Für den Übergang zu einer klimafreundlichen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen kommen eine Reihe von Maßnahmen in Frage, wobei je nach theoretischer Perspektive (siehe
Kap. 2) unterschiedliche Gestaltungsoptionen in den Blick genommen werden. Grundsätzlich kann vorab konstatiert werden, dass es in der Forschungsgemeinschaft einen breiten Konsens gibt, dass es einer Kombination von einer Vielzahl an Maßnahmen bedarf (z. B. Bachner et al.,
2021; Dugan et al.,
2022; Großmann et al.,
2020; Kirchengast et al.,
2019; Stagl et al.,
2014; Steininger et al.,
2021; Weishaar et al.,
2017). Klar ist darüber hinaus, dass bestehende klimaorientierte Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen würden, um die Klimaziele zu erreichen (Anderl et al.,
2021). Anstelle des bisherigen Fokus auf die Skalierung bzw. Marktdurchdringung von neuen Technologien, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen durch öffentlich geförderte und mit Privatkapital finanzierte Forschungs- und Investitionstätigkeiten bedarf es demnach einer Mobilisierung eines breiteren Spektrums an Maßnahmen.
Anstelle einer detaillierten Aufschlüsselung möglicher Gestaltungsoptionen, wie sie dem aktuellen UniNEtZ-Optionenbericht (Hinterberger et al.,
2021) entnommen werden kann, konzentrieren wir uns in der Folge auf die zentralen Stoßrichtungen, die zur Erweiterung des Maßnahmenspektrums vorgeschlagen werden. Im wissenschaftlichen Diskurs zu den Versorgungsstrukturen lassen sich zwei grundsätzliche Stoßrichtungen ausmachen (siehe
Abb. 14.4). Die erste Stoßrichtung sieht eine prominentere Rolle von klimapolitisch orientierten und stringenten Rahmenbedingungen für Marktakteur_innen (Feld A) vor. Im Gegensatz zu Skalierungsmaßnahmen (Feld C) werden die Lösungen hier grundsätzlich offengelassen, solange sie sich in einem vordefinierten und für alle Akteur_innen gültigen Rahmen bewegen (
Kap. 24). Auf diese Stoßrichtung, für die es eine hohe Übereinstimmung in der österreichischen Wissenschaftsgemeinschaft gibt, gehen wir in
Abschn. 14.5.1 ein. Für die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen gibt es solide wissenschaftliche Befunde. Inwieweit optimierte marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen neben der Skalierung von innovativen Produkten und Dienstleistungen ausreichend für die Erreichung der Klimaziele sind, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Die Beweislage für diese Stoßrichtung kann daher insgesamt als mittelmäßig beurteilt werden.
14.5.1 Marktgestaltung: Rahmenbedingungen für Marktakteur_innen
Märkte haben sich sowohl historisch wie geographisch als äußerst flexibel und formbar erwiesen. Viele klimapolitische Empfehlungen setzen bei dieser Formbarkeit an und schreiben der Gestaltung von Märkten eine zentrale Rolle im Übergang zu klimafreundlichen Versorgungsstrukturen zu. Die am meisten diskutierten, sektorenübergreifenden Maßnahmen für die Transformation der Versorgungsstrukturen sind mit dem Stichwort „Kostenwahrheit“
14 verbunden (siehe
Kap. 2 „Marktperspektive“). Kostenwahrheit liegt demnach dann vor, wenn die Kosten vollständig von ihren Verursacher_innen getragen werden. Um dies zu erreichen, gilt es Güter wie Energie oder Ressourcen so zu bepreisen, dass die aus ihrem Verbrauch entstehenden Kosten finanziell kompensiert werden können. Wie im vorangegangenen
Abschn. 14.4 beschrieben, wird das in Österreich bestehende System aus klimarelevanten Steuern und CO
2-Zertifikaten als unzureichend und ungleich verteilt erachtet. In der österreichischen Forschungsgemeinschaft wird daher eine einheitliche und an den Treibhausgasemissionen orientierte Besteuerung gefordert (Kirchner et al.,
2019; Schnabl et al.,
2021).
