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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Produktivität zwischen Subjekt und System

verfasst von : Hannah Schragmann

Erschienen in: Produktivität neu denken

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der in Kapitel vier entworfene humanistische Produktivitätsbegriff sollte die These beantworten, was Produktivität in Bezug auf den Menschen bedeuten kann und einen Gegenentwurf zum geläufigen ökonomisch gedachten Produktivitätsbegriff aufzeigen. Dazu sollte der in These eins definierte Zusammenhang zwischen gegenwärtigem Erleben und biographischem Streben im Mittelpunkt stehen. Was bedeutet die Hervorbringung dessen, was im Hervorbringenden bereits angelegt ist? Wie erlebt das einzelne Subjekt Produktivität? Produktivität wurde dabei als Beziehung zwischen Erfahrung und Prozess konzeptualisiert. Konstitutives Merkmal einer Produktivitätserfahrung ist dabei das in ihr angelegte Bedürfnis nach biographischer Wiederholung, nach Reproduktivität.

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Fußnoten
1
Vgl. Pies 2020, S. 25.
 
2
Genau deshalb sind die Schlagworte „Verwaltete Welt“, „Kulturindustrie“ oder „Verdinglichung“ der Kritischen Theorie Zeichen für Systemunproduktivität: Hier dient das System nicht mehr der lebendigen Produktivitätserfahrung des Subjekts, sondern falschen (x-orientierten) Vorstellungen ‚toter‘ Produktivität.
 
3
Dieses Bild von Investition findet sich etwa bei Suchanek 2015a und wird in Abschnitt 5.4 weiter ausgeführt.
 
4
Dieser Gedanke wurde maßgeblich durch Niklas Luhmanns systemtheoretischen Ansatz geprägt; vgl. Luhmann 2017.
 
5
Diese entstehen, wenn etwa von Werten ausgehend Empfehlungen gegeben werden, welche die Wirklichkeit außer Acht lassen (normativistischer Fehlschluss) oder wenn ausgehend von gegebenen Tatsachen Empfehlungen formuliert werden, ohne diese an normativen Prämissen zu orientieren (positivistischer Fehlschluss).
 
6
Vergleiche zur Verbindung von Kritischer Theorie und Phänomenologie den Sammelband Gros et al. 2022.
 
7
Für eine gute Zusammenfassung vgl. van Aaken und Schreck 2015.
 
8
Homann und Blome-Drees 1992, S. 49.
 
9
Homann 2015, S. 37.
 
10
Ebd., S.36
 
11
Ebd.
 
12
Homann 2002, S. 7.
 
13
So ging es in Blochs „Prinzip Hoffnung“ schon darum, dass richtige Rahmenbedingungen Falsches in Richtiges kanalisieren können; vgl. Bloch 2017.
 
14
Homann 2015, S. 37.
 
15
Ebd., S. 39.
 
16
Ebd., S. 42.
 
17
Vgl. ebd., S. 41.
 
18
Eucken 1990, S. 199.
 
19
Homann 2015, S. 44.
 
20
Vgl. Homann 2014.
 
21
Suchanek 2015a, S. 50.
 
22
Der vor allem in den USA explodierende Anteil von ‚Social Entrepreneurship‘ weicht diesen Dualismus stark auf. Hier steht nicht die Erzielung von Gewinnen, sondern die Bereitstellung von Gütern mit sozialem Nutzen im Vordergrund. Gewinne werden normalerweise reinvestiert, um durch Skalierung des Business Models noch mehr Menschen erreichen zu können. Hier sollen die Mitarbeitenden sich ein angemessenes Gehalt zahlen, also zu Marktkonditionen selbstständig existieren können, der Hauptzweck aber besteht in der Verbesserung oder Ausweitung der Bereitstellung des Guts selbst.
 
23
Suchanek 2015a, S. 51.
 
24
Vgl. ebd., S. 54.
 
25
Siehe hierzu etwa Suchanek 2015a, 2015b oder Suchanek 2017.
 
26
Suchanek 2015a, S. 54.
 
27
Ebd., S. 72.
 
28
Ebd., S. 54.
 
29
Ebd., S. 59.
 
30
Pies 2020, S. 25.
 
31
Ebd.
 
32
Pies 2015b, S. 79.
 
33
Ebd., S. 106.
 
34
Vgl. Pies 2020.
 
35
Vgl. ebd.
 
36
Ebd., S. 50.
 
37
Ebd.
 
38
Ebd., S. 17.
 
39
Ebd.
 
40
Siehe die Modelle und Ausführungen von Fischer-Kowalski und Schaffartzik 2008, S. 66 ff.
 
41
Fischer-Kowalski und Schaffartzik 2008, S. 70.
 
42
Vgl. Biesecker und Hofmeister 2013 sowie Biesecker et al. 2019.
 
43
Biesecker und Hofmeister 2013, S. 140.
 
44
Biesecker et al. 2019, S.129.
 
45
Es geht also um sehr viel mehr als die Fähigkeit des Subjekts, gut informierte und rationale moralische Urteile zu fällen, man denke hier an die Ausführungen zu Pies.
 
