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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

19. Lösungsstrategien der Produktentstehung

verfasst von : Heiner Hans Heimes, Achim Kampker, Christian Offermanns, Konstantin Sasse, Jonas Gorsch, Kai Kreisköther, Ruben Förstmann, Carsten Nee

Erschienen in: Elektromobilität

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Kostensenkungen in der Automobilindustrie werden häufig durch das Generieren von Skaleneffekten oder Produktivitätssteigerungen durch Lerneffekte erzielt. Angesichts bereits hocheffizienter Produktionsprozesse in der Automobilindustrie ist das darin liegende Potenzial heute jedoch für den Durchbruch der Elektromobilität nicht ausreichend. Effizienzsteigerungen sind deshalb auch in den vorgelagerten Bereichen der Entwicklung notwendig, um Elektrofahrzeuge wirtschaftlich herstellen zu können. Dies beginnt mit einem gezielten Kompetenzaufbau, bezogen auf die Komponententechnologie sowie deren Fertigung. Dafür bietet es sich an, Zulieferer mit den entsprechenden Kompetenzen in die Spezifikation und die Gestaltung des Produkts einzubinden und Wertschöpfungsbeiträge entsprechend zu vernetzen. Hinsichtlich der Prozessgestaltung ist für die Elektromobilproduktion von besonderer Bedeutung, dass Skalierungsmöglichkeiten für die Produktionsprozesse vorgehalten werden. Ziel dabei ist es, im Verlauf der Serienfertigung auf Stückzahlsteigerungen reagieren zu können. Damit diese Herausforderungen gelöst werden können, bedarf es Lösungsstrategien in der Produktentstehung der Elektromobilität. Diese werden in den folgenden Kapiteln erläutert. Ziel dabei ist es, durch erhöhte Systemkompetenz, Reaktionsfähigkeit auf Marktentwicklung und flexible Skalierbarkeit auf Technologieebene künftige Elektromobile immer effizienter zu entwickeln (vgl. Abb. 19.1).
Kostensenkungen in der Automobilindustrie werden häufig durch das Generieren von Skaleneffekten oder Produktivitätssteigerungen durch Lerneffekte erzielt. Angesichts bereits hocheffizienter Produktionsprozesse in der Automobilindustrie ist das darin liegende Potenzial heute jedoch für den Durchbruch der Elektromobilität nicht ausreichend. Effizienzsteigerungen sind deshalb auch in den vorgelagerten Bereichen der Entwicklung notwendig, um Elektrofahrzeuge wirtschaftlich herstellen zu können. Dies beginnt mit einem gezielten Kompetenzaufbau, bezogen auf die Komponententechnologie sowie deren Fertigung. Dafür bietet es sich an, Zulieferer mit den entsprechenden Kompetenzen in die Spezifikation und die Gestaltung des Produkts einzubinden und Wertschöpfungsbeiträge entsprechend zu vernetzen. Hinsichtlich der Prozessgestaltung ist für die Elektromobilproduktion von besonderer Bedeutung, dass Skalierungsmöglichkeiten für die Produktionsprozesse vorgehalten werden. Ziel dabei ist es, im Verlauf der Serienfertigung auf Stückzahlsteigerungen reagieren zu können. Damit diese Herausforderungen gelöst werden können, bedarf es Lösungsstrategien in der Produktentstehung der Elektromobilität. Diese werden in den folgenden Kapiteln erläutert. Ziel dabei ist es, durch erhöhte Systemkompetenz, Reaktionsfähigkeit auf Marktentwicklung und flexible Skalierbarkeit auf Technologieebene künftige Elektromobile immer effizienter zu entwickeln (vgl. Abb. 19.1).

