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2024 | Buch

Kommunikationsmacht

Wirkungen und Potentiale kommunikativen Handelns

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Über dieses Buch

Kommunikatives Handeln kann Macht entfalten, kann anderen ein bestimmtes Handeln nahelegen, ohne dass direkter oder indirekter Zwang dahintersteht. Die Frage ist, weshalb kommunikatives Handeln auch ohne Gewalt und Herrschaft Macht haben kann. Eine Antwort auf diese Frage hat die Soziologie bislang noch nicht geben können. Hier wird eine Antwort entworfen, indem gezeigt wird, dass und wie alltägliche Kommunikationsmacht sich im kommunikativen Mit- und Gegeneinander erst aufbauen muss, um dann wirken zu können. Dabei kommen der Beziehung der Menschen zueinander, deren gegenseitige Anerkennung und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Identität der Beteiligten eine besondere Bedeutung zu. Ein solches Verständnis der alltäglichen Macht von kommunikativem Handeln kann dabei auch helfen zu verstehen, wann und unter welchen Bedingungen Kommunikation in den privaten und öffentlichen (digitalen) Medien wirksam sein kann. Ein Verständnis kann jedoch auch dabei helfen, selbst über kommunikatives Handeln Wirkung zu erzielen bzw. sich gegen kommunikative Zumutungen zu wehren.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Was ist die Frage?
Zusammenfassung
Es gibt wohl kaum eine andere menschliche Erkenntnis, die selbst über die Zeiten hinweg mehr Zustimmung findet als die, dass ausgesprochene Worte beachtliche Macht entfalten können, dass Kommunikation in der Lage ist, nicht nur die Menschen, sondern auch den Lauf der Welt zu verändern. Doch trotz der Gewissheit, dass Kommunikation mächtig ist, weiß man über die Quellen dieser Macht überraschend wenig.
Jo Reichertz
Kapitel 2. „Du, es regnet nicht mehr.“ Kommunikative Aushandlung von Identität
Zusammenfassung
Es ist schon einige Jahrzehnte her, dass ich mit einem befreundeten Pärchen im Auto nach Kassel fuhr. Das Auto war ein (fast) neuer Golf GTI und war der ganze Stolz von Peter, einem 30-jährigen Gymnasiallehrer. Peter lebte mit vier Freunden in einer Wohngemeinschaft, die sich selbst für alternativ hielt. In einer Kleinstadt im Ruhrgebiet unterrichtete er die Fächer Deutsch und Englisch. Peter saß heute auf dem Beifahrersitz, wohl deshalb, weil er gestern Abend auf einer Party zu viel getrunken hatte. Am Steuer saß Susanne, die im Ruhrgebiet Soziologie studierte, 22 Jahre alt war und bei ihrer geschiedenen Mutter lebte. Peter und Susanne waren seit anderthalb Jahren ein Paar. Ich war der Dritte im Wagen, angehender Kommunikationswissenschaftler, saß auf der Rückbank und konnte alles Weitere gut hören und sehen.
Jo Reichertz
Kapitel 3. Kleine Geschichte des Kommunikationsbegriffs
Zusammenfassung
Kommunikation ist einer der wichtigsten Begriffe, die moderne Gesellschaften heute dazu nutzen, um das zu benennen, was sie antreibt. Ohne Kommunikation, so der Grundtenor aktueller Gesellschaftsbeschreibungen, sind weder Gesellschaft noch Organisationen noch menschliche Identität möglich. Allerdings wird der Begriff ‚Kommunikation‘ in solchen Beschreibungen recht unterschiedlich gebraucht. Hier findet sich eine große Vielfalt, die nicht auf einen einzigen Bedeutungskern zurückzuführen ist (beispielhaft für diese Vielfalt: die lesenswerten Arbeiten von Winter/Hepp/Krotz 2008 und Krallmann/Ziemann 2001).
Jo Reichertz
Kapitel 4. „meintankisleer … super!“ oder: Was ist Kommunikation?
Zusammenfassung
Stellen Sie sich einmal vor oder genauer – erinnern Sie sich einmal an ähnliche Situationen mit ähnlichem Personal: Ein ungemütlicher Dezemberabend im Ruhrgebiet. Maria Windelen ist mit ihrem Wagen auf dem Weg nach Hause. Ein anstrengender Arbeitstag liegt hinter der Rektorin einer deutschen Großstadtrealschule. Es regnet und draußen ist es kalt. Die attraktive, schlanke Endfünfzigerin trägt ein blaues Businesskostüm, die Haare sind modisch frisiert und das dezente Make-up hat sie vor der Abfahrt von der Schule noch aufgefrischt.
