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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 3/2023

Open Access 22.05.2023 | Einwurf

Ambidextrie im Innovationsmanagment

Ein Gespräch mit Gudrun Töpfer

verfasst von: Susanne Robra-Bissantz, Gudrun Töpfer

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 3/2023

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Hinweise
Frau Töpfer ist CEO der Wechselwerk GmbH und leitet das Thinktank Ambidextrie. Gemeinsam mit Christoph Frey ist sie Autorin des Buches Ambidextrie in Organisationen: Das Praxisbuch für eine beidhändige Zukunft (Frey C, Töpfer GL (2021) Ambidextrie in Organisationen: Das Praxisbuch für eine beidhändige Zukunft. Schäffer-Poeschel.)

1 Welche Rolle spielt Ambidextrie im Innovationsmanagement?

Ambidextrie ist ein Erklärungs- und gleichzeitig Lösungsansatz im Innovationsmanagement. Aus Blickrichtung der Innovation zeigt sie im Besonderen auf, welche Schwierigkeiten entstehen, während man sich um Erneuerung und Veränderung bemüht. Es liegt im Kern der Ambidextrie begründet, dass es Organisationseffekte gibt, die einem erfolgreichen Explorieren neuer Wege und Möglichkeiten entgegenstehen. Diese entpuppen sich als richtiggehende „Handbremsen“, die einen Großteil der Bemühungen um Innovation sprichwörtlich „abwürgen“ können, wenn sie nicht als systemisch bedingt erkannt und frühzeitig adressiert werden. Es ist tatsächlich eben nicht einfach die beiden wichtigen Modi der Exploitation und Exploration in einem Unternehmen gleichzeitig zu fahren.

2 Haben Sie ein Beispiel für so eine Handbremse?

Eine erste Handbremse ist recht profan: Die beiden Modi kämpfen im Unternehmen um Ressourcen und sie rechtfertigen ihren Mitteleinsatz jeweils mit verschiedenen Argumenten. In einer Exploit-Umgebung lassen sich Mittel besser verargumentieren, wenn eine Verbesserung in Aussicht steht. Das kann z. B. der Fall sein, wenn für eine neue Produktionsanlage eine hochwertige Schulung dazugekauft wird, um die Anwendungsfehler zu reduzieren. Auch in Aussicht stehende Kosteneinsparungen sind gute Argumente, um den Einsatz von Ressourcen zu rechtfertigen: Nach Umstellung eines Prozesses oder Kauf eines besser passenden Werkzeugs kann an anderer Stelle gespart werden oder die Qualität messbar verbessert werden. Wie man an diesen Beispielen erkennen kann, ist es besonders in Umgebungen, in denen man konkrete Zahlen zur Verfügung hat, gute Praxis, einen Business Case zu rechnen und dann ROI oder andere Werte zu bestimmen. Die eingesetzten Ressourcen sind finanzielle Mittel für die Anschaffung von Anlagen, Werkzeugen oder auch Zeit, um etwas im Prozess umzustellen oder sich in Form eines Workshops Gedanken um andere Herangehensweisen zu machen. Je offener diese Frage nach einer „anderen Herangehensweise“ jedoch ist, umso eher rücken wir an die Spielregeln für den Explore-Modus heran: Hier können wir nicht auf gesicherte Daten (Stückzahlen, Ausschuss, Zeiten, Qualitätskriterien, Akzeptanzstudien) zurückgreifen, weil sie noch nicht da sind. Diese Eckdaten müssen erst beschafft oder erarbeitet werden, ohne dass dabei ein Erfolg oder auch nur Fortschritt garantiert werden könnte. Es muss also ein anderes Gedankengerüst für die Mittelverwendung aufgebaut werden, das sich nicht auf bereits bestehende Daten stützt. Die Argumente sind viel „weicher“ und qualitativer Natur und sie können in etwa so klingen: Wenn wir es nicht versuchen, wird es jemand anderes machen. Dann sind wir zu spät am Markt. – Wir wissen noch nicht, wie das neue Produkt genau aussehen könnte, aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass es einen guten Markt dafür gibt. Dass diese Argumente in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten gegenüber harten Kennzahlen verlieren, ist einsichtig und der Grund dafür, warum so genannte „U-Boot-Projekte“ längere Zeit unter dem Radar laufen, damit nicht zu früh nachgefragt wird, was denn dabei schon „herausgekommen“ sei. Erst mit den ersten kleinen Erfolgen kommen diese Projekte an die (Wasser‑)Oberfläche – oft mit der Versicherung kombiniert, dass dieses Projekt „so nebenher“ entstanden sei, ohne dass wertvolle Ressourcen woanders dafür abgezogen worden wären.

