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2023 | Buch

Europa von A bis Z

Taschenbuch der europäischen Integration

herausgegeben von: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels, Funda Tekin

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Dieses Taschenbuch bietet Europa zum Nachschlagen: In über 100 Sachbeiträgen erklären renommierte EuropaexpertInnen wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich alle wichtigen Themen und Begriffe aus Politik, Wirtschaft und Geschichte der europäischen Einigung. Es erscheint in aktualisierter und erweiterter Fassung schon in der 16. Auflage und richtet sich an alle Europa-Interessierten, die sich gezielt und zuverlässig über den neuesten Stand in europapolitischen Fragen informieren wollen.

Das Taschenbuch „Europa von A bis Z“ wird freundlicherweise vom Auswärtigen Amt gefördert.

Das Institut für Europäische Politik (IEP) wird im Rahmen des Citizens, Equality, Rights and Values Programms 2021–2027 der Europäischen Union gefördert. Für die Inhalte zeichnet allein das IEP verantwortlich.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung – Europa von A bis Z

Frontmatter
Einleitung: Die EU erklären

Der europäische Integrationsprozess sah sich in seiner jahrzehntelangen Geschichte immer wieder mit grundlegenden Herausforderungen konfrontiert. Dabei ging es um Fragen der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union (EU) sowie um das Management von nationalen, europäischen und globalen Krisen. Seit der globalen Finanzkrise 2008 scheint die EU nicht mehr aus dem Krisenmodus herauszukommen. Die sog. Flüchtlingskrise von 2015 zeigte die Schwächen der gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik sowie des Schengen-Raums. Die COVID-19-Pandemie forderte 2020 die europäische Integration auf verschiedensten Ebenen heraus und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine historische Zäsur für das vereinigte Europa. Über all dem spitzt sich die Klimakrise zu, deren existenzielle Bedrohung unter der Last der anderen Krisen vergessen zu werden scheint. Vor diesem Hintergrund liefert die Einleitung einen Schnelleinstieg in die aktuellen europapolitischen Herausforderungen sowie Informationen zu Konzeption und Handhabung des Taschenbuchs „Europa von A bis Z“.

Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels, Funda Tekin
Europäische Einigung im historischen Überblick

Diese historische Einführung zeichnet die europäische Integration nach – von den Anfängen bis zur Gegenwart – und bilanziert ihre Folgen.

Werner Weidenfeld

A

Frontmatter
Afrikapolitik

Seit Beginn der europäischen Integration konzentrierten sich die Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und Afrika auf Handelsbeziehungen und Entwicklungszusammenarbeit. Über die Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt der politischen Beziehungen auf den Bereich Menschenrechte und Demokratisierung. Seit den 1990er-Jahren nahmen Konfliktprävention und -interventionen zu und die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit wurde 2001 um die „Everything but Arms“-Initiative (EBA) ergänzt. Sie ermöglichte den wirtschaftlich schwächsten Staaten zoll- und kontingentfreien Zugang zum Binnenmarkt der EU sowie den Export aller Waren (außer Waffen und Munition) in die EU. Um die immer wichtigeren Rohstoffe aus Afrika konkurriert die EU mit anderen Mächten, insbesondere mit China. Auf die zunehmende Migration aus nord- und westafrikanischen Ländern in die EU hat diese bis heute keine Antwort gefunden. Mit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs als diplomatischem Schwergewicht steigt der Druck auf die europäische Afrikapolitik. Die COVID-19-Pandemie blockiert angedachte Reformen der EU-Afrika-Partnerschaft und der für 2020 geplante EU-Afrikagipfel konnte erst im Februar 2022 nachgeholt worden.

Siegmar Schmidt
Agenturen

In der Europäischen Union (EU) umfasst der Begriff „Agenturen“ unterschiedliche Organisationstypen: Exekutivagenturen, dezentrale Agenturen und sonstige Körperschaften wie z. B. öffentlich-private Partnerschaften. Im Jahr 2020 betrug das Gesamtbudget aller Agenturen rund 3,7 Mrd. Euro (ca. 2,2 % des EU-Budgets) und die Zahl der Angestellten rund 13.000 (ca. 18 % aller Angestellten in den Institutionen der EU). Tendenziell steigen sowohl Gesamtbudget und Zahl der Angestellten an. Aufgrund des breiten Aufgabenspektrums in nahezu allen Politikfeldern haben sich Agenturen zu einem essenziellen Bestandteil der institutionellen Struktur der EU entwickelt. Die Verfahren zur Gründung, Aufgaben und Mandat der Agenturen sowie deren Ressourcen unterscheiden sich – abhängig vom jeweiligen Typ – allerdings erheblich. Der Trend der extensiven Agenturgründungen hat sich seit 2010 verlangsamt, für die Durchführung von EU-Politiken sind Agenturen jedoch weiterhin von großer Bedeutung.

Christoph Klika
Agrarpolitik

Als Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden in Art. 39 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die „durch Förderung des technischen Fortschritts“ angestrebte Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, die Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens der dort Beschäftigten, die Marktstabilisierung und Sicherstellung der Versorgung zu angemessenen Preisen genannt. Zur Erreichung dieser Ziele schreibt Art. 40 AEUV eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte vor. Durch den Vertrag von Lissabon erhielt das Europäische Parlament gem. Art. 43 AEUV das Recht, gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union über die Organisation der Agrarmärkte und andere agrarpolitische Bestimmungen zu entscheiden. Lediglich die Festsetzung von administrierten Preisen und Produktionsquoten sowie von Abschöpfungen und Beihilfen verbleibt in der alleinigen Zuständigkeit des Rates. Hohe Kosten und unterschiedliche nationale Interessen haben immer wieder zu gravierenden Konflikten geführt. Der fehlgeschlagene Versuch, eine angemessene Lebenshaltung der Landwirte durch Preisstützung zu gewährleisten, begründete zudem den Vorwurf des Protektionismus und führte zu steigenden Produktionsüberschüssen und Ausgaben, sodass mehrfach tiefgreifende Reformen der GAP notwendig wurden.

Christian Lippert
Antidiskriminierungspolitik

Das Recht der Europäischen Union (EU) verbietet seit jeher, EU-BürgerInnen wegen ihrer Staatsangehörigkeit schlechter zu stellen. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau ist ein traditionelles Anliegen des Unionsrechts. Die ethnische Diskriminierung wird erst seit der Annahme einer entsprechenden Richtlinie im Jahr 2000 umfassend mit Mitteln des Europarechts bekämpft. In welchen Lebensbereichen die EU ihre BürgerInnen auch vor Diskriminierungen auf Grundlage der Religion, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung schützen soll, ist hingegen seit über zehn Jahren Gegenstand politischer Debatten. Die Annahme von EU-Gesetzgebung bedarf der Einstimmigkeit im Rat der EU, was den Fortschritt schwierig gestaltet.

Gabriel N. Toggenburg
Asienpolitik

Die Asienpolitik der Europäischen Union (EU) steht großen ökonomischen und geopolitischen Herausforderungen gegenüber, die sich durch die erhebliche geographische Ausdehnung des asiatischen Kontinents, seine unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsebenen und seine verschiedenen politischen Systeme ergeben. China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, Indien steht inzwischen auf Platz sechs der 50 größten Volkswirtschaften. Die Verbesserung des Lebensstandards und die wirtschaftliche Entwicklung der beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde sind mit einem hohen Energie- und Wasserverbrauch sowie Schadstoffausstoß verbunden. Hinzu kommen Verwerfungen durch postkoloniale Grenzziehungen sowie ethnische und religiöse Konflikte in Asien. Die EU muss in ihrer Asienpolitik daher auch ökologische und soziale Dynamiken adressieren. Darüber hinaus wurde und wird die Asienpolitik dominiert durch den Austausch mit und die Handelsinteressen zur Wirtschaftssupermacht China.

Saskia Hieber
Assoziierungs- und Kooperationspolitik

Die Kooperations- und Assoziierungspolitik der Europäischen Union (EU) ist Teil ihres auswärtigen Handelns (Titel V Vertrag über die Europäische Union, EUV, und Teil 5 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) und dient insbesondere dem Aufbau von Partnerschaften gemäß Art. 21 EUV. Insofern hat sie Schnittmengen mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), der Handels-, der Entwicklungs- und der Erweiterungspolitik. Zentrale Komponenten sind Bestimmungen über den Freihandel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den politischen Dialog.

Barbara Lippert
Asylpolitik

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wurde ab 1999 entwickelt. Es verfolgt das Ziel, die Asylwesen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) zu harmonisieren bzw. die Zuständigkeit hinsichtlich der Bearbeitung von Asylanträgen in Europa zu regeln. Die Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 sowie eine schon länger bestehende ungleiche Verteilung von Asylsuchenden in Europa verstärkten den Reformdruck. Ein EU-Migrations- und Asylpaket, welches im September 2020 vorgestellt wurde, sieht nun ein neues System für die EU-Asylpolitik vor. Ein flexibler Solidaritätsmechanismus löst die Idee eines verpflichtenden Verteilungsschlüssels für Asylsuchende innerhalb der EU ab. Die Reform der EU-Asylgesetze stellt sich jedoch weiterhin schwierig und polarisierend dar. Während südliche Mitgliedstaaten weitere Garantien für das Funktionieren des EU-Solidaritätsmechanismus einfordern, stehen andere Regierungen einer Supranationalisierung der EU-Asylpolitik kritisch gegenüber.

Florian Trauner
Aufbau- und Resilienzfazilität

Im Rahmen der regulären Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) 2021–2027 vereinbarte die Europäische Union (EU) als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und die sozio-ökonomische Krise das zusätzlich, zeitlich befristete Aufbaupaket „NextGenerationEU“ (NGEU) mit einem Gesamtumfang von 750 Mrd. Euro. Zentrales Instrument ist die zweckgebundene Aufbau- und Resilienzfazilität, mit der bis zu 672,5 Mrd. Euro als Zuschüsse und Kredite von der EU an die Mitgliedstaaten für Maßnahmen zum ökologischen und digitalen Wandel ausgezahlt werden. Erstmals in der Geschichte der EU wurden zur Finanzierung von NGEU, in großem Umfang Kredite an den globalen Kapitalmärkten aufgenommen.

Peter Becker
Ausschuss der Regionen

Der Ausschuss der Regionen (AdR), der sich selbst als Europäischer Ausschuss der Regionen bezeichnet, ermöglicht den subnationalen Gebietskörperschaften eine eigenständige institutionelle Mitwirkung in der Europäischen Union. Als beratendes Organ kommt ihm vor allem die Aufgabe zu, regionale und lokale Interessen zu bündeln und in den Willensbildungs- und Rechtsetzungsprozess einzubringen. Damit sollen die Auswirkungen von geplanten Rechtsakten auf die UnionsbürgerInnen in Gemeinden und Regionen frühzeitig einbezogen und erörtert werden. Darüber hinaus verfolgt der AdR das Ziel, für Subsidiarität, Bürgernähe und Partnerschaft zwischen den einzelnen Gliedern des europäischen Mehrebenensystems einzutreten.

Jürgen Mittag

B

Frontmatter
Bankenunion

Die Bankenunion führt die Bestrebungen zu einer EU-weiten Harmonisierung der Finanzmarktregulierung für die Eurozone weiter. Die in der Eurozone tätigen Banken werden durch sie stärker grenzüberschreitend überwacht (erste Säule der Bankenunion: Einheitlicher Aufsichtsmechanismus) und im Fall einer Insolvenz auf europäischer Ebene abgewickelt (zweite Säule: Einheitlicher Abwicklungsmechanismus). Damit soll verhindert werden, dass – wie im Verlauf der Krise in der Eurozone geschehen – Regierungen Banken und deren Eigentümer mit Steuergeldern retten. Aktuell ist die Bankenunion noch unvollendet, über die dritte Säule (Gemeinsames Einlagensicherungssystem) wird diskutiert. Da u. a. Deutschland auf einer weiteren Reduktion der Risiken in den Bilanzen der in der Eurozone ansässigen Banken besteht, bevor eine Teilung dieser Risiken durch eine gemeinsame Einlagensicherung infrage kommt, ist eine Einigung im Herbst 2021 noch nicht absehbar.

Tobias Kunstein
Beschäftigungspolitik

Nach Art. 3 Vertrag über die Europäische Union wirkt die Europäische Union auf die nachhaltige Entwicklung Europas unter anderem auf der Grundlage einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, hin. Zur Umsetzung dieser Zielbestimmung greifen die EU-Organe auf in ihren Wirkungen umstrittene Instrumente der sog. Offenen Methode der Koordinierung (OMK) sowie auf Förderprogramme zurück. Die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) trägt mit ihrer OMK und den mit der Strategie verbundenen Finanzierungsinstrumenten zu einer vorsichtigen Annäherung der beschäftigungspolitischen Institutionen der Mitgliedstaaten bei, deren Entwicklung weitgehend vom Wohlwollen der Regierungen abhängt.

Andreas Maurer
Bildungspolitik

Die Europäische Union (EU) verfügt in der Bildungspolitik – im Gegensatz bspw. zur Wirtschaftspolitik – über nur wenige gesetzgeberische Kompetenzen, da diese im Wesentlichen bei den Mitgliedstaaten liegen. Über Kompetenzen in anderen Politikfeldern wie die Arbeitsmarkt- und Jugendpolitik sowie die Binnenmarktgesetzgebung kann die EU dennoch auch bildungspolitisch Einfluss ausüben. Die originäre EU-Bildungspolitik besteht aus Investitionsprogrammen (wie Erasmus oder Hochschulallianzen), Schlüsselprojekten (wie die Bildungs-und Arbeitsmarkttaxonomie ESCO), Pilotinitiativen (wie dem Europäischen Qualifizierungsrahmen) und einem Diskurs über öffentliche Vorhaben und Ziele. Die wichtigsten bildungspolitischen Zielsetzungen liegen in der Qualität und Effizienz von Bildungsinfrastrukturen, der Unterstützung des Binnenmarkts mit Blick auf die Versorgung mit Fachkräften sowie der europäischen Verständigung. Eine umfassende Bildungspolitik wurde erst im Jahr 2000 gestartet. Mittlerweile entfaltet sie eine bedeutende Rolle auch für die nationalen Bildungspolitiken.

