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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Und die Form ist das Entscheidende: Ein Blick zurück in die Zukunft der digitalisierten mittelständischen Produktion

Carsten Meinhardt im Interview mit Uwe Elsholz und Martina Thomas

verfasst von : Carsten Meinhardt, Martina Thomas, Uwe Elsholz

Erschienen in: Post-digitales Management

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Im Gespräch mit dem Produktionsleiter der nass magnet GmbH werden Erfahrungen aus früheren Phasen der Automatisierung und die gegenwärtigen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit in der Produktion gegenüber gestellt sowie ein Ausblick in die nahe Zukunft gewagt. Dabei geht es insbesondere um die Bedeutung von Standards, aber auch um Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsgestaltung und der Bedeutung von Erfahrungswissen.
Carsten Meinhardt ist seit über 10 Jahren Produktionsleiter bei der nass magnet GmbH. Als Elektrotechnikingenieur beschäftigt er sich schon seit seiner Diplomarbeit in den 1990er Jahren mit Fragen der Arbeitsorganisation und ‑gestaltung in der Produktion. Wir sprechen gegen Ende der Projektlaufzeit von KILPaD miteinander und greifen dabei Beobachtungen aus Betriebsbegehungen und Gesprächen vor Ort auf. Wir diskutieren über Erfahrungen aus früheren Phasen der Automatisierung, die Auswirkungen aktueller digitaler Anwendungen auf die Arbeit in der Produktion und blicken in die nahe Zukunft. Wir erfahren etwas über die besondere Bedeutung von Standards bei Prozessgestaltung und Digitalisierung, aber auch über die daraus resultierenden Veränderungen bei der Arbeitsgestaltung und von Erfahrungswissen.
UWE ELSHOLZ: Ich würde einsteigen mit der Frage: Bei der Automatisierungsdiskussion, da gab es ja auch immer schon diese Befürchtung, dass da viele Arbeitsplätze verloren gehen. Wie haben Sie das rückblickend erlebt?
CARSTEN MEINHARDT: Also, schon in den Neunzigerjahren hat man sich ja Gedanken darübergemacht, wo macht eine Automatisierung überhaupt Sinn. Und da hat man aus meiner Sicht zwei wichtige Faktoren genommen, einmal sich wiederholende, relativ monotone Arbeiten oder aber eben auch Fähigkeiten, die ein Automat hat. Hier ist ein Schweißroboter ein gutes Beispiel, der perfekt schweißen kann und zwar immer mit gleicher Güte und Konstanz. Das waren aus meiner Sicht und meiner Erfahrung immer die Arbeitsplätze, die man dafür bevorzugt ausgesucht hat. Die monotonen Arbeitsplätze, wo es immer, ich sage mal, von der linken Hand in die rechte Hand und dann in den Karton ging – diese Arbeit hat natürlich auch die Mitarbeiter mitgenommen. Wenn man das Tag um Tag macht, dann ist man irgendwann nach ein paar Jahren auch fertig, zumal das früher auch nicht so häufig gewesen ist, dass man Jobrotationen gemacht hat. Also war das eine gute und eine sinnvolle Sache aus meiner Sicht, dass man halt für diese Tätigkeiten eine Maschine einsetzt oder das automatisiert. Damit waren die Mitarbeiter aber jetzt nicht in dem Sinne obsolet oder man musste sich von ihnen trennen, sondern es gibt viele andere Aufgaben in einem Unternehmen. Entweder musste man die Mitarbeiter weiterqualifizieren, was für den Standort immer gut ist, damit man ein gutes Niveau bekommt. Das wurde viel gemacht und es kommen auch neue Jobs. Wenn ein Robi da ist, der muss z. B. gewartet werden. Also, rund um die Automation entstehen auch neue Jobs. Das heißt, mit Einzug der Automation vor zwanzig oder dreißig Jahren sind jetzt nicht fünfzig Prozent der Arbeitsplätze vernichtet worden.