46
Vgl. Mead 1934.
 
47
Vgl. Honneth 2021. Man denke hier an den Protagonisten aus dem Kellerloch (Abschnitt 4.​4), den es immer wieder in die Gesellschaft zieht, um Anerkennung und Spiegelung zu erfahren.
 
48
Vgl. Mead 1934.
 
49
Die Mutter muss nicht die biologische, weibliche Mutter sein. Es soll damit die primäre Bezugsperson bezeichnet werden, mit der das Kind aufwächst.
 
50
Vgl. Pies 2020, S. 25.
 
51
Reckwitz 2017, S. 125. Vgl. zum Thema Subjektivierung und Unterwerfung/Autonomie im Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft auch Reckwitz 2006, 2008; Bröckling 2007; Butler 1991, 1997, 2001 oder Foucault 1990, 1991 und 2005.
 
52
Das Zitat suggeriert gewissermaßen einen intentionalen orchestrierten Prozess, der in der Realität nicht vorhanden ist. Entscheidungsträger etc. sind schließlich selbst wieder durch Sozialisation Subjekt geworden. Es vollzieht sich also eine konstante Reproduktion von Werten, deren Beginn nicht ausgemacht werden und die nur in ihrer Veränderung erklärt werden kann.
 
53
Dewey beschreibt hier die zentrale Rolle von Bildung und Schule: Die Art und Weise, wie Kinder ihre Welt konstruieren, ist wesentlich mit der Gesellschaft verbunden (vgl. Dewey 1916). Wie Kinder mit der sie umgebenden Welt in Beziehung treten, ob sie sich aktiv und mit Vertrauen für sie einsetzen, prägt zugleich die Zukunft der Welt. Wenn Kinder in der Schule auf Bewertungslogiken treffen, die das Eigene unterdrücken, und bloßes Buchwissen vermittelt bekommen, zu dem sie keine Beziehung herstellen können, wird produktives, Lernen, also Lernen in Beziehung, für sie schwierig (vgl. etwa Dewey 1903 oder Dewey und Dewey 2015). Bildung sollte also von Beginn an das Eigene fördern, wie es Ansätze der Reformpädagogik forderten. Zugleich trifft auch das auf sich selbst vertrauende Kind später wieder auf ein Arbeitsmarktsystem, das Leistung und Bewertung einfordert. Es entsteht also ein Bruch, der Widersprüche auslösen kann; vgl. Abschnitt 5.3.
 
54
Vgl. Festinger 1947.
 
55
Dies betonte bereits Spinoza in seiner Ethik. Vgl. Spinoza Ethik Anhang, § 7: „Es ist unmöglich, daß der Mensch nicht ein Teil der Natur ist und nicht ihrer gemeinschaftlichen Ordnung folgen muß; wenn er sich aber unter solchen Individuen befindet, welche mit der Natur des Menschen selbst übereinstimmen, so wird eben dadurch das Tätigkeitsvermögen des Menschen erweitert und genährt. Wenn er hingegen unter solchen ist, welche mit seiner Natur gar nicht übereinstimmen, so wird er ohne große Veränderung seiner selbst sich ihnen kaum anpassen können [Hervorhebung durch die Verfasserin]“ Und §13: „Es gehört daher eine besondere Kraft der Seele dazu, um einen jeden nach seinem Sinne zu ertragen und sich davor zu bewahren, dessen Affekte nachzuahmen [Hervorhebung durch die Verfasserin]“.
 
56
Tolstoi o. D., S. 63.
 
57
Ebd., S. 452.
 
58
Emerson 1997, S. 47.
 
59
Vgl. ebd.
 
60
Ebd., S. 44.
 
61
Ebd., S. 47.
 
62
Tolstoi o.D., S. 482.
 
63
Balzac 1966, S. 28 f.
 
64
Hinzu kommen natürlich noch die gesellschaftlichen Risiken einer solch unreflektierten Übernahme der Gedanken anderer, da Tür und Tor für Machtmissbrauch oder Unrechtsregime geöffnet werden.
 
