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Open Access 07.05.2024 | Angewandte Geographie

Klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen und wahrgenommene Anpassungskapazitäten bei Landwirtinnen und Landwirten

verfasst von: Michael Wittmann, Raphael Mano, Christiane Meyer-Habighorst, Denise André, Hartmut Fünfgeld

Erschienen in: Standort

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Zusammenfassung

Die Folgen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit umfassen nicht nur physische, sondern auch psychosoziale Belastungen. Dieser Beitrag untersucht diese Belastungsdimension und die entsprechenden individuell wahrgenommenen Anpassungskapazitäten von Landwirtinnen und Landwirten im Rahmen einer empirischen Fallstudie im südlichen Baden-Württemberg. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass leichte bis starke klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen vorliegen, die sich in Gefühlen von Hilf‑, Macht- und Hoffnungslosigkeit, Resignation und Wunschdenken äußern. Sowohl adaptive als auch maladaptive Anpassungsmuster an diese Belastungen sind feststellbar. Die wahrgenommenen Anpassungsmuster ergänzen und beeinflussen sich oftmals gegenseitig, wobei maladaptive Anpassungsstrategien oft unterbewusst stärker direkt auf die Emotionen der Landwirtinnen und Landwirte einwirken, während adaptive Anpassungen als Reaktion auf solche Belastungen meist indirekten Einfluss ausüben. Dabei wirken adaptive Maßnahmen nicht nur belastungsmildernd, sondern tragen teilweise ihrerseits zur psychosozialen Belastung der Landwirtinnen und Landwirte bei. Die Studie zeigt, dass Klimawandelanpassungsforschung und -praxis von einem inklusiven Gesundheitsbegriff profitieren kann, welcher individuelle, kognitive Prozesse der subjektiven Wahrnehmung stärker berücksichtigt.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Während Ursachen und biophysikalische Auswirkungen des Klimawandels in den vergangenen Jahren den öffentlichen Diskurs entscheidend prägen, werden Verbindungen zwischen Klimawandel und menschlicher Gesundheit nur selten thematisiert. Zwar ist der wissenschaftliche Diskurs zu den Zusammenhängen von Gesundheit und Klimawandel in der Medizin und der Psychologie bereits etabliert (The Lancet 2009; Watts et al. 2015, 2017); in der Geographie dagegen gewinnen Studien, die sich mit den Zusammenhängen zwischen anthropogen verursachtem Klimawandel und menschlicher Gesundheit/Wohlbefinden befassen, in den letzten Jahren erst langsam an Bedeutung (Berry et al. 2011; Hayes und Poland 2018). Die Debatte wird dabei häufig einzig über die physischen Aspekte von Gesundheit geführt, während psychosoziale Auswirkungen des Klimawandels insbesondere im deutschsprachigen Raum (Stößel und Matzarakis 2014) weitgehend unbeachtet bleiben (Fritze et al. 2008; Clayton et al. 2017; Hayes et al. 2019). Auf der Grundlage empirischer Forschung im südlichen Baden-Württemberg möchte die vorliegende Studie dazu beitragen, zu verstehen, wie Landwirtinnen und Landwirte ihre Anpassungskapazität an klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen wahrnehmen. Neben empirischen Erkenntnissen hinsichtlich psychosozialer Implikationen des Klimawandels im deutschsprachigen Raum sollen dabei Vorteile und Erkenntnispotenziale einer umfassenderen Berücksichtigung dieser Auswirkungen in der anwendungsorientierten geographischen Forschung deutlich gemacht werden.