Jo Reichertz
Kapitel 5. Was ist Kommunikation?
Zusammenfassung
Kommunikation zu bestimmen, ist nicht so einfach. Das fängt schon mit der Benennung der relevanten Akteure an. In der wissenschaftlichen Literatur haben sich verschiedene Sprechweisen eingebürgert, die trotz ihrer Verwandtschaft miteinander dennoch deutliche und wesentliche Unterschiede aufweisen. Oft gehören sie auch nicht der gleichen ‚Familie‘ an.
Jo Reichertz
Kapitel 6. Ist jetzt alles Kommunikation?
Zusammenfassung
Eine wichtige Frage in der Kommunikationswissenschaft, wenn nicht sogar die ‚Gretchenfrage‘, ist die, wie man es mit der Intention der Kommunizierenden hält. Ist nur das Kommunikation, hinter dem auch die Absicht des ‚Sprechers‘ steht, genau dies dem ‚Hörer‘ zu übermitteln?
Jo Reichertz
Kapitel 7. Verstehen ist nicht das Problem
Zusammenfassung
„Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus dem Hirn zerren“ (Büchner 1965: 6). So lässt Georg Büchner seinen Danton gegenüber seiner Geliebten klagen. Grund für diese Klage ist die auch (noch manchmal) in der Wissenschaft anzutreffende Ansicht, wir könnten einander nicht verstehen, wir seien nicht in der Lage, anderen unser Innerstes mitzuteilen – würden uns mithin nicht (wirklich) verstehen und könnten deshalb den anderen auch nie wirklich kennen können.
Jo Reichertz
Kapitel 8. Wann gelingt Kommunikation und wann ist sie gestört?
Zusammenfassung
Es ist sinnlos, von ‚gelungener Kommunikation‘ zu sprechen, denn Kommunikation gelingt, wenn sie stattfindet. Stattgefunden hat Kommunikation, wenn ein menschlicher Akteur auf das kommunikative Handeln oder kommunikative Tun eines anderen menschlichen Akteurs in seinem Wahrnehmungsfeld mit kommunikativen Handlungen oder kommunikativem Tun ‚antwortet‘. Bei dem kommunikativen Prozess geht es nie ernsthaft um eine Orientierung am Verstehen.
Jo Reichertz
Kapitel 9. Kommunikationsmacht
Zusammenfassung
Manchmal haben auch amerikanische Gangster der Kommunikationswissenschaft etwas zu sagen. So z. B. John Dillinger (1903–1934), der, angesprochen auf die Macht der Kommunikation, folgende von der Erfahrung gesättigte Weisheit vorgetragen haben soll: „Nichts ist so überzeugend wie ein gutes Argument. Außer vielleicht“, so soll Dillinger, der im Alter von 31 Jahren von einem FBI Agenten erschossen wurde, nach einer kurzen Weile des Nachdenkens ergänzt haben, „ein gutes Argument verbunden mit einer geladenen Pistole.“ Dieses Arrangement von Argument und geladener Pistole ist später in der Formulierung: „Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.“ erst in die Mediengeschichte und dann in den gesellschaftlichen Bestand der geläufigen Redensarten eingegangen. Es besagt, dass hinter dem Argument die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Gewaltanwendung stehen, und dass diese letztlich die Kraft des Arguments ausmachen.
Jo Reichertz
Kapitel 10. Formen und Qualitäten der Macht
Zusammenfassung
Ich war einmal mit einem guten Freund aus der Schweiz noch spät abends in einer gut besuchten Kneipe im Ruhrgebiet. Wir waren durstig und hungrig. Die weibliche Bedienung war selten zu sehen und wenn sie in Sichtweite kam, übersah sie uns und nahm uns nicht zur Kenntnis. Das ging so eine Weile und wir ärgern uns, ohne dass sich dadurch etwas an der Lage änderte. Mein Freund ging dann zur Toilette.
Jo Reichertz
Kapitel 11. Haben Dinge Macht?
Zusammenfassung
Ähnlich antiquiert wie die Vorstellung, dass Kommunikationsmacht sich allein aus dem Verhältnis der Menschen zueinander ergibt, ist möglicherweise die Überzeugung, dass auch den materiellen Objektivationen und technologischen Medien, welche Menschen benutzen und die ihnen täglich begegnen, keine wirkliche Macht zukommt. Wenn ich dennoch daran festhalte, dann tue ich dies aus folgenden Gründen.