Durch welches marktbasierte Instrument eine solche Kostenwahrheit am besten erreicht werden kann, lässt sich nicht eindeutig bestimmen und bleibt nach wie vor Gegenstand einschlägiger Analysen (z. B. Berger et al.,
2020). Unter den Förderungen für klimaschädliche Tätigkeiten verorten Kletzan-Slamanig & Köppl (
2016b) großes Potenzial in den Sektoren Energie, Verkehr und Wohnen, wo etwa zwei Drittel aller klimaschädlichen Förderungen auf nationaler Basis verändert bzw. abgeschafft werden sollten. Die größten Anteile sehen sie dabei in der Dieselbegünstigung, der Pendlerpauschale und der Energieabgabenvergütung. Mit einer Aufhebung kontraproduktiver Förderungen könnte nicht zuletzt das derzeit stark belastete Staatsbudget entlastet werden, womit möglichen Zielkonflikten zwischen der Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen und einer stringenteren Budgetpolitik entgegengewirkt werden könnte (Feigl & Vrtikapa,
2021; Steininger et al.,
2021).
Neben klimaschädlichen Förderungen finden in der Forschung zur österreichischen Wirtschaft vor allem CO
2-Steuern Beachtung, da Emissionshandelssysteme auf internationaler Ebene operieren und viele bedeutende Sektoren davon weithin unberührt bleiben. Analysen der möglichen Wirkungen einer Einführung einer CO
2-Steuer für Österreich zeigen, dass dies insbesondere in den Sektoren Verkehr und Dienstleistungen, aber auch darüber hinaus zu signifikanten (wenngleich unzureichenden) Reduktionen in den CO
2-Emissionen führen könnte (Goers & Schneider,
2019; Kettner-Marx et al.,
2018; Kirchner et al.,
2019; Mayer et al.,
2021; Steininger,
2020). Heinfellner et al. (
2018) bestätigen dies für den Mobilitätssektor. Mit der Implementierung einer sogenannten sozial-ökologischen Steuerreform, die höhere Steuern auf Energie und Ressourcen mit entsprechenden Umverteilungen der Einnahmen verbindet, hat die österreichische Bundesregierung Anfang 2022 einen zentralen Vorschlag klimabezogener Wirtschaftsforschung in die Praxis übersetzt. Der Startpreis von 30 Euro pro Tonne CO
2 liegt allerdings deutlich unter dem von der Wissenschaft vorgeschlagenen Mindestpreis von 50 Euro (Graßl et al.,
2020). So würde aus einem ökologischen Blickwinkel selbst eine Steuer von 100 Euro pro Tonne CO
2 (in nicht-ETS-Sektoren) ohne begleitende Maßnahmen und bedeutsame Kostenreduktionen von klimaneutralen Technologien die Emissionen im Jahr 2030 um lediglich 3,5 bis 5 Prozent reduzieren (Steininger,
2020).
Selbst unter Berücksichtigung unterschiedlicher Optionen zur Umverteilung und Reinvestition der Steuereinnahmen würde eine hohe CO
2-Steuer nach derzeitigem Wissensstand nicht für die Erreichung der Klimaziele ausreichen (Großmann et al.,
2020; Kirchner et al.,
2019; Mayer et al.,
2021; Steininger,
2020). Die Wissenschaft weist daher auch ordnungspolitischen Instrumenten, wie sie vor allem im Energiesektor bereits etabliert sind, eine bedeutende Rolle zu. Angesichts ihrer kontextspezifischen Ausgestaltung und damit einhergehenden Vielfalt der Gestaltungsoptionen kann in diesem Rahmen nicht ausführlich darauf eingegangen werden (dazu siehe
Abschn. 14.2). Es sei lediglich angemerkt, dass regulatorische Markteingriffe heute auch jenseits des Energiesektors prominent diskutiert werden. Nachdem die Energieeffizienz von Geräten wesentlich von Produktstandards profitierte, fordern Wissenschaftler_innen die Einführung ähnlicher Standards in Bezug auf die Materialeffizienz, insbesondere Reparierbarkeit, Haltbarkeit und Rezyklierbarkeit (Eisenmenger et al.,
2020; Schanes et al.,
2018). Eine vielfach eingebrachte Forderung ist zudem, dass solche und ähnliche Mindeststandards in der öffentlichen Beschaffung stärker berücksichtigt werden. Bei einem jährlichen Beschaffungsvolumen, das 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, könnte eine beachtliche Hebelwirkung erzeugt werden (z. B. Köppl et al.,
2020; siehe auch
Kap. 16). Aus einer Innovationsperspektive sollten dabei vor allem jene Sektoren gefördert werden, in denen nicht nur ein hoher Bedarf, sondern auch ein hohes Forschungs- und Innovationspotenzial vorhanden ist (Bittschi & Sellner,
2020; Steininger et al.,
2021).