65
Taylor 2009, S. 24 f.
 
66
Ebd.
 
67
Bereits in Abschnitt 4.​3.​3.​1 wurde betont, wie gerade mystische Traditionen diese Form der lebendigen und subjektiven Beziehung in den Fokus rücken und so etwa Meister Eckhart eine ganz andere Form des Glaubens propagierte als die katholische Kirche. Jesus selbst grenzt sich an vielen Stellen des Neuen Testaments ab von bloß institutionalisiertem Schriftglauben und betont stets das im Innen lebendige Element von Beziehung, so als Beispiel in Johannes 4:14: „wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunn des Wassers werden, das in das ewige Leben quillet.“
 
68
Fromm 2004, S. 27.
 
69
Vgl. Fromm 2004.
 
70
Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass in vielen religiösen Gemeinschaften autoritäre Strukturen herrschen, die von Anfang an ein Angstverhältnis fördern. Es soll lediglich betont werden, dass eine Bewertung von Religion im Allgemeinen und von verschiedenen Religionsgemeinschaften im Vergleich immer nur pauschalisieren wird, da Beziehung stets subjektiv verschieden gelebt und Religion aus unterschiedlichen Blickwinkeln jeweils anders interpretiert wird.
 
71
Zweig 1925, S. 259 f.
 
72
Man denke hier an die Analyse Rosas in Bezug auf die Resonanzdisposition bei jungen, katholischen Frauen.
 
73
Rosa 2016, S. 694.
 
74
Wie genau diese Bedingungen aussehen, wird in Abschnitt 5.4 weiter konkretisiert.
 
75
Kambartel 1993, S. 243.
 
76
Bei Hannah Arendt wird Arbeit generell mit Lebensnotwendigkeit gleichgesetzt. Arendt unterscheidet zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln, wobei Arbeit das unmittelbar zum Überleben Notwendige bezeichnet. Der Körper ‚arbeitet‘ in diesem Sinne kontinuierlich; vgl. Arendt 2018.
 
77
Vgl. Suchanek 2015a, 2015b.
 
78
Auch wenn sich diese Analysen im humanistischen Produktivitätsbegriff grundieren, soll dieses ‚andere‘ doch explizit auch die nicht-menschliche Mitwelt inkludieren, also die Aufrechterhaltung von Bedingungen für jede Form von Leben. Menschliche (Re)Produktivität kann nie ohne die Natur gedacht werden; vgl. Abschnitt 5.1.4.
 
79
Clausen 1988, S. 50.
 
80
Ebd.
 
81
Ebd., S. 52.
 
82
Ebd.
 
83
Vgl. Jürgens 2009.
 
84
Hier wird auch das Zeitinkonsistenzproblem relevant, nach dem jeweils gefragt werden muss, wie das Subjekt Zukunft diskontiert, wie viel es also vom Jetzt für sein zukünftiges Ich zu opfern bereit ist. Gerade bei Suchterkrankungen wird Zukunft überdurchschnittlich hoch diskontiert, das Subjekt nimmt also jetzige Belohnungen als überdurchschnittlich viel wertvoller wahr als das gesunde Subjekt. Während ein Workaholic also ‚arbeitssüchtig‘ ist und ihm zukünftige Gesundheitseinbußen unwichtig sind, hat das völlig arbeitsscheue Subjekt eine Freizeitsucht, die es zukünftige Sicherheit ebenso überdurchschnittlich diskontieren lässt wie der Workaholic. Schon 1759 beschrieb Adam Smith das Phänomen des Diskontierens, indem er erkannte, dass uns der heutige Konsum wichtiger ist als der in zehn Jahren. Ein Jahrhundert später erweiterte William Stanley Jevons diese Einsicht, indem er die Präferenz für den gegenwärtigen Konsum als über die Zeit abnehmend charakterisierte (vgl. Thaler 2015, S. 88). Man hat festgestellt, dass Diskontsätze keineswegs konstant sind, sondern variable Zinssätze dem individuellen Verhalten zugrunde liegen. Zukünftige Nutzenwerte werden also hyperbolisch, d. h. überexponentiell abgezinst (vgl. Koboldt 1995, S. 54). Zu Zeitinkonsistenzproblemen und Möglichkeiten der Selbstdisziplinierung hat die Verhaltensökonomik viele Beiträge geleistet; vgl. etwa Ainslie 1991; Becker et al. 1988; Frederick et al. 2002; Loewenstein et al. 2003; Shefrin/Thaler 1981; Schelling 1984 oder O'Donoghue/Rabin 1999.
 