Klimawandelanpassungskapazität und psychosoziale Belastungen

Der Begriff psychosoziale Gesundheit schließt neben psychischen Erkrankungen auch Zustände des emotionalen und psychologischen Wohlbefindens von Individuen ein (Berry et al. 2011; Friedli 2009). Dabei werden sich gegenseitig bedingende soziale und psychologische Faktoren vereint, die menschliches Wohlbefinden bestimmen und somit Gedanken, Handlungen, Emotionen und Interaktionen beeinflussen (Hayes et al. 2019; Hayes und Poland 2018).
Die wenigen bislang veröffentlichten Studien der Klimawandelfolgenforschung zu psychosozialen Auswirkungen beziehen sich vor allem auf direkte und indirekte Folgen von klimawandelbedingten Extremwetterereignissen, indem sie einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen und psychosozialen Belastungen herstellen (Clayton et al. 2017; Neria und Shultz 2012; Rhodes et al. 2010; Stanke et al. 2012; Weems et al. 2007). Eine differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die psychosoziale Gesundheit von Betroffenen steht noch aus.
Die vorliegende Untersuchung möchte hier einen Beitrag leisten und legt dabei ihren Fokus auf die Anpassungskapazität von Landwirtinnen und Landwirten. Anpassungskapazität bezeichnet hier die Fähigkeit, sich auf klimatische Stressoren vorzubereiten und Entscheidungen über mögliche Anpassungsmaßnahmen zu treffen, um auf die ausgelösten klimawandelbedingten Effekte zu reagieren (Berkhout et al. 2004; IPCC 2014; Smit und Pilifosova 2001). Dabei wird individuelle Anpassungskapazität als multidimensional und kontextabhängig definiert und von einer Reihe sich wechselseitig beeinflussender Faktoren finanzieller, technologischer, sozialer sowie psychischer Art beeinflusst, die auf unterschiedlichen räumlichen, zeitlichen und institutionellen Ebenen wirken (Abdul-Razak und Kruse 2017; McCarthy et al. 2001; Smit und Wandel 2006; Van Zomeren et al. 2010; Vincent 2007). Durch diese stark kontextabhängige Konzeptualisierung von Anpassungskapazität wird der Komplexität subjektiver Wahrnehmungs- und kognitiver Entscheidungsprozesse Rechnung getragen (Grothmann und Patt 2005; Mitter et al. 2019; Niles et al. 2016), die insbesondere bei der Frage nach dem individuellen Umgang mit psychosozialen Belastungssituationen von hoher Relevanz sind. Niles et al. (2016) weisen auf die Diskrepanz zwischen beabsichtigter und tatsächlich durchgeführter Klimawandelanpassung hin, die in der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Anpassungskapazität begründet liegt und fehlendes Handeln trotz vorhandener Ressourcen, wie etwa Wissen oder zeitliche und finanzielle Aktiva, erklärt (vgl. auch Mortreux und Barnett 2017). Somit sind sowohl subjektive Risikowahrnehmung als auch wahrgenommene Anpassungskapazität ausschlaggebend für die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen – nicht allein die verfügbaren Ressourcen (Feng et al. 2017; Niles et al. 2016; Phuong et al. 2018; Ung et al. 2015). Auch deshalb forderten Grothmann und Daschkeit (2011), sozialwissenschaftliche Forschungs- und Methodenansätze in der Klimawandelfolgenforschung nutzbar zu machen, um nicht allein ökonomisch-technische, sondern auch soziokulturelle Dimensionen von Klimawandelanpassung besser zu verstehen und in den Fokus zu rücken.
Im Hinblick auf sozialwissenschaftliche Ansätze zur Untersuchung von psychosozialen Belastungen, Klimawandel und Anpassungskapazität stellt das Model of Private Proactive Adaptation to Climate Change (MPPACC, Grothmann und Patt 2005) eine frühe Konzeptualisierung dar, die zwischen den zwei Reaktions- bzw. Anpassungstypen Adaption und Maladaption unterscheidet. Diesem Ansatz folgend werden individuelle Maßnahmen der Adaption getätigt, um einen erwarteten physischen Schaden zu verhindern, insbesondere Schäden materieller oder finanzieller Natur. Formen der Maladaption umfassen hingegen vermeidende Reaktionen von Individuen, wie Verdrängung, Verleugnung, Wunschdenken, Resignation oder Fatalismus. Das Konzept der vermeidenden Maladaption bei Grothmann und Patt (2005) entspricht somit nicht dem in der Klimawandelanpassungsforschung etablierten Verständnis von Fehlanpassungen (engl. maladaptation) als Formen von Anpassung, welche zwar klimawandelbedingte Schäden abwenden oder mindern, jedoch gleichzeitig, z. B. durch erhöhte Treibhausgasemissionen, zum Fortschreiten des Klimawandels beitragen – oder gar Klimawandelvulnerabilität hervorrufen oder verschärfen (Barnett und O’Neill 2010; Juhola et al. 2016). Vermeidende maladaptive Maßnahmen im hier verwendeten Sinne verhindern nicht zwangsläufig direkt monetäre oder physische Schäden, sind allerdings durchaus in der Lage, negative emotionale Folgen zu verringern (Grothmann und Patt 2005).
Dieser deutlich individualistische Ansatz kann dazu beitragen, der bislang weitgehend unzureichenden Berücksichtigung des Individuums als Untersuchungsobjekt in der Klimawandelanpassungsforschung entgegenzuwirken (Feng et al. 2017; Grothmann und Patt 2005; Mitter et al. 2019; Phuong et al. 2018). Er eignet sich u. a. auch für die Analyse der möglichen Zusammenhänge zwischen psychosozialen Belastungen, Klimawandelauswirkungen und Landwirtschaft und wurde für die vorliegende Studie als konzeptueller Rahmen verwendet (s. Abb. 1). Die vorliegende Untersuchung befasst sich aus dieser Perspektive mit der Frage, wie Landwirtinnen und Landwirte im südlichen Baden-Württemberg ihre Anpassungskapazität an klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen wahrnehmen. Einerseits wurden im Rahmen der Untersuchung neue empirische Erkenntnisse hinsichtlich psychosozialer Implikationen des Klimawandels im deutschsprachigen Raum generiert und andererseits die Vorteile und Erkenntnispotenziale von soziokulturellen Perspektiven auf Klimawandelanpassung deutlich gemacht.