Knut Diekmann
Binnenmarkt

Der Binnenmarkt ist das Herzstück der europäischen Integration. Ausgehend vom gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl wurde er sukzessive auf beinahe alle Bereiche des Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehrs ausgeweitet. Seit nunmehr über 20 Jahren gilt er offiziell als „vollendet“ und dennoch ist er eine Dauerbaustelle. Die „vier Freiheiten“ (Freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) dienen dem Wettbewerb unter den Mitgliedstaaten und fördern Wachstum, Beschäftigung sowie eine effiziente Ressourcenallokation. Als Querschnittsaufgabe tangiert die Binnenmarktpolitik dabei auch viele andere Politikfelder, bspw. die Gesundheitspolitik, insbesondere aber auch die Verkehrspolitik.

Sebastian Schäffer
Brexit

„Brexit“ bezeichnet den Austritt des Vereinigten Königreichs (VK) aus der Europäischen Union (EU), für den eine knappe WählerInnenmehrheit (51,9 Prozent) in einem Referendum am 23. Juni 2016 stimmte. Am 29. März 2017 teilte die britische Regierung gem. Art. 50 Vertrag über die Europäische Union dem Präsidenten des Europäischen Rats die Austrittsabsicht des VK mit. Damit läutete sie offiziell den Austrittsprozess ein, der für alle Beteiligte Neuland war und enorme politische, rechtliche und sozioökonomische Unsicherheiten barg. Brexit ist ein Präzedenzfall, der an Grundpfeilern der EU – v. a. am Integrationsziel einer „immer engere[n] Union“ – rüttelte und einen tiefgreifenden Reflexionsprozess zur Zukunft Europas anstieß.Am 31. Januar 2020 verließ das VK nach zähen Verhandlungen die EU formell mit einem Austrittsabkommen. Es bedurfte aber einer Übergangszeit bis Ende 2020 und eines „Last Minute“-Abkommens für Handel und Kooperation bis der geordnete, aber harte Brexit vollzogen war.

Julia Çetinkaya

C

Frontmatter
Charta der Grundrechte

Die Charta der Grundrechte bildet das menschenrechtliche Fundament der Europäischen Union (EU). Sie vereint die Grund- und Menschenrechte, die der Anwendung des Europarechts zugrunde liegen. Die Charta wurde im Jahr 2000 verabschiedet und ist seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 Teil des Primärrechts der EU. Ihr zentraler Wert ist die menschliche Würde. Die Charta umfasst einen breiten Katalog an Grund- und Menschenrechten, darunter die bürgerlichen und politischen Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie wirtschaftliche und soziale Menschenrechte.

Frédéric Krumbein
COVID-19-Pandemie

Bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie in Europa spielt die Europäische Union (EU) eine wichtige Rolle. Aufgrund ihrer schwachen supranationalen Kompetenzen in den Bereichen Gesundheitspolitik und Katastrophenschutz liegt zwar die Verantwortung für die Krisenreaktion vor allem bei den Mitgliedstaaten. Die EU übernimmt aber unterstützende und koordinierende Aufgaben. Von wesentlicher Bedeutung ist sie u. a. bei der Förderung medizinischer Forschung, bei der solidarischen Beschaffung von medizinischem Material, Tests und Impfstoffen, bei der grenzüberschreitenden Vernetzung von politischen Instrumenten der Infektionskontrolle (insbesondere Impfzertifikaten) sowie bei der Abfederung der wirtschaftlichen Folgen.

Manuel Müller

D

Frontmatter
Datenschutz und Informationsgesellschaft

Die Entwicklungen hin zur Informationsgesellschaft waren und sind stark wirtschaftsgeprägt, sodass es nicht erstaunt, dass die Europäische Union (EU) und der Binnenmarkt eine große Rolle spielen. Die EU-Strategie für einen digitalen Binnenmarkt will Verbrauchern und Unternehmern die uneingeschränkte Nutzung der Vorteile ermöglichen, die sich durch das Internet und digitale Technologien eröffnen. Besonders im Bereich des Datenschutzes nimmt das Unionsrecht eine dominante Rolle ein und schickt sich mit der jüngsten Reform des Datenschutzrechts dazu an, auch global Vorreiter zu werden. Freilich hat die EU – wie ihre Mitgliedstaaten – auch auf andere Herausforderungen der Informationsgesellschaft eine Antwort zu finden wie etwa die Nutzung von Künstlicher Intelligenz.

Gabriel N. Toggenburg
Demokratiedefizit

Das sog. Demokratiedefizit der EU ist eines der wenigen Themen der Integrationsforschung, die auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Als Defizit wird das Abweichen der politischen Praxis von idealtypischen Vorstellungen von Demokratie bezeichnet. Es werden drei zentrale Thesen unterschieden: (1) Die These vom institutionellen Defizit nimmt an, dass die EU durch Reformen demokratisierbar ist. (2) Die These vom substanziellen Defizit geht davon aus, dass zur Demokratisierung Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die die EU selbst nicht schaffen kann. (3) Die „No Deficit Thesis“ hält die Kompetenzen der EU für so begrenzt, dass die EU durch die Ratifikation der Verträge ausreichend legitimiert ist. Während diese Thesen den Nationalstaat als Bezugspunkt haben, überwinden andere Ansätze wie die deliberative Integrationstheorie oder Demoicracy diesen Fokus. Die Erosion der Demokratie in einigen Mitgliedstaaten offenbart zudem ein neues Demokratiedefizit auf der nationalen Ebene.

Julian Plottka, Nicola Rebmann
Deutsch-französische Partnerschaft

Die deutsch-französische Partnerschaft markiert die am stärksten ausgeprägte und bedeutsamste Beziehung zweier Staaten in Europa. Sie beschreibt dabei sowohl das bilaterale Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich etwa in Politik, Wirtschaft und Kultur als auch die gemeinsame Rolle beider Länder im europäischen Integrationsprozess und innerhalb der Europäischen Union (EU). Die deutsch-französische Partnerschaft umfasst das regelmäßige Zusammentreffen von politischem Spitzenpersonal beider Länder, gemeinsame Institutionen und Einrichtungen sowie symbolträchtige Praktiken. Sie fußt maßgeblich auf dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag vom Januar 1963 („Élysée-Vertrag“) und dessen Erweiterungen. In einer größeren, vielfältigeren und von zahlreichen Krisen betroffenen EU sieht sich das deutsch-französische Duo neuen Herausforderungen und einer steigenden Verantwortung für den Zusammenhalt der Union gegenüber.

Lucas Schramm, Ulrich Krotz
Deutschland in der EU

Deutschland ist heute der wirtschaftlich stärkste und bevölkerungsreichste Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU). Von seiner Einbettung in den (west-)europäischen Einigungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Land enorm profitiert: In den 1950er-Jahren ermöglichte die sog. Westbindung der Bundesrepublik die Rückkehr auf die internationale Bühne; die wirtschaftliche Integration unterstützte seine ökonomische Entwicklung. Mit der deutschen Wiedervereinigung bekannte sich das Land endgültig zu seiner Verankerung im europäischen Gemeinschaftssystem, was sich in Art. 23 Grundgesetz widerspiegelt. Seit den 1990er-Jahren hat sich Deutschland in seiner Europapolitik den anderen Mitgliedstaaten angepasst („Normalisierung“) und nationale Interessen in den Vordergrund gestellt. Welche Rolle Deutschland in der EU einnimmt, variiert je nach Kontext. Die historische Zäsur des russischen Angriffskrieges in der Ukraine fordert eine Neuausrichtung der deutschen Selbstverortung in der EU.

Funda Tekin, Sabine Hoscislawski
Differenzierte Integration

Differenzierte Integration steht für die unterschiedliche Regel- und Rechtsanwendung auf verschiedene Mitgliedstaaten oder Gruppen von Mitgliedstaaten in der Europäischen Union (EU) sowie auf vereinzelte Drittstaaten. Das Phänomen an sich ist komplex und mit einer Vielzahl von Konzepten unterschiedlichen Ausmaßes und verschiedener Auswirkungen belegt. Im Fokus der wissenschaftlichen und politischen Debatte steht dabei die Frage, ob differenzierte Integration integrationsfördernd wirkt, indem sie unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten von Mitgliedstaaten insbesondere im Hinblick auf mehr Souveränitätsrechte auf EU-Ebene ausgleicht, oder ob sie eine Zerfaserung der EU riskiert. Für ein grundlegendes Verständnis differenzierter Integration ist es notwendig, die Konzepte der Differenzierungsdebatte zu benennen, eine Bestandsaufnahme der Differenzierungsrealität vorzunehmen sowie Kernelemente zur Strukturierung aufzuzeigen.

Funda Tekin

E

Frontmatter
Energiepolitik

Energieversorgungssicherheit, Klimakrise und steigende Preise stehen momentan im Mittelpunkt der energiepolitischen Diskussion. Obwohl Energiepolitik eng mit der Entstehungsgeschichte der Europäischen Union (EU) verbunden ist, schreitet die energiepolitische Integration nur stockend voran. Ausschlaggebend dafür sind die mitgliedstaatlichen Kompetenzen, niedergelegt in Art. 194 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik bremsen. Die Mitgliedstaaten der EU unterscheiden sich in ihrem Energiemix und der Wahl ihrer Energiequellen. Zudem ist Energiepolitik als Sicherheitspolitik von besonderer Tragweite für die Nationalstaaten. Die Notwendigkeit einer stabilen gesamteuropäischen Versorgungssicherheit und die Umsetzung der grünen Transformation könnten die Mitgliedstaaten aber zu einem Umdenken antreiben.

Aline Bartenstein
Entscheidungsverfahren

Die Antwort auf die Frage, wie die Europäische Union (EU) Entscheidungen trifft, fällt komplexer aus, als man zunächst annehmen würde. Während einerseits innerhalb jeder EU-Institution spezielle Abstimmungsregeln bestehen, sind andererseits die Unionsorgane innerhalb der institutionellen Architektur in höchst ausdifferenzierten Entscheidungsverfahren, wie dem Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (OGV), miteinander verknüpft. Abhängig vom jeweiligen Politikfeld variieren nicht nur die Entscheidungsinstrumente, sondern auch die Einbindung verschiedener Akteure und deren interne Abstimmungshürden. Darüber hinaus muss stets der Unterschied zwischen den formalen Vorgaben dieser Verfahren und ihrer realen Umsetzung bedacht werden. Nimmt man die beiden Vertragsänderungs-, das Beitritts- und das Austrittsverfahren hinzu, tritt eine Komplexität zutage, welche sich nur über den Konsens und Kompromiss erklären lässt, die für die zwischenstaatliche Einigung auf ebendiese Entscheidungsprozeduren notwendig waren.

Carsten Gerards, Wolfgang Wessels
Entwicklungszusammenarbeit

Die europäische Entwicklungspolitik hat sich parallel zum europäischen Integrationsprozess stetig weiterentwickelt. Während der Politikbereich ursprünglich auf die überseeischen Länder und Gebiete (ULG) in Afrika beschränkt war, kamen mit jeder Erweiterungsrunde der Europäischen Union (EU) neue Zielregionen dazu. Heute arbeitet die EU in diesem Bereich mit nahezu allen Weltregionen zusammen. Damit hat die EU in ihrer Entwicklungszusammenarbeit eine deutlich breitere geografische Orientierung als die einzelnen Mitgliedstaaten. Ein dichtes Netzwerk von EU-Delegationen vor Ort ermöglicht die Kooperation in allen Weltregionen. Auch finanziell ist die EU ein Schwergewicht in der Entwicklungspolitik: 2020 brachten die EU und ihre 27 Mitgliedstaaten zusammen 46 Prozent der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe weltweit auf, insgesamt 66,8 Mrd. Euro. Etwa 27 Prozent stellten die Institutionen der EU zur Verfügung.

Niels Keijzer, Julian Bergmann
Erweiterungspolitik

Erweiterungen sind neben der Vertiefung des Integrationsprozesses ein zentraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union (EU). Sie haben nicht nur die EU geografisch von sechs auf 28 bzw. mit Austritt des Vereinigten Königreichs auf 27 Mitgliedstaaten erweitert, sondern auch deren Rolle und Bedeutung in Europa, in der Welt sowie für ihre Mitgliedstaaten immer wieder verändert. Der Beitrittsprozess ist einerseits streng formalisiert und wird andererseits von politischen Präferenzen und Entscheidungen der Mitgliedstaaten beträchtlich beeinflusst. Eine Erweiterung erfordert von den Beitrittskandidatenländern Reformprozesse und von der EU die Vorbereitung ihrer Strukturen auf die Aufnahme neuer Länder. Geopolitische Ereignisse in der europäischen Nachbarschaft wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wirken sich auf die Entwicklung der Erweiterungspolitik aus.

Katrin Böttger, Dominic Maugeais
Europäische Bürgerinitiative

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) ist ein in Art. 11 Abs. 4 des Vertrags über die Europäische Union verankertes Unionsbürgerrecht zur Agenda-Setzung auf Ebene der Europäischen Union (EU). Seit dem 1. April 2012 können UnionsbürgerInnen eine EBI initiieren und eine laufende EBI unterstützen. Als Teil der partizipativen Demokratie auf EU-Ebene zielt die EBI darauf, das sog. Demokratiedefizit der EU zu reduzieren. Angesichts der geringen Anzahl von nur sechs erfolgreichen Initiativen in zehn Jahren stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die EBI wirklich hilft, die Kluft zwischen UnionsbürgerInnen und EU-Institutionen zu überbrücken. Um das Instrument nutzerfreundlicher und damit attraktiver zu machen, wurde das EBI-Verfahren im Jahr 2019 reformiert.

