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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Mit agilem Mindset zur Resilienz

Wie Initiativen zur Agilisierung gestaltet sein müssen, um zu gelingen

verfasst von : Alexander Hunziker, Carole Steiner

Erschienen in: Resilienz durch Organisationsentwicklung

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden fünf mehr oder weniger erfolgreiche Agilisierungsprojekte untersucht. Die Analyse dieser fünf Wege zu mehr Agilität und organisationaler Resilienz ergab, dass die agilen Methoden an sich kaum ein Problem darstellen, aber dass Verbesserungspotenzial in drei Bereichen besteht. Erstens haben sich einige Organisationen durch den Aufbau ihres Changeprojektes in eine schwierige Lage gebracht. Zweitens musste die Beteiligung der Mitarbeitenden neu gedacht werden, weil Führungskräfte paradox gefordert sind: Sie sollten gerade wegen der Verunsicherung ihre Führungsrolle explizit wahrnehmen, aber gleichzeitig sollten sie Führung abgeben – anderenfalls findet keine Selbstorganisation und somit keine wirkliche Agilisierung statt. Drittens zeigte sich, dass „Inner Work“ von entscheidender Bedeutung ist. Gemeint ist damit die Entwicklung auf individueller Ebene und auf Ebene der Teamkultur, um Teams zu befähigen, mit den wegfallenden äußeren Strukturen zielführend umzugehen.

7.1 Einleitung

Agilität und Digitalisierung sind zentrale Themen für Unternehmen und Verwaltungen. Während Start-ups mit digitalen Geschäftsmodellen und einem agilen Selbstverständnis in dem Markt drängen, tun sich etablierte Unternehmen und öffentliche Verwaltungen eher schwer, agiler und digital affiner zu werden. Das ist wenig verwunderlich. Sie weisen hierarchische Strukturen auf, denn sie sind auf Effizienz ausgerichtet und nicht auf Agilität (Kotter, 2014, S. 13). Besonders Verwaltungen haben für Stabilität und Verlässlichkeit zu sorgen und sind weniger starkem Innovations- und Konkurrenzdruck ausgesetzt (Bartonitz et al., 2018, S. 41). In der zunehmend komplexen Welt erweisen sich aber herkömmliche Arbeitsformen und hierarchische Strukturen als ungeeignet. Einerseits sind hierarchische Strukturen nur mit großem Aufwand veränderbar und folglich strukturell träge. Andererseits bieten sie nur geringe Möglichkeiten für Mitarbeitende, sich im Interesse der Organisation situationsgerecht und kreativ zu engagieren. Im Gegenteil, durch administrative Vorgaben entstehen als sinnlos empfundene Arbeiten, die von der eigentlichen Aufgabe abhalten. Daraus resultiert ebenfalls motivationale Trägheit, welche die Reaktionsfähigkeit der Organisation schwächt. Diese kann sich selbst weiter verstärken, wenn in der Folge vorwiegend Mitarbeitende und Führungskräfte mit Sinn für Autonomie und Selbstorganisation frustriert werden und kündigen. Der Fachkräftemangel und das Fehlen von geeignetem Nachwuchs werden damit akzentuiert (Breidenbach & Rollow, 2019, S. 13). Es steht also viel auf dem Spiel.
Man möchte nun meinen, dass bewährte Modelle des Changemangements zur Verfügung stünden, um den erforderlichen Wandel zu bewältigen. Praktische Erfahrungen zeigen aber, dass dies nicht der Fall ist. Mit der Einführung von neuen Instrumenten ist es auf jeden Fall nicht getan. Selbst eine sorgfältige Einführung neuer Methoden greift zu kurz, weil damit die erhoffte systemverändernde Wirkung nicht zu erzielen ist. Die bekannten Methoden des Changemanagements könnten Teil des Problems sein (Laloux, 2014, S. 4). Bei dieser Problemlage setzt die vorliegende Forschungsarbeit an.

7.2 Zielsetzung

Es wird untersucht, wie der Wandel in Unternehmen resp. Organisationen hin zu mehr Agilität gelingt. Dabei interessieren vor allem psychologische Faktoren im Zusammenspiel mit Strukturen neuer Technologien. Speziell das Entwickeln eines „agilen Mindsets“ steht im Fokus, weil sich aus bisherigen Erfahrungen vermuten lässt, dass dies besonders schwierig und entscheidend ist.
Durch das Erheben von fünf mehr oder weniger erfolgreichen Agilisierungsprojekten im Rahmen von Fallstudien werden Erfahrungen mit verschiedenen Vorgehensweisen transparent gemacht. Durch eine vergleichende Analyse werden Erkenntnisse erarbeitet, die zu handlungsorientierten Schlussfolgerungen für das Gestalten von Agilisierungsprojekten führen.

7.3 Theoretische Einbettung

In diesem Abschnitt werden die relevanten Konzepte erläutert, anhand derer die Interviews zu den Fallstudien geführt und später ausgewertet werden. Es sind dies Agilität, Inner Work, Führungsverständnis, Organisationskultur und Technologie.

7.3.1 Agilität

Ausgegangen wird von der Feststellung, dass die Welt zunehmend als volatil, unsicher, komplex und ambivalent wahrgenommen wird (VUKA) und die Digitalisierung dafür ein wichtiger Treiber ist (Heller, 2019, S. 51). In diesem Umfeld entsteht Resilienz durch Agilität: Unternehmen verkraften Krisen gut und rasch (Resilienz), indem sie fähig sind, sich an nicht vorhergesehene Veränderungen anpassen zu können (Agilität) (Baltes & Freyth, 2017; Schmid, 2019).
Damit agile Arbeitsformen wirklich funktionieren, sind aber nicht nur entsprechende Instrumente und Abläufe wichtig, sondern – wie verschiedene Autoren postulieren – weiche Faktoren (Hofert, 2018; Laloux, 2014; Breidenbach & Rollow, 2019). Hervorgehoben wird das „agile Mindset“, verstanden als eine bestimmte Denklogik, welche „(…) beweglich ist und jederzeit in der Lage ist, sich ein Update aufzuspielen, wenn bessere Informationen, neue Erfahrungen, anderes Erleben das nötig machen“ (Hofert, 2018). Der Wegfall von äußeren Strukturen und Regeln muss mit einer inneren Haltung kompensiert werden.
Die dazu relevanten Faktoren werden im Sinne eines Frameworks in Abb. 7.1 präsentiert und im Folgenden erläutert.

7.3.2 Inner Work

„Inner Work“ bezeichnet gleichzeitig einen Prozess der „(…) menschlichen Reifung, im Zuge derer Mitarbeitende innerlich stärker und selbstbewusster werden“, der sich auf die Einzelnen wie auch auf das Team als Ganzes bezieht (Breidenbach & Rollow, 2019, S. 15). Er wird als notwendig erachtet, damit die Mitarbeitenden damit klarkommen, dass sie keine klaren Aufgaben und Jobprofile haben und keine Vorgesetzten, die ihnen sagen, was sie zu tun haben. Wer nicht zufrieden ist mit dem Verhalten von anderen, kann sich also nicht bei der Chefin beschweren. Er oder sie muss mit der betreffenden Person auf sozial kompetente Art Klartext sprechen können, das Gegenüber darf aber dabei nicht überempfindlich reagieren, und das Team muss derartige Prozesse gutheißen und unterstützen.
Drei Faktoren sind aus der Literatur bekannt, die für das Funktionieren von „Inner Work“ hilfreich sind: Achtsamkeit, psychologische Sicherheit und Resilienz.
Achtsamkeit bezeichnet die Fähigkeit, mental präsent zu sein, ohne zu werten (Kabat-Zinn (2003); Hunziker, 2018). Achtsamkeitstrainings sind bestens erforscht. Durch sie ergeben sich zahlreiche positive Folgen für Mitarbeitende und Unternehmen: Beispielsweise helfen sie bei der Reduktion von Stress und haben damit einen gesundheitsfördernden Effekt. Sie erhöhen das Glücksgefühl und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und steigern die Fähigkeit zu Empathie. Durch die gesteigerte Fähigkeit zu Mitgefühl ermöglicht Achtsamkeit persönliches Wachstum, indem sie beispielsweise Verantwortungsübernahme und das Bewusstsein über die eigenen Handlungen und ihre Folgen steigert, und verbessert das Wohl der Allgemeinheit. Achtsamkeit steigert zudem die Kollaborationsfähigkeit und fördert die Offenheit für Neues, wodurch sie Mitarbeitende beim Umgang mit Veränderungen unterstützt (Hunziker, 2018; Dopfer, 2019; Sammon et al., 2012). Zum Training von Achtsamkeit gibt es verschiedene Ansätze. Weit verbreitet ist der Ansatz „Mindfulness Based Stress Reduction“ (kurz: MBSR). Das Programm beinhaltet Praktiken wie Yoga und Meditation, Tagebuchschreiben, Reflexionen und Gruppengespräche.
Psychologische Sicherheit ist „(…) die gemeinsame Überzeugung aller Mitglieder eines Teams, dass es sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen“ (Edmondson, 1999, S. 354). Psychologische Sicherheit ist hilfreich, um schwierige Gespräche zu führen, statt sie zu vermeiden, um unangenehme Tatsachen oder kreative Ideen auszusprechen, statt sie aus Angst vor Ablehnung zu verschweigen. Sie fördert kontinuierliches Lernen, rasche Prozessveränderungen sowie hohes Engagement (Goller & Laufer, 2018, S. 14). Um die psychologische Sicherheit zu stärken, können Unternehmen Feedbacksessions nach Meetings einführen, vermehrt Wertschätzung ausdrücken oder Vertrauenslandkarten entwerfen. Bei der Entwicklung von psychologischer Sicherheit wird empfohlen, gleichzeitig auch die Verantwortungsübernahme der Mitarbeitenden zu fördern, damit eine passive Haltung entsteht (Goller & Laufer, 2018).
Resilienz beschreibt die Toleranz von Mitarbeitenden gegenüber Turbulenzen und belastenden Situationen (Heller, 2019, S. 8). Sie entsteht durch einen Mix aus Eigenschaften und Fähigkeiten, welcher den Mitarbeitenden hilft, sich in herausfordernden Situationen anzupassen und an neuen Erfahrungen innerlich zu wachsen. Diese Widerstandskraft kann mithilfe von Meditation oder Charakterstärkentrainings trainiert werden (Niemiec, 2018) und gilt als Voraussetzung für eine wirksame Selbstführung der Mitarbeitenden (Hofert, 2018).

7.3.3 Führungsverständnis

Im Rahmen des Wandels hin zu einem agileren Mindset spielt neben den soeben erläuterten Faktoren von „Inner Work“ das Führungsverständnis eine tragende Rolle. Unter Führung wird „(…) das Bestimmen der Richtung von Bewegung und wirksame Einflussnahme in kritischen Situationen“ verstanden (Hofert, 2018, S. 95). Entsprechend geht es also nicht um die Führungskraft in einem hierarchischen Sinne, welche an eine Rangordnung gekoppelt ist – ganz im Gegenteil. Aus der Definition geht hervor, dass alle Mitarbeitenden täglich führen müssen/dürfen und damit die Rolle einer Führungsperson einnehmen. Zeitgemäße Führung spielt eine zentrale Rolle im Unternehmenswandel, denn Agilität fordert ein Mindset, welches die Fähigkeit zur Führung beinhaltet.
Es werden nach Hofert (2018) vier Führungsrichtungen unterschieden: (1) „Führung von oben“ beinhaltet die Kommunikation von Visionen und gibt einen Rahmen vor. Es handelt sich also um eine kommunikative und nicht etwa eine kontrollierende Aufgabe. Dazu gehört auch, den Mitarbeitenden im Rahmen des Wandels hin zu einem agileren Mindset die Transformationsvision zu kommunizieren. Ziel ist es, bei den Mitarbeitenden positive Gefühle wie zum Beispiel Neugier hervorzurufen und negative Gefühle wie beispielsweise Ängste oder Misstrauen zu verringern. (2) Unter „Führung von der Seite“, auch laterale Führung genannt, wird das Führen mithilfe von Strukturen und über die Motivation und Teamentwicklung verstanden. Dabei wird die Art der Führung je nach Selbstständigkeit und Motivationsgrad der Mitarbeitenden variiert. Bei hoher Selbstständigkeit und Motivation ergibt eine dienstleistende Führung Sinn, welche Hindernisse beseitigt, insbesondere im Bereich Konfliktlösung und Teamentwicklung. Sind Selbstständigkeit und Motivation jedoch weniger stark ausgeprägt, wird stärker auf Coachingansätze sowie auf feste Strukturen und Strategien gesetzt. (3) Die „Führung von unten“ bezieht sich auf Initiativen der Mitarbeitenden, welche von sich aus Teams erzeugen und innovative Ideen oder Vorschläge hervorbringen. Inwieweit dies als Führung gilt (also Bewegung erzeugen kann), ist abhängig von der Umsetzung. (4) Die „Führung aus der Mitte“, oder auch Selbstführung, bedeutet, „dass sich ein Mensch selber in Bewegung setzen und wirksam auf sich selbst Einfluss nehmen kann“ analog zur Definition von Führung (Hofert, 2018, S. 123). Damit ist Selbstführung Ausganglage und zwingende Voraussetzung für die (Selbst-)Entwicklung von Menschen. Es lässt sich entsprechend festhalten, dass Selbstführung als zentrale Voraussetzung für die Veränderung des persönlichen Mindsets gilt und damit die Verschiebung hin zu mehr Agilität ermöglicht.
Die größte Veränderung der Führung liegt darin, dass man als führende Person an keinen Führungsansatz mehr gebunden ist. In dieser simplen Tatsache liegt zeitgleich eine enorme Herausforderung, denn es bedeutet auch, dass situationsabhängig und flexibel der jeweils korrekte Ansatz gewählt werden muss oder sogar zeitgleich mehrere Ansätze gelebt werden müssen. Führende Personen sind in der VUKA-Welt daher stark gefordert, denn sie müssen (stärker denn je) eine Balance finden zwischen Veränderung und Bewahrung (Heller, 2019, S. 59) und müssen zudem ein dynamisches Mindset entwickeln, um situationsgerecht zu führen.

