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Erschienen in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 1/2024

Open Access 05.02.2024 | Praxisbeitrag

Arbeitszeitverkürzung in der Automobilindustrie. Ein Baustein in der Industrietransformation?

verfasst von: Marcel Roth

Erschienen in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft | Ausgabe 1/2024

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Hinweise
Der Beitrag basiert auf der Abschlussarbeit für das Studium der Global Studies (Humangeographie M.A.).

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

Soll die IG Metall erstmalig mit der Forderung nach einer 4‑Tage-Woche in die Ende 2023 startende Tarifrunde in der Stahlindustrie gehen? Zur Vorbereitung der Tarifrunde diskutierte die Tarifkommission in der nordwestdeutschen Stahlindustrie (IG Metall 2023) diese Frage. Im Verständnis der IG Metall soll die reguläre Wochenarbeitszeit von aktuell 35 auf dann 32 Wochenstunden abgesenkt werden – bei vollem Lohnausgleich. Die IG Metall führt an, Beschäftigte würden dadurch motivierter, produktiver und gesünder arbeiten – Arbeit und Leben könnten dadurch besser vereinbart und Fachkräfte angelockt werden. Zusätzlich sei die 4‑Tage-Woche gut für das Klima, weil so für einen fünften Arbeitstag Wege und Energie eingespart werden sollen. Damit ist die Diskussion um eine Arbeitszeitverkürzung in der nordwestdeutschen Stahlindustrie schon fortgeschritten. Ob eine Arbeitszeitverkürzung auch in anderen Industrien diskutiert und als beschäftigungssicherndes Instrument in der Transformation gesehen wird, zeigt der folgende Beitrag explorativ am Beispiel der baden-württembergischen Automobilindustrie auf.
Die Automobilindustrie muss sich verändern: Mit der Entscheidung, ab 2035 (fast) keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor zuzulassen, hat die EU der Transformation in der Automobilindustrie eine klare Richtung gegeben. Zulieferer, die vom Antriebsstrang abhängen, müssen auf neue Produkte umstellen, beispielsweise auf Batterietechnik. Einige haben bereits in diese Geschäftsbereiche investiert. Wer das zu spät macht, dessen Existenz könnte schon bald auf dem Spiel stehen. Eine besondere Bedeutung für die Beschäftigung erhält dieser Wandel dadurch, dass der Arbeitsaufwand im Antriebsstrang von Elektrofahrzeugen um etwa ein Drittel geringer ist als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Damit sind ganze Unternehmensstandorte und vor allem etliche tausend Arbeitsplätze in einer Branche mit guten Arbeitsbedingungen gefährdet. Wie hoch die Arbeitsplatzrisiken tatsächlich sind, ist schwer zu quantifizieren. Die Szenarien schwanken stark (Agora Verkehrswende 2021; e‑mobil BW 2019; BW Stiftung 2017; Blöcker 2022). Die Auswirkungen hängen stark vom künftigen Stellenwert des privaten PKW ab.
Bereits in den 1990er-Jahren hat Volkswagen mit einer 4‑Tage-Woche gezeigt, dass eine Arbeitszeitverkürzung Beschäftigung sichern kann. Damals wurden mit diesem Instrument Massenkündigungen verhindert.
Die Herausforderungen für den Automobilstandort Baden-Württemberg sind bereits mit den oben beschriebenen Dynamiken groß – und trotzdem stellt sich die Frage, ob der Umstieg auf den Elektromotor genügt, um Mobilität klimaneutral zu machen. Oder muss die Verkehrswende noch weitergedacht werden – im Sinne einer „allmählichen Abkehr vom privaten Pkw“ (Dörre 2021, S. 233), wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen?

