Fraglich ist dabei, ob irgendein sachlicher Grund zur Rechtfertigung der Durchbrechungen ausreicht oder nicht eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. Die Rechtsprechung des BVerfG zu den Anforderungen an die Rechtfertigung steuerlicher Ungleichbehandlungen ist nach allgemeiner Auffassung als dreistufig zu beschreiben. Während bei der Auswahl des Steuergegenstandes und der Bestimmung des Steuersatzes (1. Stufe) dem Gesetzgeber ein weitreichender Gestaltungsspielraum zugestanden wird und seine Entscheidungen daher einer bloßen Willkürkontrolle unterliegen,
119 ist die Ausgestaltung einzelner Steuern (2. Stufe) – wie sie auch durch die neuen GloBE-Regeln vorgenommen wird – grundsätzlich am Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu überprüfen.
120 Dieser bindet „die Ausübung der gesetzgeberischen Freiheit an ein hinreichendes Maß an Rationalität und Abgewogenheit.“
121 Die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund steigen mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.
122 Die 3. Stufe, welche die Lösung „komplexer dogmatischer Streitfragen“ bei der Ausgestaltung des Steuertatbestands betrifft, soll dagegen wieder nur auf evidente Ungerechtigkeiten i. S. d. Willkür überprüft werden.
123 Dies setzt nach Auffassung der BVerfG die Notwendigkeit voraus, überzeugende dogmatische Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable Tatbestandsausgestaltung entwickeln zu müssen.
124 Allerdings wird in der Literatur zu Recht eingewendet, dass die Abgrenzung zwischen einer folgerichtigkeitsgebundenen einfachgesetzlichen Belastungsentscheidung und einer nur willkürbegrenzten, dogmatisch komplexen Einzelfrage vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG kaum nachvollziehbar und daher nicht widerspruchsfrei möglich ist.
125 Nach
Tipke bedarf ein Systembruch im oben festgestellten Sinne der Rechtfertigung durch ein anderes sachgerechtes Prinzip von mindestens gleichem Rang und Gewicht und muss zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.
126 Auch
Hey und
Englisch verlangen etwa für Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip nicht nur einen besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrund, sondern fordern, dass die Ausnahmen ihrerseits folgerichtig ausgestaltet sind und einer Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten.
127 Neben diesen allgemeinen Erwägungen spricht zudem für eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung, dass es durch die Anwendung von IIR und UTPR auch zur Einschränkung der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) kommen kann, wenn die Top-up Tax die Gewinne der steuerpflichtigen Konzerneinheit übersteigt und somit eine Substanzbesteuerung begründet. Denn die Anforderung an die Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Ungleichbehandlungen steigen allgemein in dem Maß, in dem sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann.
128 Dies gilt ebenso für juristische Personen.
129 Dem BVerfG zufolge darf ein Steuergesetz keine erdrosselnde Wirkung haben, sodass dem Grundrechtsträger ein „Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt […] der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt.“
130 Dementsprechend wird nachfolgend eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt. In diesem Rahmen verschärfen sich die Rechtfertigungsanforderungen zudem, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Ungleichbehandlung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind.
131 Andererseits ist dem Eingriff eine geringere Intensität zuzuschreiben, wenn der Steuerpflichtige über „belastungsmindernde“ Ausweichmöglichkeiten verfügt, z. B. über gesellschaftsrechtliche Gestaltungen.
132 Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Ausweichoption zweifelsfrei legal ist, keinen unzumutbaren Aufwand für den Steuerpflichtigen bedeutet und ihn auch sonst keinem nennenswerten finanziellen oder rechtlichen Risiko aussetzt.
133 Zumindest die letzten beiden Kriterien werden regelmäßig nicht erfüllt sein. Denn um die Besteuerung nach der IIR oder UTPR zu vermeiden, wäre es im Regelfall notwendig, dass ein Konzern seinen Umsatz reduziert (etwa durch Spaltung des Konzerns) oder er sich aus Niedrigsteuerländern oder Staaten, die die IIR oder UTPR eingeführt haben, zum Großteil oder sogar vollständig zurückzieht. Die erste Option der Umsatzsenkung dürfte sich wohl kaum in irgendeinem Fall als wirtschaftlich sinnvoll, geschweige denn zumutbar herausstellen. Sofern nicht allein aus steuerlichen Gründen Konzerneinheiten in Niedrigsteuerstaaten angesiedelt sind, sondern auch wirtschaftliche Gründe dahinterstehen (z. B. weil sich dort ein Absatzmarkt befindet), wird auch ein Rückzug von diesen Standorten mit nicht unerheblichen finanziellen Einbußen verbunden sein. Eine Flucht aus den die IIR oder UTPR anwendenden Staaten dürfte im Übrigen sehr schwierig, wenn nicht unmöglich werden und wäre ggf. mit erheblichen Umstrukturierungskosten verbunden, da insbesondere die Industriestaaten, aber auch ein Großteil der zahlreichen IF-Mitgliedstaaten die GloBE-Regeln einführen werden und somit kaum Möglichkeiten verbleiben sollten, ohne Konzerneinheiten in zumindest einem Teil dieser Länder auszukommen. Hinzuzufügen ist ferner, dass eine Konzerneinheit, die nicht die Konzernobergesellschaft ist, regelmäßig wenig bis gar keinen Einfluss auf die Konzernstrukturen haben wird. Dementsprechend sind nachfolgend eher strengere Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen.