktionssphäre als eigene »Produktionsform« in den Blick. So sprachen die Bielefelder*innen von »Verflechtungen« zwischen kapitalistischen und subsistenzwirtschaftlichen Produktionsverhältnissen auf der Haushaltsebene (Werlhof/ Mies/ Bennholdt-Thomsen 1983). Die sozialanthropologischen und feministischen Forschungen prägten damit ein neues Verständnis der Innen-Außen-Verhältnisse als Verflechtung verschiedener Produktionslogiken auf der Haushaltsebene, die bis heute in feministischen Diskussionen eine Rolle spielen.20 Damit leisten die sozialanthropologischen und feministischen Ansätze einen wichtigen Beitrag, um die Verflechtungen zwischen den verschiedenen sozioökonomischen Bereichen zu verstehen, die allerdings – wie ich darlege – um eine Theoretisierung der »Überflüssigen« sowie des bedarfsökonomischen Sektors ergänzt werden müssen. In Abschnitt 2.​4 betrachte ich darüber hinaus mit welchen spezifischen Naturverhältnissen der kapitalistische und der bedarfsökonomische Sektor jeweils einhergehen und inwiefern diese verschiedenen Naturverhältnisse miteinander in Konflikt geraten. Der bedarfsökonomische Sektor geht jedoch nicht nur mit eigenen Produktions- und Naturverhältnissen, sondern auch eigenen politischen Organisationsweisen, Öffentlichkeiten und Autoritäten einher. Wie ich in Abschnitt 2.​5 zeige, kommt es daher auch zu Widersprüchen auf der politischen und kulturellen Ebene, die sich mit den kapitalistischen Innen-Außen-Verhältnissen überschneiden und dadurch ebenfalls die diesbezüglichen Grenzkämpfe befeuern. Um die strukturelle Heterogenität, die aus den kapitalistischen Innen-Außen-Verhältnis auf den unterschiedlichen Ebenen entsteht, zu untersuchen, erarbeite ich im Anschluss eine Heuristik (Abschnitt 2.​6), die die Besonderheiten der wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und politischen Praktiken, die im bedarfsökonomischen Sektor eine Rolle spielen, sowie deren Verflechtungen mit dem kapitalistischen Sektor, analysierbar macht. Außerdem werden in der Heuristik die Kategorien der Verflechtung und der Grenzkämpfe zwischen den Sektoren in den Mittelpunkt gestellt, die dazu dienen, Konfliktdynamiken entlang der »Innen-Außen-Verhältnisse« zu untersuchen.
Gegenstand des dritten Kapitels ist die methodische Vorgehensweise, mit der ich strukturell heterogene Ökonomien, den bedarfsökonomischen Sektor, die sektoralen Verflechtungen und die Grenzkämpfe mit Blick auf die politische Ökonomie der Enteigneten und die Forstindustrie in Chile erforschen werde. Dabei nutze ich nicht nur eine Reihe von Sekundärdaten, sondern auch qualitative Daten, die neben teilnehmender Beobachtung insbesondere auf 81 semistrukturierte Interviews, die im Zeitraum zwischen 2016 und 2022 erhoben wurden, beruhen. Die vorliegende Arbeit geht dabei in Form einer qualitativen empirischen Forschung vor, die sich vorwiegend an der Grounded Theory nach Strauss/Corbin (1996) orientiert.
In Kapitel 4 gehe ich dann auf den chilenischen Fall ein. Dabei lege ich in Abschnitt 4.​1 die Spezifika des chilenischen Kapitalismus dar und beantworte die Frage, warum es in Chile überhaupt zu einer Fortdauer der Bedeutung des bedarfsökonomischen Sektors kommt und die Erwerbsbevölkerung nicht in höherem Maße in den kapitalistischen Sektor integriert wird. Die Thematik der Grenzkämpfe entlang der Spaltung zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor ist in einem Land wie Chile, das seit der Kolonisierung und besonders im Zuge der neoliberalen Reformen seit der Militärdiktatur auf extreme Weise die (Re)Produktionsbedingungen des bedarfsökonomischen Sektors untergrub, besonders spannend. Damit ist Chile ein interessanter Fall, in dem in hohem Maße eine »Überflussbevölkerung« produziert und gleichzeitig bedarfsökonomische Aktivitäten unterdrückt werden. Die daraus erwachsene Prekarität bedarfsökonomischer Akteure führt zu einer widersprüchlichen Regulierung auf der politischen Ebene und zu breiten sozialökologischen Konflikten. Dies trifft auch in hohem Maße auf den Süden Chiles und dabei insbesondere auf die chilenische Forstindustrie zu, die ich in Abschnitt 4.​2 darstelle. Anschließend gehe ich in Abschnitt 4.​3 auf die sozialökologischen Verhältnisse in der Region der Araucanía ein, die nicht nur stark durch die Forstindustrie geprägt ist, sondern in der auch ein großer Anteil an Mapuche leben, die in den vergangenen Jahrzehnten in zunehmenden Konflikt mit der Forstindustrie gerieten. Dabei wird deutlich, dass die Forstindustrie eine besonders extreme Form des sozial exklusiven und ökologisch zerstörerischen kapitalistischen Wachstums darstellt. Um die Grenzkämpfe der lokalen Bevölkerung und damit auch der Mapuche gegen die Forstindustrie zu analysieren, untersuche ich in Abschnitt 4.​4 anhand ausgewählter ländlicher Kommunen, wie sich die Verflechtungen zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor vor Ort gestalten und wie sich daraus Klassenverhältnisse und Konfliktdynamiken vor Ort erklären lassen. Auf diese Weise können die verschiedenen Ebenen des Innen-Außen-Verhältnisses an konkreten Fällen herausgearbeitet werden und empirisch begründete und teilweise verallgemeinerbare Rückschlüsse auf die zuvor dargestellten theoretischen Debatten gezogen werden.
