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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Ist jetzt alles Kommunikation?

verfasst von : Jo Reichertz

Erschienen in: Kommunikationsmacht

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Eine wichtige Frage in der Kommunikationswissenschaft, wenn nicht sogar die ‚Gretchenfrage‘, ist die, wie man es mit der Intention der Kommunizierenden hält. Ist nur das Kommunikation, hinter dem auch die Absicht des ‚Sprechers‘ steht, genau dies dem ‚Hörer‘ zu übermitteln?

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Fußnoten
1
Beispielhaft für den Ton und die Form der Auseinandersetzung hier eine kurze Passage von Gerold Ungeheuer: „Die Behauptung, man könne ‚nicht nicht kommunizieren‘, ist neuerdings, vor allem durch die deutsche Übersetzung des Buches von Watzlawick et al., bei uns bekannt geworden und wird überall, beinahe gedankenlos, wiederholt. Die Meinung ist, ‚alles Verhalten ist Kommunikation‘; jede Handlung eines Menschen trage deswegen kommunikativen Charakter, weil sie als Quelle von Information über das handelnde Individuum betrachtet werden kann. In dieser Allgemeinheit ist diese Aussage aber selbst leer und behauptet, was man mit anderen Worten längst schon wußte. Hinter der Formulierung verbirgt sich der nahezu analytische Satz: jede Wahrnehmung und Beobachtungen gibt dem, der wahrnimmt, Information; oder, auf die Spitze getrieben: jeder Wahrnehmende nimmt wahr“ (Ungeheuer 1987: 2 f.). Siehe ähnlich vehemente Ablehnungen in Schülein 1972, Ziegler 1977, Meister 1987 und Girgensohn-Marchand 1992.
 
2
„Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Individuen in unmittelbarer Gegenwart voneinander, auch wo die Umstände keinerlei gesprochene Kommunikation erfordern, einander nichts desto weniger unvermeidlich in irgendeine Art von Kommunikation verwickeln; denn in allen Situationen wird bestimmten Dingen, die nicht notwendig mit verbaler Kommunikation zusammenhängen, Bedeutung beigemessen. Dazu gehören körperliche Erscheinung und persönliches Handeln: Kleidung, Haltung, Bewegung und Gang, Stimmlage, Gesten wie Winken oder Grüßen, Make-up und offener emotionaler Ausdruck“ (Goffman 1971: 41).
 
3
Im Übrigen wäre es schon eine kleine wissenschaftssoziologische Studie wert, weshalb und aus welchen Gründen gerade Paul Watzlawick so heftig attackiert wird.
 
4
Für unsere Betrachtung ist interessant, wie diese Textpassage im Englischen hieß – nicht nur für den Nachweis der eigenständigen Übersetzungsleistung von Paul Watzlawick, sondern auch deshalb, weil der Ausdruck „Verhalten aller Art“ gar nicht enthalten ist: „Further, in regard to even the simplest possible unit, it will be obvious that once we accept all behavior as communication, we will not be dealing with a monophonic message unit, but rather with a fluid and multifaceted compound of many behavioral modes – verbal, tonal, postural, contextual, etc. – all of which qualify the meaning of all the others“ (Watzlawick 1967 et al.: 50).
 
5
Hinter diesem Verständnis von Kommunikation stehen anthropologische, sozialtheoretische und auch gesellschaftstheoretische Annahmen, die letztlich darauf beruhen, dass Menschen und insbesondere menschliche Gesellschaften mit ihrer Umwelt in unterschiedlicher Weise umgehen. Je nachdem, wie viel sie ihrer Umwelt zugestehen, so zu sein, wie sie selbst sind, geben sie dieser Umwelt auch Möglichkeiten der Kommunikation. Mit Bäumen, die man für Verkörperung der eigenen Ahnen hält, geht man anders um als mit Bäumen, die man für Rohmaterial für Tische und Schränke hält.
 
6
All das kann man natürlich auch anders ausdrücken – so zum Beispiel Niklas Luhmann, dem ich hier ausdrücklich zustimme (ansonsten aber seinem Verständnis von Kommunikation fernbleibe): „Wenn Alter wahrnimmt, daß er wahrgenommen wird daß auch sein Wahrnehmen des Wahrgenommenwerdens wahrgenommen wird, muß er davon ausgehen, daß sein Verhalten als darauf eingestellt interpretiert wird; es wird dann, ob ihm das passt oder nicht, als Kommunikation aufgefaßt, und das zwingt ihn fast unausweichlich dazu, es auch als Kommunikation zu kontrollieren. Selbst die Kommunikation, nicht kommunizieren zu wollen, ist dann noch Kommunikation; und es bedarf im allgemein einer institutionellen Erlaubnis, wenn man sich in Anwesenheit anderer angelegtlich mit seinen Fingernägeln beschäftigt, aus dem Fenster hinausschaut, sich hinter einer Zeitung zurückzieht. Praktisch gilt: daß man in einem Interaktionssystemen nicht nicht kommunizieren kann; man muss Abwesenheit wählen, wenn man Kommunikation vermeiden will.“ (Luhmann 1984: 561 f.).
 