7.3.4 Organisationskultur

Neben den Faktoren zur inneren Entwicklung und dem Führungsverständnis, welches sich in seiner neuen Ausprägung und vor allem mit der Thematik der Selbstführung zu einer grundlegenden Voraussetzung für Agilität entwickelt, spielt auch die Organisationskultur eine relevante Rolle bei der Weiterentwicklung des Changemanagements. Damit bei den Mitarbeitenden ein agileres Mindset etabliert werden kann, muss nämlich das Unternehmensmindset verändert werden. Grund dafür ist, dass das Unternehmensmindset die Mitarbeitenden prägt, indem es (ähnlich den Strukturen einer Familie) seine Denk- und Handlungslogik auf die Mitarbeitenden abfärbt (Hofert, 2018, S. 7).

7.3.5 Technologie

Die Technologie wirkt sowohl auf die äußere als auch auf die innere Dimension. Sie beeinflusst auf entscheidende Art und Weise die Entwicklung des Changemanagements und spielt damit eine bedeutende Rolle in der Entwicklung hin zu einem agileren Mindset.
Abschließend lässt sich also festhalten, dass all diese Faktoren (und vermutlich noch etliche weitere) rund um die Themenschwerpunkte „Inner Work“, Führungsverständnis, Organisationskultur und Technologie, zusätzlich zu den Aspekten der äußeren Dimension, Einfluss auf die Entwicklung eines agileren Mindsets haben. Sie sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Sie sind hoch komplex und doch so naheliegend.

7.4 Methodisches Vorgehen

Das methodische Vorgehen orientiert sich an einem praktisch-gestaltungsorientierten Ansatz. Das Unternehmen wird somit als offenes und lebendiges System betrachtet. Die offene Formulierung der Forschungsfrage bringt ein qualitatives Forschungsdesign mit sich, wodurch sich der Forschungsprozess verstärkt auf eine Exploration fokussiert und die Forschenden weniger die Rolle von Experten einnehmen. Mithilfe qualitativer Methoden werden fünf Fallstudien zu Agilisierungsprojekten erarbeitet, mit dem Ziel der Ausarbeitung einer Interventionsstrategie für einen Wandel hin zu einem agileren Mindset. Der Mehrwert der Forschung liegt somit nicht in gesicherten Aussagen aus dem Testen von bereits bestehenden Modellen (denn das Feld ist noch zu wenig reif dafür). Vielmehr geht es darum, Einzelfälle zu analysieren und zu vergleichen sowie die Erkenntnisse (beobachtete Unterschiede etc.) theoriebasiert zu begründen, respektive festzustellen, ob das Beobachtete an die Literatur anschlussfähig ist. Dadurch wird ein vertieftes Verständnis der Einzelfälle erlangt. Die wissenschaftliche Position, welche im Rahmen der Forschung vertreten wird, ist somit diejenige des Konstruktivismus. Dies lässt sich auch am Ziel der Forschung erkennen, welches unter anderem in der Schaffung eines lebensnahen Abbildes von verschiedenen Agilisierungsprojekten (und damit von der Realität) liegt. Damit soll einerseits die Forschungsfrage beantwortet werden. Andererseits soll eine Interventionsstrategie bestehend aus differenzierten und verbindlichen Handlungsempfehlungen für Unternehmen entstehen (Theory-Building-Ansatz), welche im Rahmen zukünftiger Forschung wiederum getestet werden kann.
Die zirkuläre Struktur des qualitativen Forschungsprozesses verunmöglicht eine vollständig vorab determinierte Vorgehensweise. Folglich sind Anpassungen während des Forschungsprozesses möglich und, je nach Teilerkenntnissen, sogar wünschenswert. Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage lässt sich das methodische Vorgehen folgendermaßen beschreiben:
Anhand der theoretischen Einbettung wird ein breites Vorwissen generiert und eine Sensibilisierung für die Datenerhebung generiert. Dabei kommt der Thematik „agiles Mindset“ natürlich besondere Bedeutung zu. Die Rolle von „Inner Work“ und das „Führungsverständnis“ sowie die „Organisationskultur“ und die „Technologie“ werden in diese Thematik eingebettet. Zudem werden die innere und äußere Dimension sowie insbesondere deren Zusammenspiel theoretisch aufgearbeitet. Auf der Basis der theoretischen Einbettung wird der Bezugsrahmen erarbeitet. Dieser Bezugsrahmen dient als Bindeglied zwischen den Erkenntnissen aus der theoretischen Einbettung und den Erkenntnissen aus der Praxis. Er hilft bei der Einordnung und Analyse der Fallstudien. Die Erarbeitung des Bezugsrahmens folgt einem klaren Vorgehen. Er wird mithilfe von „Microsoft Excel“ erstellt, wobei auf die Kongruenz der Kategorienabfolge, abgeleitet aus der thematischen Einbettung, geachtet wird. Auf dieser Grundlage werden die erforderlichen Codes im Programm Atlas.ti analog zu den Kategorien des Bezugsrahmens als Vorbereitung für die spätere Auswertung erstellt. Der Bezugsrahmen beinhaltet folgende sieben Vergleichskategorien, wobei jede Vergleichskategorie wiederum aus drei bis neun Codes besteht: Vorgehen, Inner Work, Führungsverständnis, Organisationskultur, Technologie, projektspezifische Besonderheiten, Reflexion. Die Abfolge der Vergleichskategorien findet sich in gleicher Form in der thematischen Einbettung, in Atlas.ti und schließlich auch im Leitfaden. Damit wird die notwendige Übersicht in diesem umfangreichen und breit ausgelegten Forschungsansatz sichergestellt.
Im Anschluss an die Ausarbeitung der theoretischen Einbettung und die Erarbeitung des Bezugsrahmens wurden relevante und interessante Projekte gesucht. Dieser Prozess geschah anhand einer theoretisch begründeten Vorabfestlegung. Das bedeutet, es wurden bereits vor Beginn der Datenerhebung fünf Verwaltungen und/oder Unternehmen zur Untersuchung definiert. Für die Suche wurde das persönliche Netzwerk kontaktiert, und es wurden mithilfe von Social-Media-Kanälen (insbesondere LinkedIn) neue Kontakte geknüpft. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass es sich um etablierte Organisationen (keine Start-ups) handelt, welche ein Projekt in Richtung „mehr Agilität“ durchgeführt hatten. Die Definition der Projekte wurde bewusst offengelassen. Das bedeutet, dass auch der Umfang der Projekte variieren durfte. Jedes Projekt sollte seine Eigenheiten haben, und nur die Richtung der Projekte sollte bei allen Fällen dieselbe sein, nämlich Agilisierung. Dieses Vorgehen empfehlen Baumgarth et al. (2009, S. 88).
Der eigentliche Projektfindungsprozess erschien eingangs schwierig, da einerseits die Zeit kurz vor Weihnachten nicht optimal war für solche Anfragen und sich andererseits nicht so einfach die Kontaktdaten der Ansprechpersonen finden ließen. Umso erfreulicher war die durchwegs positive Reaktion der angefragten Unternehmen, deren Offenheit und Begeisterungsfähigkeit für das Thema und die Forschung.
Im Anschluss an die schriftlichen Anfragen und den ersten digitalen Austausch über LinkedIn, E-Mail etc. wurden mit Vertreterinnen und Vertretern von sieben Unternehmen/öffentlichen Verwaltungen Erstgespräche per Telefon oder direkt vor Ort geführt. Diese Telefonate/Begegnungen halfen bei der Evaluation der Tauglichkeit möglicher Agilisierungsprojekte für die Fallstudienerarbeitung, sodass schließlich fünf dieser sieben möglichen Projekte sowie die zu interviewenden Personen (nach Zugangsmöglichkeiten) ausgewählt werden konnten.
Der Leitfaden wurde vor dem Hintergrund der theoretischen Einbettung und in Anlehnung an den definierten Bezugsrahmen ausgearbeitet, das heißt es wurden für jede Vergleichskategorie und die dazu definierten Codes verschiedene Fragen ausgearbeitet. Da es sich um halbstrukturierte Interviews handelte, gliedert sich der Leitfaden in drei Teile (Hunziker, 2020, S. 100): Der erste Teil behandelt das Projektvorgehen. Dieser Teil gestaltete sich größtenteils sehr spontan, das heißt die interviewten Personen erzählten frei von ihren Agilisierungsprojekten. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf den Teilaspekten Inner Work, Führungsverständnis, Organisationskultur und Technologie. Dieser Teil ist strukturierter als der erste, wobei immer zuerst auf den Zustand vor dem Projektstart eingegangen wird, anschließend auf die Ergebnisse, welche sich aus der Dynamik des Projektes selbst entwickelten, und abschließend auf konkrete Interventionen der Projektleitenden zur Steigerung der Faktoren innerhalb dieser vier Teilaspekte. Zudem wird in diesem Zusammenhang erfragt, ob es Dinge gibt, die hätten passieren sollen, die aber nicht passiert sind. Damit soll sichergestellt werden, dass „über den Tellerrand“ hinausgedacht und diskutiert wird, um ein reflexives Denken der befragten Personen zu fördern. Im dritten Teil werden anhand einer umfassenden Reflexion das Agilisierungsprojekt und dessen größte Herausforderungen, Erkenntnisse und Schlüsselmomente sowie dessen Erfolg an sich diskutiert.
Während der Datenerhebung wurden pro Agilisierungsprojekt jeweils innerhalb weniger Tage zwischen zwei und vier Interviews durchgeführt. Die Durchführung hätte optimalerweise vor Ort bei den ausgewählten Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen erfolgen sollen, da dies einen authentischen und lebensnahen Eindruck der realisierten Agilisierungsprojekte ermöglicht hätte. Aufgrund des Ausbruchs der globalen COVID-19-Pandemie war dies allerdings nicht möglich. Die Interviews fanden deshalb alle mithilfe digitaler Hilfsmittel (insbesondere Microsoft Teams und Skype for Business) statt. Die Erhebungsphase dauerte ungefähr einen Monat. Insgesamt wurden 13 Interviews durchgeführt, welche je rund 75 Minuten dauerten.
Anschließend wurden die Interviews transkribiert und zusammen mit zusätzlichen Unterlagen zum Projekt (Leitbilder, Fortbildungsprogramme, Präsentationen, Reflexionen von den Projektleitenden etc.) in die Software Atlas.ti eingespeist. Dort wurden die Dokumente codiert und mithilfe von sogenannten Memos analysiert. Der Vorteil hierbei ist, dass sich für die projektvergleichende Analyse bereits Unterschiede und Ähnlichkeiten festhalten lassen und erste Bezüge zur theoretischen Einbettung möglich werden.
Bevor mit den Interviews des nächsten Agilisierungsprojekts gestartet wurde, wurde ein erster Entwurf der Fallstudie erstellt. Beim Verfassen wurde darauf geachtet, einen objektiven Blickwinkel auf das Agilisierungsprojekt zu gewährleisten. Gleichzeitig wurden, wo möglich, Verknüpfungen mit theoretischen Hintergründen vorgenommen und für die Formulierung der Einzelanalyse zurechtgelegt. Dieser Schritt ist besonders wichtig, da Fallstudien keineswegs im theorieleeren Raum entstehen sollten. Ganz im Gegenteil: Wichtig ist es, während des Verfassens einer Fallstudie Zusammenhänge mit der theoretischen Einbettung zu erkennen und sich diese für die Analyse zu notieren (Hunziker, 2020, S. 104). Weiters wurde darauf geachtet, die in den Fallstudien verwendeten Personennamen und die Organisationsbezeichnungen zu anonymisieren.
Nach Abschluss der Erarbeitung aller Fallstudien und der ausformulierten Einzelanalysen, wurden die Fallstudien anhand des Bezugsrahmens verglichen. Durch die zeitgleiche Erhebung und Analyse der Daten, konnte der Forschungsprozess laufend hinterfragt werden und der Leitfaden sowie der Bezugsrahmen konnte, wo nötig, ergänzt werden, so dass eine aussagekräftige und gehaltvolle Interventionsstrategie, bestehend aus differenzierten und verbindlichen Handlungsempfehlungen, entwickelt werden kann.
Die reflexive Dokumentation des Forschungsprozesses und der Erkenntnisse begünstigt verschiedene Vorteile zur Erfüllung der qualitativen Gütekriterien: Es wird nämlich ersichtlich, welche Daten aus der Erhebung und welche aus eigener Interpretation entstanden sind (prozedurale Reliabilität). Die Datenerhebung und deren Auswertung wird vergleichbar gemacht, und die Interpretation der Ergebnisse wird begründet. Dadurch kann die Rekonstruktion ermöglicht werden (prozedurale Validität).

