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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Natürliche, technische und ökonomische Systeme

Vorbild Natur?

verfasst von : Thomas Marzi, Manfred Renner

Erschienen in: Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die meisten Konzepte der Circular Economy und Bioökonomie beschreiben die Natur als „Ökosystem“ oder „Biosphäre“ und den menschlichen Wirkungsbereich als „Technosphäre“ oder „Wirtschaftssystem. Damit grenzen sie die Natur sprachlich von einem anderen Bereich ab und vertreten, zumindest was den Status quo betrifft, eine bedeutungslogische Naturauslegung, die zwischen Kultur und Natur differenziert. Die verschiedenen Bereiche werden, wie die o. g. Begriffe zeigen, als Systeme gedacht. Der Systembegriff ist somit ein wichtiger Baustein im Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie.
Die meisten Konzepte der Circular Economy und Bioökonomie beschreiben die Natur als „Ökosystem“ oder „Biosphäre“ und den menschlichen Wirkungsbereich als „Technosphäre“ oder „Wirtschaftssystem. Damit grenzen sie die Natur sprachlich von einem anderen Bereich ab und vertreten, zumindest was den Status quo betrifft, eine bedeutungslogische Naturauslegung, die zwischen Kultur und Natur differenziert. Die verschiedenen Bereiche werden, wie die o. g. Begriffe zeigen, als Systeme gedacht. Der Systembegriff ist somit ein wichtiger Baustein im Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie. Das vorliegende Kapitel handelt deshalb von „Systemen“ und der Anwendung des Systembegriffs auf ökologische Zusammenhänge und wirtschaftliche Prozesse. Dabei erläutern wir die Vorstellung von einer Bio- und Technosphäre und den dahinterstehenden Natur-Kultur-Dualismus. Zunächst befassen wir uns jedoch mit Systemen allgemein. Die dabei behandelten, zum Verständnis des Nachfolgenden wichtigen Grundlagen mögen für einen Teil der Leserinnen und Leser zu ausführlich ausfallen. Wir gehen aber davon aus, dass es hier unterschiedliche fachliche Hintergründe gibt.

5.1 Systeme

5.1.1 System oder Aggregat?

Das Wort System leitet sich vom griechischen „sýstēma“ ab, was das Gebilde, Zusammengestellte oder Verbundene bedeutet.1 Ein Haufen Sand ist beispielsweise kein System, sondern ein Aggregat, weil die Struktur des Haufens sich nicht aus den wechselseitigen Beziehungen der Sandkörner ergibt, sondern aus der Schwerkraft und der Art und Weise, wie sie aufgeschüttet wurden. Im Gegensatz zu einem Haufen können die Kristalle, aus denen die Sandkörner bestehen, aber als System interpretiert werden, weil ihre Atome nicht zufällig angeordnet sind und aufgrund chemischer Bindungen eine Struktur bilden.2 Wenn wir etwas als System bezeichnen, gehen wir davon aus, dass das, aus dem es besteht, miteinander in Beziehung steht. Das gilt auch, wenn wir über das „System der Natur“ sprechen. Dabei wird unausgesprochen vorausgesetzt, dass es sich bei den Dingen in der Natur nicht um eine Ansammlung unabhängiger Gegenstände handelt, sondern dass sie aufgrund ihrer Beziehungen in einer Einheit bzw. zu einem Ganzen verbunden sind.3
In der Neuzeit galt das System der Natur grundsätzlich als vollständig erklärbar, wenn seine einzelnen Bestandteile und die zwischen ihnen bestehenden Wirkungen bekannt sind. Ein Beispiel ist das astronomische Modell Johannes Keplers, mit dem das „Sonnensystem“, ausgehend von den aktuellen Positionen der Planeten und physikalischer Bewegungsgesetze, beschrieben werden kann. Das System Keplers war, anders als in neueren Vorstellungen, mit der Summe seiner Elemente und der auf Naturgesetze gründenden Ordnung identisch.4 Auf die Systemperspektive der frühen Naturwissenschaften oder auf bis ins frühe 19. Jahrhundert bedeutsame philosophische Systemvorstellungen gehen wir im Folgenden nicht ein. Mit Blick auf das in der Circular Economy und Bioökonomie zur Anwendung kommende Systemverständnis interessieren uns mehr die Perspektiven der „Thermodynamik“ und die der „Allgemeinen Systemtheorie“.

5.1.2 Thermodynamische Systeme

Die Thermodynamik oder Wärmelehre befasst sich mit den Erscheinungsformen von Energie und deren Umwandlung. Sie entstand im 19. Jahrhundert, um die Effizienz von Dampfmaschinen zu verbessern, hat aber, weil sie sich zur Beschreibung komplexer Systeme eignet, inzwischen eine Bedeutung erlangt, die weit über ihre ursprüngliche Anwendung hinausgeht. Sie ist auch für Argumentationen in der Ökologischen Ökonomie (Abschn. 5.5.2) und die Vorstellung von geschlossenen Stoffkreisläufen in der Circular Economy relevant.
Thermodynamische Systeme sind räumlich abgegrenzte Bereiche, die sich mithilfe physikalischer Eigenschaften beschreiben lassen. Sie sind über eine Systemgrenze von anderen Raumbereichen getrennt, tauschen aber ggf. Stoffe und Energie mit diesen aus. Abhängig von der Art dieses Austausches wird, wie in Abb. 5.1 dargestellt, zwischen „abgeschlossenen“ bzw. „isolierten“, „geschlossenen“ und „offenen“ Systemen unterschieden.
Thermodynamisch abgeschlossene Systeme sind von ihrer Umgebung vollständig isoliert. Sie sind energetisch und stofflich geschlossen, tauschen also weder Stoffe noch Energie aus. Thermodynamisch geschlossene Systeme sind stofflich geschlossen, energetisch aber offen. Ein Energie- und Stoffaustausch ist nur bei thermodynamisch offenen Systemen möglich.

5.1.2.1 Abgeschlossene Systeme

Da einem abgeschlossenen System weder ein Stoff- noch Energieaustausch möglich ist, existiert für das System keine Umgebung. Es ist vollkommen isoliert und alles, was außerhalb seiner Grenzen liegt und sich ereignet, ist für das System praktisch nicht existent. Für das System gibt es nur sich selbst. Sein Energie- und Stoffinhalt ist konstant, da Energie und Materie nicht aus dem Nichts entstehen können. Definitionsgemäß kann ein abgeschlossenes System beides auch nicht aus der Umgebung erhalten oder an diese abgeben. Das als „1. Hauptsatz der Thermodynamik“ bekannt gewordene Prinzip der Energie- und Masseerhaltung schließt für die zeitliche Entwicklung eines abgeschlossenen Systems alle Prozesse aus, bei denen die Systemenergie ab- oder zunimmt. Möglich sind nur relative energetische und stoffliche Verschiebungen innerhalb des Systems. Aber auch diese können nicht beliebig erfolgen, sondern verlaufen in eine bestimmte Richtung, die sich aus einem von Sadi Carnot entdeckten weiteren Prinzip ableiten lässt. Es besagt, dass die Wärme wie in Abb. 5.2 von einem heißeren zu einem kälteren Reservoir fließen muss, wenn mit ihr Arbeit erzeugt werden soll.5
Zu Beginn der dargestellten Entwicklung (Zustand A) liegt ein Temperaturgefälle vor. Der Systemzustand ist nicht stabil, und es fließt so lange Wärme vom heißem zum kälteren Reservoir, bis in Zustand B überall im System die gleiche, mittlere Temperatur vorliegt. Diese Entwicklung wird durch den „2. Hauptsatz der Thermodynamik“ beschrieben. Er wurde 1854 erstmals von Rudolf Clausius formuliert (Zitat 5.1).
Zitat 5.1: Rudolf Clausius (1822–1888)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figa_HTML.png
„Die Wärme kann nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen.“6
Clausius leitete den 2. Hauptsatz aus den Überlegungen Carnots ab. Dabei lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen Aspekt, der mit Carnots Prinzip unmittelbar verbunden ist und, obwohl er scheinbar trivial ist, weitreichende Konsequenzen mit sich bringt. Wenn Wärme von heißen zu kalten Körpern fließen muss, bedeutet das, dass sie nicht von sich aus von kalten zu heißen fließen kann. Clausius schließt damit Systementwicklungen aus, die aus Gründen der Energieerhaltung eigentlich möglich wären. Ein Anwachsen der Temperaturdifferenz, beispielsweise dadurch, dass die Temperaturen auf 90 °C in der linken Hälfte anwachsen und 10 °C in der rechten Hälfte absinken, verstößt nicht gegen die vom 1. Hauptsatz geforderte Energieerhaltung, ist aber nach dem 2. Hauptsatz nicht möglich. Auch eine Rückkehr von Zustand B zu Zustand A kann es demnach nicht geben. In Zustand B ist, abgesehen von möglichen mikroskopischen Fluktuationen, der Endzustand der Entwicklung, das thermodynamische Gleichgewicht, erreicht.
Warum aber ist die umgekehrte Entwicklung von B nach A nicht möglich? Der Grund hierfür ist, dass sich der energetische Zustand in B von dem in A unterscheidet, obwohl der Energieinhalt derselbe ist. Der Unterschied besteht nicht in der Menge der Systemenergie, sondern in deren Qualität. Auf dem Weg von A nach B verliert das System, wie im Folgenden mithilfe von Abb. 5.3 erläutert wird, seine Fähigkeit Arbeit zu verrichten. Dargestellt ist das Verhalten eines unter Druck stehenden Gases, das anschließend entspannt wird.
In der Abbildung ist Zustand A dadurch charakterisiert, dass die Gasmoleküle im linken Teil des Systems konzentriert sind. Das Gas ist komprimiert und übt Druck auf einen Kolben aus, der den linken Teil des Systems vom rechten, in dem ein geringerer Druck vorliegt, trennt. So wie in Abb. 5.2 ein Temperaturausgleich erfolgt, findet hier ein Druckausgleich statt, bei dem sich das Gas ausdehnt und den Kolben bewegt. Diese gerichtete Bewegung entspricht physikalisch der Leistung von Arbeit. Nach erfolgtem Druckausgleich kann die Energie des Systems keine Arbeit mehr leisten, da sie als ungerichtete Bewegung, d. h. als Wärme, im System verteilt ist.
Der 2. Hauptsatz trifft somit die Aussage, dass sich in einem abgeschlossenen System im Laufe der Zeit alle Energiedifferenzen ausgleichen und das System in Richtung eines Zustandes mit gleichmäßiger Wärmeverteilung entwickelt. Diese Entwicklung wird in der Thermodynamik mit einer physikalischen Größe beschrieben, die Clausius „Entropie“ nannte. Der von ihm erfundene Begriff sollte, wie er 1865 schrieb, den „Verwandlungsinhalt eines Körpers“ beschreiben, den „alten Sprachen“ entnommen sein und dem Wort Energie ähneln, um die Verwandtschaft der beiden Begriffe zu betonen.7
Die Entropie ist ein Maß für die in einem System enthaltene Energiemenge, die nicht in mechanische Arbeit umgesetzt werden kann.8 Ist sie niedrig, ist die Energie größtenteils nutzbar. Mit steigender Entropie nimmt die Möglichkeit, Arbeit zu verrichten, ab. Im thermodynamischen Gleichgewicht, das in Abb. 5.2 und 5.3 dem Zustand B entspricht, hat die Entropie ihren maximalen Wert erreicht. Die Fähigkeit, mit der Energie Arbeit zu verrichten, ist nun gleich null. Der 2. Hauptsatz lässt sich deshalb auch, anders als in Zitat 5.1, mithilfe der Entropie formulieren. Er besagt dann, dass die Entropie in einem abgeschlossenen System zunehmen muss. Diese Formulierung des 2. Hauptsatzes weist über den Betrieb von Dampfmaschinen hinaus und hat, da sie natürlichen Prozessen anscheinend eine Richtung vorschreibt, in der Folge zu allerlei Spekulationen geführt. In seiner Dissertation „Über den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie“ schrieb beispielsweise Max Planck, dass sich Systeme von der Natur bevorzugten Zuständen annähern. Er bezeichnete die Entropie deshalb metaphorisch auch als Maß für die „Vorliebe der Natur“ (Zitat 5.2).9
Zitat 5.2: Max Planck (1858–1947)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figb_HTML.png
„Wir wollen nun die wesent1ichen Eigenschaften und Merkmale eines natürlichen und eines neutralen Prozesses aufsuchen. Da diese nur von der Beschaffenheit des Anfangs- und des Endzustandes abhängen, nämlich von der grösseren oder geringeren Vorliebe der Natur für diese Zustände, so werden wir zu der (einstweilen nur hypothetischen) Annahme geführt, dass für jeden gegebenen Zustand eines Systems von Körpern eine bestimmte Funktion existirt, […], deren Werth das Maass der Vorliebe der Natur für diesen Zustand bildet. Diese Funktion wollen wir mit S [Entropie] bezeichnen.“10
Wir wollen uns jedoch im Folgenden darauf beschränken, denjenigen Zustand zu bestimmen, der unter den gegebenen Bedingungen von der Natur am meisten bevorzugt wird, von welchem aus also kein natürlicher Prozess mehr möglich ist. Dieser Zustand entspricht dem Maximum des Entropiewerthes.“11
Eine statistische Erklärung, woher die „Vorliebe der Natur“ für bestimmte Zustände kommt, wurde von Ludwig Boltzmann vorgeschlagen. In seinen 1877 erschienenen „Bemerkungen über einige Probleme der mechanischen Wärmetheorie“ geht Boltzmann davon aus, dass die Zunahme der Entropie dem Übergang von einem unwahrscheinlicheren zu einem wahrscheinlicheren Zustand entspricht (Zitat 5.3).
Zitat 5.3: Ludwig Boltzmann (1844–1906)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figc_HTML.png
„Es ist klar, daß jede einzelne gleichförmige Zustandsverteilung, welche bei einem bestimmten Anfangszustande nach Verlauf einer bestimmten Zeit entsteht, ebenso unwahrscheinlich ist, wie eine einzelne noch so ungleichförmige Zustandsverteilung, geradeso wie im Lottospiele jede einzelne Quinterne ebenso unwahrscheinlich ist, wie die Quinterne 12.345. Nur daher, daß es weit mehr gleichförmige als ungleichförmige Zustandsverteilungen gibt, stammt die größere Wahrscheinlichkeit, daß. die Zustandsverteilung mit der Zeit gleichförmig wird“ […] Es ist also damit ausgesprochen, daß man den Zustand des Wärmegleichgewichtes dadurch berechnen kann, daß man die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen möglichen Zustände des Systems aufsucht. Der Anfangszustand wird in den meisten Fällen ein sehr unwahrscheinlicher sein, von ihm wird das System immer wahrscheinlicheren Zuständen zueilen, bis es endlich den wahrscheinlichsten, d. h. den des Wärmegleichgewichtes erreicht hat. Wenden wir dies auf den zweiten Hauptsatz an, so können wir diejenige Größe, welche man gewöhnlich als die Entropie zu bezeichnen pflegt, mit der Wahrscheinlichkeit des betreffenden Zustandes identifizieren.“12
Wendet man Boltzmanns Argumentation auf die in Abb. 5.3 dargestellten Verteilungen der Gasmoleküle an, gilt, dass es sehr viel mehr Möglichkeiten gibt, die Moleküle gleichmäßig über das ganze System anzuordnen, als konzentriert, nur in einem Teil. Statistisch ist Zustand B mit einer gleichmäßigen Verteilung wahrscheinlicher als die ungleichmäßige in Zustand A. Die „Vorliebe der Natur“, wie Planck die Entropie nannte, ist also für Boltzmann nichts anderes als ein Maß, für die Wahrscheinlichkeit eines Systemzustands. Nach Boltzmann entwickelt sich ein abgeschlossenes System einfach von einem unwahrscheinlicheren zu einem wahrscheinlicheren Zustand. „Wenn man ein isoliertes System sich selbst überlässt, tendiert es zu einem Zustand größter Wahrscheinlichkeit“.13 Es ist also nicht erforderlich, eine Vorliebe der Natur für das eine oder andere anzunehmen.

