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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 1/2024

Open Access 28.12.2023 | Schwerpunkt

Multi-Case-Studie zu Barrieren und förderlichen Faktoren der digitalen Kompetenz von Patienten – Ein interdisziplinärer Ansatz

verfasst von: Maren Kählig, Marcel Susky, Emily Hickmann, Sophia Grummt, Daniela Richter, Peggy Richter, Jens Weidner, Martin Sedlmayr, Anne Seim

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 1/2024

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Zusammenfassung

Die rasanten Fortschritte digitaler Technologien haben die Gesundheitsversorgung revolutioniert und dabei unter anderem die Vernetzung von Patienten, Gesundheitsdienstleistenden, Entwicklern und Forschenden in den Mittelpunkt gerückt. Um das volle Potenzial dieser Transformation auszuschöpfen, ist es von entscheidender Bedeutung, die digitalen Kompetenzen der Patienten und des medizinischen Fachpersonals zu fördern. Besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird das Verständnis und die Anwendung digitaler Innovationen in der Gesundheitsversorgung zu einer Schlüsselaufgabe.
Unsere Forschungsarbeit konzentrierte sich daher auf eine Multi-Case-Studie im Rahmen des „Medical Informatics Hub for Saxony“, um die für die erfolgreiche Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien benötigten digitalen Kompetenzen von Patienten zu identifizieren. Um einen strategischen Ansatz für den Aufbau dieser Fähigkeiten entwickeln zu können, untersuchten wir zudem Einflussfaktoren auf diese Kompetenzen.
Die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, dass die Digitalisierung zwar bereits im Alltag der Patienten präsent ist, Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit jedoch ein Hemmnis für die Nutzung digitaler Innovationen darstellen. Hier spielt die Kommunikation und Interaktion mit medizinischem Fachpersonal eine entscheidende Rolle, um diese Barrieren abzubauen und dem Bedürfnis nach sozialer Interaktion im Zusammenhang mit digitaler Technologie gerecht zu werden. Die Vermittlung grundlegender Soft Skills sowohl an medizinisches Personal als auch an Patienten, eine transparente Kommunikation über Datenschutzregelungen und den Zweck freiwilliger Datenspenden sowie interdisziplinäre Schulungsprogramme, die technische Anforderungen und auch soziale Aspekte berücksichtigen, sind daher von großer Bedeutung.
Unsere Studie betont die Wichtigkeit einer einfühlsamen und individuellen ärztlichen Betreuung, um Ängste und Vorbehalte auf Patientenseite abzubauen und digitale Gesundheitstechnologien effektiv einsetzen zu können. Dieser ganzheitliche Ansatz wird entscheidend dazu beitragen, die Potenziale der Digitalisierung im Gesundheitswesen voll auszuschöpfen.
Hinweise

Gender-Disclaimer

In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

Schon vor der Veröffentlichung der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege des Bundesgesundheitsministeriums (vorgelegt am 09. März 2023) war die Digitalisierung in der Medizin ein viel diskutiertes Thema. Sie schreitet so schnell voran wie noch nie, auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich noch Aufholbedarf hat (Mosch et al. 2021). Die digitale Transformation in der Medizin betrifft eine Vielzahl an Einrichtungen und Akteuren sowie Patienten (Kuhn et al. 2020). Digitalisierungsansätze in der Medizin haben das Ziel die Gesundheitsversorgung einfacher, qualitativ hochwertiger und gleichzeitig effizienter zu gestalten (Stachwitz und Debatin 2023). So können sie vielfältige Chancen und Lösungsansätze für Probleme des demografischen Wandels, wie der damit verbundenen Zunahme von chronischen Krankheiten sowie dem Fachkräftemangel, bieten. Aus der zunehmenden Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens erwächst ein steigender Anspruch von Patienten an eine zeitgemäße digitale Gesundheitsversorgung. Dazu zählt, dass medizinische Leistungserbringende Informationen digital bereitstellen und austauschen sowie digitale Dienstleistungen anbieten. Aufgrund der großen Überschneidung zwischen Akteuren im Gesundheitswesen, der hohen Behandlungskomplexität und der notwendigen Verfügbarkeit eines umfassenden longitudinalen Datensatzes, in dem sich Phasen der Krankheitsprogression mit Beobachtungsphasen abwechseln können, profitieren Patienten besonders von digitalen Gesundheitstechnologien (Meister et al. 2020). Um diese Vorteile erfahren zu können, benötigen Betroffene wie Behandelnde gleichermaßen zwingend ausreichend digitale Kompetenzen.

1.1 Forschungsfrage und Zielsetzung

In einer zunehmend digital geprägten Gesundheitslandschaft richtet sich die zentrale Fragestellung des Beitrags darauf, welche Hemmnisse und Barrieren das aktive und informierte Agieren von Patienten beeinflussen und welche Auswirkungen diese auf die Ausprägung und Anwendung digitaler Kompetenzen haben. Das zugrunde liegende Ziel ist die Schaffung eines Rahmens, der die Vermittlung digitaler Kompetenzen an Patienten auf eine strukturierte Weise ermöglicht und unterstützt. Die Herausforderung dabei ist die Zusammenführung der Erkenntnisse aus der aktuellen Literatur und der Praxisforschung, sodass ein Fundament für aufbauende Forschungsarbeiten geschaffen wird.

1.2 Methode und Aufbau

Nachfolgend wird eine Definition des Begriffs „Digitale Kompetenz“ vorgenommen (Abschn. 2.1). Zur Identifizierung beeinflussender Faktoren bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen wird anschließend ein Literaturreview durchgeführt und durch deduktive Kategorienbildung Kategorien abgeleitet, denen sich diese Faktoren eindeutig zuordnen lassen (Abschn. 2.2). Unabhängig vom Beitrag wurden im Rahmen des Digitalen FortschrittHubs „Medical Informatics Hub for Saxony“, kurz MiHUBx (Abschn. 3.1), zwei verschiedene quantitativen Befragungen durchgeführt, die sich in Teilen mit notwendigen digitalen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Patienten im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien und -dienstleistungen befassen. Vor dem Hintergrund dieser Anwendungsfälle wird eine Multi-Case-Studie durchgeführt, wobei die zuvor ermittelten Kategorien zur Strukturierung der Ergebnisse herangezogen werden (Abschn. 3.2 und 3.3). Dies ermöglicht eine Gegenüberstellung der Erkenntnisse aus Literaturreview und Praxisforschung (Abschn. 4.1). Auf Grundlage dessen werden Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen an Patienten abgeleitet (Abschn. 4.2). Eine Diskussion (Abschn. 5) sowie ein Fazit und Ausblick (Abschn. 6) schließen den Beitrag ab.

