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13.01.2022 | Leichtbau | Interview | Online-Artikel

"Multimaterial-Batteriegehäuse sollten im großen Maßstab getestet werden"

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Batteriegehäuse mit hohem Faserverbundwerkstoffanteil könnten gegenüber Aluminiumbauweisen um 20 % leichter und kostengünstiger werden. Im Interview erläutert Warden Schijve, welche Entwicklungen dafür nötig sind.

Springer Professional: Herr Schijve, die meisten Batteriegehäuse für Elektrofahrzeuge bestehen heute aus Aluminium. Warum haben sich kunststoffbasierte Multimaterialbauweisen noch nicht in der Breite durchgesetzt?

Warden Schijve: Bisher mussten die meisten Engineering-Abteilungen der OEMs der Entwicklung von Elektrofahrzeugen die volle Aufmerksamkeit schenken. Dadurch blieb ihnen keine Zeit, alternative Materialtechnologien zu untersuchen. Teilkomponenten wie zum Beispiel der Gehäusedeckel werden aber bereits aus faserverstärktem Kunststoff hergestellt, und die Nutzung für das Gehäuse wird weiter zunehmen. Wir haben sogar festgestellt, dass weltweit bereits die ersten faserverstärkten Bauteile auf den Markt kommen.

Wie muss ein Multimaterialgehäuse aufgebaut sein, damit es leichter und kostengünstiger als ein Aluminiumgehäuse ist?

Es gibt mehrere Optionen, wie Verbundwerkstoffe sowohl bei den Kosten als auch beim Gewicht mit geschweißten Aluminiumkonstruktionen konkurrieren können. Wenn man sich die Anisotropie zunutze macht und zum Beispiel unidirektionale Glasfasern nur dort anwendet, wo es sinnvoll ist, zum Beispiel in Belastungsrichtung, während an anderen Stellen billigeres, formbares Kurz- oder Langfasermaterial genutzt wird, können sehr leichte Strukturen entstehen. Diese können sehr kostengünstig sein, weil sie weniger Material nutzen. Auch durch die Verwendung von Sandwiches oder Mini-Sandwiches mit sehr geringen Dicken kann viel Gewicht eingespart werden. Nicht zuletzt lassen sich mit verschiedenen Verbundwerkstoff-Formprozessen sehr viel komplexere Geometrien herstellen, die geometrische Steifigkeiten aufweisen, die mit Blechkonstruktionen nicht ohne weiteres erreicht werden können.

Wenn man mit Faserverbundwerkstoffen leichter, steifer, komplexer und sogar kostengünstiger bauen kann, was bleibt dann noch für Aluminium?

Es wird bestimmte Teilkomponenten geben, bei denen das Gewichts-Kosten-Verhältnis für Aluminium günstiger ist, zum Beispiel für die Crash-Schutzprofile um das Gehäuse. Es geht also mehr darum, das richtige Material an der richtigen Stelle zu verwenden. Das AZL ist auf die Entwicklung produktionsoptimierter Multimateriallösungen spezialisiert und das Batteriegehäuse ist das ideale Bauteil, um die Wettbewerbsfähigkeit von Faserverbundmaterialien gegenüber Metall zu demonstrieren.

Welche Entwicklungsschwerpunkte sollten Industrie und Wissenschaft in den nächsten Monaten und Jahren setzen?

Obwohl Simulationen zeigen, dass Multimaterialösungen nicht nur für den Deckel, sondern auch für das gesamte Batteriegehäuse gut funktionieren können, sollte dies auch im großen Maßstab demonstriert und getestet werden. Dabei sind nicht nur mechanische Prüfungen, wie beispielsweise ein Pole Intrusion-Test, zu berücksichtigen, sondern auch Prüfungen zum Brandschutz und anderen Arten von möglichen Aufprallschäden, bei denen die Wahl der verschiedenen Schutzmaterialien derzeit noch nicht feststeht.

Mit welchen Ansätzen ließen sich der Bodenaufprallschutz und die Feuerbeständigkeit verbessern?