5.1.2.2 Offene Systeme

Da der 2. Hauptsatz der Thermodynamik eine Aussage darüber trifft, in welche Richtung sich abgeschlossene Systeme entwickeln, liegt es nahe, ihn nicht nur auf die Beschreibung von Wärmekraftmaschinen anzuwenden, sondern auch Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Welt aus ihm abzuleiten. Clausius selbst hat, wie Zitat (5.4) zeigt, einen solchen Versuch unternommen. Er ging davon aus, dass die Entropie der Welt einem Maximum zustrebt und dass keine weiteren Veränderungen mehr möglich sind, wenn dieser Zustand erreicht ist. Energie läge dann, nachdem alle Sterne erloschen und schwarzen Löcher verschwunden sind, nur noch als gleichmäßig dissipierte Wärme vor.
Zitat 5.4: Rudolf Clausius (1822–1888)
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„Vorläufig will ich mich darauf beschränken, als ein Resultat anzuführen, dass, wenn man sich dieselbe Grösse, welche ich in Bezug auf einen einzelnen Körper seine Entropie genannt habe […] für das ganze Weltall gebildet denkt, und wenn man daneben zugleich den anderen seiner Bedeutung nach einfacheren Begriff der Energie anwendet, man die den beiden Hauptsätzen der mechanischen Wärmetheorie entsprechenden Grundgesetze des Weltalls in folgender einfacher Form aussprechen kann
1) „Die Energie der Welt ist constant
2) Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.“14 Und an anderer Stelle:
„Je mehr die Welt sich diesem Grenzzustande, wo die Entropie ein Maximum ist, nähert, desto mehr nehmen die Veranlassungen zu weiteren Veränderungen ab, und wenn dieser Zustand endlich ganz erreicht wäre, so würden auch keine weiteren Veränderungen mehr vorkommen, und die Welt würde sich in einem todten Beharrungszustande befinden.“15
Ob es jedoch so kommt, wie Clausius vermutet, ist keinesfalls sicher. Die im 2. Hauptsatz formulierte Zunahme der Entropie gilt nämlich nur für abgeschlossene Systeme. Vollständige Abgeschlossenheit gibt es aber in der Natur wahrscheinlich nicht.16 Eine vollständige Isolation ist eine Idealvorstellung, die in Experimenten immer nur näherungsweise erreicht werden kann, und ob die Natur als Ganzes oder das Universum, wie Claudius annimmt, ein abgeschlossenes System ist, ist ebenfalls keineswegs klar.17 Überhaupt ist fragwürdig, ob die thermodynamische Systemdefinition auf das Universum als Ganzes noch sinnvoll angewendet werden kann. Ein System wird in Abgrenzung zu einer Systemumgebung definiert. Eine Systemgrenze und -umgebung lassen sich aber für das Universum kaum finden.
Für Systeme, die Energie, Information und ggf. sogar Materie mit ihrer Umgebung austauschen, gilt die im 2. Hauptsatz formulierte Entropiezunahme jedenfalls nicht. Würde sie es, wäre die Entstehung komplexer Strukturen, wie sie in und durch Lebewesen vorkommen, grundsätzlich unmöglich. Solche Strukturen sind statistisch unwahrscheinlicher als andere, sodass ihr Auftreten mit einer Entropieabnahme verbunden ist. Da es sie aber gibt, müssen für offene und geschlossene Systeme andere Regeln gelten als die der klassischen Thermodynamik. Für solche Systeme gilt die, „Nichtgleichgewichtsthermodynamik“. Sie wurde maßgeblich von Ilya Prigogine entwickelt und berücksichtigt Entropieänderungen, die sowohl auf die „innere Systemarbeit“ als auch auf Wechselwirkungen mit der Systemumgebung zurückzuführen sind. Ebenso wie bei abgeschlossenen Systemen ist die „innere“ Entropieentwicklung bei energetisch und/oder stofflich offenen Systemen immer positiv. Im Gegensatz zu abgeschlossenen Systemen können letztere aber Entropie in Form von Wärme an ihre Umgebung abgeben, sodass ihre Entropie auch konstant bleiben oder abnehmen kann.
Wie sich ein stofflich und energetisch offenes oder ein nur energetisch offenes System entwickelt, hängt davon ab, wie weit es vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt ist. Je größer ein Potenzialgefälle zwischen zwei Teilsystemen ist, beispielsweise ein Temperatur-, Druck- oder Konzentrationsunterschied, umso wirkungsvoller sind die thermodynamischen Kräfte, die auf einen Ausgleich hinwirken. Systeme, die nur einem geringen Gefälle ausgesetzt sind, befinden sich nahe an ihrem Gleichgewichtszustand. Die Kräfte, die auf sie wirken, sind relativ gering, und ihre Entwicklung verläuft entsprechend langsam. Da durch das Potenzialgefälle auftretende Flüsse bei solchen Systemen direkt proportional zu den einwirkenden thermodynamischen Kräften sind, wird die Theorie, die sie beschreibt, auch als „lineare Thermodynamik“ bezeichnet. Lineare thermodynamische Systeme befinden sich in einem Fließgleichgewicht mit ihrer Umgebung und in einem relativ stabilen, stationären Zustand. Ihre Entropie bleibt konstant, weil sie sie nach außen abführen. Hierdurch nimmt die Entropie der Umgebung bzw. die des übergeordneten Systems zu.18 Abb. 5.4 zeigt ein solches Fließgleichgewicht. Dargestellt ist ein Gefäß, dessen Wasserstand konstant bleibt, weil über einen Hahn dieselbe Wassermenge in das Gefäß strömt, wie durch den Abfluss hinausgelangt.
Das Wasser, das in das Gefäß hineinfließt, hat eine hohe potenzielle Energie und niedrige Entropie (S1). Die Entropie ist niedrig, weil sich der Hahn oberhalb des Gefäßes befindet und das Wasser bei seinem Fluss in das tiefer gelegene Gefäß Arbeit verrichten kann, beispielsweise wenn ein Wasserrad installiert wäre. Nachdem es das Gefäß durchflossen und durch den Abfluss verlassen hat, befindet sich das Wasser auf gleicher Höhe mit dem Gefäßboden. Es kann nun keine Arbeit mehr leisten und hat eine dementsprechend hohe Entropie (S3). So lange, wie eine ausreichend große Wassermenge aus dem Hahn läuft, bleiben der Wasserstand und die Entropie des Wassers im Gefäß (S2) konstant. Es liegt ein Fließgleichgewicht vor, in dem das strömende Wasser Arbeit verrichten kann. Die dabei produzierte Entropie wird durch das abfließende Wasser nach außen transportiert.
Auf Systeme, bei denen ein großes Potenzialgefälle zu ihrer Umgebung besteht, wirken starke thermodynamische Kräfte. Sie befinden sich fern vom Gleichgewicht, und die Geschwindigkeiten, mit denen Stoffe und Energie ausgetauscht werden, sind nicht mehr direkt proportional von den einwirkenden Kräften abhängig. Die Theorie, die diese Systeme beschreibt, wird deshalb als „nichtlineare Thermodynamik“ bezeichnet. Fern vom Gleichgewicht erfahren sie eine viel stärkere Auslenkung als Systeme in Gleichgewichtsnähe. Die Nichtlinearität verstärkt Fluktuationen und verhindert, dass ein stationärer Zustand erreicht wird. Das System wird entweder zerstört oder stabilisiert sich, indem es seine Entropie durch den Aufbau komplexer Strukturen verringert. Die lokale Entropieverminderung des Systems geht dabei mit einer Entropiezunahme in der Umgebung einher. Beispiele für solche „selbstorganisierenden“ Systemprozesse sind oszillierende chemische Reaktionen oder biologische Wachstumsvorgänge. Selbstorganisation ist nur durch permanente Energiezufuhr möglich. „Lebende Systeme nehmen Energie aus der Umwelt auf, um Strukturen aufzubauen und zu reproduzieren.“19 Dabei geben sie Entropie an ihre Umgebung ab.20

5.1.3 Allgemeine Systemtheorie

5.1.3.1 Der Weg zur Systemtheorie

Die Allgemeine Systemtheorie beschreibt die formale Übereinstimmung von Systemen sowie ihre Strukturen und Verhaltensweisen. Dabei versucht sie, Zusammenhänge durch mathematische Modelle abzubilden,21 die, da sie als allgemein gültig verstanden werden, in unterschiedlichen Wissensbereichen zur Anwendung kommen. Zu nennen sind beispielsweise die Biologie, die Elektrotechnik sowie die Sozial- und Neurowissenschaften. Die Entwicklung der Theorie geht in wichtigen Teilen auf Ludwig von Bertalanffy zurück22 und ist mit der Übertragung biologischer Modelle, beispielsweise Vorstellungen, die sich auf einen Organismus beziehen, auf andere Bereiche verbunden. Wesentlich ist dabei, dass die Existenz eines Organismus nicht vollständig auf die Summe seiner Teile reduziert werden kann. Ein Organ gibt es nicht ohne den übergeordneten Organismus und die anderen Organe. Umgekehrt kann es ohne Organe auch keinen Organismus geben. Das Ganze und seine Teile beziehen sich also aufeinander und setzen sich gegenseitig voraus. Neben Bertalanffys Arbeiten waren für die Formulierung einer Allgemeinen Systemtheorie auch die Entwicklung der Kybernetik in den 1930er- und 1940er-Jahren durch Norbert Wiener und die informationstheoretischen Studien Claude Shannons entscheidend.23
Die Kybernetik lässt sich, wie Müller in seinem systemtheoretischen Lehrbuch schreibt, im weitesten Sinne und stark vereinfachend auch als eine „verallgemeinerte Theorie elektrischer Schaltkreise“ bezeichnen.24 In ihr geht es um die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen sowie die Regelung von Prozessen.25 Wesentlich für die Kybernetik ist, dass in ihren Analogien Funktionen in technischen Apparaten mit biologischen Prozessen und Denkvorgängen gleichgesetzt werden (Abschn. 6.​3).26 Technische, biologische und sozialwissenschaftliche Vorgänge werden aus Sicht der Kybernetik durch vergleichbare Regel- und Steuerungsmechanismen beschrieben (Zitat 5.5). Das Gehirn beispielsweise wird als neuronales Netz behandelt.27
Zitat 5.5: Frederic Vester (1925–2003)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Fige_HTML.png
„Ganz gleich also, ob es sich bei solchen Systemen um Moleküle, Amöben, Menschen, Maschinen oder Wirtschaftsunternehmen handelt, ihrem Kontrollmechanismus mußte eine gemeinsame Basis zugrunde liegen. Diese Basis ist heute das eigentliche Forschungsobjekt der Kybernetik.“28
Die Informationstheorie entstand parallel zu den Entwicklungen in der Kybernetik. Sie verfolgte das Ziel, Nachrichten zu verschlüsseln sowie diese zu dechiffrieren und effizient zu übertragen. Die Informationstheorie ist für die Systemwissenschaften auch deshalb bedeutend, weil sie den thermodynamischen und den kybernetischen Systembegriff verbindet.29 Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Verständnis von Entropie. Boltzmanns statistische Interpretation wurde von Shannon mit dem Informationsbegriff verknüpft. Um komplexe, nach Boltzmann unwahrscheinliche Gebilde zu beschreiben ist, so Shannon, eine größere Informationsmenge erforderlich als für wahrscheinlichere von geringerer Komplexität. Die Informationstheorie versteht Information als Maß für Ordnung und setzt die Abnahme von Entropie mit dem Gewinn von Information gleich. Diese Verknüpfung ist umstritten, macht es aber möglich, kybernetisches und thermodynamisches Systemdenken zu verbinden.30

5.1.3.2 Systemdefinition

Eine der bekanntesten Definitionen des Systembegriffs wurde 1956 von Arthur D. Hall und Robert E. Fagen formuliert.31 Sie ist in Zitat 5.6 wiedergegeben.
Zitat 5.6: Arthur D. Hall, Robert E. Fagen (1956)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figf_HTML.png
„A system is a set of objects together with relationships between the objects and between their attributes.“32
Ein System besteht demnach aus seinen Elementen und den Beziehungen zwischen ihnen,33 die sich im Austausch von Materie, Energie und/oder Information zeigen.34 Weil Systementwicklungen häufig auf einen Zielzustand zuzusteuern scheinen, berücksichtigen andere Definitionen wie die von Jay Wright Forrester zusätzlich eine teleologische, d. h. eine auf ein Ziel ausgerichtete, Intention. Forrester definiert Systeme wie Hall und Fagen als „Anzahl von miteinander in Beziehung stehenden Teilen“, ergänzt diese Beschreibung aber noch darum, dass diese „zu einem gemeinsamen Zweck miteinander kooperieren“. Grund hierfür ist, dass er, obwohl er zunächst allgemein von Systemen spricht, sich wohl eher auf technische und nicht auf natürlich entstandene Systeme bezieht. Als Beispiel nennt Forrester ein Kraftfahrzeug, in dem Komponenten zusammenwirken, um Transporte zu ermöglichen.35

5.1.3.3 Struktur und Funktion

Ein System wird durch seine Struktur und die Funktionen seiner Elemente charakterisiert. Zu seinen Strukturmerkmalen gehören, zusätzlich zu den in der Definition von Hall und Fagen genannten Systemelementen, noch „Reservoire“ und die Systemgrenze. Bei den Elementen kann es sich um physische oder abstrakte Objekte handeln. Oft sind sie selbst ein System mit einer eigenen Struktur. Ein Element des Systems Körper, eine Zelle, kann selbst als System und somit als Untersystem des Obersystems Körper beschrieben werden. Reservoire sind dagegen Systembereiche, in denen Energie, Informationen oder Materialien gespeichert werden. Die Systemgrenze, auf die wir wegen ihrer Bedeutung in Abschn. 5.1.5 noch gesondert eingehen, trennt das System von seiner Umgebung.
Als Systemfunktionen werden die Wirkungen der Elemente bezeichnet. Sie tragen sowohl zum Bestand des Systems als auch zu ihrem eigenen Erhalt bei.36 Funktionen bestehen aus Energie-, Material- oder Informationsflüssen. Sie können flussbegrenzende Wirkungen haben oder Verzögerungen und Rückkopplungen bewirken. In rückgekoppelten Systemen wirkt das Ergebnis einer Systemaktivität als Einflussgröße wieder auf das System ein (Abb. 5.5).37 Ist die Wirkung dämpfend, trägt die Rückkopplung zur Stabilisierung bei.38 Die Systemfunktion insgesamt besteht aus dem Zusammenspiel von Rückkopplungen, Durchflüssen und Reservoiren.39

5.1.3.4 Komplexität

Systeme können mehr oder weniger komplex organisiert sein. Ihre Komplexität hängt von der Zahl und Unterschiedlichkeit der Elemente und deren Funktionen ab.40 Komplexe Systeme zeichnen sich oft durch einen hohen Vernetzungsgrad und Unterstrukturen aus.41 Allerdings können auch einfache Strukturen komplexes Verhalten zeigen, beispielsweise bei „nicht linearen Systemen“42.

5.1.3.5 Kausalität

Wie in Abschn. 4.​4.​2 beschrieben, sind kausale Zusammenhänge in den Naturwissenschaften bei der Formulierung gesetzmäßiger Zusammenhänge von großer Bedeutung. Eine zeitlich vorangehende Ursache führt in einem Kausalprozess immer zu einer bestimmten Wirkung. Auch die Beziehungen zwischen Systemelementen lassen sich kausal beschreiben, sie sind aber ggf. so verknüpft und wechselseitig voneinander abhängig, dass sich das Systemverhalten insgesamt nicht mehr auf einzelne Ursachen zurückführen lässt.43 Komplexe Systeme bestehen zwar aus kausal organisierten Netzwerken,44 ihr Verhalten als System lässt sich aber ggf. nicht mehr mit einfachen Kausalzusammenhängen beschreiben.

5.1.3.6 Selbsterhaltung

Ein System ist stabil, wenn seine Organisation nach einer Veränderung erhalten bleibt oder wenn sie sich neu einstellt.45 Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang Systeme, die sich durch ihre Prozesse selbst erhalten. Sie werden als „selbstreferenziell“ oder, mit Bezug auf die Biologen Humberto R. Maturana und Francisco Varela García, als „autopoiesisch“ bezeichnet. Der Begriff verbindet die griechischen Wörter „autos“ und „poiesis“ und bedeutet „Selbstherstellung“.46
Maturana und Valera deuten Lebewesen als selbsterhaltene Systeme, die eine „zirkuläre Organisation“ aufweisen (Zitat 5.7). Das Besondere ist, dass sie sich selbst herstellen, indem sie sich über ihren Stoffwechsel regenerieren. Was als Ergebnis aus ihrer Organisation hervorgeht, sind sie selbst.47 Gewöhnliche Maschinen, die Maturana und Valera „allopoietische Systeme“ nennen, tun das nicht. Sie stellen – dieser Punkt wird bei der Unterscheidung natürlicher und ökonomischer Prozesse in Abschn. 7.​3 noch wichtig sein – nicht ihre eigene Struktur her, sondern ein Produkt, das etwas anderes ist als sie selbst. Es gibt sie nicht um ihrer selbst willen, sondern um einen bestimmten Zweck zu erfüllen.48
Zitat 5.7: Humberto R. Maturana (1928–2021)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figg_HTML.png
„Die Organisation des Lebendigen ist eine zirkuläre Organisation, die die Erzeugung oder Aufrechterhaltung der Bestandteile sicherstellt, die diese zirkuläre Organisation herstellen, und zwar so, daß das Ergebnis des Funktionierens der Bestandteile eben die Organisation ist, die wiederum diese Bestandteile erzeugt.“49

5.1.4 Thermodynamisches und kybernetisches Systemverständnis

Zwischen dem thermodynamischen Systemverständnis und dem der Allgemeinen Systemtheorie gibt es trotz vieler Gemeinsamkeiten auch Unterschiede. Letztere erklären sich zum Teil damit, dass die Begründer der Systemtheorie Mathematiker oder Biologen waren, während die Thermodynamik eine Teildisziplin der Physik ist.50 Hieraus resultieren ähnliche, im Detail aber nicht deckungsgleiche Begriffssetzungen und eine jeweils eigene Systemperspektive.
Irritationen können durch die verschieden Systembezeichnungen entstehen (Tab. 5.1). Während in der Thermodynamik „abgeschlossene“, „geschlossene“ und „offene“ Systeme definiert werden, unterscheidet die durch die Kybernetik geprägte Allgemeine Systemtheorie in der Regel nur zwischen „geschlossenen“ und „offenen“ Systemen (Zitat 5.8). Das liegt daran, das Stoffflüsse in einer kybernetischen Betrachtung meist in Energieflüsse umgerechnet werden. Kybernetische Modelle operieren mit energetischen Größen oder mit Information. Ein kybernetisch geschlossenes System erlaubt somit keinen Austausch von Energie oder Information mit der Umgebung. Es entspricht dann dem abgeschlossenen und nicht dem geschlossenen System der Thermodynamik.
Zitat 5.8: Arthur D. Hall, Robert E. Fagen (1956)
https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-662-68230-2_5/MediaObjects/602102_1_De_5_Figh_HTML.png
„A system is closed if there is no import or export of energies in any of its forms such as information, heat, physical materials, etc. […]“51
Tab. 5.1
Thermodynamische und kybernetische Systembezeichnungen
Austausch von …
Kybernetische
Systembezeichnung
Thermodynamische
Systembezeichnung
Materie und Energie (Information)
Offen
Offen
Energie (Information
Offen
Geschlossen
––––
Geschlossen
Abgeschlossen
Zu berücksichtigen sind auch die unterschiedlichen Perspektiven, die die Thermodynamik und Kybernetik einnehmen. Die Allgemeine Systemtheorie und die Kybernetik lenken die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Systemelementen. Die Thermodynamik hat dagegen eher einen makroskopischen Blick auf ein System, dass sie mithilfe physikalischer Zustandsgrößen beschreibt und über die Art der Abgrenzung, d. h. die Durchlässigkeit der Systemgrenze, zu seiner Umgebung definiert.52 In der Allgemeinen Systemtheorie ist die Systemgrenze dagegen durch die Geschlossenheit der Beziehungen zwischen den Elementen definiert.53

5.1.5 Umwelt und Systeminneres

Eine der wichtigsten Fragen in Zusammenhang mit Systemen ist die nach ihren Grenzen.54 Systemgrenzen trennen Systeme von ihrer Umgebung und legen fest, was zum System gehört und was nicht. Systeme können mit einem Teil des Raumes zusammenfallen und durch unterschiedliche Raumteile gegeneinander abgegrenzt sein, können aber auch denselben Raum einnehmen. Ihre Abgrenzung lässt sich mal mehr und mal weniger gut durchführen. Bei einer Zelle ist die Grenze durch die Zellmembran gegeben. Sie trennt nach Claude Bernard das Innere einer Zelle („milieu intérieur“) von ihrer Umgebung („milieu extérieur“)55. Allerdings sind bei einer Zelle System und Umwelt nicht vollständig voneinander getrennt. Offene Systeme wären nicht offen, wenn ihr Inneres nicht mit dem Äußeren verbunden wäre.56 Ihre Systemgrenze ist durchlässig. Ob etwas zum System gehört oder nicht, ist deshalb oft nicht eindeutig und hängt davon ab, was als Systemgrenze definiert wird (Zitat 5.9).
Zitat 5.9: Florian Sprenger (2019)
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„Ein Verhältnis des Umgebens kann nicht in ein Verhältnis von Innenseite und Außenseite übersetzt werden, weil sich beide Seiten nicht konträr gegenüberstehen, sondern sie komplementär miteinander verschränkt sind. Ein Umgebungsverhältnis ist immer eine Verschränkung, in der das Umgebende nicht nur außen und das Umgebene nicht nur innen ist.“57
In vielen Fällen sind Grenzziehungen ausgesprochen schwierig.58 Oft gibt es kein klar erkennbares Unterscheidungsmerkmal, sodass die Systemdefinition über die Art und Intensität der Beziehungen zwischen den Elementen oder, wie es der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann es in seiner allgemeinen Theorie sozialer Systeme formuliert hat, über die Differenz zu etwas anderem erfolgt (Zitat 5.10).
Zitat 5.10: Niklas Luhmann (1927–1998)
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„Der Begriff der Umwelt darf nicht als eine Art Restkategorie mißverstanden werden59. […] Für die Theorie selbstreferentieller Systeme ist die Umwelt […] Voraussetzung der Identität des Systems, weil Identität nur durch Differenz möglich ist.“60
Ein System ist ein System, weil die Elemente eine bestimmte Beziehungsart, beispielsweise soziale Kommunikation, teilen, die es außerhalb des Systems nicht gibt.61 Wie der Psychologe Carsten Allefeld schreibt, grenzt sich ein System selbst von seiner Umgebung ab und schafft sich seine Außenwelt.62 Man kann allerdings hier auch einen anderen Standpunkt vertreten und der Meinung sein, dass die Systeme ihre Grenzen und ihre Umgebungen erst durch die Definitionen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erhalten, die sich mit ihnen befassen.