7
Natürlich resultiert diese Bedeutung des Blickens nicht aus der ‚Natur‘ des Blicks, sondern der gesellschaftlichen Deutung des Blickens. Diese variiert selbstverständlich von Gesellschaft zu Gesellschaft und in der Zeit.
 
8
Bei der Betrachtung der Internetkommunikation und hier insbesondere bei der Betrachtung des Chattens zeigt sich, dass dieses Medium neue Formen des Nicht-Kommunizieren bzw. neue Formen der Wahrnehmung und Nicht-Wahrnehmung gebracht hat. Es ist nämlich für die Beteiligten nie ganz klar, wer nicht nur online, sondern auch am Monitor ist. Alle können immer vorgeben, den Monitor nicht wahrgenommen zu haben und somit ihre Nicht-Reaktion als bedeutungslos markieren. Mit Anrufbeantwortern kann man ein ähnliches Spiel treiben, weil hier wie dort das Wahrnehmungsfeld variabel ist oder anders: es nicht geklärt werden kann, ob der Andere im eigenen Wahrnehmungsfeld ist oder ob man im Wahrnehmungsfeld des Anderen ist.
 
9
Wegen der Fehldeutung seiner Aussagen von 1968 stellt er drei Jahre später richtig: „Please note that this and other equations regarding relative importance of verbal and nonverbal messages were derived from experiments dealing with communications of feeling and attitudes (i.e., like-dislike). Unless a communicator is talking about their feelings or attitudes, these equations are not applicable“ (Mehrabian 1971: 176).
 
10
Allgemein zur Bedeutung nonverbaler Kommunikation siehe Birdwhistell (1970), Ekman/Friesen (1978), Sager (2004) und Scherer/Wallbott (1979).
 
11
„Die ‚bloße Erscheinung‘ muß eine der wichtigsten Formen der symbolischen Aussage in der westlichen Zivilisation sein. Denn es sind die Erscheinungen, durch die die Zivilisation den Grundwiderspruch ihrer Konstruktion in ein Wunder der Existenz verwandelt: eine zusammenhängende Gesellschaft aus vollkommen Fremden. Ihr Zusammenhalt hängt jedoch von einer Kohärenz spezifischer Art ab: von der Möglichkeit, andere Menschen, ihre soziale Stellung und damit ihr Verhältnis zu einem selbst auf ‚den ersten Blick‘ zu erfassen.“ (Sahlins 1994: 286).
 
12
Vom Rausgehen ist noch die Exit-Option zu unterscheiden. Wer rausgeht, will wiederkommen, wer die Exit-Option wählt, will den Handlungsraum nachhaltig verlassen.
 
13
Hier sei an das berühmte Wort Herbert Wehners erinnert, der einmal über die Logik des Verlassens des Parlamentssaales gesagt hat: „Wenn man rausgeht, sollte man wissen, wie man wieder reinkommt.“
 
14
„Meine leibhaftige Körperlichkeit ist dergestalt, ob ich es will oder nicht, ein – von mir nur beschränkt kontrollierbares – Anzeichenfeld für den im Gegenüber fokussierten öffentlichen ‘Blick‘ (…). D. h., auch all die Aktivitäten, die nicht kommunikativ intendiert sind, geben Auskunft über mich, über meine Stimmung(en), eventuell auch über meine Bedürfnisse, vielleicht sogar über meinen Charakter“ (Hitzler 2002: 78).
 
15
Die deutsche Rechtssprechung bezieht in dieser Frage eindeutig Stellung für das Auge. Denn im Gerichtssaal gilt das Prinzip der Unmittelbarkeit und das der Mündlichkeit. Zeugen wie Beschuldigte dürfen in der Regel nicht per Medium (also via Konferenzschaltung oder Videokonferenzschaltung) an der Hauptverhandlung teilnehmen (Ausnahme: Kinder, insbesondere bei Sexualdelikten) und Zeugen müssen sich mündlich, also mit Stimme, Gesicht und Körper äußern. Interessant ist nun, und das ist der springende Punkt: Blinde sind bei deutschen Gerichten nicht als Schöffen zugelassen, da sie nicht in der Lage sind, den Körperausdruck des Zeugen bzw. des Angeklagten zu sehen und zu beurteilen, was von dem kommunikativen Handeln und Tun zu halten ist. Manche, die auf die Kraft von Power-Point-Präsentationen vertrauen, könnten daraus etwas lernen, nämlich dass die Überzeugungskraft von kommunikativen Handlungen nicht aus dem Medium resultiert, sondern aus Stimme, Ausdruck und Körper des Kommunizierenden.
 
16
Welche Bereiche körperlichen Verhaltens wann für die Kommunikation relevant sind, das ergibt sich aus den gesellschaftlich geschaffenen Rahmen und Situationen. In der Situation ‚Liebesspiel‘ wissen die Beteiligten sehr wohl, dass sie weniger mit Worten als mit typisierten und damit typischen Verhaltensformen die Kommunikation gestalten und es werden Verhaltensformen kommunikationsrelevant (z. B. beim Küssen), die ansonsten verdeckt und bedeutungslos sind.
 
17
Die Überlegungen in diesem Kapitel sind in der 2. Aufl. durch Kap. 11 Haben Dinge Macht? weiter ausgeführt worden.
 
Metadaten
Titel
Ist jetzt alles Kommunikation?
verfasst von
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8_6