85
MEW, 40, S. 516.
 
86
Ebd.
 
87
Ebd., S. 516 f.
 
88
Ebd., S. 516.
 
89
Vgl. ebd., S. 517: „Ebenso indem die entfremdete Arbeit die Selbsttätigkeit, die freie Tätigkeit, zum Mittel herabsetzt, macht sie das Gattungsleben des Menschen zum Mittel seiner physischen Existenz.“
 
90
Ebd., S. 516.
 
91
Ebd., S. 514.
 
92
Ebd.
 
93
Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Karger 1981 oder Jerich 2008, die Burn-Out und Entfremdung in Beziehung setzen.
 
94
An dieser Stelle noch ein Zitat von Dewey, das zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Mittel und Zweck stets nur vorläufig ist und der aktuellen Situation geschuldet ist: „Die traditionelle Trennung zwischen einigen Dingen als bloßen Mitteln und anderen als bloßen Zwecken ist eine Widerspiegelung der voneinander isolierten Existenz der arbeitenden und der müßigen Klassen, eine Produktion, die nicht auch eine Erfüllung darstellt und eine Erfüllung, die nicht produktiv ist. Diese Trennung ist nicht nur ein soziales Phänomen. Sie verkörpert auf der menschlichen Ebene ein Fortbestehen einer Trennung zwischen Bedürfnis und Befriedigung, die zum Leben als solchem gehört. Und diese Trennung drückt ihrerseits die mechanisch äußerliche Beziehung aus, die in der Natur zwischen Situationen gestörten Gleichgewichts, der Anpassung und Anstrengung, und dem erreichten Gleichgewicht besteht. […] Diese physische äußerliche Beziehung von Vorbedingungen und Folgen hält an; sie dauert noch in der menschlichen Industrie fort, wo Arbeit und ihr Material und ihre Produkte äußerlich erzwungene Notwendigkeiten für die Sicherung des Lebens sind.“ (Dewey 1995, S. 346)
 
95
Fromm 2015a, 2c.
 
96
Arendt 2018, S. 211.
 
97
Dabei war Aristoteles natürlich auch Kind seiner eigenen Zeit: Die Abwesenheit einer Mittelschicht und die extreme Teilung in arm und reich teilte die Gesellschaft in die Unfreien, zumeist Sklaven, die aus tatsächlich physischem Zwang heraus arbeiten und sich ihre eigene Tätigkeit nicht aussuchen können, und die Mitglieder der Gesellschaft, die ihre Zeit nach ihrem eigenen Gutdünken gestalten konnten. In diesem Sinne konnte man verstärkt davon ausgehen, dass es in auf monetäre Entlohnung ausgerichteter Tätigkeit besonders schwierig war, eine Beziehung zum Eigenen zu entwickeln.
 
98
Man vergleiche hier die Ausführungen Fromms zu psychologischen Aspekten des bedingungslosen Grundeinkommens; vgl. Fromm 2015b.
 
99
Henning 2016, S 20.
 
100
Pfeifer et al. 2022b.
 
101
„Erwerbstätig im Sinne der Internationalen Arbeitsorganisations (ILO)-Definition ist jede Person im erwerbsfähigen Alter, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum mindestens eine Stunde lang gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet hat“ (Statistisches Bundesamt 2023).
 
102
Brückner et al. 2020, S. 5.
 
103
Weidenhaus 2015, S. 114.
 
104
Natürlich gab es immer schon und gibt es weiterhin verschiedene Milieus, innerhalb derer ein anderer Biographisierungstyp vorherrschte. Auch in der Nachkriegszeit gab es viele, die in prekären Verhältnissen arbeiteten und für die Linearität kaum zutreffend war. Die Analyse soll also lediglich dazu dienen, auf Aggregatebene einschneidende sozioökonomische Entwicklungen zu skizzieren.
 