5.2 Ökosysteme: Die modellierte Natur63

5.2.1 Ökologie: Wissenschaft und Weltanschauung

In Kap. 4 ist deutlich geworden, dass es nicht nur eine einzige, verbindliche Naturdeutung gibt. Die Perspektiven, die wir dort in Abschn. 4.​8 vorgestellt haben, lassen sich oft einer „lebensweltlichen“ oder „naturwissenschaftlichen“ Kategorie zuordnen.64 Während die naturwissenschaftliche eine „methodisch objektivierte Natur“ wahrnimmt, ist die lebensweltliche subjektiv und kulturell geprägt. Beispiele für letztere sind Landschaftsbeschreibungen, die die Ästhetik betonen, oder Rosen, die als Symbol für die Liebe wahrgenommen werden. Von den in Abschn. 4.​8 genannten Naturbildern gehören beispielsweise die Natur als „Schöpfung“, ihre Anrede als „Mutter“ und ihre Einordnung als „Gefahr“ zu den lebensweltlichen Naturperspektiven. Wie der interdisziplinär arbeitende Wissenschaftler Thomas Kirchhoff schreibt, wird Natur lebensweltlich „auf kategorial andere Weise(n) wahrgenommen“ als aus der naturwissenschaftlichen Perspektive. „Deshalb hat […] ein lebensweltlich wahrgenommener Wald Eigenschaften, die Wald“ aus der wissenschaftlichen Perspektive „nicht haben kann, nämlich schön, erhaben, wild, geheimnisvoll, national, natürlich zu sein.“65
Das Charakteristische der wissenschaftlichen Perspektive besteht gerade darin, die für die lebensweltliche Sichtweise so wesentlichen subjektiven Deutungen zu vermeiden. Sie ist zwar ebenfalls kulturell geprägt, versucht aber, die Zusammenhänge in der Natur objektiv wahrzunehmen.
Historisch überwog bei der naturwissenschaftlichen Deutung zunächst eine reduktionistische Sichtweise, für die es charakteristisch war, dass Natur als Funktion ihrer Teile beschrieben wurde. Mittlerweile wird die Natur jedoch von Teilen der Naturwissenschaften aus einer Perspektive wahrgenommen, in der vieles mit vielem zusammenhängt. Die Disziplin, die diese Zusammenhänge in Bezug auf den lebendigen Teil der Natur untersucht, ist die Ökologie. Sie gilt vielen als systemischer Gegenentwurf zur reduktionistischen Denkweise.66
Mit dem Wort „ökologisch“ wird jedoch nicht nur auf eine naturwissenschaftliche Disziplin verwiesen. Der Begriff wird auch als Synonym für eine Weltanschauung und bestimmte Werthaltungen verwendet, „die ein neuartiges, richtiges Verhältnis der Menschen zur Natur“ anstreben.67 Das Wort „ökologisch“ kann sich also sowohl auf eine lebensweltliche als auch auf eine naturwissenschaftliche Deutung beziehen. Wir gehen im Folgenden allerdings nur auf die naturwissenschaftliche ein, in der die Natur aus einer systemwissenschaftlichen Perspektive betrachtet und als „Ökosystem“ modelliert wird.68

5.2.2 Ökologische Wissenschaft

Lebewesen sind keine isolierten Einheiten, sondern haben vielfältige und komplexe Beziehungen zu Individuen der eigenen Art und zu denen anderer Arten. Für ihre wechselseitigen Abhängigkeiten steht der Begriff „Biozönose“. Er bezieht sich auf die Gesamtheit aller Lebewesen in einem Lebensraum, dem Biotop, und deren Interaktionen. Eingeführt wurde der Begriff 1877 von Karl August Möbius. Möbius, der sich im Auftrag der preußischen Regierung mit der wirtschaftlichen Nutzbarmachung von Austernbänken beschäftigte, fand, dass die verschiedenen Arten des von ihm untersuchten Lebensraumes eine „Gemeinschaft“ bilden (Zitat 5.11).69
Zitat 5.11: Karl August Möbius (1825–1908)
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„Jede Austernbank ist gewissermassen eine Gemeinde lebender Wesen, eine Auswahl von Arten und eine Summe von Individuen, welche gerade an dieser Stelle alle Bedingungen für ihre Entstehung und Erhaltung finden […]. Die Wissenschaft besitzt noch kein Wort für eine solche Gemeinschaft von lebenden Wesen, für eine den durchschnittlichen äusseren Lebensverhältnissen entsprechende Auswahl und Zahl von Arten und Individuen, welche sich gegenseitig bedingen und durch Fortpflanzung in einem abgemessenen Gebiete dauernd erhalten. Ich nenne eine solche Gemeinschaft Biocoenosis[…] oder Lebensgemeinde.“70
Die von Möbius erkannten wechselseitigen Beziehungen zwischen Lebewesen verschiedener Arten sind der Untersuchungsgegenstand der Ökologie. Als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Disziplin wurde der Begriff erstmals von Ernst Haeckel verwendet. Was er unter Ökologie versteht hat Haeckel in seinen Publikationen mehrfach definiert.71 Eine seiner Definitionen ist in Zitat 5.12 wiedergegeben. Für Haeckel ist Ökologie die Wissenschaft, die die Beziehungen von Organismen zu ihrer Umwelt beschreibt und dabei sowohl biologische wie physikalisch-chemische Zusammenhänge berücksichtigt. Auch wenn neuere Definitionen moderner formuliert sind, gibt Haeckels Beschreibung nach wie vor wieder, worum es in der Ökologie geht. Die in einem aktuellen Lehrbuch von Michael Begon verwendete Definition ist der Haeckels jedenfalls sehr ähnlich. Ökologie ist für Begon ebenfalls die Wissenschaft, die sich mit „Wechselbeziehungen zwischen Organismen“ und den damit verbundenen Energie- und Stoffflüssen befasst.72
Zitat 5.12: Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (1834–1919)
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„Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Existenz-Bedingungen‘ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur[…].“73

5.2.3 Ökosysteme sind mehr als Biozönosen

So wie Haeckel und Begon die Ökologie definieren, fällt auf, dass sie nicht nur die wechselseitigen Beziehungen zwischen Lebewesen, sondern auch unbelebte Stoffe und Energie in ökologische Fragestellungen einbeziehen. Deren Bedeutung hatte 1749 bereits Carl von Linné erkannt. Pflanzen und die unbelebten Bestandteile des Bodens waren für Linné in einer „wechselseitigen Verknüpfung“ miteinander verbunden.74 Sechzehn Jahre bevor Haeckel den Begriff Ökologie prägte, wies auch bereits Gustav Theodor Fechner darauf hin, dass die Interaktionen der Lebewesen ohne die beteiligten Stoffe nicht möglich wären. Für Fechner sind Pflanzen und Tiere wie die Glieder eines großen Organismus, an dessen Einheit auch anorganische Stoffe Anteil haben.75 Ökologische Systeme sind also mehr als Biozönosen.
Der Begriff des „Ökosystems“ ist vermutlich auf den Botaniker Arthur Roy Clapham zurückzuführen. Bekannt wurde der Begriff aber erst durch Arthur Tansley, mit dem Clapham in Oxford zusammenarbeitete. In seiner in Zitat 5.13 wiedergegebenen Definition betont Tansley, dass Lebewesen und Stoffe erst in ihrem Zusammenwirken ein Ökosystem bilden.76 Aus Sicht der Thermodynamik und Allgemeinen Systemtheorie sind Ökosysteme offene Systeme, die, fern vom Gleichgewicht, Stoffe, Energie und Information mit ihrer Umgebung austauschen. Sie erhalten sich, indem sie Energie aufnehmen, exportieren Entropie und bilden komplexe Strukturen.77
Zitat 5.13: Arthur George Tansley (1871–1955)
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„Though the organisms may claim our primary interest, when we are trying to think fundamentally we cannot separate them from their special environment, with which they form one physical system. Our natural human prejudices force us to consider the organisms (in the sense of the biologist) as the most important parts of these systems, but certainly the inorganic ›factors‹ are also parts – there could be no systems without them, and there is constant inter-change of the most various kinds within each system, not only between the organisms but between the organic and the inorganic. These ecosystems, as we may call them, are of the most various kinds and sizes.“78
In Abb. 5.6 ist ein Ökosystem, unter Einbeziehung der beteiligten Stoffe als Nahrungsbeziehung zwischen den drei Organismengruppen Produzenten, Konsumenten und Destruenten dargestellt.
Zu den Produzenten gehören Pflanzen. Sie wandeln Lichtenergie durch Fotosynthese in chemisch gebundene Energie um und bauen organische Biomasse auf. Wie viel Energie in Ökosystemen umgesetzt wird, hängt von ihrer Produktivität ab. Die in Biomasse enthaltene Energie dient „Konsumenten“, d. h. Lebewesen, die nicht wie Pflanzen energiereiche organische Stoffe selbst herstellen können, als Nahrung. Dabei wird pflanzliche Biomasse zunächst von Pflanzenfressern, den „Herbivoren“, konsumiert, die ihrerseits Nahrungsgrundlage für fleischfressende Lebewesen, die „Karnivoren“, sind. Organisches Material, das nach dem Tod von Lebewesen vorliegt, wird schließlich von „Destruenten“ bzw. „Reduzenten“ wie Pilzen zu Stoffen abgebaut, die von Produzenten wieder zu neuer Biomasse verarbeitet werden können.80 Ein Ökosystem umfasst mindestens eine Population von primären Produzenten und Reduzenten, meistens sind aber auch Konsumenten vorhanden.81 In der Industriellen Ökologie ist das ökosystemische Zusammenspiel von Produzenten, Konsumenten und Reduzenten eine Vorlage für die Gestaltung industrieller Produktionssysteme (Abschn. 2.​2.​3 und 7.​2.​2).82
Da an einem Ökosystem verschiedene Stoffe beteiligt sind, erwies es sich aus Gründen der quantitativen Vergleichbarkeit als praktisch, den Stoffaustausch zu vereinheitlichen und als Energieumsatz zu beschreiben. Ein solches Konzept hatte Alfred James Lotka bereits 1925, also zehn Jahre vor Tansley, entwickelt, allerdings ohne den Begriff Ökosystem zu verwenden(Zitat 5.14).83
Zitat 5.14: Alfred James Lotka (1880–1945)
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„Plant and Animal as Coupled Transformers. Coupled transformers are presented to us in profuse abundance, wherever one species feeds on another, so that the energy sink of the one is the energy source of the other.“84
Dadurch, dass ökologische Prozesse als Energieaustausch gedeutet wurden, wurde es möglich, ökologische Beziehungen quantitativ abzubilden. Sie konnten so miteinander verrechnet85 und als kybernetische Regelkreise modelliert werden86. Dies erfolgte in den 1940er-Jahren vor allem durch Raymond Laurel Lindeman und George Evelyn Hutchinson, deren Ökosystemmodelle an Wieners kybernetischen Ansatz angelehnt waren. Bedeutend für die weitere Entwicklung wurde auch die in Zitat 5.15 wiedergegebene Ökosystemdefinition von Eugene Odum, in der Ökosysteme als Kreisläufe beschrieben werden.
Zitat 5.15: Eugene Pleasants Odum (1913–2002)
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„Any entity or natural unit that includes living and nonliving parts interacting to produce a stable system in which the exchange of materials between the living and the nonliving parts follows circular paths is an ecological system or ecosystem.“87
Der Einfluss der Kybernetik auf die Ökologie ist auch daran ablesbar, wie Ökosysteme grafisch dargestellt wurden. Ein Beispiel ist in Abb. 5.7 zu sehen. Abgebildet ist ein Ausschnitt aus einer Darstellung Howard T. Odums, einem Bruder Eugene Odums. Sein Modell zur Beschreibung von Energieflüssen im Nahrungsnetz eines Regenwaldes ähnelt Plänen elektrischer Schaltkreise.

5.2.4 Kritik am kybernetischen Ökosystemverständnis

Kybernetisch aufgebaute Ökosystemmodelle bringen viele Vorteile mit sich und eröffnen neue Möglichkeiten zur Untersuchung ökologischer Zusammenhänge. Ihre Entwicklung war jedoch nicht nur ein methodischer Fortschritt, sondern auch mit einem Paradigmenwechsel verbunden, der eine Mathematisierung der Ökologie zur Folge hatte. Von nun an standen nicht mehr ganzheitliche Wechselbeziehungen im Vordergrund, sondern Stoff- und Energieumsätze in kybernetischen Regelkreisläufen.89 So erfolgreich diese Vorgehensweise auch war, die kybernetische Perspektive reduziert die Komplexität von ökologischer Zusammenhänge und suggeriert, dass ökologische Zusammenhänge gesteuert werden können.90 Die Anwendung der Kybernetik bringt die Gefahr mit sich, aufgrund der verwendeten Analogien zu Schaltkreisen zu denken, man könne ökologische Systeme auch wie Schaltkreise behandeln.91 Wenn ökologische Zusammenhänge als Energieflüsse darstellbar sind, dann müsste es grundsätzlich auch möglich sein, in sie einzugreifen, Energieflüsse zu steuern, Systemelemente zu ersetzen und neue in das System zu implementieren. Die Darstellung als Regelkreis legt nahe, dass Ökosysteme konstruierbar sind.92
Ab Mitte der 1960er-Jahre setzte deshalb eine Gegenbewegung zum kybernetischen Ökosystemdenken ein. Die Aufmerksamkeit richtete sich wieder mehr auf die wechselseitigen Beziehungen der Lebewesen und weniger auf Stoff- und Energieflüsse.93 Hinzu kam, dass Erkenntnisse aus der Chaos- und Resilienzforschung auf die Ökologie angewandt wurden. Anstelle von Vorstellungen, die von stabilen ökologischen Gleichgewichten ausgingen, rückte die „Inkonstanz und Instabilität“ der Systeme in den Vordergrund. Störungen wurden als natürliche Faktoren angesehen und Zufälle und Wahrscheinlichkeiten in die Betrachtungen einbezogen. Da diese Ansätze nicht nur einen Status quo und seine funktionalen Zusammenhänge beschreiben,94 sondern auch dessen Entwicklung berücksichtigen, werden sie auch als „evolutionäre Ökologie“ bezeichnet.95

5.2.5 Abgrenzung von Ökosystemen

In Abschn. 5.1.5 wurde bereits auf die grundsätzliche Problematik von Grenzziehungen bei Systemdefinitionen hingewiesen. Es überrascht deshalb nicht, dass auch bei der Anwendung des Ökosystembegriffs Schwierigkeiten bestehen, die Systeme gegenüber ihrer Umwelt abzugrenzen. In der Regel können mit „topografischen“, „zönologischen“ und „systemtheoretischen“ Kriterien drei unterschiedliche Kategorien zur Festlegung der Systemgrenzen verwendet werden.
Das topografische Kriterium orientiert sich an Geländeunterschieden. Die Grenze des Ökosystems „See“ ist dann das Seeufer, wo ein Übergang vom Wasser zum Land stattfindet. Das zönologische Kriterium berücksichtigt dagegen die räumlich unterschiedliche Verteilung von Arten. Das System See existiert dann dort, wo die Arten, die es ausmachen, vorkommen. Seine Grenze wäre dann über den Uferbereich hinaus zu erweitern und würde auch den Aktionsradius von Fröschen einbeziehen. Bei Anwendung eines systemtheoretischen Kriteriums konstituiert sich die Systemgrenze nicht durch äußere Begrenzungen, sondern durch innere Funktionen wie Nahrungsbeziehungen. Das Modell eines Ökosystems kann beispielsweise durch einen Nahrungskreislauf geschlossen werden.96

5.2.6 Ökosysteme sind keine „Superorganismen“

Da die Elemente eines Ökosystems wechselseitig voneinander abhängig sind, liegt es nahe, sie mit der Organisation eines Lebewesens zu vergleichen. Dieser Vergleich findet sich bereits bei Möbius, wurde aber auch von dem Ökologen August Thienemann vorgenommen. Für Thienemann bilden die von Möbius definierte Biozönose und ihr Lebensraum, das Biotop, eine „geschlossene Einheit“, die er als „Organismus höherer Ordnung“ bezeichnete.97 Das klingt so, als ob Ökosysteme nicht nur aus den Interaktionen von Organismen bestehen, sondern so als ob sie selbst etwas Ähnliches sind wie Lebewesen.
Die Debatte, ob Ökosysteme als Organismen aufgefasst werden können oder nicht, ist auch heute noch Gegenstand der Diskussion.98 Gegen einen solchen Standpunkt wenden sich beispielsweise die Biophilosophen Martin Mahner und Mario Bunge, deren Position99 wir hier übernehmen. Einen ausführlichen Vergleich zwischen Organismen und Ökosystemen nimmt auch der Biologe und Philosoph Georg Toepfer vor. Laut Toepfer100 verfügen Lebewesen über
1.
eine geschlossene, artspezifische, körperliche Gestalt,
 
2.
eine Lebensspanne mit definiertem Anfang und Ende,
 
3.
aktive Bewegung bei Tieren oder passive Bewegung (Samen) bei Pflanzen und
 
4.
Fortpflanzung durch Reproduktion.
 
Ökosysteme dagegen haben
1.
keine körperlich geschlossene Gestalt,
 
2.
unscharfe Grenzen in Bezug auf ihr Entstehen oder Vergehen,
 
3.
in der Regel keine Selbstbewegung und
 
4.
keinen Fortpflanzungsmechanismus.
 
Ein weiterer, wesentlicher Unterschied besteht in der „Einheit“ des Systems. Bei Lebewesen hat die Selbsterhaltung des Organismus Vorrang vor der Erhaltung der Teile, aus denen er besteht. Die Selbsterhaltung von Ökosystemen ist dagegen ein Resultat, das sich durch die Lebewesen im System erst ergibt. Für diese ist ihr eigenes Überleben wichtiger als der Bestand des Systems. Viele Lebewesen sind Generalisten, die in unterschiedlichen Umgebungen leben und von einem Ökosystem in ein anderes wechseln können. Letzteres ist Organen oder Körperzellen nicht möglich.101 Ein weiteres Unterscheidungskriterium sind die Konkurrenzverhältnisse zwischen Lebewesen. Sowohl Organe und Zellen als auch Ökosysteme stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Ökosysteme durchlaufen keine Evolution, die auf Variation und Selektion beruht, dies betriff nur die Lebewesen, die das Ökosystem bilden.

5.2.7 Sind Ökosysteme reale Gegebenheiten oder reine Modellvorstellungen?

Mit einer der wichtigsten Vertreter einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Systemtheorie ist der Soziologe Niklas Luhmann, dessen bekanntestes Werk „Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie“ 1984 erschien.102 Unsere Frage, ob es Ökosysteme wirklich gibt, die wir in der Überschrift formuliert haben, beantwortet Luhmann im ersten Satz seines ersten Kapitels klar und deutlich. Luhmann schreibt: „Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, daß es Systeme gibt“103. Da sich seine Aussage nicht nur auf soziale, sondern allgemein auf Systeme bezieht, sollten demnach auch Ökosysteme wirklich existieren.
Doch so klar, wie die Aussage Luhmanns scheint, ist die Antwort auf die oben gestellte Frage unseres Erachtens nicht. Systeme und damit auch Ökosysteme sind zunächst einmal Modelle. Sie sind Vorstellungen, die zur Beschreibung komplexer, wechselseitiger Beziehungen zwischen Lebewesen, Stoffen und Energie erdacht wurden. Sogar Tansley, von dem der Begriff Ökosystem stammt, relativiert ihn in Zitat 5.16. Er betont, dass Ökosysteme keine „realen Einheiten“ sind, sondern dass es sich bei ihnen zumindest „teilweise um künstliche geistige Konstruktionen“ handelt, die dazu dienen, wissenschaftliche Zusammenhänge zu erfassen.104
Zitat 5.16: Arthur George Tansley (1871–1955)
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„The whole method of science […] is to isolate systems mentally for the purposes of study, so that the series of isolates we make become the actual objects of our study, whether the isolate be a solar system, a planet, a climatic region, a plant or animal community, an individual organism, an organic molecule or an atom. Actually the systems we isolate mentally are not only included as parts of larger ones, but they also overlap, interlock and interact with one another. The isolation is partly artificial, but is the only possible way in which we can proceed. […] The mental isolates we make are by no means all coincident with physical systems, though many of them are, and the ecosystems among them.“105
Den Modellcharakter von Ökosystemen hebt auch der Ökologe Kurt Jax hervor, indem er nach den Elementen fragt, die in Ökosystemen agieren. In den Modellen, so Jax, werden Lebewesen zu Naturteilen wie Seen oder Wäldern zusammengefasst. Das, was aber in den Modellen interagiert, sind mit „Arten“ keine realen, sondern abstrakte Akteure. Reale Akteure sind Lebewesen und nicht Arten oder Wälder. Die Merkmale von Arten wurden verallgemeinernd aus den Eigenschaften konkreter Einzelwesen abgeleitet.106 Eine ähnliche Argumentation verwendet auch der Biophilosoph Hans-Werner Ingensiep. Er schreibt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst wesentliche „Konstrukteure“ der Systeme sind, die sie untersuchen, indem sie beispielsweise die Beziehungen auswählen, die sie in ihre Systemuntersuchung einbeziehen.107 Haben Ökosystemmodelle also nichts mit der Realität zu tun? Wir wollen erneut Niklas Luhmann auf diese Frage antworten lassen. Er schreibt an einer anderen Stelle seines Buches, dass die „Aussage, es gibt Systeme“ nur besagt, „daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden“.108 Wir wollen den Kompromiss, den Luhmann hier anbietet, annehmen: Systeme sind demnach Modelle, die sich als geeignet erwiesen haben, Teile der Realität zu beschreiben.