2 Arbeitszeitwünsche

Kürzere und flexiblere Arbeitszeiten sind für die IG Metall ein zentrales Thema für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen: Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall zieht schon 2017 nach einer groß angelegten Mitgliederbefragung zu Arbeitszeit den Schluss: „Die Menschen wollen mehr Selbstbestimmung und Verlässlichkeit für ihre Arbeitszeit – im Alltag und während des Arbeitslebens. Und sie wollen nicht darum betteln müssen. Wer selbstbestimmt seine Arbeitszeit einteilen kann, etwa durch die Möglichkeit, kurzfristig einen Tag freizunehmen oder ohne viel Abstimmungsaufwand für ein paar Stunden wichtige private Angelegenheiten zu erledigen, ist deutlich zufriedener mit seinen Arbeitszeiten“ (IG Metall 2017, S. 5).
Aktueller ist eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die im Mai 2023 zum Ergebnis kam, dass sich rund 81 % der Vollzeiterwerbstätigen eine Vier-Tage-Woche mit niedrigerer Wochenarbeitszeit wünschen. Knapp 73 % geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfiel. 17 % der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt (Lott und Windscheid 2023).
Weitere Beschäftigtenbefragungen geben Aufschluss über die Einstellungen zum Umbau der Industrie. So wollen viele Beschäftigte Teil der Transformation sein (siehe Boewe et al. 2021). Auch die Verknüpfung von Arbeitszeitverkürzung und Qualifizierung spielt eine große Rolle (siehe Bosch 2022). Der Fokus dieses Artikels liegt allerdings auf der Arbeitszeit selbst.

3 Arbeitszeit in Tarifverträgen der IG Metall

Zwar wird momentan die 4‑Tage-Woche diskutiert, in den letzten Jahren aber gab es bereits mehrere Tarifabschlüsse, die Arbeitnehmer:innen eine flexiblere Gestaltung ihrer Arbeitszeit ermöglichen. Mit dem Recht auf verkürzte Vollzeit etwa kann die Arbeitszeit für einen festgelegten Zeitraum auf bis zu 28 h pro Woche verkürzt werden, allerdings mit anteiliger Entgeltreduzierung. Das tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) ist eine Zusatzzahlung aus dem Jahr 2018, das eine Wahlmöglichkeit für einige Beschäftigtengruppen beinhaltet: Arbeitnehmer:innen, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten, können das tarifliche Zusatzgeld auch in acht freie Tage umwandeln. Laut IG Metall haben im Jahr 2022 über 400.000 Beschäftigte – insbesondere Schichtarbeiter:innen – die T‑ZUG-Option auf „freie Tage statt Geld“ genutzt (IG Metall 2022). In der Tarifrunde 2021 einigten sich die Sozialpartner auf das Transformationsgeld (T-Geld). Das T‑Geld ist neben dem Urlaubsgeld, dem tariflichen Zusatzgeld (T-ZUG) und dem Weihnachtsgeld die vierte jährliche Sonderzahlung zusätzlich zum Monatsgehalt in der Metall- und Elektrobranche. Allerdings – und hier kommt die Arbeitszeit ins Spiel – kann das Transformationsgeld auch zur Beschäftigungssicherung genutzt werden, dann wird es als Transformationsbaustein (Trafobaustein) bezeichnet. Diese Option können Betriebe nutzen, wenn sie vor längeren Transformationsphasen stehen, also dann, wenn Zulieferer etwa von Bauteilen für den Verbrennungsmotor zu denen für Batterie- oder Wasserstofftechnik wechseln. Dadurch kann die Arbeitszeit in einem Betrieb reduziert und Beschäftigung gesichert werden. Geregelt wird diese Option auf betrieblicher Ebene – der Betriebsrat muss zustimmen.