3 Und was schlagen Sie vor, um diesem Dilemma zu entkommen?

Man könnte hart formulieren, dass für Explore-Umgebungen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen, ohne dass man garantieren könnte, wann genau sich der Mitteleinsatz wie lohnen wird. Die Messkriterien sind also nicht „harte“ Zahlen, sondern besonders zu Beginn „weiche“ Faktoren wie z. B. Wissenszuwachs und Erkenntnisse. Dass dennoch auch bei neuen und offenen Projekten schnell nach dem Business Case gerufen wird, mag in der Tradition von Management liegen und daran ist nichts falsch. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts ist jedoch entscheidend: Wird zu früh gefragt, ab wann sich das Projekt denn „rechnet“, haben die Explorierenden unter Umständen noch nichts vorzuweisen außer ein paar losen Ideenfetzen und Erkenntnisse darüber, wie es nicht funktioniert. Die bessere Vorgehensweise ist, den Prozess eng zu begleiten und als Gegengewicht zum unstrukturierten Themenfeld einen hochwertigen methodischen Rahmen herzustellen.

4 Gut. Es geht also um Geld. Konnten Sie darüber hinaus auch andere ja – Handbremsen – identifizieren?

Die vorherrschende Kultur ist eine weitere Bremse, denn oftmals wird die kulturelle Gegensätzlichkeit der beiden Modi unterschätzt: Sie beinhaltet auf der darunter liegenden Ebene stark abweichende Werte, Gewohnheiten, Glaubenssätzen sowie Kriterien für Qualität, Leistung, Erfolg. Bei dieser „Handbremse“ ist eine Intervention besonders anspruchsvoll, da sich kulturbezogene Praktiken und Prozesse nur schwer von außen ändern lassen und oft nur indirekt zugänglich sind. Als Beispiel sei hier die in den letzten Jahren oft genannte Fehlerkultur genannt: Im Exploit-Modus, der von gut durchdachten Prozessen und präzise beschriebenen Abläufen lebt, ist ein Fehler eine Abweichung vom optimalen Soll und damit notwendig abzulehnen. Es entbindet die handelnden Personen natürlich nicht, nach der Ursache des Fehlers zu suchen. Das Ergebnis fällt nicht selten auf die verursachende Person, die sich nicht an die Vorgaben gehalten hat – z. B. weil sie es nicht konnte aus Sachzwängen, weil sie entsprechendes Wissen nicht hatte oder keine Erlaubnis, eine bestimmte Tätigkeit auszuführen. Das Ziel ist es, das ganze System wieder in die geplante Bahn zu bringen und dabei dann dafür zu sorgen, dass der Fehler möglichst nicht wieder auftritt, indem also Sachprobleme bereinigt werden oder Mitarbeitende ein Training besuchen, um eventuelle Wissenslücken zu schließen. Im Kontrast dazu kennt der Explore-Modus eigentlich keinen Fehler-Begriff: Es liegt in der Sache, dass etwas nicht funktioniert und dass man scheitern muss – es sei denn, bereits der erste Prototyp ist aus Zufall ein Volltreffer. Ansonsten ist es an der Tagesordnung, dass vieles nicht funktioniert. Beim Explorieren ist der konstruktive Umgang mit dem Scheitern eine Kernkompetenz. Aus Rückschlägen soll schnell gelernt werden, um möglichst bald den nächsten Versuch starten zu können. Man kann sich nun vorstellen, wie unterschiedlich die Kultur angelegt ist, wenn im Exploit-Fall ein Fehler etwas Negatives ist, das eigentlich nicht vorkommen sollte, weil es Zeit und Ressourcen kostet – und im Explore-Fall können Fehler offen diskutiert werden und sind willkommene Lernanlässe. Das Null-Fehler-Ziel – das Exzellenzprinzip steht hier der offenen Fehlerkultur gegenüber und doch sind beide jeweils Ziele für die Gesamtorganisation. Die Auflösung dieser Widersprüchlichkeiten lässt sich durch einen weiteren Wert erreichen: Wir sprechen von „Ambiguitätstoleranz“, wenn sich widersprechende Setzungen als gleichermaßen gültig nebeneinander stehen dürfen, weil sie jede für sich erklärlich, sinnvoll und wertstiftend sind.