5.3 Die Biosphäre, das Ökosystem der Erde

5.3.1 Eine eigene Sphäre für das Leben

Die Gesamtheit der Ökosysteme der Erde wird auch als „Biosphäre“ bezeichnet. In der Bioökonomie und Circular Economy ist der Begriff ein Synonym für die belebte Natur, die von anderen Sphären bzw. Systemen wie der „Technosphäre“ (Abschn. 5.4) bzw. der menschlichen Wirtschaft (Abschn. 5.5) unterschieden wird. Das Wort „Sphäre“ leitet sich vom altgriechischen „sphaira“ (σφαῖρα) ab, was Hülle, Kugel oder Ball bedeutet. In der antiken Astronomie wurde angenommen, dass die Erde von sie umkreisenden Kugelschalen umgeben ist, auf denen sich die Planeten, die Fixsterne, die Sonne und der Mond befinden. Diese Kugelschalen wurden als Sphären bezeichnet. Abb. 5.8 zeigt diese Perspektive in der Darstellung der 1493 in Nürnberg erschienenen Schedelschen Weltchronik.109 Die äußere Schicht in der Abbildung ist die Sphäre der Engel und Heiligen. Nach innen folgen die Sphären der Fixsterne, die von Saturn, Jupiter, Mars, die der Sonne sowie die von Venus, Merkur und Mond. Auf die des Mondes folgen die der Elemente Feuer, Luft und Wasser. Im Zentrum befindet sich als viertes Element die Erde.110
Die Sphärologie, wie das Denken in Sphären genannt wird, nimmt eine Strukturierung in Form konzentrisch geschichteter Hüllen vor. Der Begriff der Sphäre suggeriert also, dass einzelne Bereiche in Form von Schichten angeordnet sind. Übertragen auf die Erde, ergibt sich so ein „vertikales Schema, das in Form von konzentrischen Erdschichten strukturiert ist“112. Die Atmosphäre – wörtlich eine mit Dampf gefüllte Kugel – ist die Gashülle der Erde. Ihr Teil, der vom Boden bis in ca. 10.000 m Höhe reicht, ist die Troposphäre. Ihre Grenze bildet die Ozonschicht. Darüber folgen Stratosphäre, Mesosphäre, Thermosphäre und schließlich mit dem Weltall die Exosphäre. Die Gesteinsmassen der Erde werden als Lithosphäre bezeichnet. Sie wird in Richtung Erdkern in Asthenosphäre und Mesosphäre differenziert. Die Hydrosphäre schließlich ist die Gesamtheit aller Gewässer.113
In diesen Zusammenhängen gedacht, ist die Biosphäre eine die Erde umhüllende lebendige Schicht. Sie „ist der regelmäßig von Organismen besiedelte Bereich der Erde“ der als umfassendes „Erdökosystem“ betrachtet werden kann.114 Räumlich wird er mit dem Bereich identifiziert, in dem Bakterien stoffwechselaktiv sind. Er reicht von 5 km tiefen Sedimentschichten bis in etwa 60 km Höhe.115
Die Idee von einer Biosphäre geht auf Eduard Suess, Pierre Teilhard de Chardin und Wladimir Iwanowitsch Vernadskij zurück. Ihre Konzepte basieren darauf, dass es sich bei der Biosphäre um eine „lebendige Schicht aus Biomasse“ handelt, „die wie eine Decke über die gesamte Erde ausgebreitet ist“116. Im Detail unterscheiden sich ihre Vorstellungen jedoch. Suess, von dem auch die Begriffe „Lithosphäre“ und „Hydrosphäre“ stammen, versteht unter der Biosphäre vor allem ein räumliches Gebilde. Er ordnet dem Leben eine eigene Zone zu, die mit den anderen Sphären im Austausch steht. Teilhard interpretiert die Biosphäre dagegen biotisch als „Gesamtheit aller irdischen Lebewesen“, und Vernadskij hat eher ein an der Vorstellung eines globalen Ökosystems orientiertes Verständnis. Für ihn ist die Biosphäre ein vom Leben selbst geformter Raum, in dem Lebewesen mit biotischem und abiotischem Material wechselwirken.117 Heute wird die Biosphäre mehr als System aller Lebewesen vorgestellt und weniger als räumlicher Bereich.118 Dieses System ist selbstregulierend und enthält eng verwobene biologische und geologische Elemente. „Lebewesen und die Beziehungen, die sie zu ihrer Umwelt unterhalten, verändern sich in der Biosphäre gegenseitig“.119
Die systemische Interpretation der Biosphäre findet ihre extreme Auslegung in der auf Lynn Margulis und James Lovelock zurückgehenden „Gaia-Hypothese“120. „Gaia“ ist in der griechischen Mythologie der Name der Erdgöttin. Sie ist dort die Erzeugerin allen Lebens, von der alles Wachstum in der Natur ausgeht. Für Margulis und Lovelocks ist Gaia ein selbsterhaltendes „kybernetisch geregeltes System, das Rückkopplungsschleifen enthält, die bestimmte globale und für das Leben wichtige Regelgrößen konstant halten“121. Lebewesen und ihre Umgebung sind in diesem System so eng verbunden, dass sie sich nicht getrennt betrachten lassen. Höchst umstritten ist die von Margulis und Lovelock mehr oder weniger vorgenommene Gleichsetzung von Gaia mit einem Organismus (Abschn. 5.2.6).

5.3.2 Die Entwicklung der Biosphäre

Die Biosphäre ist nicht unveränderlich, sondern hat eine Geschichte, die im Folgenden auf Grundlage eines Fachartikels122, den der Geologe Mark Williams verfasst hat, nacherzählt wird.
Die Erde entstand vor etwa 4,5 Mrd. Jahren und die ersten durch Fossilien belegten Lebensspuren werden auf einen Zeitraum von 3,8 bis 3,5 Mrd. Jahren datiert. Die ersten 3 Mrd. Jahre der Biosphäre werden als ihre „mikrobielle“ Phase bezeichnet, weil es ausschließlich Mikroorganismen gab. Sowohl die Anzahl der Arten als auch ihre Unterschiede waren vermutlich viel geringer als heute. Trotzdem entwickelten sich wahrscheinlich schon sehr früh verschiedene Ernährungsformen und komplexe ökologische Beziehungen. In diese Phase fällt auch das Entstehen der Fotosynthese, was dramatische Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der biologischen Entwicklung und die Zusammensetzung der Atmosphäre hatte. Der bei der Fotosynthese freiwerdende Sauerstoff „vergiftete“ einen großen Teil der Organismen. Trotz dieses Massensterbens nahm die Komplexität der Biosphäre danach wieder zu. Als wesentliche Meilensteine der weiteren Entwicklung gelten vor 1,8 Mrd. Jahren das Entstehen von Mikroben mit Zellkern (Eukaryoten) sowie die „Zweigeschlechtlichkeit“ und das Auftreten von mehrzelligen Organismen vor 1,2 Mrd. Jahren.
Die ersten größeren Tiere traten erst vor 0,7 Mrd. Jahren auf. Die Biosphäre wird ab diesem Zeitpunkt als „metazoisch“ bezeichnet. Metazoen sind vielzellige Tiere, die Organe haben und sich als Mehrzeller durch ein Epithel, beispielsweise eine Haut, gegenüber der Außenwelt abgrenzen. Das metazoische Stadium der Biosphäre ist durch komplexe ökologische Wechselwirkungen zwischen mikroskopischen Primärproduzenten und größeren Primär- und Sekundärproduzenten gekennzeichnet. Besonders während der sogenannten „Kambrischen Explosion“ entstanden viele neue Arten. Menschenähnliche Lebewesen tauchen mit den Australopithecinen in der Erdgeschichte erst vor etwa 3 Mio. Jahren auf, die beiden ältesten Arten der Gattung Homo vor rund 2,5 bis 1,5 Mio. Jahren. Den biologisch modernen Menschen gibt es erst seit etwa 300.000 bis 200.000 Jahren. Landwirtschaft betreiben und Städte bauen wir erst seit einigen Jahrtausenden. Die industrielle Produktion, auf die unser hoher Ressourcenverbrauch zurückgeht, gibt es erst wenige Jahrhunderte, und die in Abschn. 1.​2 beschriebene „große Beschleunigung“ des Ressourcenverbrauchs begann erst vor Jahrzehnten.

5.3.3 Systemische Einordnung der Biosphäre

Die Biosphäre, das System des Lebens auf der Erde, ist, betrachtet man sie als Einheit mit der Atmo-, Hydro- und Lithosphäre ist energetisch offen und stofflich nahezu geschlossen. Befände sich das Erdsystem im thermodynamischen Gleichgewicht, gäbe es keine Lebewesen auf der Erde und auch keinen freien Sauerstoff in der Atmosphäre, sondern wahrscheinlich nur CO2 wie auf dem Mars. Es liegt, wie in Abb. 5.9 dargestellt, kein thermodynamisches Gleichgewicht, sondern ein Fließgleichgewicht vor.
Das in der Abbildung dargestellte Fließgleichgewicht wird durch den Energiefluss von einer Energiequelle, der Sonne, zu einer Energiesenke, dem Weltraum, aufrechterhalten. Die Entropie der Biosphäre bleibt dabei nicht nur konstant, sondern verringert sich sogar durch die zunehmende Komplexität, die bei offenen Systemen, die sich fern vom Gleichgewicht befinden, eintreten kann (Abschn. 5.1.2.2). Mithilfe der Sonnenenergie entstehen komplexe chemische Verbindungen und Strukturen. Befände sich die Erde im thermodynamischen Gleichgewicht, lägen Kohlenstoffverbindungen nicht als Eiweiße, Fette, Kohlehydrate oder Lignin vor, sondern als Methan, CO2 oder Karbonate. Die entstehende Entropie wird als Wärmestrahlung in den Weltraum exportiert. Da das Erdsystem stofflich nahezu geschlossen ist, ist es immer wieder dieselbe Materie, die an kreislaufartigen Prozessen in der Biosphäre beteiligt ist.124 Zur Erinnerung: Das in Abb. 5.9 dargestellte Konzept des energetisch offenen, aber stofflich geschlossenen Systems Erde ist die Systemgrundlage der Ökologischen Ökonomie. Sie bildet auch den Hintergrund für Kenneth Bouldings Raumschiff-Erde-Analogie und die Idee von einer Circular Economy.

5.4 Die Technosphäre125

Eine verbreitete Auslegung des Naturbegriffs, die wir in Abschn. 4.​2 bereits angedeutet haben und auf die wir in Abschn. 5.7 noch eingehen, definiert Natur in Abgrenzung zur menschlichen Kultur. Natur ist in dieser Gegenüberstellung alles, was unabhängig von menschlicher Einflussnahme existiert, und Kultur all das, was von Menschen geschaffen wurde. Aus einer systemischen Perspektive kommt der Natur-Kultur-Dualismus durch die Vorstellung eines von Menschen geprägten Bereichs zum Ausdruck, welcher der Biosphäre gegenübergestellt wird. Je nachdem, ob dabei das soziale Zusammenleben, seine wirtschaftliche Organisation oder die Fähigkeit, Technik zu entwickeln, in den Vordergrund gerückt werden soll, wird die Gesellschaft, das Wirtschaftssystem oder die „Technosphäre“ als Gegenüber der Biosphäre positioniert. Das Technosphärenkonzept, das eng mit der Idee eines von Menschen geprägten neuen Erdzeitalters, dem Anthropozän, verbunden ist, auf das wir in Abschn. 5.7.3 eingehen, vermittelt das Bild einer weltumspannenden Technik. Ihr Gegenbild ist ein von Menschen gänzlich unberührter Planet.126 Abb. 5.10 zeigt eine künstlerische Darstellung der Technosphäre bzw. des Anthropozäns der Anthropocene Working Group. Sie ist grundsätzlich an der für die die Sphärologie typische Vorstellung einer konzentrischen Hülle orientiert. Diese Hülle ist in der Abbildung als eine den Globus umschließende Plastikfolie dargestellt.

5.4.1 Technik

Die Vorstellung von einer Technosphäre ist mit der Frage verbunden, was Technik eigentlich ist. Der Begriff ist bereits in seiner Herkunft mehrdeutig. Er leitet sich aus dem griechischen Wort „techné“ (τεχνη) ab, das Werkzeuge, Kunstwerke oder das Handwerk bezeichnet.128 Eine allgemein gültige Definition für das Wort Technik gibt es jedenfalls nicht. Wenn von ihr die Rede ist, können der Prozess menschlichen Herstellens, die Menge an Werkzeugen, Maschinen und Apparaten oder eine zielgerichtete Vorgehensweise gemeint sein. Manche Autoren deuten beispielsweise den Prozess menschlichen Wirtschaftens als technischen Vorgang129 oder „soziale Technologie“130, während andere den Technikbegriff nur für Gegenstände und den Prozess zu deren Herstellung gelten lassen131. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Autorinnen und Autoren, die über Technik nachdenken, unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Je nachdem, welche weltanschaulichen, methodologischen und disziplinären Aspekte eine Rolle spielen, werden der Erfindungsvorgang, die Funktion von Technik, die Folgen einer Technisierung, das Verhältnis zwischen Technik und Natur oder Menschen sowie die Interaktion zwischen Technik und Ökonomie behandelt.132 Das hier wiedergegebene Verständnis des Technikbegriffs zeigt deshalb auch nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Perspektiven.
Obwohl es bereits in der Antike Überlegungen zum Wesen technischer Prozesse und Werkzeuge gegeben hat, wird erst in Zusammenhang mit den 1877 veröffentlichten Arbeiten von Ernst Kapp von einer Technikphilosophie gesprochen.133 Kapp deutete Technik als „Organprojektion“, weil sie, seinem Verständnis nach, ähnlich wie im Prometheus-Mythos aus Abschn. 1.​1, eine unzulängliche natürliche Ausstattung von Menschen verbessert. Arnold Gehlen ergänzte Kapps Konzept um die Begriffe Organentlastung und Organverstärkung.134 Kleidung entlastet, weil sie vor Kälte schützt, und ein Hammer verstärkt den menschlichen Arm. Kapps und Gehlens Definitionen sind heute nicht mehr aktuell. Sie scheinen zwar auf viele Anwendungen zu passen, werden aber längst nicht allen technischen Produkten und Prozessen gerecht. Die Funktion eines Fernsehers ist weder als Organentlastung noch als Organverstärkung zu verstehen. Günter Ropohl unterschied deshalb noch zwischen der „Substitution“ und „Komplementation“ menschlicher Leistungen.135 Eine Substitution liegt dann vor, wenn Fähigkeiten oder das Handeln von Menschen durch ein technisches System ersetzt oder verbessert werden; von Komplementation spricht man, wenn es eine Funktion übernimmt, die bei Menschen nicht angelegt ist. Geht Technik also über die Natur hinaus, indem sie etwas herstellt, was keine Natur mehr ist?

5.4.2 Unterschiede zwischen Natur und Technik

Aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive sind technische Prozesse, zumindest grundsätzlich, mit natürlichen Prozessen vergleichbar. In beiden wirken dieselben Naturgesetze. Diese werden in technischen Prozessen nicht außer Kraft gesetzt, sondern lediglich von Menschen, die selbst Teil der Natur sind, angewendet. Auch das Material, aus dem Werkzeuge und Maschinen hergestellt werden, oder die Stoffe, die sie verarbeiten, haben ihren Ursprung in der Natur. Das gilt sogar für die eingangs von Abschn. 4.​1 bereits angesprochene Plastiktüte. Der Kunststoff, aus dem sie besteht, wird aus Erdöl hergestellt, das wiederum in geologischen Prozessen aus abgestorbenem Plankton entstanden ist. Aus dieser Sicht ist die Plastiktüte nur eine von Natur aus vorhandene andere Existenzform für Biomasse oder Plankton. Eine ähnliche Auffassung hätte wohl Aristoteles vertreten. Für ihn sind in technisch hergestellten Dingen lediglich in der Natur bereits angelegte Möglichkeiten vollendet, die von sich aus nicht zur Entfaltung kommen (Zitat 5.17). Marmor beispielsweise, der aktuell noch als Marmorblock vorliegt, kann für Aristoteles potenziell auch eine Skulptur sein.136
Zitat 5.17: Aristoteles (1881–1942)
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„Allgemein gesprochen, die Kunstfertigkeit bringt teils zur Vollendung, was die Natur nicht zu Ende bringen kann, teils eifert sie ihr (der Natur) nach.“137
Auch wenn die genannten Argumente auf den ersten Blick für die Natürlichkeit von Technik zu sprechen scheinen, möchten wir uns dieser Ansicht nicht anschließen. Technische Produkte und Verfahren existieren, anders als in der Natur vorgefundene Steine oder Lebewesen, nicht von selbst, sondern sind „aufgrund anderer Ursachen da“138. Sie beruhen zwar auf natürlichen Phänomenen, die sich mithilfe von Naturgesetzen beschreiben lassen, die Prozessabfolge würde von selbst aber anders verlaufen. Die einzelnen Prozesse sind natürlich, die Prozessabfolge ist es aber nicht. Sie ist technisch bzw. künstlich. Zusammenfassend lässt sich somit formulieren, dass Menschen Naturprozesse „arrangieren“, um Ziele zu erreichen.139 Dabei verknüpfen sie einen Bedarf mit einem Naturphänomen. Heizungen und Öfen sind nicht von selbst in die Welt gekommen, sondern weil der Bedarf nach einem warmen Zimmer mit Phänomenen, bei denen Wärme entsteht, verbunden wurde. Diese Verbindung ist ein kreativer Akt, an dessen Ende eine Innovation steht.140
In technischen Prozessen entwickelt sich die Welt anders, als es von sich aus geschehen würde. Spätere Technikdeutungen wie die von Gehlen und José Ortega y Gasset bewerten Technik deshalb anders als Aristoteles. Für Gehlen entsteht durch technische Produkte eine „passend gemachte Ersatzwelt“141. Die vorhandene Natur wird dabei zu etwas Neuem umgeformt. Ortega y Gasset bezeichnet das, was durch Technik entsteht, deshalb als „neue, übergeordnete Natur“ (Zitat 5.18). Menschen verändern allerdings durch Technik nicht nur die Natur, sondern sie setzen auch sich selbst in ein neues Verhältnis zu ihrer Umgebung.
Zitat 5.18: José Ortega y Gasset (1883–1955)
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Technik ist ein „tatkräftiges Einwirken auf Natur oder Umwelt, die den Menschen dazu bringt, zwischen ihr und sich eine neue, ihr übergeordnete Natur zu schaffen.“142

