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2015 | Buch

Konstruktion und Kontrolle

Zur Raumordnung sozialer Systeme

herausgegeben von: Pascal Goeke, Roland Lippuner, Johannes Wirths

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Wie verändern sich gesellschaftliche Raumordnungen im Zuge der Ökologisierung, Mediatisierung, Globalisierung und Technisierung der Weltverhältnisse? Welche Möglichkeiten der (Neu-)Gestaltung gesellschaftlicher Raumordnungen bestehen, wenn deutlich wird, dass dabei mit einem vielfach besiedelten Außen zu rechnen ist, das von der Gesellschaft aus nicht vollständig kontrolliert werden kann? Der vorliegende Band widmet sich diesen Fragen im Horizont des Wissenschaftsprogramms Systemtheorie. Gezeigt wird, dass eine gesellschaftliche Kontrolle des Raums nur auf der Basis der sozialen Konstruktion von Raum als eine fortlaufende Sequenz von Kontrollversuchen zu denken ist, das heißt als ein ständiges Überprüfen und Nachjustieren bestehender Raumordnungen. Weil die Systemtheorie bei dieser Auseinandersetzung mit den Außenbeziehungen der Gesellschaft an ihre konzeptionellen Grenzen stößt, werden die Theoriebezüge in verschiedenen Beiträgen erweitert. Im Ergebnis zeichnen sich Perspektiven einer allgemeinen Ökologie im Sinne eines Denkens in Nachbarschaften ab.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Von der Geographie sozialer Systeme zu einer allgemeinen Ökologie der Gesellschaft – eine Einleitung
Zusammenfassung
Beobachte Beobachter und unterscheide sie anhand der Unterscheidungen, die sie treffen. Bezieht man diesen sozial- und kulturtheoretischen Arbeitsauft rag auf räumliche Unterscheidungen wie nah und fern, hier und dort, innen und außen und nimmt dabei all jene Beobachter in den Blick, die gewöhnlich für Raumordnungen verantwortlich zeichnen, so zeigt sich, dass viele vertraute Unterscheidungen nicht mehr wiederholt, also nicht mehr konfi rmiert und kondensiert, sondern zunehmend gekreuzt werden. Dadurch eröff nen sich immer wieder neue Möglichkeiten des Lokalisierens, des Relationierens, des Orientierens und des Mobilisierens.
Pascal Goeke, Roland Lippuner, Johannes Wirths

Räume und Grenzen

Frontmatter
Über Raum reden
Eine Skizze
Zusammenfassung
(1) Dieses Wort erwies sich als „absolut durchsichtig, präzis, anständig und treu in seinem Dienst, solange es seine Rolle als Teil einer Rede spielte oder von jemandem ausgesprochen wurde, der über irgendetwas sprechen wollte. Aber jetzt ist das Wort allein, so bei den Flügeln genommen. Es rächt sich. Es macht uns glauben, dass es mehr Bedeutung habe, als es Funktionen hat. Es war nur ein Mittel, und jetzt ist es zum Selbstzweck geworden, zum Gegenstand eines grässlichen philosophischen Verlangens. Es verwandelt sich in ein Rätsel, in einen Abgrund, in eine Marter des Denkens“ (Valéry 1962, S. 138 f.).
Johannes Wirths
Raum, formtheoretisch betrachtet
Zusammenfassung
Eine formtheoretische Betrachtung des Raums läuft im Wesentlichen auf zwei Einsichten hinaus: Erstens verdankt sich der Raum wie jedes andere Objekt einer Erkenntnis dem Treffen einer Unterscheidung; und zweitens kann diese Unterscheidung nur von einem Beobachter getroffen werden. Beunruhigend sind diese Einsichten nur dann, wenn man sich Rechenschaft darüber ablegt, dass Raum, Unterscheidung und Beobachter in dieser Formulierung koextensiv sind: Kein Raum ohne das Treffen einer Unterscheidung, keine Unterscheidung ohne einen Beobachter und kein Beobachter ohne einen Raum, in dem dieser Beobachter auf seine Unterscheidung mithilfe einer neuen Unterscheidung aufmerksam wird. Der Anfang ist eine Setzung, weil bereits zu viel passiert ist, um ihn noch anders unterscheiden zu können als im Nachhinein.
Dirk Baecker
Der sichtbare und unsichtbare Raum der Massenmedien
Zusammenfassung
Die Gesellschaft besitzt eine „Raum“-Wirklichkeit und diese ist medial konstituiert. Obwohl diese Aussage eine jüngst auch wieder deutlich höhere humanwissenschaftliche Akzeptanz für sich beanspruchen kann, ist damit noch nicht sehr viel gesagt. Denn über die Einsicht hinaus, dass räumliche und mediale Aspekte in der sozialen wie psychischen Sinnproduktion eine besondere Relevanz haben, bleiben die Sachverhalte und Begriffsfindungen in diesem Feld angesichts der großen Vielfalt verschiedener Erklärungsansätze erst einmal weitgehend offen (vgl. Wirths 2003). Der vorliegende Beitrag entwickelt daher einen Vorschlag, das Verhältnis von Medien und Raum zu ordnen. Im Anschluss an differenztheoretische Überlegungen der systemtheoretischen Literatur wird dieser Vorschlag in zwei Schritten dargelegt.
Katharina Mohring
Grenzen, Grenzziehungen und das Ländliche
Ein Versuch
Zusammenfassung
Die beiden Begriffe der Grenze und des Ländlichen haben auf den ersten Blick recht wenig miteinander zu tun. Der Begriff der Grenze bewirkt in der alltäglichen Imagination nicht selten eine Assoziation mit einer staatlich-territorialen Grenze, während das Ländliche ein bestimmtes gesellschaftliches Raumverhältnis bezeichnet, dessen Fläche und Ausdehnung keineswegs mit einer staatlich-territorialen Grenze übereinstimmen muss (zum Begriff gesellschaftliche Raumverhältnisse vgl. Werlen 2010).
Marc Redepenning

