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20.01.2016 | Gesundheitsprävention | Interview | Online-Artikel

"Es gibt sicher keine Burnout-Persönlichkeit"

verfasst von: Andrea Amerland

7 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Eberhardt Hofmann

Eberhardt Hofmann ist Diplom-Psychologe (Arbeits- und Organisationspsychologie)

Irgendwann können viele Arbeitnehmer einfach nicht mehr. Und sie wissen nicht warum. Springer Professional sprach mit Autor Eberhardt Hofmann über die Frage "Wo brennt es beim Burnout"?

Springer Professional: Das Thema Burnout macht immer wieder Schlagzeilen, da Häufigkeit und Dauer der Krankmeldungen deswegen gestiegen sind. Sind wirklich mehr Mitarbeiter durch Stress überfordert oder wurde nur das Tabu gebrochen, offen über Belastungen am Arbeitsplatz zu sprechen – auch beim Arzt?

Eberhardt Hoffmann: Die Anzahl der Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Erkrankungen ist in den letzten Jahren gestiegen, seit zwei Jahren geht sie jedoch wieder etwas zurück. Es wird sich zeigen, ob dieser Trend anhält. Man wird wohl nie sauber trennen können, welcher Anteil dabei auf das tatsächliche Geschehen und welcher Anteil auf eine verbesserte, oder auch auf eine eher fokussierte Diagnose entfällt. Eine ICD-Diagnose Burnout gibt es jedoch nicht. Die Symptome lassen sich durchaus unter andere diagnostische Kategorien subsummieren. Der Begriff 'Burnout' ist daher in einem sehr strengen methodischen Sinne sogar überflüssig. Er hat trotzdem eine wichtige Funktion, indem er ein Label für eine Problematik darstellt, über die es sonst wohl eher schwieriger wäre zu reden. Man darf jedoch nicht den Fehler begehen, zu glauben, der Begriff 'Burnout' hätte für sich genommen schon einen Erklärungswert wie eine Infektionskrankheit. Er kann lediglich als einen Einstieg in eine differenziertere Analyse der Person und der in der Regel beruflichen Situation darstellen.

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​Dieses Buch analysiert das Zusammenspiel der Person und der beruflichen Situation als Quelle der Belastung. Es wendet sich an Personalverantwortliche, Vorgesetzte und die von Burnout (potenziell) Betroffenen. Welche Eigenschaften einer Persönlichkei


Sie definieren Burnout als Folge von lang anhaltendem, unbewältigtem Stress, der aus der Nichtpassung zwischen beruflichen Gegebenheiten und den Eigenheiten der Person entsteht. Welche Charaktereigenschaften forcieren Burnout?

Es kommt dabei weniger auf die Persönlichkeit der einzelnen Person an, sondern auf die Konstellation, auf die diese Person trifft. Sehr bedeutend für diese Konstellation sind die Struktur der Arbeit, das engere soziale Umfeld und natürlich der unmittelbare Vorgesetzte. Es lassen sich sicher keine für alle Personen guten Bedingungen definieren. Es kommt eher auf die jeweilige Passung der einzelnen Faktoren an. Deutlich wird dies etwa bei der Frage der ständigen Erreichbarkeit, zum Beispiel auch im Urlaub. Für viele Menschen wird dies eher eine Belastung sein. Es gibt jedoch auch Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle haben, für diese Personengruppe kann es eher entlastend sein, ständig informiert zu sein und dadurch eine Stück Kontrolle zu besitzen. Psychische Stressoren sind im Gegensatz zu physischen Belastungen (Muskelbeanspruchung, Klima, Lärm) nicht überindividuell identifizierbar, sondern sehr subjektiv. Das macht den Umgang mit psychischen Belastungen deutlich schwieriger. Es gibt sicher keine Burnout-Persönlichkeit, das Entstehen einer Problematik, die man als Burnout bezeichnen könnte, spielt sich immer in der Interaktion von Person und Situation ab.

Und haben wir verlernt uns zu entspannen?

Psychische Anspannung ist – genauso wie physische Anspannung – an sich nicht problematisch. Unser Organismus ist auf temporäre Anspannung durchaus angelegt. Das entscheidende Wort dabei ist temporär. Sofern nach einer Anspannungsphase wieder eine Phase der Entspannung kommt, ist alles in Ordnung. Wenn diese Entspannungsphase jedoch nicht kommt, wird es schwierig. Insofern haben wir vielleicht verlernt – oder es wird uns heute eher schwer gemacht – uns systematisch Phasen der Entspannung zu verschaffen. Eine Copingstrategie bei stressbedingten Beschwerden besteht daher auf jeden Fall auch immer darin, das Wechselspiel von Anspannung und Entspannung zu betrachten und in der Regel die Phasen der Entspannung systematisch zu erzeugen oder zu verlängern. Dabei ist es wichtig, dass es sich bei der Entspannung tatsächlich auch um entspannende Tätigkeiten handelt und nicht um verdeckte und instrumentalisierte Handlungen, die letztendlich doch wiederum der Arbeit dienen. Wenn die Mitgliedschaft in einem Yachtclub auch dem Knüpfen beruflicher Kontakte diesen soll, so wird der Erholungswert des Yachtclubbesuches eher gering sein.

