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1984 | Buch

Arbeiter und Arbeitswissenschaft

Zur Entstehung der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“

verfasst von: Angelika Ebbinghaus

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Teil I. Zum Sozial- und Ideengeschichtlichen Hintergrund
Zusammenfassung
Der US-Kapitalismus benötigte nach Ende des Bürgerkriegs kaum drei Jahrzehnte, um von einem überwiegend agrarischen Land zur führenden Industriemacht aufzusteigen.1 Der industrielle Umwälzungsprozeß der Gesellschaft gewann auf der Basis stetig wachsender Arbeitsproduktivität und den Profiten nachhinkender Löhne ständig an Breite und Tiefe. Dieser Prozeß wurde vor allem durch das rasche Wachstum einer städtischen Bevölkerung im Nordosten der USA und in Folge davon einer gesteigerten Nachfrage nach Agrarerzeugnissen und Industrieprodukten beschleunigt; hinzu kamen die Erschließung eines nationalen Markts mit Hilfe der Eisenbahn, die technologische Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Produktion (chemische Industrie, Elektrotechnik) wie die Einführung von Massenproduktion in ersten Branchen der Metallbearbeitung. Ein neuer, entscheidender Industrialisierungssprung begann nach der großen Depression der 70er Jahre, diese “zweite industrielle Revolution” war die Epoche des Stahls, der Chemie, des Schwermaschinenbaus, von Elektro und nach der Jahrhundertwende des Automobils.2 In diesen neuen Industrien brach sich technologisch und arbeitsorganisatorisch die Massenproduktion Bahn, durch die die industrielle Arbeit, aber auch das Leben außerhalb der Fabriken einschneidend verändert wurden.
Angelika Ebbinghaus
Teil II. Die Ära des „Fortschritts“
Zusammenfassung
Waren die Jahre der “Aufstände” von der Entschlossenheit der gesamten Arbeiterklasse geprägt, ihre elementaren Existenzrechte gegen die kapitalistische Dynamik zu behaupten, so lassen sich seit der Jahrhundertwende unübersehbare Differenzierungsprozesse in ihrem Konfliktverhalten beobachten. Nachdem die neuen Grundstoffindustrien aus dem Boden gestampft und der Maschinenbau umgewälzt waren, begannen die Unternehmer fast aller verarbeitenden Industriezweige, die neuen Spezialmaschinen gegen die qualifizierten und höchstentlohnten Arbeiter mit dem Ziel einzusetzen, ihre bestimmende Position in der Fabrik zurückzudrängen.1 Die gelernten Arbeiter versuchten mit Streiks und “union rules” (Gewerkschaftsregeln) ihre zunehmende soziale Entwertung und politische Entmachtung aufzuhalten. Sie schrieben jedoch ihrerseits die von den Unternehmern mit Hilfe des systematischen Gebrauchs der Maschinerie betriebene Spaltung der Arbeiter fort, weil sie ausschließlich im Interesse der Gelernten handelten. Und schrittweise arrangierten sie sich dann zum Preis ihrer institutionellen Anerkennung in der “Fortschrittsära” mit jener langfristigen Unternehmerstrategie, die um des industriellen Friedens willen die Berufsgewerkschaften als Verhandlungspartner zu akzeptieren und die Löhne der Gelernten auf nationalem Schlichtungsweg zu erhöhen bereit war.2 Ausgeschlossen von dieser Integrationsstrategie blieben die Un- und Angelernten, die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung.
Angelika Ebbinghaus
Teil III. Die Reaktion der Arbeiterbewegung
Zusammenfassung
Obwohl die “Wissenschaftliche Betriebsführung” das erklärte Ziel hatte, die soziale Macht des gelernten Arbeiters in der Fabrik zu untergraben, setzten sich die Berufsgewerkschaften und ihr Dachverband AFL (American Federation of labor) mit dieser Unternehmerstrategie, die ihre Existenz bedrohte, öffentlich erst seit 1911 auseinander. Und sie beschränkten letztendlich ihren Widerstand in den dann folgenden Jahren darauf, ein gesetzliches Verbot von Stoppuhr und Prämienlohn in den staatlichen Waffenarsenalen zu erreichen. Zwar hatten seit der Jahrhundertwende etliche Einzelgewerkschaften Beschlüsse gefaßt, die ihren Mitgliedern untersagten, unter den neuen Prämien- und