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01.03.2023 | Arbeitswissenschaft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Die Viertagewoche ist keine Utopie mehr

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5 Min. Lesedauer

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Bis Donnerstag arbeiten und dann ohne Lohneinbußen ab ins Wochenende. In Großbritannien bestätigt ein groß angelegtes Experiment die positiven Effekte der Viertagewoche. Aber funktioniert das Modell auch in Deutschland?

Einhundert britische Unternehmen mit rund 2.600 Mitarbeitenden haben sich für eine dauerhafte Viertagewoche bei vollem Gehalt ausgesprochen. Ist das nur ein kleiner progressiver Haufen oder die Vorhut einer bahnbrechenden Umwälzung, wie es die Kampagne 4-Day-Week verkündet? 

Sie hält das westliche Arbeitszeitmodell – von Montag bis Freitag – für ein überholtes Relikt aus einem anderen Wirtschaftszeitalter, konzipiert für eine Agrar- und Industriewirtschaft, die mit der Arbeitnehmerrealität von heute nichts gemeinsam hat. "The five-day week just doesn’t reflect the needs of the modern world", schreibt auch der Labour-Abgeordnete Peter Dowd in seinem Gastkommentar im Guardian

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Warum die Viertagewoche ein zeitgemäßes Modell ist

Die Idee ist nicht neu. Schon 1930 wagte der britische Ökonom John Maynard Keynes die Prognose, dass im 21. Jahrhundert die Menschen nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten, weil die Technologie immer mehr Aufgaben übernehmen würde. Dank des technischen Fortschritts und der Globalisierung kann tatsächlich immer mehr Arbeit von immer weniger Menschen erledigt werden. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, sodass Menschen bis ins hohe Alter berufstätig sein können oder müssen. 

Trotzdem hat sich die Arbeitswelt nicht so entwickelt, wie Keynes es vorhergesagt hat. In Deutschland arbeiteten Vollerwerbstätige im Jahr 2019 durchschnittlich 41 Stunden pro Woche – eine Zahl, die sich dem Statistischen Bundesamt zufolge seit 1990 kaum verändert hat (41,4 Stunden/Woche). Die mittlere Arbeitszeit aller Erwerbstätigen (34,8 Stunden) ist seit 1991 rückläufig. Sie wird allerdings von der wachsenden Zahl Erwerbstätiger in Teilzeit beeinflusst. Die Folge von langen Arbeitswochen ist eine enorme Belastung für die Beschäftigten. Es steigt das Risiko für Burn-out und körperliche Beschwerden. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die in der Teilzeitfalle sitzen. Die Viertagewoche könnte ein Weg aus diesem Dilemma sein: Sie ermöglicht es Unternehmen, ihre Belegschaft zu entlasten und mehr Menschen einzustellen. 

Vorteile der Viertagewoche für Unternehmen und Mitarbeiter

In Großbritannien hat der Thinktank Autonomy die Ergebnisse seiner oben genannten Langzeitstudie mit der 4-Day-Week-Kampagne gerade wieder aktualisiert. Das Ergebnis: Die teilnehmenden 100 Unternehmen konnten ihre Profitabilität steigern, indem sie Kosten für neue Kollegen sowie für Schulungen und Weiterbildung einsparten. Gleichzeitig arbeiteten die Mitarbeiter produktiver und machten weniger Fehler. Die Arbeitszeitverkürzung hat auch in anderen Ländern, so etwa bei Microsoft in Japan, zu positiven Ergebnissen geführt. Dort hat sich während der Erprobungsphase die Produktivität der Mitarbeitenden um 40 Prozent gesteigert. Es wird auch erwartet, dass wegen der kürzeren Arbeitszeiten weniger Fehler entstehen und es zu weniger Unfällen am Arbeitsplatz kommt. 

Wie die Viertagewoche in anderen Ländern ankommt

In Belgien ist es Mitarbeitenden seit Jahresbeginn gestattet, ihre Vollzeitstunden auf weniger Tage zu verteilen. Die Viertagewoche nach diesem Modell wäre auch in Deutschland mit dem geltenden Arbeitszeitgesetz vereinbar, wie Springer-Autor Holger Schäfer vorrechnet: "Wer vier Tage lang jeweils zehn Stunden arbeitet, kommt werktäglich lediglich auf 6,7 Stunden im Durchschnitt" (Seite 159). Der Samstag ist als Werktag in die Rechnung inkludiert. 