Methodik

Die empirische Fallstudie wurde von Juni bis September 2019 im südlichen Baden-Württemberg durchgeführt, während einer Phase starker Trockenheit in einer der laut Projektionen bis 2050 am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Regionen Deutschlands (Kahlenborn et al. 2021). Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine qualitative Herangehensweise gewählt, um durch eine intensive Auseinandersetzung mit den Befragten kognitive Prozesse sowie subjektive Sichtweisen nachvollziehen zu können. Dabei wurden 13 leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews (Flick 2021) mit Landwirtinnen und Landwirten in landwirtschaftlichen Familienbetrieben durchgeführt. Diese sind im Folgenden zur Referenz von 1 bis 13 durchnummeriert und ggf. mit a und b versehen, falls das Interview mit mehreren Personen durchgeführt wurde (z. B. L1a, L4 etc.).
Die Akquise der Interviewpartnerinnen und -partner erfolgte mittels drei Strategien: (1) Internetrecherche über mögliche Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, Bauernverbände und Maschinenringe; (2) Anschreiben bzw. Anruf von bestehenden Kontakten; sowie (3) direktes Ansprechen auf lokalen Wochenmärkten in Freiburg (Brsg.) und Umgebung. Mithilfe des Schneeballverfahrens (Merkens 2017) konnten im Verlauf der Feldforschung weitere Landwirtinnen und Landwirte für die Studie gewonnen werden. Eine weite Altersspanne, ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, haupterwerbs- und nebenerwerbstätige Landwirtinnen und Landwirte sowie ökologische und konventionelle landwirtschaftliche Betriebe charakterisieren das Sample an durchgeführten Interviews. Die Erwerbsarten der Befragten schließen Forstwirtschaft, Ackerbau, Grünlandbewirtschaftung, Milchviehhaltung, Weinbau, Gastronomie und Bildungsarbeit ein.
Der Interviewleitfaden wurde deduktiv, auf Basis des erwähnten Model of Private Proactive Adaptation to Climate Change (MPPACC, Grothmann und Patt 2005) und der in der Einleitung dargestellten wissenschaftlichen Literatur zu möglichen Zusammenhängen zwischen psychosozialen Belastungen, Klimawandel und Landwirtschaft entwickelt.
Sämtliche Interviews wurden mit einem Audio-Aufnahmegerät aufgenommen und nach Kuckartz und Rädiker (2022) in normales Schriftdeutsch transkribiert. Mittels eines interpretativ-verstehenden Verfahrens wurde das Datenmaterial mit Unterstützung der qualitativen Analysesoftware MAXQDA ausgewertet (Mayring 2023). Die Analyse erfolgte anschließend mit einem ebenfalls deduktiv entwickelten Kategoriensystem, bestehend aus acht Codes und 23 Subcodes.