Die bisher angeführten finanziellen und regulativen Optionen zur Setzung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen werden in der Wissenschaft vor allem in Verbindung mit der Transformation der Energiesysteme (
Abschn. 14.3.1) und jener zu einer Kreislaufwirtschaft (
Abschn. 14.3.2) als wesentlich erachtet (Domenech & Bahn-Walkowiak,
2019; Friant et al.,
2021; Hartley et al.,
2020; Hausknost et al.,
2017; Irshaid et al.,
2021; Milios,
2018; Vence & López Pérez,
2021). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass informationsbasierten Maßnahmen zur Herstellung von Transparenz wie Umweltzeichen oder freiwilligen Produktionsstandards, die in der österreichischen Umweltpolitik in den vergangenen drei Jahrzehnten an Gewicht gewonnen haben (Wurzel et al.,
2019), als sektorübergreifende Gestaltungsoptionen nur wenig Beachtung in der Wissenschaft geschenkt wird. Die Auswahl der von der Wissenschaft vorgeschlagenen Gestaltungsoptionen spiegelt damit eine klare Befürwortung verbindlicher und unmittelbar wirksamer Maßnahmen wider.
Die diversen Instrumente zur Gestaltung von Märkten können alle zu einer klimapolitisch erwünschten Disruption der Sektoren mit den höchsten Treibhausgasemissionen beitragen. Obgleich eine solche Disruption nicht unbedingt mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in traditionellen Sektoren einhergehen muss und etwa marktbasierte Instrumente in der Theorie so gestaltet werden können, dass sie auch etablierten Akteur_innen genügend Anpassungszeit lassen, können deutliche Verschiebungen am Arbeitsmarkt erwartet werden (
Kap. 7). Streicher et al. (
2020) zeigen auf Basis einer Dekarbonisierungslandkarte für Österreich auf, welche Unternehmen am meisten CO
2 emittieren und damit am stärksten von klimapolitischen Maßnahmen betroffen wären. Unternehmen in den Sektoren Eisen und Stahl, Verbrennungsanlagen, Zement und Kalk sowie Raffinerien emittieren demnach am meisten. Großmann et al. (
2020) gehen bei einer Dekarbonisierung der österreichischen Wirtschaft von Jobverlusten im Verkehrssektor und bei Hersteller_innen von Metallerzeugnissen aus. Wie bereits aufgezeigt, besteht im Widerstand gegen solche Verschiebungen ein zentrales Hemmnis für klimaorientierte Wirtschafts- und Industriepolitik. Zudem ist zu erwarten, dass eine Steigerung der Kosten für Anbieter_innen insbesondere in regionalen Versorgungsstrukturen zu einer Erhöhung der Preise für Endverbraucher_innen zur Folge hätte (Berger et al.,
2020). Aufgrund der einheitlichen Kosten würde dies vor allem einkommensschwache Haushalte betreffen und damit zu ökonomischer Ungleichheit beitragen, wobei die Verteilungswirkungen stark von besteuerten Ressourcen abhängen (Humer et al.,
2021).
Angesichts solcher und weiterer möglicher Konsequenzen besteht in der Wissenschaft ein breiter Konsens, dass klimapolitische Änderungen in den marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer genauen Prüfung der Implikationen aus einer Sicht der sozialen Gerechtigkeit bedürfen (
Kap. 17). In Bezug auf die Besteuerung von CO
2 wird empfohlen, diese zumindest aufkommensneutral zu gestalten, sodass gewonnene Steuereinkünfte wieder über steuerliche Erleichterungen oder andere Unterstützungen an anderen Stellen zurückfließen. Auch wenn ein solches System aus Sicht mancher ökonomischer Theorien als ineffizient beurteilt werden kann, hat sich ein solcher Kompensationsmechanismus in anderen Ländern als zentral für die Akzeptanz bei Stakeholder_innen erwiesen (Kettner-Marx et al.,
2018).