5.4.3 Technik, Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft

Lässt sich nun, nachdem wir im vorangehenden Kapitel das Verhältnis zwischen Natur und Technik untersucht haben, die eingangs gestellte Frage nach dem Wesen der Technik beantworten? Technik wäre demnach die menschliche Fähigkeit, Naturphänomene zu ordnen, um sie für bestimmte Zwecke zu nutzen. Diese Definition ist sicherlich nicht falsch, lässt aber außer Acht, dass der Technikbegriff nicht auf den Erfindungsvorgang reduziert werden kann. Technische Geräte sind keine isolierten Objekte, sondern, wie u. a. Ropohl in seiner „Systemtheorie der Technik“143 gezeigt hat, in einen systemisch beschreibbaren Zusammenhang eingebunden. Sie stehen nicht für sich, sondern interagieren mit technischen und organisatorischen Subsystemen.144
Technische Subsysteme sind Technologien, ohne die die Erfindung oder der Betrieb eines technischen Gerätes nicht möglich wäre. Die Kraftfahrzeugtechnik ist beispielsweise für die Reifen auf das Subsystem Kunststofftechnik und für die Steuerung auf die Elektrotechnik angewiesen. Darüber hinaus sind Kraftfahrzeuge in ein Verkehrssystem eingebettet, das sowohl technische als auch organisatorische Subsysteme beinhaltet. Zu nennen sind Straßen, Tankstellen, Raffinerien, Handelsabkommen, Öltanker, Pipelines, Automobilclubs, Werkstätten, Steuersysteme, Versicherungen, Verkehrsregeln usw.145 Die Anwendung des technischen Produkts Auto setzt die Existenz technischer und organisatorischer Subsysteme voraus, die ihrerseits wieder davon abhängen, dass es Kraftfahrzeuge gibt. Laut Ropohl erzeugen technische Gegenstände ein „soziotechnisches Handlungssystem“146 (Zitat 5.19).
Zitat 5.19: Günter Ropohl (1939–2017)
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„Die Technik führt kein isoliertes Eigenleben, sondern sie hat immer bestimmte Folgen für das natürliche Ökosystem und die menschlichen Lebensformen. Jede Erfindung ist eine Intervention […] in Natur und Gesellschaft“147
Besonders von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Interaktion zwischen Wirtschaft und Technik, die sich spätestens seit der industriellen Revolution nicht mehr voneinander trennen lassen. Zwischen ihnen besteht eine iterative Beziehung, in der sich wirtschaftliche Gewinne und die Entwicklung neuer Technologien gegenseitig verstärken (Zitat 5.20). Technische Produkte werden größtenteils nur deshalb hergestellt, weil sie sich wirtschaftlich verwerten lassen,148 während Wirtschaft auf technische Innovationen angewiesen ist. Technik, Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen sich wechselseitig.
Zitat 5.20: Karl Marx (1818–1883)
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„Mit der Akkumulation des Kapitals entwickelt sich die spezifisch kapitalistische Produktionsweise und mit der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise die Akkumulation des Kapitals.“149

5.4.4 Hat Technik ein Eigenleben?

Ein gutes Leben ohne Technik ist für uns nicht mehr vorstellbar. Technische Geräte verschaffen uns Freiheiten, helfen, uns mit dem zu versorgen, was wir benötigen, und schützen uns vor der Natur. Mit ihrer Hilfe können wir unsere Umgebung so gestalten, wie wir das möchten. Mit Technik verändern wir jedoch nicht nur die Welt, die Geräte, die wir geschaffen haben und das, was wir mit ihnen tun, bleiben auch nicht ohne Auswirkungen auf uns selbst. Sie sind nicht mehr wegzudenken und gewissermaßen zu einem Teil unserer „natürlichen“ Umgebung geworden. Wir wohnen in künstlich errichteten Gebäuden, bereiten Kaffee maschinell zu, lesen auf einem Tablet die Tageszeitung und fahren mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Wir kommunizieren mit verschiedenen Formen künstlicher Intelligenz und bemerken immer weniger, dass wir nicht mit einem Menschen sprechen. Was wir auf einem Bildschirm sehen, ist für uns Realität. Nicht zuletzt die intensive Nutzung des Smartphones zeigt, wie technische Geräte unser Sozialverhalten beeinflussen. Unter Umständen kann Technik heute auch zu einem unmittelbaren Teil von uns selbst werden. Eine direkte Wechselwirkung elektronischer Bauteile mit dem Gehirn ist bereits möglich: Cochlea-Implantate werden bei Gehörlosen in das Innenohr eingesetzt, um den Hörnerv zu stimulieren, und bei der „tiefen Hirnstimulation (THS)“ sollen Elektroden im Gehirn die Symptome der Parkinsonkrankheit durch elektrische Impulse mildern. Erforscht werden auch Gehirn-Computer-Schnittstellen zur Steuerung von Prothesen.150
Das Technik aus dem Leben von Menschen nicht mehr wegzudenken ist, kann, mit Blick auf ihre Omnipräsenz, noch eine Untertreibung genannt werden. Für den Technikphilosophen Langdon Winner verlieren Geräte ihren Werkzeugcharakter, je mehr sie in die Textur des täglichen Lebens eingewoben sind. Sie werden hierdurch zu einem unmittelbaren Teil des Menschseins.151 Auch Gehlen wies 1965, ohne dass er die Potenziale heutiger KI-Anwendungen und Möglichkeiten elektronischer Schnittstellen zum Gehirn kannte, darauf hin, dass technische Produkte inzwischen zum biologischen Leben von Menschen gehören. In Zitat 5.21 vergleicht er sie metaphorisch mit Schalentieren, deren Schale ein Teil ihrer selbst ist. Bei Menschen ist sie, so Gehlen, aus den sie umgebenden technischen Geräten entstanden.
Zitat 5.21: Arnold Gehlen (1904–1976)
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„So gesehen ist es nicht übertrieben […] zu sagen, dass die Apparate, die wir einst frei handhabten, nunmehr anfingen, so zu unserem biologischen Leben zu gehören, dass es ist, als gehöre die menschliche Spezies nicht mehr zur Gattung der Säugetiere, sondern beginne sich in eine Art Schalentier zu verwandeln.“152
Da technische Geräte immer intensiver mit unserem Leben und uns selbst verbunden sind, stellt sich nicht zu Unrecht die Frage, wie kontrollierbar Technik eigentlich noch ist. Ist sie immer noch eine menschliche Fähigkeit, oder hat sie sich zu einer eigenständigen Macht entwickelt, die von Menschen nicht mehr beeinflussbar ist. Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Ropohl beispielsweise gesteht der Technik kein isoliertes Eigenleben zu. Sie hat für ihn keine „innere Eigengesetzlichkeit“, die Menschen zu „willenlosen Spielbällen“ ihrer eigenen Konstrukte macht. Technik ist und bleibt für ihn „Menschenwerk“. Ropohl betont, dass es letztendlich immer Menschen und Organisationen sind, die entscheiden, was entwickelt und verwendet wird.153
Ob seine Argumente ihre Gültigkeit behalten, wenn zukünftig selbstlernende Maschinen ihre Nachfolger konzipieren, ist aus unserer Sicht jedoch mehr als fraglich. Es braucht aber nicht unbedingt digitale Technologien, um die Kontrollierbarkeit von Technik infrage zu stellen. Dass sie eine Eigendynamik entwickeln und sich dem menschlichen Zugriff entziehen kann, wurde bereits im 20. Jahrhundert intensiv diskutiert. Relativ moderat fällt der Hinweis auf das eigendynamische Potenzial der Technik noch bei Joseph Alois Schumpeter aus. Der Ökonom schreibt in seiner 1939 erschienenen Schrift über Konjunkturzyklen, dass alles, was technisch möglich ist und zu einer Verbesserung führt, auch umgesetzt wird154. Deutlicher als Schumpeter wird der Philosoph Günther Anders in einer seiner technikkritischen Abhandlungen. Menschen sind für ihn ihrer eigenen Technik nicht mehr gewachsen.155 Laut Anders vergleichen sie sich mit Anforderungen, die durch Maschinen an sie gestellt werden. Diesen werden sie jedoch nicht gerecht, sodass ihnen nichts anderes übrigbleibt, als sich selbst zu optimieren.156 Für Anders erfinden Menschen Technik nicht nur, um von ihnen gesetzte Zwecke zu erfüllen. Er sieht sie vielmehr in einer Doppelrolle als „homo creator“ und „homo materia“. Menschen wirken als „homo creator“, wenn sie etwas erfinden, wenn Technik auf sie selbst angewendet wird, sind sie dagegen „homo materia“. Mit Blick auf die Gentechnik warnt Anders, „dass der Mensch […] sich selbst in Rohstoff […] verwandeln kann.“157. Ähnlich argumentiert in Zitat 5.22 der Theologe und Philosoph Paul Tillich.
Zitat 5.22: Paul Tillich (1886–1965)
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„Die Technik dient dem Menschen, sie ist ihm unterworfen. Seine Zwecksetzung wird allen Dingen auferlegt. Um dieses Zweckes willen werden die übrigen Wesen ihrem Eigenzweck entfremdet, sie werden entmächtigt, um eine neue Macht im Dienst des Menschen zu erhalten: der Baum wird zum Holz, das Tier zur Arbeitskraft, […] das Eisen zur Maschine. Und, was die eigentliche Paradoxie ist, der Mensch selbst kann zu dem werden, wozu er Dinge zwingt: zum Werkzeug, zur Maschine, zur Arbeitskraft. Er kann wie die Dinge entmächtigt werden, um in die neue Macht des technischen Gebildes als Glied eingefügt zu werden. […] Aber freilich: es ist eine fremde Macht über die Technik gekommen. Die Technik mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten war die Versuchung. Die Entscheidung aber gab die Wirtschaft und ihre Zwecksetzung. […] Immer neue Bedürfnisse erzwingt die Wirtschaft, selbst gezwungen durch die Gesetze ihrer frei gewordenen Natur […]“158
Was Tillich hier mit drastischen Worten beschreibt, ist nichts anderes als die Technisierung bzw. Ökonomisierung der Natur, die schon Rousseau etwa 150 Jahre vor ihm benannt hatte (Zitat 1.5, Abschn. 1.​4). In der Sprache Tillichs werden Lebewesen und anderes durch Technik von der Natur „entfremdet“ und in ihrem Dasein „entmächtigt“. Indem sie einem technisch-ökonomischen Zweck untergeordnet werden, wird ihnen die Möglichkeit genommen, ihrem „Eigenzweck“ gemäß zu existieren. Sie existieren dann nicht so, wie es ihrer inneren Natur entspricht, sondern wie es ihnen ein externer Zweck vorschreibt. Wie für Rousseau werden für Tillich aber nicht nur Pflanzen, Tiere und andere Naturgegenstände von ihrem Eigenzweck entfremdet. Auch Menschen können, wie das in Abb. 5.11 gezeigte Beispiel zeigt, zu Elementen eines technischen Systems werden. Dargestellt ist der Prozess der Glasherstellung um 1910. Das erste Bild zeigt die automatische Herstellung von Flaschen mit einer „Siemens-Owens-Maschine“. Sie wird von Personen, die sich im Hintergrund aufhalten, überwacht. Menschen „beherrschen“ hier die Maschine. Das zweite Bild zeigt als Kontrast einen „Wannenofenbetrieb“, bei dem die Arbeiter selbst ein Teil der maschinellen Produktion sind. Sie wurden, um Tillichs Worte zu wählen, als „Glied“ in ein „technisches Gebilde“ eingefügt und dienen einem Zweck, der ihnen von anderen aus wirtschaftlichen Gründen auferlegt wurde. Das technisch-ökonomische System hat also mindestens zwei Seiten: Es kann frei machen und neue Möglichkeiten eröffnen, es kann aber auch Menschen und anderen Lebewesen eine neue Existenzweise in Diensten ökonomischer Zwecke zuweisen.

5.4.5 Gibt es eine eigene Sphäre für die Technik?

Heute hat die Vorstellung von einem eigenständigen, nicht oder zumindest kaum kontrollierbaren technischen Bereich ihren Niederschlag im Konzept der Technosphäre gefunden. Der Begriff weist der Technik und ihrer ökonomischen Anwendung eine eigene Sphäre zu und stellt sie so neben die anderen Sphären der Erde.160 Die Technosphäre entsteht durch Ausbreitung von Technik und „überformt“ die Biosphäre.161Vorstellen können wir uns die Technosphäre, analog zur Definition der Biosphäre (Abschn. 5.3), sowohl als Raum, in dem technische Geräte vorkommen, als auch als globales technisches System. Beide Interpretationen schließen sich nicht aus, da ein System, das aus realen Elementen besteht, auch eine räumliche Ausdehnung hat.
Fassen wir die Technosphäre als räumliches Areal auf, reicht sie von den tiefsten Bohrungen in 12.000 m Tiefe bis zu den Bereichen, in die Raumsonden vorgedrungen sind. Orientieren wir uns an der Verbreitung künstlich hergestellter Stoffe, ist die gesamte Erdoberfläche inzwischen ein Teil der Technosphäre.162 Neben der räumlichen Ausdehnung wurde auch versucht, die Masse der Technosphäre zu bestimmen. Sie beträgt nach Angaben aus 2017 etwa 30 Billionen Tonnen.163
Verstehen wir die Technosphäre als System, ist sie ein weltumspannendes Wirkungsfeld.164 Für den Geologen Peter Haff beschreibt der Begriff Technosphäre das weltumspannende System aller künstlichen Subsysteme und Gegenstände. Hierzu gehören Städte, Fabriken, die Landwirtschaft, die Energie- und Rohstoffgewinnung, Energieübertragungseinrichtungen, sämtliche Kommunikation, jedweder Transport, Finanzmärkte, Regierungen usw. sowie Geräte, künstliche Gegenstände und Materialien, die in diesen Bereichen verwendet werden.165 Sie wachsen mit zunehmender Dynamik zu einer zusammenhängenden technischen Struktur, der Technosphäre, zusammen, die, einer gängigen Vorstellung nach, als eine Art „zweite Natur“ aus der Biosphäre hervorgeht.166 Menschen sind für Haff Teil der Technosphäre, die, im Moment jedenfalls noch, auf ihre Mitwirkung angewiesen ist.167 Dabei nehmen die Steuerungsmöglichkeiten von Menschen ab und die der Technosphäre zu. Nach Ansicht Haffs sind die Menschen inzwischen ebenso von der Technosphäre wie von der Biosphäre abhängig.168
Neben Technosphäre sind auch noch die Bezeichnungen „Noosphäre“ und „Ergosphäre“ im Gebrauch. Der Begriff Noosphäre geht auf Teilhard und Vernadskij zurück und bezeichnet, ähnlich wie die Technosphäre, ein System, das Menschen aus der Biosphäre herstellen. Anders als im Technosphärenkonzept jedoch, das auf die Interaktion technischer Gegenstände abgestellt ist, betont der Begriff die Verbindung zur Biosphäre und steht für den Wirkungsbereich des menschlichen Geistes.169 Auch der vom griechischen Wort „ergon“ für Arbeit abgeleitete Begriff „Ergosphäre“ steht für den Bereich menschlichen Wirkens. Die Bezeichnung soll aber, mehr als der Technosphärenbegriff, auf Gestaltungsspielräume durch menschliche Arbeit hinweisen.170
Technik und Wirtschaft sind jedenfalls keine getrennten Bereiche, sondern vielfältig miteinander verwoben. Der Begriff Technosphäre adressiert deshalb auch keine ausschließlich technische Perspektive, sondern bezieht sich auf die ökonomische Anwendung von Technik. Wirtschaftliche Entwicklung und technische Neuerungen bedingen sich gegenseitig.

5.5 Das Wirtschaftssystem

Nach einer Definition der Bundeszentrale für politische Bildung umfasst der Begriff Wirtschaft „die Gesamtheit aller Einrichtungen wie Unternehmen, private und öffentliche Haushalte“ sowie die „Abläufe […], die mit der Herstellung und dem Verbrauch von Gütern verbunden sind“171. Aus Sicht der ökonomischen Wissenschaft ist die Wirtschaft ein komplexes System, in dem verschiedene Akteure auf Märkten interagieren.172 Insbesondere die „neoklassische Theorie“, die aufgrund ihrer Verbreitung in den Wirtschaftswissenschaften, häufig auch als „Standardökonomik“ bezeichnet wird, arbeitet mit mathematischen Modellen, in denen die Wirtschaft als System von Märkten dargestellt wird.173

5.5.1 Die neoklassische Perspektive

Die Neoklassik entstand im 19. Jahrhundert, als sie die Wirtschaftsmodelle der „klassischen Nationalökonomie“ ablöste. Ihre Paradigmen bestehen in den Annahmen, dass sich Märkte selbst regulieren und Akteure ökonomisch rational handeln. Nach der Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre, mit ihren sozialen und ökonomischen Verwerfungen, stand die Neoklassik zunehmend in Konkurrenz zu dem auf John Maynard Keynes zurückgehenden „Keynesianismus“. Dieser setzt im Gegensatz zur Neoklassik nicht auf vollkommen freie Märkte, sondern auch auf deren Regulierung. Ab den 1970er-Jahren wurde die neoklassische Ökonomie wieder bedeutender. Handelsbeschränkungen wurden zunehmend abgebaut und Finanzmärkte dereguliert. Heute spielen in der Wirtschaftspolitik sowohl neoklassische als auch keynesianische Instrumente eine Rolle.174
Volkswirtschaftliche Zusammenhänge werden in der neoklassischen Wirtschaftstheorie wie in Abb. 5.12 oft mithilfe eines Kreislaufschemas beschrieben und als geschlossenes System dargestellt. Der dort gezeigte „einfache Wirtschaftskreislauf“ beschreibt eine geschlossene Volkswirtschaft, deren Akteure als Unternehmen und Haushalte zu Gruppen zusammengefasst werden.
Im abgebildeten Modell des einfachen Wirtschaftskreislaufs stellen Unternehmen Konsumgüter her, und die Haushalte kaufen sie bei ihnen. Im Gegenzug erwerben die Unternehmen bei den Haushalten die von ihnen benötigten, „Produktionsfaktoren“ in Form von Arbeitsleistung, Kapital und Boden. Wie der Begriff bereits anzeigt, bildet der „einfache“ Wirtschaftskreislauf das Wirtschaftssystem extrem vereinfachend ab und lässt viele Aspekte unberücksichtigt. Das Modell setzt beispielsweise voraus, dass die Haushalte ihre Einkommen vollständig für Waren und Dienstleistungen ausgeben und keine Ersparnisse bilden. Komplexere Darstellungen, die auch als „erweiterter Wirtschaftskreislauf“ bezeichnet werden, berücksichtigen deshalb auch die ökonomischen Funktionen des Finanzwesens und Staates.176
Wichtige Systemelemente und Größen sind in der neoklassischen Theorie Märkte und Marktpreise. Sie sorgen für ein Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage, das sowohl Waren und Dienstleistungen als auch die Produktionsfaktoren betrifft. Wird die Nachfrage geringer, sinken Preis und Angebot. Kleinere Preise führen aber, zumindest in der Theorie, wieder zu mehr Nachfrage und damit wieder zu steigenden Preisen und einem größer werdenden Angebot. Diese Iteration erfolgt so lange, bis ein stabiles Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage vorliegt. Das Marktgeschehen ist im Modell des vereinfachten Wirtschaftskreislaufs ein rückgekoppeltes, sich selbst regulierendes kybernetisches System.177
Eine wichtige Funktion in der neoklassischen Theorie hat der technische Fortschritt. Er erhöht die Produktivität von Arbeit und Kapital und ermöglicht es, dieselbe Warenmenge mit geringerem Aufwand herzustellen oder mit demselben Aufwand mehr Waren zu produzieren. Im ersten Fall bleibt das Wirtschaftsvolumen gleich, im zweiten Fall wächst die Wirtschaft. Wenn das System nicht wächst, wird immer weniger Arbeit zur Herstellung derselben Warenmenge benötigt, und es kommt zu einer Abwärtsspirale aus geringer werdenden Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung, sinkender Nachfrage und geringer werdenden Angeboten. Diese Abwärtsbewegung wird im neoklassischen Modell durch Wachstum vermieden. Der auf technischen Fortschritt zurückgehende Effizienzgewinn senkt den Preis, begünstigt die Nachfrage und ermöglicht größeren Konsum, sodass sowohl mehr als auch neue Waren auf den Markt kommen. Den Haushalten erschließen sich hierdurch nicht nur weitere Konsummöglichkeiten, sondern auch neue Einkommensquellen. Innovationsgeschwindigkeit und Wirtschaftswachstum hängen in der neoklassischen Theorie zusammen. Das System muss hier wachsen, damit es nicht kollabiert.178
Der einfache Wirtschaftskreislauf bildet ein geschlossenes System ab, dessen Prozesse scheinbar endlos wiederholbar sind.179 Das Modell aus Abb. 5.12 enthält mit dem Güter- und Geldkreislauf zwei miteinander gekoppelte, in ihrer Fließrichtung entgegengesetzte Kreisprozesse. Der Güterkreislauf umfasst alle Waren und Dienstleistungen sowie die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Der Geldkreislauf enthält alle Einnahmen und Ausgaben von Haushalten und Unternehmen (Zitat 5.23). Geld ist jedoch etwas völlig anderes als Waren. Es existiert nicht im physikalischen Sinne, sondern ist eine abstrakte Größe, die wie ein übertragbarer, allgemein akzeptierter Schuldschein funktioniert.180 Geld macht Waren vergleichbar, indem es sie quantitativ bemisst und mit einem Tauschwert versieht. Es macht Äpfel mit Birnen vergleichbar.
Zitat 5.23: Herman E. Daly (1938–2022)
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„Die Grundannahme der Standardökonomie besteht darin, dass die Wirtschaft ein isoliertes System ist: ein Kreislauf von Tauschwerten, die zwischen Unternehmen und Haushalten entstehen.“181
Anders als in Abb. 5.12 dargestellt, ist der einfache Wirtschaftskreislauf als Ganzes nicht geschlossen. Geschlossen ist allenfalls der Geldkreislauf, nicht aber der physikalische Fluss aus Materie und Energie. In Abb. 5.13 ist der einfache Wirtschaftskreislauf aus Abb. 5.12 um diesen linearen Prozess ergänzt. Das Wirtschaftssystem ist somit in Wirklichkeit ökonomisch geschlossen und physikalisch offen. Es entnimmt Ressourcen aus seiner Umgebung und gibt Emissionen bzw. Abfälle an sie ab.182 Dieser Stoff- und Energieaustausch findet in der neoklassischen Theorie, die im Wesentlichen auf das Wechselspiel zwischen Arbeit und Kapital fokussiert ist, keine Berücksichtigung. Die Neoklassik modelliert die Wirtschaft als von der Natur bzw. Umwelt unabhängigen Bereich. Das Modell kann allerdings nur aufrechterhalten werden, wenn die Einwirkungen der Ökonomie auf die Ökologie der Erde vernachlässigbar sind, was inzwischen nicht mehr der Fall ist.