105
Weidenhaus 2015, S. 106.
 
106
Ebd., S. 97.
 
107
Reiter 2003, S. 275; zitiert nach Weidenhaus 2015, S. 113.
 
108
Im neurobiologischen Sinne wird in diesem Zusammenhang immer mehr die Rolle von Dopamin und Serotonin diskutiert: Dopamin motiviert zu Konsum (etwa durch Nahrungsaufnahme, Alkohol oder Kauf) und belohnt das Erreichen eines (Konsum-)Ziels. Ist der Konsum allerdings erfolgt bzw. das Ziel erreicht, erfolgt ein Fall in Dopamin-Leveln, das als ‚Immer-Mehr‘-Neurotransmitter stets Nachschub braucht (vgl. Westbrook et al. 2020). Im Gegensatz dazu fungiert Serotonin eher als Transmitter, der konsum-unabhängig ist und mit genereller Zufriedenheit korreliert. Wer auf das Eigenheim hinarbeitet, so eine Interpretation dessen, hat Glück vielleicht neurobiologisch an Dopamin-Ausstoß gekoppelt. So könnte man die Midlife-Crisis auch neurobiologisch interpretieren als Abfall von Dopamin-Leveln, die vorher Motivator für die Zielerreichung waren. Das Belohnungssystem des Gehirns spielt also eine entscheidende Rolle und kann wichtige Einsichten liefern.
 
109
Weidenhaus 2015, S. 106.
 
110
Dabei sollen die Bezeichnungen nur der Veranschaulichung dienen und nicht etwa suggerieren, dass ein Mönch oder eine Künstlerin etwa stets zyklischer Typ sein müsste. Ein Mönch kann besessen auf sein Seelenheil hinarbeiten, genauso wie viele Künstler:innen zielstrebig auf die Vollendung eines Werks oder eine Ausstellung hin arbeiten. Die Bezeichnung des Typus soll also nicht mit dem Beruf an sich verwechselt werden.
 
111
Fromm 1978, S. 259.
 
112
Ebd., S. 260.
 
113
Ebd., S. 262.
 
114
Ebd., S. 263.
 
115
Ebd., S. 267.
 
116
Vgl. etwa Titmuss 2019; Frey 2017.
 
117
Vgl. etwa Svensson et al. 2016.
 
118
So wird gerade in Kreativberufen der Begriff ‚Authentizität‘ zu dem Schlagwort; ein informeller Imperativ ruft dazu auf, sich in der Arbeit selbst auszuleben. Vermeintliche Authentizität wird überall nachgefragt und im Zuge der Spätmoderne ebenfalls an Entlohnung gekoppelt, man denke an die Gehälter von Influencer:innen mit hohen Follower-Zahlen auf Instagram oder von Kreativköpfen von Tech-Unternehmen. Der Marketing-Charakter Erich Fromms, der seine eigene Persönlichkeit ablegt, um in die jeweils nachgefragte Rolle zu schlüpfen, wurde in diesem Sinne abgelöst von dem Charakter, der seine ureigene Persönlichkeit vermeintlich ganz auslebt, der anders, kreativ und authentisch sein soll (wobei die Qualität dieses Authentischen innerhalb enger Grenzen vom Markt oder der Social Media Community her bewertet wird). Hartmut Rosa beschreibt eindrücklich, wie gerade in Kreativberufen Entfremdung daher resultieren kann, da das Produkt kommerziell vermarktet wird, also in Bezug auf seinen Marktwert bewertet wird, während das Subjekt frei und aus sich selbst heraus arbeiten soll, vgl. Rosa 2016.
 
119
Vgl. Rosa 2016.
 
120
Vgl. etwa die Ambulanzen an der Universität Münster (WWU 2023) oder der FU Berlin (FU 2023).
 
121
Vgl. Pörksen 2014.
 
122
Noch einmal in Fromms Terminologie: Hier zeigt sich, wie eine sozial immanente Tugend („Leiste!“) das System eventuell gar langfristig destabilisiert, da sie gelähmte Subjekte erzieht, die an ihrem Selbstanspruch zerbrechen. Zugleich verhindert die sozial immanente Tugend, dass das Subjekt die Normen der universalen Ethik („Lebe! Wachse!“) realisiert, wobei es genau die unbestimmte Sehnsucht nach diesem „Lebe! Wachse!“ ist, welche dem Subjekt verwehrt, sich einfach zur Leistung zu zwingen. Das Subjekt scheitert also am Widerspruch zwischen sozial immanenter und universalistischer Ethik, zwischen Müssen und Dürfen.
 
123
Dies ist natürlich nur eine Erklärung für Prokrastinationsverhalten, während es viele weitere individuell bedingte Gründe gibt.
 
