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13.06.2022 | Verkehrspolitik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Verbrenner-Verbot: Start eines langwierigen Prozesses

verfasst von: Christoph Berger

6 Min. Lesedauer

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Ab 2035 soll der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor nach einem Beschluss des EU-Parlaments verboten werden. Allerdings wird dies nach Ansicht einiger Wissenschaftler für eine klimafreundliche Mobilität nicht ausreichen.

Am 8. Juni 2022 hat das EU-Parlament beschlossen, die überarbeiteten CO2-Emissionsnormen für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, die Teil des Pakets "Fit für 55 in 2030" sind, zu unterstützen. Demnach soll bis zum Jahr 2035 eine emissionsfreie Mobilität im Straßenverkehr erreicht werden, bis dahin sollen die CO2-Emissionen von neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auf Null gesenkt werden. Was faktisch einem Aus für Verbrennungsmotoren in den entsprechenden Fahrzeuggruppen gleichkommt. Davor noch müssen bis 2030 die CO2-Emissionen von neuen Pkw um 55 %, die von neuen leichten Nutzfahrzeugen um 50 % im Vergleich zu den Werten von 2021 sinken. Dem Verbot müssen allerdings noch die EU-Mitgliedsstaaten zustimmen.

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Pro und Contra zur EU-Entscheidung zum Verbrenner-Aus

Die Entscheidung des EU-Parlaments zu einem faktischen Verbot von Verbrennungsmotoren in PKW sorgt für angeregte Diskussionen. Auch in unseren Redaktionen. ATZ/MTZ-Chefredakteur Alexander Heintzel und springerprofessional.de-Redakteur Thomas Siebel kommentieren contra und pro Parlamentsentscheidung. 

"Auf wem Weg zur klimaneutralen Mobilität sind drastische Reduktionen notwendig. Die verschärfte Reduktion der Flottengrenzwerte um 55 % statt um 37,5 % bis 2030 im Vergleich zu 2021, die jetzt vom EU‑Parlament angenommen wurde, weist bereits in diese Richtung", kommentieren Dr. Thomas Grube, Leiter der Arbeitsgruppe Mobilität im Institut für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich und sein Jülicher Kollege Prof. Dr. Detlev Stolten, Leiter des Instituts für Elektrochemische Verfahrenstechnik, den gefällten Beschluss. Der Flottengrenzwert liege dann rechnerisch bei 43 Gramm CO2 je Kilometer und sei ohne einen vollständigen Umstieg auf Elektroantriebe nicht zu schaffen. Im Sinne einer diversifizierten Antriebs‑ und Kraftstoffstrategie seien damit Batterien und Brennstoffzellen die im Zeitverlauf relevanten Antriebstechniken, so die beiden Wissenschaftler.

2045 noch immer zwei Millionen Pkw mit kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen

Grube und Stolten erklären weiter: "Das defacto‑Verkaufsverbot von Verbrennern ab 2035 wirkt in zweierlei Hinsicht. Elektrofahrzeuge sind die aus heutiger Perspektive effizientesten Antriebe, die entsprechend schonend mit dem verfügbaren Energieangebot umgehen. Diese werden durch das Verkaufsverbot einerseits schneller in den Markt gebracht. Dadurch werden letztlich weniger Erneuerbare Energien benötigt, und ein stärkerer Ausbaugrad wird so umgangen. Denn bezogen auf einen Mittelklasse-Pkw wird bei Nutzung synthetischer flüssiger Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren im Vergleich zum Batterie‑Pkw rund sieben Mal mehr erneuerbare Energie je Kilometer benötigt." Einerseits. Andererseits führe der zügig wachsende Bestand an Elektrofahrzeugen dazu, dass die Kosten für Elektroantriebe mit Batterien und Brennstoffzellen aufgrund des Lerneffekts schneller sinken. Somit trage das Verkaufsverbot zur Wettbewerbsfähigkeit der Elektroantriebe bei. "Wir gehen davon aus, dass auch langstreckentaugliche Pkw mit Batterie dann bereits deutlich vor dem Jahr 2030 Kostenparität zu Verbrennern erreichen; Fahrzeuge mit Brennstoffzellen wenige Jahre später."

Die Jülicher Wissenschaftler betonen allerdings auch, dass die Umstellung des Pkw‑Bestands ein langwieriger Prozess sei, lege man heutige Fahrzeuglebensdauern von rund 14 Jahren zugrunde. Denn trotz des "Verbots" für Verbrenner müssten 2045 noch immer zwei Millionen Pkw mit kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen versorgt werden. Aufgrund der geforderten Treibhausgasneutralität wäre dieser Bedarf zwangsläufig durch teurere synthetische Kraftstoffe aus Erneuerbaren zu decken.