7.5 Fallstudien

7.5.1 Fall 1: Die Verbindung zweier Welten beim Bahnunternehmen Musterbahn

Die Musterbahn (kurz: MB) ist ein Unternehmen mit rund 650 Mitarbeitenden, welches in der traditionellen Eisenbahnverkehrsbranche tätig ist. Die Verbindung von schnelllebigen Kundenbedürfnissen mit starren sicherheitsgetriebenen Bereichen in hierarchischen Strukturen erfordert eine Kombination von alten und neuen Welten. Aus diesem Grund zielt die MB bewusst auf ein duales System ab, bei dem sowohl traditionelle als auch agile Arbeitsweisen flächendeckend kombiniert werden. Damit dies gelingt, ist die MB darum bemüht, im Sinne von pragmatischen Initiativen bei ihren Mitarbeitenden ein agileres Mindset zu etablieren. Doch wie genau macht sie das?
Die MB investiert schon 2016 viel in die eigene Kulturentwicklung. Hierfür definiert sie als Schwerpunktthema die Zielsetzung „Sicherstellen einer agilen und stabilen Organisation“ und entwickelt die seit 15 Jahren bestehenden Werte in gemeinsamen Grundsätzen der Zusammenarbeit. Aber damit nicht genug. In einem weiteren Schritt erarbeitet die MB basierend auf den agilen Grundsätzen ein gemeinsames Führungsverständnis und initialisiert eine Führungswerkstatt für neue Führungskräfte. Zur gleichen Zeit stellt die Verantwortliche für Organisationsentwicklung im Austausch mit den Agilisten fest, dass es besser ist, das Wort „Agilität“ in den Hintergrund zu stellen und stattdessen den verbalen Fokus auf die Grundsätze der Zusammenarbeit zu legen. Nach dieser grundlegenden Investition in die Kulturentwicklung konzentriert sich die MB 2017 verstärkt auf die Digitalisierung. Hierzu wird eine Digitalstrategie ausgearbeitet und im Herbst 2017 in Form von Informationsanlässen den Mitarbeitenden präsentiert. Für einen erfolgreichen Austausch werden Marktstände zu verschiedenen Themen der Digitalstrategie aufgebaut, bei denen die Mitarbeitenden ihre Ängste, Befürchtungen und Ideen hinsichtlich der Digitalisierung besprechen können.
Im Folgejahr 2018 startet die MB mit dem Projekt „Content Factory“. Es handelt sich dabei um ein Projekt der Abteilung Marketing, welche sich verstärkt mit der Customer Journey auseinandersetzen will und dabei die Zusammenarbeit zwischen den klassisch nach 4Ps organisierten Marketingbereichen verbessern will. Dazu wird ein Sitzungszimmer für die gemeinsame Arbeit rudimentär eingerichtet, und es werden erste agile Methoden wie beispielsweise das „Daily“ eingeführt. Das operative Geschäft lässt allerdings die Verbesserung der Zusammenarbeit und die Veränderung der Prozesse, Strukturen und Denkweisen der Mitarbeitenden kaum zu. Aus diesem Grund entscheidet sich die Marketingabteilung rund ein Jahr nach dem Start der Content Factory für die Einführung eines agilen Teams. Die Geschäftsleitung unterstützt dieses Vorhaben, und so startet das agile Team im September 2019 mit seiner Arbeit. Das Team beinhaltet acht Mitglieder, darunter verschiedene Vertreter aus anderen Abteilungen. Ein Teilnehmer ist der Ressortleiter Betrieb der Gornergrat Bahn. Er arbeitet „in der traditionellen Welt“, und seine Abteilung ist daher sehr klassisch hierarchisch aufgebaut. Er wird via Outlook-Anfrage und ohne ausführliche Erklärungen für die Teilnahme am Team angefragt. Natürlich ist er zuerst etwas verunsichert und bespricht die Angelegenheit mit seinem Vorgesetzten. Dieser lässt ihm alle Freiheiten, die er für die Teilnahme am agilen Team braucht, und motiviert ihn, dieses Experiment zu wagen. Der Ressortleiter Betrieb sieht die Chance vor allem darin, das operative Alltagsgeschäft durch die direkte Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen zu vereinfachen, um Missverständnisse und Doppelarbeiten künftig zu vermeiden. Er entschließt sich deshalb, dem Team beizutreten.
Trotz der Begleitung und methodischen Unterstützung durch den Leiter Personal- und Organisationsentwicklung fühlen sich die Teammitglieder zu Beginn des Pilotprojektes verloren. Es gibt viele Diskussionen, denn insbesondere das gegenseitige Verständnis für die unterschiedlichen Abteilungen ist noch nicht vorhanden. Zudem gibt es Auseinandersetzungen aufgrund der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Viele der Teammitglieder sind es gewohnt, alltägliche Entscheidungen selber zu treffen. Der neu gewonnene Austausch innerhalb der Sprints wird somit zu Beginn als störend und anstrengend und nicht als bereichernd wahrgenommen. Das Team investiert daher sehr viel Energie und Zeit in diese Anfangsphase. Doch mit der Zeit verbessert sich das Verständnis, und es entsteht daraus eine Vertrauensbasis. Durch die Arbeit auf Augenhöhe und die gewonnene psychologische Sicherheit im Team sowie die Inexistenz von hierarchischen Strukturen entsteht eine effektive Arbeitsumgebung, welche für die Mitglieder des agilen Teams in einem Mehrwert im Alltag resultiert. Der Ressortleiter Betrieb arbeitet von da an in zwei Welten: der traditionellen Welt im Ressort Betrieb und der neuen Welt im agilen Team.
Nicht alle Führungskräfte sind gleichermaßen begeistert von diesen Initiativen. Tatsächlich ist der Ressortleiter Betrieb bisher der einzige Betriebsleiter, welcher sich im agilen Team engagiert. Viele arbeiten stattdessen stark nach traditionellen konservativen Führungsansätzen und zeigen kein Interesse an diesen neueren Ansätzen. Es braucht daher immer wieder Lobbying seitens der Abteilung Marketing und der beteiligten Mitglieder des agilen Teams sowie der Geschäftsleitung. Hierzu werden nebenher Kurse zu Basisapplikationen im Bereich digitaler Zusammenarbeit angeboten. Auf diese Weise wird nicht nur die agile, sondern auch die digitale Zusammenarbeit weiter gestärkt; insbesondere deshalb, weil die Marketingabteilung im Frühjahr 2020 beschließt, mehr agile Teams zu gründen. Damit will die Abteilung ihre äußeren Strukturen aufbrechen und einen Anstoß für Prozessveränderungen liefern sowie das gesamtunternehmerische traditionelle Projektmanagement weiterentwickeln. Nur so ist es aus Sicht der Leiterin der Content Factory möglich, die Agilität weiter im Unternehmen zu verankern.
Während die zwei weiteren agilen Teams gegründet und mit Mitgliedern aus dem gesamten Unternehmen besetzt werden, arbeitet die Geschäftsleitung an der Überarbeitung der im Jahr 2017 definierten Digitalstrategie. Sie soll sich neu auf Governancethemen beschränken und damit zur Steuerung von digitalen Projekten sowie zur Weiterentwicklung des Projektmanagements dienen.
Im März 2020 sind die drei agilen Teams mit jeweils sechs bis acht Mitgliedern startklar. Damit arbeiten nun alle Mitarbeitenden der Marketingabteilung in agilen Teams. Gleichzeitig wird das erste agile dreitägige Camp vorbereitet. Die Idee ist, einerseits die Geschäftsleitung in das Camp einzubinden und andererseits die Kundschaft an der Produktentwicklung im Camp durch Experimente und Tests direkt teilhaben zu lassen. Unterstützt wird die Marketingabteilung vom Leiter Personal- und Organisationsentwicklung, welcher gemeinsam mit einer externen Beraterin die Moderation übernimmt. Unglücklicherweise muss das Camp aufgrund der vom Schweizer Bundesrat verkündeten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie abgebrochen werden. Aufgrund der sich aus der Pandemie ergebenden Krisensituation sind die weiteren Schritte des Projektes und insbesondere der Digitalisierungstag gefährdet.
Zudem werden die Mitarbeitenden nun erst recht in der digitalen Zusammenarbeit gefordert. Die noch vor wenigen Monaten durchgeführten Kurse zu technischen Hilfsmitteln der Zusammenarbeit müssen heute von allen Mitarbeitenden angewendet werden. Ob es die Musterbahn trotz dieser zusätzlichen Herausforderung schafft, die Denkhaltung der Mitarbeitenden innerhalb dieses dualen Systems zwischen traditioneller und moderner Welt zu verändern, und wie stark die äußeren Strukturen der Musterbahn aufgebrochen und abgebaut werden, wird sich zeigen.