Julian Plottka
Europäische Identität

Europäische Identität bezeichnet eine auf die Europäische Union (EU) oder Europa bezogene Form sozial konstruierter kollektiver Identität im Sinne der Identifikation der BürgerInnen mit der EU (Europa) und der damit verbundenen Bedeutungsgehalte. Kollektive demokratische Identität der EU-BürgerInnen lässt diese zum demokratischen Subjekt, zum Demos, der EU werden. Die Politik der EU zielt auf die Förderung europäischer Identität. In der Forschung ist strittig, wie weit diese ausgebildet ist und ob sie sich jemals voll entwickeln kann. Eine Verwendung des Konzepts „europäische Identität“ erfordert zudem eine Klärung seiner Inhalte, Untersuchungskategorien und der Bezugseinheit: Ist es der Kontinent Europa oder die EU? Zur Debatte stehen dabei normativ-theoretische Funktionen und Bedingungen wie auch die empirische Erfassung der sozialen Konstruktion europäischer Identität.

Claudia Wiesner
Europäische Investitionsbank

Die Europäische Investitionsbank (EIB) ist die Bank der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und die weltweit größte multilaterale Finanzinstitution. Seit ihrer Gründung mit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge (1958) finanziert sie Investitionen privater und öffentlicher Körperschaften vor allem durch vergünstigte Darlehen. Maßgabe für die Finanzierungstätigkeit der Bank ist laut Art. 309 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, „zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des Binnenmarkts im Interesse der Union beizutragen“. Dies beinhaltet traditionell Maßnahmen zur Förderung von Infrastrukturvorhaben und zur sozialen wie wirtschaftlichen Kohäsion in der EU. Seit 2000 ist die Bank stark gewachsen, u. a. durch die Verwaltung des Europäischen Fonds für strategische Investitionen zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Im Jahr 2019 kündigte sie den Umbau zur „Klimabank“ an.

Daniel Mertens
Europäische Kommission

Die Europäische Kommission ist sowohl die Exekutive der Europäischen Union (EU) als auch ihre öffentliche Verwaltung. Sie ist an allen Phasen des politischen Prozesses in der Union beteiligt, von der Initiierung politischer Vorhaben über deren Aushandlung und Implementierung bis hin zur Überwachung ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Das zentrale Beschlussgremium der Kommission ist das Kollegium der Kommissionsmitglieder, das aus einem Mitglied pro Mitgliedstaat besteht. Dem Kollegium steht die Präsidentin der Kommission (seit 2019: Ursula von der Leyen) vor. Das Kollegium entscheidet mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder. Es wird alle fünf Jahre im Anschluss an die Europawahlen vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament neu gewählt.

Andreas Hofmann
Europäische Menschenrechtskonvention

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den ursprünglich 47 europäische Staaten ratifiziert hatten; nach der Kündigung Russlands am 15. März 2022 und dem darauf unmittelbar folgenden Ausschluss aus dem Europarat am 16. März 2022 aufgrund des bewaffneten Angriffs auf die Ukraine sind noch 46 Staaten Vertragspartner. Die EMRK gibt verbindlich ein bestimmtes Niveau des Menschenrechtsschutzes vor. Von zentraler Bedeutung sind das Recht auf Leben, das Verbot der Folter und unmenschlichen Behandlung, das Recht auf ein faires Verfahren, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Eigentumsschutz. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die einzelnen Garantien in einer über 20.000 Einzelentscheidungen umfassenden Rechtsprechung ausdifferenziert und auch gewandelten gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die endgültigen Urteile des Gerichtshofs umzusetzen und dafür auch, soweit nötig, innerstaatliches Recht zu reformieren. Die EMRK überschneidet sich inhaltlich mit den in nationalen Verfassungen enthaltenen Grundrechtskatalogen, mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union und mit anderen völkerrechtlichen Verträgen; Normkonflikte in diesem Mehrebenensystem sind mithilfe differenzierter Ausgleichsmechanismen zu lösen.

Angelika Nußberger
Europäische Nachbarschaftspolitik

Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) wurde im Kontext der Osterweiterung der Europäischen Union (EU) 2004 ins Leben gerufen. Als einheitlicher Politikrahmen für die Beziehungen der EU zur östlichen und südlichen Nachbarschaft soll sie Demokratie, Wohlstand und Stabilität in den Partnerländern und die politische Zusammenarbeit fördern. Zentrale Instrumente sind Assoziierungsabkommen, Assoziierungsagenden, Partnerschaftsprioritäten und das Finanzinstrument NDICI („Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit – Europa in der Welt“). Innerhalb der ENP bildete sich sehr früh eine östliche und südliche Dimension heraus. Die ENP als einheitlicher Rahmen fällt zunehmend auseinander; ihre Zukunft ist ungewiss.

Barbara Lippert
Europäische Öffentlichkeit

Mit der zunehmenden Europäisierung nationaler Politik (europäische Integration) geht auch eine stärkere Europäisierung der öffentlichen Kommunikation über Europa einher. Europäische Politik ist teils mit weitreichenden Veränderungen im Alltag verbunden, die es zu vermitteln und diskutieren gilt. Europäische Öffentlichkeit ist ein imaginärer Diskursraum, in dem BürgerInnen in Europa oder der Europäischen Union über nationale und sprachliche Grenzen hinweg europabezogene Themen diskutieren. Traditionelle und neue (Massen-)Medien nehmen durch die Aufbereitung von Informationen aus dem In- und Ausland eine zentrale Mittlerfunktion ein. Europäische Öffentlichkeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung und erfüllt im politischen System der Europäischen Union zentrale demokratische Funktionen wie Legitimation, Transparenz und Partizipation. Beispiele sind die Eurokrise, Brexit, Europawahlen, die Corona-Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine.

Carmen Descamps
Europäische Parteien

In den Demokratien Europas stellen Parteien zentrale Akteure allgemeinpolitischer Interessenvermittlung dar. Sie vermitteln gesellschaftliche Vorstellungen, Forderungen bzw. Konflikte und bündeln diese in Form generalisierender Handlungs- oder Aktionsprogramme. Im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration und ihrer Auswirkung auf immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens haben sich – mittlerweile auch offiziell so bezeichnete – europäische politische Parteien gebildet. Diese unterscheiden sich in ihren Funktionen und Strukturen von nationalen Parteien, da in ihnen die Parteien aus den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um an der Herausbildung eines europäischen Bewusstseins mitzuwirken und den politischen Willen der UnionsbürgerInnen zum Ausdruck zu bringen. Ende 2021 waren insgesamt zehn vom Europäischen Parlament anerkannte und auf Grundlage der Parteienverordnung (Nr. 1141/2014) finanzierte europäische Parteien aktiv.

Andreas Maurer, Jürgen Mittag
Europäische Zentralbank

Seit 1999 ist die Europäische Zentralbank (EZB) innerhalb der Europäischen Union (EU) die Hüterin der gemeinsamen Währung. Ihre Entscheidungen haben weitreichende Auswirkungen auf das Leben der Menschen in denjenigen EU-Mitgliedstaaten, die den Euro bislang eingeführt haben. Als unabhängige Institution ist sie dabei von politischem Einfluss isoliert. Während die Schaffung des Euro und die ersten zehn Jahre seines Bestehens trotz einer umstrittenen Grundkonstruktion erfolgreich verliefen, geriet die EZB ab 2008 in unruhiges Fahrwasser: Zunächst durch die weltweite Finanzkrise, die in eine Krise der Eurozone mündete, ab 2020 dann durch die COVID-19-Pandemie, die mit massiven Einbrüchen der Weltwirtschaft einherging. Die geldpolitischen Maßnahmen der EZB zur Stabilisierung des Euro lassen sich in den Augen zahlreicher KritikerInnen kaum mit ihrem ursprünglichen Mandat vereinbaren und bedeuten Risiken für die Zukunft. Mit globalen Veränderungen im makroökonomischen Umfeld, dem Beitritt weiterer Länder zur Währungsunion und mit der Übernahme neuer Aufgaben im Rahmen der Bankenunion stellen sich weitere Herausforderungen.

Tobias Kunstein
Europäischer Auswärtiger Dienst

Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) wurde 2010 auf Grundlage des Vertrags von Lissabon (2009) geschaffen und wird im Sprachgebrauch auch „Europäisches Außenministerium“ genannt. Als eigenständige Einrichtung untersteht er dem/der Hohen VertreterIn der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und unterstützt das außenpolitische Handeln der Europäischen Union (EU). Der EAD ist darauf angewiesen, effizient mit den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten und eine gemeinsame Position zu entwickeln. Dies geschieht insbesondere durch die inhaltliche Vorbereitung der außenpolitischen Instrumente der Kommission und der außenpolitischen Arbeitsgruppen des Rates der EU sowie durch Koordination mit den Botschaften der Mitgliedstaaten in Hauptstädten und mit internationalen Organisationen weltweit. Dem EAD gelingt es bisher nur bedingt, seine Rolle zu finden, da die Europäische Kommission im wirtschaftlichen Bereich und die Mitgliedstaaten in der Sicherheitspolitik die auschlaggebenden Akteure bleiben.

Niklas Helwig
Europäischer Bürgerbeauftragter

Der Europäische Bürgerbeauftragte (Ombudsmann) ist befugt, Beschwerden von Bürgern der Europäischen Union und weiteren Personen über Missstände bei der Tätigkeit von Unionsinstitutionen entgegenzunehmen, zu untersuchen und darüber zu berichten. Er wird vom Parlament gewählt, übt sein Amt jedoch in voller Unabhängigkeit aus und darf keine Weisungen entgegennehmen. Die Berechtigten haben einen Anspruch auf Prüfung und Bescheidung ihrer Beschwerde, jedoch nicht auf Einleitung einer Untersuchung oder auf Abhilfe. Missstände liegen u. a. bei Verstößen gegen die Gebote der Rechtmäßigkeit, Nichtdiskriminierung, Unparteilichkeit, Fairness oder Höflichkeit vor. Der Bürgerbeauftragte unterliegt keiner Untersuchungspflicht, sondern handelt nach pflichtgemäßem Ermessen. Die anderen Unionsinstitutionen und die Behörden der Mitgliedstaaten haben ihn zu unterstützen. Bei festgestellten Missständen bemüht sich der Bürgerbeauftragte um eine gütliche Lösung. Seine Berichte sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Siegfried Magiera
Europäischer Rat

Der Europäische Rat ist eine Schlüsselinstitution der Europäischen Union (EU). In diesem Organ haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, der ständige Präsident des Europäischen Rates sowie der Präsident der Europäischen Kommission, also die politischen Führungsspitzen der Union („leaders“), seit seiner Gründung 1974 die Entstehung und Entwicklung der EU nachhaltig geprägt. Art. 15 des Vertrags von Lissabon weist dem Europäischen Rat eine impulsgebende Rolle bei der europäischen Integration zu. In weiteren Bestimmungen erhält er starke (Mit-)Gestaltungsrechte bei der Wahl von Spitzenpersonal der EU-Organe, in zentralen Politikfeldern wie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie bei Vertragsänderungen und Erweiterungs- und Austrittsverfahren. Neben einer aktiven Wahrnehmung dieser Aufgaben hat der Europäische Rat eine Führungsrolle bei der Bewältigung zahlreicher EU-Krisen übernommen.

Wolfgang Wessels, Lucas Schramm
Europäischer Stabilitätsmechanismus

Durch die Einführung der gemeinsamen Währung sollten die nationalen Volkswirtschaften der Europäischen Union zum Vorteil des grenzüberschreitenden Handels enger verknüpft werden. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine größere gegenseitige Abhängigkeit – die Krise eines einzelnen Mitgliedstaates kann die Stabilität des ganzen Währungsblocks gefährden. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als zwischenstaatlicher Hilfsfonds wurde geschaffen, um Krisenstaaten mit Krediten zu versorgen, sodass eine vorübergehende Liquiditätskrise eines einzelnen Mitgliedstaates nicht die ganze Eurozone bedroht. Mitgliedstaaten, die den ESM in Anspruch nehmen, müssen im Gegenzug Auflagen erfüllen.

Tobias Kunstein
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

Der 1958 gegründete Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist eine beratende Institution der Europäischen Union (EU). Er dient der funktionalen Interessenrepräsentation, verfügt aber über keine Entscheidungskompetenz, sondern nimmt durch Stellungnahmen und als Forum der Zivilgesellschaft Einfluss. Durch ihn soll Fachwissen der vertretenen Interessengruppen nutzbar gemacht, diesen Zugang zur EU-Ebene gegeben und die Akzeptanz von Vorhaben eruiert werden. Zwar gibt es neben den beiden Gruppen der Sozialpartner auch eine Gruppe mit Mitgliedern aus „dem staatsbürgerlichen, dem beruflichen und dem kulturellen Bereich“ (Art. 300 Abs. 4 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) der Zivilgesellschaft. Inwieweit diese Drittelung des EWSA allerdings noch die gegenwärtige Wirklichkeit der europäischen Gesellschaft widerspiegelt, ist strittig.

Hermann Anton Lüken genannt Klaßen
Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament (EP) ist das einzige direkt gewählte supranationale Parlament weltweit und das einzige direkt demokratisch legitimierte Organ der Europäischen Union (EU). Seine vertraglich festgelegten Kompetenzen im Bereich der Gesetzgebung und der Kontrolle der mit Exekutivbefugnissen ausgestatteten Organe wurden beständig ausgebaut. Dementsprechend selbstbewusst tritt das EP auch im Gesetzgebungsalltag der EU auf. Im Vergleich zu den nationalen Parlamenten agiert das EP sehr viel autonomer gegenüber den regierungsähnlich auftretenden Organen. Im Gegenzug sind die Abgeordneten des EP allerdings auch deutlich stärker auf die FunktionsträgerInnen und Einrichtungen innerhalb des Parlaments sowie auf externe Interessengruppen angewiesen.