Für die aufkommensneutrale Verwendung von Steuereinnahmen bieten sich drei sich potenziell ergänzende Optionen an (Graßl et al.,
2020; Kirchengast et al.,
2019), die je nach Perspektive unterschiedlich gewichtet werden können. Wenn die Verteilungswirkung im Vordergrund steht, wird als geeignetes Instrument die Auszahlung eines Öko- oder Klimabonus für besonders betroffene Haushalte gesehen (
Kap. 17). Aus einer innovations- und industriepolitischen Perspektive bietet sich eine zielgerichtetere Verwendung der Mittel zum Aufbau von alternativen, klimafreundlicheren Versorgungsstrukturen an. Begleitende Maßnahmen wie Garantien für Jobs und Pensionen in den betroffenen Wirtschaftssektoren, finanzielle Kompensationen und Förderungen für Umzüge und Ausbildung sowie frühere Pensionsantritte könnten wichtige Beiträge zur Ermöglichung einer solchen Umstrukturierung der Wirtschaft leisten (Högelsberger & Maneka,
2020; Keil,
2021; Pichler et al.,
2021). Eine dritte Option besteht in der Entlastung des Faktors Arbeit, wodurch der Druck zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit eine zentrale Ursache für die Wachstumsabhängigkeit der Volkswirtschaft (siehe
Abschn. 14.4.1) verringert werden könnte.
Die Literatur weist darauf hin, dass neben sozialen Kompensationsstrategien mögliche klimarelevante Folgeeffekte oder „Externalitäten“ von marktbasierten Lösungen beachtet werden müssen. Ein bekanntes Problem ergibt sich, wenn Unternehmen als Antwort auf erhöhte Kosten ihre Produktion in andere Länder verlagern, wo geringere Auflagen zu beachten sind und damit mehr Treibhausgasemissionen produziert werden können. Entsprechend sind im Emissionshandelssystem der EU Ausnahmen für Sektoren vorgesehen, die von solchem „Carbon Leakage“ betroffen sind, wobei mittlerweile auch alternative Maßnahmen in der Form von CO
2-Grenzausgleichmechanismen diskutiert werden (Krenek et al.,
2020). Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn marktorientierte Instrumente von klimapolitisch problematischen Verhaltensänderungen im Konsum begleitet werden. Zum Beispiel reduzieren Förderungen von Elektrofahrzeugen zur Verbreitung dieser Technologie nicht nur die Anschaffungskosten, sondern indirekt auch die Kosten pro gefahrenen Kilometer, was zu einer höheren Verkehrsbelastung führen kann (Seebauer et al.,
2019b). Für Seebauer et al. (
2019b) können diese am besten vermieden werden, indem klimabezogene Werte und Einstellungen unter Konsument_innen gestärkt werden (siehe auch
Kap. 21). Die Gestaltung von klimafreundlichen Märkten ist unter diesen Gesichtspunkten als ein kontinuierlicher Prozess zu verstehen, in dem die Wirkungen regelmäßig evaluiert und bei Auftreten von nicht intendierten oder erwarteten Effekten entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden.
Das Auftreten von in Märkten nicht berücksichtigten bzw. externalisierten Problemen verweist auf die allgemeine Problematik, dass marktwirtschaftlicher Wettbewerb Dynamiken begünstigt, die einerseits bei entsprechender Marktgestaltung für den Wandel zu klimafreundlicheren Produkten und Dienstleistungen und die Realisierung höherer Wachstumsraten der Wirtschaft mobilisiert werden kann, andererseits eine stete Suche nach Möglichkeiten zur Externalisierung von Kosten antreibt, die einer erfolgreichen Klimapolitik entgegenwirken kann (siehe
Kap. 25). Inwieweit solche Externalitäten tatsächlich auftreten und von der Gesellschaft im Sinne von Klimaschutz und -anpassung korrigiert bzw. kompensiert werden können, insbesondere über einen Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten oder länger, ist von hoher Bedeutung für die Wirksamkeit der bisher vorgestellten klimapolitischen Maßnahmen.