5.5.2 Die Perspektiven von Umweltökonomie und Ökologischer Ökonomie

Da die begrenzte Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und die limitierte Aufnahmefähigkeit der Umwelt, wie bereits in Abschn. 2.​1 vermerkt, in konventionellen neoklassischen Wirtschaftsmodellen nicht berücksichtigt wird, versuchen die Umweltökonomie und Ökologische Ökonomie, dieses Defizit zu beheben. Beide verfolgen, obwohl es Überschneidungen zwischen ihnen gibt und es zu Vermischungen kommt,183 vom Grundsatz her unterschiedliche Ansätze. Diese Unterschiede sind in Tab. 5.2 zusammengefasst und werden nachfolgend beschrieben.
Tab. 5.2
Vergleich zwischen Umweltökonomie und Ökologischer Ökonomie184
Typ
Umweltökonomie
Ökologische Ökonomie
Natur
Wird berücksichtigt
Als
• Ressource,
• Schadstoffempfänger
• öffentliches Gut
Als
• begrenzende Instanz
Wert von Natur
• Als Tauschwert berechenbar
• wird im ökonomischen Prozess berücksichtigt („internalisiert“)
• Korrekte Preisbildung nicht möglich
• nicht monetarisierbar
Mensch-Natur-Beziehung
• Natur ist Objekt menschlicher Handlungen
• Menschliches Wirtschaften ist in die materiell geschlossene Biosphäre eingebunden
• Wirtschaft Subsystem der Biosphäre
Denkweise
• Ökonomisch: Ökonomie setzt Rahmenbedingungen für die Naturnutzung
• Ökologisch: Natur setzt Rahmenbedingungen für die Ökonomie
Indikatoren
• Tauschwerte (Geld)
• Physikalische und biologische
Wirtschaftswachstum
• Notwendig und möglich
• Auf Dauer nicht möglich
Substituierbarkeit
• Technischer Fortschritt kann Ressourcenknappheit überwinden
• Neue Technologien können Leistungen des Öko-Systems substituieren
• Nicht gegeben
• Naturkapital muss erhalten werden
Während ökonomische Prozesse in der Ökologischen Ökonomie mithilfe physikalischer Größen beschrieben werden, versucht die Umweltökonomie Umweltschäden zu monetarisieren bzw. ökonomisch zu bewerten. Der „Verbrauch“ von Umwelt soll so mit dem Wert von Waren oder den Kosten anderer Produktionsfaktoren vergleichbar gemacht werden.185 Die Bepreisung der Umwelt beruht dabei auf dem Gedanken, dass Umwelteffekte in der bisherigen Praxis nicht als Kosten in der Bilanz von Unternehmen anfallen. Für die Gesellschaft stellen sie aber einen Verlust dar. Die damit verbundenen Kosten werden als „externe Kosten“ bezeichnet, weil sie nicht von den Verursachenden selbst getragen werden und außerhalb der Unternehmen anfallen. In der Umweltökonomie geht es darum, diese externen Kosten zu „internen Kosten“ der verantwortlichen Akteure zu machen, damit sie in deren Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Umwelteffekte sollen so Teil der ökonomischen Kalkulation werden.186 Ein Beispiel für die Internalisierung externer Kosten ist eine „CO2-Steuer“. Sie soll den Preis kohlenstoffhaltiger Energieträger erhöhen und Anreize zur Reduzierung von CO2-Emissionen setzen.
Die monetäre Bewertung von Umwelteffekten ist sicherlich eine Verbesserung gegenüber der neoklassischen Perspektive, sie muss aber sowohl aus methodischen wie systemischen Gründen hinterfragt werden. Methodisch gesehen ist anzumerken, dass die Kosten von Umwelteffekten und deren Vermeidungskosten nicht auf der gleichen Grundlage ermittelt werden. Vermeidungskosten spiegeln den ökonomischen Aufwand, der betrieben werden muss, um negative Umwelteffekte zu verhindern. Dabei handelt es sich um betriebswirtschaftliche Kosten, die beispielsweise auf den Einsatz eines anderen Rohstoffs oder den Betrieb einer Aufbereitungsanlage zurückzuführen sind. Sie lassen sich weitgehend objektiv ermitteln. Die mit ihnen zu verrechnenden Kosten von Umwelteffekten gehören in eine andere Kategorie. Wie lässt sich die ökologische Bedeutung eines Waldes oder die einer Tierart ökonomisch bewerten?187 Weiterhin suggeriert die Umrechnung von Umwelteffekten in Geldwerte, dass ein Verlust an Natur mit menschlicher Arbeit oder Kapital kompensiert werden kann. Vieles lässt sich aber nicht rückgängig machen.
Systemisch lässt sich anmerken, dass die Natur in der Umweltökonomie nicht als eigenständiges System behandelt wird, sondern als Subsystem oder Element eines übergeordneten Wirtschaftssystems. Ihre Systemperspektive ist in Abb. 5.14 dargestellt. Sie beruht im Wesentlichen auf einem neoklassischen Modell, das um den Faktor Umwelt erweitert wurde. Die zentrale Frage der Umweltökonomie lautet deshalb, wie hoch Umwelteffekte bepreist werden müssen, damit die Natur ausreichend geschützt ist.
In der Ökologischen Ökonomie ist die Systemperspektive umgekehrt. Die Natur bzw. Umwelt wird nicht als Teil der Wirtschaft eingeordnet, sondern das ökonomische System als Teilsystem der Biosphäre ausgelegt (Zitat 5.24 und Abb. 5.15)188.
Zitat 5.24: Herman E. Daly (1938–2022)
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„Die Ökologische Ökonomie geht von der Annahme aus, dass die Wirtschaft in ihren physischen Dimensionen ein offenes Subsystem eines endlichen, nicht wachsenden und materiell geschlossenen Gesamtsystems ist – des Ökosystems Erde.“190
In der Ökologischen Ökonomie wird das Wirtschaftssystem als gerichteter Transformationsprozess dargestellt, der, da dabei Energie und Materie ausgetauscht und umgewandelt werden, wie in Abb. 5.16 thermodynamisch beschreibbar ist.191
Aus der thermodynamisch ausgerichteten Perspektive der Ökologischen Ökonomie entnimmt das ökonomische System dem Erdsystem Materialien, um Produkte herzustellen, die nach ihrem Gebrauch wieder als Abfälle oder Emissionen an die Biosphäre abgegeben werden. Insgesamt nimmt die Entropie hierdurch zu (Abschn. 5.1.2). Seine eigene Entropie hält das Wirtschaftssystem konstant oder verringert sie sogar, indem es sie an das übergeordnete Erdsystem abgibt. Ob dieses seine eigene Entropie stabilisieren kann, hängt vom Ausmaß des Exports in sie ab. In den Modellen der Ökologischen Ökonomie geht ökonomisches Wachstum zu Lasten der Biosphäre. Die zentrale Frage der Ökologischen Ökonomie lautet deshalb: Wie groß kann die Wirtschaft werden, bevor ihr Durchsatz die Regenerations- und Absorptionsfähigkeit der Biosphäre übersteigt?192 Anders als in der Umweltökonomie, für die Wirtschaftswachstum weiterhin möglich ist, beschränkt die begrenzte Belastbarkeit der Biosphäre in der Ökologischen Ökonomie das Wachstum des Wirtschaftssystems.193

5.6 Sind Ökosysteme ökonomisch organisiert?

Eine Denkschule, die wir in Abschn. 2.​2.​3, als Teil der der Circular Economy vorgestellt haben, ist die Industrielle Ökologie. Ihre Modelle orientieren sich an Ökosystemen und übersetzen deren Aufbau in industrielle Strukturen. Diese Vorgehensweise beruht auf der Annahme, dass beide Systeme vergleichbar sind, weil sowohl in ökologischen als auch in ökonomischen Prozessen Stoffe und Energie ausgetauscht und umgewandelt werden.194 Wenn das so ist, können dann nicht umgekehrt auch die Zusammenhänge in der Biosphäre als ökonomische Prozesse beschrieben werden? Der Systemwissenschaftler Joel de Rosnay geht in Zitat 5.25 jedenfalls davon aus. Für de Rosnay ist der Stoffaustausch in der Biosphäre mit den Abläufen der Wirtschaft vergleichbar, Für ihn ist die Natur eine Art „natürliche Industrie“, in der „produziert“, „gelagert“, „verteilt“ und „verbraucht“ wird.
Zitat 5.25: Joel de Rosnay (*1937)
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„Die organische Stufe im ökologischen Zyklus kann als der eigentliche ‚Motor‘ des gesamten Stoffkreislaufs betrachtet werden. In dieser Etappe werden die zur Aufrechterhaltung des Lebens wichtigen Substanzen aufgebaut und verbraucht. […] Dieser organisierte Vorgang ist durchaus mit Abläufen in der Industrie und der Wirtschaft vergleichbar: Es wird produziert, gelagert, verteilt, verbraucht, Energie wird an die Umwelt verteilt, das gesamte Material unterliegt dem Recycling. Hinsichtlich dieser natürlichen ‚Industrie‘ und ‚Wirtschaft‘ lassen sich alle Lebewesen in drei Hauptgruppen einteilen: in Produzenten, Konsumenten und Reduzenten.“195
Die ökonomische Deutung der Natur hat Tradition. Charles Darwin verwendete beispielsweise Begriffe des Ökonomen Thomas Robert Malthus, um seine Evolutionstheorie zu erläutern. Darwins Metapher vom „Kampf ums Dasein“ („struggle for existence“) geht auf die Bevölkerungstheorie von Malthus zurück.196 Auch die in Abschn. 5.2.3 beschriebenen Nahrungsbeziehungen in Ökosystemen werden oft mithilfe ökonomischer Metaphern beschrieben. Die Unterscheidung von Produzenten und Konsumenten zur Beschreibung von Nahrungsbeziehungen in Ökosystemen, die auch de Rosnay verwendet, stammt ursprünglich aus der Ökonomie, wo sie bereits von Adam Smith verwendet wurde.197 In der Ökologie sind die Begriffe seit Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch, eigentlich also seit ihren Anfängen.198 Dies zeigt auch der auf den Evolutionsbiologen Hermann Reinheimer zurückgehende Text aus dem Jahr 1913 in Zitat 5.26.
Zitat 5.26: Hermann Reinheimer (1872–1964)
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„[…] we may, therefore, consider organisms among other things as economic persons, as traders by nature, whose mutual activities constantly enhance their biological status. It is normal for an organism to produce values, moreover exchangeable values, to render mutual services, and to earn its food rather […].“199
Reinheimer beschreibt Organismen, als ob sie ökonomisch handelnde Subjekte wären, die von Natur aus Handel treiben, um ihren biologischen Status zu verbessern. Sie erbringen gegenseitige Leistungen und produzieren Werte.200 Doch was sind das für Werte, die von Lebewesen produziert werden? Reinheimer weist durch die eingefügte Präzisierung, dass die Werte „austauschbar“ sein müssen, in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen Punkt hin: Damit ökologische Prozesse sich als ökonomische Zusammenhänge beschreiben lassen, bedarf es einer Größe, die dem Tauschwert bzw. dem Geld in ökonomischen Modellen entspricht (Abschn. 5.5.1). Geld vereinheitlicht verschiedene Waren und Leistungen und macht sie, egal ob es sich um Nahrungsmittel, technische Geräte, Luxusartikel oder einen Haarschnitt handelt, miteinander verrechenbar. Bei ökologischen Prozessen wird die Tauschwertfunktion der Ökonomie, laut Reinheimer, von energetischen Größen übernommen. In Zitat 5.27 spricht er von „bioökonomischen Werten“ und schreibt, dass die Produktion dieser Werte es den Lebewesen ermöglicht, „ihren Lebensunterhalt zu verdienen“.
Zitat 5.27: Hermann Reinheimer (1872–1964)
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„It is the bio-economic task of organisms to earn their sustenance and over and above this to provide for marginal and exchangeable bio-economic-values to be used in the mutual accomplishment of evolution. The chief part of this task consists in the provision of raw material and in the transforming and storing (capitalising) of solar energies, in which process physical forces are being systematically raised to the position of physiological forces. The resulting values are bio-economically useful and exchangeable as between species and larger groups.“201
Bioökonomische Werte lassen sich, laut Reinheimer, als energetische Größen ausdrücken. Der als Arbeit nutzbare Teil der Energie, so seine Argumentation, sei sowohl in der Wirtschaft als auch in der Natur die treibende Kraft. Sonnenenergie wird von Pflanzen absorbiert und zum Aufbau von Stoffen verwendet, in denen die Energie chemisch gespeichert und anschließend zwischen Lebewesen ausgetauscht wird. Die Speicherung nennt Reinheimer Kapitalbildung.202 Weil sie unterschiedliche Stoffe verrechenbar machen, übernehmen energetische Größen für Reinheimer in der Ökologie die Rolle einer Währung.
Eine ähnliche Argumentation verwendete auch der Chemiker Frederick Soddy. Er nennt Pflanzen „Kapitalisten“ („original capitalists“), weil sie, ähnlich wie diese Kapital anhäufen, das Sonnenlicht speichern.203 Weitere Namen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, sind Wilhelm Ostwald und der in Abschn. 5.2.3 bereits genannte Alfred James Lotka. Ostwald bezeichnete die „Freie Energie“, eine thermodynamische Größe, die darüber entscheidet, ob ein Prozess von selbst abläuft, als „Kapital der Lebewesen“.204
Lotka ist vor allem durch eine Arbeit bekannt geworden, in der er die Energieumsätze ökologischer Zusammenhänge im globalen Maßstab ermittelte. Dabei erkennt auch er Gemeinsamkeitenzwischen dem Stoffaustausch in der menschlichen Wirtschaft und dem ökologischen Energiefluss und nimmt die Natur aus einer ökonomischen Perspektive wahr.205 Die menschliche Wirtschaft ist für ihn ein Teil des „Wirtschaftssystems Natur“, für das er verschiedene Bezeichnungen verwendet, u. a. „Economy of Life“206, „Economy of the Organism“207 und „Earth’s Carbon Economy”208. Den ökologischen Austausch von Phosphorverbindungen nennt er sogar explizit eine Kreislaufwirtschaft („Cycle in the Economy of Nature“)209. Lotka verwendet auch, ebenso wie Reinheimer, den Begriff Bioökonomie, um eine „Wirtschaft der Natur“ zu bezeichnen.210 Den in Kap. 2 beschriebenen Lesarten der Bioökonomie lässt sich somit, wie dort angekündigt, noch eine weitere hinzufügen: Der Begriff Bioökonomie steht auch für eine Perspektive, die biologische und ökologische Zusammenhänge ökonomisch betrachtet. Diese Lesart ist, wie wir in Abschn. 7.1.9 noch erläutern, sowohl für die Circular Economy als auch für die Bioökonomie von Bedeutung.Wie wir noch begründen werden, führt sie aus unserer Sicht in die falsche Richtung.