Andreas Maurer
Europäisierung

Der Begriff der Europäisierung findet im wissenschaftlichen Diskurs zunehmenden Widerhall, um den europäischen Einigungs- und Integrationsprozess zu beschreiben. Trotz einer bislang fehlenden, allgemein anerkannten und umfassenden Definition und Konzeptionierung kann eine Reihe von Charakterisierungen von Europäisierung genannt werden. So wirkt sich der etablierte europäische Einigungsprozess rückwirkend sowohl in Top-down als auch in Bottom-up-Richtung in selbstverstärkenden Rückkopplungsprozessen auf AkteurInnen im europäischen Mehrebenensystem aus. AkteurInnen von der gesamteuropäischen bis hin zur individuellen Ebene übernehmen („download“) und antizipieren („learning“) zunehmend die Vorgaben des EU-Systems und verhalten sich (zum Teil präventiv) diesen entsprechend. Andererseits entfalten sie durch die Artikulation („upload“) eigener Interessen auch selbst Wirkungen auf der Organebene des EU-Systems. Insgesamt bildet dieses Konzept einen dynamischen Prozess ab, der sich durch Entwicklungen steten „Lernens“ der AkteurInnen auszeichnet. Konzepte der Europäisierung können mithin einen wertvollen Beitrag zu einer möglichst vollständigen Abbildung und Erklärung europäischer Integration bieten.

Christian Raphael, Darius Ribbe
Europarat

Der Europarat wurde 1949 von zehn westeuropäischen Staaten gegründet, um durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit europäische Einheit zu schaffen. Die Innovation des Europarats als neuer internationaler Organisation lag im Zusammenspiel der Parlamentarischen Versammlung und des Ministerkomitees der 46 Mitgliedstaaten. Die Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1959) gilt als „Errungenschaft der Zivilisation“. Die vom Europarat verabschiedeten Übereinkommen und Instrumente zeigen sein Potenzial als Laboratorium gesellschaftlicher Modernisierung und Pluralisierung in Europa. Seit 1990 fördert er die politische, rechtliche und kulturelle Zusammenarbeit, Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit in ganz Europa.

Tobias Flessenkemper
Europaskeptizismus

Das europaskeptische Spektrum in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ist sehr heterogen und fragmentiert: Es reicht von gemäßigten EU-SkeptikerInnen zu harten Integrationsfeinden, von der Mitte zu den links- und rechtspopulistischen bis -extremistischen Rändern ihrer Parteiensysteme und von außerparlamentarischen Protestparteien zu Oppositions- und Regierungsparteien in ihren nationalen Parlamenten. Infolge des Krisenmodus der Europäischen Union (EU) seit 2008 konnten EuropaskeptikerInnen auf Kosten etablierter Parteien in EU- und nationalen Wahlen deutlich an Zustimmung gewinnen. In den Europawahlen vom Mai 2019 verzeichneten sie zwar im Vergleich zu den Wahlergebnissen von 2014 und entgegen den Befürchtungen eines erheblichen Rechtsrucks im neuen Europäischen Parlament (EP) einen nur moderat höheren Zugewinn an Stimm- und Sitzanteilen. Doch angesichts der Veränderungen in der Zusammensetzung des EP bleibt er nicht ohne Konsequenzen für die interne Entscheidungsfindung.

Julia Çetinkaya
Eurozone

Seit am 1. Januar 1999 in Teilen der Europäischen Union (EU) der Euro als gemeinsame Währung eingeführt wurde, bilden die daran teilnehmenden Mitgliedstaaten die Eurozone (offizielle Bezeichnung: Euro-Währungsgebiet oder Euroraum). Von anfänglich elf Mitgliedern hat sich die Anzahl sukzessive auf derzeit 19 erhöht. Unter vollständiger Übertragung ihrer geldpolitischen Souveränität auf die Europäische Zentralbank arbeiten die Mitglieder der Eurozone auch auf anderen wirtschaftlich relevanten Gebieten eng zusammen. Alle Mitglieder der EU sind vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter Konvergenzkriterien dazu verpflichtet, den Euro einzuführen. Lediglich Dänemark und – bis zu seinem Austritt aus der EU – das Vereinigte Königreich hatten sich im Vertrag von Maastricht (2009) sog. Opt-out-Regelungen zusichern lassen, die von dieser Pflicht entbinden.

Tobias Kunstein
EU-China-Beziehungen

Einhergehend mit dem Aufstieg der Volksrepublik China als Weltmacht hat die Bedeutung des Landes für die Europäische Union (EU) in den vergangenen Dekaden kontinuierlich zugenommen. Das Verhältnis zwischen den beiden Akteuren durchlief Höhen und Tiefen und zeigte bei verschiedenen Gelegenheiten die Belastungen auf, die sich aus deren grundlegend unterschiedlichen Weltanschauungen ergeben. Dennoch haben sich die Beziehungen seit dem Aufbau der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1975 zunächst immer weiter verbessert, was 2003 zur Einigung auf eine Strategische Partnerschaft führte. In den 2010er-Jahren machten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Staatsschuldenkrise in der Eurozone den Wert des Handels mit China deutlich und auch der darauffolgende Anstieg chinesischer Investitionen in Europa sowie das erhoffte Potenzial der Belt and Road Initiative (BRI) bewertete die EU ursprünglich positiv. In jüngerer Zeit aber sieht sie sowohl die Gefahr einer möglichen wirtschaftliche Abhängigkeit als auch den politisch-strategischen Einfluss Chinas kritischer – eine Entwicklung, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen geostrategische Konsequenzen noch weiter verstärkt wird.

Thomas Christiansen
EU-Russland-Beziehungen

Die Russlandpolitik der Europäischen Union (EU) zielte nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes darauf ab, innere Reformen, Demokratisierung und eine Modernisierung des Landes zu unterstützen. Doch diese Politik ist gescheitert: Für Moskau ist die EU kein Modernisierungsmodell mehr, sondern ein strategischer Gegner. Trotz enger wirtschaftlicher und energiepolitischer Interdependenz konkurrieren EU und Russland geo- und sicherheitspolitisch. Das auf die EU-Ebene übertragene deutsche Modell eines politischen Wandels durch ökonomische Modernisierung hat nicht zu regionaler Sicherheit und Stabilität in Osteuropa geführt. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Beziehungen zum Stillstand gekommen. Russland wird als die größte sicherheitspolitische Gefahr für Europa gesehen. Mit umfassenden Sanktionspaketen beschleunigt die EU die wirtschaftliche und energiepolitische Entflechtung mit Russland.

Stefan Meister
EU-Türkei-Beziehungen

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei haben eine lange Geschichte und sind mindestens genauso konfliktbeladen. Insbesondere seit 2016 befinden sich die Beziehungen in einer gefährlichen Abwärtsspirale, denn Entwicklungen in der Türkei, der EU, der Nachbarschaft und auch auf globaler Ebene fordern sie heraus. Der EU-Beitritt der Türkei ist in weite Ferne gerückt. Das bedeutet aber nicht das Ende der Beziehungen. In den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit, Energie und Migration gibt es viele Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit. Zollunion, grüne Außenpolitik und die geopolitische Herausforderung durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine prägen die Zukunft.

Funda Tekin
EU-Verträge

Die Verträge der Europäischen Union (EU) bilden den zentralen Zugangspunkt zur institutionellen Architektur der Gemeinschaft. Seit 2009 in Kraft, legt der Vertrag von Lissabon u. a. die Grundsätze, den Aufbau und die Zuständigkeiten der Union fest. Außerdem regelt er das Zusammenspiel zwischen den einzelnen EU-Institutionen in den vielfältigen Entscheidungsverfahren und definiert das Verhältnis zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und ihren BürgerInnen. Im Kern zusammengesetzt aus dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind es gerade die „Querverbindungen“ zwischen den verschiedenen Teilen des Vertrages von Lissabon, die dessen Komplexität ausmachen. In dieses Geflecht müssen mit aufgenommen werden: die Charta der Grundrechte der EU, der Euratom-Vertrag sowie ergänzende zwischenstaatliche Verträge außerhalb der EU-Strukturen.

Carsten Gerards, Wolfgang Wessels

F

Frontmatter
Fischereipolitik

Eine eigenständige Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) bzw. das sog. Blaue Europa besteht seit 1983. Sie beruht nach Art. 38 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf denselben Rechtsgrundlagen wie die Gemeinsame Agrarpolitik. Neben den in Art. 39 AEUV genannten Zielen der Produktivitätssteigerung, der Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Fischerei Beschäftigten, der Marktstabilisierung und der Sicherstellung der Versorgung zu angemessenen Preisen, gilt das erklärte Ziel der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Fischbestände. Der Rat der EU entscheidet nach Art. 43 AEUV gemeinsam mit dem Europäischen Parlament über die Bestimmungen der GFP. Lediglich die Festsetzung von Preisen und Fischfangmöglichkeiten fällt in die alleinige Zuständigkeit des Rates. Die jährliche Festlegung der Fangquoten in den Gemeinschaftsgewässern soll basierend auf wissenschaftlich fundierten Empfehlungen so erfolgen, dass für die verschiedenen Bestände jeweils der höchstmögliche Dauerertrag („maximum sustainable yield“, MSY) erzielt wird. Die Fischereistrukturpolitik wird größtenteils durch die Mitgliedstaaten im Rahmen kofinanzierter nationaler operationeller Programme abgewickelt.

Christian Lippert
Fiskalvertrag

Im Verlauf der Krise in der Eurozone ab 2010 versuchten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), das Vertrauen der Finanzmärkte in ihre Staatshaushalte und die Eurozone als Ganzes mittels verschärfter Haushaltsregeln, engerer wirtschaftspolitischer Koordinierung und glaubhafter Selbstbindung wiederherzustellen. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – kurz Fiskalvertrag – führt diese Bemühungen fort. Als völkerrechtlicher Vertrag wurde er außerhalb des EU-Rechtsrahmens geschlossen, da sich die für eine zunächst angestrebte Änderung der EU-Verträge nötige Zustimmung aller Mitgliedstaaten nicht erreichen ließ.

Tobias Kunstein
Forschungs- und Technologiepolitik

Die Forschungs- und Technologiepolitik der Europäischen Union (EU) dient der wissenschaftlich-technologischen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Im Kontext einer komplexen Modernisierungsstrategie mit diversen Arbeitssträngen sollen wissenschaftliche Exzellenz, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung stimuliert werden. Die Grundlagen dafür bilden das laufende neunte Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (2021–2027), das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation der EU und die Europa-2020-Strategie für Wachstum und Beschäftigung.

Jürgen Turek
Freiheiten im Binnenmarkt

Die Grundfreiheiten sind der Antrieb des Binnenmarkts der Europäischen Union (EU). Sie zielen auf den Abbau von Barrieren zwischen den Mitgliedstaaten und nehmen hierfür in Anspruch, dass die BürgerInnen ihre Eigeninteressen eigeninitiativ wahrnehmen und mit rechtlichen Mitteln durchsetzen. Indem die Grundfreiheiten unmittelbar anwendbar und mit Anwendungsvorrang ausgestattet sind, müssen Gerichte Maßnahmen, die zwischenstaatliche Handelshemmnisse begründen, außer Acht lassen. Die fortbestehende mitgliedstaatliche Souveränität wird dadurch respektiert, dass Maßnahmen, die nicht unmittelbar nach der Herkunft oder der Nationalität diskriminieren, aus ungeschriebenen Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können. Sind Maßnahmen zudem in ihren Wirkungen nichtdiskriminierend und versperren faktisch nicht den Marktzugang, fallen sie gänzlich aus dem Schutzbereich. Die Wirkung der Grundfreiheiten, wonach mitgliedstaatliche Regulierung vorbehaltlich einer einzelfallabhängigen Rechtfertigung zurückgedrängt wird, bedarf schließlich der Korrektur durch Maßnahmen auf der Ebene des Binnenmarkts und zwar im Wege unionsweiter Rechtsetzung, einer zentralisierten Marktaufsicht und supranational finanzierter Umverteilung.

René Repasi

G

Frontmatter
Gemeinsame Außen- und SicherheitspolitikGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) spiegelt die Notwendigkeit und Ambition der Europäischen Union wider, über ihre Grenzen hinaus ihre Interessen zu vertreten und stabilisierend zu wirken. Durch kollektive Instrumente – die von Erklärungen über wirtschaftliche Anreize bis hin zu zivilen und militärischen Missionen reichen – gelang es der EU, positiv zur Befriedung der Nachbarschaft und zur internationalen Diplomatie beizutragen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stellt jedoch die bisherige Effektivität der EU-Außenpolitik infrage und vor neue Herausforderungen. Trotz weitgehender Maßnahmen, welche harte Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine beinhalten, klafft eine Lücke zwischen den Fähigkeiten und den Erwartungen an die EU. Das Politikmodell der GASP, welches auf der Durchsetzung von Werten und multilateraler Diplomatie beruht, steht zunehmend vor der Herausforderung eines härteren internationalen Staatenwettbewerbs.

Niklas Helwig
Gemeinsame Sicherheits- und VerteidigungspolitikGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Vom Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 bis zur Etablierung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) durch den Vertrag von Lissabon 2009 vergingen 55 Jahre, wobei erst das Ende des Kalten Krieges eine wirkliche Integrationsdynamik in diesem Bereich entfaltete. Mit dem Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) ergaben sich schließlich neue Perspektiven. Verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der GSVP, die lange blockiert worden waren, konnten nun ergriffen werden. Die „Zeitenwende“ durch die neue russische Bedrohung seit dem militärischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die sicherheitspolitische Lage auf dem europäischen Kontinent komplett verändert. Die EU ist noch dabei, ihre Rolle zu finden.