UWE ELSHOLZ: Die Befürchtungen waren damals ja auch ähnlich wie jetzt…
CARSTEN MEINHARDT: Exakt, die waren sehr hoch, ja.
UWE ELSHOLZ: Das haben Sie ja eben auch gesagt, die meisten Mitarbeiter wurden dann eher, weitergebildet…
CARSTEN MEINHARDT: Ich sage mal, für die neu anfallenden Jobs oder wenn Kapazitätserweiterungen nötig gewesen sind, da hat man erstmal in den Bereichen geguckt, wie die Fähigkeiten sind, dann Stammpersonal ausgewählt und hat Mitarbeiter auf neue Jobs trainiert.
UWE ELSHOLZ: Und ist das nicht alles sehr vergleichbar mit der jetzigen Situation? Es gibt wieder die Befürchtung, diesen oder jenen Arbeitsplatz wird es bald nicht mehr geben.
CARSTEN MEINHARDT: Was Sie gerade eben gesagt haben: ‚diesen Arbeitsplatz wird es bald nicht mehr geben‘, dann ist es eher nicht so, dass ein Arbeitsplatz komplett gestrichen wird, sondern er wird in dieser Form nicht mehr da sein. Und die Form ist das Entscheidende und das reflektiert letztendlich auch auf den ersten Schritt der Automation. Denn dieser Arbeitsplatz, den es bald nicht mehr geben wird, den gibt es aus dem Grund nicht mehr, weil er eben auch in die jetzige Gegenwart und in die baldige Zukunft nicht mehr passen wird. Das heißt, es wird diesen Arbeitsplatz deswegen bald so nicht mehr geben und da, wo eine gewisse Monotonie drin ist, ja. Die Anforderungen, da gebe ich Ihnen Recht, die sind heute noch genauso wie früher.
MARTINA THOMAS: Aus dem, was Sie gesagt haben, nehme ich mit, Tätigkeiten verschwinden, aber es kommt was Neues stattdessen. Oder es kommen andere Anforderungen, andere Tätigkeitsanteile werden vielleicht wichtiger.
CARSTEN MEINHARDT: Na ja, also, ich möchte mich ungern in so eine Ecke drücken lassen, dass mit der Automation oder mit der Digitalisierung Arbeitsplätze einfach vernichtet werden. Aber die Prozesse, die sich hinter Arbeitsschritten verbinden, die werden sich verändern, die müssen sich verändern und jede Firma muss auch gucken, dass sie wirtschaftlich, in einer sehr hohen Qualität oder mit Qualitätsstandards arbeitet. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, dass man Standards schafft, und wenn man Standards geschaffen hat, dann macht es auch Sinn darüber nachzudenken, ob man sie automatisiert oder digitalisiert. Und das Verschwinden der Arbeitsplätze ist prinzipiell eine Veränderung des Prozesses. Ja, es kann auch sein, dass Arbeitsplätze verschwinden, das hängt dann aber damit zusammen, dass ein Produktzyklus auch irgendwann mal zum Ende kommt. Das heißt, wenn irgendwann mal immer eine Kappe oben auf ein Metallhütchen geklebt worden ist, und jetzt gibt es dieses Metallhütchen nicht mehr, dann muss auch die Kappe nicht mehr draufgeklebt werden. Das heißt, dann verschwindet natürlich der Arbeitsplatz. Das heißt aber nicht, dass der Mitarbeiter verschwindet, sondern der Prozess hat sich einfach verändert.
UWE ELSHOLZ: Wir haben durch unsere Beobachtungen in KILPaD auch eher den Begriff gefunden, jemanden „frei zu spielen“, im Sinne von, dass er andere Möglichkeiten hat und von Routineaufgaben zum Teil entlastet wird.
CARSTEN MEINHARDT: Genau.
UWE ELSHOLZ: Also, eher freispielen statt freisetzen.