In Island hat eine moderate Arbeitszeitverkürzung dazu geführt, dass 86 Prozent der Angestellten, vor allem im öffentlichen Dienst, in Teilzeit arbeiten oder das Recht dazu haben. Allerdings, so schränkt Schäfer ein, gingen die Verkürzungen dort mit Arbeitsverdichtung einher und es musste mehr Personal eingestellt werden. "Es erscheint fraglich, ob Effizienzsteigerungen im isländischen öffentlichen Dienst eine Blaupause für eine massive Steigerung der Stundenproduktivität in der deutschen Privatwirtschaft darstellen könnten" (Seite 159).

Viertagewoche: Gut für Mensch und Umwelt

Auch Umwelt und Gesundheit sollen durch die Arbeitszeitverkürzung profitieren. So verbesserte sich das Wohlbefinden der isländischen Arbeitnehmenden nachweislich, gleichzeitig nahmen Stress und Burn-out ab. Durch die kürzere Arbeitszeit wird mehr Zeit für Freizeit und Privates frei. Das verlängerte Wochenende verspricht Entspannung und Erholung. Eine Studie der Londoner Umweltorganisation Platform ergab außerdem, dass durch die Verkürzung der Arbeitszeit um einen Tag die Kohlendioxidemissionen um bis zu 127 Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt werden könnten. Das entspreche dem Verzicht auf alle Privatfahrzeuge. Ein weiteres Argument für die Viertagewoche ist die Energiekrise. In Deutschland führen aktuell immer mehr Betriebe Arbeitszeitverkürzungen ein, um ihre Energiekosten zu reduzieren.

Herausforderungen beim Wechsel zur Viertagewoche

Volkswirtschaftlich sei die Viertagewoche in Deutschland definitiv möglich, sagt Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Und auch die Studienergebnisse überzeugen ihn mit Blick auf die erhöhte Produktivität. Offen ist für Frey noch die Frage der arbeitsrechtlichen Ausgestaltung: Die Belegschaften müssten eingebunden werden und die Arbeitstage dürften nicht zu lange sein. 

Das Aushandeln guter und fairer Arbeitszeitmodelle braucht einen langen Atem - mit Analyse-, Pilot- und Evaluierungsphase. Die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertreter während des gesamten Prozesses ist dabei ein ebenso wichtiger Erfolgsfaktor wie Belange aller Anspruchsgruppen zu berücksichtigen.

Arbeitszeitprojekte setzen auf Beteiligung und Fairness (Seite 63):

  • Flexibilisierungsanforderungen der Organisation mit Flexibilisierungsbedarfen der Beschäftigten in Einklang bringen
  • Arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen folgen
  • Der Gesundheitsschutz hat Priorität 
  • Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements können flankierend genutzt werden
  • Individuelle Wünsche der Beschäftigten nach Selbstbestimmung (Freiräume) bei der Arbeitszeitplanung werden berücksichtigt 
  • Anliegen besonderer Zielgruppen (Eltern, Ältere) finden Beachtung
  • Veränderungen nicht gegen den Willen einer Mehrheit der Belegschaft einführen
  • Eine den Anforderungen entsprechende solide Personalbemessung zugrunde legen

Wie viele Stunden Arbeit sind vertretbar?

Weniger arbeiten für das gleiche Geld, es könnte gehen. Aber wie kompensiert der Mensch Arbeitstage von zehn Stunden und mehr psychisch und physisch? Lässt sich die Konzentration an langen Tagen halten, wenn der Schreibtisch unter der Last komplexer Aufgaben ächzt? Ist es wirklich gesund, regelmäßig mehr Stunden als gewohnt zu arbeiten? Bedeutet ein Tag mehr Wochenende, insbesondere für Frauen nicht auch einen Tag mehr Care-Arbeit? 

Gerade will Bayerns Arbeitsministerin Ausnahmen ermöglichen für die bislang zulässige Höchstarbeitszeit von zehn Stunden. Für mehr Flexibilität. Voraussetzung müsse jedoch sein, dass die Mehrarbeit nach der "Gefährdungsbeurteilung vertretbar erscheint" und in absehbarer Zeit ausgeglichen werden könne. 

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