Dafür werte ich in Kapitel 5 meine empirischen Daten aus. Schon in eigenen Vorarbeiten konnte diesbezüglich gezeigt werden, dass sich die sozialökologischen Konflikte in hohem Maße zwischen der einfachen Bevölkerung und einer relativ kleinen »besitzenden Klasse« abspielen, die einen Großteil der Unternehmen und ökologischen Ressourcen des Landes ihr eigen nennt (Landherr/Graf 2017; Graf/Landherr 2020; Graf/Puder 2022; Graf 2022c). In der vorliegenden Arbeit werden diese klassenanalytischen Erkenntnisse durch den Blick auf die kapitalistischen Innen-Außen-Verhältnisse erweitert. Dabei vertrete ich die These, dass die Verflechtungen zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor erstens Klassenverhältnisse konstituieren und zweitens in hohem Maße Gegenstand von Konflikten sind. Grenzkämpfe, die um diese Verflechtungen geführt werden, scheinen damit eine zentrale Konfliktdynamik in Chile darzustellen. Gleichzeitig wird deutlich, dass besonders die Mapuche auf sehr radikale Weise für die Belange des bedarfsökonomischen Sektors gegen die besitzende Klasse eintreten. Die Kämpfe der »Enteigneten« stellen eine besonders radikale Art der Grenzkämpfe gegen den kapitalistischen Sektor dar. Den Mapuche geht es dabei allerdings nicht nur um Verflechtungen, die die Einkommen ärmerer chilenischer Haushalte verbessern, sondern darüber hinaus um die Wiederaneignung von Ressourcen, die ihnen in unterschiedlichen historischen Phasen genommen wurden und die ihnen zuletzt der kapitalistische Sektor streitig machte.
In Kapitel 6 fasse ich die zentralen Befunde dieser Arbeit zusammen und lege dar, welche Schlussfolgerungen sich daraus mit Blick auf die dargelegten theoretischen Debatten ziehen lassen. So führt mich meine Arbeit erstens zu dem Ergebnis, dass die Gleichzeitigkeit aus enormem Druck, unter den die bedarfsökonomischen Aktivitäten im Rahmen der ökologischen Krisen in Chile in den letzten Jahrzehnten geraten sind und der Angewiesenheit eines großen Teils der Bevölkerung auf diese bedarfsökonomischen Aktivitäten einen fortwährenden gesellschaftlichen Grundwiderspruch hervorbringt, den ich als Reproduktionsparadox bezeichne und der zu einem dauerhaft schwelenden Konfliktpotenzial in der chilenischen Gesellschaft führt. Zweitens kann ich zeigen, dass die Beziehungen zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor in den Untersuchungsfällen nicht vorwiegend ökonomisch funktionale Verhältnisse, sondern stets Ergebnisse von Grenzkämpfen und dadurch Verdichtungen von Kräfteverhältnissen darstellen. Dabei lege ich dar, dass die Innen-Außen-Verhältnisse in Form von konkreten Verflechtungen zwischen dem bedarfsökonomischen und dem kapitalistischen Sektor Klassenverhältnisse konstituieren und dass die daraus folgenden klassenspezifischen Grenzkämpfe ganz bestimmte Formen annehmen: Sie finden als »direkte Aktionen« und häufig in Form von Blockaden sozialer und ökonomischer Infrastrukturen statt. Die Grenzkämpfe werden hier vor allem um Marktzugänge, Preishöhen, (De-)Kommodifizierungsprozesse öffentlicher Güter und Zugänge zu und die Kontrolle über ökologische Ressourcen geführt. Dabei ist weniger die klassische Stätte der kapitalistischen Produktion Austragungsort der Konflikte als vielmehr die Sphäre der Zirkulation. Drittens lege ich dar, dass die politische Ökonomie der Enteigneten in mehrfacher Hinsicht eine Avantgarde der »Überflüssigen« darstellt und damit in besonderem Maße das Konfliktpotenzial bündelt, das aus dem konstanten gesellschaftlichen Grundwiderspruch des chilenischen Reproduktionsparadoxes resultiert. Das Ziel ist es schließlich, mit meinen Ausführungen insgesamt auch zu einem kapitalismustheoretischen Verständnis der Grenzkämpfe in Ländern des globalen Südens beizutragen.
Abschließend gehe ich im siebten Kapitel darauf ein, was die empirischen Befunde und die theoretischen Schlussfolgerungen gesellschaftspolitisch bedeuten. Dabei stelle ich die Frage, ob der Begriff der »politischen Ökonomie der Enteigneten« nicht nur dazu dienen kann, analytisch auf die Rolle und Kämpfe der »Überflüssigen« im globalen Kapitalismus zu blicken und empirisch deren Besonderheiten als Teil des bedarfsökonomischen Sektors herauszuarbeiten, sondern ob er auch politisch auf eine sozialökologische Alternative verweist.
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Fußnoten
1
Bspw. in New York Times, »Killing of Indigenous Man in Chile Spurs Criticism of Security Forces«, URL: https://​www.​nytimes.​com/​2018/​11/​25/​world/​americas/​indigenous-killing-chile-land.​html, Zugriff: 17.1.2021.
 