19.1 Lösungsraum- und Spezifikationsmanagement als Kernkompetenz des Systemintegrators

Gezieltes Lösungsraum- und Spezifikationsmanagement bezieht die Produkt- und die Prozessseite von Beginn an systematisch in den Produktentstehungsprozess ein. Ziel dabei ist es, die Freiheitsgrade des Lösungsraums in der Produktentstehung durch fortlaufende Validierung der Produkt- und Prozessanforderungen effizient einzugrenzen (vgl. Abb. 19.2). Bei fortschreitender Produktentwicklung nehmen die Aufwände für etwaige Änderungen auf Produkt- und Prozessseite stark zu. Dies sorgt dafür, dass Unternehmen mit effizientem Lösungsraum und Spezifikationsmanagement deutlich geringere Entwicklungskosten realisieren können. Ermöglicht wird dies durch den frühzeitigen Einsatz virtueller Tools, mit denen die Produkte und Prozesse im Detail und später gesamt simuliert werden. Wenn hier frühzeitig konstruktive Änderungen identifiziert werden können, die den Prozess vereinfachen, lassen sich langfristig enorme Kostensenkungspotenziale heben. Unterstützt werden kann diese Eingrenzung des Lösungsraums durch Labor und Pilotanlagen auf Prozessseite sowie Prototypen auf Produktseite (siehe Abschn. 19.3). Relevanz gewinnt dieses Vorgehen im disruptiven Umfeld der Elektromobilität vor allem durch die zunehmende Produkt- und Prozesskomplexität bei gleichzeitigem Anspruch, kürzere Produktentwicklungszyklen zu erreichen.1

19.2 Front- und Side-Loading für eine kurze Time-to-Market

Auch beim Konzept des Front-Loadings, der raschen Einbindung der Produktion in den Produktentwicklungsprozess, steht ein früher Erfahrungs- und Anforderungsaustausch im Fokus. In Ergänzung zu den durch Lösungsraum- und Spezifikationsmanagement festgelegten Freiheitsgraden werden beim Front-Loading in frühen Entwicklungsphasen die technischen Anforderungen aus der Fertigung in den Produktkonzepten verankert.2 Diese frühe Einbeziehung jener Produktanforderungen aus der Herstellung verfolgt das Ziel, Anlaufzeiten zu verkürzen und Produktionsschwierigkeiten zu minimieren, um somit letztlich die „Time-to-Market“ zu verkürzen.
Angesichts der großen Freiheitsgrade zu Beginn von Entwicklungsprojekten reichen Lösungsraum-Management und Front-Loading alleine – insbesondere bei geringen Vorerfahrungen und neuen Technologien, wie dies bei Elektrofahrzeugen der Fall ist – jedoch nicht aus. Hinzu kommt, dass Freiheitsgrade im Produktdesign, vor allem von „Purpose-Design“-Fahrzeugen, entsprechend große Lösungsräume für die Produktionsplanung hervorrufen.
Um diesen Herausforderungen in der Elektromobilentwicklung zu begegnen, ist die Einführung einer übergeordneten Entwicklungsinstanz im Zuge des sogenannten Side-Loadings notwendig. Die Entwicklungsergebnisse des Side-Loadings werden den Konstrukteuren und Planern etwa in Form von Katalogen beziehungsweise Modulbaukästen angeboten oder vorgeschrieben, aus denen sie sich für ihre jeweiligen konkreten Entwicklungsaufgaben bedienen können. Neben der Entwicklung der Modulfunktionen kommt dabei auch der Berücksichtigung der erforderlichen Schnittstellen zwischen einzelnen Modulen eine besondere Bedeutung zu, um die Adaptierbarkeit der Baukastenmodule für die einzelnen Entwicklungsprojekte sicherzustellen beziehungsweise die Adaptionsaufwände so gering wie möglich zu halten. Insofern handelt es sich beim Side-Loading um eine Trennung der Modulentwicklung von spezifischen Produktentwicklungsprojekten. Ein Monitoring der jeweiligen Baukästen über Produktentwicklungsprojekte hinweg gewährleistet dabei, dass sich hohe Einhaltegrade der Baukastenlösungen einstellen und die Potenziale wie Skaleneffekte durch eine hohe Einheitlichkeit der Produkte und Prozesse tatsächlich Einzug in die Produkte halten. Mit der Kombination des Front- und Side-Loadings in der Elektromobilentwicklung werden Potenziale erschlossen, die eine Verkürzung der Entwicklungszeit und eine Reduzierung der Entwicklungs- und Herstellungskosten bei gesicherter Produktqualität ermöglichen. Bedingung für eine vollständige Zielerreichung ist ein hohes Maß an Kommunikation zwischen den beteiligten Teams und mit den übergeordneten Entwicklungsinstanzen.3

