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23.11.2023 | Energieeffizienz | Interview | Online-Artikel

"Da wirkt die Werkzeugmaschine wie ein Föhn im Kühlschrank"

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Die meisten Fabriken verbrauchen deutlich mehr Energie, als sie für ihre Prozesse benötigen. Im Interview erläutert Martin Beck von ETA-Solutions, wie die Produktion durch die Vermeidung von Abwärme effizienter wird.

Bis zum Jahr 2050 soll der Primärenergieverbrauch in der Industrie um 50 % sinken. Welchen Anteil kann der Maschinenbau dabei leisten?

Der Maschinenbau selbst hat ja einen vergleichsweise geringen Anteil am Gesamtverbrauch, große Verbraucher sind eher andere Branchen wie die Chemie- oder die Zementindustrie. Trotzdem kann man sagen, dass es heute noch reichlich Potenzial zu Energieeinsparungen gibt. Im Status quo eines Industrieunternehmens lassen sich eigentlich immer 10 bis 20 Prozent der Endenergie ohne allzu großen Aufwand einsparen. Noch mehr lässt sich einsparen, wenn man sich Gedanken über die Prozessführung macht. Muss ich ein Reinigungsbad wirklich bei 70 °C betreiben? Kann ich die Rohteile für die Zerspanung vielleicht schon Near-Net-Shape gießen? Solche Fragen stellt man sich zwar heute schon, aber sie werden nicht in aller Konsequenz beantwortet und umgesetzt.

Welches sind in produzierenden Unternehmen die wichtigsten Hebel zu Energieeinsparungen?

Zuerst geht es immer um Effizienz. Zum einen ist da die Effizienz auf Komponentenebene. Beispielsweise hat man im Kühlschmierstoffsystem von Werkzeugmaschinen verschiedene Pumpen – Hochdruck-, Niederdruck- und Hydraulikpumpen. Hier lässt sich oft Energie einsparen. Auch Schaltschrankkühlungen sind oftmals nicht effizient gestaltet. Hier sind im Alltag Einsparungen von bis zu 70 % möglich. Das macht zwar nicht die gesamte Werkzeugmaschine klimaneutral, aber es ist ein Beitrag, um den Verbrauch zu senken.

Potenzial bieten zum anderen immer Kühlaggregate. Da geht immer sehr viel. Alles, was die Maschine selbst an Energie aufnimmt, führt am Ende immer zu Abwärme, die letztlich in den Raum abgegeben wird. Die Werkzeugmaschine funktioniert dahingehend also wie ein Heizung, was im Winter vielleicht noch ganz angenehm sein mag. Im Sommer muss der Raum dann aber mit Klimaanlagen gekühlt werden. Damit wirkt die Werkzeugmaschine wie ein Föhn im Kühlschrank. Durch Effizienz können wir hier viel Energie einsparen.

Dass eine Werkzeugmaschine Abwärme produziert, wird sich aber nicht ganz vermeiden lassen. Wie kann man sie nutzen?

Sehr einfach geht das dort, wo Abwärme konzentriert ist. In der Nassbearbeitung ist das in erster Linie der Kühlschmierstoff. Ungefähr 60 bis 70 % der Abwärme gehen hier rein, und zwar nicht nur aus der Zerspanung selbst, sondern auch aus den Pumpsystemen. Die überträgt die Energie über die Welle in den Kühlschmierstoff, und die Druck-Volumen-Energie verbleibt letztendlich als Abwärme im Kühlschmierstoff. Nur der geringe Anteil der Energie, der über die Kühlrippen des Antriebsmotors aus der Maschine geführt wird, geht nicht in den Kühlschmierstoff. Nicht hinein geht außerdem die Abwärme aus der Hydraulik, wenngleich man die – genau wie das Maschinenbett – auch wassergekühlt ausführen kann. Wenn man das alles zusammennimmt, kann man 80 bis 90 % der Abwärme der Maschine direkt einsammeln.

Welche Temperaturen hat diese nutzbare Abwärme?

Etwa 20 bis 25 °C. Das ist natürlich erst einmal zu niedrig, aber über Wärmepumpen lässt sich die Wärme verfügbar machen. Zur Abwärme aus der Werkzeugmaschine kommen dann aber auch noch weitere mögliche Wärmequellen. Zum Beispiel kann auch an zentralen Kältemaschinen Wärme rückgewonnen werden. Potenzial bietet außerdem die Raumluftentfeuchtung im Sommer.

Wie lässt sich die wiedergewonnene Wärme dann nutzen?

Hier eignen sich Prozesse im Niedertemperaturbereich. In der Zerspanungstechnik kommen da oftmals Reinigungsmaschinen in Frage. Aus unserer Beratungstätigkeit kennen wir auch Unternehmen, die neben der Zerspanung auch eine Galvanik betreiben, wo man ebenfalls gut die Abwärme nutzen kann. Letztlich muss man aber bei jedem Unternehmen auf die Suche nach den spezifischen Temperatursenken gehen. Und natürlich gibt es auch Senken außerhalb der Produktion. Man kann die Abwärme zum Beispiel für das benachbarte Bürogebäude verwenden oder als Fernwärme für das nächste Quartier.

Das klingt alles technisch machbar ...

... das ist es auch ...

... aber auch kostspielig.

Das kommt darauf an. Wir müssen den Fokus richtig setzen: Nicht primär auf die Abwärmenutzung, sondern auf die Abwärmevermeidung durch höhere Effizienz. Das ist grundsätzlich immer sehr viel wirtschaftlicher. Wenn wir zuerst Abwärme vermeiden, genügen uns anschließend kleinere Anlagen, um die Abwärme zu nutzen. Damit wird ein Projekt dann auch umso günstiger. Der Slogan „Effiency first“ ist immer noch sehr zutreffend. Ja, teuer sind die Maßnahmen natürlich trotzdem, wenn man die Kosten auf einen einzelnen Anwendungsbereich bezieht. Betrachtet man aber das Gesamtsystem, angefangen von der Maschinenebene bis hin zum Gebäudebereich, dann relativieren sich die Kosten für Energieeffizienzmaßnahmen relativ schnell. Wir Energieberater zeigen auf, wo in diesem System aus Anlagen, Gebäuden und Infrastruktur mit seinen ganz unterschiedlichen Amortisierungszeiten die Potenziale liegen.

Wie wirtschaftlich waren oder sind Energieeffizienzprojekte, die sie mit Ihrer Firma betreuen?

Wir beraten oftmals Firmen, die teils schon einmal einen Energieberater konsultiert und die Low Hanging Fruits bereits gepflückt haben. Dann kommen wir ins Spiel: Wir setzen Maßnahmen auf Maschinenebene um, die in die Infrastruktur des gesamten Unternehmens rückwirken. Die ROIs dieser Maßnahmen liegen in einem weiten Bereich, von einem bis zu acht Jahren. Es können auch mal zehn Jahre sein. Allerdings nutzen wir verschiedene Fördermöglichkeiten, wodurch sich Amortisationszeiten teilweise wiederum deutlich verkürzen. Wichtig ist dabei zu sagen: Das alles sind keine Forschungsarbeiten mehr; es ist unser Geschäftsmodell, das heute schon trägt.

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