5.7 Natur und Kultur

5.7.1 Natur-Kultur-Trennung

In den vorangehenden Abschnitten wurden die belebte Natur sowie Technik und Ökonomie als separate Systeme beschrieben. Damit haben wir unausgesprochen vorausgesetzt oder suggeriert, dass es sich bei ihnen um unterschiedliche Bereiche handelt. Entspricht diese Unterscheidung der Wirklichkeit, oder ist es besser, Bio- und Technosphäre nicht getrennt, sondern als zusammenhängendes System zu beschreiben?
Die systemische Trennung in Bio- und Technosphäre geht auf den in Abschn. 4.​2 beschriebenen bedeutungslogischen Naturbegriff zurück. Er definiert Natur als Abgrenzung zu etwas anderem und unterteilt die Realität damit in zwei Bereiche. Auf diese Weise wird eine „Dichotomie“211. begründet, wie eine solche Zweiteilung bezeichnet wird. In Abb. 5.17 ist die allgemeine Konstruktion einer Dichotomie dargestellt. Sie teilt die Welt in zwei Bereiche, die durch unterschiedliche Merkmale charakterisiert werden. Dabei ist ein Merkmal das Gegenteil des anderen.212 Beispiele für Dichotomien sind die Begriffspaare Gut und Böse, Groß und Klein sowie Hell und Dunkel. Ihre Bedeutung erschließt sich durch ihre gegenseitige Negation.
Die Dichotomie, die in den Begriffen Bio- und Technosphäre zum Ausdruck kommt und um die es im Folgenden geht, wird als „Natur-Kultur-Dichotomie“ oder „Natur-Kultur-Trennung“ bezeichnet. Sie unterteilt die Welt in die als Gegensätze wahrgenommenen Bereiche Natur und Kultur. Mit Kultur ist darin das gemeint, „was durch menschliches Handeln entsteht“213, während alles andere, was nicht auf Menschen zurückgeht, zur Natur gehört. Wir ziehen damit, so wie in Abb. 5.18, eine gedankliche Grenzlinie zwischen Menschen und Kulturgütern auf der einen und der Natur auf der anderen Seite. Natur und Kultur werden darin symbolisch wie durch die scharfe Trennlinie zwischen der Bebauung New Yorks und dem Central Park voneinander geschieden. Der Park ist selbstredend aber keine Natur-, sondern eine Kulturlandschaft. Das Bild zeigt deshalb keine wirkliche, sondern nur eine künstlerisch dargestellte Natur-Kultur-Trennung, in der ein grüner Bereich die Natur symbolisieren soll.
Unser Umgang mit der Natur-Kultur-Trennung ist oft widersprüchlich. Auf der einen Seite würden die meisten Menschen auf eine entsprechende Nachfrage antworten, dass sie sich selbst als Teil der Natur empfinden214, auf der anderen Seite aber sind wir die Teilung unseres Weltbildes so gewöhnt, dass wir oft nicht bemerken, wenn wir die Natur-Kultur-Dichotomie anwenden. Sprachlich ist kaum zu vermeiden, dass wir Natur wie ein uns gegenüberstehendes Objekt beschreiben. Eine Natur-Kultur-Dichotomie kommt auch in der Unterscheidung zwischen „Natur- und Geisteswissenschaften“ zum Ausdruck, wie sie beispielsweise in der historisch einflussreich gewordenen Abgrenzung der beiden Wissenschaftsbereiche durch den Philosophen und Theologen Wilhelm Dilthey in Zitat 5.28 vorgenommen wird. Zusammengefasst schreibt Dilthey, dass Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nach kausalen Zusammenhängen in der Natur suchen, während in den Geisteswissenschaften der Geltungsbereich des freien menschlichen Willens untersucht wird.
Zitat 5.28: Wilhelm Dilthey (1833–1911)
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„Der Inbegriff der geistigen Thatsachen, welche unter diesen Begriff von Wissenschaft fallen, pflegt in zwei Glieder getheilt zu werden, von denen das eine durch den Namen der Naturwissenschaft bezeichnet wird; für das andere ist, merkwürdig genug, eine allgemein anerkannte Bezeichnung nicht vorhanden. Ich schließe mich an den Sprachgebrauch derjenigen Denker an, welche diese andere Hälfte des globus intellectualis als Geisteswissenschaften bezeichnen. […] Der Beweggrund nämlich, von welchem die Gewohnheit ausgegangen ist, diese Wissenschaften als eine Einheit von denen der Natur abzugrenzen, reicht in die Tiefe und Totalität des menschlichen Selbstbewußtseins. Unangerührt noch von Untersuchungen über den Ursprung des Geistigen, findet der Mensch in diesem Selbstbewußtsein eine Souveränität des Willens, eine Verantwortlichkeit der Handlungen, ein Vermögen, Alles dem Gedanken zu unterwerfen und Allem innerhalb der Burgfreiheit seiner Person zu widerstehen, durch welche er sich von der ganzen Natur absondert. […] hier bringen die Thaten des Willens, im Gegensatz zu dem mechanischen Ablauf der Naturveränderungen, […] etwas […] über die leere und öde Wiederholung von Naturlauf im Bewußtsein hinaus [hervor].“215
Diltheys Ausführungen scheinen zunächst eine rein akademische Argumentation abzubilden, die in der Praxis vielleicht nicht so wichtig ist. Die Diskussion über die Natur-Kultur-Trennung ist aber mehr als eine intellektuelle Spielerei. Dadurch, dass wir sie als gegenüberstehendes Objekt wahrnehmen, denken wir uns konzeptionell aus der Natur heraus und gehen ggf. anders mit ihr um. Für die Philosophin Regine Kather ist die verbreitete „Überzeugung, dass alle Probleme technisch lösbar sind und die Natur nahezu vollständig beherrschbar ist“, ursächlich mit der Natur-Kultur-Dichotomie verbunden.216 Für den Soziologen Bruno Latour217 und die Naturwissenschaftshistorikerin Donna Jan Haraway218 ist die getrennte Wahrnehmung von Natur und Kultur sogar eine Hauptursache der ökologischen Krise.

5.7.2 Grenzbereiche

Die gedankliche Trennung zwischen Natur und Kultur erweist sich zunehmend als problematisch, da es immer mehr Wesen, Objekte und Zusammenhänge gibt, die dann sowohl natur- als auch kulturgeprägt wären. Solche „Hybride“, um einen Ausdruck Latours zu benutzen, lassen sich in einem dualistischen Weltbild, das nur ein „Entweder-oder“ kennt, nicht einordnen.219
Ein hybrides Gebilde ist beispielsweise ein Weizenfeld. Es ist Teil der Natur, weil es natürlich entstandene Objekte wie Steine, Pflanzen und Tiere enthält und weil Naturprozesse in ihm wirksam sind, zu denen das Wachstum von Pflanzen oder die Nahrungsaufnahme von Tieren gehören. Das Feld ist aber auch Teil der Kultur. Weizen wurde gezielt von Menschen gezüchtet und wird ausgesät, um Nahrungsmittel herzustellen. Das Getreide wächst zudem nicht einfach in der Natur, sondern auf einem Acker, also einem mit technischen Mitteln extra für den Anbau hergestelltem Areal. Es wird bewässert, mit mineralischem Dünger versorgt und maschinell abgeerntet. Um einen höheren Ertrag zu erzielen, wird der Naturanteil des Feldes durch „Pflanzenschutzmittel“ zurückgedrängt. Sie sollen die Weizenpflanzen vor „Schädlingen“ aus der Natur schützen. Das Feld lässt sich somit als Ganzes weder dem Bereich der Natur noch dem der Kultur vollständig zuordnen. Es ist ein Gebilde, in dem natürliche und kulturelle Faktoren aufeinander einwirken.
Noch schwieriger wird die Differenzierung, wenn wir nicht Systeme wie das Getreidefeld betrachten, sondern einzelne Lebewesen. Zu den Hybriden unter ihnen gehören gentechnisch veränderte Organismen sowie klassische Nutzpflanzen wie der o. g. Weizen und Nutztiere. Milchkühe beispielsweise sind empfindsame Lebewesen. Als solche sind sie grundsätzlich der Natur zuzurechnen, sie werden aber, wie Zitat 5.29 verdeutlicht, wie Maschinen technisch zugerichtet und ökonomisch optimiert.220
Zitat 5.29: M. Schwerin (2009)
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„Aus ökonomischer Sicht muss die Leistung einer Kuh mindestens 15 kg Milch je Lebenstag betragen, um ihre Kosten zu amortisieren und Gewinn zu erwirtschaften […] Das entspricht z. B. einer Lebensleistung von ≥ 30 000 kg Milch bei einer Nutzungsdauer von 3,5 Laktationen.221
Ohne Menschen und den Einsatz technischer Mittel würden Milchkühe gar nicht existieren. Vor 20.000 Jahren gab es sie noch nicht, sondern nur frei lebende Rinder. Einige von ihnen wurden der Natur „entnommen“ und ihre Nachkommen, durch das technische Mittel der Züchtung, zu Milchkühen gemacht. Da sie regelmäßig gemolken werden müssen, sind sie ohne Menschen nicht mehr (über)lebensfähig. Durch ihre „Milchleistung“, die sich seit 1950 verdoppelt hat,222 wird der Stoffwechsel der Tiere dermaßen belastet, dass sie ihr eigenes Körpergewebe angreifen müssen223. Um die Worte Tillichs aus Zitat 5.22 zu verwenden, werden sie „ihrem Eigenzweck entfremdet“, „entmächtigt“ und „als Glied in ein technisches Gebilde eingefügt“. Sie leben nicht wie ihre Vorfahren, die Rinder, um zu leben, sondern um mit möglichst hohem Ertrag ein Produkt zu produzieren.

5.7.3 Das „Anthropozän“

Ein Weltbild, das strikt zwischen dem Bereichen Natur und Kultur trennt, lässt sich auch deshalb nicht mehr aufrechterhalten, da es auf der Erde keine pure Natur mehr gibt. Stattdessen gibt es eine kulturell und technisch überformte Biosphäre,224 die sich grundlegend von der früherer Zeiten unterscheidet. Heutige Ökosysteme sind nicht mehr naturbelassen, sondern modifizierte und in ihrer Komplexität und Artenvielfalt reduzierte, ehemals natürliche Bereiche. Städte werden gebaut, Landschaften umgestaltet und große Mengen an Gesteinen bewegt. Inzwischen sind etwa 50 % der Landoberfläche landwirtschaftliche Flächen, Städte oder anderweitig genutzte Areale. Satellitenbilder zeigen, dass heute nur noch ein Viertel der eisfreien Landoberfläche als Wildnis bezeichnet werden kann.225
Die zur Verfügung stehenden Ressourcen beanspruchen Menschen im Wesentlichen für sich. So entspricht die Menge der Biomasse, die sie umsetzen, etwa 25–40 % der gesamten Netto-Primärproduktion der Biosphäre. Auch die Evolution von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen wird heute zunehmend von Menschen beeinflusst. Lebewesen, die infolge menschlicher Aktivitäten rund um den Globus transportiert werden, verbreiten sich in Umgebungen, in denen sie ursprünglich nicht heimisch sind. Als „Neobiota“ verändern sie Ökosysteme in großer Geschwindigkeit und tragen zu einer in der Erdgeschichte wahrscheinlich einzigartigen globalen Vereinheitlichung von Lebensformen bei. Inzwischen besteht auch die Gesamtmasse aller auf der Erde lebenden großen Wirbeltiere hauptsächlich aus Menschen und den von ihnen domestizierten Tieren.226
Die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten haben inzwischen globale Ausmaße erreicht und sind in großen Teilen unumkehrbar. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen halten es deshalb für angemessen, von einem neuen Erdzeitalter zu sprechen, um das Ausmaß menschlicher Aktivitäten zu beschreiben. Es wird auf Vorschlag von Paul Crutzen und Eugene F. Stoermer als Anthropozän, das Zeitalter des Menschen, bezeichnet. Das Anthropozän folgt in dieser Einordnung auf das Holozän, dessen Beginn auf einen Zeitpunkt vor ca. 12.000 datiert wird, als die gegenwärtige Zwischeneiszeit einsetzte. Das Holozän ist durch stabile und gemäßigte klimatische Bedingungen gekennzeichnet.227
Von einem neuen Erdzeitalter ist auch deshalb die Rede, weil in der Biosphäre inzwischen Stoffe zu finden sind, die es nicht gab, bevor sie von Menschen hergestellt wurden. Künstlich hergestellte radioaktive Elemente, chlorierte und fluorierte organische Verbindungen sowie Mikroplastik kommen mittlerweile überall vor (Zitat 5.30). Da sie auch in Bodensedimenten gefunden und zur Abgrenzung unterschiedlicher Erdzeitalter verwendet werden können, werden sie auch als „Technofossilien“228 bezeichnet.
Zitat 5.30: Nelson Rangel-Buitrago, William Neal, Allan Williams (2022)
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„Plastics […] have been found everywhere, ranging from the highest mountains […], the ocean deeps […], in rivers […], in the atmosphere […]and even inside the human […]. In the marine environment, plastics have been documented in sub-tropical gyres […], Islands […], beaches […], dunes […], mangroves […], and the food chains of most organisms, among others. Plastic is now so ubiquitous in all world environments[…], deposited, buried, and now present as stratigraphic markers in deposits as well as rock.”229
Umstritten ist, ob das Anthropozän-Konzept dabei hilft, mit den Folgen menschlicher Aktivitäten umzugehen. Auf der einen Seite transportiert es eine planetarische Perspektive und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen, die die Aktivitäten der Spezies Mensch auf die Ökosysteme der Erde haben. Dabei wird das Ausmaß der von Menschen verursachten Veränderungen und die Verwobenheit von Natur, Sozialem und Technik mehr als deutlich. Auf der anderen Seite verleitet der Begriff aber auch dazu, die Biosphäre aufgrund der menschlichen Eingriffstiefe als konstruier- und kontrollierbares System anzusehen. Fraglich ist auch, ob es richtig ist, Menschen als einheitlich agierende Spezies zu betrachten. Dies lenkt möglicherweise davon ab, dass die Auswirkungen, die das Anthropozän mit sich bringt, nicht von allen Menschen gleichermaßen ausgelöst werden.230 Die Hälfte der globalen CO2-Emissionen wurde 2019 von nur 10 % der Weltbevölkerung verursacht, während sich fast die Hälfte der Menschen für nur 12 % dieser Emissionen verantwortlich zeigte.231

5.7.4 Aufhebung der konzeptionellen Natur-Kultur-Trennung

Bei den Versuchen, die Natur-Kultur-Trennung konzeptionell aufzuheben, lassen sich grundsätzlich drei unterschiedliche Herangehensweisen erkennen. Die ersten beiden bestehen darin, einen Bereich als Resultat des jeweils anderen zu erklären. Wir sprechen dann entweder von „Naturalismus“ oder „Kulturalismus“. Der Naturalismus betrachtet Kultur lediglich als Nebenprodukt einer physikalischen Natur. Eine „außerhalb der Natur befindliche Kultur“ existiert für ihn nicht.232 Umgekehrt gibt es für den Kulturalismus in seiner radikalen Auslegung keine objektiv vorhandene Natur, sondern nur kulturell bestimmte Vorstellungen davon. Naturalistische und kulturalistische Positionen finden sich beispielsweise auch im Streit um die Deutung des menschlichen Geschlechts. Naturalistisch betrachtet ist das Geschlecht eines Menschen ein genetisch und hormonell bestimmter Sachverhalt, kulturalistisch ist es ein soziales Konstrukt.233
Die dritte Herangehensweise besteht darin, Kausalität und Freiheit nicht wie in Zitat 5.28 Diltey getrennten Bereichen zuzuordnen, sondern als zusammenwirkende Prinzipien zu verstehen. In diesen Kontext lassen sich als Beispiele die Naturphilosophie von Alfred North Whitehead und die auf ihn bezogene „Akteur-Netzwerk-Theorie“ anführen. Letztere wurde u. a. von Bruno Latour entwickelt, auf den auch der oben eingeführte Begriff der Hybride zurückgeht.
Whiteheads „Prozessphilosophie“ beruht auf einem fundamentalen Perspektivwechsel. Während wir es gewöhnt sind, uns die Welt aus Dingen zusammengesetzt vorzustellen, bei denen wir kategorial zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und toter Materie unterscheiden, konstituiert sich die Welt für Whitehead nicht aus Dingen, sondern aus „Ereignissen“. Er unterscheidet nicht wie Descartes zwischen einem freien Geist und einer determinierten Materie. In seinen Ereignissen sind sowohl kausal determinierte als auch kreativ unberechenbare Prinzipien zugleich wirksam. Menschliches Handeln ist für ihn nicht völlig frei, sondern hat, ebenso wie bei lebloser Materie, determinierte Anteile. Umgekehrt spricht er auch der unbelebten Materie „eigene Impulse“234 zu, wenn auch in geringeren Anteilen. Diese Eigenständigkeit der Materie ist für Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eine schwer zu akzeptierende Prämisse, die es grundsätzlich aber auch in der Quantenphysik gibt. Weil alle Ereignisse bei Whitehead sowohl einen kausal determinierten als auch einen freien Entscheidungsanteil haben, verschwimmen die kategorialen Unterschiede zwischen Natur und Kultur.235 Kultur und Natur bzw. Geist und Materie sind für Whitehead keine realen Gegenpole, sondern „überzogene Abstraktionen“236.
An dieser Stelle setzt die Akteur-Netzwerk-Theorie an, die wie Whitehead, von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Dingen, Lebewesen und Menschen ausgeht. Sie „zielt […] darauf […], die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Technik aufzubrechen“237. Hierzu betrachtet sie die Eigenschaften und Verhaltensweisen der an einem Netzwerk beteiligten Akteure, egal ob sie der belebten oder unbelebten Natur angehören. Das Besondere an der Akteur-Netzwerk-Theorie ist, dass sie die Unterschiede zwischen Natur und Kultur aufhebt, indem sie die Beteiligung nicht menschlicher Dinge in ihrer Analyse berücksichtigt. Verdeutlichen lässt sich das, in dem wir uns das System einer Universität vorstellen. Eine Universität wird nicht nur durch die beteiligten Menschen zu dem, was sie ist, sondern auch durch Dinge, Stoffe, Energie sowie Ideen und Konzepte, die zusammen mit Menschen das „System Universität“ ausmachen. Die Beziehungen in einem solchen Netzwerk befinden sich im ständigen Wandel und bilden sich erst durch ihren wiederholten und immer neuen Vollzug. Unterbleibt dieser, zerfällt das System. Beziehungen zwischen Akteuren bezeichnet Latour als „Aktanten“. Ein Aktant „Mensch-Stift“ bildet sich aus dem Zusammenwirken der Akteure Mensch und Stift. Das Beziehungsgefüge kann nicht auf einen Akteur reduziert werden, da der Stift nicht ohne einen Menschen und ein Mensch nicht ohne einen Stift schreiben kann. Diese Sichtweise ist zugegebenermaßen ungewöhnlich, wenn nicht gar befremdlich, da wir normalerweise zwischen „Menschen mit Handlungsmacht und Nicht-Menschen ohne Handlungsmacht“, also „zwischen Subjekten und Objekten“ unterscheiden238. Latour argumentiert jedoch, dass uns diese Unterscheidung daran hindert, Zusammenhänge wie die o. g. „Hybride“ wahrzunehmen.239 Die Ausrichtung der Akteur-Netzwerk-Theorie wird in Zitat 5.31 von dem Literaturwissenschaftler Hannes Bergthaller und der Literaturwissenschaftlerin Eva Horn zusammengefasst.
Zitat 5.31: Hannes Bergthaller, Eva Horn (2019)
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„Anstatt Natur und Kultur als ontologisch unterschieden zu verstehen, gelte es, die Welt als ein ‚nahtloses Gewebe‘ zu betrachten, in dem menschliche und nichtmenschliche Akteure zusammenwirken. Die Welt der belebten und unbelebten Dinge ist nicht nur passiver Gegenstand oder Bühne menschlichen Handelns. Gesellschaft und Wissen über die Welt konstituieren sich, indem sie nichtmenschliche Akteure in Anspruch nehmen, diese formen und sich von ihnen formen lassen“240
Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist also eine Methode, mit der die Kultur-Natur-Trennung und die Unterscheidung zwischen Subjekten und Objekten umgangen wird. Das geschieht jedoch auf eine Art und Weise, die dem Alltagsverstand und der Sprache widersprechen.241 Kann man leblose Dinge wirklich als Akteure begreifen? Vielleicht hilft es bei der Akzeptanz der Akteur-Netzwerk-Theorie, wenn wir sie in diesem Punkt nicht wörtlich nehmen und stattdessen als methodischen Ansatz verstehen. Ziel der Theorie ist, die „Verflechtung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen“ sichtbar zu machen, wie sie uns in ähnlicher Form in Abschn. 5.4.3 und 5.4.4 bereits in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Technik begegnet ist. Es geht nicht darum, Subjektivität oder gar Bewusstsein „auf Dinge zu übertragen, Menschen als Objekte zu behandeln oder Maschinen als soziale Aktanten zu betrachten“242. Für Latour haben unbelebte Dinge keine Handlungsabsichten, sie sind nur deshalb „Akteure“, weil es einen Unterschied macht, ob sie, ähnlich wie Stoffe in einem Ökosystemmodell, in eine Handlung einbezogen sind oder nicht. Eine Kraftübertragung wird von Latour lediglich methodisch als Handlung formuliert und nicht als Absicht geleiteter Vorgang verstanden.243
Die in Abschn. 5.1.5 bereits erwähnte Theorie Luhmanns zu sozialen Systemen kann ggf. als Gegenstück zur Akteur-Netzwerk-Theorie aufgefasst werden. Für Luhmann konstituiert sich ein soziales System allein durch kommunikative Beziehungen. Nur was an der Kommunikation Teil hat, gehört zum sozialen System, alles andere nicht. Unbelebte Objekte sind bei Luhmann kein Teil des kommunikativen Netzwerks und gehören deshalb, im Gegensatz zu ihrer Rolle in der Akteur-Netzwerk-Theorie, auch nicht zum sozialen System. Sie können aber auf andere Weise, beispielsweise durch einen physikalisch-chemischen Stoffaustausch, mit Elementen des sozialen Systems interagieren und auf diese Weise ein anderes System bilden.244 Menschen gehören aus dieser Perspektive aufgrund physikalisch-chemischer und biologischer Wechselwirkungen zur Biosphäre, zugleich sind sie aber durch kommunikative Beziehungen Teil eines kulturellen Systems.