2
Cooperativa.cl vom 7.1.2021: »Caso Catrillanca: Ex sargento fue declarado culpable de homicidio simple«, URL: https://​www.​cooperativa.​cl/​noticias/​pais/​region-de-la-araucania/​caso-catrillanca-ex-sargento-fue-declarado-culpable-de-homicidio-simple/​2021-01-07/​123111.​html, Zugriff: 17.1.2021.
 
4
Elmostrador.cl vom 22.1.2021: »Gobierno y creación de Policía Comunitaria Mapuche en Temucuicui«, URL: https://​www.​elmostrador.​cl/​dia/​2021/​01/​22/​gobierno-y-creacion-de-policia-comunitaria-mapuche-en-temucuicui-no-puede-haber-otra-que-no-sean-carabineros-y-la-pdi, Zugriff: 1.2.2021.
 
5
Unter globalem Norden und Süden verstehe ich keine geografischen Zonen, sondern unterschiedliche Positionen im hierarchischen Weltsystem (siehe Abschnitt 2.​3.​1). Während der globale Norden im Wesentlichen aus den frühindustrialisierten Ländern besteht, die heute der »westlichen Welt« zugerechnet werden, umfasst der globale Süden ärmere Länder, die mehrheitlich ehemalige Kolonien westeuropäischer Länder darstellen.
 