Territorien und Netzwerke

Frontmatter
Europäische vs. postkoloniale Staatsbildung im Kontext funktionaler Differenzierung
Das Problem der territorialen Kontrolle
Zusammenfassung
Angesichts des Umstandes, dass wirtschaftliche Aktivitäten, die Verbreitung neuen Wissens oder auch die Sammlung von Daten durch Staaten nicht an nationalen Grenzen haltmachen, wird seit einigen Jahren in der Geographie wie auch in anderen Disziplinen das klassische Konzept staatlicher Souveränität kritisch in Augenschein genommen. Der allgemeine Befund läuft darauf hinaus, dass nicht nur mit Blick auf die Gegenwart, sondern auch im historischen Rückblick deutlich wird, wie begrenzt staatliche Souveränität im Sinne der Kontrolle über alle politischen, ökonomischen und rechtlichen Vorgänge auf einem Territorium selbst unter den günstigsten Bedingungen immer schon gewesen ist (vgl. Agnew 1994).
Isabel Kusche
Konstitutionalisierung von Hybridität
Governance in Europa
Zusammenfassung
Die Europäische Union (EU) operiert ‚zwischen‘ ihren Mitgliedstaaten und globalen transnationalen Strukturen (vgl. Kjaer 2007, S. 367–378). Ihre Rechtsordnung ist weder durch eine nationalstaatliche Hierarchie noch durch eine radikale Heterarchie, einem wesentlichen Merkmal globaler Rechtsstrukturen, gekennzeichnet (vgl. Fischer-Lescano/Teubner 2004; 2006; 2007). Vielmehr ist die EU ein Hybrid, der Hierarchie und Heterarchie in spezieller Weise verbindet.
Poul F Kjaer
Grenzen der Kontrolle: Institutionalisierung und Informalisierung des Raums
Das Beispiel Lateinamerika
Zusammenfassung
Die Thematisierung der Differenz zwischen Formalität und Informalität ist so alt wie die Sozialwissenschaften selbst. Jeder, der sich mit der klassischen Anthropologie, der Sozialpsychologie der 1950er Jahre, dem Institutionalismus durkheimscher Prägung oder dem Neo-Institutionalismus der modernen Wissenswelten globaler Professionen auskennt, sollte wissen, dass neben den formalen Regelungen etablierter Organisationen auch nichtformalisierte und doch zugleich mehr oder weniger feststehende Sozialbeziehungen existieren, die in positiven oder negativen Rückkopplungsbeziehungen zu formalen Regelungen stehen.
Aldo Mascareño
Räumliche Konditionen und die Kontrolle des Raums durch Netzwerke und soziale Systeme
Zusammenfassung
Vergleicht man die Begriffs- und Theoriearchitektur der allgemeinen Netzwerktheorie mit der Verfasstheit der (soziologischen) Systemtheorie, so fallen trotz großer Differenzen viele Ähnlichkeiten auf: Beide Theorieprogramme finden ihre Einheit in einer plausiblen minimalontologischen Annahme. Es gibt Netzwerke ist der mehr oder weniger deutliche Ausgangspunkt der heute vor allem in der Physik betriebenen allgemeinen Netzwerktheorie, die von diesem Punkt ausgehend ganz allgemein nach Vernetzungen von Einheiten, nach Netzwerkmustern sowie der Stabilität und Instabilität von Netzwerken fragt.
Pascal Goeke, Swen Zehetmair