4 Arbeitszeitverkürzung als Transformationsinstrument?

Mittlerweile gehen zahlreiche Studien von Arbeitsplatzverlusten durch den Wechsel zur Elektromobilität aus. Das im verbrennungsmotorischen Antriebsstrang wegfallenden Arbeitsvolumen kann auch in optimistischen Annahmen nicht durch Komponenten für Elektromobilität und automatisiertes Fahren kompensiert werden. Um die 30.000 Beschäftigte können in Baden-Württemberg bis 2030 vom Wandel zur Elektromobilität durch den Rückgang des Arbeitsvolumens betroffen sein (e-mobil BW 2019). Andere Studien prognostizieren gar einen Zuwachs an Arbeitsplätzen, allerdings eher im Berufsfeld für autonomes und vernetztes Fahren. Es geht also um Software- und Entwicklerstellen (Agora Verkehrswende 2021).
Eine über die „Antriebswende“ hinausgehende „Mobilitätswende“ kann zu Umsatz- und Beschäftigungsrückgängen bei Herstellen und Zulieferern der Automobilindustrie führen. Eine Arbeitszeitverkürzung kann bei sinkendem Arbeitsvolumen Beschäftigung sichern – ob und wie, wurde in sechs qualitativen Experteninterviews mit Vertretern der Automobilindustrie explorativ erforscht.
Die Forschung wirft einen Blick auf die betriebliche, gewerkschaftliche und unternehmerische Realität und wurde im Zeitraum von Juni bis Oktober 2022 durchgeführt. Es werden Chancen und Risiken von Arbeitszeitverkürzung in drei Unternehmen aufgezeigt, die bereits Erfahrungen mit diesem Instrument gemacht haben. Dabei handelt es sich um global agierende Zulieferer für die Automobilindustrie, die besonders von Arbeitsplatzrisiken betroffen sind. Die Zahl der Beschäftigten in den drei Unternehmen reicht vom niedrigen vierstelligen bis zum mittleren sechsstelligen Bereich. Durch leitfadengestützte Interviews mit zwei Betriebsratsvorsitzenden, einem IG Metall-Vertreter, einem Berater und einem Autor wird die Arbeitnehmer:innenseite dargestellt, die Arbeitgeberseite durch ein Interview mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall. Außen vor blieb die Frage, ob mehr Freizeit auch zu einer veränderten Lebensführung und damit zu neuen Umwelt- und Klimaeffekten führt. Ebenso konnte nicht quantifiziert werden, welche Wirkung eine Arbeitszeitverkürzung in der Gesamtbetrachtung hatte, sie war immer nur ein Baustein in größeren Paketen.

5 Die betriebliche Perspektive

5.1 Zielvorstellung betroffener Unternehmen ist Voraussetzung

Arbeitszeitverkürzung kann als Mittel zur Beschäftigungssicherung dienen. Bereits das ist keine zu unterschätzende Erkenntnis – denn Unternehmen in Krisenzeiten setzen dagegen auch oft auf Kündigung ganzer Personalbereiche oder die Schließung von Standorten. Die Beschäftigungsrisiken sind besonders hoch bei den Zulieferern, die Teile für den Verbrennungsmotor herstellen, und betreffen insbesondere die Beschäftigten in der Produktion. Allerdings liegen diese Beschäftigungsrisiken nicht nur am Technologiewandel zum Elektromotor, sondern genauso – und das schon lange – an einem anhaltenden Wettbewerbsdruck, der durch die fortschreitende Globalisierung ausgelöst ist. Viele Zulieferer sind bereits in Low Cost Countries abgewandert, weil die Lohnkosten dort um ein Vielfaches geringer sind. Allerdings sind die Beschäftigungsrisiken der Transformation für die Beschäftigten oft noch nicht spürbar, weil die Produktion des verbrennungsmotorischen Antriebsstrangs derzeit noch hoch ist und die Produktionsstandorte entsprechend ausgelastet sind.
Eine Arbeitszeitverkürzung kann ein gutes Instrument zur Vermeidung von Entlassungen sein. In den Expertengesprächen wurden hierfür jedoch zwei Voraussetzungen genannt: Erstens muss es eine Zielvorstellung dazu geben, wie das Unternehmen die Transformation bewältigt. Investieren die Unternehmen bereits in neue Produktsegmente und geht es um einen Übergang zwischen alten Produkten, die abgewickelt werden, und einen Hochlauf der neuen Produkte? Dann kann eine Arbeitszeitverkürzung auf Zeit eine sehr hilfreiche Maßnahme sein. „Auf Zeit“ beschreibt die zweite Voraussetzung: Beschäftigte lassen sich auf Arbeitszeitverkürzungen in Verbindung mit reduziertem Entgelt ein, wenn die Maßnahme befristet ist. Das gilt allerdings vor allem für Beschäftigte in höheren Entgeltgruppen, die durch temporäre Lohneinbußen nicht in individuelle Nöte geraten. Wenn Unternehmen und Betriebsrat erfolgreiche Vereinbarungen für temporäre Arbeitszeitverkürzungen treffen, kann das sogar die Bindung an das Unternehmen erhöhen. Mit der hohen Inflation im Herbst 2022 wurde in den Gesprächen allerdings eine geringere Bereitschaft zur Arbeitszeitverkürzung mit Entgelteinbußen deutlich.