124
Tolstoi o.D., S. 482.
 
125
Nachzulesen in Hamsun 2019.
 
126
Ob Isak sein Tun heute noch als produktiv empfinden würde, wenn die Gesellschaft ihm Anerkennung abspricht und er um die Probleme des Klimawandels wüsste, ist eine andere Frage. Schließlich entwässert er in seiner Tätigkeit die Moore und zerstört damit wichtige Kohlenstoffsenken. Anerkennung durch die Gesellschaft spielt eine wesentliche Rolle in Bezug auf das Vertrauen auf die Tätigkeit; vgl. Abschnitt 5.3.3.3.
 
127
So ist das “Aussteigerleben” als Zeichen völliger Rebellion und Misstrauens gegen Gesellschaft und System oft mit einer Rückbesinnung auf direkte Tätigkeiten wie Subsistenzwirtschaft verbunden. Ähnlich könnte wohl der Trend in Richtung Achtsamkeit und spirituelle Rückbesinnung als Versuch interpretiert werden, direkte Beziehung zu sich herzustellen in einem System, in das man sich nicht mehr eingebettet fühlt.
 
128
MEW 23, S. 531 f.
 
129
Füllsack 2008a, S. 167 f. Ebenso interessant sind die Ausführungen im gesamten Sammelband; vgl. Füllsack 2008b.
 
130
MEW 26.2, S. 548.
 
131
MEW 26.1, S. 376 f.
 
132
Ebd., S. 363.
 
133
Clausen 1988, S. 2.
 
134
Füllsack 2008a, S. 168.
 
135
An dieser Stelle wird auch klar, warum dies nicht nur eklatante Konsequenzen für den zyklischen Typ hat (vgl. Abschnitt 5.3.2.2), sondern ebenso für den linearen Biographisierungstyp, dessen ganze Planung erodiert, wenn zukünftige Ziele in Gefahr sind bzw. die eigene Lebensgrundlage zur Disposition steht.
 
136
Diese Purpose-Ausrichtung von Unternehmen ist eine prominente Entwicklung der letzten Jahre und wird in Abschnitt 5.4 und Kapitel sechs noch einmal explizit thematisiert werden, ebenso wie das Thema Nachhaltigkeit als neue Möglichkeit, Vertrauen zu stiften; vgl. Kapitel sechs.
 
137
Henning 2016, S. 13 f.
 
138
Man denke hier an Arendts programmatische Bemerkung: „Denn es ist ja eine Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um deretwillen die Befreiung sich lohnen würde. […] Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?“ (Arendt 2018, S. 13)
 
139
Vgl. Graeber 2018, S. 9 f.
 
140
Doch auch in Berufen, in denen Tätigkeit und Produkt nah aneinander liegen, spielt Vertrauen eine grundlegende Rolle. Bei Berufen im medizinischen Bereich etwa sieht das arbeitende Subjekt die Fähigkeit der eigenen Hände, anderen zu helfen und ihnen Reproduktivitätsbedingungen zu ermöglichen. Doch auch hier ist ein grundlegendes Systemvertrauen notwendig: Eine Chirurgin etwa, die eine Blinddarmentzündung operiert, wird meistens darauf vertrauen, dass ihr eigenes Tun sinnvoll ist bzw. konkrete Verbesserungen hervorruft – und dies selbst in einem politischen System, das sie als kritisch erachtet. Doch auch hier kann der Fall auftreten, dass sie aufgrund von eigener Überarbeitung, der Gefahr multiresistenter Erreger aufgrund mangelnder Hygiene oder kritisch hinterfragter Verfahren eher glaubt, die Patientin kränker zu machen. Noch deutlicher wird dies bei Pflegeberufen. Während bei dem Medizinstudium oft Prestige und Anerkennung eine Rolle spielt, wählt man den Pflegeberuf eher aus dem hohen moralischen Anspruch her, ‚für andere‘ da sein wollen. In diesem Sinne tendieren in der Pflegebranche arbeitende Subjekte, zumeist Frauen, oft dazu, sich selbst zu vernachlässigen und für andere zu verausgaben. Es besteht also Gefahr, dass über dem Bereich der Fürsorge der Bereich der Selbstsorge vernachlässigt wird, Arbeit also nicht produktiv gestaltet wird. Wenn dann auch noch systemisch bedingt die Zeit für das zu pflegende Subjekt zu gering ist und das Subjekt das Gefühl hat, sich zu überarbeiten und trotzdem nie genug tun zu können (Kriterium II), so erstarrt ein Pflegeberuf, der aus der Erfahrung heraus begonnen wurde, zu einem Zwang, der langfristig zu psychischem und physischem Burn-Out führen kann. Produktivitätserfahrungen in der Arbeit werden seltener, je geringer aufgrund von Zeitstress und Überlastung die Räume dafür sind, und ursprünglich produktive Arbeit wird zum Zwang. Wenn also auch im Bereich der Care-Arbeit durch die direkte Begegnung mit Mitmenschen das Risiko des Gefühls minimiert wird, einen „Bullshit Job“ zu machen, bedeutet dies noch lange nicht, dass das Subjekt produktiv arbeiten kann. Sowohl bei abstrakter als auch bei konkreter Produktersichtlichkeit spielt Vertrauen auf die Funktionalität der eigenen Tätigkeit eine entscheidende Rolle.
 