15 Zu berücksichtigen ist auch, dass trotz der Dominanz von Märkten nach wie vor wesentliche Bereiche der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen außerhalb von Märkten stattfindet (siehe
Abschn. 14.1 Kap. 2), die durch marktwirtschaftliche Instrumente unberührt blieben. Solche Defizite einer Fokussierung auf Märkte können eine klimapolitische Legitimationsgrundlage für tiefergreifendere Gestaltungsoptionen bilden.
14.5.2 Gesellschaftliche Grenzen und alternative Versorgungsweisen
Dem Maßnahmenspektrum für die Schaffung und Gestaltung von klimafreundlichen Märkten entsprechend können Maßnahmen auch in einem weiteren gesellschaftlichen Rahmen sowohl an der Skalierung von konkreten Lösungen als auch an den Rahmenbedingungen ansetzen (siehe
Abb. 14.4). Aus einer Bereitstellungsperspektive rücken neben Märkten auch staatlich, haushaltlich, kommunal oder kooperativ (oder hybrid) organisierte Versorgungsweisen in den Blickpunkt, die sich an alternativen Prinzipien wie Reziprozität oder Reproduktion anstelle des Tauschs orientieren (siehe Rief,
2019 und
Kap. 27). Solche Versorgungsweisen, die wichtigen Infrastrukturen wie beispielsweise Straßen oder Parkanlagen und Tätigkeiten wie dem Einkaufen oder Kochen unterliegen, spielen eine herausragende Rolle in der Strukturierung des Lebensalltags vieler Menschen und sind daher für die Umstellung von etablierten Routinen und sozialen Praktiken von zentraler Bedeutung. Daneben existieren im Kleinen bereits zahlreiche alternative Versorgungsstrukturen wie Energiegemeinschaften oder Lebensmittelkooperativen („food coops“), die eine klimafreundlichere Versorgung versprechen. Viele der untersuchten und diskutierten Lösungsansätze zeichnen sich durch ein hohes Maß an sozialer Inklusion und Partizipation aus, wodurch sowohl ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit wie auch zur breiten Akzeptanz klimafreundlicher Produkte und Dienstleistungen geleistet werden soll (Bärnthaler et al.,
2021; Novy et al.,
2020; Wieser,
2021). Die Aufgabe zur finanziellen Unterstützung solcher Lösungsansätze wird vor allem der öffentlichen Hand zugeschrieben. Kapital- und Finanzmärkte, denen wie bereits angemerkt in der Skalierung von neuen Produkten und Dienstleistungen in der Politik eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird (siehe
Abschn. 14.4), beruhen dieser Auslegung zufolge vorwiegend auf der Extrahierung von ökonomischen Renten anstatt der Produktion von Wert und sollten daher zurückgebildet werden (Bärnthaler et al.,
2021).
Wissenschaftliche Arbeiten zu alternativen Versorgungsweisen verorten erhebliches Potenzial zur Vereinbarung von Klimafreundlichkeit und sozialer Gerechtigkeit (z. B. Dengler & Lang,
2022; Die Armutskonferenz et al.,
2021; Exner & Kratzwald,
2021; Novy,
2020; Seebauer et al.,
2019a). Eine systematische Aufarbeitung und Darlegung der Bedingungen, unter denen alternative Versorgungsweisen aus Sicht von Klimaschutz und -anpassung bessere Ergebnisse als Märkte erzielen, konnte bisher nicht geleistet werden. Wenngleich es neben einer großen Anzahl von lokalen Fallstudien auch vereinzelt vergleichende Analysen
16 gibt, begründet sich ihre klimapolitische Bedeutung auch heute noch vorrangig aus theoretischen Erwägungen (für einen Überblick siehe Bliss & Egler,
2020). Eine mögliche Handlungsorientierung in der Gestaltung von Versorgungsstrukturen ist die Unterstützung von möglichst kollektiv genutzten und günstigen Infrastrukturen wie Grünräumen, die weder unmittelbar zum Wirtschaftswachstum beitragen, noch bestehende Abhängigkeiten verstärken (Kirchner & Strunk,
2021). Eine solche Gestaltungsoption bietet sich angesichts der Breite der erforderlichen Güter und Dienstleistungen nur begrenzt an und aus einer Gesellschaft-Natur-Perspektive blieben die Rahmenbedingungen, die unabhängig von der dominanten Versorgungsweise ein Wachstum der Wirtschaftsleistung erfordern, davon unberührt.