Ergebnisse: Adaptions- und Maladaptionsprozesse bei befragten Landwirtinnen und Landwirten

Neben der Zunahme und Verstärkung klimawandelbedingter Einflüsse auf ihre Betriebe und dem damit verbundenen gesteigerten finanziellen und zeitlichen Aufwand für die landwirtschaftliche Praxis nehmen nahezu alle befragten Landwirtinnen und Landwirte negative Auswirkungen des Klimawandels auf ihr psychosoziales Wohlbefinden wahr. Diese reichen in ihrer Ausprägung von negativen Gedanken bis hin zu depressiver Verstimmung. Die Belastungen wurden teilweise offen und direkt, teilweise indirekt geschildert.

Erfahrungen von Macht- und Hilflosigkeit

Die mit der Zunahme und Intensivierung zentraler klimawandelbedingter Stressoren verbundene Besorgnis der Landwirtinnen und Landwirte um ihren Betrieb – in vielen Fällen ihre Lebensgrundlage – führen verstärkt zu psychosozialen Belastungen. Die Befragten nehmen eine Zunahme von psychischem Stress wahr, der sich u. a. in ständigen Überlegungen und wiederkehrenden Sorgen über mögliche betriebliche Anpassungen an den Klimawandel und das zukünftige Einkommen äußert. Zudem beklagen die Landwirtinnen und Landwirte persönliche Überforderung und das Gefühl, alleine gelassen zu werden, was die oft bedrückte Stimmung verstärkt. Häufig konstatieren die Befragten einen direkten Zusammenhang zwischen den Auswirkungen des Klimawandels auf ihren Betrieb, finanziellen Sorgen und psychischen Belastungen. Insgesamt wird besonders der zunehmende finanzielle und zeitliche Aufwand, der u. a. aus klimawandelbedingten Extremwetterereignissen resultiert, als Grund von insgesamt steigender psychosozialer Belastung genannt. Eine Landwirtin/ein Landwirt berichtet von klimawandelbedingten Depressionen, was das Ausmaß und Risikopotenzial der negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die psychosoziale Gesundheit veranschaulicht:
„Also ich neige … zu klimawandelbedingten Depressionen. Und das habe ich schon seit ein paar Jahren und das ist wirklich heftig, weil man dann so eine Weltuntergangsstimmung kriegt und die Hoffnung verliert, dass es irgendwie noch eine Wendung gibt.“ (L1a)
Die Befragten berichten zudem von einer Hilf‑, Macht- und Hoffnungslosigkeit, begründet beispielsweise in der Frustration über den Borkenkäfer in trockenen Sommern, aber auch mit Blick auf zunehmende Trockenheit und deren Folgen, wie in Abb. 2 exemplarisch dargestellt, in der Zukunft: „[M]an kann nur dasitzen und einen Regentanz aufführen“ (L4).

Alternativlose Anpassung auf der betrieblichen Ebene

Auch die Thematik der Klimawandelanpassung ist bei den Befragten präsent und alle schildern mindestens eine durchgeführte Anpassungsmaßnahme an die klimatischen Stressoren Trockenheit, Hitze oder Starkniederschläge. Meist sind diese landwirtschaftlich-technischer Art, z. B. das Pflanzen trockenresistenter Sorten oder die Intensivierung von Bewässerung (s. Abb. 3). Anpassungsmaßnahmen, die explizit psychosoziale Belastungen betreffen, werden hingegen kaum aktiv thematisiert.
In den Aussagen über die betrieblichen Anpassungen der Landwirtinnen und Landwirte wird oft von Alternativlosigkeit im Zuge von Anpassungsmaßnahmen gesprochen. Häufig werden die klimatischen Bedingungen genannt, die den Landwirtinnen und Landwirten bestimmte Handlungen „aufzwingen“. Aber auch der institutionelle Kontext aus gesetzlichen Vorgaben und Marktdynamiken sorgt dafür, dass aus Sicht der Landwirtinnen und Landwirte kaum sinnvolle Handlungsoptionen bestehen, was abermals zu einer gesteigerten psychischen Belastung beiträgt. Verstärkt werden diese Belastungen durch fehlende Kooperationen und Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, mit politischen Institutionen oder mit anderen Landwirtinnen und Landwirten:
„[Es] kommt auch bei uns dann schon auch ein Stück weit Wut auf, wenn man dann sieht, dass der Staatswald, der eigentlich genug ausgebildete Leute hat und das eher äh im Griff haben könnte, also es geht ja beim Käfer darum, dass man das möglichst schnell aus dem Wald bekommt und die gar nichts mehr machen. Ähm und ich habe dann den Schaden drinnen bei uns und man arbeitet immer dagegen und man weiß genau es bringt nichts, weil der Käfer immer aus dem Nachbargrundstück kommt.“ (L9)

