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04.10.2023 | Nachhaltigkeit | Interview | Online-Artikel

"ESG mit der Strategie zu vereinen, ist die größte Hürde"

verfasst von: Andrea Amerland

5 Min. Lesedauer

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Unternehmen wollen nachhaltiger werden und zumeist ist die Verantwortung dafür im Top-Management verankert. Allerdings hapert es an der Ausrichtung auf die Geschäftsstrategie und am Reporting, berichtet Experte Goran Mazar über eine KPMG-Studie im Gespräch.

Springer Professional: Wo steht die deutsche Wirtschaft laut ihrer Studie aktuell in puncto Nachhaltigkeit?

Goran Mazar: Wir haben Entscheider in Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen befragt und festgestellt, dass es große Unterschiede im Reifegrad gibt. Einige Unternehmen sind beim Thema ESG (Environment, Social und Governance) schon deutlich weiter als andere. Übergreifend sehen wir ein hohes Ambitionslevel, bei gleichzeitig großen Herausforderungen in der eigentlichen Umsetzung. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen erkennt die Wettbewerbsvorteile, die sich aus dem proaktiven Management von Chancen und Risiken im ESG-Bereich ergeben. Nachhaltigkeitsrelevante Fragen sind sogar schon bei zwei von drei Unternehmen in der obersten Management-Ebene verankert. Eine große Herausforderung sehen die Befragten aber in der Vereinbarkeit mit der Geschäftsstrategie. Zudem fehlt jedem zweiten Unternehmen ein durchgängiges System für ein umfassendes ESG-Reporting.

Angepasste Strategien, Organisationsformen und Prozesse sind aus unserer Sicht essenziell, um eine nachhaltige Unternehmensführung effektiv zu integrieren und ein umfassendes ESG-Reporting zu ermöglichen. Daher ist es problematisch, dass sich viele Unternehmen noch in der Vorbereitungsphase zur Umsetzung der EU-Taxonomie und noch nicht in der Implementierungsphase befinden. Auch die Prüfung von ESG-Kennzahlen durch externe Dritte ist bislang nur bei 25 Prozent der befragten Unternehmen verbreitet.

Gibt es in den untersuchten Branchen Unterschiede rund um die ESG-Umsetzung?

Wir sehen deutliche Unterschiede sowohl im Hinblick auf die Umsetzung der ESG-Strategie als auch im Zusammenhang mit der Bewertung von relevanten Treibern und Herausforderungen. Ein Bespiel: C-Level und Vorstand tragen bei allen befragten Unternehmen mehrheitlich die übergeordnete Verantwortung für ESG-Themenstellungen. Am häufigsten weisen die befragten Infrastrukturunternehmen diese Zuordnung auf (72 Prozent). In der Automobilbranche ist die Verankerung in der obersten Managementebene hingegen nur in jedem zweiten Unternehmen der Fall.

Woran hapert es derzeit in Unternehmen am meisten?

Die Herausforderungen variieren deutlich, nicht nur nach Branchenzugehörigkeit, sondern auch nach Unternehmensgröße. Übergreifend erachten zwei Drittel der Unternehmen die Vereinbarkeit von ESG-Aspekten mit der Geschäftsstrategie als größte Hürde. Darauf folgen die Überwachung von Zielen sowie die Steuerung der Zielerreichung (61 Prozent) und die Integration von ESG-Aspekten in etablierte Prozesse und das Reporting (jeweils 46 Prozent). Dabei messen größere Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro mit der ESG-Transformation verbundenen Herausforderungen mehr Bedeutung bei als Unternehmen mit geringerem Umsatz.

Wie sieht es mit den einzelnen Aspekten des Themas aus?