Technische und gesellschaftliche Herausforderungen

Zudem seien auf dem Übergang zur klimafreundlichen Mobilität Herausforderungen sowohl technischer als auch gesellschaftlicher Natur zu meistern. "Auf der Infrastrukturseite müssen erneuerbare Stromproduktion sowie Elektrolyse‑ und Wasserstoff‑Importkapazitäten zeitgerecht aufgebaut werden. Die notwendige Elektrolysekapazität in Deutschland wurde für 2030 mit 13 Gigawatt ermittelt. Zusätzlich muss der Ausbau der Ladesäulen und Wasserstofftankstellen mit dem Aufbau der Fahrzeugflotten Schritt halten. Eckpunkte sind: eine Million Ladepunkte bis 2030, wovon rund 40.000 auf Schnellladepunkte entfallen, sowie 3600 Wasserstofftankstellen für Pkw und Lkw bis 2030", erklären Grube und Stolten. Was die gesellschaftliche Dimension betrifft, müssten vor allem geeignete Mobilitätsangebote für sozial schwächere Bevölkerungsgruppen sichergestellt werden.

Auch die beiden Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Dr. Claus Doll vom Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursystem und Prof. Dr. Martin Wietschel, Leiter des Competence Centers Energietechnologien und Energiesysteme, bewerten die Entscheidung des EU-Parlaments zur Revision der Richtlinie 2019/631/EU als durch das Klimapaket "Fit-for-55" vorgezeichnet und somit folgerichtig: "Ohne eine derartig konkrete Maßnahme ist die Erreichung der Klimaziele im Straßenverkehr nicht möglich. Der Antriebswechsel stellt dabei eine wichtige, aber nicht die einzige Säule für eine Minderung der Treibhausgase im Verkehr dar." Entsprechend benenne der Richtlinienentwurf begleitende Maßnahmen für das "Mobilitäts-Ökosystem" wie Preise, Regulierung und Anreize.

Keine synthetischen Kraftstoffe – ausgenommen Wasserstoff

Doll und Wietschel weisen zudem darauf hin, dass von dem Verbot Wasserstoff-Verbrennungsmotoren ausgenommen sind – ebenso werde von leistungsfähigen Plug-in-Hybriden gesprochen, die in der Übergangsphase eine Rolle spielen könnten. "Andere synthetische Kraftstoffe auf Kohlen-Wasserstoff-Basis sind aktuell hingegen von der Regulierung ausgeschlossen und dürfen damit nach 2035 nicht mehr verkauft werden. Allerdings wird festgelegt, dass im Rahmen des EU-Fortschrittsberichtes Innovationen weiter beobachtet werden, beispielsweise bei strombasierten synthetischen Kraftstoffen. Damit wird noch ein Fenster für deren spätere Integration geöffnet", so die Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut.

Was den beschlossenen Ausschluss von synthetischen Kraftstoffen – ausgenommen Wasserstoff – betrifft, so argumentieren Doll und Wietschel, dass synthetische Kraftstoffe auf Basis der Biomasse im straßengebundenen Verkehr einzusetzen, mittel- und langfristig nicht sinnvoll sei. Die Menge an nachhaltiger Biomasse sei beschränkt und werde in anderen Sektoren benötigt.
Und strombasierte synthetische Kraftstoffe würden eine fünffach höhere Strommenge im Vergleich zu Elektro-Pkw benötigen, was einen massiv höheren Ausbau der Erneuerbaren notwendig mache: "Sie werden weiterhin nach heutigem Kenntnisstand sehr teuer sein, sodass sie für den Pkw-Massenmarkt kaum in Betracht kommen. Der Ausschluss ist somit berechtigt, ebenso wie die Überlegung, hier die weitere Entwicklung zu beobachten und darauf im Bedarfsfall reagieren zu können."

Verbot von Verbrennern reicht zur Einhaltung der Klimaziele nicht aus

Auf die Frage, welche anderen Maßnahmen für den Übergang zur klimafreundlichen Mobilität besonders wichtig seien, heben Doll und Wietschel hervor, dass ein Verkaufsverbot von Verbrennungsfahrzeugen zur Einhaltung der Klimaziele nicht genüge – zumal die Nutzungsdauer von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen bis zu 20 Jahren betragen könne und der Gebrauchtwagenmarkt von der Richtlinie ausgenommen sei. Sie sagen: "Das von der Richtlinie angesprochene Mobilitäts-Ökosystem umfasst alle Maßnahmen um den Einsatz nicht CO2-neutraler Fahrzeuge zu erschweren und klimaneutrale Alternativen insbesondere außerhalb des motorisierten Individualverkehrs zu fördern. Diese Maßnahmen sind insbesondere auf lokaler Ebene zu treffen." Dazu gehöre beispielsweise die Regulierung des Pkw-Verkehrs durch Tempolimits und der Rückbau sowie die Preisgestaltung öffentlicher Parkplätze. Elektrofahrzeuge könnten gesteuert geladen werden sowie die Fahrzeugbatterie als Speicher genutzt werden. Damit könnten fluktuierende Erneuerbare besser in das Energiesystem integriert werden. Hier seien die technischen und regulatorischen Maßnahmen zu schaffen. Und auch die Förderung ressourcenarmer Batterie- und Elektronikproduktion sowie deren Recycling in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft seien notwendig. Denn die Menge einiger kritischer Rohstoffe insbesondere für Kathoden von Akkus und Chips werde knapp und deren Bezug durch die aktuellen Verwerfungen der Weltwirtschaft zunehmend schwierig. Weitere Maßnahmen werden in der Analyse "Klimaschutz im Verkehrssektor: Klimaorientiertes und sozial gerechtes Marktdesign" der Springer-Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst" aufgezählt.

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