Sowohl für Bodenaufprallschutz als auch für den Brandschutz können gut definierte Experimente Materialdaten liefern, die in CAE-Analysen verwendet werden können. So kann vorhergesagt werden, ob eine bestimmte Konstruktion zum Beispiel einem Bonfire-Test mit einem offenen Feuer unter dem Batteriegehäuse oder einem Thermal Runaway der Batterie standhalten kann.

Was bedeutet das konkret für den Einsatz von Verbundwerkstoffen?

Bestimmte Verbundwerkstoffe können bei bestimmten Aufbauten und Wandstärken bereits einen inhärenten Schutz bieten, während andere, vielleicht billigere oder leichtere Optionen, von separaten Schutzschichten oder Beschichtungen profitieren könnten. Entscheidend ist die Entwicklung einer Prüfmethode, die solche Materialdaten für Konstruktionszwecke liefert. Solche Methoden werden vom AZL im Rahmen von zwei neuen Projekten entwickelt, die im Februar starten und für interessierte Unternehmen noch offen zur Teilnahme sind.

Wann könnten Multimaterialgehäuse für die Oberklasse, wann für den Massenmarkt wirtschaftlich interessant werden?

Da Gewichtseinsparungen im oberen Segment ein größeres Problem zu sein scheinen, ist zu erwarten, dass dort neue Leichtbautechnologien zuerst genutzt werden. Die AZL-Studie zeigte aber auch, dass viele Konzepte für ein Klasse-C-Fahrzeug im Vergleich zur Aluminiumreferenz niedrigere Kosten aufweisen und somit auch dort gleichermaßen attraktiv sein kann. Höchstwahrscheinlich wird es Komponente für Komponente zu einem Wechsel zu mehr Verbundtechnologien kommen und das Vertrauen für die weitere Konstruktion von noch mehr integrierten Multimaterialverbundstrukturen stärken. Um dies zu unterstützen, haben wir auch neue Teilkomponenten aus Verbundwerkstoffen entwickelt, die als direkte Drop-in-Lösung dienen können, ohne dass Gehäuse komplett neu entwickeln zu müssen. Das höchste Kosten- und Gewichteinsparpotential bieten aber natürlich hochintegrierte Multimaterialkonstruktionen.

Um wieviel kostengünstiger und leichter können Multimaterialgehäuse gegenüber Aluminiumgehäusen sein?

Wir schätzen, dass gegenüber einem hochmodernen Aluminiumgehäuse Kosteneinsparungen von 20 % möglich sind. Berücksichtigt sind in der Schätzung Material-, Fertigungs- und Investitionskosten, sowohl mit Duroplast- als auch Thermoplastvarianten. Das Gewichteinsparpotential schätzen wir ebenfalls auf circa 20 %. Größere Gewichtseinsparungen sind zwar möglich, meist aber verbunden mit zusätzlichen Kosten.

Auf welcher Grundlage haben Sie die Kosten- und Gewichtseinsparungen ermittelt?

Für die Gewichtseinsparung haben wir umfangreiche CAE-Analysen durchgeführt und die Konstruktion hinsichtlich aller relevanten Lastfälle optimiert. Die Kosten für jeden Produktionsschritt wurden detailliert mit der Prozesskostenanalyse-Software Oplysis von Conbility berechnet. Als Referenz wurden die Kosten für das Aluminiumgehäuse analysiert und mit einem OEM, verschiedenen Zulieferern und den Experten verschiedener Metallproduktionsinstitute hier in Aachen gegengeprüft. Basis unserer Kostenkalkulation war die Massenproduktion, also im Bereich von 100.000 bis 300.000 Fahrzeugen pro Jahr.

Dennoch dürfte die Bilanz je nach Fahrzeugmodell unterschiedlich ausfallen, oder?

Ja, das Verhältnis von Kosten und Gewicht je nach Material und Produktionskonzept kann sehr unterschiedlich ausfallen. Entsprechend erhalten wir sowohl von Materialherstellern als auch von Herstellern und Endanwendern einer Komponente auch eine erhöhte Nachfrage nach individuellen Bewertungen.

Herr Schijve, vielen Dank für das Interview.

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