CARSTEN MEINHARDT: Das ist ein guter Begriff.
UWE ELSHOLZ: Wir sind ja jetzt im Prinzip schon bei der Gegenwart. Beim Betriebsrundgang bei Ihnen vor Ort sprachen Sie über die Organisation der Prozesse. Der Prozess war analog schon in gewisser Weise organisiert…
CARSTEN MEINHARDT: Also ja…, aber bevor jetzt dieser Hype mit der Industrie 4.0 gekommen ist, da gab es ja auch schon Prozesse, die sich deutlich von jenen vor zehn, zwanzig Jahren unterschieden haben. Und was ich auf dem Rundgang versucht habe näher zu bringen, ist, dass a) erstmal jede Firma, jeder Ablauf, jeder Prozess möglicherweise eine andere Digitalisierung erfährt, eben weil es für das Unternehmen ein anderer Prozess ist. Das heißt, die Digitalisierung, die bei uns in der Firma ist, dass muss nicht eine Digitalisierung gleicher Art sein in anderen Firmen, sondern man muss das an seine Prozesse anpassen, eventuell. Bei dem Rundgang ist es so gewesen, wir haben natürlich auch analoge Prozessschritte, ganz klar. Ein Beispiel waren die Fertigungspapiere, die ich Ihnen gezeigt habe, die an den Maschinen, wo der Mitarbeiter weiß, hier ist ein Prüfplan, da ist eine Zeichnung und das ist mein Auftrag. Das ist für mich ein analoger, wirklich sehr analoger Schritt. Da werden irgendwo im Unternehmen die Papiere zentral ausgedruckt, dann werden sie wie vor vielen, vielen Jahren in eine Klarsichthülle gepackt und dann runter in den Bereich geschleppt. Ich denke, dass bei uns in der Zukunft mit einer gewissen Software gearbeitet wird, die dann dem Maschinenbediener an der Maschine zeigt, pass’ auf, das sind die nächsten zehn Aufträge, die sind materialversorgt, die sind im Hintergrund überprüft worden und damit kannst du arbeiten. Und um das zu machen, da müssen gewisse Standards da sein, und das ist für mich eines der zentralsten Themen, dass man Standards erstmal hat und sich dann überlegt, was kann ich von diesen Standards digitalisieren.
UWE ELSHOLZ: Nun haben Sie ja Maschinen mit einer sehr unterschiedlichen Einsatzdauer und Historie. Aber trotzdem würden Sie sagen, es muss darum gehen, erstmal so eine gewisse Standardisierung zu haben?
CARSTEN MEINHARDT: Ja. Es ist ja wichtig, dass auch die Maschinen und Anlagen untereinander kommunizieren können. Dazu müssen sie eine gewisse Kompatibilität untereinander haben. Und sie müssen überhaupt wissen, dass da irgendjemand im Netz ist oder in dem Verbund. Sie kennen sicherlich dieses schöne Schaubild, da gibt es diese Abteilung mit den Stellwänden und keiner sieht den anderen. Der erste fängt an und wirft die Arbeit an den Nächsten, der macht dann weiter, wirft es in die dritte Abteilung, aber da ist gar keiner und das wissen die alle gar nicht, dass in der dritten Box gar keiner ist und so fliegen da immer weiter die Aufgaben rein. Und der Vierte in der letzten Box, wenn es dann zum Kunden gehen oder die Information irgendwie weitergehen soll, der steht da mit tausend Fragezeichen, weil überhaupt gar nichts mehr bei ihm ankommt. Das ist so der Vergleich. Das muss man erstmal vorbereiten: Also, dass man die Fähigkeit aufbaut, dass die Anlagen untereinander kommunizieren können.
MARTINA THOMAS: Und welche Auswirkungen hat das auf die Menschen, die die Anlagen bedienen?