Zwischen Resignation und abmildernden Praktiken

Seltener genannt sind maladaptive Anpassungsmaßnahmen (im oben beschriebenen Sinne), welche als direkte Reaktion auf klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen durchgeführt werden. Während lediglich eine Person Resignation explizit als solche benennt, werden zahlreiche weitere Aussagen getroffen, die als resignierend interpretiert werden können. Zwar wird hier auch eine psychosoziale Belastung deutlich, gleichzeitig kann resignierendes Verhalten als eine Form der maladaptiven Anpassung angesehen werden:
„Also gut, ja, was willst denn machen, oder? Kannst ja nicht ändern, oder? Musst ja irgendwie damit klarkommen und wenn es nicht geht, muss ich mir halt was anderes suchen.“ (L6)
Resignation kann in vielen Fällen zur Annahme der Situation führen und trotz der damit verknüpften emotionalen Belastungssituation Gedanken über potenzielle Lösungen (und den damit verbundenen materiellen und finanziellen Anstrengungen) sowie dadurch ausgelöste Belastungen minimieren. In direkter Reaktion auf die wahrgenommene Alternativlosigkeit bestimmter Handlungen wurde vereinzelt die Hoffnung auf technische Lösungen geäußert, die zukünftig die Situation verbessern könnten. Dieses Wunschdenken äußerte sich bei den Befragten in hoffnungsvollen Aussagen über Jugendbewegungen oder dem festen Glauben an zukünftige technische Innovationen, die die Auswirkungen des Klimawandels abschwächen.
Ebenfalls festgestellt werden konnten emissionsreduzierende Maßnahmen der interviewten Landwirtinnen und Landwirte, welche einerseits einen Beitrag dazu leisten sollten, das Fortschreiten des Klimawandels zu bremsen, andererseits aber auch ein Mittel zur Stärkung des psychischen Wohlbefindens darstellen, wie z. B. energieeffiziente Sanierungsmaßnahmen, ein als nachhaltiger empfundenes Einkaufsverhalten oder aber das Pflanzen von Bäumen. Die Beweggründe für diese Praktiken waren teilweise finanziell, da Fördergelder für ökologische Landwirtschaft generiert werden können, allerdings soll damit auch die eigene „CO2-Schuld“ (L1) ausgeglichen werden. Eine abmildernde Handlung mit einer solchen Motivation kann in diesem Kontext als Form der Anpassung an psychosoziale Belastungen verstanden werden, da die Landwirtinnen und Landwirte mit den genannten Handlungen versuchen, die psychosozialen Belastungen, die beispielsweise durch ein schlechtes Gewissen entstehen, abzufedern.