7.5.2 Fall 2: Die Reise der Stadtwerke hin zur Holokratie

Die Stadtwerke (kurz: SW) haben eine 100 Jahre lange Tradition und zeichnen sich durch feste Strukturen und eine gefestigte Denkhaltung der Mitarbeitenden aus. Das Fachwissen steht für die Stadtwerke an oberster Stelle. Führungskräfte werden daher hauptsächlich anhand ihrer Fach-, nicht ihrer Sozialkompetenz ausgewählt. Schleichend entwickelt sich dies zu einem flächendeckenden Führungsproblem. Im Jahr 2002 spalten sich die Stadtwerke von der Stadtverwaltung ab und werden zu einer eigenständigen GmbH. Die Stadtwerke genießen während vieler Jahre eine sehr erfolgreiche Zeit. Es gibt kaum Krisen oder existenzbedrohende Hürden. Nichtsdestotrotz stehen sie heute vor Herausforderungen wie der Digitalisierung, der Dekarbonisierung und der Energiewende. Aus diesem Grund müssen sie, wie viele andere Unternehmen, ihre Prozesse beschleunigen, um sich in der vorherrschenden VUKA-Welt weiterhin profilieren und für die Zukunft am Markt attraktiv bleiben zu können. Der Geschäftsführer erkennt sofort, dass es an der Zeit ist, sich den Herausforderungen der VUKA-Welt zu stellen. Er gründet dazu Anfang 2018 ein Strategieteam aus Mitarbeitenden der obersten Führungsebene.
Durch die Auseinandersetzung mit Themen wie der Entwicklung einer Fehlerkultur oder der Einführung von agilen Arbeitsweisen kommt dieses Team zum Schluss, dass die Holokratie als Organisationsform näher beleuchtet werden soll. Inspiriert wird das Strategieteam bei dieser Entscheidung von einem Beratungsunternehmen, welches kurz zuvor selbst holokratische Strukturen bei sich einführte und dem Geschäftsführer am Mittagstisch beiläufig davon erzählt.
Es folgt ein denkwürdiger Moment: Der Geschäftsführer verkündigt im Mai 2018 die Entscheidung für die Einführung von Holokratie bei den Stadtwerken mit Start ab 1. Januar 2019. Ein denkwürdiger Akt, der dem Geschäftsführer nicht leichtfällt, denn alle Anwesenden wissen – dieser Entschluss wird viele Veränderungen mit sich bringen. Und doch will man diesen Schritt wagen, diesen Meilenstein in Angriff nehmen, diese Revolution ins Rollen bringen – um die Zukunft der Stadtwerke durch schnellere, kundennähere Entscheidungen zu sichern. Gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen werden folgende Zielsetzungen definiert:
  • Bis Ende 2019 arbeitet die gesamte Unternehmung in holokratischen Strukturen.
  • Eine holokratische Verfassung, in welche der Geschäftsführer seine gesamte Entscheidungskompetenz einbringt, wird erarbeitet.
  • Durch die neue Organisationsform sollen „Burgen eingerissen werden“, die holokratischen Kreise sollen sich verzahnen und dadurch die Zusammenarbeit stärken.
Damit ist der Grundstein gelegt, und die operative Umsetzung, sprich die Einführung und Vertiefung der holokratischen Praxis im Unternehmen, kann starten.
Es folgt, ebenfalls im Mai 2018, eine Schulung der Führungskräfte aller Abteilungen in Form eines zweitägigen Workshops zur Holokratie. Bei dieser Schulung wird sehr stark auf die Vorteile der Holokratie fokussiert. Die Werkzeuge werden vorgestellt, und die Ideen und Prinzipien sowie Rollen werden aufgezeigt. Aus zeitlichen Gründen ist ein tieferer Einblick in das Verständnis der einzelnen Rollen und das damit einhergehende, sich verändernde Führungsverständnis an diesen Tagen nicht möglich. Es sind ohnehin bereits sehr viele Informationen auf einmal, und die Führungskräfte sind dementsprechend irritiert und überfordert. Trotzdem erhalten sie direkt den Auftrag, bis im November 2018 einen Vorschlag über die Implementierung der holokratischen Kreisstrukturen bei sich in der Abteilung zu erstellen.
Während sich die Führungskräfte diese Überlegungen machen (sollen), werden die beiden Organisationseinheiten „Geschäftsbereich Markt“ und „Hauptabteilung Marketing und Kommunikation“ zu einem Geschäftsbereich „Marketing und Vertrieb“ verschmolzen. Ziel ist es, dass dieser neue Geschäftsbereich als Pilotorganisation dienen kann.
Es wird entschieden, eine Überführung der bestehenden Strukturen in die holokratischen Kreisstrukturen zu vollziehen. Somit verzichten die Stadtwerke auf einen Neustart „auf der grünen Wiese“. Grund dafür ist der Wunsch nach einem Back-up, auf welches die Stadtwerke bei einem Abbruch des Projektes zurückgreifen können. Folglich wird die Abteilung Marketing und Vertrieb mit all ihren bestehenden Stellen und Funktionen lediglich in den neuen Kreis „Marketing und Vertrieb“ und in die neuen Subkreise Marketing, Kundenservice, Vertrieb, Ökosystem/Produktentwicklung, Energie, Telekommunikation, Mobilität und Tourismus überführt. Dabei werden die in Rollen gebündelten subkreisübergreifenden Verantwortlichkeiten (wie beispielsweise Rechnungsbearbeitung) direkt im Marketing-Vertriebs-Kreis (ohne Subkreiszugehörigkeit) verortet. 
Am 1. Juli 2018 ist es so weit, und der (von da an als Kreis bezeichnete) Marketing-Vertriebs-Kreis startet mit ersten Durchführungsversuchen der sogenannten Tactical Meetings und später auch Governance-Meetings. Als Pilot kann der Marketing-Vertriebs-Kreis viele spannende Erkenntnisse gewinnen, wie etwa zum Thema Rollenverständnis. Eine wichtige Rolle in der holokratischen Struktur ist der sogenannte „Lead Link“. Den Mitarbeitenden fehlt ein vertiefter Einblick in das Verständnis dieser Rolle des Lead Links, und sie assoziieren sie automatisch mit der früheren Führungskraft. Das ist falsch, denn es entspricht nicht dem holokratischen Verständnis, bei dem Führungsverantwortung auf verschiedene Rollen aufgeteilt werden soll. Was folgt, ist eine falsche Erwartungshaltung an die Person in der Rolle des Lead Links sowie Neid aufgrund gewohnter Machtstrukturen (unter anderem Prestige von Führungspositionen in linearen Organisationen).
In der Zwischenzeit ist es Oktober geworden. Die Führungskräfte der anderen Abteilungen haben sich aus Zeitgründen noch keine Gedanken zu Implementierungsmöglichkeiten der holokratischen Kreisstrukturen gemacht. In der Konsequenz erarbeiten die Führungskräfte innerhalb eines Monats rudimentäre Kreisstrukturvorschläge. Basierend auf diesen Vorbereitungen und den ersten Erkenntnissen aus dem Pilotkreis erfolgt die Kommunikation an die Belegschaft. Dabei wird auf die Vermittlung der Zielsetzung geachtet, dass sämtliche Bereiche der Stadtwerke bis Ende 2019 komplett holokratisch agieren sollen.
Im Anschluss an diese Kommunikation gibt es diverse Veranstaltungen und Schulungen. Dabei wird den Mitarbeitenden der „Werkzeugkasten Holokratie“ aufgezeigt und vorgestellt. Die Stadtwerke verzichten an dieser Stelle auf die Arbeit am Menschen. Das heißt, Themen wie die persönliche Reifung oder auch das Führungsverständnis, welches sich mit der Einführung von Holokratie grundlegend verändern soll, werden nicht begleitet. Grund dafür ist einerseits, dass die Stadtwerke kurz zuvor, in den Jahren 2016 und 2017, Führungsentwicklungsprogramme mit verschiedensten Schulungen durchgeführt hatten. Andererseits stützen sich die Stadtwerke bei dieser Entscheidung auf die Aussagen des Beratungsunternehmens, nach welchen sich mit den veränderten Strukturen auch die Kultur verändern würde und sich Themen wie die persönliche Reifung oder das angepasste Führungsverständnis organisch weiterentwickeln würden.
Auf dieser Basis starten die Stadtwerke im Januar 2019 mit der Einführung von Kreisstrukturen in den Abteilungen Personal, Controlling, Rechnungswesen, aber auch auf der obersten Führungsebene, wo der sogenannte Unternehmenskreis entsteht.
Der Initiativkreis macht in der folgenden Zeit laufend Reviews zur Einschätzung der neuen Kreise. Probleme werden insbesondere im Bereich des Führungsverhaltens erkannt. Dieses wird nicht nach den holokratischen Grundsätzen im Sinne von eigenständigen Entscheidungen der Mitarbeitenden auf Basis von Informationen und Transparenz gelebt, sondern nach wie vor durch traditionelle hierarchische Machtverhältnisse ausgeübt. Die Stadtwerke reagieren aber auf das Fehlverhalten, welches nicht böswillig, sondern aus Gewohnheit angewandt wird, nicht. Grund dafür ist ein nach wie vor bestehender Glaube daran, dass sich nach ein bis zwei Jahren dieses Verständnis der Holokratie von selbst entwickeln würde.
Gleichzeitig spitzt sich die Situation im Subkreis Marketing des Marketing-Vertriebs-Kreises weiter zu. Die Machtkämpfe, welche bereits vor der Einführung der holokratischen Strukturen zu zwischenmenschlichen Konflikten führten, verstärken sich aufgrund der Fehlinterpretation der Lead-Link-Rolle zusätzlich. Im Oktober 2019 ist die Situation so angespannt, dass sich das Team dazu entschließt, den Konflikt über ein mehrtägiges Teambuilding mit externer Unterstützung zu bearbeiten. Um den Konflikt zu entflechten und der Fehlinterpretation der Lead-Link-Rolle vorzubeugen, entscheidet sich der Kreis für einen Wechsel in der Besetzung der Lead-Link-Rolle.
Der Initiativkreis schöpft viele Erkenntnisse aus diesen beobachteten Erfahrungen. Aus der Situation des Marketing-Vertriebs-Kreises stellt der Initiativkreis beispielsweise fest, dass diese angespannte Situation aus einem falschen Rollenverständnis und nicht zuletzt aus einem falschen Verständnis von Holokratie heraus entstanden ist. Dieses Verständnis nachträglich zu implementieren fordert viel Zeit und intensive Arbeit.
Eine weitere Erkenntnis bezieht sich auf die bereits vor der Einführung der Holokratie vorhandenen zwischenmenschlichen Probleme. Die Hoffnung der Mitarbeitenden ist, dass diese (bisher verdeckten Konflikte) durch die Einführung der Holokratie wegfallen. Tatsächlich werden sie durch die Einführung der Holokratie jedoch oftmals erst sichtbar. Dies birgt Vorteile, denn durch die Aussprache können die Konflikte nachhaltig beseitigt werden. Es bedeutet aber, dass auch hier sehr viel Zeit und Kraft in die Auflösung der Konflikte investiert werden muss.
Gegen Ende 2019 stellt der Initiativkreis ernüchtert fest, dass eine Überführung des gesamten Unternehmens in holokratische Strukturen bis Ende des Jahres nicht realistisch ist. Grund dafür sind einerseits die entstandenen Konflikte und Missverständnisse in den bereits bestehenden Kreisen, welche einer intensiven Aufarbeitung bedürfen. Andererseits liegt der Grund in den praktischen Herausforderungen wie beispielsweise rechtlichen Problemstellungen. Die Stadtwerke stellten nämlich fest, dass die Holokratie nicht vollständig mit der aktuellen Rechtsstruktur vereinbar ist (beispielsweise Haftungs- und Datenschutzprobleme).
Aufgrund dieser praktischen Herausforderungen können nicht alle Abteilungen sofort in holokratische Strukturen umgewandelt werden. Es wird folglich entschieden, einen Strategiewechsel vorzunehmen und ein hybrides Modell, bestehend aus holokratischen und traditionell hierarchischen Strukturen, zuzulassen. Dieser Strategiewechsel wird gegen Ende 2019 der Belegschaft kommuniziert, was viele Emotionen auslöst. Insbesondere diejenigen, welche die Holokratie bereits eingeführt haben und im täglichen Alltag leben, sehen dieses hybride Modell als Rückschritt. Dazu kommt, dass es sich um einen neuen Begriff handelt, den niemand kennt. Dadurch erschwert sich für den Initiativkreis die Kommunikation einer einheitlichen Geschichte, hinter der alle Mitarbeitenden stehen können.
Das Jahr 2020 soll für folgende zwei Schwerpunkte genutzt werden: Einerseits die Stabilisierung bestehender Kreise und andererseits die Überführung weiterer Abteilungen in Kreisstrukturen. Zur Umsetzung sind zwei Maßnahmen notwendig: Im Rahmen der ersten Maßnahme wird die Führungsentwicklung angegangen, um das Führungsverständnis der Holokratie und das damit einhergehende Rollenverständnis zu vertiefen. Im Rahmen der zweiten Maßnahme wird der Arbeit am Menschen mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Somit werden Themen wie Selbstführung und Verantwortungsübernahme oder auch Entscheidungsfindung vertieft mit den Mitarbeitenden angegangen.
Bezüglich der Überführung weiterer Abteilungen in die Kreisstruktur ist eine verbesserte Begleitung durch den neu entstandenen Transformationskreis vorgesehen. Wann immer sich eine Abteilung zur Überführung entscheidet, stellt der Transformationskreis den notwendigen Schutzraum, eine Art Labor, zur Verfügung. Mithilfe dieses Schutzraumes wird sichergestellt, dass alle Mitarbeitende eine innere Reifung durchleben, bevor die Implementierung im Alltag erfolgt. Zudem beinhaltet sie innerhalb des Schutzraumes die frühzeitige Entfachung und nachhaltige Behebung von sichtbar werdenden Konflikten.
Nach wie vor ist es aber das Ziel, letztendlich eine komplett holokratisch aufgestellte Organisation zu werden. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben die Stadtwerke innerhalb der letzten zwei Jahre getan. Auf ihrer revolutionären Reise haben sie erste Meilensteine erreicht, sind auf viele Ungewissheiten gestoßen und mussten viele Schwierigkeiten meistern, konnten aber auch große Erfolge verbuchen. Ob sie es schaffen, mithilfe des gewählten Strategiewechsels ihr Reiseziel zu erreichen und das bislang noch fehlende agile Mindset bei den traditionell ausgerichteten Mitarbeitenden zu entwickeln, um sich dadurch die eigene Zukunft zu sichern, bleibt offen.

7.5.3 Fall 3: Agilisierungsstrategie einer Stadtverwaltung

Die Stadtverwaltung – Agilitätspionierin der deutschen Kommunen und Vorreiterin der Digitalisierung – hat heute, rund zwei Jahre, nachdem sie diese Themen angegangen ist, einen besonders guten Ruf. Sie hat rund 2700 Mitarbeitende und zeichnet sich durch feste Strukturen und ausgeprägte Hierarchiestufen sowie dementsprechend lange Dienstwege aus. Die oberste Instanz ist der Oberbürgermeister, der die Verwaltung führt und besonders die politisch relevanten Themen in den Vordergrund stellt.
Als politisch relevantes Thema gilt im Sommer 2017 das Thema Agilität. Der Oberbürgermeister beschäftigt sich im Rahmen einer zweitägigen Klausurtagung gemeinsam mit den Bürgermeistern und den rund vierzig Amtsleiterinnen und Amtsleitern mit diesem Thema. Es wird beschlossen, dass die Stadtverwaltung die Herausforderung einer Agilisierung annehmen will. Der Oberbürgermeister hält jedoch klar fest, dass die hierarchischen Strukturen und insbesondere das Organigramm der Stadtverwaltung nicht verändert werden sollen. Die Stadtverwaltung solle einfach innerhalb dieser Strukturen agiler werden.
Im Anschluss an diese Klausurtagung wird die getroffene Entscheidung mithilfe der internen Hauszeitung den Mitarbeitenden kommuniziert. Zudem wird im Herbst 2017 die für die operative Umsetzung dieser Entscheidung notwendige Abteilung „Strategische Personalentwicklung und Changemanagement“ vom Personal- und Organisationsamt eingerichtet. In dieser Abteilung wird das Thema „Agilität einführen“ verortet. Im Sommer 2018 besetzt das Personal- und Organisationsamt die erste der insgesamt zwei Stellen in dieser Abteilung.
Die neue Abteilungsleiterin startet im September 2018 mit der Analyse der Ausgangslage. Das Ergebnis besteht aus sechs Handlungsfeldern, welche die Abteilungsleiterin bis Ende 2019 umsetzen will:
1.
In konkreten Themen und Projekten mit agilem Arbeiten starten und Erfahrungen sammeln.
 
2.
Führungskräfte und Beschäftigte für agiles Arbeiten sensibilisieren und qualifizieren.
 
3.
Spielräume und Bedingungen für agiles Arbeiten in der Stadt im Rahmen einer Großgruppenkonferenz entwickeln, diskutieren und vereinbaren.
 
4.
Kollaborationsräume und moderne Arbeitswelten einrichten – Räume, die mit entsprechender Einrichtung und Materialien sofortiges Arbeiten mit agilen Methoden ermöglichen und Kooperation fördern.
 
5.
Die Führungsklausur 2019 mit agilen Methoden gestalten.
 
6.
Aufbau eines internen, agilen Netzwerks, in der „Peer Groups“ gebildet werden, die pilotweise bis zu einem Jahr mit agilen Methoden an konkreten Themen der Stadt arbeiten.
 