CARSTEN MEINHARDT: Na ja. Die Auswirkungen, also in dem eben gesagten Beispiel ist es so, dass es eigentlich auf der einen Seite eine schöne Auswirkung gibt, weil derjenige nämlich keine Fragezeichen mehr hat, denn er ist mit Informationen versorgt. Wenn man das vernünftig macht, dann sind auch die Informationen so aufbereitet, dass es für den Anlagenführer klar erkennbar ist, was für ihn die wichtigen Informationen sind. Wenn ich einen Zettel in die Produktion reiche, wo 27 Prüfmaße bzw. 27 Punkte einer Information abgebildet werden, da muss der Anlagenführer auch erstmal genau überlegen, Mensch, ja, welche von diesen 27 brauche ich, und möglicherweise kann das sein, dass er dann vielleicht etwas anders entscheidet, als es eigentlich sein sollte. Wenn aber die Informationslage klar ist und genau das aufgearbeitet oder vorbereitet oder aufbereitet ist, dass der Mitarbeiter eine ganz klare Sicht hat auf das, was er jetzt tun muss, dann ist es eigentlich ein sehr positiver Schritt aus meiner Sicht. Und nebenbei ist es auch wichtig, dass, wenn der Prozess standardisiert und automatisiert ist, dann fallen menschliche Fehler, zu hundert Prozent natürlich nicht, weg. Und somit sind das auch für das Unternehmen Riesenvorteile.
UWE ELSHOLZ: Woher weiß der Mitarbeiter mit den Zahlen oder mit seinem Bildschirm umzugehen?
CARSTEN MEINHARDT: Na ja, also es ist ja so, wir sprechen ja über Abläufe, über Prozesse, in denen auch eine gewisse Schulung, eine gewisse Qualifikation der Mitarbeiter notwendig ist. Entweder sie haben eine Grundausbildung in Metallverarbeitung: sie sind Dreher, Fräser, es gibt Elektriker, dann gibt es die Verwaltung, da weiß man auch, was man zu tun hat. Die werden geschult, mit den Systemen, mit denen sie arbeiten. Die sind ja alle geschult und insofern ist es sehr hilfreich, wenn diese Informationen sehr zentral und eindeutig sind und dem Mitarbeiter vorliegen. Jetzt könnte man sogar nachdenken, dass man vielleicht gar nicht mehr so viel ausbilden muss. Denn wenn der Prozess so safe ist, dann brauche ich möglicherweise gar nicht diese ganz hochqualifizierten Leute, sondern möglicherweise geht es dann auch, je nachdem, um was es sich handelt, vielleicht mit einem etwas flacheren Niveau. Und auch darüber muss man nachdenken und das ist letztendlich auch eine Standortfrage. Die Fachkräfte hier in Deutschland: a) werden es immer weniger, die zur Verfügung stehen, und b) das wird auch immer teurer.
UWE ELSHOLZ: Und gibt es für das, was Sie eben beschrieben haben, in Ihrem Umfeld auch reale Beispiele? Wo es passiert ist, dass man Arbeitsplätze mit weniger qualifizierten Menschen besetzen konnte? Man kennt so ein Szenario zum Beispiel von Amazon mit den Pickern, die alles gesagt kriegen, was sie zu tun haben.
CARSTEN MEINHARDT: Wir versuchen diese wirklich ganz monotonen, also wie Sie es gerade gesagt haben, diese Pickerarbeitsplätze zu vermeiden, indem wir unseren Prozess sehr intelligent machen und das gelingt uns auch in der Regel. Insofern gibt es bei uns solche Tätigkeiten nicht.
MARTINA THOMAS: Das war eigentlich auch mein Eindruck, dass es um die Entlastung von diesen monotonen Tätigkeiten geht, um nochmal diesen Begriff des Freispielens aufzugreifen. Wodurch dann komplexere Anforderungsprofile zustande kommen, die ein Mitdenken erfordern. Oder wie sehen Sie das?