Leistungslohnsystemen zu arbeiten, aber die Einführung der “Wissenschaftlichen Betriebsführung” war relativ selten Anlaß für gewerkschaftlich organisierte Streiks.1 Dabei muß man allerdings berücksichtigen, daß Taylor und seine engsten Mitarbeiter anfangs ausschließlich in “gewerkschaftsfreien” Betrieben tätig waren und Gewerkschaftsmitglieder, gebunden an ihre Organisationsbeschlüsse, häufig diese Fabriken verließen.2 Gilbreth und Emerson provozierten schon vor dem für die Gewerkschaftsstrategie so bedeutsamen 8-Tage-Streik im Watertown Arsenal den Widerstand von Gewerkschaftsseite, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Betrieben, wo sie mit der “wissenschaftlichen” Planung der Fabrikarbeit betraut waren, sehr hoch war.
Angelika Ebbinghaus
Teil IV. Ausblick: Taylorismus als „American Way of Life“
Zusammenfassung
Der I. Weltkrieg hatte unmittelbare Auswirkungen auch auf die US-amerikanische Arbeiterklasse, obwohl die USA erst im Frühjahr in ihn eintraten. Zum einen, weil die jetzt spürbar werdende administrative Einwanderungsbeschränkung sich mit einer Rückkehrwelle der ausländischen Arbeiter überschnitt; zum anderen, weil ein gewaltiger Wirtschaftsboom, ausgelöst durch eine forcierte Rüstungsproduktion für die europäischen Alliierten der USA, die Krise von 1913 ablöste. Kurz nach dem europäischen Kriegsausbruch kam es zu einer Verknappung an Arbeitskräften, die die bisherige Situation auf dem Arbeitsmarkt insofern grundlegend veränderte, als gelernte und ungelernte Arbeiter wie Arbeiterinnen gleichermaßen fehlten. Die Zeit des Überangebots, der unbegrenzt großen industriellen Reservearmee, war hinsichtlich aller Arbeiterschichten vorbei. Die Strategie der “Wissenschaftlichen Betriebsführung”, die Handwerker-Facharbeiter überflüssig zu machen, brach sich genauso an den neuen Realitäten des Arbeitsmarkts wie die Praxis, allzu renitente Belegschaften der taylorisierten Produktion aus dem sich ständig von Übersee her erneuernden Reservoir der Unqualifizierten zu ersetzen. Dennoch wäre es zu vereinfachend, alle Aspekte der wirtschaftlichen Konstellation nach 1915 unter diesen Trend fassen zu wollen; dafür waren die administrativen Eingriffe zur Gegensteuerung — dazu weiter unten — zu umfangreich.
Angelika Ebbinghaus
Teil V. Schlussbetrachtung und Forschungshypothesen zur „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ im Internationalen Vergleich
Zusammenfassung
Eine Sozialgeschichte der US-amerikanischen “Wissenschaftlichen Betriebsführung” fordert zu Überlegungen über ihren damaligen internationalen Zusammenhang heraus. Um so überraschender war für mich, feststellen zu müssen, daß es vergleichende Untersuchungen über die globale Entfaltung der Arbeitswissenschaften in den Jahren 1890–1920 nicht gibt. Es ist bei Darstellungen von Teilaspekten vor allem im Rahmen der Management- und Technikgeschichte geblieben. Selbst großangelegte interdisziplinäre Projekte, die sich in den 60er Jahren die Aufgabe stellten, den inzwischen international anerkannten “american way” der Massenproduktion ex post nachzuzeichnen und zu legitimieren1, haben die “versachlichende” und sozialtechnische Funktion der “Wissenschaftlichen Betriebsführung” in der sozialen Auseinandersetzung zwischen Arbeitern und Unternehmern recht stiefmütterlich behandelt. Auch ein so profilierter Experte wie George Filipetti hat sich in seinem als Standardwerk geltenden Buch über das “Industrial Management in Transition”2 darauf beschränkt, die parallelen arbeitswissenschaftlichen Bestrebungen in Europa dadurch zu würdigen, daß er eine inzwischen teilweise überholte Studie des Internationalen Arbeitsamts aus den 20er Jahren zusammenfaßte.3
Angelika Ebbinghaus
Backmatter
Metadaten
Titel
Arbeiter und Arbeitswissenschaft
verfasst von
Angelika Ebbinghaus
Copyright-Jahr
1984
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-88523-4
Print ISBN
978-3-531-11667-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-88523-4