Jo Reichertz
Kapitel 12. Mediatisierung, Medialisierung und Kommunikationsmacht
Zusammenfassung
In der ersten Auflage des Buchs Kommunikationsmacht untersuchte ich, und das ist erst einmal vielleicht für Soziologen verwunderlich, die Kommunikationsmacht von Einzelnen gegenüber Einzelnen. Zudem konzentriere ich mich auf das kommunikative Handeln in Kopräsenz, wenn also Menschen in bestimmten Situationen mit gegenseitiger Wahrnehmung ihrer Körper miteinander ihr Handeln aufeinander abstimmen. Meine Ausführungen zu Kommunikationsmacht beschränken sich also in der Tat auf den Bereich der unmittelbaren Interaktion und hier folge ich, wie in vielen meiner Überlegungen Goffman, der 1982 in seiner Antrittsrede als Präsident der American Sociological Association sagte, dass es in „all den Jahren“ sein großes Anliegen war, „Anerkennung dafür zu finden, dass diese Sphäre der unmittelbaren Interaktion der analytischen Untersuchung wert ist – eine Sphäre, die man auf der Suche nach einem treffenden Namen, Interaktionsordnung nennen könnte, eine Sphäre, die am besten mit den Mitteln der Mikroanalyse untersucht werden sollte“ (Goffman 1994: 55).
Jo Reichertz
Kapitel 13. Grenzen der Kommunikationsmacht oder: Konstituiert Kommunikation Organisation?
Zusammenfassung
Kommunikation, so die Hauptthese dieses Buches, ist immer kommunikatives Handeln in einem Handlungsfeld. Dies führt notwendigerweise dazu, dass es zu einem kommunikativen Mit- und Gegeneinander kommt, da die Akteure unterschiedliche Interessen haben und über unterschiedlichen Ressourcen körperlicher, sozialer und kommunikativer Macht verfügen. Kommunikatives Handeln dient im Wesentlichen nicht dazu, anderen Botschaften über die Welt oder den eigenen Gemütszustand zukommen zu lassen, also geht es im Wesentlichen nicht darum, anderen Informationen darüber zukommen zu lassen, was man über die Welt und die anderen und sich selbst denkt und was man fühlt.
Jo Reichertz
Kapitel 14. Kommunikationsmacht und kommunikativer Tod
Zusammenfassung
„Hilfe, Hilfe. Ich brauche Hilfe. Ich bin hier alleine. Hilfe, Hilfe.“ Die Stimme der Frau, die das laut ruft, ist markant und klar. Die Stimme kommt vom draußen durch das geöffnete Fenster des Raumes an einer süddeutschen Universität, in dem ich mit sechs Universitätskolleg_innen sitze. Wir diskutieren seit zwei Stunden über den Verlust von Kommunikationsmacht bei Menschen mit Demenz. Alle sind Sozialwissenschaftler_innen.
Jo Reichertz
Kapitel 15. Individualisierung – Interkulturalität – Kommunikationsmacht
Zusammenfassung
Keine Sozialtheorie kommt ohne Annahmen über die Natur des Menschen aus. Meist jedoch implizit. Natürlich liegt auch dem Konzept der Kommunikationsmacht eine implizite Anthropologie zugrunde – gepaart mit einer spezifischen Zeitdiagnose zur Besonderheit der Moderne. Diese Anthropologie ruht auf Ideen, die dem amerikanischen Pragmatismus (Peirce, Mead, Dewey), der philosophischen Anthropologie von Plessner und der Wissenssoziologie (vor allem in der Variante von Berger/Luckmann 1969) entstammen.
Jo Reichertz
Kapitel 16. Kommunikationsmacht als Beziehungsmacht über Identität
Zusammenfassung
Zweifel und Zuversicht schließen sich (scheinbar) aus. Denn dort, wo Zweifel ausgesät und gediehen ist, da zaudert und zögert man. Dort, wo Zuversicht herrscht, da handelt man voll Vertrauen darauf, dass ein Unterfangen erfolgreich sein wird. Für den Zweifel ist in der Regel die Wissenschaft zuständig: sie produziert immer und überall ein ‚obwohl‘ und ein ‚dennoch‘. Obwohl es doch gerade gut läuft, könnte es dennoch ganz anders sein! Wissenschaft produziert also systematisch Zweifel. Beratung jeder Art, also auch Unternehmens- und Kommunikationsberatung, produziert dagegen systematisch Zuversicht. Dies allerdings auch mit einem ‚obwohl‘ und ‚dennoch‘: Obwohl die Situation nicht so optimal aussieht, wird es dennoch gelingen. Vertraue mir und vertraue auf Dich. So sieht eine systematische Produktion von Zuversicht aus.
Jo Reichertz
Backmatter
Metadaten
Titel
Kommunikationsmacht
verfasst von
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-31635-8
Print ISBN
978-3-658-31634-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8