CARSTEN MEINHARDT: Ja, freispielen, wie gesagt, für einige Bereiche gilt das. Wenn der Prozess eine gewisse Stabilität hat, dann ist das so und dann ist man auch frei und kann sich Gedanken darüber machen. Dann wären da andere Sachen, die ein bisschen mehr in den Fokus kommen. Dann kommt Analytik hinzu. Es gibt ja keine Produktion, die völlig fehlerfrei läuft. Und das sind Sachen, die uns sehr beschäftigen. Wenn es zu Störungen gekommen ist: a) warum haben wir es so spät entdeckt, b) warum ist es überhaupt dazu gekommen? Und das sind so Sachen, wo die Mitarbeiter vor Ort das Wissen haben. Das müssen gar nicht Hochstudierte sein, sondern die Mitarbeiter können sagen, das könnte daran und daran liegen. Je nachdem, um was für einen Fehler es sich handelt, dann steigen auch studierte Leute ein oder Leute, die ein spezielles Fachwissen haben. Und die Mitarbeiter, weil Sie sagten, es sind nur Facharbeiter: manche, die auch schon sehr lange bei uns sind, sind mit einem möglicherweise niedrigen Ausbildungsniveau bei uns gestartet und sind mittlerweile aber wirklich Spezialisten an ihren Anlagen. Also, wenn da jemand frisch von der Schule kommt, dann sage ich das mal ganz salopp, dann packt so jemand den links und rechts in die Tasche. Das ist so, weil er die Erfahrung hat und das ist ganz viel wert.
MARTINA THOMAS: Auch nach wie vor?
CARSTEN MEINHARDT: Immer!
UWE ELSHOLZ: Das ist eine Frage, die auch in der Wissenschaft diskutiert wird. Also, dass Erfahrungswissen ganz wichtig ist, das ist jedenfalls unter Berufspädagogen oder auch den meisten Soziologen unbestritten. Die Frage ist jetzt, wie verändert sich der Stellenwert oder auch der Charakter dieses Erfahrungswissens, wenn jetzt z. B. das MES-System mir eigentlich sagt, welcher Fehler da ist, dann brauche ich das ja gar nicht mehr wissen.
CARSTEN MEINHARDT: Ja, aber dann wissen Sie, das ist der Fehler und dann? Dann hört das MES auf, weil künstliche Intelligenz… so weit sind wir dann auch noch nicht und selbst operieren kann sich so eine Anlage auch nicht. Das heißt… Wie war nochmal genau die Frage?
UWE ELSHOLZ: Aus der Chemieindustrie kenne ich diese klassischen Beispiele vom Handauflegen und dann wusste man irgendwie, was mit einer Anlage los war, weil die Leute ihre Anlagen einfach so gut kannten. Und wo man heute vielleicht sagt, das brauchst du nicht mehr, weil dir ein Gerät das sagt. Meine Frage war, wie verändert sich da was?