2 Der Weg zur digitalen Kompetenz: Ein Überblick über aktuelle Erkenntnisse

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen wird es erforderlich, sich mit den notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Akteure, die eine sichere und effiziente Nutzung dieser digitalen Technologien ermöglichen sollen, auseinanderzusetzen. Dazu wird nachfolgend der Begriff „Digitale Kompetenzen“ literaturgestützt eingeführt und definiert. Anschließend wird ein Literaturreview zur Identifikation beeinflussender Faktoren durchgeführt und dessen Ergebnisse vorgestellt. Aufbauend darauf lassen sich weiterführende Untersuchungen, wie die Multi-Case-Studie (Abschn. 3), durchführen.

2.1 Digitale Kompetenzen

Der Nutzung digitaler Technologien in der Medizin sollte eine grundlegende und aktive Auseinandersetzung mit Kernthemen der Digitalisierung vorausgehen. Noch fehlt es an flächendeckenden Konzepten zur Ermittlung und Vermittlung notwendiger digitaler Kompetenzen, sowohl in der Ärzteschaft als auch für Patienten (Kuhn et al. 2018). Eine einheitliche Definition von Lernzielinhalten wird durch die heterogene wissenschaftliche Terminologie diesbezüglich leider erschwert. Eines der am häufigsten verwendeten Konzepte ist der Europäische Referenzrahmen für digitale Kompetenzen (DigComp), welcher definiert: „Digitale Kompetenz umfasst die sichere, kritische und verantwortungsvolle Nutzung von und Auseinandersetzung mit digitalen Technologien für die allgemeine und berufliche Bildung, die Arbeit und die Teilhabe an der Gesellschaft. Sie erstreckt sich auf Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Zusammenarbeit, Medienkompetenz, die Erstellung digitaler Inhalte (einschließlich Programmieren), Sicherheit (einschließlich digitalem Wohlergehen und Kompetenzen in Verbindung mit Cybersicherheit), Urheberrechtsfragen, Problemlösung und kritisches Denken“ (Directorate-General for Education 2019). Sorko und Irsa (2019) verstehen wiederum „unter dem Begriff der digitalen Kompetenz all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten […], die zur erfolgreichen Erfüllung der neuen Anforderungen im Zuge der Digitalisierung notwendig werden“. Sie sprechen „von einer inhaltsorientierten Einordnung. Demnach umfasst der Begriff spezifische digitale Fach‑, Methoden‑, Sozial- und persönliche Kompetenzen“ (Sorko und Irsa 2019). Laut diesem Ansatz spielen im Kontext der digitalen Kompetenz neben technischen Fähigkeiten und Fachwissen auch sogenannte Soft Skills eine entscheidende Rolle. Hierunter fallen unter anderem Empathie, kritisches Denken und zwischenmenschliche Kompetenzen (Konstantinidis et al. 2022).
Ausgehend von dieser Betrachtung der digitalen Kompetenz sind nach Einschätzung der Autoren u. a. folgende spezifische Fähigkeiten vorteilhaft: (i) sich der zunehmenden Bedeutung von medizinischen Daten für das eigene Handeln, und für die ärztliche Behandlung, bewusst sein, (ii) medizinische Daten „lesen“ können („Data Literacy“) als Voraussetzung für einen kritischen, planvollen und kontextspezifischen Umgang damit, (iii) um Daten- und IT-Sicherheit wissen, (iv) die eigene Haltung zur digitalen Medizin reflektieren, (v) die Funktionsweise digitaler Technologien (inklusive KI) grob nachvollziehen können und (vi) praktische Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Technologien beherrschen.
Um die erforderlichen digitalen Kompetenzen in der Gesundheitsversorgung zielgerichtet zu fördern, ist es unerlässlich, zunächst die vorhandenen Fähigkeiten der Patienten im Zusammenhang mit digitalen Gesundheitstechnologien zu ermitteln. Dabei müssen individuelle Perspektiven, Herausforderungen, Bedenken und Erfahrungen bei der Nutzung digitaler Gesundheitsdienste berücksichtigt werden. Dies erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl auf technische als auch soziale Aspekte einschließt.

2.1.1 Literaturreview

Zunächst wurden durch ein Literaturreview allgemeine Barrieren und förderliche Faktoren für den Einsatz von digitalen Technologien in der Versorgung ermittelt. Mit dem dafür entwickelten Suchstring (siehe Anhang) wurden im Juli 2023 in der Datenbank Pubmed insgesamt 36 Treffer erzielt. Das Titel‑/Abstract-Screening wurde von zwei unabhängigen Reviewern durchgeführt. Im ersten Screening konnten 20 passende Paper identifiziert werden. Eingeschlossen wurden Studien, die sich auf digitale Technologien in der Gesundheitsversorgung bezogen und die Sicht von Patienten wiedergaben. Im anschließenden Volltext-Screening wurden insgesamt 14 geeignete Forschungsarbeiten identifiziert (Anhang, Tab. 2). Im nächsten Schritt wurden die relevanten Informationen aus den ausgewählten Forschungsarbeiten systematisch extrahiert. Hierzu gehörten die Untersuchungsmerkmale und -Methodik sowie die gefundenen Barrieren und förderlichen Faktoren für die Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien. Die identifizierten Aspekte wurden anhand einer deduktiven Kategorienbildung zu insgesamt 12 Kategorien zusammengefasst (Anhang, Tab. 3). Aufgrund der Verwandtschaft einiger Kategorien zueinander ließen sich vier Überkategorien (sogenannte „Kerndimensionen“) ableiten und die zuvor gebildeten Kategorien diesen jeweils eindeutig zuordnen. Die Kerndimensionen, als Ergebnis des Literaturreviews, werden nachfolgend zusammengefasst vorgestellt.
Technologisch beeinflussende Faktoren – Folgende technologische Faktoren (Technology related) haben einen Einfluss auf die Nutzung digitaler medizinischer Angebote: Erfahrung, Computerkenntnisse, Zugang zu Technologie und Internet und Benutzerfreundlichkeit der digitalen Technologien und die Thematik Datenschutz.
Patientenbeeinflussende Faktoren – Im Bereich der patientenbeeinflussenden Faktoren (Patient related) wurden folgende Barrieren identifiziert: Begrenzte Gesundheitskompetenz, geringes Interesse, negative Einstellungen und die Präferenz für persönlichen Kontakt. Faktoren, welche die Nutzung positiv beeinflussen, sind eine regelmäßige Internetnutzung mit Interesse an Gesundheitsthemen, das Bewusstsein für individuelle Gesundheitsprobleme sowie das Vorhandensein einer Nutzungsbereitschaft und -absicht.
Organisatorisch beeinflussende Faktoren – Als organisatorisch beeinflussende Faktoren (Organizational related) wurden vor allem Kommunikationsdefizite als Barrieren festgestellt. Im Gegensatz dazu unterstützen die Ermutigung der Patienten durch medizinische Dienstleister, umfassende Informationen über den digitalen Service, angemessene politische Strategien zur Anpassung von Praxisabläufen und die Bereitstellung von Unterstützungsmöglichkeiten eine Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien.
Sozial beeinflussende Faktoren – Als sozial beeinflussende Faktoren (social related) wurden u. a. die Verfügbarkeit sozialer Unterstützung sowie die bisherigen Erfahrungen mit der Behandlungskommunikation identifiziert.

