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19.04.2024 | Klimaschutz | Kommentar | Online-Artikel

Das Klimaschutzgesetz ist durch! Und zwar komplett …

verfasst von: Frank Urbansky

4:30 Min. Lesedauer

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Deutschland hat ein novelliertes Klimaschutzgesetz. Die FDP war sich für nichts zu schade und drohte mit angeblichen Fahrverboten. Jetzt muss der Verkehrssektor nicht mehr selbst Treibhausgase einsparen.

Fahrverbote sind etwas für den Kriegsfall oder Ölkrisen, nicht aber für Friedenszeiten mit ausreichender energetischer Versorgung. Verkehrsminister Volker Wissing sah das offenbar anders. Denn genau damit drohte er – im Hintergrund das aktualisierte Klimaschutzgesetz. Und wäre es dazu gekommen, hätte sein Ressort, die Mobilität, wieder einmal schlecht ausgesehen.

Denn auch im Jahr 2023 wird es im Verkehrssektor keine Fortschritte beim Klimaschutz geben. Der unabhängige Sachverständigenrat für Klimafragen der Bundesregierung sieht statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen Treibhausgase im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen auf dem Mobilitätskonto. Damit verfehlt der Sektor im dritten Jahr in Folge seine Ziele. Die anderen Sektoren erreichten sie hingegen schon. Sie sorgten dafür, dass der Gesamtausstoß von 750 auf 674 Millionen Tonnen sank – der größte prozentuale Rückgang innerhalb eines Jahres seit 1990, so die Experten.

Nun liegt also ein Klimaschutzgesetz vor, in dem die Klimaneutralität bis 2045 auch in den Zwischenschritten 2030 und 2035 von allen Sektoren gemeinsam erreicht werden soll (im Ursprungsgesetz von 2019 wurde genau das Gegenteil als große Errungenschaft gefeiert, also jeder Sektor muss seine Ziele schaffen – und bei Nichterfüllung die betroffenen Ministerien damit bestraft, dass sie die Mittel zur Zielerreichung aus ihrem Budget aufbringen müssen). Der THG-Junkie Verkehr kann sich also seine Ersatzdrogen aus den Sektoren Wärme, Industrie und Stromerzeugung besorgen – alles Sektoren, die ihre Ziele einhalten.

Schwer zu dekarbonisieren – ohne Frage

Dabei bestreitet niemand, dass gerade der Verkehrssektor besonders schwer zu dekarbonisieren ist. Die Elektromobilität ist nach einem Zwischenhoch in der Realität angekommen, die Verkaufszahlen sinken wieder. Sie allein ist aber kein Garant für weniger Treibhausgase. Das wäre sie nur in Kombination mit einem regenerativen Strommix im Netz.

Biokraftstoffe wurden von der Politik jahrelang stiefmütterlich behandelt und sogar – siehe Tank-Teller-Diskussion – in eine ganz üble Ecke gestellt. Die Folge: Der Biodieselabsatz geht seit 2019 kontinuierlich zurück. Die Branche hat das auch so nicht vergessen und investiert, wie Europas größter Biospritproduzent Verbio, lieber in den USA als im heimischen Deutschland. Auch wenn hier die Vorzeichen jetzt etwas besser aussehen, hat die Politik Vertrauen verspielt.

Und dann setzt Wissings eigene Partei auch noch auf E-Fuels, die zwar gut in die bestehende Infrastruktur von Tanklagern, Tankwagen, Produktpipelines und Tankstellen passen, aber letztlich einfach zu teuer sind und bleiben werden. Praktische Relevanz werden sie kaum erlangen.

Dabei helfen die Grundrechenarten, die der sich gerne wirtschaftsnah gebenden FDP offenbar völlig unbekannt sind: Wollte man die 640 TWh, die der Verkehr jährlich verbraucht, nur zur Hälfte mit E-Fuels versorgen, bräuchte man dafür rund 2.560 TWh an erneuerbaren Energien. Derzeit wird etwa ein Zehntel davon in Deutschland erzeugt. Man müsste also alle regenerativen Energiequellen verzehnfachen – und hätte dann für die anderen Sektoren nichts mehr übrig.

Kurzfristige Reduktionen möglich, aber nicht gewollt

Dabei gäbe es durchaus Maßnahmen, die THG-Emissionen im Verkehr kurzfristig zu reduzieren. Dies könnten Schulungen für Lkw-Fahrer sein, eine THG-optimierte und digitalisierte Verkehrssteuerung oder eben ein Tempolimit auf Autobahnen, das natürlich nicht mit der FDP zu machen ist.

Aber Wissing hat sich jetzt mit seinem Taschenspielertrick, dass die anderen Sektoren letztlich für den Verkehr bezahlen müssen, durchgesetzt – und das weitgehend ohne einen eigenen Beitrag zum Kimaschutz. "Fahrverbote sind mit der Einigung endgültig vom Tisch", jubelte er nun für das Umstoßen des eigens von ihm aufgestellten Pappkameraden.

Diese Bürde gilt auch für den Wärmesektor, der derzeit mit rund 18 Prozent einen ähnlich geringen Anteil an erneuerbaren Energien hat als die Mobilität (rund 14 Prozent). Dies ist für den Klimaschutz keineswegs förderlich. Denn nun kann die Politik die Bilanzen so aufstellen, wie es ihr gerade passt – oder der eigenen Klientel, den Wählern oder eben den Medien. Und sie wird es auch tun.

Dummerweise ist dies nicht nur im Sinne des Klimaschutzes so verdammt kurzsichtig. Denn: Auch wenn die Novellierung derzeitig nicht wehtun würde - Deutschland könnten seitens der EU spätestens ab 2030 Strafzahlungen in Millionenhöhe drohen eben wegen Nichteinhaltung der Sektorenziele, bilanziert Susanne Götze vom SPIEGEL.

Gibt es auch was Positives?

Nun ja. Mit dem Klimaschutzgesetz wurde auch das Solarpaket verabschiedet. Es enthält eine Vielzahl an Maßnahmen zum Bürokratieabbau, die den weiteren Ausbau der Photovoltaik und Solarstromspeicher vereinfachen sollen. Immobilieneigentümern, Mietern (Stichwort Balkonkraftwerke), Landwirten und anderen Investoren soll der Zugang zu preiswertem Solarstrom erleichtert werden. Auch Zugangsbarrieren zu bürgernah erzeugtem Solarstrom, zum Stromnetz wie auch zu geeigneten Standorten für größere Solarkraftwerke sollen verschwinden.

Allerdings: Eine Industriepolitik für die mageren Reste der deutschen PV-Industrie, wie sie in Ländern wie den USA oder China üblich ist, ist an Wissings FDP gescheitert. Selbst ein Schelm würde dabei aus Frustration an gar nichts mehr denken.

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