5 Sie raten also dazu, sich die Widersprüche bewusst zu machen und auszuhalten. Wie kann das gehen?

Die Widersprüchlichkeit zwischen Exploit- und Explore-Modus liegt im Ambidextrie-Konstrukt inbegriffen. Doch haben verschiedene Ereignisse die Gegensätzlichkeit verstärkt: Die letzten Jahre waren geprägt von einer regen Diskussion darüber, wie Arbeit denn nun gestaltet sein sollte, damit sie dem Menschen und seinen Wünschen, Vorstellungen, Bedarfen und Bedürfnissen gerecht wird. Die Corona-Pandemie hat das ihrige dazu getan, denn in vielerlei Hinsicht hat sich gezeigt, dass es anders gehen kann, also dass z. B. ständige Präsenz nicht Garant für gute Leistung ist – aber ganz ohne Präsenz scheint vieles auch nicht zu funktionieren, dass mobiles Arbeiten nicht notwendig Leistungsabfall und Wettbewerbsnachteil bedeutet – aber bedeuten kann und dass Flexibilität bei der Gestaltung der eigenen Arbeitswelt dem Familien‑/Privat-Leben zugutekommen kann – aber nicht für jeden muss. Seit dem Abflauen der Corona-Pandemie kann man beobachten, wie schwer sich Entscheidende damit taten, neue, passende Regeln zu finden, die die erlebten positiven wie negativen Entwicklungen in ein Gesamtwerk integrieren. Gleichzeitig gab es erste Forschungsergebnisse, die zwar mehr Informationen einbrachten, die Entscheidung jedoch nicht unbedingt erleichterten. Wollte man die Debatte zuspitzen, käme eine (unzulässige) Kontrastierung von „altem“ und „neuem“ Arbeiten heraus, was sich wortwörtlich in zahlreichen Publikationen und Medien rund um „New Work“ niederschlägt: „Fleißaufgaben“, feste Termine, Regeln, Vorgaben, „Abarbeiten“, Excellisten … all das scheint zum alten Eisen zu gehören, denn im Kontrast dazu wirken kurze und kreativ ausgestaltete Meetings und Formate mit Kreativmethoden zur Beteiligung aller deutlich attraktiver. In Begriffen der Ambidextrie gesprochen könnte man sagen: Der Exploit-Modus wird in seiner Unbeweglichkeit und im Beharren auf Bewährtes abgewertet, während der Explore-Modus Freiheit, Flexibilität und Gestaltungsräume verspricht, die kaum einer mehr missen möchte.

6 Dann ist Explore sozusagen New Work? Und die jungen, hippen Unternehmen sind besser im Explorieren?

Nein. Die Gleichsetzung von New Work und Explore-Modus ist tatsächlich sachlich falsch, auch wenn beide ähnlich anmuten – schließlich geht es jeweils um Innovation, Aufbruch, Gestaltung, das Öffnen von Räumen, um Beteiligung, Multiperspektivenblick und methodische Abwechslung. Der Explore-Modus beschreibt jedoch eine Herangehensweise für eine bestimmte Art von Problem oder Aufgabe. New Work hingegen skizziert, wie Arbeit sein sollte, um den handelnden Menschen gerecht zu werden, sie nicht auszunutzen, krank zu machen oder ihrer Tätigkeit zu entfremden. Im New-Work-Konzept sind deutlich mehr ethische, moralische und generell weltanschauliche Aspekte zu finden, als sie im Explore-Modus überhaupt vorkommen und relevant wären. Diese oberflächliche Gleichsetzung mag auch damit zusammenhängen, dass Explorieren und das Bemühen um Innovation oft mit der Vorstellung verknüpft ist, dass kreative Freigeister einfach tun und lassen können, was sie wollen – im regelfreien Raum beherrscht das Genie das Chaos. Auch das ist nicht korrekt und vergisst, dass unstrukturierte Probleme eine starke Prozessführung oder – begleitung benötigen und dass sie methodisch gut unterstützt werden müssen. Der wichtigste Ansatzpunkt, um der Innovation den Weg zu bereiten: Es sollte konzeptionelle Klarheit darüber herrschen, dass der Explore-Modus nicht der witzige und kreative Bruder des Exploit-Modus ist. Akzeptiert man die Prämisse, dass Organisationen zum dauerhaften Bestehen beide Modi brauchen, sollte gegenüber dem Exploit-Modus genau die gleiche Wertschätzung und Akzeptanz aufgebracht werden. Es sollte an beiden Modi mit gleichem Interesse an guten Rahmenbedingungen -Ressourcen, Wissen, Zeit, Führungspersonen – gearbeitet werden und nicht einer der beiden einem Zeitgeist zum Opfer fallen.