19.3 Frühzeitige Validierung mittels früher Prototypen

Für einen schnellen Erfahrungsaufbau bei der Entwicklung von Elektromobilen wie auch in Bezug auf die entsprechenden Produktionstechnologien ist ein gezielter Einsatz von Hardware-Prototypen von besonderer Bedeutung. Ziel ist dabei, nicht nur die Planstände der Produkt- und der Produktionsplanung mit physischen Prototypen zu validieren, die gemäß der als geeignet identifizierten Produktlösungen, Fertigungsfolgen und -technologien aufgebaut werden. Vielmehr können frühe Prototypen auch dazu genutzt werden, hardwarebasierte Lernprozesse und Erfahrungsaufbau zu ermöglichen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei, dass ein Prototyp in diesem Konzept nicht zwangsläufig voll funktional umgesetzt sein muss, sondern auch dazu dienen kann, Teillösungen zu testen und anhand der Versuchsergebnisse zu lernen. Auf diese Weise werden Erfahrungen gesammelt sowie Konzepte validiert, und es entsteht ein Modell des Produkts, das dem späteren Serienstand in Bezug auf die mit den jeweiligen Prototypen betrachteten Aspekte so früh wie möglich nahekommt. Für die Realisierung sind Fertigungsmittel, Material und Personalkapazitäten notwendig, was Prototypen in der Herstellung mitunter teuer und aufwendig werden lässt. Eine günstigere, aber weniger realitätsnahe Option mit eingeschränkten Rückschlussmöglichkeiten auf das reale Produkt bilden digitale Prototypen durch Simulationen.4 Hilfestellung bieten dabei Rapid-Prototyping-Technologien, mit denen physische Prototypen bei einem geringen Zeit- und Kostenaufwand schon in frühen Phasen entwicklungsbegleitend erstellt werden können. Damit wird eine frühe Abstimmung mit Kunden, weiteren externen Stakeholdern und anderen Unternehmensbereichen ermöglicht. Zusätzliche Iterationsschleifen in späteren Phasen der Produktentwicklung, die dann aufgrund geringerer Freiheitsgrade höhere Änderungsaufwände verursachen, lassen sich somit vermeiden. Dies gilt beispielsweise auch für Rapid-Tooling-Technologien, mit denen Werkzeuge für Kleinserien zu geringen Kosten erstellt werden können.5 Gerade der Einsatz unterschiedlicher und neuer Technologien im Elektrofahrzeug – bei simultanem Anspruch von kurzen Produktentwicklungszyklen – macht eine frühzeitige Validierung der Entwicklungsstände notwendig.

19.4 Agile Methoden für eine hohe Reaktionsfähigkeit und kurze Time-to-Market

Insbesondere in etablierten Unternehmen mit historisch gewachsenen, funktional stark ausdifferenzierten Organisationseinheiten stellen die internen Strukturen eine Hürde dar, wenn es darum geht, flexibel und schnell auf disruptive Trends wie die Elektromobilität zu reagieren. Gerade die von Start-ups und Software-Unternehmen vorgezeigte Agilität ist für „gestandene“ Unternehmen ein erstrebenswertes Vorbild, da es scheint, dass die Erstgenannten flexibler und schneller auf kurzfristige Marktnachfragen reagieren können. Deutlich wird dies in der Management-Literatur, in der eine steigende Anzahl von Werken Einzug hält, die agile Methoden und ihre Anwendbarkeit in etablierten Strukturen erläutert.
Unter den diversen agilen Methoden ist der Scrum-Ansatz einer der geläufigsten. Diesem Ansatz folgend, wird ein Entwicklungsprojekt in eine Vielzahl sogenannter Sprints zerlegt, die nacheinander durchlaufen werden. Ausgangspunkt eines Sprints ist dabei das „Sprint Planning“, in dem die Merkmale des „Product Backlogs“ definiert werden. Das „Product Backlog“ wiederum ist eine Beschreibung der Funktionen des Sprint-Ergebnisses (vgl. Abb. 19.3).6 Die Summe aller dieser „Product-Backlog“-Einträge bildet das „Product Increment“, das am Sprint-Ende einer Feedback-Schleife mit allen relevanten Stakeholdern unterzogen wird. Im Gegensatz zu Software-Entwicklungsprojekten besteht bei physischen Engineering-Projekten die Herausforderung, dass einzelne „Product Increments“ für sich genommen nicht notwendigerweise die gleichen Funktionen abbilden wie beim späteren Endprodukt im Zusammenspiel aller Funktionen.7
Bei disruptiven Produktinnovationen wie der Elektromobilität können diese Ansätze einen Beitrag dazu leisten, schnell Erfahrungen aufzubauen und zu validieren. Entscheidend ist dabei der Grundgedanke der Zerlegung des Entwicklungsobjekts in Teilbereiche, in denen in parallelen Sprints auf Zwischenziele hingearbeitet wird, um einen schnellen Erfahrungsaufbau sicherzustellen.