5.1.1 Beschäftigte schätzen zusätzliche freie Tage

In Tarifverhandlungen von IG Metall und Südwestmetall wurden in den letzten Jahren bereits Regelungen zur Flexibilisierung und Verkürzung der Arbeitszeit abgeschlossen. Der Tarifvertrag ‚Tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG)‘ wird von einigen Unternehmen genutzt, bei Umsatzeinbußen alle Beschäftigten acht zusätzliche Tage freizustellen und damit die Auszahlung des Zusatzgeldes zu vermeiden. Diese Maßnahme zur Bewältigung einer betrieblichen Krise findet hohe Akzeptanz bei den Beschäftigten. Ohnehin scheint die Option, mehr freie, flexibel wählbare Tage zu haben, von den Beschäftigten gut angenommen zu werden – hier geht es letztlich um eine Arbeitszeitverkürzung der Jahresarbeitszeit. Psychologisch sind die freien Tage des T‑ZUGs auch dann interessant, wenn Arbeitnehmer:innen vorher die Sonderzahlung noch gar nicht erhalten haben – dann steht nicht weniger Gehalt auf dem Lohnzettel, dafür haben die Beschäftigten acht weitere freie Tage.
Anders verhält es sich bei der verkürzten Vollzeit, auf die IG-Metall-Mitglieder in tarifgebundenen Unternehmen seit 2018 ein Anrecht haben. Hier kann die individuelle Wochenarbeitszeit bei Einhaltung bestimmter Vorrausetzungen auf mindestens 28 h und für die Dauer von bis zu 24 Monaten verkürzt werden (eine Wiederholung ist möglich). Nach der vereinbarten Dauer kehren die Beschäftigten automatisch in die vorherige Vollzeit zurück. Weil diese individuelle Arbeitszeitverkürzung mit einer Entgeltreduzierung verbunden ist, wird sie nach Einschätzung der befragten Experten eher selten genutzt. Trotzdem ist es ein Zugewinn für die Beschäftigten, wenn sie in herausfordernden Lebenssituation für zwei Jahre kürzertreten können und danach wieder in ihre ursprüngliche Arbeitszeit zurückkehren können. Dass die Arbeitgeberseite diese individuelle Arbeitszeitreduktion besonders hervorhebt, überrascht nicht – dem Arbeitgeber entstehen dadurch keine weiteren Kosten. Der Transformationsbaustein hingegen (Trafobaustein, 2021) ist ein tarifliches Instrument für diejenigen Zulieferer, die in andere Produktsegmente vorstoßen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die IG Metall, womöglich zusammen mit der Politik, weitere Instrumente in diese Richtung entwickelt.

5.1.2 Arbeitszeitverkürzung dient der Personalgewinnung

Es überrascht, dass Arbeitszeitverkürzung von den betrieblichen Experten immer häufiger als Mittel zur Personalgewinnung gesehen wird. Hintergrund ist der Arbeitskräfteengpass, in dem Arbeitgeber sich von anderen auszeichnen wollen. Die Erwartungen vor allem junger Menschen im Entwicklungs- oder Softwarebereich an gute Arbeitsbedingungen steigen mit deren Verhandlungsmacht, wenn das Angebot an Fachkräften knapp ist. In Verbindung mit einem Wertewandel hin zu einer besseren Work-Life-Balance bei jungen Beschäftigten sehen Arbeitgebervertreter bei attraktiven Arbeitszeitmodellen einen Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach Fachkräften. Wichtig ist hier aber ein differenzierter Blick: Laut den Befragten setzt dieser Wandel eher im Entwicklungsbereich, statt im Produktionsbereich ein. Dagegen wäre eine Arbeitszeitverkürzung vor allem in den Produktionsbereichen sinnvoll, weil hier größere Beschäftigungsrisiken bestehen.