Die meisten Unternehmen konzentrieren sich auf den Umweltschutz und weniger auf soziale und die Unternehmensführung betreffende Aspekte. So haben über die Hälfte der befragten Unternehmen KPIs zur Steuerung von Umweltaspekten definiert, doch nur 35 Prozent für soziale und 40 Prozent für Governance-Aspekte. Dabei müssen für eine erfolgreiche ESG-Transformation auch Fragestellungen aus diesen Gebieten berücksichtigt werden, wie etwa Menschenrechte, Gesundheit, Diversität und Unternehmenswerte. Denn Stakeholder - von Aufsichtsbehörden und Investoren über Kunden bis hin zur Öffentlichkeit - blicken immer genauer auf die für sie relevanten ESG-Kennzahlen und die entsprechende Berichterstattung. Sie erwarten Transparenz sowie glaubwürdige, nachvollziehbare und vergleichbare Informationen, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Wenn Unternehmen ausschließlich gesetzliche Vorgaben oder vertraglich verlangte Mindestanforderungen der Stakeholder berücksichtigen, können sie Chancen aus den sich neu entwickelnden Ökosystemen schnell verpassen. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen mit dem Verständnis einer rein regulatorischen Pflichterfüllung - in einem dynamischen regulatorischen Umfeld - schnell in die Rolle des Getriebenen und im Extremfall ins Visier der Aufsichtsbehörden manövrieren.

Wo sollte das Management am besten ansetzen, um diese Probleme zu lösen?

An erster Stelle steht eine klar definierte ESG-Strategie, die es zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen gilt. Hierfür ist es wichtig, dass die obersten Führungsgremien sich klar zum Thema bekennen. Generell erfordert die nachhaltige Ausrichtung der Unternehmenssteuerung ein Umdenken bei den Leitungsorgangen. Doch um ESG erfolgreich unternehmensweit zu verankern, müssen alle Abteilungen eingebunden werden. Sowohl das Betriebs- als auch das Geschäftsmodell müssen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Wenig Beachtung findet häufig noch die zentrale Rolle der IT-Abteilung, die bei der Einführung neuer Tools für Systemkompatibilität sorgt und im Rahmen einer nachhaltigen IT-Landschaft die Voraussetzungen zur Realisierung der gewünschten Innovationspotenziale schafft. Eine enge Zusammenarbeit aller Fachbereiche im Transformationsprozess ist also unabdingbar.

Zudem sind Richtlinien und Instrumente mit eindeutigen Kriterien und Indikatoren erforderlich, um die Entwicklungen in den Bereichen Environment, Social und Governance messbar und vergleichbar zu machen. Ausgangspunkt sollte eine Bestandsaufnahme des ESG-Reifegrads der eigenen Organisation sein – am besten entlang der Dimensionen Strategy & Value, Governance & Organisation, Regulation & Reporting und Technology & Alliances. Nur so kann der Handlungsbedarf identifiziert und daraus resultierend entsprechende Transformationsprojekte eingeleitet werden.

Welche weiteren Chancen einer nachhaltigen Transformation sollten Unternehmen auf jeden Fall nutzen?

Ein proaktives und integriertes ESG-Management kann Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile bringen. Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmer stimmt dieser Aussage zu. Klar ist: Wer sich nur auf das regulatorisch vorgegebene Mindestmaß beschränkt, vergibt essenzielle Wachstumsmöglichkeiten, die zu einem höheren Unternehmenswert führen können.

Die Komplexität und Dynamik von Corporate Social Responsibility erfordert umfangreiches Fachwissen und Erfahrung. Daher kann die Einbindung erfahrener ESG-Manager und Experten die Steuerung und das Ergebnis verbessern und das Management der Schnittstellen im Unternehmen effizienter machen. Werden die Chancen und Risiken aus dem ESG-Themenbereich proaktiv gesteuert, können sich Unternehmen besser an veränderte regulatorische Vorschriften, Kundenbedürfnisse und gesellschaftliche Erwartungen anpassen. Eine proaktive Herangehensweise kann auch Wettbewerbsvorteile schaffen, indem Expansionsmöglichkeiten in neue Märkte frühzeitig erkannt und mit Innovations- und Technologieführerschaft gefestigt werden. Darüber hinaus kann das Produkt- und Serviceportfolios an zukünftige Klimarisiken angepasst und das Unternehmen auf diese Weise zukunftsfähig aufstellt werden.

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