141
Vgl. Sandel 1996, S. 250–315.
 
142
Sandel 2021, S. 10.
 
143
Vgl. Sandel 2021. Sandel diagnostiziert den Sieg Donald Trumps gar als einen Beleg dafür, dass ein Pochen auf Verteilungsgerechtigkeit (wie es die Demokraten mit ihren Forderungen nach Erhöhung der Kaufkraft durch höheren Mindestlohn und Steuergutschriften tun) nicht genügt, wenn man das menschliche Bedürfnisse nach sinnerfüllter Tätigkeit ernst nehmen will; vgl. Sandel 2021, S. 5.
 
144
Axel Honneth nannte Anerkennung in der Arbeit, der Liebe und durch den Staat als zentrale Kriterien für ein gelungenes Leben; vgl. Honneth 2021.
 
145
Sandel 2021, S. 9; dazu Hegel 1972, §199 ff., §235–256.
 
146
Sandel 2021, S. 9.
 
147
Mit dieser Sichtweise steht dieser Dissertation in der Tradition einer Vielfalt an Ansätzen, die davon ausgehen, dass Gesellschaft und Subjekt miteinander verwoben sind.
 
148
Vgl. Horkheimer 2020, S. 21.
 
149
Vgl. für die folgenden Ausführungen Forst 2017.
 
150
Fromm 1955, S. 116.
 
151
Entfremdung als „problem of gaining access to self-guided sources of authentic self-realization” (Forst 2017, S. 528).
 
152
Diese Debatte spiegelt sich heute auch in der „Person-Situation-Debatte“ in der Psychologie, die diskutiert, ob situative Umstände oder die Persönlichkeit das Verhalten stärker bestimmen; vgl. Kenrick und Funder 1988.
 
153
Vgl. Fromm 2015a, 2c.
 
154
Vgl. ebd.
 
155
Für Marx lag das Übel, das den Menschen davon abhält, seine Potentiale auszuschöpfen, im Außen. Doch überschätzte er damit die Rolle des Außen, was die Frage nach den Gründen für diese Fehleinschätzung aufwirft. Eine Antwort könnte Folgende sein: Marx war der Prototyp desjenigen, der sich trotz eines schwierigen Außens die Welt zu eigen macht und sie produktiv bearbeitet – deshalb sah er auch in allen anderen das Potential, ebenso zu leben, er schloss von sich auf andere. Die Selbst-Blockade ‚im Innen‘ war ihm weniger bekannt.
 
156
Vgl. Sartre 2014.
 
157
In den USA etwa leider jede:r Siebte an Diabetes. Hier ist die Lebenserwartung 2022 so stark gesunken wie seit 100 Jahren nicht mehr, wobei etwa indigene Bevölkerungsgruppen mit einer Lebenserwartung von 65 Jahren wieder auf einem Wert von 1944 stehen; vgl. Arias et al. 2022.
 
158
Vgl. Lorenz-Spreen et al. 2019.
 
159
Vgl. Hickman et al. 2021 zum Thema Klimaangst, die gerade jungen Menschen Sorgen bereitet.
 
160
Vgl. Cacciopo et al. 2002.
 
161
Vgl. Helliwell et al. 2022.
 
162
Horkheimer und Adorno 2006, S. 35.
 
163
Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, dass diese zweite Erzählung nur positiv zu bewerten ist: Die permanente Suche nach intensiver Selbsterfahrung in der Gegenwart etwa kann problematische Konsequenzen haben, wenn sie z. B. daher stammt, dass das Subjekt eigentlich unter einem ebenso mangelnden Gefühl von Einbettung und Selbstbeziehung leidet wie das Subjekt des Entfremdungsnarrativs. Man denke etwa an einen jungen Menschen, der früh damit beginnt, Drogen zu konsumieren, um sich ‚zu spüren‘ und schließlich in eine Abhängigkeit verfällt, die für ihn produktive Selbstbeziehung stark erschwert und sogar zukünftige (Re)Produktivitätsbedingungen unterminiert.
 