CARSTEN MEINHARDT: Ich persönlich glaube, sicherlich wird das Fachwissen oder das Mitarbeiterwissen weiterhin benötigt werden. Es wird sich aber verändern, weil das Fachwissen oder das Wissen um diese Anlage halt wächst, je nachdem wie die Automation oder die Digitalisierung sich verändert. Heutzutage spricht man von Predictive Maintenance – das ist eine vorausschauende Wartung. Das, was Sie gesagt haben, dass die Anlagen das natürlich alles melden, und so weiter, ja das stimmt. Ich mache mal ein Beispiel: Ein Zylinder in einer Anlage fährt ein und aus und braucht dafür zwei Sekunden, wenn er neu ist. Wenn er das jetzt 500.000mal gemacht hat und er jetzt 2,3 s dafür benötigt, dann kann man ungefähr sagen, okay: es ist ein schleichender Prozess, dass dieser Zylinder irgendwann aussteigt. Und dann kann man das festlegen: wenn er bei 2,4 s ist, dann ist Feierabend, dann wird er gewechselt. In diesem Kontext wird das Wissen ein anderes sein, dann wird der Mitarbeiter auf seinem Monitor sehen, wie sich der Zylinder bewegt und beobachten, dass sich die Zeit vom Ein- und Ausfahren verändert. Das heißt, er weiß jetzt, wenn alles so bleibt in der Umwelt, dass der Zylinder dann in drei Wochen weg muss. Das wird die Anlage möglicherweise auch sagen. Man muss nur sehen, was das für ein Aufwand ist. Eine Firma, mit der ich gesprochen habe, hatte ein Umfeld gemacht, wo man sogar das Klima innerhalb der Produktion mit in diesen Algorithmus hineinrechnen und mitbetrachten kann. Ich weiß nicht, ob das so weit gehen muss, vielleicht, wenn man irgendwelche Teile für die NASA baut, da mag das einen Einfluss haben. Aber man muss ja auch immer drüber nachdenken, was solche Anlagen kosten, die mit solchen Fähigkeiten ausgestattet sind. Das heißt, dieses Fachwissen wird weiterhin notwendig sein, es wird sich allerdings verändern oder es wird sich teilweise aus den Zahlen und aus den Informationen, die die Digitalisierung mitbringt, anders adaptieren bei den Mitarbeitern.
UWE ELSHOLZ: Die Frage lautet also eher: Wie ich das jetzt bewerte? Folge ich dem blind oder sagt mir meine Erfahrung, der Auftrag muss fertig werden und jetzt ziehe ich durch?
CARSTEN MEINHARDT: Genau.
MARTINA THOMAS: Also, in meiner Vorstellung ist das auch so, vielleicht können Sie das bestätigen oder dagegenreden, dass die Physik ja in Ihren Anlagen bleibt. Wir reden immer von Digitalisierung, aber das sind ja trotzdem auch mechanische, pneumatische und was weiß ich nicht was für Prozesse, die weiterhin irgendwie erfahrbar sind für den Menschen, der da steht. Und hinzu kommt eine Datenlage, die für sich genommen auch ein Erfahrungsraum ist und wo man dann nach einer gewissen Zeit weiß, bei Ihnen z. B. anhand von Kennwerten, das läuft jetzt in die eine oder in die andere Richtung. Sodass man zwei Ebenen hat, einmal dieses sensorische, taktile Erfahren und Wahrnehmen und zusätzlich noch die Datenlage.
CARSTEN MEINHARDT: Ja, das ist ein entscheidender Punkt, den Sie ansprechen, denn wenn die Anlagen in der Lage sind, auch zu zählen, und diese Daten dann irgendwo abgelegt werden, dann… Ich mache mal ein Beispiel: Wir haben einen Fertigungsauftrag, über 1000 Stück und das kriegen wir vielleicht mit 995 Stück hin und beim nächsten Mal ist es wieder ein bisschen schlechter oder es ist mal besser gelaufen. Früher stand dann jemand daneben und hat diese Daten auf den Fertigungsauftragszettel geschrieben. Das ist eine Unmenge an Arbeit. Wir haben ein Großteil unserer Anlagen in die Lage versetzt, diese Ausbringungsmenge sozusagen automatisch dem System zur Verfügung zu stellen. Das ist dieser Prozess gewesen, den ich eingangs erwähnt habe, dass man erstmal die Kommunikation untereinander herstellen muss, damit man dann diese Daten in weiterführenden Systemen nutzbringend verwenden kann. Und ja, es ist auch richtig, die Physik bleibt die Physik, also es wird sich nichts ändern an der Physik. Hoffe ich. (lacht)
Aus meiner Sicht ist der große Vorteil, dass man nun in der Lage ist, diese ganzen Informationen zu sammeln und daraus Maßnahmen abzuleiten. Das finde ich wichtig; und dann kann man gezielt solche Sachen angehen. Man schafft insofern, da komme ich auf eins meiner Lieblingsthemen, man schafft auch hier einen Standard. Ich habe eine standardisierte Weitergabe von Stückzahlen, von Ausschuss, von Gutteilen, so und das ist der Weg, den wir eingeschlagen haben, dass wir zumindest das schon mal gut können und dass dies in unsere weiterführenden Systeme Eingang findet.