19.5 Möglichkeiten zur Integration der Montage eines „Conversion-Design“-Fahrzeuges in bestehende Montagestrukturen

Während das „Purpose Design“ gegenüber dem „Conversion Design“ durch die Entwicklung der Fahrzeuge hinsichtlich E-Mobil-spezifischer Anforderungen einige Vorteile aufweist, hat es den Nachteil, dass der notwendige Aufbau der Fertigungsinfrastruktur zunächst hohe Investitionen hervorruft. Insbesondere die klassischen Automobilhersteller verfügen jedoch bereits über funktionierende Montagestrukturen mit hohem Auslastungsgrad, in die „Conversion-Design“-Fahrzeuge integriert werden können. Voraussetzung dafür ist, dass das Fahrzeugkonzept bei der Umgestaltung auf die Integration in das Montagesystem ausgelegt wurde und die Fertigungsinfrastruktur über die notwendige Flexibilität verfügt. Damit bestehen für die Montage von Elektrofahrzeugen in bestehenden Strukturen drei grundlegende Ansätze. Auch wenn im Markt „Purpose-Design“-Fahrzeuge eine immer größere Rolle spielen, setzten einige Hersteller übergangsweise immer noch auf „Conversion-Design“-Ansätze.8
Die Voraussetzung einer vollständigen Integration in eine bestehende Linie (vgl. Abb. 19.4) ist ein Basisfahrzeugkonzept, aus dem sich die unterschiedlichen Varianten ableiten lassen. Damit können die Investitionsvolumina reduziert und bis in eine hohe Leistungstiefe Skaleneffekte ausgenutzt werden. Dies bedeutet, dass die Betriebsmittel und Vorrichtungen sowohl für konventionelle als auch für elektrische Antriebe ausgelegt sein müssen. Eine Modifikation einzelner bestehender Arbeitsstationen kann dabei notwendig sein. Die Vollintegration in bestehende Linien bietet insbesondere für kleine Stückzahlen die Möglichkeit, mit geringen Investitionen eine hohe Mengenflexibilität zu erreichen. Mit zunehmenden Volumina geht dieser Vorteil jedoch gegenüber den Nachteilen geringer Anpassungsmöglichkeiten des elektrifizierten Fahrzeugs sowie steigender Komplexität der Montagestationen verloren.
Der zweite Ansatz besteht in der Entwicklung einer sogenannten Bypass-Montage (vgl. Abb. 19.4). Dabei werden einzelne Arbeitsschritte zu Modulen zusammengefasst und von der Hauptmontagelinie ausgegliedert. An Stellen, wo die Variantenflexibilität nicht ausreicht, um die erforderlichen Arbeitsschritte am Elektrofahrzeug vorzunehmen, findet die Umgehung durch den Bypass statt. Dies bedeutet, dass einige Montageschritte modularisiert werden müssen, wie zum Beispiel der Einbau der Batterie samt Vorrichtungen. So lassen sich bei Gleichteilumfängen Synergien nutzen. Montagefolgen müssen bei Bedarf verändert werden, was gleichzeitig erhöhte Investitionen und ein Risiko zur Zeitspreizung bedeutet. Bei steigenden Stückzahlen verliert diese Variante daher zunehmend an Wirtschaftlichkeit.
Eine parallele, separate Montagelinie (vgl. Abb. 19.4) weist aufgrund der parallel vorgehaltenen Fertigungsinfrastruktur ein im Vergleich zur Vollintegration deutlich höheres Investitionsvolumen auf. Sie ermöglicht jedoch eine sukzessive Entwicklung des Elektrofahrzeugs weg von einem „Conversion-Design“-Fahrzeug hin zu einem auf die speziellen Anforderungen und Möglichkeiten ausgerichteten Fahrzeug des „Purpose-Design“-Konzepts. Ein weiterer Vorteil einer parallelen Linie liegt in der Entlastung der konventionellen Linie begründet, die durch steigende Produktionsvolumina der Elektrofahrzeuge unter einer wachsenden Belastung stehen kann.9