Aus dieser Sicht bedarf es daher entsprechender Rahmenbedingungen, die sich an den planetarischen Grenzen orientieren bzw. diese respektieren (Brand et al.,
2021). Neben am Prinzip der Suffizienz (siehe
Abschn. 14.3.4) orientierten Konsumgrenzen wie Tempolimits oder CO
2-Budgets kommen eine Reihe von Gestaltungsoptionen in Frage, die an den Versorgungsstrukturen ansetzen. Dazu gehört zum einen ein möglichst verbindlicher rechtlicher Rahmen, der das noch verfügbare Treibhausgasbudget für einen definierten Zeitraum vorgibt, worüber in der Klimaforschung weitgehend Konsens herrscht (
Kap. 11). Das deutsche Bundes-Klimaschutzgesetz, auf das in
Kap. 11 näher eingegangen wird, sieht beispielsweise Reduktionsziele für die Treibhausgasemissionen sowie entsprechende Überprüfungsmechanismen und Sofortmechanismen zur Einhaltung der Ziele in konkreten Sektoren wie der Energiewirtschaft, Industrie oder Landwirtschaft vor. Vergleichbare Obergrenzen ließen sich auch auf konkrete Anwendungsbereiche einführen. Im Bereich der Gebäude fordern Wissenschaftler_innen beispielsweise die regulative Festlegung einer verbindlichen Obergrenze für die Treibhausgasemissionen, die einem Quadratmeter Fläche eines neu errichteten oder renovierten Gebäudes zugerechnet werden können (EASAC,
2021).
Weitere Gestaltungsoptionen setzen bei der bereits problematisierten Wachstumsdynamik an. In Bezug auf den bereits erwähnten Wachstumszwang, der sich unter anderem aus dem Bestreben nach einer Vereinbarung von Arbeitsproduktivitätszuwächsen und der Schaffung von Arbeitsplätzen ergeben kann (
Abschn. 14.4.1), führen Wissenschaftler_innen neben der bereits erwähnten steuerlichen Entlastung von Arbeit eine Reihe von weiteren Maßnahmen an, die eine signifikante Reduktion von Treibhausemissionen bei gleichbleibendem Beschäftigungsniveau erlauben sollen, allen voran durch Arbeitszeitreduktionen und Arbeitsteilung (Gerold,
2017; Zwickl et al.,
2016; siehe auch
Kap. 7). Damit wird in Frage gestellt, dass der Mehrwert aus Arbeitsproduktivitätszuwächsen sich zwingend in größeren Produktions- und Konsumvolumen ausdrücken muss. Stocker et al. (
2014) zeigen auf Basis eines makroökonomischen Modells auf, wie die Beschäftigung durch eine Kombination aus sozial-ökologischer Steuerreform und Arbeitszeitreduktion auch bei „Nullwachstum“ stabil gehalten werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch das Bruttoinlandsprodukt als zentrale Messgröße für den Wohlstand einer Gesellschaft hinterfragt (z. B. Bachner et al.,
2021; Kettner et al.,
2014; Kreinin & Aigner,
2021), da durch diese Messgröße wesentliche Bereiche der nichtmonetären Versorgung (z. B. durch Haushalte) ausgeklammert (
Kap. 8) und zugleich Anreize zur weiteren Monetarisierung der Natur gesetzt werden (
Kap. 16).
Letztlich können aus einer Gesellschaft-Natur-Perspektive klimapolitisch problematische Wachstumsdynamiken nicht ohne Berücksichtigung der Einbettung von Versorgungsstrukturen in Prozesse der Finanzialisierung und des internationalen Wettbewerbs hinreichend adressiert werden. Entsprechende tiefergreifendere Gestaltungsoptionen greifen wir daher in den
Kap. 15 und
16 auf. Bezüglich der Frage, wie tiefgreifend Veränderungen sein sollen, damit die planetarischen Grenzen eingehalten werden können, gehen die Ansichten in der Wissenschaft noch weit auseinander (z. B. Blühdorn et al.,
2020; Brand & Wissen,
2017; Spash,
2021).