Die Abteilungsleiterin verzichtet auf die Definition von klaren Zielen und auf das Erarbeiten einer gemeinsamen Vision. Grund dafür ist die Befürchtung eines zu kleinen Engagements der oberen Führungsebene, welche für einen derart umfassenden Erarbeitungsprozess die notwendigen Ressourcen nicht hat. Stattdessen beginnt die Abteilungsleiterin auf pragmatische Art und Weise mit der Umsetzung erster Initiativen: Beispielsweise wird extern ein Weiterbildungskurs zur Scrum-Methode eingekauft und projekttätigen Mitarbeitenden angeboten. Zudem wird das Fortbildungsprogramm 2019/2020 erarbeitet. Dabei achtet die Abteilungsleiterin darauf, möglichst viele Themen zur Agilität einzubauen, um ein Sensibilisieren und Qualifizieren der Mitarbeitenden für agiles Arbeiten zu ermöglichen (Handlungsfeld 2). Weiters wird im Rahmen dieser ersten Initiativen in einem Dienstgebäude der Stadt ein Kreativraum (Handlungsfeld 4) eingerichtet.
Am 5. November 2018 stellt die Abteilungsleiterin die sechs Handlungsfelder in der Montagsrunde des Oberbürgermeisters dem Oberbürgermeister, den Bürgermeistern und den Amtsleitenden vor. Diese Präsentation wird als Aufschlag der Agilisierung wahrgenommen, weil hier zum ersten Mal intern sichtbar wird, wie man die im Sommer 2017 definierte Herausforderung angehen will. Die Anwesenden sind zufrieden mit den ausgearbeiteten Handlungsfeldern.
Anfang 2019, rund 1,5 Jahre nach der erstmaligen Kommunikation an die Mitarbeitenden, erscheint in der Februar-Ausgabe der Hauszeitung der Stadtverwaltung ein Beitrag zu den laufenden Agilisierungsinitiativen. Darin wird zum Beispiel der neue Kreativraum mit dem Slogan: „Im RApp-Raum (Name des Kreativraums) sprudeln die Ideen“ vorgestellt. Weiter wird ein spezifisches Projektteam vorgestellt, welches sich gemäß Artikel durch agile Arbeitsmethoden auszeichnet. Begeistert wird beschrieben: „Mit agilen Arbeitsmethoden entstehen innovative Ideen“. Diese Artikel ruft gemischte Gefühle bei den Mitarbeitenden hervor. Der Grund hierfür liegt in der Diskrepanz zwischen Schein und Sein: Im Artikel wird das Projektteam prominent als „agiles Team“ bezeichnet und präsentiert. Die Realität zeigt allerdings ein anderes Bild. Denn die Denkhaltung der Teammitglieder und die Arbeitsweisen werden von den übrigen Mitarbeitenden überhaupt nicht als agil wahrgenommen.
Diese gemischten Gefühle machen es für die Abteilungsleiterin schwierig, dem Thema und den Initiativen weiterhin eine positive Note zu verleihen. Trotzdem bleibt sie optimistisch und startet intensiv mit den Vorbereitungen für die Großgruppenkonferenz vom 18. März 2019 (Handlungsfeld 3). Ihr Ziel ist es, mit den Teilnehmenden dieser Großgruppenkonferenz über Hoffnungen und Befürchtungen zu diskutieren sowie die Spielräume, Kriterien und Rahmenbedingungen der agilen Arbeitsweisen gemeinsam mit den Teilnehmenden zu definieren.
Während der Durchführung der Großgruppenkonferenz am 18. März 2019 nimmt die Abteilungsleiterin bei den Teilnehmenden eine große Unsicherheit bezüglich der Thematik Agilität wahr. Sie sieht den Grund dafür in den fehlenden Berührungspunkten der Teilnehmenden mit dem Thema in deren Berufsalltag. Es wird offensichtlich, dass sie nicht wissen, wie Agilität funktioniert, wie sie sich anfühlt, und vor allem, wie sie in der Praxis implementiert wird. Es wird daher entschieden, diese Unsicherheiten bezüglich der Agilität bei der Führungsklausur (Handlungsfeld 5) im Mai 2019 erneut auf Führungsebene anzugehen. Ziel ist es also, die „Leitplanken agilen Arbeitens“ nochmals gemeinsam zu besprechen.
Während rund drei Monaten bereitet die Abteilungsleiterin sich auf diese Klausur vor. Überraschend stellt sie in der Abstimmung der Klausurthemen mit dem Oberbürgermeister fest, dass dieser nicht auf einer Changemanagementebene das Thema Agilität besprechen möchte, sondern dass er inhaltliche Schwerpunkte setzten will. Diese Erkenntnis macht eine Veränderung des Konzeptes der Führungsklausur unumgänglich und führt am Ende dazu, dass lediglich eine Stunde der Klausur für das Besprechen der „Leitplanken agilen Arbeitens“ verwendet wird. Das Ergebnis der Klausur ist folglich die Zusammenstellung von vier Projektgruppen zum Thema Klimaschutz – ein Ergebnis, das von der Abteilungsleiterin weder angestrebt noch beabsichtigt war, und das zur Agilisierung an sich keinen Beitrag leistet. Sie stellt im Anschluss an diese Klausur daher ernüchtert fest, dass sich die politischen Prioritäten der Stadtverwaltung und des Oberbürgermeisters verändert haben.
Zur gleichen Zeit startet die Initiative „Digitallotsen“. Diese Initiative soll mittels Digitalisierung die Mitarbeitenden dabei unterstützen, agiler zu werden. Aus allen Abteilungen werden diejenigen Mitarbeitenden für diese Rolle ausgewählt, die an den Themen Agilität und Digitalisierung besonderes Interesse zeigen. Trotz dieser etwas schleppend vorangehenden Agilisierung stellt die Abteilungsleiterin im Herbst 2019 die sechs Handlungsfelder inklusive des aktuellen Stands auf einer externen Konferenz des Forums „Agile Verwaltung“ vor. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind begeistert, wodurch das Image der Stadtverwaltung (kontrovers zur tatsächlichen verwaltungsinternen Stimmung und Entwicklung) stark positiv geprägt wird.
Im Oktober 2019, ein Jahr nach der Definition der Handlungsfelder, wird die zweite Stelle der Abteilung Personalentwicklung und Changemanagement mit einer Abteilungsmitarbeiterin besetzt. Gemeinsam definieren die beiden Changemanagerinnen die Umsetzung der noch verbleibenden Handlungsfelder 1 und 6. Für die Initialisierung erster agiler Projekte (Handlungsfeld 1) planen sie für den 29. Januar 2020 eine weitere Großgruppenkonferenz. Es ist angedacht, dass die rund 100 Teilnehmenden vorab Projektideen, welche sie mit agilen Methoden bearbeiten möchten, bei der Abteilung Personalentwicklung und Changemanagement einbringen. Die Großgruppenkonferenz wird von einer der Hauptakteurinnen des Forums „Agile Verwaltung“ und der Gründerin der Initiative „Verwaltungsrebellen“ moderiert. Die Teilnehmenden zeigen sich sehr interessiert und nehmen die Informationen begeistert auf. Am Nachmittag werden die 10 eingereichten Projektideen präsentiert, woraufhin sich 10 Arbeitsgruppen bilden. Diese Arbeitsgruppen erarbeiten das Canvas-Business-Modell zur jeweiligen Projektidee. Die Arbeitsgruppen überlegen sich dabei, mit welchen agilen Methoden sie die Projektideen umsetzen können. Diese Verbindung von Theorie und Praxis während der Großgruppenkonferenz hat einen positiven Effekt. Die Gruppen arbeiten nämlich nach der Konferenz in denselben Arbeitsgruppen an diesen Projekten weiter. Sie stoßen allerdings relativ schnell auf strukturell bedingte Hindernisse, was große Frustration auslöst. Sie bemängeln, dass ihnen das agile Arbeiten aufgrund der einschränkenden hierarchischen Strukturen, welche eine Ausdehnung der agilen Denkhaltung auf die Gesamtorganisation verunmöglichen, stark erschwert wird. Die Abteilungsleiterin und ihre Mitarbeiterin versuchen, dieses Strukturproblem zu umgehen, indem sie den Schwerpunkt beim Projektmanagement setzen und Aufklärungsarbeit im Bereich von Rollenbesetzungen betreiben. Sie versuchen mit diesem Vorgehen von der Seite her, und um die Strukturen herum, Agilität in der Verwaltung zu etablieren, um den Mitarbeitenden in den Arbeitsgruppen im kleinen Rahmen agiles Arbeiten zu ermöglichen. Kein einfaches Unterfangen.
Zur Unterstützung der Gruppen wird im Anschluss an die Großgruppenkonferenz im Januar 2020 das interne agile Netzwerk (Handlungsfeld 6) aufgebaut. Dieses Netzwerk trifft sich jeden zweiten Monat zu einem Meet-up und stellt damit eine Plattform einerseits für einen Erfahrungsaustausch und andererseits für Inputs seitens der Abteilung Personalentwicklung und Changemanagement dar. Das Netzwerk wird vor allem von operativ tätigen Mitarbeitenden genutzt und weniger von Führungskräften. Grund dafür ist der hohe Arbeits- und Zeitdruck. Grundsätzlich besteht seitens der Führungskräfte eine positive Haltung dem Thema Agilität gegenüber, aber „man hat einfach keine Zeit“, sich intensiv mit den neuen Methoden auseinanderzusetzen. Mit der Umsetzung des agilen Netzwerks ist das letzte Handlungsfeld umgesetzt.
Kurz darauf werden die Changemanagerinnen mit einer globalen Pandemie konfrontiert. Aufgrund der sich einstellenden Krisensituation rückt die Thematik Agilität nun leider nicht nur politisch, sondern auch operativ weiter in den Hintergrund. Die Abteilungsleiterin und ihre Mitarbeiterin haben zwar die Hoffnung, dass durch die Krise und das täglich geäußerte Bedürfnis nach einer verstärkten Digitalisierung die Initiative „Digitallotsen“ neuen Aufschwung erfährt. Leider muss aber krisenbedingt das einjährige Review zu dieser Initiative im März 2020 abgesagt werden. Trotz dieser verfahrenen Situation bleiben die Changemanagerinnen optimistisch und nutzen insbesondere das externe Netzwerk, um die umgesetzten Handlungsfelder inklusive der getätigten Initiativen zur Agilisierung der Öffentlichkeit gegenüber positiv zu kommunizieren. Und das mit Erfolg: Was intern nicht funktioniert, wird extern über eine ausgeprägte Symbolsprache umso besser verkauft. Zwangsläufig stellt sich dadurch die Frage, was passiert, wenn die Stadtverwaltung – Agilitätspionierin der deutschen Kommunen und Vorreiterin der Digitalisierung – den eigenen Ansprüchen nicht genügen kann. Wie lässt sich eine wahre Transformation der Denkhaltung innerhalb dieser Strukturen umsetzen?