19.6 Schaffung skalierbarer Montagestrukturen

Aufgrund der aufgezeigten volatilen Stückzahlen ist es notwendig, dass Hersteller von Elektrofahrzeugen den Betriebspunkt ihrer Produktionslinien regelmäßig in kleinen Zeitintervallen anpassen können. Dabei liegt der Anpassungsbedarf weit über dem Niveau, das sich durch Arbeitszeitmodelle erreichen lässt. Die Kernherausforderungen bestehen unter anderem darin, zum einen die hochautomatisierten Produktionslinien der Komponentenproduktion (Elektromotor und Batterie) an volatile Stückzahlen anpassbar zu gestalten, und zum anderen darin, die Montagelinien der Gesamtfahrzeuge durch innovative Montagekonzepte flexibler auszulegen. Bis sich stabilere Stückzahlen von Elektrofahrzeugen eingestellt haben, sind im Hinblick auf die Montagelinien strukturell andere Konzepte notwendig. Diese müssen Anpassungen der Stückzahlen ermöglichen, die bei konventionellen Linienkonzepten und ihren aufgrund von Betriebsmitteln und Fördertechnik starrer, unflexibler Infrastruktur nur mit hohem Aufwand möglich sind.
Während der Betriebspunkt der heute üblichen, starren Linienstrukturen bei annähernd konstanten, hohen Stückzahlen liegt, wobei die Fahrzeugproduktion hocheffizient möglich ist, liegt das Ziel einer skalierbaren Montage darin, den Betriebspunkt flexibel anpassen zu können (vgl. Abb. 19.5). So wird ermöglicht, den Korridor, in dem kostengünstig produziert werden kann, gemäß der jeweils herrschenden Marktnachfrage zu verschieben. Dies führt einerseits zu einer jederzeit kostengünstigen Montage trotz sich verändernder Marktforderungen. Andererseits hat es den Effekt, dass sich die Gesamtinvestitionen über einen größeren Zeitraum erstrecken, die Zinslast verringert und das Investitionsrisiko reduziert wird, das durch im Voraus zu groß geplante Anlagen und eine gegebenenfalls ausbleibende Marktentwicklung entsteht. Im Gegensatz zum starren Linienkonzept der konventionellen Fahrzeugmontage werden skalierbare Montagestrukturen unter Berücksichtigung einer schrittweisen, betriebspunktabhängigen Erweiterung der Montage ausgelegt. Dies ermöglicht eine kostengünstige Montage in einem breiten Stückzahlkorridor. Mit ansteigender Stückzahl können diese Systeme bedarfsorientiert entlang vordefinierter Migrationspfade mit teil- oder vollautomatisierten Lösungen aufgerüstet werden, die eine entsprechend höhere Produktivität gewährleisten. Im Falle von Produktionslinien für die Komponenten kann dabei eine Skalierung etwa eines E-Motors und im Bereich des Gesamtfahrzeugs beispielsweise durch die Reduktion der Taktzeit erfolgen. In beiden Fällen ist darauf zu achten, dass das Produktions- beziehungsweise Montagesystem von vornherein auf die Erfordernisse der Skalierung ausgelegt ist. Dies kann dadurch erfolgen, dass zum Beispiel der Platz und die notwendigen Anschlüsse für Automatisierungsequipment vorgehalten werden oder indem die Montageplanung bei der Zuordnung von Arbeitsinhalten zu Arbeitsstationen berücksichtigt, dass die Inhalte von einem Mitarbeitenden oder auch parallel von zweien für eine Taktzeitreduktion abgearbeitet werden können.
Von zunehmender Relevanz werden künftig auch Montagesysteme ohne starre Linienstruktur sein, die durch die geringen Fixpunkte in Bezug auf die Infrastruktur besonders leicht skaliert werden können.10 Derartige Montagesysteme lassen sich einerseits mit Hilfe von fahrerlosen Skids als autonome, flexibel einsetzbare Warenträgersysteme realisieren, auf denen die Fahrzeuge automatisiert durch die Montage bewegt werden. Andererseits ist denkbar, dass die Fahrzeuge frühzeitig in Betrieb genommen werden und autonom mit dem eigenen Antriebs- und Steuerungssystem die Montagestationen erreichen.11 Aktuell gibt es Bemühungen in der Forschung, innovative und flexible Montagesysteme zu entwickeln und zu erproben. Kernfrage ist dabei, wie alternative Montagestrukturen gestaltet sein können, die es ermöglichen, mit geringen Infrastrukturinvestitionen eine Elektro-Fahrzeug-Fertigung zu errichten und wirtschaftlich zu betreiben. Wesentliche Befähiger für dieses Konzept sind die Kernelemente Resequenzierung in der Linie durch selbstfahrende Chassis, innovative Justageprozesse, ein flexibler Vorrichtungsbau, remanufacturingfähige Anbindungsmechanismen für Außenhautteile sowie ein zentrales Steuerungs-Cockpit.12
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Vgl. Hehl 2021.
 