Mathias Jopp, Jéronimo L. S. Barbin
Gerichtshof der Europäischen UnionGerichtshof der Europäischen Union

Der aus zwei Instanzen bestehende Gerichtshof der Europäischen Union hat den Auftrag, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Unionsverträge durch die Institutionen der Union und der Mitgliedstaaten zu sichern. Seine von den Mitgliedstaaten einvernehmlich ernannten Richter und Generalanwälte müssen Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein und jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten. Er entscheidet über Klagen von Mitgliedstaaten, Unionsorganen und natürlichen oder juristischen Personen sowie durch Vorabentscheidung über Anfragen von mitgliedstaatlichen Gerichten zur Auslegung des Unionsrechts oder zur Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane. Im Wege der Rechtsfortbildung hat er fundamentale Grundsätze des Unionsrechts herausgearbeitet, insbesondere die unmittelbare Wirkung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten, den Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht.

Siegfried Magiera
GesundheitspolitikGesundheitspolitik

Gesundheitspolitik sowie die Organisation der Gesundheitsversorgung und des Zugangs dazu obliegen den Mitgliedstaaten. Trotz des Subsidiaritätsprinzips, welches die nationale Zuständigkeit bedingt, teilen sich Mitgliedstaaten und Europäische Union (EU) aus der Logik des europäischen Binnenmarktes heraus in der Gesundheitspolitik die Kompetenz. Die EU ergänzt dabei die nationale Politik der Mitgliedstaaten um eine europäische Gesundheitsstrategie mit dem Ziel, v. a. grenzübergreifende Gesundheitsgefahren zu bekämpfen, chronischen Krankheiten vorzubeugen und eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Die COVID-19-Pandemie hat die europäische Gesundheitspolitik nicht nur stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, sondern wird diese auch nachhaltig ändern. Die Vorschläge für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum, eine Europäische Gesundheitsunion und eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen gehören zu den einschneidenden Reaktionen der Europäischen Kommission auf die Pandemie.

Sarah-Lena Böning
Grenzschutzpolitik Grenzschutzpolitik

Die Grenzschutzpolitik der Europäischen Union (EU) sieht den Schutz der Binnen- und Außengrenzen des Schengen-Raumes vor. Sie zielt auf die Abwesenheit von Grenzkontrollen im Inneren und wirkt auf die Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen hin. Zugleich ist die Grenzschutzpolitik der EU in besonderem Maße durch Krisen gekennzeichnet, was – wie jüngst die COVID-19-Pandemie – zur Wiedereinführung temporärer Binnengrenzkontrollen durch zahlreiche Mitgliedstaaten führte. In der Praxis stellen diese Krisenreaktionen das Ziel des Schengen-Raumes, die Abwesenheit von Binnengrenzkontrollen zu gewährleisten, infrage.Die Außengrenzschutzpolitik der EU ist durch die operative Stärkung der EU-Agentur Frontex gekennzeichnet, die bis 2027 mit 10.000 GrenzschutzbeamtInnen ausgestattet sein wird. Die Grenzschutzpolitik steht zudem in engem Sachzusammenhang zur Asylpolitik der EU und unterliegt wie diese Externalisierungstendenzen. Entsprechend werden Maßnahmen zur Außengrenzsicherung zunehmend in Kooperation mit Drittstaaten wahrgenommen.

Jonas Bornemann

H

Frontmatter
HandelspolitikHandelspolitik

Die gemeinsame Handelspolitik ist eines der ältesten und am stärksten integrierten Politikfelder der Europäischen Union (EU). Sie regelt den Verkehr von Dienstleistungen, geistigem Eigentum, Investitionen und Waren und wurde seit den Römischen Verträgen zunehmend vergemeinschaftet. Als Teil der europäischen Außenbeziehungen stellt sie ein gewichtiges Instrument der EU im Umgang mit Drittstaaten dar. Die gemeinsame Handelspolitik dient der Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele, aber auch normativ-politischer Werte und geostrategischer Ambitionen. Dieser Dreiklang an Interessen findet sich sowohl in EU-internen Entscheidungsprozessen als auch in den EU-Beziehungen gegenüber Drittstaaten wieder. Die zunehmende Relevanz geopolitischer und sicherheitsstrategischer Überlegungen in der Handelspolitik erfordert neue Forschungsansätze.

Katharina L. Meissner
HaushaltspolitikHaushaltspolitik

Die europäische Haushaltspolitik beruht auf drei Pfeilern: (1) auf dem mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Ausgabenseite, also der verbindlichen Festlegung des Haushaltsvolumens und der Ausgabeprioritäten für mindestens fünf Jahre; (2) auf dem Eigenmittelbeschluss für die Einnahmenseite, also der Festlegung der Einnahmequellen und der Verteilung der Finanzierungslasten und (3) auf den Jahreshaushalten, die sich in den Finanzrahmen und die Finanzierungsbegrenzungen des Eigenmittelsystems einfügen müssen.Der Haushalt der Europäischen Union (EU) unterscheidet sich deutlich von nationalen Haushalten. Er ist mit einem Volumen von rund 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU deutlich kleiner; die EU verfügt über keine eigenen Steuereinnahmen und die Ausgaben des EU-Haushalts konzentrieren sich vornehmlich auf die Gemeinsame Agrarpolitik und die europäischen Strukturfonds.

Peter Becker
Hoher Vertreter der Union für Außen- und SicherheitspolitikHoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik

Das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik soll der Europäischen Union (EU) nach außen eine gemeinsame Stimme verleihen und der diplomatischen Repräsentation dienen. Dafür haben die AmtsinhaberInnen eine Fülle an Kompetenzen in der zwischenstaatlich organisierten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und in gemeinschaftlichen Bereichen der EU-Außenbeziehungen. Dazu gehören der Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“, die Position als Vizepräsident der Europäischen Kommission und ein Vorschlagsrecht in der GASP. In der Praxis stößt dieser Anspruch auf erhebliche Herausforderungen, da es häufig an einer gemeinsamen europäischen Position mangelt oder Mitgliedstaaten es vorziehen, selbst diplomatisch aktiv zu werden. Dennoch konnten die bisherigen Amtsinhaberinnen, Catherine Ashton und Federica Mogherini, die Handlungsfähigkeit der EU positiv beeinflussen.

Niklas Helwig
Humanitäre HilfeHumanitäre Hilfe

Die humanitäre Hilfe ist ein wichtiger Bestandteil des auswärtigen Handelns der Europäischen Union (EU). Seit den 1990er-Jahren wurde sie schrittweise weiterentwickelt und mit dem Vertrag von Lissabon (2009) fest im EU-Vertragswerk verankert. Mit der Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (GD ECHO) existiert eine eigene Institution, die für das Politikfeld zuständig ist. Sie unterhält ein weltweites Netzwerk von ExpertInnen, welche die Umsetzung der humanitären Hilfe in Kooperation mit Partnerorganisationen wie den Vereinten Nationen und NGOs koordinieren. Die Unabhängigkeit der humanitären Hilfe von der Außenpolitik ist ein wichtiges Prinzip des humanitären Völkerrechts. Gleichzeitig gibt es vonseiten der EU aber auch Bestrebungen, die humanitäre Hilfe stärker mit anderen Bereichen der Außenpolitik zu verzahnen. Inwiefern dies in Bezug auf das Zusammenspiel von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gelingt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Julian Bergmann, Niels Keijzer

I

Frontmatter
IndustriepolitikIndustriepolitik

Industriepolitik ist die staatliche Einflussnahme auf den industriellen Sektor. Ihr liegt die doppelte Erkenntnis zugrunde, dass erstens diesem Sektor in der längerfristigen Entwicklung von Ländern eine besondere Rolle zukommt und zweitens man diesen Sektor wegen hoher Konzentration und Innovationskraft nicht allein den Marktkräften überlassen kann. Ein hoher – zunächst steigender, später besonders in Industrieländern sinkender – Anteil der Industrie an der Volkswirtschaft eines Landes bestimmt seine Internationalisierung und globale Vernetzung. Das hat zuletzt auch der Aufholprozess asiatischer Länder gezeigt. Eine starke Industrie ist die Voraussetzung für das Europäische Wohlfahrtsmodell sowie die angestrebte Führungsrolle der Europäischen Union (EU) in Klimapolitik und Digitalisierung. Die EU hat durch seine Industrie zwar eine positive Außenhandelsbilanz, wird aber von den US-amerikanischen Großkonzernen und von China als nunmehr größte Industrienation herausgefordert.

Karl Aiginger
IntegrationstheorienIntegrationstheorien

Integrationstheorien sind Versuche, auf zentrale Fragen zur Entwicklung des politischen Systems der Europäischen Union (EU) eine Antwort zu finden. Was erklärt die historischen Erweiterungsrunden, was den erstmaligen Austritt eines Mitgliedstaats? Wie kommt es, dass die EU heute viel mehr als ein Wirtschaftsraum ist? Frühe Ansätze verfolgten weniger ein wissenschaftliches Interesse als vielmehr ein politisches Programm. Erst seit den 1960er-Jahren ist es primäres Ziel der Theoriebildung, die europäische Einigung zu erklären. Aus dieser Zeit stammen die beiden wesentlichen rivalisierenden Ansätze des Neo-Funktionalismus und Intergouvernementalismus. Über die Zeit wurden diese immer weiter differenziert und neue Erklärungsangebote kamen hinzu. Heute bedienen sich diese Angebote des kompletten Theorien- und Methodenkatalogs der Sozialwissenschaften.

Andreas Hofmann

J

Frontmatter
JugendpolitikJugendpolitik

Jugendpolitik ist kein eigenständiger Politikbereich der Europäischen Union (EU) und dennoch gibt es eine Reihe von Gemeinschaftspolitiken, die auf Jugendliche als Zielgruppe von Maßnahmen und Aktivitäten zielt. Europäische Jugendpolitik im weiteren Sinne kann somit als Querschnittspolitik der Bereiche angesehen werden, in denen Jugendliche besonders von den Maßnahmen betroffen sind. Hierzu zählen u. a. die Bildungs-, Sozial- und Beschäftigungspolitik. Im engeren Sinne bezieht sie sich auf die Fördermaßnahmen und Aktivitäten der EU, welche die grenzüberschreitende Jugendarbeit und den Jugendaustausch unterstützen und das europäische Bewusstsein bei Jugendlichen fördern, wie z. B. die EU-Jugendprogramme Erasmus+ JUGEND (2021–2027) und das Europäische Solidaritätskorps (2021–27). Durch den Vertrag von Lissabon (2009) wurde die Jugendpolitik deutlich gestärkt und mit der aktuellen EU-Jugendstrategie (2019–2027) nochmals in den Fokus europäischer Politik gerückt.

Barbara Tham
Justizielle Zusammenarbeit in StrafsachenJustizielle Zusammenarbeit in Strafsachen

Die Europäische Union (EU) verfügt über Kompetenzen zur Verwirklichung justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen und polizeilicher Zusammenarbeit. Hintergrund ist der insbesondere durch die Öffnung der Binnengrenzen gestiegene Handlungsdruck zur effektiven Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Inhaltlich beschäftigt sich die justizielle Zusammenarbeit v. a. mit der Koordinierung grenzüberschreitender Strafverfolgung und mit der Angleichung von Straftatbeständen mit Schwerpunkt auf schwerer grenzüberschreitender Kriminalität und Straftaten zulasten der finanziellen Interessen der EU. In den letzten Jahren hat die EU den Schutz von Verfahrensrechten der Beteiligten und den Opferschutz stärker in den Vordergrund gerückt und die Europäische Staatsanwaltschaft errichtet. Auf der polizeilichen Ebene hat sich Europol von einer eher koordinierenden Stelle immer mehr zu einer auch operativ tätigen Polizeibehörde gewandelt.

Peter-Christian Müller-Graff, Friedemann Kainer
Justizielle Zusammenarbeit in ZivilsachenJustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen

Die Europäische Union verfolgt im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts einen zu wesentlichen Teilen zur Effektivierung des Binnenmarkts fundierten Handlungsauftrag, um die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung in Zivil- und Handelssachen, aber auch im Familien- und Erbrecht zu ermöglichen und zu vereinfachen. Hierzu sieht das Primärrecht weitgehende Regelungskompetenzen vor, auf deren Grundlage eine große Anzahl von Verordnungen und Richtlinien erlassen wurde. Sie regeln die internationalen Zuständigkeiten von Gerichten, vereinfachen die Zusammenarbeit zwischen Gerichten, verbessern den Rechtsschutz insbesondere von Verbrauchern und vereinheitlichen weitgehend das internationale Privatrecht.

Peter-Christian Müller-Graff, Friedemann Kainer

K

Frontmatter
Katastrophenschutzpolitik

Die Europäische Union (EU) hat 2001 das Unionsverfahren für den Katastrophenschutz eingerichtet. Es soll die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in Fällen von Natur- und vom Menschen verursachten Katastrophen fördern und die Koordinierung der Hilfseinsätze zwischen den Mitgliedstaaten und der EU sowie der Hilfe für Drittstaaten erleichtern. Die Unterstützung erfolgt über das Emergency Response Coordination Centre (ERCC). Seit seiner Einrichtung hat es mehr als 420 Katastrophen unterstützt. Über die europäischen Grenzen hinaus wurde der Mechanismus im Jahr 2020 als Reaktion auf so verheerende Ereignisse wie die Überschwemmungen in der Ukraine, im Niger und im Sudan sowie die tropischen Wirbelstürme in Lateinamerika und Asien ausgelöst.