Dinge und Körper

Frontmatter
Die Materialität der Sinnsysteme
Zusammenfassung
Die Überlegungen des folgenden Textes experimentieren mit einer ungewöhnlichen Idee: Soziale Systeme sind sinnblind und sinntaub. Allerdings wird dieser Gedanke schnell plausibel, wenn man wie Luhmann einerseits davon ausgeht, dass soziale Systeme keine Menschen beinhalten, und andererseits Sinn auf phänomenologischer (wesentlich husserlscher) Grundlage „als die fundamentale Ordnungsform menschlichen Erlebens“ denkt, „die alles, was erlebt wird, in einen Horizont anderer Möglichkeiten plaziert und damit selektiv stellt“ (Luhmann 1975, S. 22).
Peter Fuchs
Gesellschaftliche Konstruktion und Kontrolle von Dinglichkeit
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag geht der These nach, dass die funktional differenzierte Gesellschafteine Komplexität von Dinglichkeit hervorbringt, die gesellschaftlich kaum mehr ausreichend bearbeitet werden kann. Dinge werden der Gesellschaft auf eine Weise gefährlich, die sozialtheoretische Erklärungsversuche jenseits von konstruktivistischen und realistischen Perspektiven erfordert. Der hier unternommene Versucht zielt darauf, diesen Wandel des Verhältnisses von Dinglichkeit und Gesellschaft beobachtbar zu machen.
Anna Henkel
Mikrodiversität und Anwesenheit
Zur Raumordnung urbaner Interaktionen
Zusammenfassung
Die Stadt ist für die Sozialwissenschaften ein besonderes Phänomen. Sie ist nicht einfach ein Kontext des Handelns unter vielen, sondern der Ort, an dem sich die Entstehung der modernen Gesellschaft hauptsächlich abspielte und an dem ihre Reproduktion vorzugsweise zu beobachten ist. Vor allem in der Stadt konnten und können die Sozialwissenschaften das Zusammenleben von einander unbekannten Menschen beobachten und der Frage nachgehen, wie soziale Ordnung angesichts der Vielfalt individueller Einstellungen, Entscheidungen und Lebensentwürfe möglich ist (prominent hierzu Simmel 1903; Park 1915; zuletzt auch Baecker 2004; Lindner 2012).
Peter Dirksmeier, Roland Lippuner

Natur und Technik

Frontmatter
Katastrophen als Formwechsel
Horizontverschiebungen und die Endostruktur der Gesellschaft
Zusammenfassung
Wenn die moderne Gesellschaft als eine funktional differenzierte Gesellschaft beschrieben wird, wie lassen sich dann Katastrophen analysieren? Sind Katastrophen, wie die meisten Katastrophenforscher denken, Brüche und Erschütterungen der gesellschaftlichen Ordnung oder, wie es die Systemtheorie nahelegt, eine spezifische Form gesellschaftlicher Selbstbeschreibung? Im Folgenden werde ich versuchen, Katastrophen – alternativ zu diesen beiden Varianten – als eine Formverschiebung der Gesellschaft zu beschreiben. Um die Katastrophe als eine Formverschiebung denken zu können, müssen wir zunächst das Verhältnis von Dingen und funktionaler Differenzierung im Normalbetrieb der modernen Gesellschaft analysieren. Dazu entwickleich einige Theoriefiguren der Akteur-Netzwerk-Theorie weiter.
Michael Guggenheim
Information, Energie und Technik
Zur Konstruktion und Kontrolle ökologischer Komplexe
Zusammenfassung
Mit dieser randlichen Bemerkung in seinem Buch Soziale Systeme stellt Niklas Luhmann beiläufig, aber doch unmissverständlich die Brauchbarkeit des Ökosystembegriffs in Frage, auf den sich die ökologische Forschung seit Arthur G. Tansley (1935) mit großer Selbstverständlichkeit bezieht. Die Grundlage für diese Infragestellung ist eine Theorie selbstreferenzieller Systeme, in der der Systembegriff für Ereigniszusammenhänge reserviert ist, die durch eine „selbstproduzierte Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz“ (Luhmann 1997, S. 77) definiert sind. Als System bezeichnet Luhmann, mit anderen Worten, einen rekursiven Zusammenhang von Operationen, der eine Differenz zwischen Ereignissen erzeugt, die zur Reproduktion des System beitragen, und allen anderen Ereignissen, die folglich zur Umwelt des Systems gehören.
Roland Lippuner
Systemtheorien und Mensch-Umwelt-Forschung
Eine geographische Perspektive
Zusammenfassung
Die Teilung der Wissenschaften vollzieht sich seit Langem entlang der großen Bruchlinie zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits. An dieser Bruchlinie manifestiert sich das alte Ordnungsschema, das die Welt in Natur und Kultur einteilt.
Kirsten von Elverfeldt, Heike Egner
Backmatter
Metadaten
Titel
Konstruktion und Kontrolle
herausgegeben von
Pascal Goeke
Roland Lippuner
Johannes Wirths
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-03644-7
Print ISBN
978-3-658-03643-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-03644-7