Diskussion: Psychosoziale Belastung durch Klimawandelauswirkungen und Anpassung

Die Erkenntnisse der empirischen Fallstudie zeigen, dass klimawandelbedingte Wetter- und Klimaphänomene einen negativen Einfluss auf das psychosoziale Wohlbefinden der Interviewten haben. Das Ausmaß der psychosozialen Belastungen stellt eine größtenteils subjektive Kategorie dar, die abhängig von den interviewten Landwirtinnen und Landwirten selbst und ihren wahrgenommenen sozioökonomischen Rahmenbedingungen ist.
Die Anpassung an klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen wird v. a. indirekt über technische, betriebliche und landwirtschaftliche Maßnahmen durchgeführt, die als Reaktion auf veränderte klimatische Bedingungen und gehäufte Extremwetterereignisse vorgenommen werden. Direkte Anpassungen an psychosoziale Belastungen (z. B. Verdrängung, Verleugnung, Wunschdenken) hingegen werden kaum aktiv ergriffen, sondern finden häufig eher unterbewusst statt.
Anpassungsmaßnahmen aus dem Bereich der Adaption werden meist auf spezifische, durch den Klimawandel verursachte Veränderungen der physischen Umwelt bezogen und sind somit in erster Linie reaktiv. Die Befragten fokussieren sich auf einen klimawandelbedingten Stressor bzw. eine daraus resultierende Auswirkung, um sich daran anzupassen. Die individuelle Entscheidung über eine zu treffende Maßnahme ist in diesem Zusammenhang stark von der wahrgenommenen Anpassungswirksamkeit abhängig, die ihrerseits wiederum von den individuell wahrgenommenen sozioökonomischen, institutionellen und klimatischen Rahmenbedingungen beeinflusst wird.
Anpassungsmaßnahmen aus dem Bereich der vermeidenden Maladaption wirken dagegen oft stärker auf die Gefühle, Emotionen und Grundstimmung ein und haben häufig einen unmittelbaren Einfluss auf die psychosoziale Gesundheit der Landwirtinnen und Landwirte. Beispielsweise sind Aussagen des Wunschdenkens häufig mit hoffnungsvollen Äußerungen verknüpft: etwa, dass man von den Auswirkungen des Klimawandels verschont bleibe oder technische Weiterentwicklungen zu einer Entschärfung der Situation führen könnten. Diese Aussagen fungieren somit auch als eine Anpassungsform an negative Emotionen.
Maladaptive Anpassungsformen des Wunschdenkens und des Verdrängens scheinen primär einen positiven Einfluss auf das psychosoziale Wohlbefinden der Interviewten zu haben, da sie sich dadurch einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Bedrohlichkeit einer Situation, die von den meisten Landwirtinnen und Landwirte als belastend bezeichnet wird, teilweise entziehen können (Grothmann und Patt 2005). Jedoch tragen andere kognitive Strategien teilweise selbst zur negativen Grundstimmung der Befragten bei. Obwohl sie auch Anpassung sein können (s. oben), sind insbesondere fatalistische und resignierende Aussagen mit negativen Emotionen, wie Hilflosigkeit, Frust und Trauer, verknüpft. Entgegen den Behauptungen von Mitter et al. (2019) kann allerdings nicht festgestellt werden, dass Resignation grundsätzlich ein Hindernis für das Ergreifen von Anpassungsmaßnahmen ist. Auffallend ist, dass alle Befragten, auch diejenigen, die fatalistische oder resignierende Äußerungen tätigen, die Notwendigkeit von Anpassungsmaßnahmen hervorheben.
Adaptive Anpassungsmaßnahmen können sich wiederum auch negativ auf die psychosoziale Gesundheit der Landwirtinnen und Landwirte auswirken (vgl. Abb. 4). Betrachtet man die durchgeführten adaptiven Anpassungsmaßnahmen, so wird deutlich, dass mit Abschluss der Handlung, nachdem beispielsweise eine finanzielle Investition getätigt wurde, die Schwierigkeiten und damit verbundenen Belastungen nicht überwunden sind, sondern mitunter noch intensiver werden. Während beispielsweise die Anpassungsmaßnahme der intensivierten Bewässerung im Laufe von Trockenperioden einerseits Erträge und somit auch finanzielles Einkommen sichern und psychischen Stress reduzieren kann, so kann diese Maßnahme andererseits als finanzieller oder zeitlicher Mehraufwand die psychosoziale Gesundheit der durchführenden Person gefährden, z. B. dann, wenn der Zeitraum der notwendigen Bewässerung sich durch anhaltende Trockenheit verlängert.