3 Multi-Case-Studie

Da in MiHUBx das Thema Technologieakzeptanz und -nutzung seitens der Patienten sowie digitale Kompetenzen Kerninhalte in voneinander unabhängigen Arbeitspaketen sind, wurde für diese Forschungsarbeit eine Multi-Case-Studie gewählt. In einer Multi-Case-Studie werden mehrere Fälle untersucht, um eine bestimmte Forschungsfrage noch besser beantworten zu können (Hunziker und Blankenagel 2021), indem verschiedene Perspektiven und Erfahrungen zugeordnet und analysiert werden (Priya 2021). Durch die Zuordnung der Ergebnisse der Fallstudien zu den Kerndimensionen digitaler Kompetenzen (Abschn. 2.2), wird eine Gegenüberstellung von ermittelten Einflussfaktoren auf digitale Kompetenzen aus der Literatur mit denen der Multi-Case-Studie ermöglicht.

3.1 Der Medical Informatics Hub for Saxony

MiHUBx ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Digitaler FortschrittsHub Gesundheit1, mit dem Ziel, regionale Leistungserbringer stärker zu vernetzen und eine nachhaltige digitale Infrastruktur für die vernetzte Forschung und Versorgung zu schaffen. Dafür werden u. a. eine nachhaltige Partizipation von Patienten sowie die Stärkung ihrer digitalen Kompetenzen angestrebt. Im Folgenden werden zwei im Rahmen von MiHUBx durchgeführte Fallstudien vorgestellt, in denen Bedarfe von Patienten bzgl. der digitalen Gesundheitsversorgung ermittelt wurden.

3.2 Fallstudie I: Nutzung und Akzeptanz digitalisierter Gesundheitsversorgung

3.2.1 Hintergrund

Diese Fallstudie fokussiert die Sicherstellung der Akzeptanz der innerhalb des MiHUBx-Projektes entwickelten digitalen Lösungen, die unter anderem den Datenaustausch zwischen verschiedenen Gesundheits- und Forschungseinrichtungen ermöglichen soll. Als potenzielle Datenspendende für die medizinische Forschung kommt den Patienten hierbei eine tragende Rolle zu. Sie sollten daher ein Grundverständnis davon besitzen, inwiefern und wofür ihre Daten genutzt werden. Um eine Akzeptanz der entstehenden MiHUBx-Technologien zu erreichen, müssen bei deren Entwicklung die verschiedenen Kerndimensionen (Abschn. 2.2) betrachtet werden. So kann eine zweckentsprechende Datennutzung ermöglicht und die technischen Entwicklungen im Rahmen des MiHUBx-Projektes an die Bedürfnisse aller Stakeholder angepasst werden.

3.2.2 Befragung zur digitalisierten Gesundheitsversorgung

Die Onlinebefragung sollte die Akzeptanz digitaler Lösungen in der Gesundheitsversorgung erheben und mögliche Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für deren Entwicklung im Rahmen des MiHUBx-Projektes ableiten. Der Fokus lag v. a. auf Bedenken, Herausforderungen und Hemmnissen von Patienten hinsichtlich einer digitalisierten Gesundheitsversorgung. Eingeschlossen wurden Befragte, die mindestens 18 Jahre alt sind und mindestens einmal in ärztlicher Behandlung vorstellig waren. Erreicht wurden die Befragten über die Webseiten und Newsletter von Patientenvertretungen in Deutschland.
Die Untersuchung verfolgte einen quantitativen Forschungsansatz. Der konzipierte Fragebogen wurde im Anschluss an einen Pretest mit dem Online-Befragungs-Tool SoSci-Survey in eine elektronische Version überführt. Der Fragebogen fokussierte sieben Themenbereiche (Akzeptanz gegenüber MiHUBx, Leistungserwartungen zu digitalen Anwendungen, Erfahrung mit digitaler Gesundheitsversorgung, Wünsche an digitale Gesundheitsversorgung, Kommunikation, Technikaffinität und eigene Gesundheitskompetenz) mittels insgesamt 24 Fragen. Insgesamt füllten 49 Personen den Fragebogen im Zeitraum von Anfang Oktober 2022 bis Ende November 2022 vollständig aus.