Stefan Pilz
Konferenz zur Zukunft EuropasKonferenz zur Zukunft Europas

Die vom Exekutivausschuss geleitete Konferenz zur Zukunft Europas bestehend aus Konferenzplenum, Bürgerforen und einer mehrsprachigen Online-Plattform startete am 9. Mai 2021. Als Ergebnis ihrer genau ein Jahr dauernden Beratungen legte sie in einem Abschlussbericht 49 Vorschläge mit über 320 konkreten Maßnahmen zur Reform der Europäischen Union (EU) vor. Über den Weg und den richtigen Zeitpunkt der Umsetzung wird seit Ende der Konferenz gestritten. Die Europäische Kommission machte Vorschläge zur Umsetzung einiger Empfehlungen im Rahmen ihrer Kompetenzen, das Europäische Parlament leitete ein ordentliches Vertragsänderungsverfahren ein und der Europäische Rat überlegt, wie die Ergebnisse umzusetzen sind. KritikerInnen der Konferenz heben hervor, dass es nicht gelang, eine EU-weite inklusive Debatte über die Zukunft der EU zu führen, während andere die erstmalige Durchführung von Online- und Präsenz-Bürgerforen, die simultan in alle EU-Amtssprachen übersetzt wurden, als gelungenes Demokratieexperiment betrachten.

Julian Plottka, Julina Mintel
Konzepte der IntegrationsforschungKonzepte der Integrationsforschung

Theorien europäischer Integration beschäftigen sich mit zwei Fragestellungen: Erstens, warum und inwieweit sind souveräne Staaten bereit, Teile ihrer politischen Autonomie aufzugeben, um an einem supranationalen Integrationsprojekt mitzuarbeiten? Zweitens, wie funktioniert eine supranationale Organisation und welche Effekte hat sie? Verschiedene Konzepte und Theorien konkurrieren um die überzeugendsten Antworten: Die klassischen Integrationstheorien (Neo-Funktionalismus und Intergouvernementalismus) bieten unterschiedliche Erklärungen für die europäische Integration. Ab den 1990er-Jahren wurde die Frage, wie die Europäische Union funktioniert, immer wichtiger. Konzepte wie Europäisierung oder „Multi-Level Governance“ beschäftigen sich u. a. mit dem Einfluss der Integration auf nationale Politiken. Schließlich brachte die immer kritischer werdende Öffentlichkeit die Europaforschung dazu, stärker den Einfluss der UnionsbürgerInnen auf Entscheidungsprozesse zu untersuchen.

Sabine Saurugger
Krieg in der UkraineKrieg in der Ukraine

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien, zwischen dem liberalen Westen und einem autoritären Russland. Er stellt die Europäische Union (EU) in mehrfacher Hinsicht vor immense außen- und innenpolitische Herausforderungen. Außenpolitisch ist die EU durch den Krieg mit neuen Realitäten konfrontiert, die Auswirkungen auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), Gemeinsame Sicherheits- und Verteilungspolitik (GSVP), Handels- und Sanktionspolitik sowie die Migrations- und Erweiterungspolitik haben. Innenpolitisch liegen die Herausforderungen in der Notwendigkeit institutioneller Reformen zur schnelleren Reaktion in Zeiten des Krieges, dem Erstarken des Rechtspopulismus sowie der geforderten europäischen Solidarität vor allem durch die kriegsbedingte Energiekrise.

Michèle Knodt, Claudia Wiesner
Krise in der EurozoneKrise in der Eurozone

Knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung 1999 geriet die Eurozone infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in existenzielle Nöte. Mehrere Mitgliedstaaten waren – aufgrund unterschiedlicher Probleme ihrer Finanz- und Wirtschaftssysteme – unmittelbar von einem Staatsbankrott bedroht. Um einen erzwungenen oder freiwilligen Austritt aus der gemeinsamen Währung zu vermeiden, der schlimmstenfalls ein Auseinanderbrechen der Eurozone insgesamt hätte auslösen können, standen jedoch nur begrenzt Maßnahmen zur Verfügung. Über mehrere Jahre hinweg gelang es zwar, die Eurozone zu stabilisieren. Der finanzielle wie auch politische Schaden für die Wirtschafts- und Währungsunion ist aber kaum abzusehen, während sich die verschiedenen umgesetzten Reformen erst noch in der Realität bewähren müssen.

Tobias Kunstein
KulturpolitikKulturpolitik

Die Tätigkeit der Europäischen Union (EU) im Bereich Kultur ergänzt die Kulturpolitik der Mitgliedstaaten. Art. 167 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bildet die rechtliche Grundlage für die Programme, Aktionen und Initiativen der EU, die zur Förderung der Kultur aufgelegt werden. Angestrebt wird insbesondere, das gemeinsame kulturelle Erbe Europas zu bewahren und anderen zugänglich zu machen sowie Kunst und Kreativwirtschaft in Europa zu fördern. Seit 2002 legen die Mitgliedstaaten die wichtigsten Themen und Arbeitsmethoden für die politische Zusammenarbeit im Kulturbereich durch Arbeitspläne für Kultur fest, die vom Rat der EU angenommen werden. Hinzu kommt als konzeptionelle Grundlage die „Agenda für Kultur der Europäischen Union“ mit der Offenen Methode der Koordinierung und dem Strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft. Die Zuständigkeit für die Aktionen und Förderprogramme liegt vor allem bei der Europäischen Kommission (Generaldirektion Bildung, Jugend, Kultur und Sport). Umgesetzt und verwaltet werden sie von der Europäischen Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur. In den teilnehmenden Ländern bieten „Creative Europe Desks“ als nationale Beratungsstellen vielfältige Informationsangebote an.

Otto W. Singer

L

Frontmatter
LateinamerikapolitikLateinamerikapolitik

Aufgrund der geringen Größe und des niedrigen Entwicklungsstandes vieler lateinamerikanischer Volkswirtschaften ist die Region kein Schwerpunkt der außenpolitischen Aktivitäten der Europäischen Union (EU). Die demokratische Verfasstheit vieler Staaten Lateinamerikas, deren teilweise Offenheit in Handelsbelangen wie auch gemeinsame politische Interessen haben jedoch dafür gesorgt, dass die EU heute ein engmaschiges Netz an vertraglichen Beziehungen bilateraler Natur sowie mit lateinamerikanischen Regionalorganisationen unterhält. Diese umfassen je nach regionalem Partner teilweise enge handelspolitische Beziehungen, den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und zahlreiche politische Dialog- und Kooperationsvorhaben. Die Beziehungen sind nicht statisch, sondern durch Versuche geprägt, diese zu intensivieren, bestehende Abkommen zu modernisieren und gänzlich neue insbesondere mit den Staaten des regionalen Integrationsmechanismus MERCOSUR abzuschließen.

Daniel Schade
LobbyingLobbying und InteressenvertretungInteressenvertretung

Brüssel gilt nach Washington D. C. als Hotspot professioneller Interessenvertretung. Dem Lobbying auf Ebene der Europäischen Union (EU) eilt jedoch ein schlechter Ruf voraus, da es aufgrund der unklaren Grenzen des Organisations- und Tätigkeitsfeldes schwer zu fassen ist. Dabei ist die legitime Einflussnahme ein integraler Bestandteil europäischer Entscheidungsfindungs- und Rechtssetzungsprozesse. Insgesamt trugen Integrations- und Erweiterungsdynamiken ebenso wie der institutionelle Handlungsrahmen zum Wachstum, zur Ausdifferenzierung und zur Professionalisierung bei. In der Folge vermehrter Kritik und öffentlicher Skandalisierung haben sich Europäische Kommission und Europäisches Parlament umfassende Transparenzpflichten, Verhaltensregeln und Ethikstandards auferlegt. Der Höhepunkt: Ein seit Juli 2021 verpflichtendes gemeinsames Transparenzregister, an dem sich auch der Rat der EU beteiligt.

Doris Dialer

M

Frontmatter
Mehrjährige Finanzrahmen (MFR)Mehrjähriger Finanzrahmen

Das wichtigste Instrument der europäischen Haushaltspolitik ist der mehrjährige Finanzrahmen (MFR), der vor der Aufnahme in das europäische Primärrecht mit dem Vertrag von Lissabon (2009) auch als finanzielle Vorausschau bezeichnet wurde. Bis dahin war der MFR ein Instrument des europäischen soft laws und beruhte lediglich auf einer interinstitutionellen Vereinbarung von Rat der EU, Europäischer Kommission und Europäischem Parlament. Mit dem MFR wird ein rechtlich verbindlicher Rahmen über die Budgetmittel vereinbart, die der Europäischen Union mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren zur Verfügung stehen. Der MFR legt die Verteilung auf die einzelnen Haushaltsrubriken und die einzelnen Haushaltsjahre fest und fixiert somit die Struktur und die Gewichtung der EU.

Peter Becker
MenschenrechteMenschenrechte und RechtsstaatlichkeitRechtsstaatlichkeit

Während ursprünglich Pläne für eine Europäische Politische Union Anfang der 1950er-Jahre dem Menschenrechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit ausdrücklich Aufmerksamkeit schenkten, fanden diese Aspekte in der letztendlich geschaffenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keine Erwähnung. Über die letzten Jahrzehnte wurde aber das Engagement der Europäischen Union (EU) für Menschenrechte (im Außenverhältnis) und für Grundrechte (im Innenverhältnis) kontinuierlich intensiviert. Während der Schwerpunkt anfangs im Außenbereich lag, ist seit dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der EU am 1. Dezember 2009 sichtbar, dass der Schutz von Grundrechten auch für die EU selbst von zentraler Wichtigkeit ist. Seit 2012 ist auch die Relevanz der Rechtsstaatlichkeit für den europäischen Integrationsprozess zunehmend in den Vordergrund getreten. Denn ohne die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze ist ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht aufrechtzuerhalten.

Gabriel N. Toggenburg
MigrationspolitikMigrationspolitik

Die Migrationspolitik der Europäischen Union (EU) zielt darauf ab, legale Einwanderung in die Union zu regeln und irreguläre Einwanderung zu unterbinden. Einwanderungsfragen werden oft in Zusammenhang mit nationalstaatlicher Souveränität diskutiert. Dies hat dazu geführt, dass die EU nur Teilaspekte der nationalstaatlichen Migrationspolitiken regelt. Die EU spielt in Fragen von Einwanderungsquoten und der Integration von MigrantInnen keine bzw. eine nur marginale Rolle. Die EU-Gesetze beschäftigen sich daher im Wesentlichen damit, die Rahmenbedingungen für die Aufnahme einzelner Einwanderungsgruppen wie StudentInnen oder SaisonarbeiterInnen einheitlicher zu gestalten. Eine zunehmend bedeutendere Rolle nimmt die EU bei der Bekämpfung von Schleusungskriminalität und der Zusammenarbeit mit Herkunftsländern ein. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit Nachbarländern wie der Türkei, „Migrationspartnerschaften“ mit afrikanischen Schwerpunktländern sowie eine Reihe von EU-Rückführungsabkommen sollen dazu beitragen, irreguläre Migration nach Europa einzudämmen.

Florian Trauner
MittelmeerpolitikMittelmeerpolitik

Die europäische Mittelmeerpolitik basiert auf dem 1995 initiierten Barcelona-Prozess und der darin begründeten Euro-Mediterranen Partnerschaft, die durch Gründung der Union für den Mittelmeerraum (UfM) im Jahr 2008 auf eine neue institutionelle Basis gestellt wurde. Sie ist eng mit der europäischen Nahostpolitik verknüpft. Darüber hinaus kooperieren die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten mit den Nachbarn im Mittelmeerraum in bilateralen Programmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik sowie in verschiedenen subregionalen Foren. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden regionalen Heterogenität und eskalierender Konflikte haben multilaterale Formate wie die UfM in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Thematisch konzentrieren sich die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Mittelmeerpolitik vor allem auf Migrationskontrolle und Terrorismusbekämpfung. Politische Reformen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte spielen angesichts dieser realpolitischen Prioritäten eher eine untergeordnete Rolle.

Simon Engelkes

N

Frontmatter
NahostpolitikNahostpolitik

Die Europäische Union (EU) sieht sich zwischen Mittelmeer und Persischem Golf mit fragilen Staaten, verschiedensten Konflikten und regionaler Instabilität konfrontiert. Durch ihre Nahostpolitik versucht sie, einen Beitrag zur Stabilisierung ihrer südöstlichen Nachbarschaft zu leisten. Mit Blick auf den Nahostkonflikt, den syrischen Bürgerkrieg sowie die Rivalität zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist es der EU jedoch bisher nicht gelungen, ihre politische und wirtschaftliche Macht konstruktiv zu nutzen und auf eine Beilegung dieser Konflikte hinzuwirken. So beschränkt sie sich darauf, die humanitären Folgen bewaffneter Auseinandersetzungen in der Region – insbesondere in Syrien – zu lindern. Zudem versucht sie, die wenigen, in komplexen und langwierigen Verhandlungen erzielten Übereinkommen zu regionalen Herausforderungen wie das internationale Atomabkommen mit dem Iran oder das Grundprinzip der Zweistaatenlösung zur Beilegung des Nahostkonflikts aufrechtzuerhalten. Das Einfordern bzw. die Förderung innerstaatlicher Reform- und Demokratisierungsprozesse spielen in Anbetracht der regionalen Konfliktlage kaum mehr als eine deklaratorische Rolle in der europäischen Nahostpolitik.

Simon Engelkes
Nationale ParlamenteNationale Parlamente

Der Integrationsprozess in der Europäischen Union (EU) wirkt sich auf die politischen Systeme der Mitgliedstaaten und die Rolle ihrer Parlamente im politischen Entscheidungsprozess aus. Daher wurde auf nationaler und europäischer Ebene eine Reihe von Instrumenten und Organen geschaffen, damit die nationalen Parlamente für eine wirksame demokratische Kontrolle europäischer Entscheidungen sorgen können. So entstanden, überwiegend in den 1990er-Jahren, in den nationalen Parlamenten Ausschüsse für europäische Angelegenheiten. Im Vertrag von Lissabon (2009) erhielten die nationalen Parlamente dann u. a. spezifische Rechte, um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die Europäische Kommission zu kontrollieren. Außerdem finden bereits seit Jahren regelmäßig und zunehmend in digitaler Form interparlamentarische Konferenzen und Treffen statt, die dem Informations- und Meinungsaustausch mit dem Europäischen Parlament dienen. Die nationalen Parlamente wurden somit zu eigenständigen Akteuren im Mehrebenensystem der EU.