2
Vgl. Carsten Hass et al. 2015.
 
3
Vgl. Kampker et al. 2017.
 
4
Vgl. Kampker et al. 2016.
 
5
Vgl. Kampker et al. 2019.
 
6
Vgl. Gartzen et al. 2016.
 
7
Vgl. Schuh et al. 2016.
 
9
Vgl. Karle 2017.
 
10
Vgl. Kropik 2021.
 
11
Vgl. Kampker et al. 2016.
 
12
Vgl. Kampker et al. 2017.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Carsten Hass; Rudolf Herden; Kai Schmidtchen; Sven Schumacher:Frontloading. In: Dombrowski, U. (Hrsg.): Lean Development: Aktueller Stand und zukünftige Entwicklungen (Reihe: VDI-Buch). 1. Aufl. 2015 Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2015 Carsten Hass; Rudolf Herden; Kai Schmidtchen; Sven Schumacher:Frontloading. In: Dombrowski, U. (Hrsg.): Lean Development: Aktueller Stand und zukünftige Entwicklungen (Reihe: VDI-Buch). 1. Aufl. 2015 Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2015
Zurück zum Zitat Gartzen, T; Brambring, F; Basse, F.:Target-oriented Prototyping in Highly Iterative Product Development. In: Procedia CIRP, Jg. 51, 2016, Nr. 6, S. 19–23 Gartzen, T; Brambring, F; Basse, F.:Target-oriented Prototyping in Highly Iterative Product Development. In: Procedia CIRP, Jg. 51, 2016, Nr. 6, S. 19–23
Zurück zum Zitat Hehl, M.: Lösungsraum-Management für die Produktionsplanung im Disruptiven Umfeld (Ergebnisse aus der Produktionstechnik). 1. Auflage Aufl. Aachen: Apprimus Verlag, 2021 Hehl, M.: Lösungsraum-Management für die Produktionsplanung im Disruptiven Umfeld (Ergebnisse aus der Produktionstechnik). 1. Auflage Aufl. Aachen: Apprimus Verlag, 2021
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Zurück zum Zitat Kampker, A; Gerdes, J; Schuh, G. (Hrsg.):Think Big, Start Small. Streetscooter – die e-mobile Erfolgsstory: Innovationsprozesse radikal effizienter. 1. Auflage Aufl., Berlin: Springer, 2017 Kampker, A; Gerdes, J; Schuh, G. (Hrsg.):Think Big, Start Small. Streetscooter – die e-mobile Erfolgsstory: Innovationsprozesse radikal effizienter. 1. Auflage Aufl., Berlin: Springer, 2017
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Zurück zum Zitat Karle, A.: Elektromobilität. Grundlagen und Praxis. 2., aktualisierte Auflage Aufl. München: Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, 2017 Karle, A.: Elektromobilität. Grundlagen und Praxis. 2., aktualisierte Auflage Aufl. München: Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, 2017
Zurück zum Zitat Kropik, M.: Produktionsleitsysteme für die Automobilindustrie. Digitalisierung des Shop-Floors in der Automobilproduktion. 2. Auflage 2021 Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2021 Kropik, M.: Produktionsleitsysteme für die Automobilindustrie. Digitalisierung des Shop-Floors in der Automobilproduktion. 2. Auflage 2021 Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2021
Zurück zum Zitat Schuh, G.: Lean Innovation. Berlin: Springer, 2013 Schuh, G.: Lean Innovation. Berlin: Springer, 2013
Zurück zum Zitat Schuh, G; Rudolf, S; Kantelberg, J. E; Riesener, M.: Application of Highly-Iterative Product Development in Automotive and Manufacturing Industry (Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen), 2016 Schuh, G; Rudolf, S; Kantelberg, J. E; Riesener, M.: Application of Highly-Iterative Product Development in Automotive and Manufacturing Industry (Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen), 2016
Metadaten
Titel
Lösungsstrategien der Produktentstehung
verfasst von
Heiner Hans Heimes
Achim Kampker
Christian Offermanns
Konstantin Sasse
Jonas Gorsch
Kai Kreisköther
Ruben Förstmann
Carsten Nee
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65812-3_19

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