8
Diese Zahlen resultieren aus Armutsindikatoren, die später überarbeitet wurden. Neuere Berechnungen stellen Mitte der 2000er Jahre eine Armut von fast 30 Prozent der Bevölkerung fest, wobei sich 12,6 Prozent davon in extremer Armut befanden. Diese Zahlen sanken bis 2017 auf 8,6 und 2,3 Prozent (MDS 2020a: 40).
 
9
Marx beschrieb im Kapital die »relative Übervölkerung« und meinte damit, dass in kapitalistischen Ökonomien relativ zum Angebot an Arbeitsplätzen immer ein Überangebot an Arbeitssuchenden existiere (Marx 1973: 284 f, 648 f, 658–660, 670–674, 742); vgl. dazu auch Abschnitt 2.​6.​1.
 
10
Ich verwende hier und im Folgenden »Entwicklung« nicht als normatives oder evolutionäres Konzept, sondern als empirische Kennzeichnung dominanter Diskurse um »Entwicklung« sowie von wirtschaftlichen »Entwicklungswegen« im Sinne von Wachstumspfaden kapitalistischer Ökonomien innerhalb der globalen Arbeitsteilung (Arrighi 2010: 58 f, 112 f, 145; Wallerstein 1986: 450, 521). Wann immer der Begriff einen normativ-teleologischen Anklang hat, verwende ich für ihn Anführungszeichen.
 
11
Neben der abwertenden Konnotation des Begriffs ist dies einer der Hauptgründe dafür, warum ich die »Überflüssigen« stets in Anführungszeichen setze.
 
12
Diese vorläufige Begriffsbestimmung wird in der Heuristik in Abschnitt 2.​6 genauer ausgearbeitet.
 
13
Wenn ich im Folgenden von »Innen« und »Außen« spreche, stellt dies eine räumliche Metapher dar, die im Anschluss an Luxemburg (1975), Harvey (2003) und Dörre (2009a) zwei soziale Bereiche mit unterscheidbaren sozioökonomischen Logiken bezeichnet; zu anderen Auffassungen vgl. Fraser 2017 und Saave 2022.
 
14
Zum Begriff der Grenzkämpfe und warum ich ihn anders fasse als Nancy Fraser siehe Abschnitt 2.​6.​4.
 
15
Vgl. Córdova 1971: 32 f; Marini 1974: 115 ff; Meillassoux 1975 135 ff; Burawoy 1976; Fröbel/Heinrichs/Kreye 1977: 537 f; Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomsen 1983: 16 f, 83 ff; Custers 1997: 183 f; Schultz 2016: 71; Wallerstein 2019: 41 f; Arrighi/Aschoff/Scully 2010: 412; Zhan/Scully 2018: 1019.
 
16
In der Forschung zu indigenen Bewegungen in Lateinamerika insgesamt wird stark auf die Frage der politischen Anerkennung fokussiert (Bello 2004; López/García 2018).
 
17
Für einen Überblick über die Kontroverse zwischen Autor*innen, die von einem sozialen und solchen, die von einem kulturellen Konflikt ausgehen, siehe Marimán 2012: 18 ff.
 
18
Auf diese Leerstelle in der Forschung weisen auch Autor*innen der Mapuche hin (Marimán et al. 2017: 265 f).
 
19
Die politische Ökonomie der Enteigneten bildet dabei nur einen relativ begrenzten Teilbereich des bedarfsökonomischen Sektors, was auch damit zu tun hat, dass im Unterschied zu Ländern wie Ecuador oder Bolivien, in denen ein großer Teil der Bevölkerung indigenen Völkern angehört, sich in Chile nur etwa 13 Prozent indigenen Gruppen zuordnen, von denen wiederum 80 Prozent den Mapuche angehören (INE 2018: 16). Diese leben heute zudem mehrheitlich nicht mehr in ihrem angestammten Gebiet, sondern in der Hauptstadt Santiago.
 
20
Vgl. bspw. Federici 2012; Fraser 2016; ebd. 2017.
 
Metadaten
Titel
Einleitung
verfasst von
Jakob Graf
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43536-3_1

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