Valentin Kreilinger
NATONATO

Die NATO ist ein zentraler Pfeiler in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des europäischen Kontinents. Sie wird aufgrund ihres über 70-jährigen Bestehens oftmals als „erfolgreichste Militärallianz der Geschichte“ bezeichnet, da sie als einziger Regionalpakt das Ende des Ost-West-Konflikts überlebt hat. Ihre Fähigkeit, sich an neue sicherheitspolitische Anforderungen anzupassen, hat zu ihrer fortwährenden Relevanz maßgeblich beigetragen. Dabei versteht sich die NATO nicht hauptsächlich als militärische Allianz, sondern vielmehr als ein mit militärischen und atomaren Fähigkeiten ausgestattetes politisches Bündnis, das auf geteilten Werten wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit fußt.

Jéronimo L. S. Barbin

O

Frontmatter
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation mit 57 Teilnehmerstaaten aus Europa, Nordamerika und Asien. Die OSZE ging 1994 aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervor und unterstützte die Beilegung des Ost-West-Konflikts. Dabei haben sich die Teilnehmerstaaten auf politische Verpflichtungen und Prinzipien geeinigt, um ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Ziel der OSZE ist der Aufbau und die Sicherung von Stabilität, Frieden und Demokratie durch politischen Dialog und praktische Arbeit. Damit zählen Konfliktverhütung und -bearbeitung und Friedensförderung zu ihren zentralen Aufgaben. Das Sicherheitsverständnis der OSZE geht über politisch-militärische Fragen hinaus und schließt Wirtschafts- und Umweltfragen sowie Menschenrechte und Grundfreiheiten mit ein. Umgesetzt wird dies durch Feldmissionen, Wahlbeobachtung und Projektbüros.

Mayely Müller
Östliche PartnerschaftÖstliche Partnerschaft

Mit der Initiative der Östlichen Partnerschaft (ÖP) gestaltet die Europäische Union ihre Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Republik Moldau und Ukraine. Ziel ist es, die politische und wirtschaftliche Kooperation unter dem Bekenntnis gemeinsamer Werte zu vertiefen, ursprünglich, ohne eine konkrete Beitrittsperspektive zu bieten. Die Intensität der Beziehungen variiert dabei stark zwischen den einzelnen Nachbarstaaten. Die ÖP ist neben der Union für den Mittelmeerraum eine weitere regionale Ausdifferenzierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik.

Katrin Böttger, Laura Worsch

P

Frontmatter
Politisches System der EUPolitisches System der EU

Die Europäische Union (EU), wie wir sie heute kennen, kann und sollte als ein politisches System verstanden werden. Sie verfügt über eine stabile institutionelle Architektur mit einem ausgereiften Regelwerk, über die verbindliche Entscheidungen mit unmittelbarer Wirkung für die Mitgliedstaaten und BürgerInnen getroffen werden. Die EU berührt inzwischen alle konventionellen Bereiche staatlichen Handelns und des alltäglichen Lebens der EU-BürgerInnen, etwa Fragen des Umwelt- und VerbraucherInnenschutzes sowie der Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Über institutionalisierte Mechanismen, insbesondere die Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch über informelle Wege, wie die Arbeit von Interessengruppen, können BürgerInnen verstärkt Einfluss auf die auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen nehmen. Insgesamt zeichnet sich das politische System der EU durch seine ausgeprägte institutionelle und prozedurale Komplexität aus, die oftmals mit der Kritik der mangelnden Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung einhergeht.

Johannes Müller Gómez, Wolfgang Wessels

R

Frontmatter
Rat der EURat der EU

Der Rat der Europäischen Union (EU), auch Ministerrat oder Rat genannt, dient im politischen System der EU der Repräsentation der Mitgliedstaaten und ist eines der Hauptorgane der Union. Er setzt sich aus je einem/r VertreterIn pro Mitgliedstaat auf Ministerebene zusammen. Obwohl der Rat der EU ein einheitliches Organ ist, trifft er sich je nach Politikbereich in verschiedenen Zusammensetzungen. Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es zehn unterschiedliche Ratsformationen. Hier entscheidet der Rat in allen wichtigen Fragen der Gesetzgebung der EU und des Haushalts sowie über den Abschluss internationaler Verträge, ggf. je nach Vertragsgrundlage gemeinsam mit dem Europäischen Parlament. In den meisten Fällen erfolgen die Abstimmungen im Rat mit qualifizierter Mehrheit, wobei die Mitgliedstaaten in der Regel in der Praxis dennoch Konsens anstreben.

Nicolai von Ondarza
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des RechtsRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Die Zusammenarbeit der Europäischen Union (EU) in den Bereichen Justiz und Inneres verfolgt die Zielsetzung, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) zu schaffen und zu wahren. Dieser Raum umfasst politisch hochsensible Politikfelder wie Terrorismusbekämpfung, Migrationsfragen und Grenzschutz. Der RFSR stellt dementsprechend auch ein spezielles Regime auf EU-Ebene dar, denn die Mitgliedstaaten erlaubten der Europäischen Kommission und dem Europäische Parlament nur schrittweise, sich mehr als nur beratend in die Gesetzgebung einzubringen. Auch nehmen EU-Agenturen wie das Europäische Polizeiamt Europol oder die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex eine bedeutende Rolle ein. Sie unterstützen die Zusammenarbeit von nationalen Strafverfolgungsbehörden und erleichtern den europaweiten Austausch von polizeilichen Erkenntnissen und Daten. In der jüngeren Vergangenheit sind in der EU polarisierende Debatten über die Zusammenarbeit im Rahmen des RFSR aufgekommen. Diese betreffen vor allem den Umgang der EU mit der Terrorgefahr und der Migrationsherausforderung sowie die Verletzung europäischer Grundwerte und Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit durch einzelne Mitgliedstaaten.

Florian Trauner
RechnungshofRechnungshof

Der Rechnungshof der Europäischen Union hat die Aufgabe, die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Union zu prüfen. Er besteht aus einem Staatsangehörigen je Mitgliedstaat mit besonderer Eignung für das Amt und übt seine Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Union aus. Die Mitglieder werden vom Rat der Europäischen Union nach Anhörung des Europäischen Parlaments auf sechs Jahre ernannt. Prüfungsmaßstab sind die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben sowie die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung. Die Rechnungsprüfung erfolgt grundsätzlich nachträglich, aber auch als „mitlaufende“ Kontrolle bei den Unionsinstitutionen und in den Mitgliedstaaten. Der Rechnungshof berichtet jährlich über die Prüfungsergebnisse, insbesondere auch über Unregelmäßigkeiten, und gibt dazu eine Erklärung über die Zuverlässigkeit der Rechnungsführung ab. Der Jahresbericht wird den anderen Unionsorganen vorgelegt und im Amtsblatt der Union zusammen mit den Antworten der Organe veröffentlicht.

Siegfried Magiera
RegionenRegionen und KommunenKommunen in der EU

Das Handeln von Regionen und Kommunen wird heute in vielfältiger Weise von Vorgaben der Europäischen Union (EU) beeinflusst. Bei Gründung der Europäischen Gemeinschaften in den 1950er-Jahren waren die Regionen als mögliche Hilfeempfänger der späteren Regionalpolitik in den Gründungsverträgen allerdings nur sehr indirekt berücksichtigt worden. Die Kommunen blieben völlig außen vor. Regionale und kommunale VertreterInnen beklagten damals häufig die „Regionen- bzw. Kommunenblindheit“ der europäischen Ebene. Dies hat sich seither deutlich verändert. Vor allem der Vertrag von Maastricht (1993) brachte mit der Einrichtung des Ausschusses der Regionen sowie mit der rechtlichen Verankerung des Subsidiaritätsprinzips wesentliche Positionsverbesserungen. Seit dem Vertrag von Lissabon (2009) muss die EU in ihrem Handeln zudem die regionale und kommunale Selbstverwaltung in besonderer Weise achten.

Otto Schmuck

S

Frontmatter
Schengen-Raum

Der Schengen-Raum ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Union (EU), da er für einen Raum ohne Grenz- und Zollkontrollen und damit für das Recht auf Freizügigkeit für alle EU-BürgerInnen steht. Der Schengen-Raum ist allerdings auch immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die seine Funktionsweise erschweren. Jüngst waren das die unkoordinierte Wiedereinführung von temporären Grenzkontrollen durch einige Mitgliedstaaten 2020 und 2021 aufgrund der COVID-19-Pandemie. Im September 2020 stellte die Europäische Kommission ein neues Asyl- und Migrationspaket vor, das umfassende Änderungen zum Schengen-Raum enthält. Trotz des Umfangs sowie der Detailtiefe des Asyl- und Migrationspakets bleibt offen, wie die Vorschläge erfolgreich umgesetzt werden können.

Vittoria Meißner
Sozialpolitik

Ziel der europäischen Sozialpolitik ist es, die Arbeits- und Lebensbedingungen der EU-BürgerInnen zu verbessern, einen angemessenen Sozialschutz, den sozialen Dialog und ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau zu ermöglichen sowie die soziale Aufwärtskonvergenz zu fördern. Dadurch soll die primär wirtschaftlich durch den Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsunion geprägte Integration der Europäischen Union eine „soziale Dimension“ erhalten. Neben institutionellen und sozioökonomischen Unterschieden erschwert das Beharren auf nationaler Souveränität in der Sozialpolitik die Definierung von Elementen eines Europäischen Sozialmodells. In der Folge der Eurokrise wurde die Nachrangigkeit der sozialen gegenüber der wirtschaftlichen Integration besonders deutlich. Die 2017 erfolgte Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte gilt als Gegenreaktion für eine ausgewogenere Beachtung sozialer Belange in der Praxis europäischer Politikkoordinierung. Mit der COVID-19-Pandemie erfährt die grenzüberschreitende Sozialpolitik neue Aufmerksamkeit.

Björn Hacker
Sportpolitik

Die europäische Sportpolitik umfasst sowohl Aktivitäten der Institutionen und Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) als auch Maßnahmen der europäischen Sportdachverbände und der nationalen Sportorganisationen. Eine eigene vertragsrechtliche Grundlage zur Gestaltung europäischer Sportpolitik erhielt die EU mit Art. 165 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Version des Vertrags von Lissabon. Dieser weist der EU koordinierende und unterstützende Kompetenzen in der Sportpolitik zu. Darüber haben die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Bestimmungen des EU-Rechts – v. a. zum Binnenmarkt – die ökonomische Dimension des Sports maßgeblich geprägt. Als Folge anhaltender Wachstums- und Differenzierungsprozesse ist die europäische Sportpolitik durch erhebliche Dynamik, aber auch durch zunehmende Komplexität gekennzeichnet.

Jürgen Mittag
Struktur- und Regionalpolitik

Die europäische Struktur- und Regionalpolitik ist in haushaltspolitischer Hinsicht und in ihrer politischen Bedeutung zu einer tragenden Säule des Integrationsprozesses geworden. Anders als zu Beginn wird ihre Legitimation heute nicht mehr angezweifelt. Stattdessen geht es um folgende Fragen: Wie kann die Fragmentierung der Vorschriften für die verschiedenen Mittel der Europäischen Union (EU) überwunden werden? Wie können Ziele auf strategischer Ebene verknüpft werden, um Synergien zu generieren? Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um eine effektive und nachhaltige Kohäsion zu erreichen? Zudem geht es im Spannungsfeld zwischen EU, Mitgliedstaaten, Regionen, programmumsetzenden Stellen und Nichtregierungsorganisationen um die Deutungshoheit des Grundwertes der Solidarität, die die europäische Struktur- und Regionalpolitik umklammert.

Ines Hartwig
SubsidiaritätSubsidiarität

Das Subsidiaritätsprinzip ist heute eine wesentliche Grundlage der Kompetenz- und Aufgabenverteilung zwischen Europäischer Union (EU) und Mitgliedstaaten. Nach Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) „wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“ Zudem wird in der Präambel sowie in den Art. 1 und 10 EUV betont, dass Entscheidungen in der EU möglichst offen und bürgernah getroffen werden sollen. Protokoll Nr. 2 EUV regelt die Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips in der Praxis. Von Bedeutung ist daneben das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das festlegt, dass die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge hinausgehende Maß hinausgehen dürfen.

Otto Schmuck

T

Frontmatter
Tourismuspolitik

Tourismus ist sowohl für viele Mitgliedstaaten als auch für die Europäische Union (EU) ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Bedeutung für die einzelnen Mitgliedstaaten variiert jedoch stark. Hervorstechend ist, dass die meisten Unternehmen im Tourismussektor der EU kleine und mittelständische Unternehmen sind. Die EU darf die Mitgliedstaaten in der Tourismuspolitik (nur) unterstützen und Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzen. Im Haushalt der EU ist hierfür kein eigenes Budget vorgesehen. Jedoch stellt die EU über verschiedene Finanzprogramme Mittel für Investitionen bereit. Hierdurch will sie v. a. die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Tourismusbranche fördern. Eine ganze Reihe tourismuspolitischer Initiativen der EU unterstützen aber auch Regionen oder unterschiedliche Personengruppen. Die Europäische Kommission erarbeitet derzeit eine Tourismusagenda 2030. Darüber hinaus soll die langfristige Tourismuspolitik der EU im Rahmen eines europäischen Tourismuskonvents ausgearbeitet werden und in einer Europäischen Tourismusagenda 2050 münden.