7.5.4 Fall 4: Wandel zum agilen IT-Produktmanagement im eidgenössischen Departement am Beispiel HR-Agile Cluster

„Von der Steinzeit ins 21. Jahrhundert katapultiert – und das mit viel Spaß und Freude!“ So lässt sich der Entwicklungsprozess des Human Resource Management (kurz: HRM) des eidgenössischen Departements (kurz: ED) in der Zeit von 2018 bis 2020 beschreiben. Es erlebt einen großen Innovationssprung in der Zusammenarbeit mit der Informatikabteilung.
Das ED ist eine hierarchisch ausgerichtete Organisation, deren Mitarbeitende sich durch einen hohen Führungsanspruch über die Hierarchie auszeichnen. Gleichzeitig unterliegt das ED dem Departementsziel „eine lernende Organisation“ zu werden. Von Agilität wird im ED viel gesprochen. Aber von einer Verankerung in der DNA kann noch nicht die Rede sein, denn über Agilität zu sprechen und Agilität zu leben – das ist ein großer Unterschied.
Das Projektmanagement der Informatikabteilung ist nach „Hermes“ aufgebaut. Die Zusammenarbeit mit dem HRM ist umständlich. Sie ist geprägt von Missverständnissen und schwacher Kommunikation. Bei der Erarbeitung von Produkten für das HRM übernimmt niemand aus dem HRM die Verantwortung – diese liegt einzig bei der Informatikabteilung. Die Folge davon ist die Fehlinterpretation der Bedürfnisse des HRM durch die Informatikabteilung. Es werden Produkte ausliefert, die das HRM zurückweist, und so geht es frustrierend hin und her. Die Situation spitzt sich zu. Gleichzeitig kämpft das HRM jährlich mit dem sehr aufwendigen, manuell durchzuführenden Versetzungsprozess. Ziel dieses Prozesses ist die Sicherstellung der jährlichen Rotation der rund 350 diplomatischen Mitarbeitenden. Dies geschieht bis 2018 mithilfe magnetischer Tafeln, auf denen die HR-Beratenden mit roten und blauen Klebezetteln versuchen, eine passende Lösung zu finden. Der Prozess zeichnet sich durch seine Komplexität und die Beteilung mehrerer Direktionen des HRM aus. Im Wissen um diese schwierige Voraussetzung startet die Informatikabteilung des ED daher im Jahr 2018 gemeinsam mit dem HRM ein Projekt namens „HR-Agile Cluster“.
Ziel des Projektes ist es, das Projektmanagement der Informatikabteilung in ein agiles Produktmanagement zu verwandeln. Dabei soll die Projektleitung der Informatikabteilung vom HRM psychologisch als weniger wichtig wahrgenommen werden. Gleichzeitig soll das HRM stärker in die Verantwortung genommen werden, indem eine Person als Product Owner definiert wird. Dadurch soll die Kommunikation zwischen dem HRM und der Informatikabteilung verbessert werden, und das gegenseitige Verständnis soll zunehmen, um eine positive Zusammenarbeit entstehen zu lassen. Unterstützt wird die Erreichung dieses Ziels durch den Einsatz des technischen Hilfsmittels „Azure Devops“, welches neu eingeführt wird und als Drehscheibe des Projektes verwendet wird. Die Kommunikation der Anforderungen, sämtliche Diskussionen und Rückfragen, aber auch die Tests laufen über dieses technische Hilfsmittel.
Basierend auf diesen Zielsetzungen arbeitet die Informatikabteilung im Mai 2018 einen Projektauftrag für den Aufbau des „HR-Agile Clusters“ aus. Im Projektauftrag werden drei mögliche Vorgehensvarianten beschrieben – eine davon beinhaltet das agile Vorgehen mittels Scrum. Zudem werden der angestrebte Nutzen definiert und eine Kostenschätzung sowie ein Zeitplan beigelegt.
Das „HR-Agile Cluster“ besteht aus verschiedenen Bedürfnissen des HRM, welche durch die Entwicklung von technischen Anwendungen gedeckt werden sollen. Der Löwenanteil macht dabei die Anwendung zum Versetzungsprozess aus. Diese Anwendung wird „ED Transfer“ genannt und genießt erste Priorität im „HR-Agile Cluster“.
Die Geschäftsleitung bewilligt den Projektauftrag sowie die notwendigen finanziellen Mittel im Mai 2018. Zu diesem Zeitpunkt führt die Informatikabteilung das technische Hilfsmittel „Azure Devops“ ein, ein Tool, welches den Aufbau eines agilen Produktmanagements in der Informatikabteilung ermöglicht und als Drehscheibe im Projekt dient. Die Entwickler der Informatikabteilung werden geschult und erhalten Einblicke in das agile Arbeiten mittels Scrum. Im Januar 2019 entscheidet sich das HRM offiziell für die Variante des agilen Vorgehens mittels Scrum, womit die Entwicklung der Anwendung „ED-Transfer“ starten kann. In einem ersten Schritt wird zwischen Februar 2019 und August 2019 das Konzept des „ED Transfers“ erarbeitet. Dazu erhebt der extern angestellte Projektleiter die Bedürfnisse des HRM. Am meisten betroffen vom „ED-Transfer“ sind innerhalb des HRM die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit sowie die Direktion für konsularische und diplomatische Aufgaben. Der Projektleiter führt bei diesen Direktionen verschiedene Design Thinking Workshops durch und erhebt die Bedürfnisse mittels Methoden wie beispielsweise Lego Serious Play sowie im Rahmen von Mitarbeitendeninterviews. Diese Konzeptphase ist geprägt von einer starken Strukturiertheit und wird sehr ausgiebig verarbeitet. Sie wird insbesondere von der Informatikabteilung als wichtig empfunden, weil sich dadurch eine neue Kultur bei den Mitarbeitenden des HRM entwickelt und das Verständnis für die Einbringung in den Entwicklungsprozess der Anwendung „ED-Transfer“ wächst. Die Informatikabteilung und das HRM sind gleichermaßen begeistert vom Vorgehen des externen Projektleiters. Und obwohl die Ungeduld gegen Ende dieser Konzeptphase steigt, ist man sich einig, dass sich die investierte Zeit bei der Entwicklung des „ED-Transfers“ auszahlen würde.
Gleichzeitig erarbeitet die Informatikabteilung gemeinsam mit dem Projektleiter als methodische Grundlage das Konzept zum neuen agilen IT-Produktmanagement. Es beinhaltet zwei Seiten: die agile Produktentwicklungsseite, bestehend aus dem Entwicklerteam inklusive dem ebenfalls extern angestellten Scrum Master, und die hierarchische Produkt-Compliance-Seite.
Als wichtige Schlüsselperson wird die Rolle des Product Owner hervorgehoben. Der Product Owner arbeitet im HRM und übernimmt damit die Verantwortung für die inhaltliche Entwicklung des Produktes seitens HRM. Er übernimmt zudem die Verantwortung für die Ausarbeitung des Backlogs, damit das Entwicklungsteam innerhalb des jeweils dreiwöchigen Sprints weiß, welche neuen Entwicklungsschritte umgesetzt werden sollen. Damit ist diese Rolle eine wichtige Schnittstelle zwischen dem HRM (dessen Bedürfnisse der Product Owner aufnimmt) und der Informatikabteilung (der er die in Anforderungen formulierten Bedürfnisse des HRM vermittelt).
Die Compliance-Seite ermöglicht es, die Mitarbeitenden höherer Hierarchiestufen in das agile IT-Produktmanagement zu involvieren, ohne deren Alltag zu verändern. Es gibt weiters einen Projektausschuss, welchem der externe Projektleiter regelmäßig den Projektstand präsentiert. Der Ausschuss ist verantwortlich für die Freigabe von zusätzlichen finanziellen Mitteln, hat aber kein Mitsprachrecht bei der Entwicklung der Anwendung „ED-Transfer“.
Bevor die Informatikabteilung gemeinsam mit dem Product Owner in den ersten Sprint startet, erhält Letzterer eine zweistündige Schulung durch den Projektleiter. Diese Schulung beinhaltet einerseits eine Aufklärung über die Anforderungen an die Rolle als Product Owner. Andererseits umfasst sie eine Einführung in das neue Tool „Azure Devops“. Im August 2019 ist es soweit. Der Projektleiter erstellt zusammen mit dem Product Owner den Backlog und bildet die Bedürfnisse des HRM mithilfe des Tools „balsamic“ in Form von Mock-ups ab. Dadurch weiß das Entwicklerteam, was es in den nächsten drei Wochen erarbeiten soll, und startet noch im selben Monat mit dem ersten Sprint.
Die ersten zwei Sprints sind sehr technisch. Der Product Owner ist trotz des fehlenden Detailwissens anwesend und nimmt seine Verantwortung aus dem HRM heraus wahr. Doch dann kommt der Moment, in dem der Product Owner das erste Mal auf dem Bildschirm die Anwendung „ED-Transfer“ sieht. Sofort ist er begeistert und erkennt, dass dieses Projekt, diese Zusammenarbeit und das Ergebnis den hohen Initialaufwand wert sind. Für das Entwicklerteam ist die Umstellung auf das agile Vorgehen mittels Scrum nicht leicht. Die Entwickler zeigen sich anfänglich etwas ängstlich aufgrund des ungewissen Vorgehens. Sie wissen immer nur für die nächsten drei Wochen, was der Plan ist. Darüber hinaus können sie nichts planen – sie wissen nicht, was kommt. Doch auch bei ihnen löst sich der Knoten nach den ersten zwei Sprints, weil sie merken, wie viel Spaß die Zusammenarbeit mit dem HRM macht, und wie wertvoll es ist, jemanden aus dem HRM involviert zu haben, der die Verantwortung übernimmt.
Mit jedem nachfolgenden Sprint nimmt die Vertrautheit innerhalb des Entwicklerteams und gegenüber dem Product Owner weiter zu. Der Projektleiter unterstützt den Product Owner in seiner Rolle, sowohl beim Aktualisieren des Backlogs als auch in den jeweiligen Sprint-Meetings. Auch übersetzt er weiterhin die Anforderungen des HRM mithilfe des Tools „balsamic“ in Mock-ups.
Anfang 2020 sind die ersten 12 Sprints abgeschlossen, und das Fazit lautet: Es macht Spaß, und die Ziele sind erreicht. Die Zusammenarbeit hat sich durch die gewonnene Nähe zwischen dem HRM und der Informatikabteilung stark verbessert. Man kennt sich, man arbeitet gemeinsam in einem Umfeld, das geprägt ist von einer gesunden Fehler- und Feedbackkultur sowie der nötigen psychologischen Sicherheit zur Äußerung von kritischen Aussagen. Die persönliche Reifung der Entwickler und die zunehmende Kompetenz des Product Owners sowie die sich im Drei-Wochen-Takt wiederholenden Erfolgserlebnisse ermöglichen eine positive Zusammenarbeit.
Nach Abschluss des „ED-Transfers“ wird die Entwicklung weiterer Anwendungen folgen. Dabei werden die hierarchischen Strukturen nicht gestört, denn die Vorgesetzten erhalten weiterhin alle nötigen Sicherheiten und die Möglichkeit, finanzielle Entscheidungen zu treffen. Allerdings wird der externe Projektleiter nicht für immer als Unterstützung vor Ort sein. Im Gegenteil, diese Stelle soll langfristig durch eine Person aus der Informatikabteilung des ED ersetzt respektive durch den Product Owner selber übernommen werden. Ob sich dadurch an der positiven Umsetzung des Projektes „HR-Agile Cluster“ etwas ändern wird, bleibt offen.
Ziel der Informatikabteilung ist es nun, sowohl das „HR-Agile Cluster“ weiterhin auf diese Weise umzusetzen als auch eine Ausweitung auf Projekte mit anderen Linienvertretenden auszuweiten. Gestartet wurde damit bereits, wodurch die gesamte Organisation begonnen hat, sich zu verändern. Das kommende Jahr soll nun genutzt werden, um in die Details des agilen Produktmanagements einzutauchen und mittels quartalsweiser Informationsveranstaltungen den Mitarbeitenden des ED diese Zusammenarbeitsform näherzubringen. Dadurch soll das ED Schritt für Schritt in Form eines Bottom-up-Ansatzes agiler werden. Zur Unterstützung des jeweiligen Product Owners werden sogenannte „Proxy Product Owner“ vonseiten der Informatikabteilung eingesetzt. Diese sollen dem jeweiligen Product Owner, in ähnlicher Form wie der externe Projektleiter in der Entwicklung des „ED-Transfers“, unterstützend zur Seite stehen.
Ob durch die Ausweitung dieser Arbeitsweise Schritt für Schritt die Etablierung eines agileren Mindsets bei den Mitarbeitenden des ED, welche sehr traditionell unterwegs waren, ermöglicht wird, ist ungewiss. Aber zumindest scheint sich das ED auf dem richtigen Weg zu befinden und ist nicht mehr so stark in traditionellen Hierarchien und Prozessen verhaftet.