UWE ELSHOLZ: Damit sind wir auch beim Thema Zukunft…
CARSTEN MEINHARDT: Genau. Aber das ist nicht einfach. Man kann nicht sagen, das ist Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, weil es sich schon immer ein bisschen vermischt.
Wir sehen schon kleinere Ansätze aus der nahen Zukunft und die Frage, die interessant sein könnte, ist, wie sieht die mittlere Zukunft aus? Wo stehen wir vielleicht in fünf Jahren? Wenn wir uns mal auf fünf Jahre beschränken, dann ist es so, dass ich ganz fest der Meinung bin, dass es ein wichtiger Punkt ist, dass man ganz viele fertigungsbegleitende Dokumente entfallen lassen kann. Dass man die Kommunikation an den Anlagen noch feiner machen kann. Aktuell sind wir dabei, wir können von unseren Anlagen online sehen, ob sie im Einsatz sind, wie viele Teile sie gefertigt haben, Gutteile, Schlechtteile können wir identifizieren. Wir können sehen, ob sie in einer Wartung oder in einer Reparatur sind. Das können wir alles online abrufen. Und wenn ich von feiner spreche, dann ist das schon so in diese Richtung denkend, dass man sagen kann – wie soll ich das ausdrücken? Also, dass möglicherweise baldig eintretende Störungen, dass die identifiziert werden. Dass man das Handling vielleicht noch ein bisschen vereinfacht oder mehr digitalisiert, ein Stück mehr digitalisiert. Dass man das alles noch ein bisschen runder hinkriegt. Nicht, dass man nur ein paar Anlagen hat, die das können, man spricht immer von Leuchttürmen oder von Insellösungen. Ein komplett digitales Werk sehe ich erstmal nicht. Denn auch die Idee der papierlosen Fertigung hat 25 Jahre später noch nicht so richtig Einzug gefunden. Aber jetzt denke ich, ist das ein relativ einfacher Schritt. Klar, das wird Geld kosten, weil man die Systeme dafür herrichten muss, aber das sind alles Schritte, die aus meiner Sicht auch die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens weiter optimieren, nicht nur in mechanischen Bereichen. Ich denke, die Kapazitäten, die dadurch in anderen Abteilungen frei werden, können anders genutzt werden und in diese Richtung wird es gehen. Es ist auch denkbar, modulare Systeme zu bauen, in denen man relativ schnell von einer Baugruppe auf die andere Baugruppe wechseln kann. Vielleicht gelingt es sogar, dass die Werkstücke, die gefertigt werden, eine gewisse Identifikation mit sich bringen, die bewirkt, dass Teile über die Linie A fallen, nicht über die Linie B.
Möglicherweise werden auch Rüstprozesse je nachdem, wie die Prozesse ausgestaltet sind, ich will es jetzt nicht sagen, in Blindleistung – das ist nicht das richtige Wort – aber doch digital geführt vorgenommen. Alle Aufgaben, die einen manuellen Anspruch haben und vielleicht nicht so ganz intelligent durchgestaltet sind, liefern Ansatzpunkte, wo die Digitalisierung zukünftig aus meiner Sicht noch viel Potenzial hat.
Nicht zuletzt ist die schier unendliche Möglichkeit zu erwähnen, Daten zu sammeln und daraus Schlüsse zu ziehen.
UWE ELSHOLZ: Haben Sie eine Einschätzung dazu, was das für die Beschäftigten mit sich bringt an Veränderungen?