Patrick Stockebrandt
Transatlantische Beziehungen

Der Begriff der transatlantischen Beziehungen bezeichnet die seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsene Partnerschaft zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten. Diese Beziehungen sind in gleichem Maße eine Interessengemeinschaft auf den Gebieten der Diplomatie, Verteidigung und Wirtschaft sowie eine Wertegemeinschaft, die auf einem liberalen Demokratieverständnis, Rechtsstaatlichkeit und freier Marktwirtschaft beruht. Sie umfassen unterschiedlich stark institutionalisierte Formen der Kooperation, entweder in Gestalt bilateraler Beziehungen oder im multilateralen Rahmen (vor allem innerhalb der NATO, aber auch zwischen der Europäischen Union und den USA). Auf gesellschaftlicher Ebene zeichnen sich die Beziehungen durch ein vielfältiges Geflecht an wirtschaftlicher Interdependenz, kulturellem Austausch und zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit aus. Die transatlantischen Beziehungen grenzen sich somit von ihrer internationalen Umwelt durch eine besonders hohe politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Interaktionsdichte ab und sind ein Beispiel für Regionalismus in der internationalen Politik.

Kai Oppermann

U

Frontmatter
Umwelt- und Klimapolitik

Die Umwelt- und Klimapolitik der Europäischen Union (EU) befasst sich mit der physischen Umwelt des Menschen. Sie verfolgt einen Umweltmedienansatz (Konzentration auf Wasser, Klima, Luft und Boden) und hat sich einem hohen Umweltschutzniveau verpflichtet. Ihr allgemeines Ziel ist es, die Umweltqualität zu verbessern, Ressourcen nachhaltig zu nutzen und die EU-Mitgliedstaaten umweltpolitisch weiterzuentwickeln. Sie integriert Umweltbelange in andere Politikbereiche und dient dem Schutz von Umwelt und Natur sowie der Gesundheit des Menschen. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Klimapolitik. Der Verpflichtung der EU zu globalem Umweltschutz und multilateraler Kooperation folgend, zielt diese darauf ab, Treibhausgasemissionen zu verringern, um den Klimawandel zu bekämpfen. Der Europäische Green Deal verbindet Umwelt-, Klima-, Kohäsions-, Industrie- und Wirtschaftspolitik programmatisch miteinander und strebt die Transformation zu einem öko-sozialen Wirtschaftsmodell an.

Gaby Umbach
Unionsbu¨ rgerschaft

Die Unionsbürgerschaft tritt seit 1992 zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht. Die Personenfreizügigkeit für ArbeitnehmerInnen und das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit waren 1951 Ausgangspunkt für die Entwicklung der Unionsbürgerrechte und stellen bis heute ihren Kern dar. Inzwischen gehen diese aber weit darüber hinaus und lassen sich in drei Kategorien einteilen: Freiheits-, politische Gestaltungs- und Schutzrechte. Zwar ist bis heute ihr Nutzen für UnionsbürgerInnen am größten, die von der Personenfreizügigkeit Gebrauch machen, der Gerichtshof der Europäischen Union hat der Unionsbürgerschaft inzwischen aber einen „Kernbereich von Rechten“ zugesprochen, der auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar ist.

Julian Plottka

V

Frontmatter
Verbraucherpolitik

Die Verbraucherpolitik der Europäischen Union (EU) unterstützt, ergänzt und überwacht jene der Mitgliedstaaten. Indem sie die Funktionsfähigkeit und die effektive Nutzung des europäischen Binnenmarkts unterstützt, soll sie die wirtschaftliche Entwicklung sowie Integration der EU befördern. Mit der Verbesserung des Verbraucherschutzniveaus hat sie darüber hinaus eine unmittelbare Zielsetzung. Es gilt, VerbraucherInnen wirksam vor Risiken und Gefahren zu schützen sowie ihre Rechte zu stärken, um in komplexen Märkten agieren zu können. Insgesamt ist die Verbraucherpolitik eine Querschnittsaufgabe, die in vielen anderen Politikbereichen präsent ist. Fortschritte im Verbraucherschutz wurden in der Vergangenheit immer wieder durch Krisen und Skandale erzielt. Hier reiht sich die Klimakrise ein, welche die Verbraucherpolitik grüner und nachhaltiger machen dürfte.

Remi Maier-Rigaud
Verkehrspolitik

Zu den Zielen der Verkehrspolitik der Europäischen Union (EU) zählen die Herstellung, Bewahrung und Verbesserung des Binnenmarkts im Bereich des internationalen und transnationalen Verkehrs. Die mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit umfasst den Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr sowie die Seeschiff- und Luftfahrt. Neben einem wirtschaftspolitischen Schwerpunkt will die EU durch die Verkehrspolitik technische Standards harmonisieren, arbeitsrechtliche Normen durchsetzen und ökologische Aspekte integrieren.

Sebastian Schäffer
Vertragsverletzung

Die Europäische Union (EU) versteht sich als Rechtsgemeinschaft, in welcher EU-Recht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten, korrekt angewandt und umgesetzt werden soll. Als solche hat sie Verfahren und Institutionen geschaffen, die dies sicherstellen. Dadurch sollen Vertragsverletzungen, also Verstöße gegen die sich aus den EU-Verträgen ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, verhindert bzw. behoben werden. Verstöße resultieren in der Regel aus der mangelnden Bereitschaft oder der mangelnden Fähigkeit eines Mitgliedstaates, sich an EU-Recht zu halten. Kommt es zu Vertragsverletzungen, spielen die Kommission als „Hüterin der Verträge“ und der Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen der Vertragsverletzungsverfahren und -klagen eine entscheidende Rolle. Die bestehenden Mechanismen haben aber auch Defizite, wie bspw. das Verfahren zum Schutz der europäischen Grundwerte (Art. 7 EUV) zeigt.

Johannes Müller Gómez

W

Frontmatter
Wahlen zum Europäischen Parlament

Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden alle fünf Jahre statt, die letzten zwischen dem 23. und 26. Mai 2019. Nach dem effektiven Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union trat die zuvor vereinbarte Regelung über die Neuberechnung der Abgeordnetensitze sowie Nachbesetzung der frei gewordenen Sitze in Kraft. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden für jeden Mitgliedstaat getrennt gewählt. Wahlberechtigt sind UnionsbürgerInnen an ihrem Wohnsitz oder in ihrem Herkunftsland. Gemäß dem geltenden Europawahlakt wird in allen Staaten nach dem Verhältniswahlsystem auf der Grundlage von Listen oder von übertragbaren Einzelstimmen gewählt. Bis zum Inkrafttreten des im Juli 2018 erlassenen Europäischen Wahlakts anlässlich der Europawahlen 2024 variieren die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Wahlkreise, die Schwellenwerte bzw. Sperrklauseln und das Wahlalter erheblich.

Andreas Maurer
Währungspolitik

Währungspolitik stellt durch Steuerung das Funktionieren einer Währung sicher. In den letzten Jahrzehnten haben viele industrialisierte Staaten die Verantwortung für die Währung in die Hände von Zentralbanken gelegt, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben über ein hohes Maß an Unabhängigkeit von ihrer jeweiligen nationalen Regierung verfügen. Die Währungspolitik in der Eurozone, d. h. denjenigen (derzeit 19) Mitgliedstaaten der EU, die den Euro eingeführt haben, obliegt seit 1999 der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB ist im Rahmen ihres Mandats ebenfalls sehr unabhängig, auch wenn sie sich in der Wechselkurspolitik die Kompetenzen mit dem Rat der EU teilt. Die Tatsache, dass die EZB für die gemeinsame Währung mehrerer Nationalstaaten zuständig ist, die ihrerseits in vielen Politikbereichen weitgehend souverän sind, ist ein weltweites Alleinstellungsmerkmal.

Tobias Kunstein
WeltraumpolitikWeltraumpolitik

Die Weltraumpolitik der Europäischen Kommission ist ein strategisches Instrument ihrer Forschungs- und Technologiepolitik (FTE-Politik). Diese wiederum ist Teil einer langjährigen Modernisierungs- und Wettbewerbsstrategie der Europäischen Union (EU). Sie soll das wirtschaftliche Wachstum stärken, Arbeitsplätze schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie festigen. Obwohl die Weltraumpolitik ursprünglich rein zivilen Zwecken dienen sollte, wird ihre Ausdehnung auf militärische und polizeiliche Zwecke etwa im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zunehmend erwogen und diskutiert. Die EU betreibt ihre Raumfahrtpolitik mit Blick auf die konkurrierenden Weltraumnationen USA, Russland, China und Indien seit Anfang des 21. Jahrhunderts energisch und hat sie in den 2010er-Jahren vertragsrechtlich, institutionell und operativ konsequent umgesetzt. Heute gilt sie mit Blick auf Flaggschiffprojekte wie Galileo oder EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay Service) als effektives Politikfeld, das neben seinen eigenen genuinen Zielen auch industrie-, wirtschafts-, sicherheits- und technologiepolitischen Zwecken dient.

Jürgen Turek
Wettbewerbspolitik

Die europäische Wettbewerbspolitik zielt auf einen möglichst unverfälschten Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt. Dafür setzt sie auf einheitliche Vorschriften für die Mitgliedstaaten und bündelt nationale und europäische Kartell- und Monopolaufsichten mit der Fusions- und Beihilfenaufsicht. Die Europäische Union ist über die Europäische Kommission in allen Bereichen tätig. Seit der Finanzkrise Ende der 2000er-Jahre bilden die staatliche Beihilfenkontrolle und die Kartell- und Monopolaufsicht einen Schwerpunkt der europäischen Wettbewerbspolitik. Herausforderungen sind dabei deren Anwendung angesichts schwerer Wirtschaftskrisen sowie die Begrenzung zunehmender Marktmacht von Unternehmen in digitalen Märkten.

Holger Friedrich
Wirtschaftspolitik

Eine europäische Wirtschaftspolitik im Sinne einer gemeinschaftlichen Gestaltung oder Steuerung gibt es in der Europäischen Union bislang nicht. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch ein System der wirtschaftspolitischen Koordinierung herausgebildet. Mit dem Ziel, die gemeinsame Währung zu stabilisieren, wurden nach der Etablierung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die Felder der Koordinierung sukzessive ausgeweitet. Im Kontext der Finanz- und Eurokrise sind die Koordinationsverfahren stärker institutionalisiert und verzahnt worden, bevor im Management der COVID-19-Pandemie weitere Instrumente und Ressourcen mobilisiert wurden. Die WWU scheint eine schrittweise Supranationalisierung wirtschaftspolitischer Kompetenzen und Ressourcen mit sich zu bringen.

Hans-Jürgen Bieling
Wirtschafts- und Wa¨hrungsunion

Die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ist der bislang ambitionierteste und – durch den Euro als gemeinsame Währung – sichtbarste Teilbereich der europäischen Integration. Die WWU soll den wirtschaftlichen Wohlstand aller EU-BürgerInnen erhalten und mehren, über stabile Preise und den Wegfall von Wechselkursschwankungen die wirtschaftliche Aktivität von Haushalten und Unternehmen befördern, den europäischen Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten (freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital) vertiefen und die Europäische Union (EU) zu einer international wettbewerbsfähigen Region machen. Auch wenn die EU im Bereich Wirtschaft und Währung große Fortschritte bis hin zur Schaffung des Euro gemacht hat, bleibt die WWU in vielerlei Hinsicht unvollendet. Eine der jüngeren Herausforderungen stellt die Integration der Finanzmärkte in der EU dar, deren Zersplitterung und mangelnde grenzüberschreitende Regulierung zu den Ursachen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 zählen.

Tobias Kunstein

Z

Frontmatter
Zentralasienpolitik

Seit Anfang der 1990er-Jahre hat die Europäische Union (EU) ihr Engagement in Zentralasien fortwährend intensiviert und thematisch erweitert. Sie richtete Vertretungen in Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan ein, erhöhte Fördermittel, initiierte Projekte und rief bilaterale sowie regionale Kooperationsformate ins Leben. Den Rahmen für das Engagement der EU in der Region setzt die Zentralasienstrategie von 2019, welche das ursprüngliche Dokument aus dem Jahr 2007 ersetzt. Zuletzt stand die Zentralasienpolitik der EU im Zeichen der COVID-19-Pandemie und rückte angesichts der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine seit Februar 2022 vermehrt in den Hintergrund. Größere Entwicklungsschritte blieben in den bilateralen Beziehungen infolgedessen aus.

Katrin Böttger, Yvonne Braun
Zusta¨ndigkeiten: Kompetenzen und Instrumente

Die Europäische Union (EU) und die mit ihr institutionell verklammerte Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) zeichnen sich gegenüber anderen internationalen Organisationen (z. B. der Welthandelsorganisation, WTO) durch ihre supranationalen Befugnisse aus. Sie sind sachgegenständlich breit gefächert und können instrumentell eine dem nationalen Recht vergleichbare Bindungskraft entfalten. Allerdings ist die EU zur Durchsetzung ihrer legitimierten Maßnahmen gegen Widerstände auf die loyale Assistenz des jeweiligen mitgliedstaatlichen Gewaltmonopols angewiesen. Die im Vertrag über die Europäische Union (EUV) geregelte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sowie die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik verbleiben weitgehend oder in wesentlichen Punkten in den Formen intergouvernementaler Zusammenarbeit.

Peter-Christian Müller-Graff, Friedemann Kainer

Chronologie – Europa von A bis Z

Frontmatter
Chronologie

Diese Chronologie gibt detailliert Auskunft über die zentralen Etappen der europäischen Integration – von 1946 bis heute.

Sabine Hoscislawski, Katharina Birjukov
Backmatter
Metadaten
Titel
Europa von A bis Z
herausgegeben von
Werner Weidenfeld
Wolfgang Wessels
Funda Tekin
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-41005-6
Print ISBN
978-3-658-41004-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41005-6

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