Fazit: Subjektives Anpassungsverhalten

Die durchgeführte Fallstudie bestätigt die Annahme, dass klimawandelbedingte psychosoziale Auswirkungen bei den interviewten Landwirtinnen und Landwirten existieren – teilweise sind diese stark ausgeprägt. Die Ergebnisse stimmen mit Untersuchungen aus anderen Ländern überein, u. a. aus Australien (Edwards et al. 2014; Ellis und Albrecht 2017; Hanigan et al. 2012), den USA (Clayton et al. 2017) und Österreich (Mitter et al. 2019), und zeigen, dass auch in Deutschland der Klimawandel und seine Folgen das psychosoziale Wohlbefinden von Landwirtinnen und Landwirten negativ beeinflussen. Allerdings lässt unsere Studie durch den starken Fokus auf individualisierte Wahrnehmungen der Landwirte und Landwirtinnen kaum Schlüsse in Bezug auf das genaue Zusammenwirken und die Unterscheidung von gesellschaftlich-ökonomischen und klimawandelbedingten Stressoren in den Belastungsauswirkungen bei den Landwirten und Landwirtinnen zu. In Bezug auf das Anpassungsverhalten und die wahrgenommene Anpassungskapazität der Landwirtinnen und Landwirte zeigt die durchgeführte Studie jedoch deutlich, dass entgegen den theoretischen Überlegungen bisheriger empirischer Untersuchungen (Mitter et al. 2019) Maladaption und Adaption nicht klar voneinander trennbare Konzepte sind, sondern bei einer Person sowohl adaptive als auch maladaptive Verhaltensmuster zugleich vorkommen können und diese sich gegenseitig ergänzen und beeinflussen. Obwohl maladaptive Maßnahmen meist keinen direkten betrieblichen Anpassungsvorteil darstellen, können sie dennoch zu einer positiven Anpassung an die klimawandelbedingten psychosozialen Belastungen beitragen. Im Kontext von Klimawandelanpassung in der Landwirtschaft dürfen daher nicht allein technisch orientierte Maßnahmen für eine Verbesserung der ökonomischen oder auch ökologischen Situation mitgedacht werden; vielmehr sollten auch soziale und psychologische Aspekte nicht außer Acht gelassen werden (Grothmann und Daschkeit 2011).
Dazu bedarf es weiterer institutioneller Unterstützung der Landwirtschaft durch alle politischen Instanzen, einschließlich der Subventionspolitik der Europäischen Union, wobei es insbesondere darum gehen muss, die psychosoziale Gesundheit der Betroffenen in weiteren Untersuchungen und Unterstützungsprogrammen zu berücksichtigen und dabei einen umfassenden Gesundheitsbegriff zu nutzen, der auch die psychosoziale Gesundheit der Betroffenen mitdenkt. So können zukünftige Anpassungsmaßnahmen in einer Art und Weise gestaltet werden, dass sie die psychosoziale Gesundheit der Betroffenen nicht negativ beeinträchtigen. Hierfür konnte die vorliegende Untersuchung zeigen, inwiefern die subjektive Wahrnehmung der eigenen Anpassungskapazität von Landwirtinnen und Landwirten einen wichtigen Faktor für Anpassungsentscheidungen und -prozesse darstellt. Deshalb sollten Wissenschaft und Praxis im Bereich Klimawandelanpassung diesem Thema besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Eine Konsequenz für die Praxis könnte ein umfassenderer und integrativer Ansatz zur Klimawandelanpassung im Landwirtschaftssektor darstellen, welcher flexibel nicht nur auf die betrieblichen, sondern auch auf individuelle Bedürfnisse der Landwirtinnen und Landwirte angepasst werden kann und z. B. mit dem Ausbau psychosozialer Beratungsangebote in ländlichen Gebieten einhergehen könnte, um den psychosozialen Belastungen als Folge von zusehends notwendigen Anpassungsmaßnahmen entgegenzuwirken.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
Zurück zum Zitat Flick U (2021) Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung, 10. Aufl. Rowohlt, Reinbek Flick U (2021) Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung, 10. Aufl. Rowohlt, Reinbek
Zurück zum Zitat IPCC (2014) Annex II: Glossary. In: Pachauri RK, Meyer LA (Hrsg) Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. IPCC, Genf, S 117–130 IPCC (2014) Annex II: Glossary. In: Pachauri RK, Meyer LA (Hrsg) Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. IPCC, Genf, S 117–130
Zurück zum Zitat Kuckartz U, Rädiker S (2022) Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung, 5. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim Kuckartz U, Rädiker S (2022) Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung, 5. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim
Zurück zum Zitat Mayring P (2023) Einführung in die qualitative Sozialforschung: eine Anleitung zu qualitativem Denken, 7. Aufl. Beltz, Weinheim Mayring P (2023) Einführung in die qualitative Sozialforschung: eine Anleitung zu qualitativem Denken, 7. Aufl. Beltz, Weinheim
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Klimawandelbedingte psychosoziale Belastungen und wahrgenommene Anpassungskapazitäten bei Landwirtinnen und Landwirten
verfasst von
Michael Wittmann
Raphael Mano
Christiane Meyer-Habighorst
Denise André
Hartmut Fünfgeld
Publikationsdatum
07.05.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Standort
Print ISSN: 0174-3635
Elektronische ISSN: 1432-220X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00548-024-00923-z