7.5.5 Fall 5: Die EAS-Transformation der DevOps@Software bei der Swisscom

„Mit Herzblut und Motivation zu einer Tribe werden, dabei neue Rollen einnehmen, Flexibilität gewinnen und ein agiles Mindset entwickeln“ – so lautet die Zielsetzung eines auf mehrere Jahre angelegten Agilitätsprojektes bei der Swisscom AG.
Swisscom ist das führende Telekommunikations- und eines der führenden IT-Unternehmen der Schweiz. Es ist ein innovatives Großunternehmen, welches sich durch moderne Arbeitsweisen und flache hierarchische Strukturen auszeichnet. Das Management der Überorganisation „DevOps@Software“ der Swisscom entscheidet sich im Jahr 2016 dafür, eine gestaffelte Transformation auf Basis des Organisationsmodells von Spotify umzusetzen. Das Ziel ist es, die rund 1500 Mitarbeitenden der Überorganisation in ungefähr 14 Tribes aufzusplitten. Während der Vorbereitungszeit kommuniziert das Management der DevOps@Software laufend transparent das Vorgehen und die Ziele. Dies geschieht in Form von Blogbeiträgen im Intranet und mithilfe von Präsentationen zu den neuen Rollen. Für die meisten Mitarbeitenden handelt es sich dabei aber noch größtenteils um Schlagworte des Managements, mit denen sie sich nicht direkt identifizieren können, respektive deren Impact auf ihre tägliche Arbeit für sie noch nicht ersichtlich ist.
Das Vorgehen der Transformation ist schrittweise. Das heißt, die neue Organisationform wird 2016 zuerst bei einem Stream, dem Swisscom TV-Team, ausgetestet. Es handelt sich dabei um das bekannte Produkt des InOne-Portfolios. Dies zeigt einen großen Erfolg und wird im Anschluss als „success story“ für die weiteren Tribe-Transformationen der „DevOps@Software“ verwendet. Überhaupt gilt das Swisscom TV-Team während der Transformation der restlichen Tribes als Leuchtturm und verkörpert die Transformationsvision.
Knapp zwei Jahre später, Anfang 2018, fehlt nur noch eine Tribe, die aus den noch übrig gebliebenen Teams entstehen soll. Es handelt sich um die „Enterprise Application Services Tribe“ (kurz: EAS-Tribe). Die EAS-Transformation betrifft 140 Mitarbeitende, welche Anfang 2018 noch in sechs klassischen Teams arbeiten.
Aufgrund der bereits umgesetzten Tribe-Transformationen bestehen viele Erkenntnisse bezüglich des Vorgehens. Dies erweist sich als Vorteil, da während der EAS-Transformation ein reger Erfahrungsaustausch mit den bereits bestehenden Tribes stattfinden kann. Gleichzeitig führt das lange Warten jedoch zu einer gewissen Ungeduld beim Führungsduo der entstehenden EAS-Tribe, welche diesen spannenden Wandel kaum erwarten kann.
Für die EAS-Transformation werden keine separat messbaren Ziele definiert. Stattdessen werden die aus den bereits umgesetzten Tribe-Transformationen vorhandenen Ziele übernommen:
  • Abbau von äußeren Strukturen durch das Wegstreichen von Führungsebenen.
  • Zusammenschluss von Betrieb und Entwicklung.
  • Verkürzung der Projekte durch die Verlagerung des Projektmanagements in eine Ablauforganisation/einen Value Stream.
Implizit will die EAS-Tribe damit folgende Unterziele erreichen:
  • Die übergreifende Zusammenarbeit zwischen den neu entstehenden Squads und den einzelnen Tribes wird verbessert.
  • Die neu formierten Squads und insbesondere die darin enthaltenen Rollen übernehmen mehr Verantwortung und haben entsprechend auch mehr Kompetenzen.
  • Die Flexibilität nimmt zu, wodurch sich die EAS-Tribe schnell auf neue Marktgegebenheiten hin anpassen kann.
  • Die Mitarbeitenden entwickeln sich in ihren Fähigkeiten laufend weiter.
Die EAS-Transformation startet mit einem Kick-off im April 2018. Erste Squads werden aber bereits ab Januar 2018 formiert. Diese gestaffelte Vorgehensweise hat sich gemäß Erfahrungsaustausch bei den anderen Tribe-Transformationen bewährt und wird daher auch in der EAS-Transformation angewendet. Der Kick-off wird dennoch als wichtiger Meilenstein zur Schaffung einer gemeinsamen Basis angesehen. Im Rahmen eines halbtägigen Workshops werden alle rund 140 Mitarbeitenden über die EAS-Transformation und die grundlegenden Ziele informiert sowie über die neuen Rollen und Prozessabläufe instruiert. Zwei Botschaften sind für den Agile Coach zentral:
  • Die Tribe strebt eine hohe Flexibilität an und nicht eine Effizienz um jeden Preis.
  • Die Mitarbeitenden sollen die Chance erkennen, sich weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten zu fördern.
Letztere Botschaft ist nicht ganz einfach in einem Plenum von rund 140 Mitarbeitenden allen verständlich und überzeugend zu vermitteln. Dafür braucht es, wie sich später herausstellt, mehr Zeit. Überhaupt wird an diesem Kick-off der Fokus mehr auf die Rollen und Prozesse sowie die damit einhergehenden neuen Kompetenzregelungen gelegt als auf die Arbeit am Mindset und die Vermittlung von zugrunde liegenden Werten. Diese Arbeit am Menschen soll erst in einem zweiten Schritt, und nur wo nötig, in den Vordergrund treten.
In den nächsten Monaten werden weitere Squads formiert, bis Ende Mai die gesamte EAS-Tribe mit ihren 14 Squads aufgebaut ist. Begleitet werden die Squads insbesondere vom Agile Coach und von internen Experten, welche die Squads vor allem im Bereich von Teambildungsmaßnahmen unterstützen. Des Weiteren gibt es innerhalb von DevOps@Software eine „Enabling Tribe“, welche die Mitarbeitenden beispielsweise beim Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Jira oder Microsoft Teams unterstützt. Aber auch externe Schulungen werden zur Förderung des Verständnisses der neuen Rollen und Prozesse durchgeführt. Für den Agile Coach wirkt diese Zeit unstrukturiert und sehr intensiv, da er von einem Standort zum nächsten geht, um die neue Denkhaltung so gut es geht zu etablieren.
Die EAS-Tribe bewegt sich in einem Umfeld vieler kritischer Services für Geschäftskunden. Der Aufbau der EAS-Tribe gliedert sich in 14 Squads, welche mit verschiedenen Rollen ausgestattet sind. Teamleader gibt es in den Squads keine. Die EAS-Tribe hat ein Führungsduo, bestehend aus einem Tribe Chief und einem Agile Coach. Dieses Führungsduo wird anfangs 2018 besetzt.
Die Kompetenzen werden während dieser Zeit von den Squads selbstständig verteilt, und auch die verschiedenen Rollen werden gemeinsam mit dem Führungsduo der Tribe aufgeteilt. Dabei fällt es vor allem schwer, die ehemaligen Teamleader in ihre neuen Rollen zu transferieren, da es diese Rolle im neuen Organisationsmodell nicht mehr gibt. Viele werden in die Rolle des Product Owners oder Scrum Masters überführt. Insbesondere beim Scrum Master handelt es sich um eine Schlüsselrolle der Transformation. Scrum Master werden vom Agile Coach befähigt, jeweils 2–3 zugeteilte Squads zu betreuen, psychologische Sicherheit aufzubauen und sich um das Wohlergehen der Mitarbeitenden in den zugeteilten Squads zu kümmern. Zur Befähigung der Scrum Master trifft sich der Agile Coach mit ihnen im Dreiwochentakt zu einem Chapter Sync. Die Scrum Master können während dieses Chapter Syncs mit spezifischen Fragen an den Agile Coach herantreten, und er kann sie wiederum in bestimmten Themen, wie beispielsweise hinsichtlich der Wichtigkeit der Etablierung einer Fehlerkultur, schulen. Die Scrum Master sollen dieses Wissen an die Mitarbeitenden der einzelnen Squads transferieren. Dieser Transfer stellt sich jedoch als sehr schwierig heraus, da die Scrum Master neu in dieser Rolle sind und nicht von heute auf morgen etwas transferieren können, das sie selbst noch nicht verstehen. Ein weiteres Problem dieses Transfers liegt in der Wahrnehmung der Rolle des Scrum Masters durch die Mitarbeitenden in den Squads. Das Problem ist nämlich, dass die Scrum Master, welche oft ehemalige Teamleader sind, weiterhin in ihrer früheren Rolle gesehen werden und dementsprechend um Entscheidungen gebeten werden. Dies widerspricht jedoch den Aufgaben des Scrum Masters und der agilen Denkhaltung, welche der Scrum Master transferieren sollte. Insbesondere Entscheidungen sollten dabei eben nicht nach „command and control“ ablaufen. Stattdessen sollte die Entscheidungsfindung rollen- oder konsensbasiert geschehen, und die entsprechende Verantwortung sollte bei den Mitarbeitenden liegen. Folge dieser ersten Monate in den Squads ist, dass verdeckte Konflikte ans Licht treten, welche auf die bisherige Hortung von Know-how bei ehemaligen Teamleadern zurückzuführen sind. Dass diese Konflikte transparent werden, birgt aus Sicht des Agile Coachs eine große Chance, weil durch die geeigneten Teambildungsmaßnahmen neue Dynamiken entstehen können und man sich als Squad insgesamt weiterentwickelt. Allerdings macht es die Transformation auch um Einiges schwieriger als ursprünglich erwartet und verzögert die Etablierung einer neuen Denkhaltung. Insbesondere weil die EAS-Transformation die letzte Tribe-Transformation der DevOps@Software ist, hat man mit einer schnelleren Entwicklung und Etablierung des agilen Mindsets gerechnet. Doch für die Mitarbeitenden der EAS-Tribe ist diese Arbeitsweise und Denkhaltung genauso neu wie für die Mitarbeitenden der ersten Tribe-Transformation zwei Jahre zuvor. Dazu kommt, dass die Mitarbeitenden der EAS-Tribe während der letzten Jahre mehrere Reorganisationen erlebt haben, bei denen lediglich oberflächliche Änderungen vorgenommen wurden. Dadurch haben sie nicht nur eine Toleranz gegenüber Veränderungen, sondern vor allem eine gewisse Resistenz entwickelt.
Die ersten Monate nach dem Aufbau der Squads sind aus den genannten Gründen für den Tribe Chief und insbesondere den Agile Coach äußerst herausfordernd. Die Transformation ist schleppend, und aufgrund des noch nicht optimal funktionierenden Transfers via den Scrum Masters sieht sich der Agile Coach gezwungen, bei den 140 Mitarbeitenden an verschiedenen Standorten in der Schweiz die neue Denkhaltung und das neue Rollenverständnis zu entwickeln. Dabei muss er deren Ängste und Befürchtungen auffangen und ihre Kompetenzen und Entwicklungsmöglichkeiten erkennen und fördern. Dies alles muss der Agile Coach tun, während er selber neu ist in dieser Rolle und viele der 140 Mitarbeitenden erst seit kurzer Zeit kennt. Zu all dem zeichnet sich mit der Zeit eine weitere Herausforderung in der entstehenden Fluktuation ab. Nicht alle Mitarbeitenden fühlen sich in der neuen Organisationsform wohl, weshalb sie sich teilweise eine Versetzung wünschen. Insbesondere bei den ehemaligen Teamleadern, welche neue Rollen einnehmen, gibt es viele Wechsel. Tatsächlich ist nach zwei Jahren kein ehemaliger Teamleader mehr dort, wo er nach dem ersten Rollenwechsel war. Folge davon ist ein großer Zeit- und Ressourcenaufwand für die Rekrutierung und Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden – eine Aufgabe, die in erster Linie ebenfalls dem Agile Coach zukommt und die den Transfer zu den Mitarbeitenden umso schwieriger macht.
Ein Schlüsselmoment ereignet sich im Herbst 2018, als der Tribe Chief der EAS-Tribe wechselt. Dadurch gibt es neue Impulse in die Transformationsarbeit. Während man in den ersten sechs Monaten laufend neue Transformationsthemen angegangen ist, wird nach der Einführung des neuen Tribe Chiefs auf einen Zehn-Wochen-Rhythmus umgestellt. Das heißt, das Führungsduo der Tribe entscheidet sich jeweils für zwei oder drei Transformationsthemen, welche die Squads während zehn Wochen neben dem laufenden Tagesgeschäft angehen sollen. Ein solches Thema ist beispielsweise die Koordination der Zusammenarbeit zwischen den Squads, wobei neue Abläufe definiert werden.
Im Anschluss an die zehn Wochen soll jeweils ein Rückblick stattfinden. Dieser wird aktuell jedoch noch nicht optimal umgesetzt. Zudem sollen erfolgreiche Beispiele von Umsetzungen innerhalb der Tribe kommuniziert werden, damit ein gegenseitiges Lernen stattfinden kann. Durch diese Umgestaltung der Transformationsarbeit kommt nochmals Bewegung in die EAS-Tribe. Den Squads wird vor Augen geführt, dass alle gemeinsam dieselbe Arbeitsweise anwenden, auch auf Transformationsebene, und dass man sich gemeinsam weiterentwickeln will und agiler und flexibler auch an sich selbst arbeiten möchte. Neben diesen Transformationsthemen, welche im Zehn-Wochen-Rhythmus behandelt werden, wird auch ein Team Mastery durchgeführt. Es ist dazu gedacht, Tribe-übergreifend strategische Entwicklungsthemen anzugehen. Dies soll dabei helfen, dass die Mitarbeitenden durch den Austausch mit anderen Tribes die volle Wirkung ihrer Rollen als Scrum Master, Product Owner, Agile Coach etc. entfalten können.
Im Jahr 2019 werden laufend Detailaspekte der neuen Organisationsform ausgearbeitet. Beispielsweise wird ein Regelwerk für die Entscheidungsfindung erarbeitet, wobei genau definiert wird, welche Aspekte die Squads demokratisch und selbstständig entscheiden dürfen und bei welchen sie eine Empfehlung an das Führungsduo der Tribe abgeben dürfen, das jedoch ein Vetorecht besitzt, etc. Es handelt sich bei diesen Aspekten hauptsächlich um Entscheidungen, welche früher ein Teamleader oder eine Teamleaderin getroffen hatten und die nun auf die neue Organisationsform angepasst werden müssen. Natürlich gibt es auch Entscheidungen, die komplett vom Führungsduo der Tribe bestimmt werden, wie beispielsweise Gehaltsfragen oder übergeordnete Strategiethemen.
Im Jahr 2019 wird zudem eine zweite Führungsebene innerhalb der DevOps@Software abgebaut. Somit verschlankt sich die Organisation nochmals. Dies hat allerdings zur Folge, dass weitere Linienaufgaben neu verteilt werden müssen und größtenteils auf das Führungsduo der Tribe fallen. Diese übernehmen somit mehr Verantwortung, welche sie wiederum auf die Squads delegieren können.
Nach knapp zwei Jahren der konstanten Transformation entscheidet sich der Agile Coach für einen Wechsel innerhalb der Swisscom. Damit verlässt er Ende 2019 die EAS-Tribe mit der Erkenntnis „Agile Werte sind wichtiger als agile Praktiken“ und übergibt an den neuen Agile Coach. Dieser startet am 1. Februar 2020 und steht nun wiederum vor der Herausforderung, das Vertrauen der Mitarbeitenden in den Squads zu gewinnen und die Scrum Master zum Transfer des Rollenverständnisses und der zugrunde liegenden Denkhaltung zu befähigen.

7.6 Analyse

Mithilfe der vergleichenden Analyse werden die Gemeinsamkeiten der Fallstudien ebenso hervorgehoben wie die Unterschiede. Dabei werden sowohl das Vorgehen als auch die Bedeutung der Rolle von „Inner Work“, des „Führungsverständnisses“, der „Organisationskultur“ und der „Technologie“ verglichen. Der Vergleich geschieht unter Berücksichtigung der theoretischen Einbettung, wodurch Abweichungen erklärt und die Argumentationen unterstützt werden. Beim Vergleich des Projekterfolgs muss der unterschiedliche Umfang der Projekte und somit die unterschiedliche Anzahl betroffener Bereiche berücksichtigt werden.

7.6.1 Vorgehen

In den fünf dokumentierten Fallstudien lassen sich bezogen auf die innere und äußere Dimension verschiedene Vorgehensweisen erkennen. Abb. 7.2 zeigt den Hauptfokus der jeweiligen Organisation im Rahmen des dokumentierten Projektes.
Die problematische Projektentwicklung der SW und der Swisscom stützt den Hinweis von Breidenbach und Rollow (2019, S. 37), nach welchem „Unternehmen einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie die inneren Dimensionen (…) ignorieren“. Während die SW in einem ersten Schritt bewusst keine Interventionen zum Aufbau der inneren Dimension vornehmen, liegt es bei der Swisscom weniger am Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Dimension als vielmehr an der Befähigung und dem Transfer mittels Multiplikatoren.
Die MB ist das einzige Unternehmen, welches ansatzweise beide Dimensionen kombiniert. Mit einem ursprünglich starken Fokus auf die innere Dimension wird im Rahmen eines Pilotprojektes grünes Licht für mehrere agile Teams gegeben und damit eine dynamische Vermischung der hierarchischen Strukturen gewährt. Der positive Stand der Unternehmensentwicklung stärkt die Aussage von Breidenbach und Rollow (2019, S. 22), nach welcher diese Reihenfolge (zuerst Aufbau der inneren Dimension und anschließend Abbau der äußeren Dimension) eine nachhaltige Veränderung ermöglicht. Es lässt sich beobachten, was Breidenbach und Rollow wie folgt beschreiben: „In diesem Fall bemerken Teams und Leitung, dass die etablierten Managementprozesse – formale Strukturen, mechanische Prozessabläufe und Kontrollen – den Bedürfnissen der Mitarbeiter nicht mehr gerecht werden, da sie zu eng sind und Kreativität, Eigeninitiative und Potenzialentfaltung im Weg stehen“ (Breidenbach & Rollow, 2019, S. 22). Durch die Tätigkeit von Mitarbeitenden sowohl in hierarchischen Strukturen als auch im agilen Team fördert die MB deren Fähigkeit, situativ den richtigen Ansatz (agiles Vorgehen oder Standardprozesse) zu wählen (Breidenbach & Rollow, 2019, S. 37).
Die Stadtverwaltung fokussiert lediglich auf die innere Dimension. Damit ist ihr Vorgehen mit dem anfänglichen Fokus der MB vergleichbar. Inhaltlich unterscheiden sich die Maßnahmen dennoch grundlegend: Während sich die MB des Themas grundsätzlich annimmt und systematisch die Grundlagen der inneren Dimension (Grundsätze der Zusammenarbeit, gemeinsames Führungsverständnis, Vision, Seitenwechsel etc.) erarbeitet, startet die Stadtverwaltung zur Entwicklung der inneren Dimension mit der Umsetzung kosmetischer Maßnahmen wie der Einrichtung eines Kreativraums oder dem begrenzten Einsatz von Kanban Boards. Der aktuelle Stand beider Entwicklungen zeigt die Folgen deutlich: Während sich bei der MB eine langsame Verlagerung des Fokus auf die äußere Dimension beobachten lässt, gelingt es der Stadtverwaltung nicht, zum Kern der Herausforderung vorzudringen und somit einen grundlegenden Wandel anzustoßen. Diese Beobachtung entspricht beeindruckend genau den Ausführungen von Breidenbach und Rollow (2019, S. 3 f.).
Spannend ist auch die Entwicklung beim ED, welches weder die innere noch die äußere Dimension direkt angeht. Anstelle dessen setzt die Informatikabteilung des ED auf die Möglichkeiten technologischer Hilfsmittel und erreicht mithilfe des Einbezugs des HRM in die agile Arbeitsmethode „Scrum“ eine hervorragende Zusammenarbeit, welche sich nun langsam über das gesamte ED ausbreitet.
Spannend ist an dieser Stelle die Frage nach den Gründen, weswegen die Organisationen so unterschiedliche Vorgehensweisen wählen. Ein erster Zusammenhang lässt sich zwischen dem gewählten Vorgehen und der Initialisierung erkennen: Sowohl die SW als auch die Swisscom initialisieren ihr Projekt mit Fokus auf die äußere Dimension top-down. Ein zweiter Zusammenhang findet sich in der Betrachtung der Ziele der jeweiligen Projekte. Die SW und die Swisscom sind die einzigen Unternehmen, welche ein organisationsweites agiles System etablieren wollen. Die Vermutung liegt nahe, dass sie dadurch von Beginn an die äußere Dimension stärker ins Zentrum rücken, ohne zu erkennen, dass für die Etablierung des agilen Systems auch die innere Dimension notwendig ist.