3.2.3 Ergebnisse der Studie

Technologisch beeinflussende Faktoren
Nach der Einstellung zu verschiedenen digitalen Angeboten im Gesundheitswesen gefragt, gaben die Patienten an, positiv (absolut positiv/positiv) gegenüber einer elektronischen Behandlungsakte, Apps im medizinischen Kontext und gegenüber Videosprechstunden eingestellt zu sein. Patienten schätzen demnach die Akzeptanz gegenüber digitalisierten Angeboten als hoch ein. Hinsichtlich ihrer Erfahrung mit digitalen Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung gaben die Befragten an, die meiste Erfahrung mit einer digitalen Terminerinnerung (per E‑Mail oder SMS) gemacht zu haben. Mehr als die Hälfte der Befragten hat diese Möglichkeit bereits genutzt. Eine digitale Sprechstunde nahmen die Befragten weitaus weniger in Anspruch. Eine digitale Onlinebescheinigung bei einer Krankenkasse hat hingegen bereits jeder dritte Patient bereits genutzt. Jeder zehnte Befragte gab an, bereits ein digitales Attest erworben zu haben. In einer Onlineapotheke hat fast jeder zweite Befragte schon eingekauft. Hier zeigt sich, dass bereits etablierte digitalisierte Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung häufiger genutzt und angenommen werden.
Grundsätzlich gaben die Befragten an, ihre Daten der Forschung zur Verfügung stellen zu wollen, sofern es die Versorgung verbessert. Das grundsätzliche Interesse daran, Daten zu spenden, besteht. Allerdings wird dieses durch die Sorge vor möglichen Hackerangriffen und durch Unsicherheit bei der Datenweitergabe eingeschränkt. Es wird befürchtet, anonymisierte Daten könnten entschlüsselt und zum Nachteil der Patienten an Dritte weitergegeben werden.
Patientenbeeinflussende Faktoren
Fast alle Befragten haben Erfahrung in der Recherche nach Gesundheitsinformationen im Internet. Mehr als jede zweite befragte Person gibt in diesem Rahmen an, einen starken Wunsch nach einer digitalen Gesundheitsversorgung zu haben.
Organisatorisch beeinflussende Faktoren
Ein besonderer Fokus der Befragung lag auf der Kommunikationsmöglichkeit mit den Patienten. Bereits im Vorfeld der Evaluation zeigte sich, dass Patienten ungern den persönlichen Kontakt mit dem medizinischen Personal durch digitalisierte Medizin verlieren möchten. Es wurden sieben verschiedene Möglichkeiten für eine Kommunikation mit dem medizinischen (Fach‑) Personal evaluiert. Hierbei wurde darauf geachtet, diverse analoge und digitale Kommunikationswege aufzuführen, um ein möglichst praxisnahes Bild zu erhalten. Es zeigt sich, dass für verschiedene Themenfelder verschiedene Kommunikationsmittel favorisiert werden. Für die Vereinbarung von Notfall- und Akutterminen favorisierten die Befragten das Telefon. Zur Vereinbarung von Folgeterminen würden sich die Befragten den persönlichen Weg, den telefonischen Weg, die Vereinbarung per E‑Mail oder über die Internetseite der Praxis wünschen. Die Kommunikation zu Vorsorgeuntersuchungen würden die Patienten per Telefon, per Internetseite der Praxis und per E‑Mail bevorzugen. Geht es um ihre Diagnostik- und Laborbefunden würden sie Information hierzu am liebsten per E‑Mail oder per Telefon erhalten. Eine Rezeptausstellung würden die Befragten gern per Telefon, per E‑Mail oder per Internetseite der Praxis anfordern können. Die Klärung von Nachfragen zu einer Medikation sollte am liebsten per Telefon oder per E‑Mail erfolgen.

3.3 Fallstudie II: Nutzen und Akzeptanz in der personalisierten Onkologie

3.3.1 Hintergrund

Die zweite Fallstudie ging aus dem MiHUBx-Use Case „Digitale Workflow-Integration in der personalisierten Onkologie“ hervor. Der Use Case verfolgt das Ziel, das Nationale Zentrum für Tumorerkrankungen Dresden, niedergelassene Onkologen und Patienten im Rahmen von Programmen zur personalisierten Onkologie mittels digitaler Technologien miteinander zu vernetzen. Bei den Patienten handelt es sich um Personen mit der Diagnose einer seltenen Krebserkrankung und einem schweren Krankheitsverlauf, bei denen durch die leitliniengerechte Therapie keine Stabilisierung oder Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes mehr erzielt werden kann. Diesen Patienten wird nach einer vorausgehenden Analytik eine individuelle Therapie angeboten. Um den damit einhergehenden Ablauf transparenter zu gestalten und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, aktiver in den Informationsfluss eingebunden zu sein, wird ein Patientenportal entwickelt.

3.3.2 Befragung der onkologischen Patienten

Die quantitative Befragung diente der Anforderungserhebung zu den Vorstellungen und Wünschen an das Patientenportal. Darüber wurden Aspekte der digitalen Kompetenz sowie die Nutzungshäufigkeit digitaler Technologien, die Nutzung von Formen der digitalen Gesundheitsversorgung und die Bereitschaft zur Datenbereitstellung und -nutzung erfragt.
Die Befragung der Patienten wurde im Zeitraum von September 2022 bis April 2023 im Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen Dresden durchgeführt. Nach Abschluss der Befragung wurden die in Papierform ausgefüllten Fragebögen digitalisiert. An der Befragung nahmen 22 Patienten teil.
Technologisch beeinflussende Faktoren
Ein Großteil der Befragten gab an, täglich digitale Technologien (z. B. Computer, Apps, Smartphone/Tablet) einzusetzen, wobei eine befragte Person digitale Technologien überhaupt nicht nutzt.
Gefragt zum Sicherheitsgefühl im Umgang mit digitalen Technologien der Gesundheitsversorgung (z. B. Gesundheits-Apps) fühlte sich jeder dritte Befragte sicher und etwas weniger als die Hälfte der Befragten weder sicher noch unsicher. Nur ein kleiner Teil der Befragten fühlte sich unsicher oder gar nicht sicher.
Ein Befragungsschwerpunkt befasste sich mit der Datenbereitstellung und -nutzung zu Forschungszwecken. Danach sind nahezu alle befragten Patienten grundsätzlich dazu bereit, ihre Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Nur eine befragte Person war sich dessen unsicher und hatte Bedenken hinsichtlich des Missbrauchs ihrer Daten. Als wichtigste Bedingung zur Bereitstellung ihrer Daten nannten die Befragten, dass die Daten nach gesetzlichen Vorgaben geschützt werden und dass die Datenbereitstellung die persönliche Behandlung direkt unterstützt. Weiterhin sollten nach Ansicht von zwei Drittel der Befragten die Daten nur nach erfolgter Zustimmung für die weitere Forschung genutzt werden. Aus persönlichem Interesse am Forschungsthema würden hingegen fast ein Drittel der Befragten Daten bereitstellen und drei Befragte wären interessiert daran, welche Forschungsprojekte auf ihre Daten zugreifen.
Patientenbeeinflussende Faktoren
Zudem wurden die Patienten befragt, in welchen Bereichen sie Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien sammeln konnten. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gab an, im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Apps (z. B. CovPass) eingesetzt zu haben. Bezogen auf die eigene Fitness verwendeten etwa ein Drittel der Patienten eine entsprechende Gesundheits-App. Ungefähr ein Viertel der Befragten gab an, eine App zur Kommunikation mit der Krankenkasse einzusetzen. Zusammengenommen nutzten circa ein Drittel der Befragten Gesundheits-Apps aus den Bereichen Gesundheitsinformationen und Ernährung. Nur eine befragte Person gab als sonstige Antwort die Nutzung eines Patientenportals an.
Zusätzlich wurde auch nach bisherigen Erfahrungen mit bestimmten Formen der digitalen Gesundheitsversorgung gefragt. Demnach hat nahezu jede dritte befragte Person bereits die Terminerinnerung (z. B. per E‑Mail) für einen Besuch bei Ärzten genutzt sowie Medikamente über eine Online-Apotheke bestellt. Jede vierte befragte Person hat bereits eine Bescheinigung ihrer Krankenkasse über ein Onlineportal erhalten oder einen Termin für einen Besuch bei Ärzten online (z. B. per Internet oder E‑Mail) vereinbart. Knapp ein Viertel der Befragten konnte bisher noch keine Erfahrungen mit den abgefragten Formen der digitalen Gesundheitsversorgung sammeln.