5.7.5 Natur und Kultur: „Sein“ oder „Werden“?

Ist die Natur-Kultur-Trennung real und die Unterscheidung zwischen Biosphäre und Technosphäre sinnvoll? Unseres Erachtens hängt die Beantwortung der Frage davon ab, wie wir die Begriffe Natur und Kultur bzw. natürlich und künstlich auslegen. Wenn wir Natur und Kultur als Seinsbereiche verstehen, die jeweils eine bestimmte Klasse von Gegenständen enthalten, ist die Natur-Kultur-Trennung obsolet. Die Begriffe stünden dann für sich gegenseitig ausschließende Kategorien und ein Gegenstand kann dann entweder künstlich oder natürlich sein. Wie das Vorangehende gezeigt hat, ist das aber nicht der Fall, da er auch beides zugleich sein kann.
Unsere Bewertung fällt vielleicht anders aus, wenn wir Natur und Kultur bzw. natürlich und künstlich nicht als Kategorienzuordnung verstehen, sondern als Synonyme, die unterschiedliche Arten des „Werdens“ oder verschiedene Existenzweisen beschreiben. Sowohl eine in einem See lebende Amöbe als auch ein gentechnisch verändertes Bakterium sind Lebewesen, da beide lebendig sind. Sie sind jedoch nicht aufgrund derselben Ursachen da245 (Abschn. 5.4.2) und unterscheiden sich in der Art der Prozesse, die zu ihrer Existenz geführt haben. Im Fall der Amöbe ist keine äußere Zwecksetzung vorhanden, sie lebt, um zu leben. Das gentechnisch veränderte Bakterium gibt es jedoch nur, weil mit dem gentechnischen Eingriff eine Absicht verbunden war, beispielsweise die Herstellung eines Medikaments. Ggf. ist es auch Teil einer technischen Produktionsanlage. Letzteres gilt ggf. aber auch für die natürlich entstandene Amöbe. Auch sie kann ggf. Teil eines technischen Systems sein und eine technische Existenzweise haben.
Im Werden des gentechnisch hergestellten Bakteriums sind technische Zwecksetzung und natürliches Wachstum miteinander verbunden. Um beiden Aspekten gerecht zu werden, hat die Philosophin Nicole C. Karafyllis deshalb den an das Wort „Artefakt“ angelehnten Begriff des „Biofakts“ eingeführt.246 Während Artefakte künstlich geschaffene Objekte sind, handelt es sich bei Biofakten um technisch zugerichtete Lebewesen. In Biofakten gibt es keine physikalische Grenze, die Natürliches und Künstliches scheidet. Sie sind nicht wie bei einer in einem Körper implantierten Prothese aus natürlichen und künstlichen Teilen zusammengefügt. Die technischen Merkmale liegen bei Biofakten nicht im Lebewesen selbst, sondern sind in dessen Entstehungsgeschichte zu finden.247
Wir selbst haben an anderer Stelle248 ähnlich argumentiert und, angelehnt an einen Text von Tillich249, vorgeschlagen, nicht von natürlichen und künstlichen „Bereichen“ zu sprechen, sondern stattdessen den Begriff „Dimension“ zu verwenden. „Bereiche“ stehen in ihrer Bedeutung für sich „gegenseitig ausschließende Sektoren der Wirklichkeit“, während die der Geometrie entnommene Metapher Dimension das Verbindende betont.250 Leztere steht für den Anteil von Unterschiedlichen an einem Gesamten. So, wie ein Rechteck durch die Dimensionen Höhe und Breite bestimmt wird, haben gentechnisch veränderte Organismen eine künstliche und natürliche Dimension. Der Dimensionsbegriff erlaubt es, das Verhältnis unterschiedlicher Prinzipien nebeneinander auszudrücken. Festzuhalten ist jedoch, dass das Wort Dimension in Zusammenhang mit der Natur oder Kultur nicht wörtlich ausgelegt werden kann. Das Wort fungiert als eine Metapher, die Vorstellungen aus der Mathematik auf die Natur-Kultur-Dichotomie überträgt. Das ist allerdings kein Einzelfall. Metaphern und Analogien spielen in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Dies betrifft auch die Circular Economy und Bioökonomie. Es wird deshalb Zeit, dass wir uns im nächsten Kapitel näher mit der Bedeutung von Metaphern und Analogien auseinandersetzen.
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Fußnoten
1
Ratter und Treiling 2008, S. 23; Gloy 1995, S. 248.
 
2
Vester 1991, S. 27 ff.
 
3
Gloy 1995, S. 248; Müller 1996, S. 21; Ratter und Treiling 2008, S. 23.
 
4
Müller 1996, S. 21.
 
5
Hoffmann et al. 2022, S. 48.
 
6
Clausius 1876, S. 81.
 
7
Clausius 1865, S. 46.
 
8
Müller 1996, S. 76.
 
9
Prigogine et al. 1993, S. 125 ff.
 
10
Planck 1879, S. 5.
 
11
Planck 1879, S. 26.
 
12
Hasenöhr 1909, S. 165.
 
13
Rosnay 1979, S. 118 f.
 
14
Clausius 1865, S. 53.
 
15
Clausius 1867, S. 17.
 
16
Müller 1996, S. 81.
 
17
U. a. spielt die Frage eine Rolle, ob das Universum weiter expandiert oder irgendwann wieder eine Kontraktionsphase eintritt. Auch wenn zurzeit vieles auf eine immerwährende Expansion hindeutet, ist die Frage alles andere als geklärt. Auch die Physik schwarzer Löcher und die Grenzen der Relativitäts- und Quantentheorie spielen eine Rolle. Hawking 2000, S. 128 ff.
 
18
Prigogine et al. 1993, S. 146 ff.
 
19
Müller 1996, S. 82.
 
20
Prigogine et al. 1993, S. 148 ff.
 
21
Fuchs 1972, S. 47.
 
22
Fuchs 1972, S. 48.
 
23
Ratter und Treiling 2008, S. 25.
 
24
Müller 1996, S. 122.
 
25
Müller 1996, S. 123.
 
26
Müller 1996, S. 126.
 
27
Müller 1996, S. 128.
 
28
Vester 1991, S. 58 f.
 
29
Müller 1996, S. 100 ff.
 
30
Müller 1996, S. 100 ff.
 
31
Müller 1996, S. 200.
 
32
Hall und Fagen 1956, S. 18.
 
33
Müller 1996, S. 200.
 
34
Fuchs 1972, S. 49.
 
35
Forrester 1972, S. 9.
 
36
Toepfer 2011d, S. 644.
 
37
Rosnay 1979, S. 85 ff.
 
38
Rosnay 1979, S. 89.
 
39
Rosnay 1979, S. 88.
 
40
Rosnay 1979, S. 83.
 
41
Vester 1991, S. 40.
 
42
Ratter und Treiling 2008, S. 28; Rosnay 1979, S. 83; Vester 1991, S. 40.
 
43
Müller 1996, S. 124.
 
44
Rathmann 2008, S. 66.
 
45
Müller 1996, S. 209.
 
46
Baecker 2020.
 
47
Metzner 1994, S. 355.
 
48
Allefeld 1999, S. 9.
 
49
Metzner 1994, S. 355 zitiert Maturana 1982, S. 72.
 
50
Trinn 2015, S. 133.
 
51
Hall und Fagen 1956, S. 23.
 
52
Trinn 2015, S. 133.
 
53
Müller 1996, S. 202.
 
54
Ratter und Treiling 2008, S. 23.
 
55
Sprenger 2019, S. 128; Müller 1996, S. 34.
 
56
Metzner 1994, S. 355 f.
 
57
Sprenger 2019, S. 9.
 
58
Müller 1996, S. 203.
 
59
Luhmann 2018, S. 242.
 
60
Luhmann 2018, S. 243.
 
61
Lippuner 2008, S. 107 f.; Luhmann 2018, S. 244.
 
62
Allefeld 1999, S. 53.
 
63
Abschn. 5.2 ist ein Überarbeitung und Detailierung von Marzi et al. 2018, 44 ff.
 
64
Kirchhoff 2020b.
 
65
Kirchhoff 2020b.
 
66
Commoner 1971, S. 32.
 
67
Kirchhoff 2020a.
 
68
Kirchhoff 2020b.
 
69
Toepfer 2011b, S. 320.
 
70
Möbius 1877, S. 75 f.
 
71
Toepfer 2011e, S. 682.
 
72
Begon et al. 2017, S. 4.
 
73
Haeckel 1866, S. 286.
 
74
Toepfer 2011e, S. 688.
 
75
Toepfer 2011 f., S. 718.
 
76
Toepfer 2011 f., S. 715.
 
77
Bauer 2008, S. 106.
 
78
Tansley 1935, S. 299.
 
79
Toepfer 2011 f., S. 737 bezieht sich auf eine Veröffentlichung von Schwerdtfeger 1975, S. 269.
 
80
Begon et al. 2017, S. 393 f.
 
81
Toepfer 2011f, S. 715.
 
82
Jelinski et al. 1992.
 
83
Toepfer 2011f, S. 722 f.
 
84
Lotka 1925, S. 330.
 
85
Sprenger 2019, S. 400; Taylor und Blum 1991.
 
86
Bühler 2016, S. 14 f.; Sprenger 2020; Toepfer 2011e, S. 696.
 
87
Sprenger 2019, S. 368 zitiert hier Odum 1971, S. 9.
 
88
Abildung entnommen bei Taylor und Blum 1991, S. 288, die sich auf Odum und Pigeon 1971 beziehen.
 
89
Bühler 2016, S. 14; Toepfer 2011 f., S. 715.
 
90
Sprenger 2019, S. 399 bezieht sich auf Taylor und Blum 1991.
 
91
Sprenger 2019, S. 403.
 
92
Sprenger 2019, S. 399.
 
93
Toepfer 2011e, S. 696.
 
94
Man spricht deshalb auch von „funktionaler Ökologie“, Toepfer 2011e, S. 698.
 
95
Toepfer 2011e, S. 698; Gleich 2008.
 
96
Toepfer 2011f, S. 726 f.
 
97
Toepfer 2011f, S. 722 f. und Toepfer 2011f., S. 718, der hier Thienemann und Kieffer 1916, S. 485 zitiert.
 
98
Toepfer 2011f, S. 719 ff.
 
99
Mahner und Bunge 2000.
 
100
Toepfer 2011f, S. 719 ff.
 
101
Toepfer 2011f, S. 729.
 
102
Luhmann 2018.
 
103
Luhmann 2018, S. 30.
 
104
Toepfer 2011f, S. 716.
 
105
Tansley 1935.
 
106
Jax 1996, S. 222 ff.
 
107
Ingensiep 2016.
 
108
Luhmann 2018, S. 16.
 
109
Reske 2011.
 
110
Pausenberger 2012.
 
112
Schneider 2019, S. 97.
 
113
Schneider 2019, 95 ff.
 
114
Toepfer 2011a, S. 296.
 
115
Kather 2012, S. 151; Karafyllis 2019, S. 108.
 
116
Schneider 2019, S. 97.
 
117
Schneider 2019, S. 97.
 
118
Toepfer 2011a, S. 296.
 
119
Kather 2012, S. 188.
 
120
Lovelock 1992.
 
121
Toepfer 2011a, S. 300.
 
122
Williams et al. 2015.
 
123
Rosnay 1979, S. 19.
 
124
Rosnay 1979, 19 ff.
 
125
Abschn. 5.4 enthält überarbeitete Auszüge aus Marzi et al. 2018, 49 ff.
 
126
Schneider 2019, S. 95.
 
127
Sisson 2023.
 
128
Kornwachs 2013, S. 18.
 
129
Arthur 2009.
 
130
Martin 2014, Kap. 2.
 
131
Ropohl 2009, S. 29 f.
 
132
Eine Übersicht über verschiedene Deutungen des Technikbegriffs geben beispielsweise Hubig et al. 2013; Kornwachs 2013; Nordmann 2016; Richter 2014.
 
133
Kapp und Maye 2015; Nordmann 2016.
 
134
Ropohl 2009, S. 183.
 
135
Ropohl 2009, S. 184 ff.
 
136
Craemer-Ruegenberg 1989, S. 52; Anzenbacher 2010, S. 66 f.; Nordmann 2016; Gloy 1995, S. 127.
 
137
Aristoteles 1987, Physik II, 199a 15–17.
 
138
Schiemann 1996b, S. 69.
 
139
Zoglauer 1994, S. 22 f.
 
140
Arthur 2009.
 
141
Kornwachs 2013, Kap. 5 zitiert Gehlen 1961, S. 48.
 
142
Poser und Karafyllis 2013, S. 296 zitieren Ortega y Gasset 1978, S. 14.
 
143
Ropohl 2009.
 
144
Ropohl 2009, S. 71 ff.
 
145
Der Technikphilosoph Klaus Kornwachs, von dem die Beispiele stammen, verwendet hierfür den Ausdruck „organisatorische Hülle“, Kornwachs 2013, Kap. 3.
 
146
Ropohl 2009, 59, S. 166 ff.
 
147
Ropohl 2009, S. 44.
 
148
Ropohl 2009, S. 39 ff.
 
149
Ropohl 2013, S. 280 zitiert Marx 1867
 
150
Clausen 2015.
 
151
„Part of our very humanity“. Winner 2001, S. 12.
 
152
Nordmann 2016, S. 90 zitiert Gehlen 1965, S. 113.
 
153
Ropohl 2009, S. 43, Ropohl 2009, S. 181.
 
154
„Jede technologische Verbesserung, die objektiv möglich wird,“ hat „die Tendenz in die Wirklichkeit umgesetzt zu werden“ Poser 2013, S. 356 zitiert Schumpeter 1961, S. 117.
 
155
Im ersten Band seiner 1956 erschienenen Technikkritik „Die Antiquiertheit des Menschen“ schreibt Anders einleitend, „dass wir der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen sind. Anders 2018a, „Zum Buch“.
 
156
Anders 2018a, S. 11.
 
157
Anders 2018b, Kap. 1, § 5.
 
158
Tillich 1961b, S. 80 f.
 
159
Die Bilder wurden freundlicherweise von Dieter Neumann zur Verfügung gestellt.
 
160
Schneider 2019, S. 95 f.
 
161
Schneider 2019, S. 98.
 
162
Schneider 2019, S. 99.
 
163
Karafyllis 2019.
 
164
Klingan und Rosol 2019.
 
165
Klingan und Rosol 2019.
 
166
Schneider 2019, S. 95.
 
167
Haff und Renn 2019.
 
168
Schneider 2019, S. 102.
 
169
Schneider 2019, S. 100 f.
 
170
Haff und Renn 2019.
 
171
Duden 2016e.
 
172
Duden 2016d.
 
173
Ott 2019, S. 764; Duden 2016c.
 
174
Van Treeck 2017.
 
175
Grafik in Anlehnung an Daly 2002, S. 5; Wikipedia 2006.
 
176
Duden 2016f, 2016a, 2016b.
 
177
Cleveland 1999.
 
178
Leipprand und Moore 2012, S. 186 f.
 
179
Duden 2016 f., 2016a, 2016b; Bonaiuti 2011, S. 53.
 
180
Martin 2014, Kap. 1.
 
181
Daly 2002, S. 4.
 
182
Cleveland 1999.
 
183
Bühler 2016, S. 16 f. zitiert Eser et al. 2001, S. 60.
 
184
In Anlehnung an Bauer 2008, 211 ff. und Leipprand und Moore 2012.
 
185
Bauer 2008, S. 212 f.; Leipprand und Moore 2012, S. 188.
 
186
Bauer 2008, S. 222 f.; Leipprand und Moore 2012, S. 188.
 
187
Bauer 2008, S. 224 f.
 
188
Bartkowski 2016.
 
189
In Anlehnung an Kapeller 2022; Gowdy und Erickson 2005
 
190
Daly 2002, S. 3.
 
191
Busch-Lüty und Dürr 1993, S. 29; Cleveland 1999; Wagner 2015, S. 63; Seifert 1994, S. 187; Söllner 1997, S. 426.
 
192
Daly 2002, S. 11.
 
193
Bartkowski 2016.
 
194
Busch-Lüty und Dürr 1993, S. 29; Cleveland 1999; Wagner 2015, S. 63; Seifert 1994, S. 187; Söllner 1997, S. 426.
 
195
Rosnay 1979, S. 21.
 
196
Toepfer 2011c, S. 497.
 
197
Smith 1853.
 
198
Toepfer 2011g, S. 207 f.
 
199
Reinheimer 1913, S. 46.
 
200
Toepfer 2011g, S. 203.
 
201
Reinheimer 1913, S. 5.
 
202
Reinheimer 1913, 5, 21 f.
 
203
Cleveland 1999
 
204
Wagner 2015, S. 60
 
205
Lotka 1925, S. 27.
 
206
Lotka 1925, S. 132.
 
207
Lotka 1925, S. 220.
 
208
Lotka 1925, S. 26.
 
209
Lotka 1925, S. 250.
 
210
Reinheimer 1913verwendet die Bezeichnung „Bio-Economics“; Lotka 1925, S. 212 spricht von einer „biological economy“.
 
211
Von griech. „dichotomía“ = Zweiteilung, Duden online.
 
212
Metzlers Lexikon der Philosophie 2023a.
 
213
Tenbruck 1989, S. 15.
 
214
Peuker 2017, S. 149.
 
215
Dilthey 1883, S. 6 f.
 
216
Kather 2012, S. 8.
 
217
Latour 2017a, 2017b.
 
218
Stache, S. 75 ff.
 
219
Sprenger 2019, S. 464.
 
220
Marzi et al. 2018, S. 83 ff.
 
221
Schwerin 2009, S. 394.
 
222
Albert Schweitzer St. 2018.
 
223
Schwerin 2009, S. 391.
 
224
Dürbeck 2018.
 
225
Williams et al. 2015.
 
226
Williams et al. 2015.
 
227
Dürbeck 2018, S. 4 ff.; Zalasiewicz 2017; Williams et al. 2015.
 
228
Zalasiewicz 2017, S. 173.
 
229
Rangel-Buitrago et al. 2022, S. 2.
 
230
Gebhardt 2016; Schneider 2019, S. 104.
 
231
Chancel 2022.
 
232
Schiemann 2011, S. 61.
 
233
Wiarda 2017; Der Tagesspiegel 2013.
 
234
Gill 2008, S. 55.
 
235
Gill 2008; Muraca 2013; Laux 2014.
 
236
Gill 2008, S. 53.
 
237
Schulz-Schaeffer 2000.
 
238
Sprenger 2018, S. 73.
 
239
Sprenger 2018, S. 74, Sprenger 2019, 455 ff.; Schulz-Schaeffer 2000; Laux 2014; Sprenger 2018.
 
240
Horn und Bergthaller 2019, S. 62.
 
241
Gill 2008.
 
242
Sprenger 2018, S. 83.
 
243
Laux 2014
 
244
Luhmann 2018, S. 245.
 
245
Schiemann 1996b, S. 69.
 
246
Karafyllis 2006; Karafyllis 2003.
 
247
Karafyllis 2019.
 
248
Marzi et al. 2018, S. 88 ff.
 
249
Tillich 1962, 72 ff., Tillich bezieht sich in seiner Argumentation allerdings nicht auf die Unterscheidung von Natur und Technik, sondern wendet die Metapher „Dimension“ auf die Charakterisierung von unbelebter Materie, einfachen Lebewesen und Bewusstsein an.
 
250
Tillich 1962, S. 76, Tillich spricht von „Schichten“, nicht von Bereichen.
 
Metadaten
Titel
Natürliche, technische und ökonomische Systeme
verfasst von
Thomas Marzi
Manfred Renner
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-68230-2_5