7.6.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Interessant ist die Gemeinsamkeit der Fallstudie der SW und der Swisscom bezüglich des Auftauchens von bis dahin verdeckten Konflikten. Die Literatur erklärt das in beiden Projekten auftretende Phänomen: Durch die unzureichende Analyse der vor Projektstart vorherrschenden Führungskultur inklusive der vorhandenen Konflikte und Spannungen „wird diese Schieflage in neuem Gewand fortschreiten“ (Breidenbach & Rollow, 2019, S. 52). Die in beiden Fallstudien dokumentierte Hoffnung des Verschwindens solcher Probleme durch die Änderung der äußeren Strukturen wird enttäuscht.
Die unzureichende Analyse hat eine weitere Gemeinsamkeit zur Folge, und zwar bezüglich unerfüllter Erwartungen. Durch die fehlende Analyse der Ausgangslage und die starke Kommunikation der Transformationsvision werden hohe Erwartungen gefördert, die anschließend nicht erfüllt werden können.
Eine weitere Gemeinsamkeit liegt im Bereich des Führungsverständnisses. In allen Fallstudien, mit Ausnahme der ED-Studie (dort werden aufgrund des Projektumfangs bislang die Führungskräfte nicht einbezogen), wird der Transfer des Wandels via Führungskräfte als zentral erkannt. Dabei gilt insbesondere das gemeinsame Führungsverständnis als Schlüsselaspekt für einen erfolgreichen Projektverlauf oder als Grund für das momentane Scheitern. Spannend ist, dass nur die MB aktiv Initiativen zur Erarbeitung eines gemeinsamen Führungsverständnisses umsetzt. Zudem lernen bei der MB die Führungskräfte durch die aktive Beteiligung im agilen Team und in den hierarchischen Strukturen, was gemäß Literatur eine Voraussetzung für die Etablierung eines agilen Mindsets ist: Nämlich situativ den richtigen Führungsansatz anzuwenden (Hofert, 2018, S. 111).
Bezüglich der Technologie werden zwei weitere Gemeinsamkeiten festgestellt: Einerseits betrifft dies die aktuelle Krisensituation der Organisationen aufgrund der vorherrschenden globalen Pandemie. Sie zwingt die Unternehmen zur Anwendung der technischen Hilfsmittel und weckt dadurch bei allen Organisationen die Hoffnung eines positiven Einflusses auf ihre jeweilige Projektentwicklung. Andererseits betrifft es die bei der Stadtverwaltung und den SW festgestellte Sprachproblematik. Da viele der technischen Hilfsmittel auf Englisch angeboten werden, wächst die Hemmnis der Anwendung enorm. Allgemein scheint die Sprachthematik bei der Umsetzung von Agilisierungsprojekten in der Praxis relevant zu sein, und das nicht nur im Kontext technischer Hilfsmittel. Die SW, die Stadtverwaltung und die MB weisen auf Probleme in diesem Bereich hin. Zum einen liegen die Probleme an der negativen Behaftung von gewissen Begriffen, welche ein Hindernis darstellen. So entschließt sich die MB etwa dazu, sich vom Begriff „Agilität“ zu entfernen. Die Stadtverwaltung hat zudem das Problem, dass Teams als „agile Teams“ bezeichnet werden, die es gar nicht sind. Zum anderen hat die Einführung von methodisch geprägten Ausdrücken, wie beispielsweise „hybrides Modell“ bei den SW, negative Folgen im Projekt, da sie von den Mitarbeitenden nicht verstanden werden.
Eine weitere Gemeinsamkeit liegt auf organisationaler Ebene bei der Ausgangslage. Die Organisationen befinden sich alle in einer stabilen Umgebung. Dies wird als förderlich angesehen, weil man „Zeit hat“ für die Organisationsentwicklung. Ein Vergleich zur Situation eines Start-ups zeigt das Interessante dieser Einschätzung. Denn während Start-ups diese Stabilität noch nicht besitzen und auch „nicht die Zeit haben“, sind sie dennoch agiler, wie eine Studie von Lohse et al. (2019, S. 4) zeigt.
Die Fallstudie der MB und diejenige des ED beschreiben den Aufbau eines dualen Systems. Dabei besteht ein großer Unterschied im Vorgehen: Während die MB um den Projekteinbezug von Mitarbeitenden beider Systeme (agil und hierarchisch) bemüht ist, nutzt das ED die Kluft zwischen den Systemen bewusst als Argument einer „Win-win Situation“. Sie sieht es als optimale Lösung, weil dadurch die Mitarbeitenden des hierarchischen Systems unbeirrt in der bisherigen Denkhaltung weiterarbeiten können, die Mitarbeitenden des agilen Systems aber dennoch die Möglichkeit einer agilen Zusammenarbeit mit der Informatikabteilung haben.
Die Fallstudien der SW, der Swisscom und der Stadtverwaltung beschreiben den Aufbau eines organisationsweiten agilen Systems. Auch hier bestehen Unterschiede im Vorgehen: Während die Stadtverwaltung keine Änderungen an den äußeren Strukturen vornehmen darf, liegt der Fokus der SW und der Swisscom genau darauf.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Kommunikation. Insgesamt fällt auf, dass die Art und Weise der Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden in allen fünf Projekten stark variiert. Die Entwicklung der MB zeigt einen ruhigen beständigen Wandel mit Konzentration der Kommunikation auf das Innere. Sie kommuniziert auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden und bewirkt im Dialog mit ihnen Schritt für Schritt eine Abnahme der Angstgefühle bei den Mitarbeitenden. Gegenteiliges ist bei der Stadtverwaltung ersichtlich. Sie setzt auf eine starke Kommunikation nach außen, etwa durch die Teilnahme an Konferenzen. Dadurch fördert sie zwar ein gutes Image, jedoch auch eine Erwartungshaltung, welche im Anschluss aufgrund fehlender Kommunikation nach innen zu Frustrationsgefühlen bei den Mitarbeitenden führt.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Wahrnehmung des Einflusses der Verwurzelung von Mitarbeitenden. Während die MB diese Verwurzelung und Sicherheit als positive Ausgangslage für die Entwicklung von Resilienz und Achtsamkeit erkennt, empfinden die SW und die Stadtverwaltung die langjährige Verwurzelung eher als Faktor zur Entstehung von Resistenz der Mitarbeitenden gegenüber neuen Themen. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen tragen gewissermaßen zu den Projektentwicklungen bei, da sie sich je nach Interpretation als Freund (Unterstützung) oder als Feind (Hemmnis) entfalten.

7.7 Resultate

Für die erfolgreiche Etablierung eines agileren Mindsets zeigten sich im Hinblick auf die zwei Forschungsunterfragen drei Themenbereiche als entscheidend: (1) der Aufbau eines Agilisierungsprojektes, (2) Faktoren der Organisationsentwicklung und (3) Inner Work. Während der Aufbau des Agilisierungsprojektes mit überschaubaren Schnittstellen separat gedacht werden kann, hängen die anderen zwei Themenbereiche eng miteinander zusammen. Das Auseinanderhalten dient vor allem einer umfassenden Beleuchtung.
Der Aufbau eines Agilisierungsprojekts bezieht sich einerseits auf das Zusammenspiel der äußeren und inneren Dimension. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kombination der beiden Dimensionen unumgänglich ist. Es scheint zudem von sehr hoher Wichtigkeit zu sein, die „richtige“ Vorgehensvariante zu wählen und umzusetzen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Folgen einer Nichtbeachtung der inneren Dimension stark unterschätzt werden und deren Entwicklung als selbstverständlich wahrgenommen wird. Es scheint daher sinnvoll zu sein, mit dieser Dimension zu beginnen. Andererseits bezieht sich der Aufbau eines Agilisierungsprojekts auf die Notwendigkeit der Klärung und Übermittlung der Vision und Ziele an die Mitarbeitenden sowie Überlegungen zum Einbezug der übergeordneten Ebenen (Governancestruktur). Das mag zunächst banal erscheinen. Es ist aber durchaus eine reelle Gefahr, dass ein paar Begeisterte, die den Zeitgeist in ihrem Rücken wissen, ein Agilitätsprojekt ohne betriebliche Notwendigkeit starten und mehr mit Duldung statt Support von weiter oben anfangen. Diese Basics des Changemanagements gelten also auch hier.
Der relevanteste Faktor der Organisationsentwicklung ist das (A) Führungsverständnis. Es wird von den betreffenden Führungskräften im Nachhinein als enorm wichtig wahrgenommen. Das bedeutet nicht, dass die Führungskräfte im traditionellen Verständnis wichtiger werden, sondern dass die Verantwortung von Führung auf alle Mitarbeitenden verteilt werden muss und diese ganzheitliche Führung wichtiger wird. Hier lohnt es sich, eine große Anstrengung und Zeit zu investieren, um eine stabile Ausgangslage zu generieren. Dies ist elementar für den Erfolg des Projektes. Die Analyse der Fallstudien zeigt, dass Unternehmen und öffentliche Verwaltungen offenbar das Gefühl haben, man könne einfach mit einem Agilisierungsprojekt starten und sich dieses neue Gewand überstreifen und dann darauf hoffen, dass die alten Probleme von allein verschwinden. Aber meist ist ja gerade das Gegenteil der Fall. Die Etablierung eines gemeinsamen Verständnisses von Führung zeigt sich als größte übergreifende Herausforderung aller Fallstudien. Umso erstaunlicher ist es, dass in fast keinem der Fälle ein agiles Führungsverständnis besonders gefördert wurde. Aktive Interventionen zur Verbesserung des Verständnisses verschiedener Führungsrichtungen wurden kaum umgesetzt. Selbstführung etwa wurde als „Zeitmanagement“ abgehandelt. Das weist auf ein zentrales Dilemma der Etablierung eines agileren Mindsets auf: Einerseits werden die Führungskräfte wichtiger, weil sie nun neben dem Tagesgeschäft auch Vorbild für etwas Neues sein müssen. Sie müssen die Vision als Multiplikatoren nach außen tragen und vertreten, um die Mitarbeitenden auch auf kultureller Ebene zu bewegen. Andererseits werden sie weniger wichtig, denn sie geben ihre formelle Macht mindestens teilweise ab, sonst findet inhaltlich keine wirkliche Agilisierung statt. Am Abgeben von Macht haben manche Führungskräfte, je nach Persönlichkeit, nur begrenzt Interesse. Widerstände bis hin zur Sabotage sind nicht auszuschließen. Was sie dabei gewinnen können, ist nicht allen automatisch klar, und es sind ja vermutlich auch je nach Sichtweise unterschiedliche Dinge. Führungskräfte brauchen also offenbar zunächst eine Extraportion Macht, um ihre Macht danach abgeben zu können, wobei der zweite Schritt nicht allen gleich leichtfällt. In den beobachteten Fällen findet sich erstaunlich wenig professionelle Vorbereitung auf diese kritische und eigentlich vorhersehbare Problematik.
Ein weiterer Faktor der Organisationsentwicklung knüpft hier an: (B) die Beteiligung der Betroffenen. Dies ist eine schon lange empirisch belegte Grunderkenntnis, und es scheint offensichtlich, dass Agilisierung kaum auf andere Art gelingen wird. Trotzdem ist dieser Aspekt nicht lapidar, weil die Führungskräfte, welche die Agilisierung umsetzen sollen, gleichzeitig ihre eigenen Rollen- und Verhaltensmuster verlassen müssen. Gerade unter Druck ist es herausfordernd, nicht in alte Muster zurückzufallen. Das Paradox ist, dass sich die Selbstständigkeit der Mitarbeitenden nicht durch Führungskräfte anordnen lässt. Man kann die Mitarbeitenden nur an die Selbstständigkeit heranführen und sie dann gewähren lassen und unterstützen.
Dies führt zum Themenbereich Inner Work. Damit ist die „Arbeit am Individuum und an der Teamkultur“ gemeint, welche auf eine „(…) menschliche Reifung, im Zuge derer Mitarbeiter innerlich stärker und selbstbewusster werden“, abzielt (Breidenbach & Rollow, 2019). Es braucht also Maßnahmen, die zur Entwicklung eines neuen Mindsets beitragen. Dies betrifft einerseits die einzelnen Mitarbeitenden, andererseits die Teamebene, also etwa die gemeinsam geteilte Vorstellung davon, welche Verhaltensweisen normal sind, welche tolerierbar sind und welche nicht. Bemerkenswert ist, dass in allen Fällen dieser Faktor unterschätzt worden ist und im Nachhinein nachgebessert werden musste. Es spricht einerseits für die Führungskräfte, die dieses Fehlen bemerkt und reagiert haben, andererseits scheint dieser konsistent begangene Fehler durch das Berücksichtigen dieser Erfahrungen vermeidbar.
Die Faktoren der Organisationskultur kristallisieren sich als sekundär heraus. Die Entwicklung einer lernenden Organisation und der Aufbau einer Fehlerkultur zeigen sich vielmehr als Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Beides kann als sinnvolles Ziel betrachtet werden, nicht aber als aktiver Einflussfaktor auf die Entwicklung eines agileren Mindsets. Die Technologie hat ebenfalls eine sekundäre Bedeutung. Sie wird wohl als hilfreich wahrgenommen, hilft allerdings nicht wirklich bei der Entwicklung eines agileren Mindsets.

7.8 Fazit

Wie kann anhand einer Interventionsstrategie beim Gros der Mitarbeitenden, welches bis dahin „traditionell“ unterwegs war, ein agileres Mindset etabliert werden?
Unter Bezugnahme auf diese ursprünglich gestellte Leitfrage macht die Analyse der Fallstudien deutlich, dass ein agileres Mindset bei traditionell ausgerichteten Mitarbeitenden nur durch die aktive Umsetzung von Interventionen zur Stärkung der inneren Dimension möglich wird. Dabei spielen in erster Linie die Führung, und als Voraussetzung dafür, die Themen von „Inner Work“ eine entscheidende Rolle. Letztlich muss der Abbau von äußeren Strukturen kontinuierlich und iterativ mit dem Aufbau der inneren Dimension einhergehen. Dies fordert einen soliden Aufbau eines Agilisierungsprojekts und eine große Ausdauer der Projektleitung sowie den Einbezug und eine gewisse Beharrlichkeit aller Beteiligten. Für die erfolgreiche Entwicklung eines agileren Mindsets ist es wichtig, dass die entscheidenden Faktoren einzeln, aber auch in ihrem Zusammenwirken gut verstanden und als bedeutungsvoll erkannt werden. Bei den untersuchten Agilisierungsprojekten war dies nur teilweise bis gar nicht der Fall. Umwege, Spannungen und Belastungen hätten mit den nun vorliegenden Erkenntnissen vermieden werden können. Diese können anderen Organisationen helfen, Agilisierungsprojekte leichter und erfolgreicher einzuführen und so zu deren organisationaler Resilienz beitragen.
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Metadaten
Titel
Mit agilem Mindset zur Resilienz
verfasst von
Alexander Hunziker
Carole Steiner
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36022-1_7

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