Welche Rolle spielt das Team bei dem Burnout-Problem?

Ein entscheidender Faktor für das Zufriedenheits- oder eben Unzufriedenheitserleben in der Arbeitssituation ist das Team, also das unmittelbare soziale Umfeld. Teams können sehr unterschiedliche Idealvorstellungen davon haben, wie ein Team funktionieren sollte. Besonders die Frage der Nähe bzw. Distanz innerhalb eines Teams sowie die Frage der Stabilität bzw. der Wechselhaftigkeit spielen dabei eine entscheidende Rolle. Wenn das Team zu diesen Faktoren eine andere Einstellung hat als man selbst, wird das Team eine permanente Stressquelle für einen darstellen. Dabei gibt es auch wieder keine guten oder schlechten Vorstellungen zum Funktionieren eines Teams (zumindest so lange das Team seine Aufgabe erfüllen kann), sondern nur für einen selbst passende oder unpassende Vorstellungen, die im Falle der Nichtpassung eben Stress erzeugen. Insofern ist der Begriff der 'Teamfähigkeit' ziemlich unsinnig, da er suggeriert, man sei eben irgendwie unfähig, wenn man nicht in ein wie auch immer geartetes Team passt. Es gibt jede Menge Teams, in denen wir fähig sind, zu arbeiten und jede Menge Teams, in denen wir nicht fähig sind zu arbeiten. Es kommt eben auf die Passung an.

Wie müssen sich Arbeitsmodelle also ändern, um Burnout zu vermeiden?

Es gibt sicher jede Menge sehr unterschiedlicher konkreter Arbeitssituationen. Im Gegensatz zu physischen Belastungen, die sich auf alle Menschen in prinzipiell gleicher Weise auswirken, ist die Wirkung psychischer Eigenheiten der Arbeitssituation subjektiv höchst unterschiedlich. Abgesehen natürlich von permanenter quantitativer Überlastung, die auf alle Menschen belastend wirkt. Es kommt darauf an, dass man für sich die passenden Arbeitsbedingungen findet. Daher spreche ich in meinem Buch auch von einem passungspräventiven Ansatz. Das ist jedoch gar nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Man braucht eine differenzierte Selbstanalyse in Bezug auf die relevanten Parameter. Hierbei möchte mein Buch behilflich sein. Man wird jedoch nicht darum herumkommen, durch eigene, manchmal auch leidvolle, Erfahrungen ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche berufliche Situation einem letztendlich gut tut. Da sich berufliche Situationen durch Umstrukturierungen, Fusionen oder Vorgesetztenwechsel schnell und oft ändern können, bleibt es eine Aufgabe über das ganze Berufsleben hinweg, eine möglichst optimale Passung herzustellen. Diese Aufgabe ist eher individuell, die Organisation kann hier nur bedingt behilflich sein.

Und welchen Einfluss hat der Führungsstil besser: die Führungssituation auf die Entstehung des Burnout-Syndroms?

Neben der Tätigkeitsstruktur und dem jeweiligen Team ist der Vorgesetzte sicherlich ein zentraler Faktor im beruflichen Stressgeschehen. Auch hier gilt jedoch: Es gibt keine objektiv guten oder schlechten Vorgesetzten – sieht man von wirklichen Fehlbesetzungen einmal ab – sondern wiederum nur zu einem selbst passende oder eher unpassende. Ich glaube nicht, dass es einen vom allgemeinen Persönlichkeitsstil unabhängig praktizierbaren Führungsstil gibt. Man gibt seine Persönlichkeit nicht an der Pforte ab und nimmt dann einen vielleicht noch in einem Seminar erlernten Führungsstil an. Man funktioniert als Vorgesetzter letztendlich genauso wie als Mensch außerhalb des Unternehmens. Bei diesem Funktionieren sind zwei Elemente besonders wichtig: Die zentrale Angst und das zentrale Bedürfnis, das für eine Person typisch ist.

Es kann dabei leicht zu Konstellationen kommen, in denen das zentrale Bedürfnis der einen Person die zentrale Angst der anderen Person aktiviert. Stellt beispielsweise das Bedürfnis nach Kontrolle für die eine Person das zentrale Bedürfnis dar, das Bedürfnis nach Autonomie das zentrale Bedürfnis der anderen Person, so führt dies unweigerlich zu Problemen. Vorgesetzte stellen auch oft Mitarbeiter ein, die ihnen von der Persönlichkeit eher ähnlich sind (Schmidt sucht Schmidtchen-Strategie), das kann jedoch in manchen Fällen auch zu Problemkonstellationen führen, wenn beide Personen ihr Bedürfnis danach, im Mittelpunkt zu stehen, verfolgen. Solche Konstellationen sind dann sehr konfliktbeladen und unproduktiv, sie stellen dann eine permanente Stressquelle dar. Es kommt also darauf an, in einer Führungssituation eine Konstellation zu finden, in der die Verfolgung des zentralen Bedürfnisses der einen Person nicht die zentrale Angst der anderen Person aktiviert. Dies gilt prinzipiell für jede soziale Konstellation, für eine Führungskonstellation jedoch umso mehr, als in ihr zusätzlich noch ein formales Machtgefälle besteht.

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