5.1.3 Betriebe sehen kein ökologisches Potenzial in einer Arbeitszeitverkürzung

Trotz früherer Diskussionen (Beispiel Volkswagen) wird aktuell eine Arbeitszeitverkürzung von den Befragten nicht als ökologisch begründete Maßnahme gedacht. In der Automobilindustrie steht der Elektromotor als Antwort auf den Klimawandel im Vordergrund, wenngleich auch er umstritten ist. Eine umfassendere Verkehrswende im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation, in der motorisierter Individualverkehr zunehmend durch Öffentlichen Verkehr ersetzt wird, ist für die industrieseitig Befragten keine Option.
Ein Schrumpfen der Automobilindustrie lehnen sie ab, denn ein Kulturwandel hin zu weniger Autos sei nicht zu erwarten, stattdessen müsse man auf technische Lösungen setzen. Darüber hinaus geht es nicht nur um einen Verkehrswandel: Ein Schrumpfen der Automobilindustrie sei mit marktwirtschaftlichen Prinzipien auch nicht in Einklang zu bringen. Denn im Kapitalismus entscheiden Unternehmensführungen und Investor:innen, welche Produkte in welcher Stückzahl hergestellt werden. Demzufolge wird auch eine Arbeitszeitverkürzung als Reaktion auf einen gesunkenen Absatzmarkt nicht ins Auge gefasst.
Interessanterweise argumentieren Industrie- und Klimaakteure aber gemeinsam, wenn sie Zweifel an künftig verfügbaren Strommengen und Ressourcen für Batterietechnik haben. Gefolgert wird daraus industrieseitig, größere Energiekapazitäten aufzubauen und klimaseitig, das Mobilitätsverhalten zu verändern und die Automobilindustrie zu transformieren.

6 Schlussfolgerungen

Ein klimaneutraler Pfad bis 2045 in Deutschland und bis 2040 in Baden-Württemberg erfordert gerade im Verkehrssektor und in der Automobilindustrie eine deutliche Umkehr. Doch Elektromobilität und stärker noch eine darüberhinausgehende Verkehrswende führen in der Automobilindustrie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückgang des Arbeitsvolumens. Entgegen der öffentlichen Debatte um einen Fachkräftemangel müssen sich insbesondere Antriebsstrang-abhängige Zulieferer für eine Zukunft ohne Verbrennungsmotor wappnen. Das stellt bisherige Geschäftsmodelle in Frage.
Eine Arbeitszeitverkürzung kann ein Baustein der sozial-ökologischen Industrietransformation sein. Das zeigen betriebliche Beispiele – sehr prominent die Arbeitszeitverkürzung von Volkswagen in den 1990er-Jahren, aber auch aktuelle Beispiele in Unternehmen der baden-württembergischen Automobilindustrie. Darüber hinaus hat die Arbeitszeitverkürzung noch weitere Potenziale: sie kann gesundheitsfördernd wirken, psychisch wie körperlich; sie kann Zeit für eine bessere Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern schaffen, Zufriedenheit, Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit bei der Arbeit von Beschäftigten entfalten. Zudem kann sie Beschäftigten die Chance geben, sich stärker am gesellschaftlichen Leben durch politisches oder ehrenamtliches Engagement zu beteiligen.
Doch der Blick in die betrieblichen Diskussionen zeigt die Hürden für eine branchenweite Beschäftigungssicherung über eine Arbeitszeitverkürzung auf: Eine hohe Akzeptanz bei den Beschäftigten besteht nur dann, wenn sie als vorübergehend, als Übergang zu einem neuen Geschäftsmodell gesehen wird. Auch Entgelteinbußen werden hingenommen, wenn sie befristet sind oder sie zumindest teilweise ausgeglichen werden. Dazu kommt, dass Beschäftigte in niedrigen Entgeltgruppen sich verringerte Einkommen schlichtweg nicht leisten können.
Aus der Branchenperspektive heraus ist eine schrumpfende Produktion nicht vorstellbar, weil sie marktwirtschaftlichen Prinzipien und der anhaltend hohen Nachfrage nach Pkw zuwiderläuft. Arbeitszeitverkürzungen werden dann eher als individuelle Option für eine andere (bessere) Work-Life-Balance gesehen, die möglicherweise in Zeiten eines Arbeitskräftemangels das eigene Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber ausweist. Eine branchenweite Arbeitszeitverkürzung als kollektive Maßnahme müsste daher auf eine breite Diskussion und Akzeptanzsicherung aufsetzen.
Ohne Akzeptanz der Beschäftigten wird der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität nicht gelingen. Das gilt nicht nur, aber in hohem Maße auch für eine Arbeitszeitverkürzung als Baustein der Transformation.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Arbeitszeitverkürzung in der Automobilindustrie. Ein Baustein in der Industrietransformation?
verfasst von
Marcel Roth
Publikationsdatum
05.02.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Zeitschrift für Arbeitswissenschaft / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 0340-2444
Elektronische ISSN: 2366-4681
DOI
https://doi.org/10.1007/s41449-023-00407-0

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