7 Gehen wir nochmal weg vom jungen, hippen Unternehmen. Warum, meinen Sie, fällt es dem traditionellen Unternehmen tatsächlich eher schwer, der Exploration den selben Wert zuzuweisen, wie der Exploitation?

In der Literatur ist die Neigung von Unternehmen zum Exploit-Modus gut beschrieben: Man spricht bei dieser Vorliebe vom so genannten „Exploration/Exploitation Trade-Off“. Wie bereits zu Beginn beschrieben, ist der Explore-Modus eigentlich etwas, das dem Kernzweck eines Unternehmens zuwiderläuft. Unternehmen wollen Gewinn erwirtschaften. Das langwierige Ausprobieren, das Infragestellen erprobter Handlungsroutinen und das iterative Testen, Scheitern und Neustarten ist stark ressourcenaufwändig. Der schnellere, effizientere und Verschwendung vermeidende Exploit-Modus steht insofern in Einklang mit den Unternehmenszielen. Daraus ergibt sich, dass Handlungsroutinen favorisiert – verstärkt, belohnt, incentiviert – werden, die in dieses Muster fallen. Daneben gibt es aber noch einen weiteren Effekt, der die Neigung zum Exploit-Modus erklärt, und zwar das Phänomen der Pfadabhängigkeit. Damit ist gemeint: Wenn zentrale Weichen für einen bestimmten Weg eingeschlagen wurden, sei es bewusst oder unbewusst, so wird dieser Weg nicht mehr verlassen. Nach und nach stehen immer weniger Handlungsoptionen zur Verfügung. In dem immer kleiner werdenden Raum fällt das Explorieren zunehmend schwer.

8 Haben Sie dafür ein Beispiel?

Als Beispiel für Pfadabhängigkeit kann man sich eine Führungskraft vorstellen, die einen großen Faible für ausführliches und detailliertes Reporting hat. Wenn diese Führungskraft alle darauf eingeschworen hat, dass genau dies genau so nötig ist, werden sich alle daran orientieren. Wechselt diese Führungskraft irgendwann den Bereich und die danach folgende Führungskraft hat nichts dagegen – oder denkt gar, das sei bestimmt notwendig, sie kenne nur die Hintergründe noch nicht –, bleibt das ausführliche Reporting bestehen. Fragt man dann wiederum einige Zeit später, warum es in diesem Bereich ein so ausführliches Reporting gibt, kann unter Umständen keiner der Beteiligten mehr die Frage beantworten. Es folgt der berühmte Satz „das ist halt so“ – man weiß es schlicht nicht mehr. Im Alltag finden wir eine große Anzahl von Routinen, Gewohnheiten, Ritualen und geschriebenen wie ungeschriebenen Regeln, die in Summe immense Beharrenskräfte darstellen und auch an den relevanten Schaltstellen für Innovationen wirksam sind: wie Budgets erstellt werden, wie Zuständigkeiten zugeschrieben werden, wie Aufgaben arbeitsteilig gelöst werden – das sind nur drei Beispiele für Routinen, an denen innovative Bestrebungen recht einfach abperlen und alles „bleibt, wie es ist“. Dieses Beharren auf das Jetzt wird umso stärker, je erfolgreicher ein Unternehmen bisher war, denn schließlich – so die implizite Erkenntnis – muss man ja etwas richtig gemacht haben, sonst wäre man nicht an diesem komfortablen Ort des Erfolgs angekommen. Diese Argumentationslinie hält sich hartnäckig, obwohl es mittlerweile ausreichend Hinweise dafür gibt, dass es kein Unternehmen gibt, das durch vergangene Erfolge gegen Schwierigkeiten geschützt wäre, wie man es z. B. bei Kodak gesehen hat.