4 Synthese der Studienergebnisse im Multi-Case-Studiendesign

Die Ergebnisse des Literaturreviews (Abschn. 2.2) und der Fallstudien (Abschn. 3.2 und 3.3) zeigen, dass die Nutzung digitaler Technologien in der Gesundheitsversorgung durch Patienten von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Nachfolgend werden die Ergebnisse in den zuvor ermittelten Kerndimensionen (Abschn. 2.2) verglichen und Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen abgeleitet.

4.1 Vergleich und Synthese

Die Fallstudien lassen praxisbezogene Erkenntnisse zu, erweitert durch die Ergebnisse des Literaturreviews. In Tab. 1 werden die Einflussfaktoren auf digitale Kompetenzen, die aus den Ergebnissen extrahiert wurden und den Kerndimensionen zugeordnet sind, gegenübergestellt, um gemeinsame und separate Faktoren hervorzuheben.
Tab. 1
Extrahierte Einflussfaktoren auf digitale Kompetenzen von Patienten, unterteilt in methodenübergreifend übereinstimmend identifizierte Faktoren (blau) und je Methode separat identifizierte Faktoren
Dimension/Kategorie
Gemeinsame Faktoren der Fallstudien und dem Literaturreview zusammengefasst
Separate Faktoren aus dem Literaturreview
Separate Faktoren aus den quantitativen Befragungen
Technologisch beeinflussende Faktoren
Ängste organisatorischer und regulatorischer Natur (Datenschutz)
Technikaffinität
Subjektiver Nutzen für Patienten
Zugang zu Technologie, Internet
Nutzerzentriertes Design,
Zugang zu Technologie und Internet
Sicherheit im Umgang mit der Technologie
Patientenbeeinflussende Faktoren
Bedenken hinsichtlich fehlender Kommunikation, ausbleibendem persönlichen Bezug und Kontakt zu medizinischem Personal
Gesundheitskompetenz
Gesundheitliche Selbstwahrnehmung
Internetnutzung mit Gesundheitsinteresse
Interesse, Motivation, Nutzungsabsicht
Digitale Kompetenzen im Bereich Ethik, Datenschutz, rechtliche Faktoren
Organisatorisch beeinflussende Faktoren
Strategien zur Kommunikation der Innovationen
Zufriedenheit mit der aktuellen Kommunikation (persönlich, telefonisch, per E‑Mail)
Ermutigung der Patienten durch Anbieter
Unterstützungsangebote für Nutzer
Anpassung klinischer Prozesse
Nutzen der „Datenspeicherung“ sind bekannt
Persönliche Vorteile bei Datenspenden
Erleichterung bürokratischer Prozesse
Soziale Einflussfaktoren
Hilfe durch Anbieter und Angehörige reduzieren Unsicherheiten
Erfahrungen mit der medizinischen Einrichtung
Bei Betrachtung der technologischen Einflussfaktoren wurde deutlich, dass die befragten Patienten generell positiv gegenüber digitalen Technologien eingestellt waren und Erfahrung im Alltag sammelten, was mit einer höheren Technikaffinität einherging. Alle Studien eint, dass Datenschutzbedenken und Sicherheitsaspekte grundsätzliche Faktoren darstellten, die das subjektive Sicherheitsgefühl der Befragten beeinträchtigen. Die Literatur ergänzt hier die Relevanz der Nutzerfreundlichkeit (Usability), um digitale Lösungen erfolgreich zu etablieren.
Innerhalb der patientenbezogenen Einflussfaktoren zeigten sich Übereinstimmungen der Analysen. Der Wunsch nach digitalen Gesundheitsinformationen konnte als ein förderlicher Faktor für ein Nutzungsinteresse bei Patienten identifiziert werden. Dieses Interesse wurde jedoch auch vom Anwendungssetting beeinflusst, was beide quantitativen Studien zeigten. So wurde in akuten oder kommunikationsintensiven Anwendungsfällen (Notfälle o. a.) eher der persönliche Kontakt bevorzugt. Für planbare Anwendungsfälle, wie Vorsorgetermine, waren für die Patienten auch digitale Kommunikationswege denkbar. Der persönliche Kontakt zum medizinischen Personal war jedoch der Mehrheit der Patienten wichtig.
Bezüglich der organisatorischen Einflussfaktoren zeigte sich die Wichtigkeit einer klaren Patienten-Arzt-Kommunikation u. a. zur Datennutzung. So ist die Akzeptanz von digitalen Lösungen in dieser Dimension mit dem – vorrangig durch die Behandler vermittelten – Verständnis der verbundenen Vorteile und der Nutzenwahrnehmung der Patienten verbunden. Die Gestaltung von klinischen Prozessen rund um die Technologie spielte ebenfalls eine wichtige Rolle.
Die Ergebnisse hinsichtlich der sozialen Einflussfaktoren fielen bei der Untersuchung heterogener aus. Während das Literaturreview auf die förderliche Wirkung der Unterstützung durch Anbieter und Familienmitglieder als ein soziales Unterstützungsnetzwerk hinwies, lieferten die quantitativen Befragungen dahingehend keine Erkenntnisse. Grund hierfür war die projektspezifische Ausrichtung der Befragungen.
Die Studien zeigten, dass digitale Kompetenzen im Bereich der digitalisierten Gesundheitsversorgung nicht nur technisches Know-how umfassen, sondern auch ein Verständnis für den tatsächlichen Nutzen digitaler Gesundheitstechnologien. Kenntnisse zum Thema Datenschutz, die Fähigkeit zur kritischen Informationsbewertung und zur effektiven digitalen Kommunikation gehören ebenfalls dazu. Dies impliziert, dass auch Soft Skills wie Kommunikation, kritisches Denken, eine offene Haltung und Empathie sowohl bei Patienten als auch bei medizinischem Personal eine besondere Rolle zukommt, um den dargestellten Barrieren zu begegnen (Konstantinidis et al. 2022).