CARSTEN MEINHARDT: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen; das ist schwierig. Wenn wir von der Zukunft sprechen, dann muss man ja auch sehen, welches Produkt in der Zukunft überhaupt benötigt wird. Ist es noch das einfache Produkt von „heute“ oder ist das Produkt komplexer geworden? Also zum Beispiel, nachdem die Verbrennermotoren nun verpönt sind, gehen wir jetzt in die Elektromobilität. Da sind andere Ansätze erforderlich, ganz andere Komponenten, Zulieferteile. Das heißt, die Firmen, die das herstellen, müssen ihre Prozesse überdenken. Möglicherweise weniger mechanisch und mehr Elektrik, und man muss sehen, wie sich das entwickelt. Und ich denke, wenn man für unseren Standort, also für Deutschland spricht, dann wird es sicherlich immer mehr technologische Herausforderungen geben, das zu machen. Das heißt, simple oder simplere Aufgaben haben hier weniger Platz, aber ich denke, das ist ein generelles Thema und das ist nicht unbedingt Digitalisierung. Die Digitalisierung wird uns dabei helfen. So würde ich das sehen.
UWE ELSHOLZ: Ja, gut, das ist die Technologie. Wenn es jetzt mehr Daten gibt und die Daten überall verfügbar sind, ist es ja auf der einen Seite so, dass im Prinzip auch jeder Beschäftigte mehr sehen könnte.
CARSTEN MEINHARDT: Ja, das ist ein Thema, das bei der Digitalisierung beachtet werden muss, das Thema Datensicherheit. Wie geht man damit um? Natürlich muss es so sein, dass jetzt nicht jemand an irgendeinem PC, der irgendwo in der Fertigung steht, sehen kann, was sein Meister verdient. Man muss ein hohes Maß an Datensicherheit hinterlegen. Man muss auch die Daten schützen, die dort im Netz sind. Das sind ja wichtige Daten, das sind, ich sage mal, teilweise so wichtige Daten, wenn die jemand anderer bekommt, könnte der dieses Produkt bauen. Also, das ist ein sehr, sehr zentrales Thema, Datensicherheit. Einschränkungen vorzunehmen gelingt ziemlich gut. Das sieht man ja auch, wenn Sie SAP kennen, im Verwaltungsbereich. Wenn man dort eine Transaktion aufruft, steht da mitunter rotblinkend: diese Transaktion ist für Sie nicht freigeschaltet. Bis in die Fertigung hinein werden die Rechte in Stufen immer geringer. Man erhält die Informationen, die man benötigt, zur Herstellung dieses Produktes oder zur Tätigkeit in der Verwaltung. Die zentrale Anforderung ist, dass die Mitarbeiter durchgängig die benötigten Informationen haben. So dass sie nicht morgens hingehen und sagen, Mensch, was muss ich jetzt machen? Oder ich warte mal, bis derjenige da ist, der mir sagt, was ich zu tun habe. Sondern wenn das alles vernünftig standardmäßig aufgebaut worden ist, dann kann der Mitarbeiter hingehen, er weiß, was zu tun ist. Und die Anlagen, die würden in die Systeme zurückmelden, damit dort – ich nenne das immer gerne die Teppichbodenabteilungen –, wo die Disponenten sind, die den Kundenkontakt haben und die Planung machen, das Zahlenmaterial zur Verfügung steht, das sie brauchen, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Das war eigentlich schon ein schönes Schlusswort.
UWE ELSHOLZ: Wie es in fünf Jahren aussehen könnte…
MARTINA THOMAS: Vielleicht melden die Anlagen das dann auch direkt dem Kunden…
CARSTEN MEINHARDT: Die ganz hohe Weihe ist, dass man so miteinander vernetzt ist, dass der Kunde, wenn er anruft, prinzipiell die Produktion startet und er dann schon weiß, wann er das Teil kriegt. Wenn man das hinbekommen hat, ist man schon ganz weit vorn. Ob man das will, in der Tiefe, das ist eine andere Frage…
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verfasst von
Carsten Meinhardt
Martina Thomas
Uwe Elsholz
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2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40707-0_6

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