9 Haben Sie auch eine Empfehlung für diesen Effekt – also das Beharren auf gewohnten Lösungen?

Diesen Effekt einzuhegen, ist relativ schwierig, weil er nicht an einzelnen Personen hängt, deren Einsicht schon der Schlüssel für eine Veränderung wäre. Vielmehr ist ein Unternehmen ein dynamisches System, das sich selbst erhält. Dinge „passieren“ einfach, ohne dass man genau wüsste, was Ursache und was Wirkung ist – man nennt das Emergenz. Gelegentlich sind die einwirkenden Kräfte überhaupt nicht zu identifizieren und entsprechend schwierig ist es, passende Maßnahmen zu ergreifen. Was hierbei helfen kann ist dennoch, mit den einzelnen Personen auf der Meta-Ebene über diese Beobachtungen zu kommunizieren und zu reflektieren: Warum tun wir diese Dinge genau so und nicht anders? Steckt in einer Veränderung eine Chance – und wenn ja, für wen? Für die Organisation? Für die Individuen? Sich in diesen Fragen ehrlich zu machen, ist ein guter Startpunkt für beginnende Innovationsbemühungen.

10 Nun gut. Das klingt alles sehr schwierig. Vielleicht haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für unsere Leser:innen?

Die gute Nachricht zuerst: Innovation ist möglich. Sie hat jedoch einige inhärente Widersacher, die sich mit Hilfe des Ambidextrie-Konstrukts erkennen lassen. Ebenso ist eine gute Nachricht, dass auf der gleichen Basis auch Verständnis für die verhindernden Faktoren erzielt werden kann und Gegenmaßnahmen präziser gesteuert werden können. Die schlechte Nachricht: Dies alles kostet Organisationen Ressourcen, denn Ambidextrie ist ebenfalls etwas Neues, das aufgenommen, erlernt, bearbeitet, umgesetzt, begleitet und institutionalisiert werden muss, will man der Innovation einen leichteren Weg bereiten.
Wichtig ist, so sehe ich das, dass Unternehmen Ambidextrie-Kompetenz als wesentliche Kompetenz anerkennen. Ambidextre Kompetenz als eine Fähigkeit auf der Meta-Ebene der Organisation zu erlernen, bringt weitere Vorteile und damit Kollateralgewinne mit sich. Viele der aktuell diskutierten Konzepte und Konstrukte lassen sich durch die Ambidextrie einordnen. Ganz zuerst ist hier die Vielzahl an Führungskonzepten zu nennen: Zwischen agile Leadership, dienender Führung, transformationaler versus transaktionaler Führung und zig anderen Führungsstilen ist die Auswahl groß geworden. Die Ambidextrie bietet sich als Ordnungsprinzip an und die meisten Führungsstile lassen sich dem Exploit- oder dem Explore-Modus zurechnen. Es mag einige Stile geben, die sich nicht einordnen lassen, für die meisten ist dies aber machbar und ermöglicht so führenden Personen, eine Wahl zu treffen. Der Charakter eines Ordnungsprinzips der Ambidextrie lässt sich noch in anderen Bereichen beobachten: So sind die benötigten Ressourcen in beiden Modi unterschiedlich und es fällt mit den beiden Modi im Sinn leichter, den Bereichen passende Ressourcen zukommen zu lassen. So ist für Exploit-Umgebungen wichtiger, Entscheidungen zu treffen, klare Richtlinien und Regeln zu formulieren und für eindeutige Zuständigkeiten und geklärte Schnittstellen zu sorgen. In Explore-Umgebungen hingegen ist im Optimalfall mehr Zeit und ein methodisch-konstruktiver Zugang zu unstrukturierten Problemen hilfreich. Außerdem hilft ein erwachsener Umgang mit den möglichen Rückschlägen, die iteratives Ausprobieren und Scheitern beim Explorieren mit sich bringen.
Wie man sieht, ist das Beherrschen von Ambidextrie eine Metakompetenz, die in mehrerlei Hinsicht auf die Zukunftsfähigkeit von Organisationen einzahlt: Sie liefert zum einen das Vokabular, um über Innovation und deren organisationale Verhinderung zu sprechen. Sie bietet außerdem einen Erklärungsrahmen, an welchen Rädchen zu drehen ist, um sowohl für Exploit- als auch für Explore-Aufgaben optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Ganz zuletzt ermöglicht sie, das Befassen mit Impulsen aus der Außenwelt zur Daueraufgabe von Organisationen zu erklären – eine Fähigkeit, die in der Zukunft gefragter denn je sein dürfte.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Ambidextrie im Innovationsmanagment
Ein Gespräch mit Gudrun Töpfer
verfasst von
Susanne Robra-Bissantz
Gudrun Töpfer
Publikationsdatum
22.05.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 3/2023
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-023-00982-0

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