4.2 Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen

Die Ergebnisse betten die Einflussfaktoren der Ausprägung notwendiger digitaler Kompetenzen in die dynamische digitale Transformation im Gesundheitswesen ein. So zeigt sich der Spagat zwischen Schlüsselaspekten wie Vertrauen, Sicherheit und Interesse, aber auch der Kommunikation und Interaktion mit den medizinischen Behandlern. Die Ergebnisse tragen dazu bei Handlungsempfehlungen speziell für das Projekt MiHUBx als auch generalistisch nutzbar abzuleiten.

4.2.1 Technische Faktoren

Während digitale Anwendungen immer stärker Einzug in unser Leben halten, stellen Datenschutzbedenken eine grundlegende Barriere für deren Nutzung dar. Die Befürchtung eines Datenmissbrauchs oder -diebstahls und damit einhergehend die Offenlegung der eigenen Erkrankung gegenüber Dritten kann bei Patienten Schamgefühle sowie die Angst vor Stigmatisierung hervorrufen. Gleichzeitig existiert der Wunsch, dass Datenspenden der eigenen Behandlung zuträglich sind. Dies betont die Bedeutung einer transparenten Kommunikation der Datenschutzregelungen, deren Gewährleistung und des Zwecks freiwilliger Datenspenden. Diese Inhalte sollten Patienten sowie medizinischen Fachkräften niedrigschwellig zugänglich gemacht werden. Da es sich hier um ein sehr sensibles Thema handelt, benötigt die Ansprache ein entsprechendes Wording, weshalb der Einbezug von Patientenvertretern obligatorisch sein sollte.

4.2.2 Patientenindividuelle Faktoren

Ein weiterer Hauptaspekt ist die eigentliche Komplexität der digitalen Kompetenz von Patienten, die sich aus vielen unterschiedlichen Facetten zusammensetzt. Eine interdisziplinäre Herangehensweise, die alle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, ist unerlässlich. Dabei sollte die individuelle Betreuung und maßgeschneiderte Ansprache der Patienten im Fokus stehen, um Ängste und Bedenken hinsichtlich der Verwendung digitaler Technologien im Gesundheitskontext abzubauen. So können Schulungen der medizinischen Fachkräfte als Vertrauenspersonen in der Vermittlung der nötigen Fähigkeiten für Patienten, aber auch die niedrigschwellige Erreichbarkeit von technischem Support in Verbindung mit entsprechenden Schulungsveranstaltungen ein geeignetes Mittel darstellen.

4.2.3 Organisatorische Faktoren

Geeignete Förderprogramme mit konkreten Inhalten sollten vor allem die Vermittlung der Relevanz der digitalen Technologie an die medizinischen Fachkräfte sicherstellen, um die intrinsische Motivation für die Anwendung der Technologie aber auch für die Unterstützung der Patienten zu fördern. Zudem kann die organisatorische Umgestaltung der Praxisprozesse, wie die Überführung analoger Prozesse in digitale Prozesse, die Verwendung der digitalen Technologien nachhaltig etablieren. Die Ergebnisse legen außerdem nahe, dass die aktive Partizipation der Patienten bei der Entwicklung digitaler Technologien die Chance bietet, die Systeme stärker an den speziellen Bedürfnissen der jeweiligen Population auszurichten und bedarfsgerechte und anpassbare Lösungen hervorzubringen.

4.2.4 Soziale Faktoren

Die gezielte Förderung der sozialen Interaktion mit dem Behandelnden oder Angehörigen kann dazu beitragen, Ängste und Bedenken abzubauen. Hier lohnt es sich, digitale Kommunikationsdienste mit verschiedenen Optionen (wie Chatfunktion und Video-Calls) auszustatten, welche diesem Bedürfnis gerecht werden.

5 Diskussion

Die durchgeführte Multi-Case-Studie zeigt die Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren im Umgang mit digitalen Technologien und digitalen Kompetenzen in der Gesundheitsversorgung. Sie verdeutlicht zudem die Notwendigkeit, diese Kompetenzen gezielt aufzubauen.
Die Frage nach den Einflussfaktoren auf die Hemmnisse des aktiven und informierten Agierens von Patienten, sowie deren Auswirkungen auf die digitale Kompetenz, stand im Zentrum dieser Forschungsarbeit. So zeigen die Ergebnisse, wie essenziell Soft Skills wie Kommunikation, kritisches Denken und Empathie für medizinisches Personal und Patienten sind, um Unsicherheiten und Bedenken, insbesondere im Bereich Datenschutz, effektiv zu adressieren. Neben der Kommunikation zeigt sich aber auch die Bereitstellung von technischem Support und die Förderung intrinsischer Motivation bei medizinischem Personal als wichtigen Treiber für die Akzeptanz neuer digitaler Technologien. Auch der Bedienbarkeit und den Funktionalitäten digitaler Technologien kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu.
Die Fallstudien bieten eine grundlegende mehrdimensionale Übersicht über Einflussfaktoren auf digitale Kompetenzen von Patienten. Eine detailliertere Einzelbetrachtung der Studien und fortgeführte qualitative Ansätze könnten die hier dargestellten Ergebnisse untermauern und tiefergehende Einsichten ermöglichen. Die gewählte Methode weist Einschränkungen auf, die die Aussagekraft und Generalisierbarkeit der abgeleiteten Empfehlungen beeinflussen können. Beispielsweise ließe sich der entwickelte Suchstring breiter fassen, indem die Beschränkungen auf ausgewählte Aspekte der Gesundheitsdomäne aufgehoben würden, um so weitere Faktoren zu identifizieren und Kategorien abzuleiten. Ebenso ließe sich die Suche auf weitere Datenbanken ausweiten, um die Perspektiven weiterer Domänen (z. B. Fitness-Domäne) einzubeziehen. Andererseits könnten Experten- oder Fokusgruppen-Interviews (z. B. mit Domänenexperten oder Patientenvertretungen) durchgeführt werden, um gezieltere und fundiertere Erkenntnisse zu beeinflussenden Faktoren bzw. zur Vermittlung digitaler Kompetenzen zu erlangen.
Mit Bezug zu den Fallstudien ist insbesondere die geringe Teilnehmerzahl der Online-Befragung sowie der Kontext des MiHUBx-Projektes bedeutsam. Dies kann zu einer Konzentration auf eine spezifische Zielgruppe, in diesem Fall Patienten bestimmter Vertretungsvereine oder onkologischer Patienten, geführt haben. Zudem wurden in den einzelnen Fallstudien andere projektrelevante Themen abgefragt, was dazu führte, dass nicht alle Kerndimensionen ausreichend detailliert betrachtet werden konnten.
Die Relevanz des Themenbereichs zeigt sich auch in anderen sich durch die Digitalisierung verändernden Bereichen wie beispielsweise auf europäischer Ebene durch das DigComp – The Digital Competence Framework for Citizens (Joint Research Centre (European Commission) et al. 2022). Das DigComp als konzeptuelles Referenzmodell fokussiert den Umgang mit digitalen Technologien und die benötigten Fähigkeiten in unterschiedlichen Kompetenzbereichen. Im Kompetenzbereich Sicherheit wird Bezug zum Gesundheitsschutz und Wohlbefinden genommen, jedoch finden die über das Literaturreview abgeleiteten patientenindividuellen und sozialen Faktoren hier wenig Berücksichtigung. Erste Schritte können hierbei eine von vornherein auf die digitale Kompetenzstärkung und das ermittelte Basisniveau digitaler Kompetenz ausgerichtete Kommunikation sowie geeignete Informations- und Schulungsformate sein. Diese könnten sich ebenfalls förderlich auf die Akzeptanz und Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien auswirken (Joint Research Centre (European Commission) et al. 2022).