164
Vgl. Lyotard 2012.
 
165
Feral Atlas soll an dieser Stelle als spannendes Projekt genannt werden, das versucht, diese wissenschaftliche Zersplitterung zu begrüßen und in Bezug auf das Anthropozän viele verschiedene Parallelgeschichten hervorzuheben; vgl. Tsing et al. 2020 oder auch das gleichnamige Online-Portal.
 
166
Fromm 1941, S. 108 f.
 
167
Ebd., S. 105.
 
168
Ebd.
 
169
Ebd., S. 106 f.
 
170
Fromm 2015a.
 
171
Die Überlegungen in diesem Kapitel basieren auf Lessenich 2008.
 
172
Lessenich 2008, S. 49 f.
 
173
Vgl. Kaufmann 2005.
 
174
Lessenich 2008, S. 50.
 
175
Ebd., S. 51.
 
176
Ebd.
 
177
Ebd., S. 59.
 
178
Ebd., S. 51.
 
179
Ebd., S. 52.
 
180
Ebd., S. 56.
 
181
Ebd., S. 58.
 
182
Ebd., S. 59.
 
183
Ebd., S. 60.
 
184
Schon zuvor wurde thematisiert, dass der lineare Lebenslauf weiter erodiert, je mehr sich die klassischen Lebensphasen überlappen und der von Erwerbsarbeit suggerierte ‚Halt‘ bröckelt. Dass dies je nach Persönlichkeitstyp befreiend oder verängstigend wirken kann, zeigt die tiefe Dialektik jeden gesellschaftlichen Wandels.
 
185
Ursula Lehr konstatiert, das Altern beginne bereits in der Kindheit, vgl. zur Psychologie des Alterns Lehr 2000.
 
186
Lessenich 2008, S. 60 f.
 
187
Zum Thema Purpose vgl. Druckers Aussage: “Business enterprises – and public service institutions as well – are organs of society. They do not exist for their own sake, but to fulfill a specific social purpose and to satisfy a specific need of society, community, or individual” (Drucker 1974, S.39) sowie Bartlett und Ghoshal 1994 oder Collins/Porras 2004, genauso die Werke von Simon Sinek, etwa Sinek 2009 oder Sinek 2019. In “The Infinite Game” zeigt er die Wichtigkeit eines langfristigen ‘Spielverständisses’ auf, das kurzfristige Bewertungslogiken durchbricht. Eine gute Übersicht über verschiedene Ansätze bieten Haas et al. 2021.
 
188
Vgl. Kim et al. 2010; Bauman und Skitka 2012.
 
189
Dabei zeigen Gartenberg et al. 2019, dass dies nur für Unternehmen gilt, deren Angestellte auch vom Purpose des Unternehmens überzeugt sind.
 
190
Vgl. Corporate Knights 2022.
 
191
Vgl. Ørsted 2023a.
 
192
Die Informationen stammen aus der eigenen Mitarbeit der Autorin im Unternehmen.
 
193
Dies geht einher mit der Theorie von Axel Honneth, für den Wertschätzung und demokratische Partizipation gerade auf der Arbeit essentiell sind. Wird stattdessen der Anspruch an demokratische Beteiligung in die Nicht-Arbeitszeit verschoben, bleibt angesichts von Leistungsdruck und Bestimmung des Alltagslebens durch Erwerbsarbeit kaum noch Zeit für Teilhabe.
 
194
Natürlich könnte es noch weiter gehen, indem etwa Gewinn noch stärker demokratisiert wird, doch ist das Unternehmen auf einem spannenden Weg.
 
195
Ist es zu kritisieren, wenn sich ein Subjekt in den Arbeitskontext selbst einbettet, also Sinn in der Arbeit sucht? Könnte man diesem Subjekt vorwerfen, Sinn zu sehr in der Arbeit als außerhalb von ihr zu suchen? Zu große Identifikation mit von außen vorgegeben Zielen muss stets kritisch hinterfragt werden, öffnet dies doch Tür und Tor für Ideologien (vgl. Abschnitt 5.2). Doch kann man hier nie pauschalisieren oder von außen bewerten, denn es kommt stets darauf an, wie das Subjekt mit seiner eigenen Tätigkeit (in einem Moment) in Beziehung steht.
 
Metadaten
Titel
Produktivität zwischen Subjekt und System
verfasst von
Hannah Schragmann
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43858-6_5

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