6 Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse dieser Multi-Case-Studie bieten reichlich Weiterentwicklungspotenzial und eine Erforschung der Wirksamkeit der darin skizzierten, an die speziellen Bedürfnisse der Patienten angepassten Empfehlungen.
So zeigen sich verschiedene Implikationen für verschiedene am Gesundheitsprozess beteiligte Stakeholder. Für Gesundheitseinrichtungen wird deutlich, dass die digitale Kompetenzförderung als zentraler Bestandteil für die Akzeptanz und Nutzung der Technologien und die Gesundheitsqualität verstanden werden sollte. In Bezug auf das medizinische Personal betonen die Ergebnisse die Dringlichkeit gezielter Fortbildungen, um eine geeignete und kompetente Unterstützung für Patienten im Umgang mit digitalen Technologien zu gewährleisten.
Für Forscher bieten sich wichtige Anhaltspunkte für zukünftige Forschungsrichtungen, um die Effektivität der digitalen Transformation im Gesundheitswesen weiter vorantreiben, welche sich in den Empfehlungen widerspiegeln.
Bei Patienten bilden digitale Kompetenzen eine potenziell langfristige Auswirkung auf deren Gesundheit, indem neue Versorgungsmöglichkeiten und die Weiterentwicklung von digitalisierten Behandlungen erschlossen werden können. Genau diese teils unbekannten Auswirkungen nehmen nicht nur Einfluss auf die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch auf das gesamte entstehende Netzwerk von Nutzern.
Abschließend muss noch einmal die bedeutende Rolle einer ausreichenden Aufklärung und Vermittlung über ergriffene Datenschutzmaßnahmen um den Nutzen der digitalen Technologie hervorgehoben werden. Die Erfahrungen aus den Fallstudien zeigen sehr deutlichen das sowohl das Interesse und als auch den Wunsch an einer digitalen Versorgung besteht, jedoch Datenschutzbedenken ein starkes Hemmnis darstellen. Zukünftige Ansätze sollten, neben einer ausreichenden und adressatengerechten Aufklärung, zusätzlich den Wunsch nach persönlicher Betreuung der Patienten durch medizinische Fachkräfte berücksichtigen.
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Anhang

Für das in Abschn. 2.2 beschriebene Literaturreview wurde folgender Suchstring entwickelt und angewendet:
((accept*[Title] OR adopt*[Title]) AND (facilitat*[Title/Abstract] OR barrier*[Title/Abstract] OR challeng*[Title/Abstract] OR enabl*[Title/Abstract] OR promot*[Title/Abstract]) AND (″digital health″[Title/Abstract] OR patient portal[Title/Abstract] OR app[Title/Abstract]) AND (english[Filter] OR german[Filter]) AND (2013:2023[pdat])) AND (patient portal*[Title/Abstract])
Tab. 2
Übersicht der verwendeten Quellen, anhand der angegebenen Nummerierung in der Tabelle
Nr
Quelle
1
Portz, J.D. et al. (2019) ‘Using the Technology Acceptance Model to Explore User Experience, Intent to Use, and Use Behavior of a Patient Portal Among Older Adults With Multiple Chronic Conditions: Descriptive Qualitative Study’. J Med Internet Res 21, e11604. https://​doi.​org/​10.​2196/​11604
2
Wildenbos, G.A., Peute, L. and Jaspers, M. (2017) ‘Facilitators and Barriers of Electronic Health Record Patient Portal Adoption by Older Adults: A Literature Study’, Informatics for Health: Connected Citizen-Led Wellness and Population Health. IOS Press, pp. 308–312. https://​doi.​org/​10.​3233/​978-1-61499-753-5-308
3
O’Connor, D. et al. (2022) ‘Acceptability and usability of a patient portal for men with prostate cancer in follow-up care’. Front Digit Health 4, 1045445. https://​doi.​org/​10.​3389/​fdgth.​2022.​1045445
4
Matthews, E.B. et al. (2022) ‘Acceptability of Health Information Exchange and Patient Portal Use in Depression Care Among Underrepresented Patients’. J Gen Intern Med 37, 3947–3955. https://​doi.​org/​10.​1007/​s11606-022-07427-2
5
Dalrymple, P.W. et al. (2018) ‘Understanding Internet access and use to facilitate patient portal adoption’. Health Informatics J 24, 368–378. https://​doi.​org/​10.​1177/​1460458216675497​
7
Leb, I. et al. (2021) ‘Patient Portals: Objectives, Acceptance, and Effects on Health Outcome—A Scoping Review of Reviews’, German Medical Data Sciences 2021: Digital Medicine: Recognize—Understand—Heal. IOS Press, pp. 194–201. https://​doi.​org/​10.​3233/​SHTI210560
8
Hägglund, M., Blease, C. and Scandurra, I. (2020) ‘Mobile Access and Adoption of the Swedish National Patient Portal’, Integrated Citizen Centered Digital Health and Social Care. IOS Press, pp. 82–86. https://​doi.​org/​10.​3233/​SHTI200699
9
Hulter, P. et al. (2020) ‘Adopting Patient Portals in Hospitals: Qualitative Study’. J Med Internet Res 22, e16921. https://​doi.​org/​10.​2196/​16921
10
Tavares, J. and Oliveira, T. (2016) ‘Electronic Health Record Patient Portal Adoption by Health Care Consumers: An Acceptance Model and Survey’. J Med Internet Res 18, e49. https://​doi.​org/​10.​2196/​jmir.​5069
13
Eschler, J. et al. (2016) ‘Integrating the patient portal into the health management work ecosystem: user acceptance of a novel prototype’. AMIA Annual Symposium Proceedings 2016, 541
21
Aljabri, D. et al. (2018) ‘Patient portal adoption and use by hospitalized cancer patients: a retrospective study of its impact on adverse events, utilization, and patient satisfaction’. BMC Med Inform Decis Mak 18, 70. https://​doi.​org/​10.​1186/​s12911-018-0644-4
22
Latulipe, C. et al. (2015) ‘Design Considerations for Patient Portal Adoption by Low-Income, Older Adults’. Proc SIGCHI Conf Hum Factor Comput Syst 2015, 3859–3868. https://​doi.​org/​10.​1145/​2702123.​2702392
23
Haase, R. et al. (2021) ‘Profiles of eHealth Adoption in Persons with Multiple Sclerosis and Their Caregivers’. Brain Sci 11, 1087. https://​doi.​org/​10.​3390/​brainsci11081087​
28
Fiks, A.G. et al. (2016) ‘Adoption of a Portal for the Primary Care Management of Pediatric Asthma: A Mixed-Methods Implementation Study’. J Med Internet Res 18, e172. https://​doi.​org/​10.​2196/​jmir.​5610
Tab. 3
Kategorienbildung anhand von Dimensionen mit dazugehörigen Subkategorien und benannten Einflussfaktoren
Dimension (Category)
Sub-dimension (‑category)
Influencing Factor
Paper
Technology related
Technology barriers
Usability and user-centeres design
1, 2, 3, 4, 7, 10
Access to Technology and the Internet, available mobile access, possibility to loan equipment and Interoperability
3, 4, 2, 7, 22, 28, 8, 21, 23
Lack of experience and Computer skills
7, 22, 2, 3
Date security
Concerns about privacy or security issues
4, 22, 2, 7
Available features
Perception of positive health benefits with the right features, high quality information, tranparency of their own care, consideration of special needs
1, 2, 4, 21, 23, 7, 13, 5, 22
Patient related
Health literacy
Presence of health literacy
2, 5, 7, 22
Presence of self-perception of individual health problems and health care needs
10, 21, 23, 28, 1
Technology experience
Use of the internet with health interest and computer self-efficiency
1, 2, 23
Motivation
Lack of interest, motivation and negative attitudes
1, 2, 7, 22
Voluntariness and Intention to use the platform and habit building
2, 10
Social interaction
Impersonal nature and preference for face-to-face contact
3, 22
Organizational related
Encouragement
provider encouragement patients
7
Awareness that professionals need to involve patients in usage
9
Training
Users know about the portal, the features and how it works
9, 28
Offering users support and communicate where to find Support
3, 9, 22
Process adoption
Adequate policy strategies
7
Priority on communicating the portal
2
Adaptation of the processes in the practice to the use of the patient portal
28
Social related
Social support
Availability, engagement of providers and family members help for utilization and reduces anxities
1, 2, 23, 7, 13
Social support approaches and features that enhance patient-clinician relationships
3, 13, 1, 21
Experiences
Satisfaction concerning current care communication
2
Experiences in healthcare clinic
2
Literatur
Zurück zum Zitat Joint Research Centre (European Commission) et al (2022) DigComp 2.2, The Digital Competence framework for citizens: with new examples of knowledge, skills and attitudes. Publications Office of the European Union, Luxemburg (https://data.europa.eu/doi/10.2760/115376 (Accessed: 13 September 2023)) Joint Research Centre (European Commission) et al (2022) DigComp 2.2, The Digital Competence framework for citizens: with new examples of knowledge, skills and attitudes. Publications Office of the European Union, Luxemburg (https://​data.​europa.​eu/​doi/​10.​2760/​115376 (Accessed: 13 September 2023))
Zurück zum Zitat Konstantinidis S et al (2022) Digital soft skills of healthcare workforce—identification, prioritization and digital training. In: Auer ME et al (Hrsg) Mobility for smart cities and regional development—challenges for higher education. Springer, Cham, S 1118–1129 https://doi.org/10.1007/978-3-030-93907-6_117 (Vorlesungsnotizen in Netzwerken und Systemen)CrossRef Konstantinidis S et al (2022) Digital soft skills of healthcare workforce—identification, prioritization and digital training. In: Auer ME et al (Hrsg) Mobility for smart cities and regional development—challenges for higher education. Springer, Cham, S 1118–1129 https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-030-93907-6_​117 (Vorlesungsnotizen in Netzwerken und Systemen)CrossRef
Zurück zum Zitat Meister S, Houta S, Bisgin P (2020) Mobile Health und digitale Biomarker: Daten als „neues Blut“ für die P4-Medizin bei Parkinson und Epilepsie. In: Pfannstiel MA, Holl F, Swoboda WJ (Hrsg) mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke: Trends, Entwicklungen, Technologien. Springer, Wiesbaden, S 213–233 https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_12CrossRef Meister S, Houta S, Bisgin P (2020) Mobile Health und digitale Biomarker: Daten als „neues Blut“ für die P4-Medizin bei Parkinson und Epilepsie. In: Pfannstiel MA, Holl F, Swoboda WJ (Hrsg) mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke: Trends, Entwicklungen, Technologien. Springer, Wiesbaden, S 213–233 https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-658-29133-4_​12CrossRef
Metadaten
Titel
Multi-Case-Studie zu Barrieren und förderlichen Faktoren der digitalen Kompetenz von Patienten – Ein interdisziplinärer Ansatz
verfasst von
Maren Kählig
Marcel Susky
Emily Hickmann
Sophia Grummt
Daniela Richter
Peggy Richter
Jens Weidner
Martin Sedlmayr
Anne Seim
Publikationsdatum
28.12.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-023-01034-3

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